Ralf: Ernst Hümpel und Ernst Hansen – zwei Schulmänner in Bad Bramstedt

Aus dem Heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg, 1995, S. 60ff

Dr. Horst Ralf, Flensburg

Ernst Hümpel und Ernst Hansen

– zwei Schulmänner in Bad Bramstedt

HkJb1995_02 Die Chronik der Jürgen-Fuhlendorf-Schule in Bad Bramstedt1) erwähnt zwei Schulleiter, die für die Gründung dieser Schule als Privatschule 1908 und für deren Erhaltung in der schwierigen Zeit der Wirtschaftskrise 1932 von Einfluß waren:
Pastor lic. Dr. phil. Ernst Hümpel und Oberstudienrat Professor Ernst Hansen. Einige Erinnerungen an diese beiden so verschiedenen Persönlichkeiten seien hier zusammengetragen.
Bei der 50-Jahr-Feier der Jürgen-Fuhlendorf-Schule 1958 war die Gattin des am 5. Februar 1955 verstorbenen Professors Hansen selbst noch dabei, ebenso Kinder und Enkel von Pastor Hümpel2).
Zeitlich war man 1958 den Verhältnissen der Jahre 1908 bzw. 1932 viel näher als heute. Vielleicht ermöglicht der heute weit größere Abstand für dieses und jenes eine deutlichere Erkenntnis.
Professor Ernst Hansen kam ein Vierteljahrhundert nach Pastor Hümpel an die damalige höhere Privatschule in Bad Bramstedt. Wer aber denkt dabei, daß beide fast gleichaltrig waren:
Ernst Hümpel wurde am 29. Mai 1867 geboren, Ernst Hansen am 13. August 1868.
Ernst Hümpel starb am 23. Februar 1918. Ernst Hansen übernahm im gleichen Monat die zeitweilige Leitung des Flensburger Wandervogels.
Ernst Hümpel war ein Kind vom Lande, achtes von neun Kindern eines Halb-hufners aus Borstorf im lauenburgischen Kirchspiel Breitenfelde.
Ernst Hansen war ein Stadtkind aus Flensburg.
In Borstorf lebten Ende der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts vielleicht 200 Menschen, in Flensburg waren es immerhin 22 000.

Beider Kindheit und Jugend fiel in die Zeit der beginnenden Moderne mit ihren wirtschaftlichen und sozialen Umbrüchen. Der Unterschied zwischen Stadt und Land war damals viel größer als heute. Vor allem gab es für die heranwachsende Generation in der Stadt ein vielseitigeres und besseres Ausbildungs- und Bildungsangebot als auf dem Dorf. Dort war man nach wie vor auf die Mitarbeit der Kinder angewiesen. 1867 waren in der damaligen Provinz Schleswig-Holstein von allen hauptberuflich Erwerbstätigen noch 50% in der Land- und Forstwirtschaft und Fischerei beschäftigt. Im Dezember 1880 lebten noch 94% aller Schleswig-Holsteiner in Gemeinden bis zu tausend Einwohnern3).
Flensburg war zeitweilig eine recht wohlhabende Stadt gewesen. Die Stadt hatte gute und weniger gute Tage gesehen, aber der Handel, d. h. die Norwegenfahrt (Getreide, Branntwein), Westindienfahrt (Zucker, Rum , Kaffee), die Bedienung der Ostseehäfen, die Mühlenbetriebe und die Metallverarbeitung hatten auch etwas eingebracht. Noch zwischen 1890 und 1910 verfügte Flensburg nach Hamburg und Bremen über Deutschlands drittgrößte Handelsflotte.
Für den jungen Ernst Hansen gab es da schon ein schulisches Angebot, vor allem das „Königliche Gymnasium mit seiner Realschule 1. Ordnung“. Wie in anderen Hafenstädten wurde frühzeitig auf die Neueren Sprachen Wert gelegt und darauf, daß auch Lehrer mit Auslandserfahrung zu Wort kamen4).
Für Ernst Hümpel gab es neben der Mitarbeit auf dem Bauernhof bis zum 14. Lebensjahr nur den Besuch der Dorfschule.
§ 65 der Allgemeinen Schulordnung von 18145) sah ausdrücklich vor, daß „besonders die Knaben, die des Sommers zur Feldarbeit mitgebraucht und zu ihrem künftigen Beruf angeführt werden müssen, von dem ununterbrochenen Schulbesuch des Sommers befreyet werden …“ Die Entscheidung über die Freistellung vom Unterricht lag in der Zeit des dänisch-deutschen Gesamtstaats bei den Eltern, in der preußischen Zeit beim – geistlichen – Schulinspektor. Etliche Jahre über 1866 hinaus dürfte die Hälfte der Kinder der Schule ferngeblieben sein6).
Nach seiner Konfirmation arbeitete Ernst Hümpel noch zwei Jahre auf dem Hof seines älteren Bruders als „Landwirtschaftslehrling“. Dann nahm der Pastor von Breitenfelde sich seiner an und brachte ihn in einem Jahr so weit, daß er mit sechzehn Jahren in die Quarta der Lauenburgischen Gelehrtenschule in Ratzeburg aufgenommen werden konnte. 1889 legte er dort die Abiturprüfung ab.
Vergleicht man die Werdegänge der Studenten Hümpel und Hansen, so wählte Ernst Hümpel mit seiner Entscheidung für das Theologiestudium den altüberkommenen Leidensweg der Armut, der schon immer den Studierenden zugemutet wurde, denen von den Eltern keine finanziellen Zuwendungen gemacht werden konnten.
Ernst Hansen war da moderner. Auch er hat noch Latein studiert, dann sich aber der Germanistik zugewandt (Dänisch, Deutsch, Niederdeutsch), und den „Neuen Sprachen“: Englisch und Französisch.
Schon 1895 fand er in seiner Heimatstadt an der neugegründeten Oberrealschule (mit Handelswissenschaft) eine Planstelle, auf der er dann vom wissenschaftlichen Hilfslehrer zum Professor und schließlich zum Oberstudienrat als Vertreter des Direktors kontinuierlich aufgestiegen ist.

Das Leben hat Ernst Hümpel zeitweilig hart mitgenommen. Er studierte in Leipzig, Tübingen, Erlangen und vor allem in Greifswald. In seiner Familie ist überliefert, daß viele Verwandte und Freunde ihm kleine und kleinste Beträge geborgt hätten, über die er sorgfältig Buch geführt und die er später korrekt zurückgezahlt habe. Im Jahre 1892 legte er der Fakultät in Greifswald eine Preisschrift vor und erhielt den Preis. Ostern 1894 promovierte er dort „magna cum laude“ zum Dr. phil. Inzwischen aber war die Not so groß, daß er erst einmal Geld verdienen mußte. Er beging wieder den älteren Weg und wurde Hauslehrer auf dem Gut Gossow in der Neumark, das dem Reichstagspräsidenten von Levetzow gehörte. Berufliche Förderung, d. h. die früher auch übliche Karriereförderung des Hauslehrers durch den Hausherrn, erfuhr er nicht. Die Jahre 1895/96 sehen ihn als Dozenten am Lutherischen Missionsseminar in Leipzig. Das theologische Amtsexamen legte Ernst Hümpel am Anfang des Jahres 1896 in Kiel ab, das des Lizentiaten am Ende des gleichen Jahres in Erfurt. Wegen seiner Armut verzichtete er auf die Habilitation, die ihm die Fakultät in Greifswald bereits gestattet hatte. Im März 1897 trat der Lic. Dr. phil. Ernst Hümpel als Lehrvikar in den Dienst der evangelisch-lutherischen Kirche im Herzogtum Schleswig, und zwar zunächst an die Kirche St. Marien in Flensburg.
Dort hätte er den Hilfslehrer – oder war er schon Oberlehrer? – Ernst Hansen treffen können. Der bewegte sich in einem Kreise ambitionierter Kollegen, von denen einige sich selbst mehr pädagogisch, andere aber eher wissenschaftlich bemühten. Da war z. B. der Schulbuchautor Dr. Karl Engelke7), der seine Fremdsprachen- studien in Glasgow, Paris und Lausanne absolviert hatte, der auch auf dem Schulflur Französisch sprach und der in seiner preußischen Hauptmannsuniform für einen französischen Offizier gehalten werden konnte. Ernst Hansen hatte „nur“ in Göttingen, München und Berlin studiert. Im Sommer 1904 aber zog er nach: Der preußische Kultusminister sandte den Sechsunddreißigjährigen unter Beibehaltung seiner Bezüge zu Sprachstudien nach England und Frankreich.

Am 20. Januar 1901 wurde Ernst Hümpel an der Maria-Magdalenen-Kirche in Bramstedt zum Pastor ordiniert. Damit war er zum erstenmal in Arbeit und Brot. In Bramstedt gründete er seine Familie. Seine Angehörigen haben später berichtet, daß er mit Energie und Hartnäckigkeit, auch gegen größte Schwierigkeiten seine Ziele zu verfolgen und durchzusetzen pflegte.
Bei der Gründung der höheren Privatschule war eine derartige Beharrlichkeit auch wohl nötig: Das Provinzialschulkollegium stand dem Projekt zunächst skeptisch gegenüber, zumal Privatschulen in der Regel nicht durch einen Verein, sondern durch einen persönlich verantwortenden Pädagogen mit Berufserfahrung geleitet werden sollten.
Die Schule eröffnete am 1. Mai 1908.
Sie ist in die Reihe der vor dem Ersten Weltkrieg eingerichteten höheren Lehranstalten miteinzuordnen. W. Weimar8) hat dargetan, wie man nach der Jahrhundertwende in das Wohngebiet der „kleinen Leute“ auf der Kieler Westseite eine Realschule setzte, um ein Ventil zu öffnen zum Abbau sozialer Spannungen. Als die Mittel der Stadt Kiel dann für die Werftseite auf dem Ostufer nicht mehr reichten, sprang der Staat mit der höheren Schule in Wellingdorf ein. Aus anderen Städten mit ähnlich rasch zunehmender Arbeiterbevölkerung ließen sich weitere Beispiele beibringen.
Auch die 1908 gegründete Schule in Bramstedt eröffnete Chancen für soziale Aufsteiger. Dennoch war es da etwas anders als in den Industriestädten. Aus den Schülerlisten der „Mittlere-Reife-Prüfungen“, die bis 1936 an der staatlichen höheren Schule in Bad Oldesloe abzulegen waren, ließ sich folgendes ermitteln:
Die Schüler vom Lande verließen oftmals den häuslichen Lebenskreis und schufen sich in der Stadt eine Existenz. Söhne und Schwiegersöhne der Kaufleute und Handwerker übernahmen die Betriebe ihrer Väter und führten sie – nicht ohne Erfolg – weiter. Fast jeder dritte Vater war Beamter; unter den Söhnen wurde es jeder zweite. Die Zahl der Akademiker und Fachschulabsolventen verdoppelte sich9).
Pastor Hümpel dürfte es weniger um Berufschancen gegangen sein als um den Schulweg.
Sein Weg von Borstorf nach Ratzeburg war – in doppeltem Wortsinn – lang und beschwerlich. Der Weg der Bramstedter Kinder nach Itzehoe, Neumünster oder Bad Oldesloe wäre es auch gewesen. Jemandem, der mit sechzehn Jahren in die Quarta eintrat, dürfte es unmittelbar einsichtig gewesen sein, daß es für ein begabtes Kind nichts Besseres gibt als eine gute, rechtzeitige schulische Unterweisung.
Drei Jahre leitete Ernst Hümpel die Schule, vier Jahre führte er den Vorsitz im Schulverein, um dann in einem abrupten Entschluß — das Protokollbuch nennt Gesundheitsrücksichten – sein eigenes Werk sich selbst überlassen. Die von ihm erhaltene Photographie aus der Gründungszeit zeigt einen früh gealterten Menschen. Wahr ist, daß er, an einem Herzleiden erkrankt, 1915 oder 1916 eine Kur in Bad Nauheim versuchte.
Im Alter von 50 Jahren ist Ernst Hümpel am 23. Februar 1918 gestorben.
Den Zusammenbruch der Monarchie in Deutschland erlebte der königstreue10), patriotische, gelegentlich etwas heftige Mann nicht mehr. Die Inschrift „Alles für die Jugend und das Vaterland“, die lange Jahre über der Eingangstür zu dem 1912 errichteten Schulgebäude zu sehen war, war sein politisches Vermächtnis. Pastor Hümpel hat sich um Fragen der Kommunalpolitik ebenso gekümmert wie um den Ausbau der Eisenbahnstrecke Bad Bramstedt – Neumünster. Für die Fahrschüler war das ja wichtig. Gern schränkte er im Schleswig -Holsteinischen Sonntagsboten den Raum für Gemeindenachrichten ein, um gegen die „Freisinnigen“ zu Felde zu ziehen oder um Friedrich Dernburgs „Kritik der Nationen“ zu rezensieren. Am ersten Mobilmachungstag im August 1914 sah er seine Pflicht darin, vor dem Roland zu den Bramstedter Bürgern zu sprechen. Während des Krieges unterhielt er mit den Einheitsführern der an der Front stehenden Gemeindemitglieder einen ständigen Briefwechsel. Den Angehörigen der Gefallenen überbrachte er die Todesnachricht.
Die älteren Bramstedter erinnerten sich 1958 noch recht gut ihres Pastors, wie er, selbst von großer Statur, mit auf dem Rücken verschränkten Händen die Straßen durchschritt, gelegentlich begleitet von einem lateinische Vokabeln hersagenden Schüler. Sie erinnerten sich auch, daß der Pastor die Jugend zu Ausflügen einlud, z. B. um die Höhlenbewohner von Lentförden zu besuchen, und daß er – in Fragen der Moral selbst von rigoroser Gesinnung – den jungen Leuten den Kopf gehörig zurechtsetzte.

Ging es Ernst Hümpel um eine sittliche Besserung der Jugend, so erstrebte Ernst Hansen in Flensburg zur gleichen Zeit eine jugendgemäße Rückwendung der Städter zur Natur. Sein eher „freisinniges“ Herz schlug für die Jugendbewegung. Die ganze Familie mußte mitmachen, wenn in seinem Garten – ohne Bier und Zigarren – gefeiert, gesungen und plattdeutsch gesprochen wurde. Noch 1925 stellte er – übrigens im Einvernehmen mit dem Oberschulrat Edert – als Reifeprüfungsthema: „Die deutsche Jugendbewegung, ihre Ziele und ihre Wege“.
Das Protokollbuch des Flensburger Wandervogels für das Jahr 1910 vermerkt:
„Am Morgen des 3. Oktobers, es war an einem Montag, versammelten wir uns, vierzehn Schüler und zwei Lehrer, am Kieler Bahnhof (kurz vor 6 Uhr), um mit dem ersten Zug unsere schon lange geplante Herbstwanderung durch das östliche Holstein anzutreten.11)“ Der eine von den beiden Lehrern, die in den Schulferien mit ihren Schülern loszogen, war Ernst Hansen.
Sehr bald wurde in der Nomenklatur des Wandervogels der „Lehrer“ zum „Führer und Wanderbruder“, die Schüler zu „Wanderburschen“. Wichtigster Grundsatz des Wandervogels: ein absolutes Alkohol- und Nikotinverbot, und das in einer Rum- und Bierstadt wie Flensburg. Ferner: „Gleichheit und Zusammengehörigkeit im Humanen waren wichtiger als hierarchische Autorität“, so Alfred Peters12), einstmals Wanderbursche und später Direktor des Alten Gymnasiums.
Die Wandervogel-Ortsgruppe Flensburg bestand bis zu ihrem Verbot durch die Nationalsozialisten am 17. Juni 1933. Neben der „Ortsgruppe“ gab es den prominent besetzten Eltern- und Freundesrat. Auch dabei: Professor Hansen, den seine Schüler damals „Hannemann“ zu nennen pflegten. Wegen der zahlreichen Einberufungen zum Militär übernahm er 1918 sogar zeitweilig die „Führung“ der Wandervogelgruppe, weil dies gemäß Satzung ein Erwachsener sein mußte.
Der Flensburger Wandervogel, das zeigen die Berichte aus dem Ersten Weltkrieg, war durchaus patriotisch, aber gegen die damalige vormilitärische Ausbildung hatte man etwas. In diesem Sinn bemühte sich Professor Hansen, der im Nebenamt als Sachverständiger an der Marinestation tätig war, bei dem Leiter dieser vormilitärischen Ausbildung um Freistellung der Wandervögel. Man hielt die Exerzierübungen für Jugendliche für etwas albern und dichtete:
„Seht, da kommt die Jugendwehr mit dem Pippel-Pappel-Holzgewehr!“13)
Die eigentliche Frontstellung des Wandervogels richtete sich gegen die konkurrierende „Primanervereinigung“14). Diese Schülergruppe war schon 1896 mit dem Wohlwollen des Direktors Flebbe gegründet worden, eine Art Burschenschaft, die wie der Wandervogel bis 1933 bestand. Die Schulordnung der Oberrealschule gestattete den Primanern „zu gewissen Tageszeiten besonders bestimmte Gaststätten aufzusuchen“. Und der überaus beliebte Dr. Flebbe ließ es sich nicht nehmen, gelegentlich selbst ein Faß Bier zu spendieren. Das war anders als beim Wandervogel.
Mit der Zweiteilung der Oberrealschule verlagerte sich das Biertrinken mehr an die Oberealschule II und Landwirtschaftsschule, die Oberrealschule I blieb eher jugendbewegt.
Nach 1918 stellte sich Professor Hansen in den Dienst der schleswig-holsteinischen Sache: er wurde Mitglied im Deutschen Ausschuß für das Herzogtum Schleswig. Obwohl er als direktoriabel anerkannt war, bewarb er sich nicht wie einige seiner Kollegen um eine Schulleiterstelle, sondern blieb als „Vertreter im Amt“ bei dem Oberstudiendirektor Dr. Wilhelm Lohmann an der Oberrealschule I. Beide ließen sich gleichzeitig 1932 in den Ruhestand versetzen.
Ernst Hinrichs, 1924 Lehrer an der Oberrealschule I, zuletzt Leiter des Gymnasiums in Niebüll, hat mir die Situation wie folgt beschrieben:
Dr. Lohmann sei ein vornehmer Herr gewesen, nationalliberal, häufig in Berlin, Vorsitzender des Schleswig -Holsteinischen Philologenvereins, den Blick fest auf das Bismarckreich gerichtet, Verfechter des Rechtsstaats, Verächter der Nationalsozialisten und Kommunisten. Er starb 1932 kurz nach seiner Pensionierung am Herzschlag, während einer Sitzung der Deutschen Volkspartei. Politisch habe Professor Hansen nicht so gedacht wie Dr. Lohmann, er sei eher liberal gewesen im Sinne Friedrich Naumanns.
Dr. Lohmann habe man gefürchtet, ein „Schulfürst autokratischer Prägung“ (Ernst Hinrichs).
Professor Hansen habe das Vertrauen der Schüler besessen. Hinrichs: musikalisch, humorvoll, lebensnah, realistisch, ein Freund der Schüler und vieler Lehrer.
Was Professor Hansen, der sich in Flensburg immer besonders um die Schüler der Oberstufe bemüht hat, bewogen haben mag, nach seiner Pensionierung an die damals kleine private Zubringeschule in Bad Bramstedt zu gehen, ist aus Flensburger Unterlagen nicht ersichtlich. Vermutlich haben sich seine Erwartungen – er war ja inzwischen auch älter geworden – nicht so ganz erfüllt. Für den Bramstedter Schulverein war Professor Hansen schon deshalb ein Glücksfall, weil das Entgelt für seine Arbeit im wesentlichen durch die Stellung der sowieso vorhandenen Direktorenwohnung beglichen werden konnte. Er besaß das Vertrauen des Provinzialschulkollegiums. Er brachte gut beurteilte Lehrer der preußischen Assessorenwarteliste an die Schule. Schließlich hat er die Bramstedter Privatschule organisatorisch den öffentlichen Schulen angenähert und über die kritische Zeit der Wirtschaftskrise und der ersten nationalsozialistischen Eruptionen hinweggebracht.

1936, als Ernst Hansen die Schule an den Oberstudienrat Dr. Heine aus Neumünster übergab, kehrte er nicht nach Flensburg zurück, sondern bezog eine Wohnung in Blankenese.
Von dort unterhielt er weiterhin mit den Kollegen seiner ehemaligen Schule in Flensburg einen lebhaften Briefwechsel: so z. B. als 1943 ein Luftangriff auf Blankenese erfolgte. Den Neuanfang und die Entwicklung des höheren Schulwesens nach dem Zweiten Weltkrieg hat er durchaus kritisch verfolgt. Lag doch die Hamburger Schulreform unter anderem in den Händen eines ehemaligen Kollegen aus Flensburg: Heinrich Schröder, nach 1945 Oberschulrat. Dieser hatte am Alten Gymnasium in Flensburg 1921 durch das „Imperator-in-Bataviam-effugit-Extemporale“ die immer noch Kaisertreuen erheblich verärgert15). Heinrich Schröder, selbst Kriegsteilnehmer, blieb bis zu seinem frühen Tod ein unerbittlicher Kämpfer gegen die „Dochstoßlegende“ und gegen alles, was „rechts“ war.
Ernst Hansen hat kritisiert, aber dabei nicht personalisiert. Seinem Naturell entsprach es mehr über Reisen und Wanderungen zu berichten, oder über Kunst und Literatur. Ernst Hinrichs: seine Wohnung in Blankenese bis zuletzt ein Wallfahrtsort für seine Flensburger Freunde.

Anmerkungen

1 E. Neumann, H. W. Meyer, Geschichte des Bramstedter Gymnasiums. Bad Bramstedt 1983
2 Die folgenden Angaben zur Person von Pastor Hümpel danke ich den schriftlichen Mitteilungen seines Sohnes, des Dr. med. Jochen Hümpel, vom 18. Januar 1958. Über Professor Hansen berichte ich gemäß Akteneinsicht und „Oral History“.
3 Beiträge zur historischen Statistik Schleswig-Holsteins. Kiel 1967; Erwerbsleben s. S. 81f.; Gemeindegrößen s. S. 17
4 E. Hinrichs, Die Handelsschule und Oberrealschule …. Chronik der Goethe-Schule Flensburg 1971 S. 40 ff.
5 E. Erichsen, H. Sellschopp, Die Allgemeine Schulordnung vom 24. August 1814. Kiel 1964 S. 87
6 Über Borstorf sind mir keine Angaben zugänglich. Als Vergleich sei erlaubt, eine Auswertung der Schulprotokolle der Distriktsschule Hitzhusen bei Bramstedt aus den Jahren 1841 bis 1881 anzuführen:

1) Der Anteil der regelmäßigen Schulgänger im Sommer (bezogen auf die Gesamtzahl der Schulpflichtigen) stieg zwischen 1840/41 und 1880/81 von 7,7% auf etwa 75%. [Zur Gesamtzahl der Schulpflichtigen gehören auch die „von auswärts Dienenden“.]
2) Der Anteil der im Ort schulpflichtigen Kinder, die im Sommer erwerbstätig waren, sank zwischen 1840/41 und 1880/81 von 59% auf 16,6% der Schulpflichtigen überhaupt. Die Protokolle lassen erkennen, wie nach und nach die kleineren Kinder und die Kinder der besser situierten Eltern dem Arbeitsprozeß entzogen und der Schule zugeführt wurden.

7 Karin Knutzen, Prof. Dr. Engelke — moderner Französischunterricht vor über hundert Jahren. Festschrift der Goethe-Schule Flensburg. 1993 S. 210-215
8 W. Weimar, Geschichte des Gymnasiums in Schleswig-Holstein. Rendsburg o. J. S. 76f.
9 H.Ralf, Sozialstruktur und höhere Schule … in: 50 Jahre Jürgen-Fuhlendorf-Schule. 1958 S.27-31
10 Ernst Hümpel sprach eher vom König als vom Kaiser.
11 A. Peters, Wandervogel und Deutsche Freischar in Flensburg … Flensburg 1986 S. 30
12 A. Peters a. a. O. S. 32
13 A. Peters a. a. O. S. 91
14 Georg Hansen, Die Chronik der Prima der Oberrealschule von 1896 bis 1914. Chronik der Goethe-Schule a. a. O. S. 201 ff.
15 Monika Weichert-von Hassel, Gymasium und Politik 1864-1944. Flensburg 1980, S. 146 nennt folgenden Wortlaut für eine Übersetzung aus dem Deutschen ins Lateinische: „Die Soldaten haben sich viel tapferer gezeigt, als jener Mann, der, Deutscher Kaiser genannt, glaubte, beinahe ein Gott zu sein, jetzt aber von allen Menschen verachtet werden muß, weil er feige sein Volk verlassen hat. Dieser Mann hat, hoffend, daß er die ganze Welt erobern werde, um ein zweiter Cäsar zu werden, die besten Söhne Deutschlands hingemordet und sein ganzes Volk unglücklich gemacht.“

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Krane: Vom Gesundbrunnen zur Rheumaklinik – Geschichte des Bramstedter Kurbetriebes

KARL-WILHELM KRANE
VOM GESUNDBRUNNEN ZUR RHEUMAKLINIK
GESCHICHTE DES BRAMSTEDTER KURBETRIEBS

SCHRIFTENREIHE
DER JÜRGEN-FUHLENDORF-SCHULE
Herausgegeben von H. F. Benthe und U. March

HEFT 5
Bad Bramstedt 1979

Herstellung: Vereinigte Druckereibetriebe Hay & Streuber, Kellinghusen

Mit dem Heft 5 unserer Schriftenreihe wird der Öffentlichkeit wiederum eine lokalgeschichtlich bedeutsame Schülerarbeit vorgelegt, die zum Herbstabitur 1978 als Facharbeit eingereicht worden ist. Hervorgegangen ist sie aus einem Leistungskurs im Fach Gemeinschaftskunde, der von 1975 bis 1978 an der Jürgen-Fuhlendorf-Schule stattfand. Während sich der Verfasser im ersten Teil der Untersuchung auf Vorarbeiten stützen konnte, betritt er mit der Schilderung der Entwicklung seit der Zwischenkriegszeit weitgehend Neuland. Seine Arbeit ist die erste zusammenfassende Darstellung der Geschichte des Bramstedter Kurbetriebes von den Anfängen bis zur Gegenwart.

Die Drucklegung war nur möglich dank finanzieller Zuschüsse der Stadt Bad Bramstedt, der Rheumaklinik Bad Bramstedt, des Kurhotels Gutsmann und des Fördervereins der Jürgen-Fuhlendorf-Schule.

Professor Dr. H. F. Benthe Dr. U. March


 

INHALT

1. Die Auffindung des Gesundbrunnens zu Bramstedt

Seite

7

2. Die Wiederentdeckung der Quellen

Seite

8

3. Erneute Blütezeit um 1810

Seite

13

4. Der Bau der ersten Kurhäuser

Seite

15

5. Planung und Bau des Neuen Kurhauses – Entwicklung bis 1939

Seite

17

6. Kriegs- und Nachkriegszeit

Seite

20

7. Die Rheumaheilstätte seit 1953

Seite

22

8. Vom Gesundbrunnen zum größten Rheumabad Europas

Seite

25

9. Anhang

Seite

26

10. Anmerkungen

Seite

30

11. Quellen- und Literaturverzeichnis

Seite

31

1. Die Auffindung des Gesundbrunnens zu Bramstedt

„Ein Knabe von ungefehr 14 oder 15 Jahren hatte das Fieber schon länger als ein Jahr gehabt und wie es ihm sehr stark ankam im Felde, er auch dabey einen sehr starken Durst empfand, sahe er dieses Wasser bei einem Eichenbaum, unten an der Wurzel hervorsprudeln, nahm er seinen Hut und that einen guten Trunk, dabey er sich eben so wohl befand, daß dadurch beides, sein Durst und das Fieber gestillet wurden; maaßen also fort, da er in dem heftigsten Schaudern war, das Fieber sich zu seiner eigenen Verwunderung geleget. Dieser erzählet dem Vater, der Vater seiner an Fieber sehr unpäßlichen Nachbarin, die flugs nach dem Wasser schicken läßt und gleiche Wirkung empfindet.“
Mit diesen Worten beschreibt Dr. Christian v. Stoecken, Königlicher Propst des Amtes Segeberg, die Auffindung des Gesundbrunnens von Bramstedt im Jahr 1681. Seine Schrift „Gründliche Nachrichten wegen des Gesundbrunnens zu Bramstedt“1) erschien im gleichen Jahr und ist die älteste Nachricht über die Entdeckung des Brunnens, der in der östlichen Feldmark des Fleckens Bramstedt, in der Nähe des alten Waldbades, lag. Der Name des Knaben, der diese für Bramstedt so bedeutsame Entdeckung machte, wird mit Gerd Gusler überliefert.
Es konnte nicht ausbleiben, daß die Entdeckung einer so heilkräftigen Quelle in der damaligen Zeit ein außerordentliches Ereignis war. Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile, und bald kamen die ersten Heilungssuchenden nach Bramstedt. Die Heideflächen um den Heilbrunnen bedeckten sich mit Zelten und Hütten, in denen die Kranken oft wochenlang hausten. Als der Propst von Segeberg dort eine Brunnenpredigt hielt, hörten ihm 3000 Menschen zu.
In einer zweiten Schrift2), die noch im gleichen Jahr erscheint, weiß Dr. v. Stoecken dann von erstaunlichen Heilerfolgen zu berichten. Ein Gallensteinkranker, der vor Schmerzen nicht zur Ruhe kam, wurde von seinen Steinen erlöst. Auch Gichtkranke wurden geheilt, so zum Beispiel eine Frau, die einen Arm nicht mehr bewegen konnte, sowie zwei lahme Kinder. Die Bramstedter Kirchenchronik berichtet von über 800 Personen, die durch das Wasser des Brunnens gesund wurden. Von den genesenden Krüppeln und Lahmen wird gesagt, daß sie ihre Krücken und Stäbe an den Eichenbaum hingen, bevor sie nach Hause gingen. In der Maria-Magdalena-Kirche befinden sich noch heute zwei Altarleuchter aus Messing, von denen der eine folgende Inschrift trägt: „Anno 1681 den 1. Juli ist Larenz Jessen, Kön. Prov. Verwalter in Glückstadt, durch Gebrauch des Wassers von Quartan3) befreiet; verehret diese Leuchter zum Gedächtnis.“ Trotz der beachtlichen Heilerfolge ließ der Zulauf zum Brunnen in den nächsten Jahren merklich nach, und etwa ab 1688 geriet die Quelle vollends in Vergessenheit. Die Gründe für diese Entwicklung sind heute nicht mehr erkennbar.

2. Die Wiederentdeckung der Quelle

Im März 1761 wurde die Quelle, nachdem sie fast 80 Jahre lang unbeachtet geblieben war, plötzlich wieder das Ziel zahlreicher Heilungssuchender. In einem Bericht, den der damalige Amtmann v. Arnold am 15. Mai 1761 an den Staatsminister v. Bernstorf schickt, heißt es: „Seit ungefähr 8 Wochen hat man aufs Neue angefangen, große Hoffnung zu diesem Brunnen zu fassen. Er wird täglich von vielen Leuten, die zum Theil aus entlegenen Orten herkommen, besucht. Verschiedene sollen sich seiner, dem Gerüchte nach, nicht ohne gute Wirkung bedient haben4).
Drei Wochen später, am 5. Juni 1761, schreibt der Amtmann in einem weiteren Bericht: „Es ist die Anzahl der Brunnengäste dergestalt angewachsen, daß hier im Flecken Bramstedt und in den nahe herum liegenden Dörfern, für deren Bequemlichkeit kaum Platz vorhanden ist“5).
Um diesen starken Andrang in geordnete Bahnen zu lenken, hielt es der Amtmann für nötig, bei dem Brunnen ein Plakat mit folgendem Text anschlagen zu lassen:
„Ihro Königliche Majestät zu Dänemark, Norwegen r. r. bestallter Con-ferenz- und Landrath auch Amtmann zu Segeberg, Ich Johann Friedrich von Arnold habe für nöthig erachtet, nachstehende Verordnung in Ansehung des bey Bramstedt befindlichen Gesundbrunnens um deswillen ergehen zu lassen, damit sowohl Fremde als Einheimische sich des Brunnens mit mehrerem Nutzen und Vortheil und mit weniger Beschwerlichkeit, als vorhin geschehen, bedienen können, und der Brunnen selbst durch die vorhin dabei wahrgenommene Unordnung nicht verdorben werde.

Es wird daher vorläufig und bis zur weiteren Verfügung von mir festgesetzt und befohlen:

      • daß der Brunnen des Morgens um 5 Uhr erst eröffnet werden soll.
        Von dieser Zeit an bis des Mittags um 12 Uhr soll blos den Brunnengästen von dem Brunnenwasser gereichet werden, die entweder persönlich bey der Quelle sich einfinden, um die nötige Portion Wasser zu trinken, oder aus den nahe herum liegenden Orten jemand hinsenden, um das Wasser, das sie alle Morgen gebrauchen, in Flaschen oder Bouteillen holen zu lassen; es werden aber den letztern nicht mehr, denn 2 höchstens 3 Bouteillen oder Flaschen des Morgens von dem, der das Wasser aus dem Brunnen geschöpft, angefüllet werden.
      • Es bleibt zwar nach wie vor erlaubt, das Brunnenwasser mitzunehmen und anders wohin zu schicken. Dasjenige Wasser aber, das verschickt, oder das nicht jeden Morgen verbraucht werden oder dieser oder jener mit sich nach fremden Orten nehmen will, soll erst des Mittags nach 12 Uhr in Bouteillen oder Flaschen gefüllt werden. In hölzernen Tonnen oder Fässern soll inskünftige durchaus keinem etwas Wasser, zumalen solches darin völlig seine Kraft verliert, und man davon gar keinen Nutzen hat, verabfolgt werden; und auf jedem Wagen, worauf man von dem Brunnen wasser nach fremden Orten mit sich nehmen will, sollen jedesmal nicht mehr denn 16 höchstens 20 Bouteillen oder Flaschen aufgeladen werden.
      • Keiner soll die Erlaubnis haben, in das um die Quelle aufgeführte Gebäude, worin der Brunnenmeister , der nur allein das Wasser schöpfen soll, sich aufhält, hineinzugehen, sondern demselben seine Gefäße von außen zu hinein langen und sich füllen zu lassen, weil sonst der Brunnenmeister in dem Wasserschöpfen verhindert und das Zudringen zu dem Brunnen auch vielen Brunnengästen anstößig und ekelhaft seyn würde.
      • Das in der Quelle befindliche Sand hat an und für sich gar keinen Nutzen. Es soll daher von demselben keinem etwas gereicht werden, weil das Wasser widrigenfalls nur trübe und die Quelle verdorben wird.
      • Keiner soll sich auf eine ungestüme Art bey dem Brunnen betragen, keine Unordnungen und Zänkereyen anfangen und sich eines Vorrechts vor dem anderen anmaßen, sondern sich solange gedulden, bis diejenigen, die vor ihm gekommen sind, abgefertigt worden.
      • Da diese Verordnung lediglich auf das eigene Beste der Brunnengäste und die Erhaltung des Brunnens zielet, so zweifele ich um so weniger, das solcher nicht gehörig nachgelebet werden. Sollte sich unterdessen wider Vermutung einer oder der andere gelüsten lassen, sich derselben zu widersetzen, daß man ihn mit Gewalt zu seiner Schuldigkeit anhalte und wegen seiner Widerspenstigkeit zur gebührenden Strafe ziehe. Wonach jeder männiglich sich zu achten. Urkundlich unter meiner eigenhändigen Unterschrift und beygedruckten angeborenen Pettschaft
      • Gegeben im Königlichen Amtshause zu Bramstedt, den 1. Juny 1761″6).

Um sicherzustellen, daß die Anordnungen auf dem Plakat gewissenhaft befolgt wurden, stellte der Amtmann ein Wache von neun Mann und drei Unteroffizieren auf, die sich täglich ablösen mußten. Dem jeweils am Brunnen wachhabenden Unteroffizier gab der Amtmann folgende Instruktionen:

      • Der Unteroffizier selbst gibt überhaupt auf gute Ordnung, und daß den ergangenen Befehlen auf das Genaueste nachgelebet werde, auch die Brunnenschöpfer sich möglichst fleißig bezeigen, Acht, und zeiget die beobachtete Nachlässigkeit der letzteren an.
      • Setzet einen abzulösenden Posten bey der Barriere aus, welcher 2 Leute hinein, und wann solche ihr Glas ausgetrunken, oder ihre 2-3 Kruken Wasser erhalten, gegen 2 andere heraus lässet.
      • Keinem von den Brunnengästen wird ein Vorzug vor dem Anderen, er möge seyn wer er wolle, zugestanden, sondern sie werden nach der Ordnung, wie sie gekommen, abgefertigt.
      • Hölzerne Gefäße zu füllen und Sand zu graben, ist überall verboten. Die mitzunehmenden 2 bis 3 sich belaufenden Kruken oder Bouteillen sollen des Nachmittags, und keineswegs wie bisher geschehen des Vormittags, gefüllt, auch auf keinem Wagen mehr als 20 Stück aufgeladen werden.
      • Falls dergleichen angefüllte Flaschen auf einem Wagen mehr gefunden werden sollten, hat der Unteroffizier solche wegzunehmen und die Geschirre dem Armenvorsteher, der den Brunnen zu schließt, zustellen zu lassen.
      • Aus dem Troge, hinter dem Brunnenhause, wo das Wasser abfließt, ist einem jeden erlaubt, Wasser in Kruken und Bouteillen zu schöpfen, wann er will; nur muß solches die festgesetzte Anzahl nicht übersteigen, auch niemand darinnen sein Gesicht, Beine und andere Gliedmaßen waschen.
      • Im Nebenhause beym Brunnen, wo sich die Wache aufhält, soll niemand eingelassen werden, der nicht ein Zeichen von mir erweiset, worauf zu gleich notiert seyn wird, wie lange solches Zeichen gilt.
      • Der Unteroffizier und die Wacht muß sich höflich und nicht brutal bezeigen. Bey vorfallenden Zudrängen, Streitigkeiten und anderen Unordnungen, wenn die Güte nicht helfen will, kann zwar der Unteroffizier mit dem Stocke, und die Gemeinen mit dem Gewehr zuzuschlagen drohen, es muß aber keine Wirklichkeit erfolgen, sondern der Vorfall zur anderweitigen Bestrafung an mich sofort gemeldet werden. Bramstedt, den 15ten Jun. 1761.“7)

Die Einnahmen im Armenstock, der in der Nähe des Brunnens aufgestellt wurde, lassen erahnen, wie viele Menschen den Brunnen besuchten. Vom 19. April bis zum 23. Juli 1761 wurden von den Brunnengästen 2022 Mark und 8 Schillinge für die Armen gespendet. Die höchste Tageseinnahme betrug 89 Mark, eine für die damalige Zeit sehr große Summe. Ein Teil des Geldes, genau 461 Mark und 8 Schillinge, wurde zum Bau des hölzernen Brunnenhauses und des ebenfalls hölzernen Wachhauses ausgegeben. Diese Spenden sind auch ein Beweis für die Heilkraft des Brunnenwassers, die offensichtlich seit 1681 nicht nachgelassen hatte. Im Gegenteil: Mehrere zeitgenössische Chronisten berichten von großen Heilerfolgen, so zum Beispiel der Kirchspielvogt Bassuhn, der am 15. Juni 1761 schreibt:

      • Kirchspielvogt Kroner in Kellinghusen: Tochter durch den Gebrauch dieses Wassers vom Fieber genesen.
      • Eine Witwe hieselbst, Namens Abel Bogen hat beinahe 30 Jahre einen bösen offen Bein Schaden gehabt und nicht geheilt werden können, ist durch den in- und äußerlichen Gebrauch des Brunnen Sandes und Wassers vollkommen geheilt.
      • Ein Bleicher von Eimsbüttel bei Hamburg, Namens Johann Wiebke, selber viele Jahre lang engbrüstig gewesen und bei vielen medicinis keine Hilfe dawider erlangen mögen, dem dessen Ehefrau, welche offenen Bein Schaden gehabt und dawider kein Mittel hat erhalten können, sind völlig genesen.
      • Friedrich Jürgens aus Ochsenwärder bei Hamburg, 6 Jahre offenes Bein, völlig heilt, vergnügt davon gereiset.
      • Carl Christopher Leesen aus Hamburg, hat 17—18 Jahre dergleichen gehabt und in Hamburg namentlich die alten medicos Dr. Lossau und Carsten um Hilfe aufgesucht, aber nicht erlanget: durch 14tägigen ordentlichen Gebrauch des Wassers und Sandes würkliche Hilfe und Heilung; weil in mittelst dem Sande größere Kraft, die böse Materie aus der Wunde zu bringen, beilegen als dem Wasser.
      • Derselbst meldet, das ein Hauszimmermann, der er gar wohl kenne, von der Gicht 14—15 Jahre beschwert worden, dawider große Hilfe empfunden und sich bei weiterem Gebrauch völlige Hülfe verspreche.
      • Frau aus dem Gute Helmstorff, Anna Margaret Haarz viele Jahre geschwollene und offene Wunden gehabt; ist nach dem schriftlichen Attest des Herrn von Buchwaldten völlig geholfen.
      • Mädchen aus dem gleichen Gut, Magdalena Elisabeth Anders, als Kind im 4. Jahre vom Schlage gerüht, daß sie nur wenig gehe, den linken Arm und Fuß gar nicht rühren konnte, ist nach dem obgedachten Attest durch den Gebrauch des Wassers soweit gekommen, daß sie nach dem Brunnen gehe und Hände und Füße solchergestalt wieder bewegen kann.
      • Hiesigen Einwohners Detlef Rolfs Sohn, im 3. Jahr in einer Krankheit eine Verlähmung der Hüften bekommen, und daher bei einer Krücke gehen müssen, ist soweit geholfen, daß er die Krücke ablegen könne.
      • Jasper Wilckens, ein hiesiger Einwohner, der 3 Jahre krumm gebückt bei einer Krücke sehr kümmerlich gegangen, ist völlig genesen.
      • Henning Lamp aus Helmstorff: Bein und Leib stark geschwollen, daß er fast gar nicht gehen können, Lt. Attest seines Herrn: Geschwulst hat sich gänzlich verloren; hat von hier nach Helmstorff 7—8 Meilen8) zu Fuß gehen können.
      • Frau Baronesse de Schielen bezeuget, daß ihr Sohn an Skorbutischem Ausschlag dermaßen krank gelegen , daß ihm das Bein durch das beständige Liegen im Gelenk schief und die Sehne daselbst kürzer geworden . Durch 10tägigen in- und äußerlichen Gebrauch des hiesigen Wassers dergestalt hergestellt worden, daß der Ausschlag angefangen hat sich zu verlieren, auch die unten ausgesprungene Sehne sich von selbst wieder eingesetzt und dem Anschein nach wieder gerade wird, wie es früher gewesen9).“

Nach dem Lesen dieses Berichtes des Kirchenvogts Bassuhn fällt auf, daß dem Sand der Quelle eine stärkere Heilkraft als dem Wasser zugeschrieben wurde. Amtmann von Arnold hingegen hatte die Entnahme von Sand verboten, weil er „gar keinen Nutzen“ habe und nur das Wasser trübe10). Die Heilkraft der Quelle veranlaßte mehrere Wissenschaftler, das Quellwasser einer genauen Untersuchung zu unterziehen. Sie konnten zwar verschiedene Mineralien im Quellwasser feststellen, fanden aber nicht heraus, wodurch die erstaunlichen Heilerfolge erzielt wurden. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als aufgrund ihrer Ergebnisse das Quellwasser für schwach und von geringer Heilkraft zu erklären. Die Heilkraft könne vielleicht verstärkt werden, wenn das vorbeifließende Moorwasser abgeleitet und jeglicher Zufluß von fremden Wasser verhindert würde.

Amtmann von Arnold ordnete nach Rückfrage beim Staatsminister die Ableitung des Moorwassers an, klagte jedoch in einem Schreiben vom 7. August 1761 darüber, daß der Zulauf zum Brunnen bereits sehr abgenommen habe und sich fast gar kein Gast mehr einfinde. Er hoffe, daß die Ableitung neues Vertrauen schaffen werde.

Die königlichen Beamten haben sich redlich Mühe gegeben, den Zulauf der Heilungssuchenden aufrechtzuerhalten. Warum die Quelle jedoch bereits fünf Monate nach ihrer Wiederentdeckung erneut in Vergessenheit geriet, ist nicht bekannt, da keine weiteren amtlichen Akten über den Gesundbrunnen berichten. Im Bramstedter Fleckenbuch heißt es lediglich: „Iß in diesem Jahr (1761) der Sunbrun von Neuem repariert worden und Viellen Menschen geholfen“11).

3. Erneute Blütezeit um 1810

Nachdem der Gesundbrunnen fast 50 Jahre vergessen geblieben war, erneuerte sich sein Ruf, und wiederum kamen Heilungssuchende nach Bramstedt. Im einzelnen ist die Entwicklung nicht bekannt. Die ältesten Quellen berichten von Heilerfolgen im Jahre 1809, aber die ersten offiziellen Bemühungen um die Quellen fallen erst ins Jahr 1810. Im Gegensatz zu 1681 und 1761 konzentrierte sich das Interesse nicht nur auf den alten Gesundbrunnen östlich des Fleckens, sondern auch auf mehrere neu entdeckte Quellen im Süden des Ortes, im Bereich des heutigen Kurgebietes. Zum ersten Male zeigten auch die Bramstedter Bürger Interesse an der Erhaltung der Quellen. So schrieben die Ratsmänner Anton Schmidt, Hans Lahrsen und Hinrich Steckmest am 12 . April 1810 einen Brief an ihren Landesherrn, den dänischen König, in dem sie ihn darum baten, die Genehmigung für den Bau einiger Kuranlagen zu erteilen. Das Quellwasser müsse, um wirksam zu sein, an der Quelle getrunken werden.
Um dort die Kranken vor der Witterung zu schützen, sei ein Gebäude nötig. Im Flecken habe man gehört, daß bereits von anderer Seite Vorschläge zum Bau entsprechender Anlagen gemacht worden seien, aber bisher fehle die Genehmigung des Königs. Falls ihnen die königliche Unterstützung versagt bliebe, so möge der König doch gestatten, daß auf Kosten des Fleckens einige Anlagen gebaut werden, die zwar sehr bescheiden ausfallen würden, aber doch die Besucherzahl positiv beeinflussen könnten, über die von anderer Seite gemachten Vorschläge, auf die sich die Schreiber des Briefes beziehen, ist nur wenig bekannt. Einen Fingerzeig gibt das nachstehende Schreiben aus Kopenhagen vom 13. Februar 1810: „In Anleitung das hierbei folgenden Gesuchs des im Flecken Bramstedt ansässigen Hamburger Bürgers und Baumeisters Hübener um die Erlaubnis, dorten eine Brunnen-Anstalt anzulegen, wird das Kgl. Sanitätskollegium in Kiel ersucht, mit Beziehung auf ein früheres Schreiben, eine gefällige Äußerung über die fragliche Brunnenanstalt zu geben12).“
Die Antwort des Kgl. Sanitätskollegiums ist nicht bekannt, aber es muß sich für den Bau der Brunnenanstalt ausgesprochen haben, denn genau an dem Tag, an dem die Bramstedter Bürger ihrem König den erwähnten Bittbrief schreiben, erteilt der König dem Baumeister Johann Friedrich Hübener die Erlaubnis, in Bramstedt Brunnengebäude anzulegen. Die einzuführenden Baumaterialien sollen nicht mit Zoll belegt werden, und in den ersten Jahren sollen auch sonst keinerlei Abgaben entrichtet werden. Darüber hinaus stehe es dem Bauherrn frei, Künstler und Arbeiter, die am Bau mitwirken sollen, nach eigenem Ermessen auszuwählen. Das Bauprivi-legium war auf zwei Jahre befristet.
Es gibt keinen amtlichen Hinweis darüber, ob Hübener von der Bauerlaubnis auch Gebrauch gemacht hat. Von privater Seite wird jedoch aus der Zeit berichtet, daß die Quellen auf königliche Kosten eingefaßt, mit hölzernen Dächern versehen und mit Wällen umgeben wurden. Von dem alten Gesundbrunnen ist ferner bekannt , daß in seiner Nähe zwei Badehäuser errichtet wurden, in denen je eine große Badewanne stand. In der Umgebung wurden Tische und Bänke aufgestellt.

Zum ersten Mal in der Geschichte des Bramstedter Heilwassers wurden damals also auch Badekuren durchgeführt; allerdings standen diese nicht in dem gleichen guten Ruf wie die Trinkkuren.
Die um 1810 entdeckten neuen Brunnen südlich des Fleckens unterschieden sich in ihrer Beschaffenheit erheblich von dem alten Gesundbrunnen, der wiederholt als „Schwefelbrunnen“ bezeichnet wird. Man entdeckte damals eine Stahlquelle auf einer Wiese nahe der Lentföhrdener Au, die an drei Stellen aufbrodelte und ein Bassin von zwei Metern Durchmesser bildete, eine Stahlquelle auf Ackerland nahe der Schmalfelder Au, die an fünf Stellen austrat und ein Bassin von gleicher Größe bildete, und mehrere eisenhaltige Salinen auf einer Salzwiese auf der östlichen Seite der Schmalfelder Au.
Alle diese Quellen sind von Wissenschaftlern untersucht worden, die ihnen Heilkräfte zusprachen. Aber wiederum gelang es nicht, etwas Bleibendes zu schaffen. Länger als ein Jahrzehnt scheint diese Blütezeit nicht gedauert zu haben. Zum dritten Mal blieb es einer späteren Generation überlassen, das 1681 begonnene Werk zum bleibenden Nutzen Bramstedts zu vollenden.

4. Der Bau der ersten Kurhäuser

Vor genau hundert Jahren, im Jahre 1879, wurde die bis zum heutigen Tage andauernde vierte Blütezeit der Bramstedter Heilquellen eingeleitet. Beim Ausheben eines kleinen Teiches auf seinem kurz vorher gekauften Grundstück nahe der Osterau bemerkte der Zimmermeister Heesch, daß sich die Grube langsam mit Salzwasser füllte. Heesch war auf eine Salzquelle gestoßen und unterhielt sich darüber mit seinem Arzt Dr. Postel; dieser ermunterte ihn dazu, unmittelbar neben der Quelle ein kleines hölzernes Badehaus zu errichten und kalte Solebäder anzubieten. Der Zulauf von Gästen wird anfangs wohl nicht allzu groß gewesen sein, doch war Heesch in der Lage, die bescheidene Badeanlage Schritt für Schritt zu verbessern. Zuerst erbohrte er 1880 in 140 m Tiefe einen Solebrunnen mit höherer Salzkonzentration und verwendete fortan dieses Wasser. Ein Pavillon zum Schutze und zur Bewirtung der Gäste wurde gebaut; dadurch bestand auch erstmals die Möglichkeit, warme Solebäder anzubieten. Mehrere Bürger aus Bramstedt und Umgebung versicherten 1881 öffentlich, daß ihnen die warmen Bäder des Matthias-Bades, wie die Badeanlage zu Ehren ihres Begründers genannt wurde, geholfen hätten. Der Zulauf an Badegästen wurde immer größer, und bald erhielt Heesch Unterstützung durch die Bramstedter Fleckens-Sparkasse, die den schon früher angelegten und noch heute existierenden Badesteig 1882 ausbauen und an landschaftlich besonders reizvollen Stellen Parkbänke für die Kurgäste aufstellen ließ. 1887 kaufte die Fleckens-Sparkasse eine zwei Hektar große Koppel östlich des Matthias-Bades und ließ dort eine Parkanlage schaffen, die den Gästen des Matthias-Bades unentgeltlich zur Verfügung stand. Matthias Heesch, der Begründer des Bades, starb 1887 im Alter von 68 Jahren. Seine drei Töchter übernahmen den väterlichen Besitz und führten ihn weiter. Im Gegensatz zu den Jahren 1681, 1761 und 1810, als jeweils fast ausschließlich Trinkkuren gemacht wurden, dachte Matthias Heesch von Anfang an nur an Badekuren. Diese standen dann auch in der Folgezeit im Vordergrund; heute sind Trinkkuren gar nicht mehr üblich.

1913 wurde zusätzlich ein Brunnen bei Bimöhlen erbohrt, dessen Wasser anerkanntermaßen Heilkräfte gegen Gicht, Rheuma, Ischias sowie Nieren-und Blasenleiden besaß. Das Eppendorfer Krankenhaus war damals Hauptabnehmer dieses Wassers. Dieser Brunnen ist heute ohne jede Bedeutung. Der eigentliche Kurbetrieb entwickelte sich zunächst nur sehr «allmählich. Im Juli 1882 wurde die Anwesenheit von 176 Fremden, davon 63 Kurgästen, bekanntgegeben. Im Vergleich zu früheren Jahren, wo manchmal mehrere tausend Menschen in Bramstedt kurten, war diese Zahl natürlich sehr klein, aber es ging ständig aufwärts. Als Bramstedt im Jahre 1900 Eisenbahnanschluß erhielt, wurden die Kuranlagen für viele Leute, die vorher den mühsamen Weg über die Landstraße scheuten, interessant. Vor allem aus Hamburg und Neumünster kamen nun immer mehr Kurgäste. 1905 ließen die Geschwister Heesch ein Gästehaus im Dahlkamp bauen, um den größer gewordenen Andrang bewältigen zu können. Nicht nur Auswärtige besuchten vermehrt die Kuranlagen, auch Bramstedter Bürger wurden in immer größerer Zahl durch Kurkonzerte und Vorträge angezogen.

In der Nähe des Matthias-Bades wurde bald darauf noch ein weiteres Solebad gebaut. Trotz der unmittelbaren Konkurrenz arbeiteten beide Bäder sehr erfolgreich. Der Ort tat viel, um die günstige Entwicklung zu unterstützen. So wurden mehrfach Gelder bereitgestellt, die zum Bau von Kurpromenaden und zur Durchforstung der Wälder verwendet wurden.
Der wirtschaftliche Erfolg der Kurhäuser weckte das Interesse Hamburger Geschäftsleute, die im Jahre 1918 die Kurhäuser zusammen mit den Anlagen der Fleckens-Sparkasse und anderen anliegenden Parzellen aufkauften. Insgesamt wechselten etwa acht Hektar Land ihren Besitzer. Pächter der vereinigten Kurhäuser wurde Oskar Alexander, dem es trotz der großen Nachkriegsschwierigkeiten gelang, die Häuser zu erhalten.
1925 nahm er Verbindung mit den Ortskrankenkassen auf und konnte von dort viele Kassenpatienten übernehmen; die Behandlung von Privatpatienten wurde nebenher fortgeführt. Immer mehr Kuren wurden mit Erfolg abgeschlossen und vergrößerten den Ruf Bramstedts. Bereits 1927 wurden Erweiterungsbauten notwendig, da ein großer Teil der Kurgäste privat untergebracht werden mußte; über 10 000 Patienten konnten überhaupt nicht aufgenommen werden.
Die Eigentümer konnten sich jedoch nicht zu solchen Erweiterungsbauten entschließen. Um ein Abwandern der Patienten der Ortskrankenkassen zu anderen Bädern zu verhindern, betrieb Oskar Alexander die Planung für ein neues, größeres Kurhaus, das speziell der Behandlung Rheumakranker dienen sollte. Die Verhandlungen hierüber wurden im Oktober 1928 aufgenommen, und schon zwei Monate später, am 13. Dezember 1928, beschlossen die Versicherungsträger den Bau einer Rheumaheilstätte. Die Baukosten veranschlagte man mit 2,3 Millionen Reichsmark; diese Summe wurde später jedoch um etwa 10% überschritten.

5. Planung und Bau des Neuen Kurhauses — Entwicklung bis 1939

Am 18. April 1929 wurde die „Rheumaheilstätte Bad Bramstedt GmbH“ gegründet. Gesellschafter waren die Landesversicherungsanstalt Freie und Hansestadt Hamburg, die Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein in Lübeck, der Landesverband der Ortskrankenkassen Hamburg, der Landesverband der Ortskrankenkassen Schleswig-Holstein und die Stadt Bad Bramstedt.
Zur Durchführung des Neubauvorhabens wurde eine Baukommission gebildet, die den Ankauf von Wiesen und Moorgelände vornahm und zum größten Teil auch die Bauaufträge vergab. Mit dem Entwurf für den Neubau wurde der Hamburger Architekt Karl Feindt beauftragt.
Ende Mai 1929 waren alle Vorarbeiten beendet. Als Baugrund stellte die Stadt Bramstedt 60 Morgen Waldgelände zur Verfügung und erhielt dafür einen Gesellschafteranteil von zehn Prozent an der Rheumaheilstätte. Ferner trug die Stadt ein Fünftel der Baukosten für die Asphaltstraße von der Segeberger Chaussee zum Kurhaus.
Im Juni 1929 begannen dann die eigentlichen Bauarbeiten. Den beteiligten Firmen wurde es zur Pflicht gemacht, nach Möglichkeit nur einheimische Arbeiter zu beschäftigen. Der Wald wurde gerodet, der Grundstein gelegt, und die Maurerarbeiten schritten zügig voran. Ende 1929 waren die Anlagen bereits mit einem Dach versehen, und schon im Frühjahr 1930 war der Rohbau fertiggestellt. Dank des anhaltend schönen Sommerwetters konnte der Bau nach nur sechzehnmonatiger Bauzeit noch vor Wintereinbruch vollendet werden.
Das neue Kurhaus bestand damals aus dem hundert Meter langen Haupthaus und dem Badering. Das Haupthaus hatte drei Stockwerke, der Mittelteil über dem Haupteingang war fünfgeschossig. Im Hause befanden sich 171 Zimmer mit 1—3 Betten je Zimmer sowie fünf Wohnungen für das Personal. Im Erdgeschoß befanden sich Aufenthaltsräume aller Art; sogar eine Kegelbahn war vorhanden. Das Haus konnte 325 Personen aufnehmen, in Spitzenzeiten notfalls auch mehr.
Der Badering war nach den modernsten Erkenntnissen eingerichtet. Die Badeanlagen umfaßten 18 Sole- und 24 Moorbadezellen mit jeweils dazwischenliegenden Ruhezellen. 500 hölzerne Moorbadewannen standen zur Verfügung. Darüberhinaus gab es Inhalations- und Bestrahlungsräume sowie Räume für Bewegungsapparaturen, ärztliche Untersuchungszimmer und Laboratorien. Ein großer Teil der Räumlichkeiten des Neuen Kurhauses war für die Behandlung von Frauenleiden gedacht. Außer Kassenpatienten konnten natürlich auch Privatpatienten aufgenommen und behandelt werden.
Die Wirtschaftsräume enthielten eine Großküche, eine Wäscherei, Desinfektions- und Trockenanlagen — alles nach dem letzten Stand der Technik. Den Strom lieferte das stadteigene Elektrizitätswerk. Die Moorerde aus dem südlich des Kurhauses gelegenen Moor wurde von einer Feldbahn zu den Aufbereitungsanlagen im Badering transportiert. Diese Feldbahn, jahrzehntelang das Wahrzeichen des Kurhauses, mußte 1977 einer modernen Moorpipeline weichen.
Einige hundert Meter nördlich des Neuen Kurhauses erbaute man das „Kurhaus an den Auen“, das ausschließlich für die Aufnahme von Privatpatienten bestimmt war. Dieser Betrieb, ebenfalls modern eingerichtet, wurde von privater Seite verwaltet und unterstand nicht der „Rheumaheilstätte Bad Bramstedt GmbH“.
Am 25. Oktober 1930 fand in den festlich geschmückten Räumen des Neubaues die Einweihungsfeier statt. 200 geladene Gäste waren erschienen, darunter der Oberpräsident der Provinz, Senatoren aus Hamburg, Lübeck und Bremen sowie Vertreter des Kreises Segeberg und der Stadt Bad Bramstedt. Die eindrucksvollste Rede hielt der Segeberger Landrat Graf Rantzau, der unter anderem ausführte: „Ist das vollendete Werk geboren aus dem Kampfe gegen Sorge und Not, wie sie so oft neben der Arbeit hergehen, so dürfen wir zugleich darin den Aufschwung finden, wie ihn ein solches Erzeugnis planvollen Schaffens bietet. Es ist nicht nur berechtigte Genugtuung, es ist ein schönes Siegergefühl, wenn wir in solcher Feierstunde wieder einmal erleben dürfen, wie der Geist den rohen Stoff bezwungen und ihn zu sinnvoll gegliederter Einheit gestaltet hat, und wir fühlen wieder die Wahrheit des Faustwortes ,Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muß‘. Ein besonderer Wert aber liegt darin, daß eine solche Leistung unternommen und zum Abschluß gebracht werden konnte in einer Zeit tiefster Not unseres Volkes und des Vaterlandes. Möge dieses Haus ein Denkmal gläubigen Aufbauwillens und ein stolzes Bekenntnis zur Arbeit für eine bessere Zukunft unseres Vaterlandes sein und bleiben.“13)
Der Bau war in einer Phase der Hochkonjunktur geplant und begonnen worden, als die Baupreise sehr hoch lagen. Die 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise führte dann aber zu einer schweren finanziellen Krise, die nach Bauende noch nicht überwunden war. Nur mit großer Mühe gelang es, die 700 000 Reichsmark für die erste Hypothek aufzubringen; zwei der übrigen Hypotheken waren darüber hinaus mit 10 bzw. 20 Prozent jährlich zu tilgen.
Die Leistungsfähigkeit der Versicherungsträger ließ während der Weltwirtschaftskrise stark nach; daher konnte man das Kurhaus auch nur in beschränktem Maße mit Kassenpatienten belegen. Dem zunächst ständig drohenden Bankrott erlag die Rheumaheilstätte jedoch nicht, da die Ausfälle teilweise durch die Aufnahme selbstzahlender Privatpatienten ausgeglichen werden konnten.
Um diese Möglichkeit zu verwirklichen, willigten die Gesellschafter der Rheumaheilstätte in eine Verpachtung des Kurhauses ein. Pächter wurde mit Wirkung vom 1.6.1932 Direktor Oskar Alexander, der bereits die vereinigten „alten“ Kurhäuser gepachtet hatte und am Bau der Rheumaheilstätte als maßgeblicher Berater mitgewirkt hatte. Herrn Alexander gelang es, jährlich 700 bis 800 Privatpatienten nach Bad Bramstedt zu bringen, wodurch sich der wirtschaftliche Druck auf das Kurhaus spürbar verringerte.

Die ärztliche Leitung lag zunächst bei Dr. Schulz, seit dem 1.09.1933 bei Dr. Stromberger, der jedoch Anfang 1935 zusammen mit zwei anderen Ärzten plötzlich ausschied. Die kurzzeitige ärztliche Krise wurde durch die Neubesetzung aller fünf Arztstellen (Chefarzt, zwei Abteilungsärzte, Assistenzarzt, Medizinalpraktikant) und die Bildung zweier selbständiger ärztlicher Abteilungen überwunden.
Der neue Chefarzt Dr. Paulus und seine Abteilungsärzte besuchten so oft wie möglich führende Ärzte im norddeutschen Raum und verschickten überdies an alle Ärzte Einladungen zum Besuch der Rheumaheilstätte. Einen Vortrag vor norwegischen Ärzten im Reichshospital von Oslo verband Dr. Paulus mit dem Besuch einflußreicher norwegischer und dänischer Ärzte.
Der Erfolg dieser Werbeaktion blieb nicht aus; in der folgenden Zeit kamen — auch aus der nordischen Ländern — viele Patienten zur Kur nach Bad Bramstedt. Dank des Rückgangs der Arbeitslosigkeit! nahmen die Versicherungsgesellschaften ab Mitte der 30er Jahre auch wieder mehr Beiträge ein und konnten somit mehr Patienten zur Kur schicken.
Alle diese Umstände führten dazu, daß die wirtschaftliche Krise schließlich überwunden wurde. Die finanzielle Entwicklung gestattete sogar den Bau eines Diätspeisesaales, einer Diätküche, eines Röntgeninstituts und eines EKG-Raumes. Das Laboratorium wurde vergrößert, und die Anzahl der ärztlichen Untersuchungsräume konnte ebenfalls erhöht werden. Bis zum Ausbruch des Krieges waren fast das ganze Jahr alle Betten des Kurhauses belegt.
Nach Ablauf der Verpachtungszeit mußte Oskar Alexander 1936 als Verwaltungsdirektor der Rheumaheilstätte ausscheiden; er starb später in einem Konzentrationslager. Ihm zu Ehren wurde die zum Kurhaus führende Straße in Oskar-Alexander-Straße benannt. Eine hölzerne Gedenktafel im Haupteingang der Rheumaheilstätte erinnert heute an diesen Mann, der in entscheidendem Maße zur Entwicklung Bad Bramstedts als Kurort beigetragen hat.
Vom Juni 1936 bis zum Juli 1945 lag die Leitung der Rheumaheilstätte bei Beamten der Landesversicherungs-anstalten.

6. Kriegs- und Nachkriegszeit

Am 25. August 1939, wenige Tage vor dem Beginn des Polenfeldzuges, wurde das Neue Kurhaus Reservelazarett der Wehrmacht. In den ersten beiden Kriegsjahren wurde es jedoch nur geringfügig belegt, so daß neben den militärischen Aufgaben der zivile Betrieb aufrechterhalten werden konnte. Im Januar 1940 waren neben 80 Soldaten noch 250 Zivilpatienten in Behandlung. Der zivile Behandlungsbereich mußte jedoch im Januar 1942 aufgegeben werden, weil die Verwundetenzahlen aufgrund der Ausweitung des Krieges anstiegen und für Zivilpatienten bald kein Platz mehr war. Die zivilen Angestellten der Rheumaheilstätte wurden jedoch im Lazarett weiterbeschäftigt. Anfang 1942 wurde das Lazarett auf 450 Betten vergrößert) davon enthielt eine neugeschaffene chirurgische Abteilung 250 Betten. Die Kapazität wurde dann im weiteren Verlauf des Krieges ständig erhöht und erreichte bei Kriegsende nach offiziellen Angaben 1130 Betten; es sollen damals jedoch mehr als 1300 Patienten dort in Behandlung gewesen sein. Damit diese gewaltige Menge von Patienten überhaupt untergebracht werden konnte, mußten alle Flure, Gemeinschaftsräume, das Badehaus sowie der Gymnastiksaal belegt werden.
Am 12.Mai.1945 übernahmen britische Besatzungstruppen das Reservelazarett. Die ärztliche Leitung wurde Oberarzt d. R. Professor Dr. Krane, die Verwaltungsleitung Herrn Herbert Alexander übertragen, dem Neffen und langjährigen Mitarbeiter Oskar Alexanders, der seine Aufgabe zunächst kommissarisch wahrnahm, bevor ihm die Position am 1.10.1945 endgültig zufiel.
Am 30.Januar 1946 wurde das Lazarett aufgelöst und in ein Flüchtlingskrankenhaus mit 700 Betten unter britischer Kontrolle umgewandelt. Am 19.10.1946 übernahm wieder die Rheumaheilstätte Bad Bramstedt GmbH das Kurhaus, konnte jedoch zunächst den Kurbetrieb nicht wieder in Gang bringen, da die Patienten des Flüchtlingskrankenhauses nur allmählich entlassen werden konnten. Im Oktober 1946 enthielt die Rheumaheilstätte je eine Innere, Chirurgische, Neurologische, Gynäkologische, Geburtshilfliche sowie eine Kinder- und eine Rheuma-Abteilung. Darüber hinaus waren ein Hals-, Nasen-, Ohrenarzt, ein Zahnarzt und ein Röntgenfacharzt im Kurhaus tätig. Das Kurhaus an den Auen diente seit dem 12.5.1945 den Engländern als Truppenunterkunft und konnte daher keine Rheumapatienten aufnehmen.
Ende 1946 wurde die Neurologische Abteilung aufgelöst, im März 1947 die Kinder-Abteilung, während die Innere, die Chirurgische und Gynäkologische Abteilung zunächst bestehen blieben. Im Frühjahr 1947 wurden zum ersten Mal wieder 150 Betten mit Rheumakranken belegt. Im Mai 1948 konnte auch der Badebetrieb wieder aufgenommen werden; die Belegung des Badehauses mit Patienten und der Kohlemangel hatten dies vorher verhindert. Am 1. Oktober 1948 hatte die Innere Abteilung nur noch 50 Betten, die Chirurgische 40, die Gynäkologische 17, die Rheumaabteilung dagegen 400. Die Gynäkologische Abteilung hielt sich bis 1950; die Innere und Chirurgische Abteilung wurden am 1. April 1953 aufgelöst.
Zu diesem Zeitpunkt waren bereits mehrere Bauvorhaben durchgeführt worden. 1950/51 wurde anstelle der nicht mehr den Anforderungen entsprechenden alten Küchen ein Wirtschaftsgebäude mit ausreichenden Kellerund Kühlräumen erstellt. Um der Überbelegung des Hauptgebäudes Herr zu werden, entschloß man sich 1951 zur Aufstockung um eine Etage. Die Aufnahmekapazität konnte dadurch um 145 Betten vergrößert werden.
Mit der Auflösung der beiden letzten Krankenhausabteilungen am 1.04.1953 stand das Kurhaus nach fast 14 Jahren erstmals wieder vollständig zur Behandlung Rheumakranker zur Verfügung. Sein Ausbau zur größten Rheumaheilstätte Europas konnte beginnen.

7. Die Rheumaheilstätte seit 1953

Seit der Wiederaufnahme des Moorbadebetriebes im Mai 1948 stiegen die Belegungszahlen des Kurhauses an. Die Aufstockung des Hauptgebäudes schaffte fürs erste den benötigten Platz.
Um die medizinische Leistungsfähigkeit der Rheumaheilstätte zu erhöhen, wurde 1953/54 eine Bewegungsbadanlage mit Räumen für hydrotherapeutische Einrichtungen, einer Massageabteilung, einem Gymnastiksaal sowie einem Inhalationsraum gebaut.
In den folgenden Jahren hielt der Aufwärtstrend an; 1958 hatte sich die Zahl der jährlich im Kurhaus untergebrachten Patienten gegenüber 1952 fast verdoppelt. Die vorhandenen Betten im Kurhaus reichten jedoch aus, weil die Patienten im Durchschnitt nicht so lange blieben wie 1952. 1958/59 wurde ein Kursaalgebäude mit Theater, Aufenthaltsräumen und zwei Geschossen zur Unterbringung von 80 Patienten und 14 Krankenschwestern gebaut. Für mehr als 10 Jahre blieb dies der letzte größere Bau zur Vergrößerung der Kapazität; viele kleine Umstellungen erhöhten jedoch die Bettenzahl bis 1967 um mehr als 100 auf insgesamt 970. Von privater Seite wurden ebenfalls vermehrt Betten für Badegäste zur Verfügung gestellt; 1967 waren es 324.
Drei Jahre nach der Errichtung des Kursaalgebäudes wurde 1962/63 das Haus des Ärztlichen Dienstes gebaut, das neben einer Schwesternetage unter anderem ein klinisches Laboratorium sowie ein Forschungslaboratorium enthält, in dem ständig für die Bekämpfung rheumatischer Erkrankungen gearbeitet wird.

1967 wurde eine am Tegelbarg, im Norden des Stadtgebietes, entdeckte neue Solequelle für den Kurbetrieb erschlossen. Im Unterschied zu der in neuerer Zeit vorwiegend genutzten Quelle am Lohstücker Weg, deren Sole eine tief dunkelbraune Färbung aufweist, liefert sie weiße Sole (genaue Analysen s. Anhang).
Am 1. Juni 1966 begannen die Bauarbeiten am Kurmittelhaus am Teich. Die wichtigste Einrichtung dieses Neubaues, der am 15.12.1967 eingeweiht wurde, ist ein Bewegungsbad in der Größe von etwa 100 Quadratmetern. Das Bad enthält 175 Kubikmeter Sole mit einer Temperatur zwischen plus 30 und plus 34 Grad Celsius. Die Schwimmhalle selbst weist eine Lufttemperatur von 26 Grad Celsius auf. Während einer Stunde können hier 50 Patienten ein Bewegungsbad nehmen.
Ferner enthält der Neubau eine Gymnastikhalle in den Abmessungen der Badehalle sowie eine Liegehalle, zahlreiche Massage- und Einzelgymnastikräume, Umkleidehallen und Kabinen, Reinigungsduschen und Räume mit beschäftigungstherapeutischen Einrichtungen.

1970/71 wurde das Haus des Ärztlichen Dienstes aufgestockt und so Raum für die Unterbringung von weiteren 24 Patienten geschaffen. Die Bettenzahl des Kurhauses erhöhte sich dadurch nicht; seit 1967 nahm sie sogar ständig ab. Die Übernachtungen pro Jahr waren allgemein zurückgegangen, und die privaten Vermieter boten mehr Betten an, so daß vorerst kein Bedarf für weitere Betten bestand. Um den Gästen den Aufenthalt angenehmer zu gestalten, wurde die Anzahl der Betten pro Zimmer reduziert und als Ausgleich dafür neue Räume in Neubauten geschaffen.
Im Sommer 1973 wurde die Schwesternetage im Haus des Ärztlichen Dienstes aufgelöst; in den frei gewordenen Räumen wurden 25 Zweibettzimmer eingerichtet. Die Schwestern bezogen zusammen mit anderen Mitarbeitern der Rheumaheilstätte zwei neuerrichtete Personalwohnhäuser nahe des Kurhauses. In den beiden Häusern befinden sich insgesamt 48 Wohnungen, davon 39 Ein- und neun Zweizimmerwohnungen. Jede dieser Wohnungen, die alle einen Balkon haben, besitzt eigene hygienische Einrichtungen und eine Kleinküche. Vielen Mitarbeitern des Kurhauses wird somit die Möglichkeit geboten, günstig in unmittelbarer Nähe ihres Arbeitsplatzes zu wohnen.
Im Juli 1974 wurde das Haus an den Auen renoviert. Nach dem Abzug der britischen Besatzungstruppen, die das Haus als Truppenunterkunft beschlagnahmt hatten, hatte es lange Zeit zur Unterbringung von 77 Patienten gedient. Bis zur Renovierung bestanden zwei Einbettzimmer, 33 Zweibettzimmer und drei Dreibettzimmer. Seit dem Umbau enthält es 33 Einbettzimmer und 3 Zweibettzimmer. Die Gemeinschaftsräume wurden neu gestaltet und die sanitären Einrichtungen erweitert.
Im April 1975 wurde die Energieversorgung von Öl und Kohle auf Erdgas mit Ausweichmöglichkeit auf leichtes Heizöl umgestellt. Zu diesem Zweck wurde ein neues Kesselhaus gebaut, das die 45 Jahre alte Anlage im Kurhausgebäude ersetzt.
Im gleichen Monat begann man einen Erweiterungsbau des Kurmittelhauses am Teich. Dieser Neubau, der am 1. Juli 1976 in Betrieb genommen wurde, enthält ein Bewegungsbad mit Unterwasserdüsen, zwei Saunen mit Nebeneinrichtungen, Räume für medizinische Zwecke, eine Liegehalle und einen Vielzweckraum.
Die ungünstige Wirtschaftslage 1975/76 führte im Jahr 1976 zu einem Rückgang der Übernachtungen in Bad Bramstedt gegenüber den Vorjahren um 40 000. Besonders betroffen waren die privaten Vermieter.
Ab 1977 stiegen die Übernachtungszahlen wieder geringfügig an.

Um die Krankenkassen zu veranlassen, mehr Patienten nach Bad Bramstedt zu überweisen, faßten die Gesellschafter der Rheumaheilstätte den Entschluß, das medizinische Angebot auszubauen. Im Zuge dieser Entwicklung, die sich gegenwärtig an vielen Badeorten vollzieht, erfolgte am 3. November 1976 die Umbenennung der „Rheumaheilstätte Bad Bramstedt GmbH“ in „Rheumaklinik Bad Bramstedt GmbH“.
Im Sommer 1976 begann damit die bisher größte Bauphase in der Geschichte des Neuen Kurhauses. Ein hochmoderner Badehausring soll das alte Moorbadehaus von 1930 mit seinen hölzernen Badewannen ersetzen. Das in dem Gelände südlich des Kurhauses gewonnene Moor soll künftig an Ort und Stelle kalt aufbereitet und von einer Pumpstation durch eine Pipeline in den Neubau gepumpt werden, wo sie erhitzt und anschließend in die einzelnen Badezellen geleitet wird. Die Moorpipeline ersetzt die alte Moorbahn, die früher die Moorerde zum Badehaus fuhr, wo sie mit Sole aufbereitet und in die hölzernen Badewannen umgefüllt wurde.
Um den Badebetrieb während der Bauarbeiten, die am 1. Juli 1976 begannen, nicht zum Erliegen zu bringen, wurde zunächst nur eine Hälfte des alten Baderinges abgerissen und durch das erste Teilstück des Neubaues ersetzt. Nach. 19 Monaten Bauzeit wurde dieses erste Teilstück des Badehauses sowie die Moorkaltaufbereitungsanlage am 8.02. 1978 in Betrieb genommen. Unverzüglich wurde dann mit dem Bau am zweiten Teilstück des Baderinges begonnen.
Am 13. März 1978 begannen die Arbeiten am neuen „Zentralbau“. Dieses Gebäude wird nach seiner Fertigstellung die Patientenaufnahme, die Badeplanung, Praxen verschiedener Fachärzte, die Radiologie, drei Operationssäle, zwei Bettenstationen mit je 40 Betten und das Krankengeschichten-Archiv enthalten.

8. Vom Gesundbrunnen zum größten Rheumabad Europas

Fast 300 Jahre sind seit der Entdeckung der ersten Bramstedter Heilquelle vergangen. Bis 1879, also innerhalb eines Zeitraumes von fast 200 Jahren, war diese Quelle zusammen mit einigen später entdeckten Quellen dreimal das Ziel tausender Heilungssuchender. Trotz großer Heilerfolge gelang es nicht, etwas Bleibendes zu schaffen. Diese Blütezeiten dauerten zusammen keine 20 Jahre; während der restlichen 180 Jahre wurden die Quellen nicht genutzt.
Seit hundert Jahren dauert nun die vierte Blütezeit an. Der Ausbau der Kuranlagen Bramstedts vollzog sich, durch mancherlei Krisen behindert, nur langsam. Der endgültige Aufstieg zum größten Rheumabad Europas fand erst in den letzten 30 Jahren statt. Die kritische Weltwirtschaftslage der siebziger Jahre blieb nicht ohne Einfluß auf das Kurhaus. Aber ein Ende der vierten Blütezeit ist deswegen nicht in Sicht. Natürlich wird es auch in den folgenden Jahren nicht immer nur aufwärts gehen, aber solange eine endgültige Heilung der Rheumakranken nicht möglich ist, werden die Rheumakliniken mit Patienten beschickt werden. Da das Moor, das für den Moorbadebetrieb verwendet wird, auch nach Ansicht der Wissenschaft von außergewöhnlich guter Qualität ist, hat die Rheumaklinik Bad Bramstedt «allen Anlaß, optimistisch in die Zukunft zu blicken.

9. Anhang

a) Analyse der Moorsolequelle am Lohstücker Weg

Kationen:

Gramm

in 1 Liter bei 18°

Kalium-Ion

K

0,1127

Natrium-Ion

Na

1,3100

Calcium-Ion

Ca

0,0476

Magnesium-Ion

Mg

0,0066

Eisen-(Ferro)-Ion

Fe

0,0043

Aluminium-Ion

Al

0,0047

Anlonen:

Chlor-Ion

Cl

2,1530

Sulfat-Ion

SO4

0,0512

Hydrocarbonat-Ion

HCO3

0,1035

Summe

3,7936

Meta-Kieselsäure

H2SiO3

0,0298

Organische Stoffe

kolloidal gelöste

Huminsäuren

0,0727 } 0,2463 0,1736 /

molekulardisperse

Huminsäuren

organischer Rest

und bei 105°

nicht flüchtiges Wasser

0,1009

Gesamt-Summe

4,1706

2. Oktober 1936

Preußische Geologische Landesanstalt gez. Prof. Henseler

b) Analyse der 1967 erschlossenen neuen Solequelle

Krane: Vom Gesundbrunnen zur Rheumaklinik – Geschichte des Bramstedter Kurbetriebes

In 1 kg der Sole sind enthalten:

Milligramm

Millival

Millival %

Kationen Kalium-Ion (K+)

14,9

0,38

0,10

Natrium-Ion (Na + )

8720

379,13

98,57

Calcium-Ion (Ca++)

57,3

2,86

0,74

Magnesium-Ion (Mg4

+) 16,3

1,34

0,35

Kationendifferenz

0,91

0,24

384,62

100,00

Anionen Chlorid-Ion (Cl~)

13500

380,77

99,00

Phosphat-Ion (PO, ~

) 0,26

0,01

0,00

Sulfat-Ion (SO4 )

30,0

0,62

0,16

Hydrogencarbonat-Ion(HCOa—) 196,2

3,22

0,84

22534,96

384,62

100,00

Millimol

Kieselsäure, meta (H2SiO8)

26,0

0,33

Kohlensäure, frei (CO2)

12,4

0,28

22573,36

8. Mai 1967

Städtisches Laboratorium Kiel gez. Dr. Heinke

JFS_Schriften_5_26

10. Anmerkungen

1) Die Schrift ist heute nicht mehr auffindbar; sie wird jedoch zitiert in dem 1810 erschienenen Buch „Die Mineralquellen bei Bramstedt im Holsteinischen“ von J. F. Suersen.
2) „Geistliche Wallfahrt zum rechten Heilbrunnen . . .“, Rendsburg 1681.
3) Quartan: alle 4 Tage auftretendes Fieber.
4) J. F. Suersen, S. 5.
5) J. F. Suersen, S. 5.
6) J. F. Suersen, S. 6.
7) J. F. Suersen, S. 9.
8) Eine Meile = rund 7,5 km, 7—8 Meilen = 52,5 — 60 km.
9) H. H. Harbeck, Chronik von Bramstedt 1959, S. 383.
10) Vgl. S. 9.
11) H. H. Harbeck, S. 392.
12) H. H. Harbeck, S. 393.
13) Segeberger Kreis- und Tageblatt vom 27.10.1930.

11. Quellen- und Literaturverzeichnis

  • J. F. Suersen, Die Mineralquellen bei Bramstedt im Holsteinischen, o. O. 1810
  • Geistliche Wallfahrt zum rechten Heilbrunnen, bey denen durch Gottes Gnade nicht weit von Bramstedt im Königlichen Amte Segeberg neulich entsprungenen Gesundbrunnen, in Gegenwart etlicher tausend Menschen in einer im freien Felde gehaltenen Predigt vorgestellt, und auf vieler Herzen inständiges Begehren, mit dem dabey verordneten Gebet und einer gründlichen Nachricht davon zum Druck übergeben durch Christ, von Stoecken, Rendsburg 1681, in: Die Heimat. Monatsschrift des Vereins zur Pflege der Natur- und Landeskunde in Schleswig-Holstein und Hamburg, Jahrgang 1966, Heft 9
  • Hans Hinrich Harbeck: Chronik von Bramstedt, Bad Bramstedt 1959
  • 25 Jahre Kurhaus. Jubiläumsschrift der Rheumaheilstätte, Bad Bramstedt 1956
  • Segeberger Kreis- und Tageblatt, Jahrgang 1930 Segeberger Zeitung, Jahrgang 1973 Bramstedter Nachrichten, Jahrgang 1977
  • Informationsmaterial über die Rheumaklinik Bad Bramstedt GmbH, Bad Bramstedt 1978
  • Akten des Haupt- und Personalamts Bad Bramstedt über die Anzahl der Kurgäste und die Übernachtungen seit 1953.
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Storjohann: Amtmänner und Amtsverwalter im Amt Segeberg

aus dem Heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg, 1983 S. 59 ff


Karl-Rudolf Storjohann, Neumünster

Personalhistorische Studie III. Teil über einige Amtmänner und die Amtsverwalter des königl. dänischen Amtes Segeberg von 1700 – 1864

Amtmänner und Amtsverwalter
des Amtes Segeberg von 1690-1864

bis 1684 Caspar v. Buchwald
um 1700 Andreas Pauli von Liliencron
Viceamtmann Reimar Peter v. Rehder
1712 – 1720 Anton Günther v. Hanneken als Viceamtmann
bis 1738 als Amtmann
1740 – 1744 Conferenzrath Hans v. Rantzau
1744 – 1756
Christian Günther Graf v. Stolberg
1756 – 1758 Hofmarschall v. Reitzenstein
1758 Graf v. Wedel
1759 – 1771 Conferenzrath v. Arnold
1771 – 1772
Justizrath Tyge Rothe
1773 – 1790 Conferenzrath Andreas Schumacher
1790 – 1796 Nikolaus Otto v. Pechlin
1797 – 1801 Christian Friedrich v. Brockdorff
1801 – 1813 Ernst August v. Döring
1813 – 1818
1818 – 1853 Karl Wilhelm Ludwig v. Rosen
1857 – 1859 Hans Friedrich Jacobsen
1860
Justizrat Eduard Müller
1861 – 1862 Adam Friedrich Adamson v. Moltke
1863 – 1864 Etatsrath H. A. Springer

1693 –
ca. 1729
Johann Schnell (Snell)
1729 – 1737 Johann Detlev Schnell
1737 – 1758
Poul Christian Stemann
1758 – 1781 Friedrich Hinrich Stemann
1781 – 1784 Carl Christian Clausewitz
1785 – 1801 Jens Severin Aereboe
1801 – 1834 Hinrich Matthiessen
1834 – 1849 Ude Loewenherz Sommer
1849 – 1852 Paul Friedrich Werner Hugo Kraus
1855 – 1862 Hans Rehder (bis 1864?)

Über das zweitgrößte holsteinische Amt Segeberg – das größte war das Amt Rendsburg – wurden von der Rantzau-Zeit und später über die preußisch-wilhelminische, bis hin in die jetzige Kreiszeit, zahlreiche Arbeiten veröffentlicht (siehe Literaturverzeichnis). Dabei wurde auch über die leitenden Beamten berichtet.
Für die Periode von 1700 – 1864/66 wurden Beamte jedoch nur am Rande oder nur einzelne (so z. B. von Rosen) erwähnt. In ähnlicher Form, wie im Segeberger Jahrbuch 1982 über die Beamten des kleinen, zwischenzeitlich fürstlich plönischen Amtes Traventhal und den dazugehörigen Kalkberg die zusammenfassende Skizze, gilt dieser Beitrag einigen Amtmännern – und zwar den bürgerlichen – und in Reihenfolge den Amtsverwaltern des damals nahezu zehnmal größeren Amtes Segeberg.
Um genealogisch interessierten Lesern Hinweise zu geben, wird auf familien-geschichtliche Zusammenhänge eingegangen. Darüber hinaus dürfte es nicht ganz bedeutungslos sein, der Herkunft der einzelnen Beamten nachzugehen. Ein großer Teil trägt deutsch-stämmige Namen aus Familien, die oft schon mehrere Generationen in dänischen Diensten standen, aber auch rein schleswig-holsteinische Familien fehlen nicht. Die nebenstehende Zeittafel wird nicht in allen Daten hieb- und stichfest sein, kann aber einen Überblick über die Reihenfolge vermitteln und mag späteren Bearbeitern die Arbeit erleichtern. Das Hauptgewicht wurde auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts gelegt, während die Angaben, die sich auf Familie und Vorbildung der Beamten des 19. Jahrhunderts beziehen, wesentlich spärlicher ausfallen und ergänzungsbedürftig sind.
Die Ereignisse der großen europäischen Politik hatten selbstverständlich auch ihre Auswirkung auf das provinzielle Geschehen in Holstein. Es sind im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts der nordische Krieg (1700 – 1721), der nach den drei Kriegen, die in den Herzogtümern im 17. Jahrhundert getobt hatten, bis über das Jahr 1750 die Armut im Lande vermehrt hatte. 1761 folgte dann die drohende Kriegsgefahr durch Rußland, die durch die Rückeroberungsabsichten des russischen Zaren Peter III., des Gottorper Fürstensohns, ausgelöst und die nur durch seine Ermordung im letzten Augenblick vereitelt wurde.
Die kurze Blütezeit des dänischen Gesamtstaates, das goldene Bernstorffsche Zeitalter, wurde durch die zweijährige Struensee-Periode unterbrochen (1770/72) und führte in den Ämtern der Herzogtümer zu personellen Revierements.
Auf die Auswirkung der französischen Revolution mit ihren Flüchtlingsströmen und veränderten Geistesströmungen folgte die Aufhebung der Leibeigenschaft (1804) und das folgenschwere Bündnis Dänemarks mit Frankreich, das den dänischen Staatsbankrott von 1813 brachte und durch den die Vorbedingung für das Ende des Absolutismus und die Erhebungszeit 1848/50 geschaffen wurde.
Den Abschluß bildete dann die Bismarck-Politik mit der Abtrennung der Herzogtümer von Dänemark 1864 – 1867.
Als Folge des Struensee-Sturzes wurde kurzfristig ein amüsanter Günstling Struensees auf den Amtmanns-Posten vom Kopenhagener Hof in die Peripherie abgeschoben. Aber, wie man sehen wird, ist er nicht der einzige „Verbannte“ unter den Segeberger Beamten.

Tyge Jesper Rothe 1) Segeberg. Jahrb. 1982, S47.
geb. 16.1.1731 in Randers
+ 19.12.1795 in Kopenhagen
Amtmann von Segeberg vom April 1772 bis zum 18.1.1773;

Sohn des aus Deutschland eingewanderten Regiments-Quartiermeisters, späteren Kanzleirates Carl Adolph Rothe (1689-1766) und seiner 2. Ehefrau Kirstine Margarethe Thygesen (Jespersen).
Struensee, an die Macht gelangt, lag die wirtschaftliche Sanierung Kopenhagens besonders am Herzen. Er berief zum Oberpraesidenten den ihm von Altona her bekannten derzeitigen Amtmann von Tondern, den Grafen Ulrich Adolf von Holstein, und für das Amt des 1. Bürgermeisters von Kopenhagen seinen Freund Tyge Jesper Rothe. Doch schon nach 1 1/2 Monaten stellte sich bereits heraus, daß Rothe mehr Theoretiker als Praktiker war, und von Holstein tauschte ihn gegen den Landvogt von Föhr, Peter Matthiessen (siehe diesen unter Amtsverwalter Hinrich Matthiessen, Segeberg), aus, dessen Eignung er aus seiner Ton-derner Amtmannzeit kannte. Über Rothe hieß es dann weiter:
„Man verwies ihn nach Segeberg, wo er 9 Monate Amtmann war. Damit war seine Beamtenlaufbahn zuende.“ (Dank biografisch. Lexikon Bd. XII)
Wenn er in diesem Bericht trotzdem Erwähnung findet, so hat das seine Begründung in seinen vielseitigen literarischen Aktivitäten, die es verdienen, sich seiner zu erinnern.
Er war Landbaureformer, schöngeistiger Lyriker, Philosoph und erfolgreicher Gutsbesitzer. Bereits mit 13 Jahren wurde er Student in Slagelse, besser gesagt in der nahegelegenen Ritterakademie Sorö. 1747 Theologie-Candidat, später Hauslehrer – die damals übliche Tätigkeit junger Theologen, Sprungbrett für die einen, qualvolles Hungerleben für die anderen. Er muß zu den erste-ren gezählt haben, denn er konnte eine lange Studienreise nach Göttingen, Genf und Paris antreten, was ihm die Stelle eines Hofmeisters für den dänischen Erb-Prinzen Friedrich einbrachte; wozu er sich jedoch nicht sonderlich eignete, so daß seines Bleibens in diesem Amt nur von kurzer Dauer war.
1761 – 1763 und 1769 – 1771 wurde er in die Generalzollkammer abgeordnet.

Am 22.04.1761 heiratete er in Kopenhagen die Tochter Karen des wohlhabenden Kopenhagener Kaufmannes Andreas Björn. Diese Ehe ermöglichte ihm den Kauf des Gutes Tybjerggaard in der Nähe Preaestos.
1771 erfolgte das schon erwähnte Intermezzo als 1. Bürgermeister.
Rothe fand dann im neuerrichteten Finanzkollegium als 3. Deputierter eine kurze Verwendung, doch nach Struensees Fall – er war nur 7 Monate in diesem Amt tätig – mußte er dies Kollegium auch wieder verlassen.
Es bleibt unklar, warum seines Bleibens als Amtmann von Segeberg wiederum nur von kurzer Dauer war. Da er wohlhabend war, zog es ihm vielleicht auf sein Gut, in die von ihm mehr geschätzte Freiheit als Schriftsteller und in die Nähe Kopenhagens zu seinen Freunden: Probst Münter, Familie Stolberg und vielen anderen.

1) Durch die Freundschaft Tyge R. mit Struensee ist vermutlich der Halbbruder Tyge’s, der ehem. Rittmeister Nikolai August R., 1771 als Amtsverwalter nach Traventhal vermittelt. Struensee wird darauf Wert gelegt haben, dort einen ihm Vertrauten zu wissen, der mit Diskretion und Takt die Besuche Caroline Mathilde’s in seiner Begleitung auf Traventhal zu arrangieren verstand.

Er widmete sich der Landwirtschaft auf seinem Gute Tybjerggaard mit großem Erfolg.
Sein Ruf – und deshalb sei er hier genannt – rührt allein von seiner Verfassertätigkeit her. Er griff die verschiedensten Themata der in der Luft des 18. ausgehenden Jahrhunderts liegenden Probleme auf und gelangte somit in den Kopenhagener Clubs zu einer Berühmtheit; ja, man zählte ihn zu den „Sternen an Dänemarks literarischem Himmel“. Als Freund Klopstocks bediente er sich dessen Odenstils, verfaßte schöngeistige Schriften, philosophische Abhandlungen, griff historische Themen auf. Doch war sein Stil schwer zugänglich, so daß ein Kritiker über ihn das Bonmot prägte, daß er „Tagesgedanken in der Sprache der Nacht“ vermittelte.
In den Anlaufjahren vor der französischen Revolution schaltete er sich mit Passion in die nötigen Reformbemühungen um das Landwesen ein. Er gab eine Schrift „Danske Ackerbauer“ heraus und ergriff mit Verve das Problem der an den Haupthof gebundenen Festebauern auf und schlug vor – wie es auch Rant-zau auf Ascheberg getan hatte -, sie zu freien Pächtern zu machen. Die Gutsbesitzer müßten verpflichtet werden, die neuen Pachthöfe zu nicht zu kleinen Einheiten zusammenzufassen, damit sie lebensfähig würden. Er verwies auch auf das Vorbild der englischen Landwirtschaft, was beweist, daß seine literarischen Studien einen weiten Rahmen umspannten.
Die Zeit war jedoch noch nicht reif, um seinen Vorschlägen in Dänemark zum Erfolg zu verhelfen. Ein Grundgedanke von ihm war, Dänemarks Aufgabe sei es, nicht nur eine „agrartechnische Reform“, sondern eine „fundamentale Reform des feudalen Landwesensystems“ durchzuführen. Eine historisch begründete Volksfreiheit könne nur zum Tragen kommen, wenn man dem Bauernstand eine dem Bürgertum gleiche Freiheit einräume.
Dem Zeitgeist entsprechend deutete Rothe die Geschichte als einen fortschreitenden Proceß, der mit dem Christentum als civilisierenden Faktor im 18. Jahrhundert einen vorläufigen Höhepunkt erreichen konnte.
Diese Gedanken legte er in seinem Werk „Die Wirkung des Christentums auf den Zustand der Völker Europas“ (3 Bände!) zugrunde. Er bemühte sich im rationalistischen Geist, den Gottesbeweis zu führen, der sich in der Gesetzmäßigkeit der Natur offenbare. Rothe war Mitbegründer der Gesellschaft für schöne und nützliche Wissenschaften und ein wirksames Mitglied der Gesellschaft für Bürgertum in seiner Gründungsphase – Einrichtungen, die unseren patriotischen Gesellschaften entsprachen und in denen gleichzeitig ähnliche Gedanken publiziert wurden, so zum Beispiel von einem aktiven Mitglied dieser patriotischen Gesellschaft, dem Besitzer des Stedinger Hofes in Bramstedt (von 1774 bis 1796 Besitzer),
Justizrath Ferdinand Otto Vollrath Lawaetz (geb. 13.5.1751 in Rendsburg, + Burg auf Fehmarn 13.4.1840), der mit einer Segebergerin, der Tochter des Bürgermeisters und Kirchspielvogtes Eggert Stange, verheiratet war.
Ferdinand Otto Vollrath Lawaetz mußte 1796 das Gut verkaufen, zog vorübergehend nach Ploen und wurde Postmeister in Burg auf Fehmarn, wo er am 13.4.1840 starb.
Für die damalige Popularität und Bedeutung Tyge Rothes kann angeführt werden, daß Thorwaldsen von ihm eine Büste schuf und der berühmte Maler Jens Juel ein Portrait.

Andreas Schumacher 1) Anmerkung la: Patriziersslegten Schumacher fra Hadeslev, O. Christensen, Personalhistorische Tidschrift Jahrg. 92/1972, S. 47 ff
geb. 1726 in Kopenhagen
+ 2.1. bzw. 16.1.1790 in Segeberg
Conferenzrath, Legationssekretär, Legationsrat, Kabinettsekretär des König Christian VII;
Amtmann von Segeberg vom 18.1.1773 – 2.1.1790

Mit großer Wahrscheinlichkeit ist Andreas Schumacher unter den Segeberger Amtmännern der Zeit des dänischen Gesamtstaates durch seine vorhergehende diplomatische Verwendung und seine vielseitigen Tätigkeiten der Profilierteste. Die einzelnen Abschnitte seines Lebensweges dürften das beweisen.
Er entstammte einer in Coesfeld an der holländischen Grenze ansässigen, aus Glaubensgründen aber schon im 16. Jahrhundert nach Hadersleben ausgewanderten Familie. Der erste eingewanderte Vorfahr war Weinhändler und wurde später Bürgermeister in Hadersleben.
Andreas Schumachers Vater, Poul Gerhard Schumacher, 1693-1739 (?) war Buchhalter in einer Versicherungseinrichtung in Kopenhagen. Selbst literarisch interessiert, ließ er seinem Sohn eine besonders gute Schulbildung angedeihen. Der junge Andreas Schumacher teilte die Interessen seines Vaters und machte schon früh durch die Herausgabe einer Sammlung „Gelehrter Männer Briefe an die Könige in Dänemark 1552 – 1663″ (3 Bände) auf sich aufmerksam.
Seine berufliche Laufbahn begann er 1757 als Sekretär in der deutschen Kanzlei in Kopenhagen, wo Joh. Hartw. Ernst Bernstorff seine Fähigkeiten erkannte und ihn als Legationssekretär nach Petersburg entsandte, wo derzeit v. d. Osten der erste Gesandte war.

Für Dänemark hatte zu jener Zeit die russische Außenpolitik Vorrang, denn schon früh ging es um die Lösung der Gottorper Frage.
1761 avancierte er zum Chargé d’Affaires, 1762 zum Legationsrat. 1765 erhielt er den Titel eines Etatsrates. Doch endete in diesem Jahr seine diplomatische Tätigkeit ohne eigenes Verschulden. Die Hintergründe hierfür mögen hier kurz Erwähnung finden.
Joh. Hartw. Ernst Bernstorff, der Schumacher vertraute, war mit den Erfolgen v. d. Ostens nicht zufrieden. Infolge einer böswilligen Verleumdung v. d. Ostens durch einen Intriganten, dem Bernstorff, als nicht sehr guter Menschenkenner, Gehör schenkte, verstärkte sich sein Supson gegen v. d. Osten, und er beauftragte Andreas Schumacher, ihm laufend über v. d. Ostens Aktivitäten zu berichten. Dieser Briefwechsel blieb v. d. Osten nicht verborgen, und deshalb war Andreas Schumachers Verbleiben in Petersburg unmöglich geworden. Man konnte in Kopenhagen jedoch auf seine Kenntnisse nicht verzichten, und so erhielt er 1767 das schwierige Amt des Kabinettsekretärs bei dem nervenkranken, unberechenbaren dänischen König Christian VII., dem er im geeigneten Augenblick jede Kabinettsorder zur Unterschrift vorlegen mußte, eine Tätigkeit, die erhebliches psychologisches Einfühlungsvermögen und besonderen Takt verlangte.
Gleichzeitig berief man ihn 1767 als Mitglied in die neugegründete Gesellschaft für das Generallandwesen und 1768 in die Land-Commission.
Die in Petersburg festgefahrenen Verhandlungen um den Gottorper Austauschvertrag sollten Ende des Jahres 1766 in Kopenhagen fortgesetzt werden.
J.H.E. Bernstorff entsandte seinen Vertrauten Andreas Schumacher zu Caspar von Saldern nach Schierensee, um ihn zu einer Reise nach Kopenhagen zur Fortsetzung der Verhandlungen zu bewegen. Saldern, durch eine Campagne einer Gruppe einflußreicher Männer in Kopenhagen gegen ihn verärgert, war schwer zu bewegen, einzuwilligen. Andreas Schumacher, mit ihm von Petersburg her befreundet, gelang es jedoch, ihn umzustimmen. Saldern reiste nach Kopenhagen, und ab 30.12.1766 kam es zu 16 Konferenzen über diese schwierige Austauschfrage. Der Hauptverhandlungspartner auf dänischer Seite war Andreas Schumacher, während Saldern die Gottorp-russische Seite vertrat. daß es schließlich zu einem für Dänemark günstigen Abschluß kam, der erst nach der Großjährigkeit Pauls, des russischen Thronpraetendenten rechtskräftig werden konnte, ist Salderns, aber auch Andreas Schumachers Verdienst.
Die Bedeutung dieses Vertragsabschlusses reicht bis in die heutige Zeit.

Durch Struensees Aufstieg verlor Andreas Schumacher vorübergehend das Amt des Kabinettssekretärs des Königs, das Struensee Anfang 1771 selbst übernahm.
Andreas Schumacher gehörte auch zu der 50köpfigen Equipe der Auslandsreise Christian VII. In London zeichnete die Universität Cambridge Schumacher mit der Würde eines Dr. h. c. aus.
1765 erhielt er den Titel eines Conferenzrates, und 1771 wurde er Leiter des 2. Departements des Generallandwesenskollegiums, das die Gebiete Jütland, Laaland, Falster und Langeland umfaßte.
Nach Struensees Sturz und Hinrichtung ernannte man ihn erneut zum Kabinettssekretär des König Christian VII.
Es bleibt nicht völlig geklärt, warum er die Stellungen als Deputierter der dänischen Kanzlei und die des Kabinettssekretärs aufgeben mußte und man ihm die „ehrenhafte“ Stellung als Amtmann von Segeberg antrug.
Es scheint mannigfache Gründe gehabt zu haben. An erster Stelle sind zu nennen: die Entlassung J. H. E. Bernstorffs durch Struensee und sein Tod im Jahre 1772 im Exil in Hamburg. Hierdurch hatte Andreas Schumacher seinen Hauptförderer und Freund verloren. In seinem Lebenslauf im dansk. biograph. Lexikon wird als Ursache angegeben, daß der jüngere Bernstorff als „strammer Aristokrat“ den Aufstieg Bürgerlicher in höhere Ämter befürchtete und nicht wünschte, (vielleicht beeinflußt durch das schlechte Beispiel, das Struensee gegeben hatte).
Aber ganz allgemein hatte man den Bernstorffs vorgeworfen, daß sie Deutsche in höheren Ämtern, besonders auch im Diplomatischen Dienst, bevorzugt hätten, ein Vorwurf allerdings, den schon der ältere Bernstorff dadurch entkräften konnte, daß er nachwies, daß dänische Adelige die Berufung auf diese Posten entweder von vornherein ablehnten, oder sie vorzeitig verließen.
Der große Kenner dänischer Geschichte. Paul v. Hedemann-Heespen, hat in seinem Werk „Die Herzogtümer Schleswig-Holstein und die Neuzeit“ seine Stellungnahme zu dieser Frage so formuliert:
„Bernstorff legte einen strengen Maßstab bei Beförderungen an, mußte aber immer wieder erleben, daß der Hof gute Stellen in den Herzogtümern an Günstlinge vergab, oder als „Verbannungsort“ benutzte. Jörgen Erik Scheel wurde so Landrath von Pinneberg, der Kabinettssekretär Schumacher Amtmann von Segeberg.“

Wie dem auch gewesen sein mag, Andreas Schumacher war sicher nicht vom Glück verfolgt und hatte wahrscheinlich eine andere Laufbahn erhofft und verdient.
Andreas Schumacher hat sich erst im höheren Alter als Amtmann von Segeberg mit dem Wohnsitz in Bramstedt zu einer Ehe entschlossen. Er heiratete 1779 in Bramstedt die Witwe des Oldenburger-Bentinckschen Hofrathes Johann Wilhelm Büsching, der 1776 in Varel in Oldenburg verstorben war. Andreas Schumacher war 53jährig, die junge Witwe 27 Jahre (geb. 1752), also eine Differenz von 26 Jahren.
Wie kam es zu dieser Verbindung? Es erschien lohnend, dieser Frage nachzugehen.
Andreas Schumacher hatte während seiner Petersburger Zeit 1765 den Pfarrer der dortigen lutherischen Gemeinde, Anton Friedrich Büsching, kennengelernt, ein Mann von universellen Kenntnissen und Aktivitäten. Die Freundschaft beider Männer hat bis in die Segeberger Zeit Schumachers angehalten, obwohl die Wege beider sehr verschieden verliefen. Das kann man daraus entnehmen, daß bei der Geburt des 2. Sohnes am 22.2./ Taufe 28.2.1782 der kgl. preußische Oberkonsistorialrat Herr Anton Friedrich Büsching als Pate in Segeberg auftrat, wozu wohl auch die Ehe Schumachers mit der Witwe des Oldenburg-Bentinckschen Hofrathes Johann Wilhelm Büsching beitrug.
Die Familie Schumacher war 1781 von Bramstedt in das Amtshaus in Segeberg eingezogen, das der dänische Staat als neuen Amtssitz für den Segeberger Amtmann von dem Amtsverwalter Hinrich Friedrich Stemann bei seinem Fortzug aus Segeberg käuflich erworben hatte.
Die Bedeutung Anton Friedrich Büschings in der damaligen Zeit rechtfertigt es, ihn im Zusammenhang mit Andreas Schumacher der Vergessenheit zu entreißen.

Mit großer Wahrscheinlichkeit sind Anton Friedrich Büsching und der zwei Jahre ältere Hofrat nahe Verwandte, vielleicht sogar Brüder. Das Zustandekommen der Ehe würde hierdurch eine Erklärung finden, aber viel wichtiger erscheint die Verbindung Schumachers zu Anton Friedrich Büsching. Anton Friedrich Büsching, geb. 27.09.1724 zu Stadthagen im Schaumburg-Lippischen, besuchte die Lateinschule des Waisenhauses in Halle und studierte Theologie. Er erhielt 1743 schon die Magisterwürde. 1748 nahm er die Hofmeisterstelle für den Sohn des in dänischen diplomatischen Diensten stehenden Geheimrats Rochus Graf Lynar in Itzehoe an, mit dem er 1749 nach Petersburg reiste, als Lynar dort dänischer Gesandter wurde. Von 1750-1754 arbeitete er an einer großen Erdbeschreibung in Itzehoe und Kopenhagen, die dort 1754 veröffentlicht wurde. Daraufhin wurde er als außerordentlicher Professor der Philosophie und Adjunct der theologischen Fakultät nach Göttingen berufen. 1759 wurde er ordentlicher Professor der Philosophie und folgte 1761 einem Ruf nach Petersburg an die dortige evangelische Gemeinde als Pfarrer, blieb dort aber nur bis 1765, weil es zu Unstimmigkeiten kam, er war – also gleichzeitig mit Andreas Schumacher – dort tätig, hielt sich dann kurze Zeit in Altona auf, wo er den jungen Physikus Struensee kennenlernte. 1766 wurde er dann als Direktor des Gymnasiums am grauen Kloster nach Berlin berufen mit dem Titel eines Oberconsistorialrates (+ 22..05.1793 in Berlin).
Seine zahlreichen Schriften weisen eine breite Palette aus allen möglichen Gebieten auf: Theologie, Paedagogik, Historie, Biographien, aber vor allem Geologie.
Die „neue Erdbeschreibung“, die Europa behandelt, steht obenan als grundlegender Versuch einer wissenschaftlichen Behandlung der Geographie.
Anton Friedrich Büsching muß unglaublich fleißig gewesen sein. Von seinen Arbeiten sind zu nennen:

Magazin für Historie und Geographie Hamburg 1767-1793 25 Bände!
Beiträge zur Lebensgeschichte merkwürdiger Personen 1783-1789, 6 Bände
Grundriß einer Historie der Philosophie Berlin 1722-74 2 Teile
Neueste Geschichte der evang. Brüderconfessionen in Polen (Halle 1784-87) 3 Bd.

Nicht belanglos mag im Zusammenhang mit der Freundschaft zwischen Andreas Schumacher und Anton Friedrich Büsching sein, daß Büsching in seinen vielgelesenen „wöchentlichen Nachrichten“ sich beim Tode des Schatzkanzlers Schimmelmann 1782 sehr abfällig über Schimmelmanns Bedeutung geäußert hat. Er habe Dänemark mehr geschadet als genützt; wenn es ihn nicht gegeben hätte, würde Dänemark um Millionen weniger arm sein.
Diese Äußerung löste in Dänemark naturgemäß große Empörung aus und war ein unsachlich-emotionelles Urteil. Möglich, daß Andreas Schumacher dieses Urteil Büschings teilte – ein nicht aktenkundiger Grund für seine Verbannung nach Segeberg?
Es ist nicht verwunderlich, daß ein so schillernder Charakter wie Heinrich Carl Schimmelmann neben zahlreichen Verehrern auch seine Kritiker hatte; und Büsching hatte aus seiner Berliner Sicht mehrere Gründe aus der Vorgeschichte Schimmelmanns in seinen Aufstiegsjahren als Heereslieferant Friedrich des Großen und als Münz-Manipulator (J. O. Bro Jörgensen: Heinrich Carl Schimmelmann, En Studie i Skatmesterans Fortid. 1970. Christian Degn: Die Schimmelmanns, S. 197).

Es bleibt, noch von Andreas Schumacher einige familiäre Daten nachzutragen.
Aus seiner Ehe mit Sophia Hedwig Rebecca Weddi (oo 13.10.1779) verwitwete Büsching, Tochter des Predigers zu Wardenburg i. Old. Johann Arnold Weddi, gingen zwei Söhne hervor:
1.
Hinrich Christian geb. Bramstedt 3.09. ( Taufe 10.09.1780 (siehe dazu Schleswig-Holst. biograph. Lexikon Bd. 3 1974, Bildtafel 2, S. 48a, Lebenslauf S. 249-251).
Er war ein Schüler Gauß‘, wurde Astronom und veranlaßte 1821 die Errichtung der Altonaer Sternwarte, „sie wurde unter seiner Leitung Mittelpunkt der internationalen Astronomie.“
Aus den Namen der Taufpaten dieses Sohnes ging hervor, daß die Eltern die Verbindung zu den Amtmännern der Nachbarämter pflegten. Es waren dies
1) der Amtmann des Kreises Steinburg, Seine Excellenz Herr Christian Hinrich v. Beulwitz, Geheimer Rath und Kammerherr,
2) der Administrator der Grafschaft Rantzau, Kammerherr Herr Christian von Brandt1),
3) Conferenzrath Marx Johann Ehlers, Itzehoe, früher einer der tüchtigsten Beamten der Deutschen Kanzlei in Kopenhagen.

Andreas Schumachers 2. Sohn wurde, wie oben erwähnt, am 22. 02.1782 in Segeberg geboren und auf die Namen Andreas Anton Friedrich getauft.
Er wurde dän. Artillerieoffizier und machte einige ballistische Erfindungen.
Die Paten sind hier neben A. F. Büsching, Berlin, Probst und Hauptpastor Friedrich Hasse in Segeberg und der Kammerjunker und Zollverwalter in Segeberg Bendix Ferdinand von Scheel. Als 4. Patin – eine Frau mußte das Kind ja schließlich zur Taufe halten, war die Kammerrätin Barbara Henriette Jansen, die Frau des Traventhaler Amts- und Kalkbergverwalters Friedrich Carl Jansen.
Andreas Schumacher waren nur noch wenige Jahre beschieden. Nach längerer Krankheit starb er mit 63 Jahren in Segeberg am 2.1. / begr. 16.1.1790.
Der Amtsverwalter Jens Severin Aereboe übernahm seine Vertretung vorübergehend.
Seine Witwe zog mit ihren 8- und 9jährigen Söhnen nach Altona, wo sie das Christianeum besuchten. Sie starb am 30.10.1822 70jährig in Altona und erlebte also noch 1821 die Errichtung der Sternwarte auf der Palmaille durch ihren Sohn Heinrich Christian.
Es mag manche Leser verwundern, daß sehr häufig die Paten der Kinder angeführt wurden. Aber gerade sie liefern im 18. Jahrhundert besonders den Background von Freundschaften und Verwandschaften, die es ermöglichen, bei fehlenden anderen Überlieferungen die im Nebel der Vergangenheit verschwindenden Gestalten etwas zu beleben.

1) Christian Brandt war ein Bruder des mit Struensee hingerichteten Ennevold Brandt, Söhne des Conferenzrathes Carl Brandt 1698-1738 und Else Berregaard, die in zweiter Ehe mit Geheimrat Conferenzrat Georg Wilhelm von Söhlenthal (1698-1768) verheiratet war, und die dem Altonaer Stadtarzt Struensee den Weg in die Adelsgesellschaft und an den Hof in Kopenhagen ebnete. G. W. von Söhlenthal, hervorgegangen aus einer Neuadelsfamilie, die aus Holland stammte, galt als der führende Mann in der pietistischen Gemeinde Dänemarks und der Herzogtümer, worauf sein erheblicher Einfluß zurückzuführen war, zumal durch Zinzendorf, der mit dem dänischen Königspaar Christian VI, und der Familie Stolberg verwandt war, der Pietismus im Norden schnell an Boden gewonnen hatte.

Die Amtsverwalter des Amtes Segeberg von ca. 1690-1864

Johann Snell (Schnell)
Geburtsort ?
Geburtsdatum ?
oo 7.12.1693 in Segeberg
+ vor 1729, begraben nicht in Segeberg
Amtsschreiber des Amtes Segeberg von 1693 bis ca. 1728 (?)

Naturgemäß sind die Nachrichten über die Lebenswege einzelner Beamter zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch recht unvollständig, weil die Kirchenbücher über Herkunft, Familie, Berufe und Alter häufig schweigen.
So lassen auch die Auskünfte über den Amtsschreiber Johann Schnell zu wünschen übrig. Nach der Bramstedter Chronik von Hans Hinrich Harbeck (Bericht von Jürgen Fuhlendorf S. 320) ist der Vorgänger Johann Schnells Joachim von Reich, der c. 1685 in Copenhagen bei einer Feuersbrunst ums Leben kam. Sein Amtsantritt wird demnach in die Jahre zwischen 1685 und 1693 fallen, denn am 7.12.1693 findet sich im Segeberger Kirchenbuch seine Eheschließungseintragung. Er bewohnte ein Haus auf dem Grundstück des heutigen Amtshauses, das seine Witwe 1740 an den Nachfolger ihres Mannes, den Amtsverwalter Poul Christian Stemann, verkaufte.

Der Text der Copul. Urk. lautet:
Johann Schnell, Amtschreiber hierselbst mit Jfr. (Jungfrau) Margareta Mutzenbächerin von Trittau.

Es folgen dann die Taufen zweier Kinder:
Taufreg. Segeberg 1694. 26.09. Nr. 1220.
Johann Schnell, Amtschreiber läßt eine Tochter taufen: Catharina Hedwig.
Paten: Fr. N. Haßen von Wilster, Fr. N. Mutzenbecher von Trittau, H. Detlev Aberhoff von Brahmstedt.

In der obenerwähnten Chronik von Bramstedt, von Harbeck, nennt dieser auf S. 292 den Bramstedter Kirchspielvogt Averhoff, allerdings ohne Datumsangabe. Es liegt die Vermutung nahe, daß dieser der Pate war.
Diese Tochter heiratet am 12.11.1717 den Amtsverwalter von Traventhal Joachim Werner Astbahr (Jahrb. 1982, S. 37).

Am 8.10.1695 erfolgt dann die Taufe des zweiten Kindes. Taufreg. Segeberg 1695 Nr. 1363.
Johann Schnell, Amtschreiber einen Sohn taufen lassen: Johann Detlev Matthias.
Paten: H. Eggard Detlev von Behrensdorff, Obrist; H. Matthias Mutzenbecher v. Hamburg; Fr. Anna Selmer ex. urbe.

Namensträger Mutzenbecher sind im Hamburg-Altonaer Raum im 18. und 19. Jahrh. der Hamburger Kaufmann Franz Matthias M. und der Musikbegeisterte Kgl. Justizrat, Dr. med. und Postmeister in Altona Ludw. Sam. Dietr. M. Sohn eines Hamburger Großkaufmannes, geb. in Bordeaux.

Bemerkenswerter erscheint hier jedoch der erste Pate zu sein, den der dänische Historiker Aage Friis in seinem Werk „die Bernstorffs“ gleich auf Seite 2 erwähnt. Im Zusammenhang mit der sich bis ins 17. Jahrhundert sonst nicht besonders auszeichnenden Familienmitglieder mit dem Namen Bernstorff schreibt er:

„Auch nicht durch Eggert Detlev von Bernstorff zu Teschow, der zur Zeit des Schonischen Krieges Obrist in dänischen Diensten war, wurde der Name berühmt.“

und in der Anmerkung dazu: .

Eggert Detlev v. Bernstorff zu Teschow, geb. ca. 1644. Stand 1675 in dänischen Diensten, war 1701 Obrist und wurde in demselben Jahre mit dem Rang eines Generalmajors entlassen; vermählt war er mit Anna v. der Lühe (Oberstleutnant Hirsch’s Sammlungen zur Geschichte des dän. norw. Offiziersstandes).

Aus dieser Pateneintragung, die an das Auftreten des Namens von Bernstorff etwa 80 Jahre (1675-1752) vor dem Eintritt Joh. Hart. Ernst von Bernstorff in dänische Dienste erinnert, kann möglicherweise auf die Herkunft Schnells geschlossen werden. Er könnte in der Truppe Eggert Detlev von Bernstorff gedient haben oder aus dem Gutsbereich von Teschow stammen. Die Herkunft von der Eiderstedtschen Pastorenfamilie – Schreiber in damaliger Zeit waren ja häufig Pastorenkinder – Johannes Schnell aus Tondern und später Eiderstedt (Kathirinenherr 1657-1666) ist nicht gesichert.

Jetzt folgt im Segeberger Kirchenbuch am 3.11.1729 die Taufeintragung eines Sohnes des Amtsverwalters Joachim Werner Astbahr und seiner Frau Catharina Hedwig geb. Snell(en); neben dem Herzog Friedrich Carl von Plön war die Großmutter des Kindes, die verwitwete kgl. dänische Amtsverwalterin Schnellen in Segeberg, Pate.

Wie schon erwähnt, muß Johann Schnell also vor 1729 verstorben sein, aber die Sterbeeintragungen des Ehepaares Schnell fehlen im Segeberger Kirchenbuch.

Unter dem Datum vom 24.01.1738 No. 12 steht im Sterbebuch folgende Eintragung:
”H. (Herr) Johann Detleff Schnell, in Segeberg welcher in der vorigen Woche, als gestern vor 8 Tagen des Morgens eines plötzlichen und schnellen Todes gestorben u. des Abends unter dem Geläute der Glocken ohne Parentation (Leichenpredigt) in der Kirche begraben worden.“

Es war üblich, höher gestellte Bürger mit H. (Herr) zu titulieren, und auch die Beerdigung in der Kirche war nicht jedem Bürger möglich, so könnte man auch – ohne daß eine Berufsbezeichnung in der Urkunde steht – annehmen, daß Johann Detlef Schnell vielleicht interimstisch mit seiner Mutter die Amtsgeschäfte des Vaters weitergeführt hatte; denn erst 1740 verkauft die Witwe Catharina Hedwig Schnell geb. Mutzenbecher das Amtsverwalterhaus an den Nachfolger Poul Christian Stemann und wird dann möglicherweise nach Trittau oder Hamburg verzogen sein.

Jonathan Smith erwähnt in seiner Arbeit über die Schleswiger Amtsverwalter Christian Friedrich Snell, der wohl identisch ist mit dem 1750 genannten Bürgermeister von Hadersleben gleichen Namens (f 29.09.1752) und als dessen Eltern Johan Snell und Margarete Mutzenbecher. Ein Sohn Christian Friedrich Snell (oder Schnell) findet sich allerdings nicht im Segeberger Taufregister. Im Landesarchiv Apenrade ließe sich dieser Zusammenhang aber sicher verifizieren.

Der Name Schnell ist übrigens in Dänemark auch nicht selten, so zum Beispiel eine Pastorenfamilie in Søndrup im Sorø Amt (Frederik Christian Snell, Schnell, geb. 1670, + 10.10.1728).

Poul Christian Stemann
geb. 29.6.1699 in Glückstadt
+ 16./17.4./begraben 25.4.1770 in Segeberg
Amtsverwalter von Segeberg 1737-1758

Sohn des Johann Valentin Stemann (1662-1700), Sekretär an der dänischen Kanzlei in Glückstadt.
Der Großvater Justus Valentin Stemann (1629-1689) war Generalsuperintendent der Herzogtümer Schleswig-Holstein in Glückstadt und ist der Stammvater des schlesw.-holst.-dänischen Astes der Familie Stemann, von welchem mehrere Zweige 1777, 1782 und 1849 geadelt wurden. Poul Christian Stemann war 1723 Kirchspielschreiber in Marne, 1724 Kammerassessor, 1730 Kirchspielschreiber in Meldorf, 1733 kgl. dän. Kammerrath und 1737 Amtsverwalter zu Segeberg, 1740 Justizrat, 1741 Branddirektor, Consul honoris causa, 1759 Etatsrat.

Er war verheiratet mit Sophia Elisabeth Eggers (1704 – 1778), Tochter des kgl. dän. Justizrats und Landschreibers in Süderdithmarschen, Hans Hinrich Eggers.

Mit Poul Christian Stemann begann für Segeberg die Ära der Beamtenfamilie Stemann.
Von den 15 Kindern des Ehepaares starben zwar neun im Säuglings- und Kleinkindesalter, doch die übrigen sechs bauten im Gesamtstaat eine Familiendynastie auf.
Der erfolgreichste war Christian Ludwig Stemann (1730 – 1813, begraben zu Sorø), der in Kopenhagen zu den ersten Männern des Staates zählte und führende Rollen in zahlreichen Ämtern spielte, so zum Beispiel in der Kommission, die den Bau des Eiderkanals vorbereitete, und als Oberpräsident von Altona. Es würde zu weit führen, alle Ämter aufzuführen. 1772 wurde er geadelt.
Der zweite Sohn Friedrich Hinrich wurde Nachfolger des Vaters und der dritte, Ernst Johann Peter Stemann (1737 – 1814), Conferenzrat, Oberappellationsrat zu Schleswig, Vicekanzler und Vorstand des Obergerichtes.

Die Töchter stiegen nicht so hoch. Von den drei Töchtern heiratet Frederica Dorothea ihren Vetter, den Amtsverwalter von Traventhal, Hinrich Hirnclow Stemann (siehe dieses Jahrbuch 82). Christine Elisabeth heiratete den Pastor zu Kellinghusen, Johann Andreas Busch, und die jüngste Tochter den Deputierten an der Deutschen Kanzlei in Kopenhagen, Etatsrat Christian Jansen, den Bruder des Traventhaler Amts- und Kalkbergverwalters Friedrich Carl Jansen (1739-1817) (siehe Jahrbuch 82), der sicher seine Laufbahn zum Teil auch dem Stemann-Clan verdankte.
Der Vater Poul Christian Stemann stand bei der Regierung in Kopenhagen in hohem Ansehen, und sein Urteil galt dort etwas, denn als 1761 das Herzogtum Plön an die Krone fiel, beauftragte man ihn mit der Beurteilung der plönischen Beamten. Mit Sicherheit war sein kenntnisreiches Urteil für deren spätere Verwendung im Gesamtstaat ausschlaggebend.
Poul Christian Stemann muß mit 59 Jahren zum mindesten vorübergehend kränklich gewesen sein, denn 1758 wurde sein Sohn Friedrich Heinrich mit höchster Genehmigung als Nachfolger oder Mitarbeiter eingesetzt.

Friedrich Heinrich Stemann
geb. 12.8.1735 in Meldorf
+ 30.4.1791 in Schleswig
begraben 6.5. Garnisonkirche Rendsburg
Amtsverwalter des Amtes Segeberg 1773 – 1781,
ab 1758 Stellvertreter und Mitarbeiter des Vaters.

1759 Kanzleiassessor, 1763 stellvertretender Branddirektor, 1773, 3 Jahre nach dem Tod des Vaters erfolgte erst, wahrscheinlich verzögert durch die Struensee-Periode und dessen Tod, die Bestallung als Amtsverwalter des Amtes Segeberg. 1775 Bürgermeister in Segeberg, Zollverwalter in Segeberg, 1777 Etatsrat.
1781 wurde er als Generalzolldirektor des Herzogtums Schleswig und der Städte Rendsburg und Kiel eingesetzt und gleichzeitig zum Direktor des Zollhauses am Eiderkanal berufen. 1782 war er Mitglied der Kanalaufsichtskommission.
Auch er wurde 1782 in den dän. Adelsstand erhoben. Am 4.8.1763 hatte er Catherine Sophie, Tochter des Eckernförder Kaufmanns und Reeders Georg Hinrich Thöming, geheiratet (sie war 1743 in Eckernförde geboren und starb am 20.11.1826 zu Rendsburg).
Georg Hinrich Thönning besaß in den Jahren 1751 – 1756 3 Einmast-Galio-ten: „Louise“, „Fortuna“ und „Mercurius“.

Carl Christian Clausewitz
geb. 20.12.1734 in Merseburg
+ 29.9.1795 in Kopenhagen Amtsverwalter Segeberg 1781 – 1784
Sohn des Prof. Dr. theolog, in Halle Benedict Gottlob Clausewitz (geb. 12.7.1692) in Groß Wiederitzsch, + 7.05.1749) und Christine Maria Thieme.

Carl Christian Clausewitz besuchte das Paedagogium in Halle. 1756 tritt er die Stelle eines Hofmeisters bei den Söhnen des im Stedinger Hof wohnenden Amtmanns von Segeberg, Christian Günther Graf v. Stolberg, Christian (geb. 1748) und Friedrich Leopold (geb. 1750) an. Kein Zweifel, daß die Berufung mit der engen Verbundenheit der Familie Stolberg in Bramstedt mit dem halleschen Pietismus in Zusammenhang stand, der durch die verwandtschaftliche Beziehung Graf Zinzendorfs zur dänischen Königsfamilie Christian VI. (Regierungszeit 1746 – 1766) im dänischen Gesamtstaat und damit auch in den Herzogtümern in gewissen Adelskreisen eine größere Anhängerschaft gewonnen hatte, was sich wiederum auf die Wahl der Pastoren auswirkte, die dem Pietismus nahestanden, war doch der Superintendent Adam Struensee, der Vater Johann Friedrich Struensees, ebenfalls Pietist.

Aus der umfangreichen Literatur über die Gebrüder Stolberg erfahren wir allerlei über Carl Christian Clausewitz‘ Hofmeistertätigkeit.

In den von Jürgen Behrens veröffentlichten Briefen Friedrich Leopold Stolbergs wird er mehrfach lobend erwähnt. So begleitete er die Brüder auf die Universität nach Göttingen. Einige Beispiele mögen das belegen:

So schreibt Friedrich Leopold Stolberg am 30.4.1773 an seine Freunde des Hainbundes:
„Lebet wohl ihr lieben Männer. Clausewitz und mein Bruder grüßen Euch zärtlich.“
Noch 1802 schreibt er Klopstock:
„Diesen Sommer sind es 40 Jahre her, daß ich mit meinem Bruder und Clausewitzen zum ersten Mal den .Messias‘ las.“
Oder 1812:
„Vieles erinnert mich doch an mein Alter, die großen Kinder, mehr noch die Gräber, und meine Träume führen mich noch sehr oft unter die wohlgemeinte Mentor-Sorge des guten Clausewitz zurück.“

Hier wird ein erfreulicheres Bild eines Hofmeisterlebens in Adelsfamilien deutlich, als es in der modernen tendenziösen Literatur heute verallgemeinert wird. Immerhin lebten die Brüder Stolberg 18 Jahre ihrer Jugendzeit in freundschaftlicher Verbindung mit Carl Christian Clausewitz, und die Familie Bernstorff-Stolberg hat das auch nicht vergessen, als die Familie Clausewitz nach dem Tode des Vaters 1795 in finanzielle Not geriet und 5 Kinder zwischen 1 und 14 Jahren zurückblieben und sie 1805 Vollwaisen wurden.

Doch nun zurück zu Carl Christian Clausewitz‘ weiterem Lebensweg.
Ab 1774 war er Sekretär im Departement des Äußeren bis 1780. 1778 hatte er Hedewig Sophie Reiersen, Tochter des Probsten Reiersen und Christine Linde, geheiratet, die am 16.07.1752 in Mou an der Ostmündung des Lymfjordes in Nordjütland geboren war.

1780 wird er Mitglied des Obergerichts auf Gottorp. 1781 wird er dann, allerdings nur für eine kurze Zeit, Amtsverwalter des Amtes Segeberg bis 1784 mit dem Titel Justizrath. Er kehrt dann, aus welchen Gründen, ließ sich nicht eruieren, in das Departement des Äußeren zurück, wurde 1790 in Etatsrath, starb aber schon im 61. Lebensjahr 1795, als die Kinder noch unversorgt waren. Es ist anzunehmen, daß die Witwe durch die Beziehungen zu den einflußreichen Familien ihren fünf Kindern – ein sechstes, ein Sohn, war als 7jähriges Kind gestorben – eine gute Ausbildung ermöglichen konnte. Der Sohn Gottlob Peter hatte sogar einen Hofmeister (siehe unten).

Der Älteste, Andreas Christian (1779-1857), war – wie der Vater – im Departement des Äußeren tätig, wurde 1822 Legationsrath, oo 1830 mit Louise Christiane Richter.

Friedrich Carl (1784-1865) 1810 Auditeur beim Generalkommando in Kiel, 1813-14 beim Hülfskorps, 1819-1831 Zensor in Kiel. 1839 Administrator am Stift der Königin Anna Sophie.

Friedrich Heinrich August (1790-1852) ist nach einem juristischen Studium Sekretär bei dem bekannten dänischen Consul Johann Georg Rist in Hamburg, während der Besetzungszeit durch die Franzosen unter General Davoust, der ihn in seinen von G. Poel veröffentlichten Lebenserinnerungen öfter erwähnt, insbesondere im Zusammenhang mit einer wichtigen diplomatischen Reise nach London, die allerdings erfolglos endet. Er hat jedoch nach Rists Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst doch noch berufliche Erfolge gehabt. 1814-1826 ist er Legationssekretär in London 1824/25 in diplomatischer Mission in Konstantinopel, 1824 geheimer Legationsrath, 1828 Ritter vom Danebrog, 1829 Notarius publicus. oo war er mit Ida Hedwig Christine Dahl (geb. 17.1.1801 in Neumünster), Tochter des Postmeisters und Kanzleirathes Johann Matthias Dahl, die am 15.1.1867 in Kopenhagen starb.

Über den Lebensweg der Tochter Charlotte Christiane Frederike, geb. 18.5.1788, und den jüngsten Sohn Gottlob Peter, geb. 16.1.1794, erfahren wir allerlei Einzelheiten aus den Lebenserinnerungen der Elise v. Bernstorff, geb. v. Dernath, deren Jugendgespielin und Freundin Charlotte Clausewitz ist, und die zusammen mit ihrem kleinen Bruder Gottlob Peter offenbar schon nach dem Tode des Vaters im Hause der Gräfin Auguste von Bernstorff, der 2. Frau und Witwe Andreas Peter Bernstorffs, in Plön und später Bordesholm und Kiel freundliche Aufnahme fand und durch ihr sanftes Wesen sich allgemeiner Beliebtheit erfreuen konnte, aber, von zarter Gesundheit, schon mit 28 Jahren in Kiel am 15.2.1816 starb.

Über die Jugend des jüngsten Kindes Carl Christian Clausewitz‘ hören wir ebenfalls aus den Erinnerungen Elise Gräfin v. Bernstorffs einige Hinweise. Es heißt dort:
„Meine Eltern (Magnus Graf Dernath und Charlotte, geb. Gräfin Bernstorff) ruhten nicht bis sie mir eine Gefährtin gegeben hatten; sie fanden solche in der Tochter eines alten Freundes der Familie, Charlotte Clausewitz, deren Vater gestorben war, und die Seinigen in sehr bedrängter Lage hinterlassen hatte.
Charlotte, mit mir gleichen Alters, und schon früher meine Gespielin, ward mir also als Pflegeschwester beigesellt, während ihr Bruder Gottlob von den Großeltern Bernstorff aufgenommen und von der Großmutter leider sehr verzogen wurde.“
1821 beschreibt Elise Bernstorff die Personen im Haushalt ihrer Großmutter Auguste Bernstorff in Bordesholm, bekannt durch ihren Briefwechsel mit Goethe, den sie nach langen Jahren des Schweigens noch auf religiöse Bahnen zu lenken versuchte.
„Wir fanden auch noch Gottlob Clausewitz und seinen Hofmeister Harding dort. Letzterer hatte seine Aufgabe der Erziehung Gottlob’s vollendet und war nun meiner Großmutter Sekretär, Vorleser, Freund und Beschützer.“
Durch die Veröffentlichung Landrats Dr. Alfons Galette im Plöner Jahrbuch Nr. 7 Jahrgang 1977, über die Besitzer des Kreishauses am Plöner Markt kommen in diesem Zusammenhang neue Erkenntnisse. So, daß von 1798 bis 1804 die Gräfin Auguste Bernstorff geb. Stolberg Besitzerin des Hauses war, also vor ihrem Umzug nach Bordesholm und später Kiel, und daß auch hier laut Volkszählreg. von 1803 bis Gottlob Peter Clausewitz als 10jähriger Junge bei ihr wohnte. Es liegt nahe, daß die Gräfin die Berufslaufbahn ihres Pflegesohnes – ihr einziges eigenes Kind war klein verstorben – gelenkt hat. Nach einer Militärzeit wurde er 1821 Forst- und Jagdjunker, 1829 Forstkandidat, nahm 1830 seinen Abschied als Rittmeister und bekam dann eine Bestallung als Oberförster über die ausgedehnten Forsten der ehemals herzoglich-plönischen Reviere 1841 mit dem Sitz in Reinfeld. 1829 hatte er eine Flensburgerin Henriette Margarethe-Dorothea Tods, Tochter des Hutmachers Hans Tods und Ingeborg Hedwig Seiler, geheiratet (1806 – gest. 1886 in Wandsbek). Aus dieser Ehe ging ein Sohn hervor, Carl Cl., der Polizeirat in Hamburg war, und weiter 3 Töchter. Gottlob Peter Clausewitz + 1.9.1859 in Birmingham.

Abschließend kann noch erwähnt werden, daß in einer Biographie des aus Burg bei Magdeburg stammenden preußischen Feldherrn und Strategen die Herkunft der Familie Clausewitz aus Polen bezeugt wird, die Ende des 17. Jahrhunderts nach Preußen und Dänemark eingewandert sind, und daß mehrere Pastoren die Vorväter waren.

Der preußische Clausewitz kam übrigens im Kosakenwinter am 18.12.1813 im Zuge der Besetzung Holsteins durch die kombinierte Nordarmee eine Woche nach dem von den Dänen gewonnenen Rückzugsgefechtes bei Sehestedt mit dem Hauptquartier des Generals von Walmoden auf das Gut Emkendorf während des Waffenstillstandes mit Dänemark. Diese Kenntnis verdanken wir den Tagebuchaufzeichnungen des Emkendorfer Gutsverwalters Daniel Friedrich Bendi-xen, die der Staatsarchivdirektor Dr. Walter Stephan 1939 in der Zeitschrift Nordeibingen Nr. 15 unter dem Titel „Kosakenwinter in Emkendorf veröffentlichte.
Es heißt dort:
„Unerwartet kam abends um 6 Uhr der General v. Dörnberg in Begleitung von Obrist Clausewitz, übrigens ohne weiteres Gefolge, und baten um Nachtquartier.“
Und Sonntagmorgen, den 19.12., geht es dann weiter:
„Halb 9 Uhr fuhr der General Dörnberg mit dem Obristleutnant Clausewitz weg, nur ein simpler Bauwagen, bespannt mit 4 kleinen polnischen Pferden diente diesen hohen Reisenden zum Fuhrwerk.“
Die Tagebucheintragungen reichen vom 7.12.1813 bis zum 16.1.1814, also kurz nach dem Kieler Frieden.

Nur zwei Jahre nach diesem Geschehen starb die jahrelang kranke Gutsherrin Julia Reventlow geb. Schimmelmann auf Emkendorf, in deren gastfreiem Hause auch jahrelang Charlotte Clausewitz freundschaftliche Aufnahme gefunden hatte.
Elise v. Bernstorff schreibt in ihren Erinnerungen, als sie den plötzlichen Tod Charlottes am 15.02.1816, einen Tag vor Julia Reventlows letztem Geburtstag, erwähnt:
„Besonders lebhaft durch diesen Verlust ergriffen war Julia Reventlow, unter deren schützendem Dache, von deren sorgender Liebe geleitet, Charlotte solange gelebt hatte.“

1818 trifft Christian v. Bernstorff, der inzwischen in preußische Dienste getreten war, in Aachen mit General v. Clausewitz und dessen Gattin, der geb. Gräfin Brühl, zusammen und freut sich, seiner Frau Elise berichten zu können, alte Freunde wiedergetroffen zu haben. Wir hören aber nichts in den Erinnerungen, ob zwischen den dänischen und preußischen Clausewitz eine familiäre Verbindung bestanden hat.

Als Carl Christian Clausewitz 1781 Amtsverwalter von Segeberg wurde, lag die Zeit, als er Hauslehrer bei Stolbergs in Bramstedt war, 15 Jahre zurück. Sein jetziger Vorgesetzter war der Amtmann Andreas Schumacher, der seinen Wohnsitz als Amtmann ungefähr gleichzeitig mit dem Amtsantritt Clausewitz von Bramstedt nach Segeberg verlegt hatte.

Jens Severin Aereboe
geb. 1737 Kopenhagen
+ 10.04.1801 Segeberg
Amtsverwalter des Amtes Segeberg von 1785 -1801

Auch der Nachfolger Clausewitz‘ war vor seinem Amtsantritt in Segeberg im diplomatischen Dienst tätig, und zwar als Consul in Marokko von 1776 – 1781.

Sein Vater Rasmus Aeroboe, geb. 1685, + 31. November 1744, war Notarius publicus in Kopenhagen und hatte aus 2 Ehen 17 Kinder (!). Jens Severin war das 13., aus der zweiten Ehe des Vaters mit Catharina Maria Alsberg (+ 1754).

Aus der 1. Ehe des Vaters mit Karen Wartberg (t 1724) bestimmte wohl der 14 Jahre ältere Halbbruder Andreas Aereboe (geb. 1723 + 1813) den Berufsweg Jens Severin Aereboes. Andreas Aereboe, von Beruf Kaufmann – man würde heute sagen: Übersee-Kaufmann -, war von 1752 bis 1756 auch schon Consul in Marokko, ein schwieriger Posten in dem damaligen Seeräuberstaat. Aber es gelang ihm, einen Friedensvertrag mit Marokko auszuhandeln und 2 Handelsverträge abzuschließen.
Jens Severin Aereboe wurde am 8.11.1776 Commerz- und Consulatssekretär in Marokko und wurde am 7.11. 1777 Consul.

Doch liefen bei ihm die Dinge weniger erfolgreich, denn seine Ablösung 1781 geschah offenbar wegen eines in seinen Einzelheiten nicht überlieferten Fehlverhaltens. Über sein Verbleiben und seine Tätigkeit zwischen 1781 bis 1785 ließen sich keine Aufschlüsse ermitteln, und man muß seine Bestallung als Amtsverwalter in Segeberg wohl als eine Notlösung, vielleicht sogar als Degradierung, ansehen.
Als Amtsverwalter führte er den Titel eines Justizrats. 1785, als er sein Amt in Segeberg antrat, war er 48 Jahre und muß schon längere Jahre verheiratet gewesen sein, und zwar mit Mariane Andrea geb. Duon, dem Namen nach eine Französin.
Das Ehepaar zog schon mit 4 Kindern nach Segeberg: 2 Söhne – 1. Peter Christian Erasmus, 2. Andreas Conrad Hieronimus, und zwei Töchter – 3. Eleonore Catharina Maria, 4. Agneta Maria, von denen zwei (Nr. 2 und 3) in Segeberg confirmiert wurden, woraus man schließen kann, daß Nr. 1 schon 1785 confirmiert war und die Ehe schon um 1770 geschlossen sein könnte, vielleicht war er zu der Zeit kaufmännisch im Geschäft seines Halbbruders tätig.

Ein 5. Kind, Jens Severin Andreas, wurde 1787 (+ 1858 in Kiel) in Segeberg geboren. Der Amtmann Andreas Schumacher und seine Frau waren Paten.

Die Mutter ist nach (1801) dem Tode des Mannes wohl bald aus Segeberg fortgezogen.
Aus der Descendenz des Ehepaares Aereboe-Duon sind einige bedeutende Persönlichkeiten erwähnenswert:
1. Der preußische Landes-Oekonomierat Geheimrat Professor Friedrich Aereboe, Berlin,
2. dessen Bruder, der Dompropst in Lübeck (geb. 1851, + 1934) Carl Aereboe, beide Söhne eines Lehrers Aereboe in Mölln,
3. der Sohn des Dompropstes, der gerade im letzten Jahr durch mehrfache Aufstellungen in Erinnerung gebrachte Maler Albert Aereboe (1889 – 1970), der in Lübeck und in Kampen auf Sylt lebte.

Hinrich Matthiessen
geb. 11.6.1768 auf Föhr
+ 13. l./bzw. 17.1.1834 in Segeberg
kgl. dän. Kammerrath, Amtsverwalter des Amtes Segeberg von 1801 bis 1834

Eltern: Peter Matthiessen, Kirch- und Landvogt auf Föhr, 1. Bürgermeister in Kopenhagen (geb. 31.7.1720, + 8.7.1812 in Altona), und Botilda geb. Jessen aus Apenrade.
Er war verheiratet mit Louise Auguste Karoline Georgine geb. Freiin Grote.
Beim Tode des Amtsverwalters Hinrich Matthiessen lebte nur eine Tochter, Anna Wilhelmine Theodora Erhardine Lucia.

Hinrich Matthiessen ist ein Mitglied einer der bekanntesten Beamtenfamilien in Schleswig-Holstein bis in die Jetztzeit.
Aus der Feder des Herausgebers der neueren Schlesw.-Holst. Provinzialberichte, des Lensahner Pastors Georg Peter Petersen (1771 – + 31.10.1846 in Neustadt), stammt eine in Altona 1825 im Buch erschienene Würdigung des Vaters: „Erinnerungen aus dem Leben des königl. dän. Justizrathes Peter Matthiessen“.

Im Mittelpunkt seines Lebens steht seine Berufung zum ersten Bürgermeister von Kopenhagen durch die Initiative seines Vorgesetzten Oberpraesident von Kopenhagen und früherer Amtmann von Tondern Ulrich Adolf von Holstein während der Struensee-Aera, die ihn gegen seinen Willen aus seiner Heimat und dem ihm liebgewordenen Beruf als Landvogt auf Föhr riß und die ihm nach Struensees Sturz, obwohl er tatkräftig in den Tagen des Umsturzes, der völlig überraschend kam, an der Befriedung der erregten Volksmassen erstrangigen Anteil hatte, eine Entlassung durch die neuen Machthaber einbrachte und ihn und seine Familie für einige Jahre in finanzielle Not brachte, bis er in Altona als Mitdirektor des kgl. dän. Fischerei- und Handelsinstituts eine neue, ihm gemäße Lebensaufgabe fand.
Die Kinder Peter Matthiessens waren:
1. der Conferenzrath und Amtmann zu Tondern Peter Matthiessen
2. der Amtsverwalter des Amtes Segeberg Hinrich Matthiessen (siehe denselben)
3. eine Tochter Erhardine, die mit dem Amtmann von Cismar Hildebrandt verheiratet war,
4. eine ledige Tochter Christine (1825).
Der Segeberger Amtsverwalter war zu Beginn seiner Segeberger Tätigkeit dem Amtmann Ernst August von Döring unterstellt, vielleicht auch nach dessen Versetzung von 1813 – 1818 interimistisch dessen Vertreter. Ab 1818 bis zu seinem Tode arbeitete er unter dem hinreichend bekannten Amtmann von Segeberg Karl Wilhm. Ludwig von Rosen.

Ude Loewenherz Sommer
geb. 11.02.1781
+ 1852 in Segeberg (Sterbereg. Nr. 72/1852)
Amtsverwalter des Amtes Segeberg von 1836 – 1849

Eltern: Pastor Lauritz Nielsen Sommer (geb. 1738, + 1792) und Margarethe Caspersdotter geb. Hartmann, geb. 1745; Praestholm, Gosmer Harde, Jütland b. Aarhus.
Sommer kam wahrscheinlich erst 1836 als Nachfolger Hinrich Matthiessens im Alter von 55 Jahren mit dem Titel eines Justizrathes nach Segeberg und war verheiratet mit Sophie Dorothea geb. Remien (geb. 1.1.1801) und hatte 5 Kinder, die in den Jahren von 1821 bis 1836 – also nicht in Segeberg – geboren waren.
Über seine Berufstätigkeiten vor 1836 kann leider nicht berichtet werden.
Mit 68 Jahren, also im Pensionsalter, endete seine Amtsverwaltertätigkeit in Segeberg.
1852 leben aus der Ehe Sommer – Hartmann die Witwe und 5 Kinder:
1. Louise Owene oo Dr. Jehsen in Kiel, geb. 12.8.1821
2. Laura Ottilie geb. 17.12.1822
3. Emilie Ernestine geb. 13.8.1824
4. Otto Owe Guldberg 16.9.1828
5. Wilhelmine Henriette Emma geb. 12.6.1836
Der Tod der Ehefrau ist bis zum Jahre 1874 nicht im Sterberegister Segeberg eingetragen.
Wenn Ude L. Sommer 1828 seinem Sohn den Vornamen Owe Guldberg des deutschstämmigen Professors der Ritterakademie Sorø, dessen Lebensaufgabe darin bestanden hatte, den dänischen Einfluß in der Staatsverwaltung zu stärken, gegeben hat, darf man daraus wohl den Schluß ziehen, daß Sommer nicht zu den Männern der „Erhebung 1848″ zu rechnen ist, was nicht verwunderlich ist, denn die Herkunft dieser Pastorenfamilie leitet sich von einem im 17. Jahrhundert in Trondhjeim in Norwegen lebenden Kammerat Hans Marten Sommer ab. Der Vater des Amtsverwalters Sommer hatte seinen Wohnsitz in dem Pastorat Praestholm der Gosmer Kirche, die die „schmuckeste“ Kirche Jütlands sein soll, Gosmer an der Ostküste Jütlands in der Nähe von Odder südlich Aarhus. Wie in Dänemark üblich, ist der Name Loewenherz der zweite Familienname aus der Familie der Mutter des Pastors, ebenfalls einer Pastorenfamilie aus Hersom nordöstlich Viborg.
Es heißt von den Kindern des Amtsverwalters Sommer, sie leben in Deutschland.

Paul Friedrich Werner Hugo Kraus
geb. 4.12.1818 in Flensburg
+ 18.08.1900 in Kiel
Amtsverwalter in Segeberg 1849 – 1852
(?)

Sohn des Polizeimeisters Johann Georg Kraus, Flensburg.
Um die Erhebungszeit ist es rückläufig nicht immer leicht, die Einstellung der Beamten zu beurteilen.

Kraus‘ Einstellung auf Seiten der Erhebung geht jedoch aus dem im 69. Bd. der Zeitschrift für Schleswig-Holsteinische Geschichte (1941) veröffentlichten Briefwechsel unter dem Titel „Briefe aus der Zeit der Befreiung Schleswig-Holsteins 1863/64″ von Justus v. Olshausen hervor, wo Kraus mehrfach zitiert wird. Er stand offensichtlich auf Seiten der Erhebung.

Kraus hatte die Gymnasien in Flensburg und Schleswig besucht, war an der Kieler Universität (jur.) am 30.4.1836 immatrikuliert (Achelis Nr. 9406, S. 562), in München 1838/39, und bestand in Kiel im Jahre 1841 das Juristische Examen.
Er begann seine Laufbahn als Amtssekretär in Husum 1845 – 1848. Dann folgte seine Tätigkeit als Actuar und Amtsverwalter in Segeberg 1849 – 1852.
Ob er in dem Jahrzehnt 1852 – 1862 außer Landes gehen mußte, ist nicht bekannt.
Am 8.4.1862 leistete er in Kiel den Bürgereid mit dem Beruf Ober- und Landesgerichtsadvokat. Ab Herbst 1864 folgt ein Jahr Tätigkeit als Amtmann von Flensburg (also nach dem Krieg 64). Doch kehrt er 1865 als Regierungsrat nach Kiel zurück; und 1869 – 1894 ist er Stadtrat in Kiel. Verheiratet war er mit der Tochter des Kieler Kaufmanns Johann Andreas Ackermann (Bürgereid 19.10.1802), französischer Consul, Sohn des bekannten Etatsrats und Archivators, Professor der Medizin und Physik an der Kieler Universität, Dr. med. Johann Friedrich Ackermann, der in höherem Alter in 3. Ehe 1787 die wohlhabende – wir würden heute sagen – Lebensgefährtin, um das Wort „Maetresse“ zu vermeiden, Caspar von Salderns, Mademoiselle Frederike Amalie Schnepel geheiratet hatte (Franz Gundlach, Nordeibingen V 1 S. 63 – 91, Caspar von Saldern. Seine Herkunft und seine Frauen. Die Familie Schnepel, Jevenstedt, S. 81 – 83).

In den Jahren nach der Erhebung scheint von 1852 – 1855 von der Kopenhagener Regierung kein neuer Amtsverwalter von Segeberg eingesetzt zu sein.
1855 wird als Hebungsbeamter Hans Rehder genannt, der 1862 und 1863 Amtsverwalter des Amtes Segeberg ist, der letzte der Reihe der Amtsverwalter zur Zeit des Gesamtstaates.

Aus dem 19. Jahrhundert bis 1864 sind noch zwei bürgerliche Amtmänner zu nennen:

Eduard Müller
geb. 27.01.1808 in Kiel
Amtmann des Amtes Segeberg 1860
Sohn des Professors der Theologie und Philosophie (ab 1805) in Kiel Heinrich Müller (geb. 25.2.1759, + 9.2.1814), Diakon von St. Nicolai in Kiel 1786, Forstlehrer vom Seminar in Kiel 1790, Dr. phil. 1805.
Eduard Müller, 3.5.1827 an der Kieler Universität (jur. nov) immatrikuliert, frühere Schule Katharineum Lübeck, Vormund Syndicus Jahn, Kiel. 1859 wird Eduard Müller als Actuar der früheren herzogl. plönischen Ämter Plön und Ahrensbök im Hof- und Staatskalender genannt.

Ob in den Jahren 1857 bis 1859 der Actuar Hans Friedrich Jacobsen die Segeberger Amtsgeschäfte als Amtmann führte, ist nicht gesichert.
Für die Jahre 1861 und 1862 wird Adam Friedrich Adamson Graf Moltke als Amtmann genannt, ein jüngerer Bruder des Ministers Graf Carl Moltke. Über diese Zeit erfahren wir durch Christoph von Tiedemann in seinem Buch „Aus sieben Jahrzehnten“ S. 231, S. 238 allerlei Einzelheiten.

H. A. Springer
Etatsrat,
Amtmann von Segeberg 1863/64 – 66 (?)
Nach Arends „Geistlichkeiten in Schleswig-Holstein von der Reformation bis 1864″ ist der Segeberger Propst Johannes Springer, dem die Wiederherstellung des romanischen Erscheinungsbildes der St. Marien-Kirche zu Segeberg zu verdanken ist (1864 – 67 – nach Propst Schwarz, Segeberg), ein Sohn des kgl. dänischen Kirchspielvogtes Hinrich Springer in Kaltenkirchen. Wie dessen Todesurkunde ausweist, hinterließ dieser als 5. Kind einen Sohn Hinrich August. Höchstwahrscheinlich ist dieser identisch mit dem Amtmann H. A. Springer. (Taufreg. 1817, geb. 19.7./T 27.7. Hinrich August.) Über die Bedeutung und Einstellung zur Erhebung des Amtmannes möchte sich der Verfasser kein Urteil anmaßen.
Beide wirkten gleichzeitig in Segeberg.
In einem privaten Briefwechsel des Praesidenten der Weimarischen General-Ablösungskommission, Bernhard Rathgen, der als einer der besten Kenner der holsteinischen Verhältnisse auf preußischer Seite bezeichnet wird, schreibt Rathgen:
„Ich hege gegen niemanden Groll; u. Versöhnung der feindlichen Elemente ist unsere Aufgabe, aber einer, der schändliche Springer, muß fort. Über niemanden sprach auch der Herzog sich so scharf aus als über ihn.“
Ein Urteil aus preußischer Sicht.
Sollte der Amtmann wie der Propst der gleichen holsteinischen Familie abstammen, wäre es nicht abwegig, und schon gar nicht „schändlich“, wenn er einen anderen Standpunkt vertreten hätte, als der preußische Beamte; waren doch schon 1848 die Familien gespalten. Die Söhne des Amtmanns von Rosen kämpften gegeneinander auf beiden Seiten.

Wie lange H. A. Springer als Amtmann im Amt blieb, ist fraglich. Die preußische Regierung ernannte 1866 (nach Königgrätz) durch den Statthalter Frh. v. Gablenz den Holsteiner Kai Lorenz Baron von Brockdorff von Klethkamp (1848 Amtmann von Neumünster, 1860 Amtmann von Cismar) zum Amtmann von Segeberg.

Am 20.4.1868 wurde die Bezeichnung „Amtmann“ in „Landrat“ umgewandelt.

Abschließend läßt sich feststellen, daß in dem Zeitabschnitt von 170 Jahren im Amt Segeberg 19 Amtmänner und 10 Amtsverwalter tätig waren. Von beiden Gruppen waren nur wenige gebürtige Dänen (Sommer, Jütland; Aereboe von 1785 – 1801).

Anmerkung:

Arends: Geystligheden i Slevs. og Holst., Bd. 2, S. 279, Jahrb. Segeberg 1973, S. 51, Ernst Kröger: Die Vögte des Kirchspieles Kaltenkirchen, S. 83 u. 84
Zeitschr. f. Schl.-Holst. Gesch., Jahrb. 69 (1941), Briefe aus der Zeit der Befreiung Schleswig-Holsteins 1863/64 v. Just v. Olshausen

Von einigen deutschklingenden Namen waren die Vorfahren der meisten schon durch mehrere Generationen als Pastoren, Offiziere und Beamte im dänischen Gesamtstaat tätig und hatten dänische Frauen, so z. B. Ude Loewenherz Sommer.
Unter den Amtmännern waren im 18. Jahrhundert zwei Bürgerliche (Tyge Rothe und Andreas Schumacher) und in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts ebenfalls zwei weitere Bürgerliche (Eduard Müller und H. A. Springer).
Unter den Amtmännern war von Rosen (35 Jahre) am längsten im Amt (von 1818 bis 1853), unter den Amtsverwaltern Hinrich Matthiessen 33 Jahre (von 1801 bis 1834).
Für den unter schwierigsten Bedingungen (nordischer Krieg) amtierenden Amtsverwalter Johann Snell lassen sich die Amtsjahre nicht mit Sicherheit angeben, da weder sein Antrittsjahr noch sein Todesdatum bekannt sind, aber für ihn könnten auch 35 Jahre zusammen kommen.

Literatur

1. Amt Segeberg
Hans Jochen Leupelt: Die Verfassung und Verwaltung des Amtes Segeberg und des Fleckens Bramstedt. Dissertation (jur.) Hamburg 1975
Anne Dörte Riecken: Das Amt Segeberg, Innerer Aufbau und Siedlungsgeschichtliche Grundlagen. Dissertation (phil.) Hamburg 1963
Anne Dörte Meyer geb. Riecken: Die Bedeutung der Burg Segeberg für die Verfassungsstruktur des späteren Amtes Segeberg.
Max Fröhlich, Bramstedt: Die Auslegung des Amtes Segeberg im Jahre 1665.
Ernst Kröger, Kisdorf: Das Amt Segeberg im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts (Archiv Bramstedt) Johs. Schröder u. Herrn. Biernatzki: Topographie der Herzogt. Holstein und Lauenburg. 1855. Hans Siemonsen: Segebergs ältere Häuser. 1956. C. H. Wäser, Segeberg. S. 26. Das Amtshaus in der Hamburger Straße, späteres Landratswohnhaus.

2. Personalgeschichte
Nicoline Still; Harald Graf Lüttichen: Die Amtsverwalter Familie Brüggemann. Jahrbuch Segeberg
10/11 1971/72. Thom. Otto Achelis: Vom Leben im Segeberger Amtshaus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
(von Rosen, Amtmann). Carl Johan Pape, Fannerup, Jütland: Die „Heimat“ 69. Jahrg. Nr. 7. S. 185/186. Christian v. Hatten,
Hausvogt v. Segeberg. Hans Staack, Meldorf: Die Ahnen des Segeberger Amtsverwalters Heinrich v. Stemanns. Jahrbuch Segeberg 1966. S. 56.
Ernst Kröger, Kisdorf, Barghof: Die Vögte des Kirchspiel Kaltenkirchen (Kirchspielvogt Springer, Kaltenkirchen).

Kirchenbücher Segeberg
Adam von Krogh: Die Stemann u. ihre Blutsverwandte. Z. f. Schlesw.-Holst. Gesch. 40 Bd. S. 181 – 264.
Otto Fr. Arends: Geystligheden i. Slesvig og Holsten, fra Reformatione til 1864. 1932.
Aage Friis: Die Bernstorffs. 1. Band. Leipzig 1905.
Aage Friis: Die Bernstorffs u. Dänemark. 2. Band. Bernstorffscher Familienverband. 1970, bei A. Hel-lendoorn Bentheim.
Paul von Hedemann, Hesspen: Die Herzogtümer u. die Neuzeit. Andreas Schumacher, S. 498.
Otto Brandt: Caspar von Saldern. W. G. Mühlau. Andreas Schumacher. 1932.
Carl-Heinrich Seebach: Schierensee. Geschichte eines Gutes in Holstein. K. Wachholtz-Verlag, Neu-münster, 1974. Andreas Schumacher, S. 146.
Franz Gundlach, Kiel: Caspar v. Saldern. Seine Herkunft und seine Frauen. Die Familie Schnepel, Jevenstedt. Nordelbingen Bd. 5 I. S. 63 -91.
Walter Stephan: Kosakenwinter auf Emkendorf. Nordelbingen Bd. 15, S. 425.
Christian Degn: Die Schimmelmanns im atlantischen Dreieckshandel. Karl Wachholtz-Verlag 1974. (Anton Friedrich Büsching, Geograph. S. 197)
Christian Degn, Dieter Lohmeier: Staatsdienst u. Menschlichkeit. Kieler Studien zur Deutschen Literaturgeschichte Bd. 14. Karl Wachholtz-Verlag 1980. von Stolberg (Familie). Georg Wilhelm von Söhlenthal, S. 35.
Gräfin Elise von Bernstorff geb. von Dernath: 1789 – 1833 E. S. Mittler u. Sohn 1896.
Schlesw.-Holst. Biographisches Lexikon Bd. 3, S.249: Hinrich Christian Schumacher, Astronom, Altona.
Justus v. Olshausen: Briefe aus der Zeit der Befreiung Schleswig-Holsteins. Z. f. Schlesw.-Holst. Geschichte 1941 (69. Bd.), S. 132 – 290.
Meyers Konversationslexikon von 1887: Anton Friedrich Büsching, Geologe.
Jonathan Smith: Amtsverwalter in Schleswig. LAS.
Steffen, Bordesholm: Meine Adresse ist Bordesholm. S. 56. Ein Brief an Goethe aus Bordesholm.
Jürgen Behrens, Frankfurt a. M.: Friedrich Leopold Graf zu Stolberg. Briefe. Clausewitz, Carl Christian, S. 23/79/131. Tyge Rothe, S. 122, S. 161.
G. P. Petersen, Prediger in Lensahn: Erinnerungen aus dem Leben des kgl. Justizrates Peter Matthies-sen, vormaligen Land-Kirchvogt auf Föhr, erster Bürgermeister in Copenhagen. Altona 1825.

Dänischer Hof- und Staatskalender
Hirsch: Liste dänischer u. norweg. Offiziere
Johann Georg Rist: Lebenserinnerungen. Herausgegeben von G. Poel, Hamburg 1908.
K. R. Storjohann: Person. Hist. Studie über Beamte des Amtes Traventhal 1684-1761, 1761 – 1864.
Jahrbuch Segeberg 1982. S. 31.
Danske Biographie. Lexikon: Bd. 12 1982. Tyge Rothe. Bd. 15 1902. Andreas Schumacher. Danske Personalhist. Tidschrift: Jahrg. 92. 19. S. 47 ff. Rigsarchivet Copenhagen: 24.02.1983, J. 64 – 312. Auskünfte. Lengenich: Stammtavle over familie Aereboe. L. Bobé: Die Deutsche Petri-Gemeinde in Copenhagen (Clausewitz).
Marquard: Danske Gesandter og Gesandtpersonal. Jens Severin Aereboe u. Andreas Schumacher. Ernst Jacobsen, Stuttgart: 100 Jahre Landräte des Kreises Segeberg. Kreisarchiv Segeberg: von 1866/68 – 1983 Jahrbuch Segeberg 1967, S. 23 – 38 S. V. Wiberg: Danske Praesthistorie, 1870.

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Kröger: 1993 – 150 Jahre Kisdorfer Mühle

aus dem Heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg, 1992

Ernst Kröger, Kisdorf-Barghof +

1993: 150 Jahre Kisdorfer Mühle

  Nach einem mündlich geschlossenen Kaufvertrag zwischen dem Vollhufner Görries Stegemann in Kisdorf und dem Erbpachtmüller Georg Andreas Paustian in Kampen übernahm letzterer das Grundstück No. V. H. 300, Litr. N Rüterskamp, genannt „Achtern Sengel“ = 3 Ton 3/16-Scheffel = ca. 2,16 ha in Kisdorf für 160 Rth. am 28.03.1843. Dort erbaute er im gleichen Jahr eine Windmühle und einige Nebengebäude. Seine Windmühle in Kampen war am 15.02.1843 abgebrannt. Paustian verlegte seine Mühle nach Kisdorf, weil seine meisten Kunden in diesem Raum wohnten. Für alle Eingesessenen des Kirchspiels Kaltenkirchen bestand Mühlenzwang zur Kampener Mühle. Erst 1854 wurde der Mühlenzwang aufgehoben. Das gekaufte Grundstück wurde mit der Doppel-Kätnerstelle No. 43 und No. 43a in Kampen unzertrennlich verbunden. Der Kaufvertrag wurde am 16.09.1843 in das Schuld- und Pfandprotokoll eingetragen. Die benachbarten Gehöfte des Vollhufners No. 300 Görries Stegemann und des Vollhufners No. 309 Hartig Schmuck waren 1842 durch ein Großfeuer zerstört worden, wobei 6 Gebäude abbrannten. Deshalb war Stegemann gleich bereit, das oben genannte Grundstück zu verkaufen. Georg Andreas Paustian betrieb die Mühle bis etwa 1850. Im Jahre 1852 überließ er das ganze Mühlengewese am 7.07.1852 seinem Sohn Jakob August Christian Paustian für 65 000 M.C. Der letztere hatte wohl schon um 1850 den praktischen Mühlenbetrieb übernommen.

  Jakob August Christian Paustian kaufte am 29.09.1851 von dem Hufner Jochim Hartmann die 1/8-Hufe No. 330 in Kisdorf für 3 050 M und Altenteil für den Verkäufer und dessen Ehefrau. Die 1/8-Hufe wurde zur Mühlenhufe. Paustian bewirtschaftete die Mühle und die 1/8-Hufe als wirtschaftliche Einheit bis etwa 1858.

  Danach pachtete der Müller Johann Heinrich Sebelin die Mühle und die Mühlenhufe. Sebelin wollte die Mühle kaufen.

Der Verkauf der Kisdorfer Mühle und der Mühlenhufe an den Müller Johann Heinrich Sebelin

  Da auf dem Mühlengewese des Jakob August Chr. Paustian noch ein Canon für den von Blome Heiligenstedter Fideicommiss eingetragen war, sollte der Canon bei Abschreibung der Kisdorfer Mühle als erste Priorität auf ein für den Käufer Sebelin errichtetes Folium in der Segeberger Amtsrechnung eingetragen werden. So entschied am 13.09.1861 das Königliche Holsteinische Obergericht zu Glückstadt –

Unterschriften: Von Schirach, Henrici, Esmarch.

  J. A. Chr. Paustian hat die Kamper Mühle laut Erbpachtkontrakt vom 5.02.1780 von Sr. Excelenz den Herrn Geheimen Conferenzrath Baron von Blome, Erbherr zu Heiligenstedten und dessen Nachfolger in Genuß des vom wail. Herrn Geheimrath Wolf von Blome gestifteten Fideikommiße. Die Katenstelle in Kampen war mit 28 Ton 6 8/16 Scheffel alten Ländereien und 45 Ton 1 2/16 Scheffel Gemeinheitsländereien eingetragen. Der Kaufvertrag wurde 1861 abgeschlossen und am 22.02.1862 in der Kirchspielvogtei Kaltenkirchen protokolliert. Der Preis betrug 16 000 Reichsthaler Reichsmünze und dazu einen jährlichen Canon von 640 Reichsbankthaler. Der Canon wurde als 1. Priorität ins Schuld- und Pfandprotokoll eingetragen. Beim Abschluß des Vertrages bezahlte Sebelin 6.933 1/3 Reichsbankthaler bar. Der Rest von 9.066 2/3 Rbth. wurde als Schuldsumme eingetragen und war mit 4 % zu verzinsen.

  In einem 2. Vertrag am 22.02.1862 kaufte Sebelin von Paustian die 1/8-Hufe No. 330, jetzt Mühlenhufe genannt, für 2.666 2/3 Rbth. 64 ß. Der Käufer bezahlte bar 1.066 2/3 Rbth. 1.600 Rbth. wurden als Schuldsumme mit 4 % Verzinsung eingetragen. Zusätzlich mußte Sebelin das Altenteil für die Witwe Hartmann leisten. Der Kaufpreis für beide Objekte war entschieden zu hoch. Sebelin lieh von verschiedenen Leuten Geld an. Johann Hinrich Sebelin starb 1879. Seine Frau Hedwig, geb. Siewers, führte die Mühle noch bis 1881 weiter. Sie war in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Dann ging die Mühle und die Mühlenhufe an August Paustian zurück, der den Betrieb weiterführte.

Die Gebäude der Mühle im Jahre 1867

Besitzer: Johann Heinrich Sebelin, Müller. Landbesitz = 10 1/2 Ton.

a) Wohnhaus mit geräumigem Hof und 30 Quadratruthen großen Garten. Umfassungswände: Teil Fachwerk mit Ziegel, teils massiv. Dach: Ziegel, baulicher Zustand: mittel. 4 heizbare Stuben, 5 nicht heizbare Kammern, 1 Küche, Keller und Vordiele. Brandkassenwert = 4.130 M, jährlich Nutzungswert 30 M, Steuerstufe 8, Jahressteuer 1 Rth 6 ß.
b) Mühle, Umfassungswände massiv, Dach: Rohr, baulicher Zustand gut, 4 Gänge, Brandkassenwert 18.750 M, Nutzungswert: 60 M, Steuerstufe 13, jährl. Steuer 1 Rth 6 ß.
c) Kate mit kleinem Hof und 20 Quadratruthen großen Garten, Brandkassenwert: 690 M, Umfassungswände: massiv, Dach: Ziegel, baulicher Zustand: Mittel, 2 heizbare Stuben, 2 nicht heizbare Kammern, 2 Küchen, Steuerstufe 4, jährl. Steuer 12 ß, 2 Wohnungen, 1 Wohnung vermietet für 15 M Jahresmiete.
d) Scheune. Umfassungswände: Fachwerk mit Ziegel, Dach: Stroh, baulicher Zustand: Mittel, Brandkassenwert 1.030 M. Raum für 10 Pferde, 5 Kühe, 6 Schweine, 1 Tenne.
e) Backhaus, Umfassungswände: Massiv, Dach: Stroh, baulicher Zustand: Gut, Raum für Backholz und Backofen, Brandkassenwert: 750 M.

Nachdem nun August Paustian das Mühlengewese in Kisdorf wieder übernommen hatte, verkaufte er 1882/83 die Ländereien der 1/8-Hufe No. 330 wie folgt: An den Kätner Dirk Schmuck die Parzelle Gräbenhorst Kartbl. 19, Parz. 31 = 1,48 ha für 650 M, an den Kätner Hans Hamdorf Gräbenhorst Kartbl. 19, Parz. 28 und 29 = 1,66 ha für 600 M, an den 1/3-Hufner Christian Knutsen Halmskamp (Seeg) Kartbl. 4, Parz. 6 = 1,12 ha für 775 M, an den Kätner Christian Wulf Rödiecksbarg und Rödieckswisch, Kartbl. 4, Parz. 35, 36, 37 = 3,56 ha für 2.500 M. Das Hofgrundstück der 1/8 Hufe, Kartbl. 23, Parz. 9 = 0,40 ha verkaufte er an den Arbeiter Jochim Hartmann für 800 M. Damit hatte die 1/8-Hufe No. 330 oder Mühlenhufe aufgehört zu bestehen. So kam Jochim Hartmann wieder in den Besitz seines Vaterhauses. Er ist der Vater von Ernst Hartmann.

Die Mühle unter dem Firmennamen: J. F. Andersen – Kisdorf-Mühle

Am 1.7.1884 verkaufte August Paustian die strohgedeckte Mühle mit den Nebengebäuden an den Müller Johann Friedrich Andersen aus Winsen für 6.000 M und eine jährliche Rente von 1.440 M. 1888 brannte die Mühle durch Blitzeinschlag ab. J. F. Andersen Kisdorf-Mühle, so lautet noch heute der Firmenname.

Die weiteren Besitzer der Kisdorfer Mühle

Vom 1.7.1884 – 1906 Johann Friedrich Andersen
von  1906 – 1910    Ww. Catherina Andersen, geb. Thies
von  1910 – 1934    Emil Andersen
von  1934 – 1943    offene Handelsgesellschaft (Inhaber Emil Andersen und Kurt Andersen)
Der Sohn Kurt Andersen starb 1943 als Hauptmann und Batteriechef in Rußland.
von  1943 – 1945    Emil Andersen
von  1945 – 1954    offene Handelsgesellschaft (Inhaber Emil Andersen, Käthe Andersen, Thomas Andersen)
Am 3.11.1954 starb Emil Andersen. Er hatte Heinz Ewert zum Leiter der Firma bestimmt.
von  1954 – 1961    offene Handelsgesellschaft (Inhaber Käthe Andersen, Thomas Andersen)
von  1961 – 1965    offene Handelsgesellschaft (Inhaber Käthe Andersen, Thomas Andersen, Heinz Ewert)
von  1965 – 1967    Käthe Andersen, Thomas Andersen
Am   4.11.1965 starb der Leiter der Firma, Heinz Ewert.
von  1967 – 1.07.1989 Landwirtschaftliche Handelsgesellschaft KG. Lensahn (LHG KG Lensahn) unter dem alten Firmennamen J. F. Andersen Kisdorf-Mühle (Inhaber Herzog Günter und Herzog Peter von Oldenburg und Käthe Andersen)
vom 1.07.1989 –     Wünsche Landhandel GmbH Im Februar 1992 stirbt Käthe Andersen.

Der Mühlenbetrieb JFA entwickelte sich von kleinsten Anfängen zur größten Landhandelsfirma im Kreise Segeberg.

Von 1947 – 1959 pachtete Emil Andersen die Mönchsmühle in Bad Segeberg. Die Firma erwarb und betrieb nachstehende Filialen: Ochsenzoll, Friedrichsgabe, Hamburg-Berne, Bad Bramstedt, Wakendorf II, Lokschuppen in Wakendorf II. In Segeberg wurden die Rüdersche Mühle, der Betrieb der Firma Kahlke und Melcher und die Getreidefirma Lüken und Sohn übernommen. Zeitweilig waren 100 – 150 Mann in den Betrieben beschäftigt. Am 31.10.1969 brannte der Turm der alten Windmühle ab. Das eichene Gebälk blieb noch nach Ablöschung des Brandes stehen. Die mit dem Turm verbundenen Gebäude wurden abgerissen. Es soll in diesem Beitrag nicht weiter auf das Geschehen der letzten 100 Jahre eingegangen werden. Betriebsleiter auf der Kisdorfer Mühle ist zur Zeit Paul von Horsten, den Segeberger Betrieb führt Erwin Kruse.

Familie Paustian 303 Jahre auf der Mühle bzw. auf dem Mühlenhof in Kampen

Von vor  1649 – 1780 war die Wassermühle im Besitz der Königlichen Regierung
1780 wurde den Erben Hinrich Blomes die Mühle zugesprochen.
1824  ging sie in den Besitz von Georg Andreas Paustian über, ein Canon blieb.
1781 wurde die erste Windmühle erbaut.

Übersicht über die Erbpachtmühlenbesitzer

1659 – 1680    Daniel Wulff
1680 – 1699    Otto Paustian der ältere (eingeheiratet)
1699 – 1705    Ww. Elisabeth Paustian, geb. Wulff
1705 – 1718    Elisabeth Bartels, verwitwete Paustian, geb. Wulff.
Zeitweilig war die Mühle an den Sohn Daniel verpachtet.
1718 – 1727    Otto Paustian der jüngere, Sohn von Elisabeth Bartels 1. Ehe
1728 – 1758    Claus Paustian, älterer Bruder von Otto Paustian
1758 – 1769    Witwe des Claus Paustian und aus 2. Ehe L.M.E. Schröder und Kinder 1. und 2. Ehe gemeinsam
1769 – 1820    Nikolaus Friedrich Paustian (Sohn des Vorigen)
1820 – 1852    Georg Andreas Paustian (Sohn des Vorigen)
1852 – 1881    Jakob August Christian Paustian
1881 – 1920    August Paustian
1920 – 1952    August Detlev Paustian
ab 1952 Günther Paustian, Neffe des Vorigen

Die 1/8-Hufe No. 330, ab 1851 Mühlenhufe genannt, in Kisdorf

Die Hufe stand auf dem südwestlichen Teil des heutigen Hofgeländes von Martin Ahrens an der Sengel. Bis 1644 hatte dort die 1/4-Hufe No. 2 (No. 327) gestanden. Bei der schwedischen Okkupation 1643/44 brannte das Gehöft ab. Der damalige Besitzer Hinrich Biehl siedelte seine Hofstelle nach „Alsen“ an de Loh aus. Am 2.12. 1651 bewilligte das „Ding und Recht“, auch Lotding genannt, daß Karsten Schmuck von dem Gelände dieser Hofstelle einen Bauplatz kaufen durfte. Er errichtete dort ein Haus für seine 1/8-Hufe No. 330.

Die Besitzer der 1/8-Hufe No. 330 waren:

Von 1651 – 1668 Karsten Schmuck
von 1668 – 1671 Jürgen Schmuck
von 1671 – 1673 Hinrich Gülk, Setzwirt
von 1673 – 1697 Hinrich Storjohann, Setzwirt
von 1697 – 1725 Dirk Schmuck
von 1725*- 1747 Hinrich Finnern, Setzwirt
von 1747 – 1775 Hans Schmuck
von 1775 – 1782 Witwe von Hans Schmuck
von 1782 – 1820 Dirk Schmuck, Schulmeister
von 1820 – 1825 Rebecca Schmuck
von 1825 – 1851 Jochim Hartmann
von 1851 – 1882 ist die Stelle die Mühlenhufe

Im Zuge der Verkoppelung im Jahre 1803 erhielt die 1/8-Hufe No. 330 die ehemalige Hofstelle der ausgesiedelten 1/4-Hufe No. 323 (später Marienhof genannt). Die Vollhufe No. 305, Besitzer Marx Hamdorf, Bauernvogt, erhielt das Hofgelände der 1/8-Hufe No. 330. Die Vollhufe No. 305 ist der heutige Hof von Martin Ahrens, Sengel.

Anmerkung:    1 Rth = 1 Reichsthaler = 48 ß = 3.- M
1 Rbth = 1 Reichsbankthaler = 96 ß = 2- M ß = Schilling

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Gleiss: NSDAP und Kirche in Holstein und Segeberg

aus Heimatkundlichem Jahrbuch des Kreises Segeberg, 2001, S. 123 ff

Friedrich Gleiss, Bad Segeberg

NSDAP und Kirche in Holstein und Segeberg

Gottesdienstordnung für die Einführung von Propst Dührkop in Wandsbek durch den DC-Landesbischof Adalbert Paulsen am 5. November 1933

Gottesdienstordnung für die Einführung von Propst Dührkop in Wandsbek durch den DC-Landesbischof Adalbert Paulsen am 5. November 1933

1921 wurde in der damaligen schleswig-holsteinischen Landeskirche eine neue Verfassung vorbereitet, die 1922 in Kraft trat. Für die Wahlen zur Landes-Synode bildeten sich Fraktionen und Listen, so die antisemitische Liste von Hauptpastor Friedrich Andersen, Flensburg. Er war auch Mitgründer des „Bundes für Deutschkirche“, der den späteren „Deutschen Christen“ (D.C.) nahestand. Die Sonntagsblätter dieser Jahre aus Breklum und Rickling verstanden unter christlicher Weltanschauung „im wesentlichen antidemokratische und antisemitisch versetzte politische Handlungsanleitungen und Wahlempfehlungen“ (Kirchengesch.  6/1, S. 68). Auch Otto Dibelius, später Berliner Bischof, blies in dieses Horn. Und 1924 erkannte das Kieler Landeskirchenamt unter dem Präsidenten von Heintze den „Wert aller Bestrebungen, die darauf hinzielen, das eigene Volkstum vor zersetzendem jüdischen Einfluß zu bewahren“ (Kirchengeschichte 6/1, S. 70). Auch der Holsteiner Bischof Mordhorst stimmte dem zu.

Diese wenigen Hinweise zeigen, daß zwischen 1919 und 1933 in der norddeutschen evangelischen Landeskirche äußerst günstige Voraussetzungen für Hitlers judenfeindliche Politik gegeben waren. Dies sollen die folgenden Darstellungen veranschaulichen. Die fünfzehn Jahre vom Ersten Weltkrieg bis zu Hitler mündeten in der sogenannten braunen Synode vom 12. September 1933, so bezeichnet, weil die meisten Synodalen in Braunhemden kamen (Kirchengeschichte 6/1, S. 149-158). 92 Prozent gehörten zu den deutschen Christen! Und schon 1932 stimmten über fünfzig Prozent der zu 92 Prozent ev. Wähler im Land für die NSDAP (Peter Heinacher, Die Anfänge des Nationalsozialismus  im Kreis  Segeberg,  Bad Bramstedt 1976, S. 13). Segeberg wählte lange vor 1933 die NSDAP mit klaren Mehrheiten. Führende Pastoren der Landeskirche waren frühe Parteigenossen (Pg): P. Bender, Schönwalde; P. Peperkorn, Viöl; Hauptpastor Andersen, Flensburg; P. Dührkop, Altona. Er und Bender wurden nach 1933 Pröpste. Dührkop ist am 5. November 1933 im damals holsteinischen Wandsbek vom DC-Landesbischof Adalbert Paulsen eingeführt worden. (Astrid Louven, Die Juden in Wandsbek, Hamburg 1989, S. 182). Daran nahmen 300 Amtsträger der NSDAP in Uniform teil, wie Pastor und Konsistorialrat Nikolaus Christiansen voll Stolz hervorhob (Ki.Gesch. S. 163). Aber Dührkop „verlor immer mehr an Achtung unter seinen Pastoren und Propsteiangehörigen“ (das. S. 183).

Emmy, Ingeborg, Heino, Ruth, Bernhard Bothmann

Emmy, Ingeborg, Heino, Ruth, Bernhard Bothmann

Dennoch war er die treibende Kraft bei der Amtsenthebung von P. Bernhard Bothmann, Wandsbek (das. S. 338). Dieser wurde entfernt, weil er „mit einer Volljüdin verheiratet sei“ (das. S. 183). Das Kieler Landeskirchenamt nannte sie „waschechte Jüdin“ (Louven S. 186). Bothmann wurde am 13. März 1939 in den einstweiligen Ruhestand versetzt (Ki. Gesch. S. 184). Er mußte Wandsbek verlassen. Als seine Frau 1940 einen Sohn gebar, wurde sie von staatswegen „zur ledigen Mutter“ gemacht (das. S. 185). Die Entwürdigung nahm kein Ende. Im Beisein seiner Frau, die kein Wort reden durfte, wurde der Pastor im Februar 1943 zur Gestapo in der Hamburger Rothenbaumchaussee vorgeladen und verhört: „Wie er sich als Deutscher und als deutscher Soldat so weit vergessen könnte, mit einer Nichtarierin zusammenzuleben… Sie bekäme ja schon wieder ein Kind“ (Louven S. 186f).

Propst Ernst Szymanowski alias Biberstein

Propst Ernst Szymanowski alias Biberstein

Er mußte seine eheliche Wohnung verlassen, Ingeborg Bothmann lebte allein mit ihren drei Kindern. Sie wurde im Februar 1945 verhaftet. Delikt: Jüdin. Bernhard Bothmann starb 1952 im Alter von nur 66 Jahren.  Ein zweiter ähnlicher Fall betraf P. Walter Auerbach in Altenkrempe (Ki. Gesch. S. 156); ein dritter den „Halbjuden“ P. Fritz Leiser, Brokdorf (das. S. 354f, 358, 409). Die Absetzung von Pastoren und Pröpsten sowie die Beförderung von Parteigenossen gehörte zum Alltag im Dritten Reich. Zugleich wurden damit die neu eingesetzten pastoralen Parteianhänger in ihrem kirchlichen Wirkungskreis die Bestimmenden. Mehrere Personen waren bei dieser Kirchenpolitik die treibenden Kräfte: P. Johannes Peperkorn, anfangs in der Gemeinde Viöl, bald darauf NSDAP-Kreisleiter von Südtondern; Herbert Bührke, Präsident des Landeskirchenamtes Kiel; dessen Vorgänger Traugott Freiherr von Heintze, von dessen Erlassen schon berichtete wurde; nicht zuletzt der Bührke folgende LKA-Präsident bis 1943, Dr. Christian Kinder, von 1933 bis 1935 Reichsleiter der „Deutschen Christen“ (DC). Eines der ersten Opfer war schon im Oktober 1933 Propst Robert Rotermund in Segeberg. Sein Nachfolger wurde auf Betreiben des Kreisleiters der NSDAP Werner Stiehr der Alt-Pg und Kaltenkirchener Pastor Ernst Szymanowski alias Biberstein, ein besonders makabrer Mann. Er war 1899 geborenund starb in einem Altersheim in Neumünster Mitte der 80er Jahre. Bei seiner Einführung in Segeberg versuchte er, aus dem Neuen Testament den Antisemitismus zu begründen.

Er wurde hier mit 34 Jahren Propst, aber schon ein Jahr später von Reichsbischof Ludwig Müller nach Berlin berufen. Dadurch entging er einem landeskirchlichen Disziplinarverfahren wegen einer deutschkirchlichen Konfirmation in Itzehoe am 14. April 1935. Er trat in die SS ein und wurde schon 1937 SS-Obersturmbannführer. Im selben Jahr trat er aus der Kirche aus, was in der SS selbstverständlich war. 1941 organisierte Szymanowski in Oppeln die Deportation der Juden. Im Juni 1942 nach dem Überfall Deutschlands auf Rußland wurde er Kommandeur der Einsatzgruppe C, die hinter der vormarschierenden Wehrmacht tausende von Juden, Sinti, Roma u.a. zusammentrieb, erschoß und in Massengräbern verscharrte. Er hätte bei der Tötung aus humanitären Gründen, wie er sie verstand, Gas vorgezogen, weil die Gesichter der Ermordeten nicht so entstellt gewesen wären. Am 8. April 1948 wurde er in Nürnberg zum Tod durch Erhängen verurteilt, 1951 zu lebenslang begnadigt, 1958 von seinem SS-Kameraden Propst Richard Steffen, Neumünster aus dem Gefängnis geholt.

Eine Seite aus Ludwig Müller: Deutsche Gottesworte, Weimar 1936

Eine Seite aus Ludwig Müller: Deutsche Gottesworte, Weimar 1936

Aus der Propstei Segeberg ist weiter zu erwähnen P. Max Ehmsen, Todesfelde, geboren 1905 in Pinneberg. Seine handschrift- lichen Eintragungen auf fünfzehn Seiten der Todesfelder Gemeindechronik für 1931 bis 1934, die vorliegen, sind höchst aufschlußreich. Seine aktive Rolle in der NSDAP hat er verschleiert. Er läßt unerwähnt, welcher Art sein „Amt in der Gauleitung“ war: Schulungsleiter für die Nordmark, für ganz Schleswig-Holstein. In dieser Eigenschaft reiste der blutjunge Pastor in viele Propsteien, um, wie er schreibt, „mitzuarbeiten am kirchlichen Neubau“, wie er ihn verstand, nämlich: die Kirche „in den Dienst der Bewegung“ zu stellen. Er pries die „göttliche Sendung des NS-Staates“. In seiner Gemeinde bedeutete das für ihn, den „Vaterländischen Frauenverein“ in die NS-Frauenschaft und seine ev. Jugend in die HJ und den BdM einzugliedern. Für die letztgenannte Aufgabe wurde Ehmsen auf Landesebene am 4.1.1934 von Reichsjugendpfarrer Zahn, am 9.4.1934 als Nachfolger des von den Nationalsozialisten abgesetzten Wolfgang Prehn (nach dem Krieg Propst in Husum und später Vorsteher des „Rauhen Hauses“ in Hamburg) zum Landesjugendpfarrer berufen. Er blieb das nur bis 1937 – Jugendpfarrer ohne Jugend, das ging nicht mehr. Danach wechselte er nach Flintbek bei Kiel. Er schrieb in der Chronik: um „allen zu dienen, war ihm von der Gemeinde her Zurückhaltung geboten“, „die Haltung wurde von der Gemeinde verstanden und nur durch Vertrauen beantwortet“ – das waren unwahre Phrasen. Er schob diese Grenze rigoros beiseite. In den Predigten brennende Zeitfragen zu behandeln, hieß für ihn, zu versichern: „Hitler und der NS-Staat können helfen“. Er sprach als Gauschulungsleiter auch vor dem Segeberger Pfarrkonvent und der Propstei-Synode (1932).

Martin Redeker, Prof. D. Dr. (den Ehrendoktor erhielt er im Dritten Reich), Ordinarius für Systematische Theologie in Kiel, war ein Mitarbeiter des „Instituts für die Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das kirchliche Leben“ in Jena, von Walter Grundmann gegründet und geleitet. Redeker lieferte auf Anfordern theologische Ausarbeitungen. Das Institut brachte im Zweiten Weltkrieg ein „entjudentes“ Neues Testament ohne Joh. Evangelium und Hebräerbrief heraus. Es war übersetzt von Lulu von Strauß und Torney, die aber nicht genannt werden wollte. Es wurde in einer Auflage von 50.000 gedruckt und an deutsche Frontsoldaten verschenkt. Dann gab Grundmann ein „gereinigtes“ Gesangbuch heraus; Zion, Jerusalem, Israel, Jakob, Joseph usw. kamen in dieser Sammlung nicht mehr vor. 1945 wurde Redeker amtsenthoben, klagte dagegen und wurde bald wieder in Amt und Würden eingesetzt. Um seinen ramponierten Ruf vergessen zu machen, setzte er sich ab 1949 intensiv und möglichst öffentlich für die Gründung des „Theologischen Studienhauses Kieler Kloster“ ein.

Für die durch Pastor Ehmsen vollzogene Eingliederung der Ev. Jugend in HJ und BdM wurde am 19. Dezember 1933 ein sogenanntes Abkommen zwischen Reichsbischof Ludwig Müller (der nie gewählt worden war) und Reichsjugendführer Baldur von Schirach geschlossen. Es hieß darin, daß die ev. Jugend weiterhin Ferienlager u .a. durchführen könne, wenn bei Geländespielen ein HJ-Führer das Kommando hätte. Das Abkommen (Ki.Gesch. S 176f) war ein glatter Betrug: es gab ab 1935 kein einziges kirchliches Lager mehr, und von Schirach verbot schon Ende Juli 1933 die gleichzeitige Mitgliedschaft in HJ/BdM und Gruppen der Kirche. Es gab in Wahrheit nur noch eine staatliche Organisation für junge Menschen beider Geschlechter.

Aus den Richtlinien der Deutschen Christen vom Mai 1932:

Wir kämpfen für einen Zusammen- schluß zu einer Evangelischen Reichskirche. Wir stehen auf dem Boden des positiven Christentums. Wir bekennen uns zu einem bejahenden artgemäßen Christus-Glauben, wie er deutschem Luther-Geist und heldischer Frömmigkeit entspricht. Wir sehen in Rasse, Volkstum und Nation Gottes Gesetz. Daher ist der Rassenvermischung entgegenzutreten. Bloßes Mitleid verweichlicht ein Volk. Wir fordern Schutz des Volkes vor den Untüchtigen und Minderwertigen. In der Judenmission sehen wir eine schwere Gefahr für unser Volkstum. Sie ist das Eingangstor fremden Blutes in unseren Volkskörper. Wir lehnen Judenmission ab, solange die Juden das Staatsbürgerrecht besitzen und damit die Gefahr der Rassenverschleierung und -bastardierung besteht.
Eheschließung zwischen Deutschen und Juden ist zu verbieten.

Einige weitere Pastoren der 30er Jahre in Segeberg sind hier erwähnenswert. P. Kurt Lucht kämpfte im Herbst 1936 gegen die „antikirchliche und antichristliche Agitation“ in Bad Segeberg, die von Kreisleiter Werner Stiehr ausging, von dem noch die Rede sein wird (Ki. Gesch. S. 182). Dem lag u.a. eine Anordnung der obersten SA -Führung vom 1. Juli 1935 zugrunde, während der sonntäglichen Kirchzeit   „kulturelle   Dienstgestaltungihrer Formationen“ durchzuführen (Ki. Gesch. S. 320). Das war „positives Christentum“ und NS-Kultur-Verständnis. Neben P. Lucht (1936/37) gehörte P. Dr. Fritz Seefeldt (1933-38) zu den Bekenntnistreuen. Ein hektisches Kommen und Gehen der Seelsorger kennzeichnete die 30er Jahre in Segeberg: Dr. theol. Georg Faust (1931-33), Werner Rabe (1938/39), Karl Kobold (1933/34). Nur der NS-Anhänger P. Bruno Heß blieb von 1933 bis Kriegsende hier, neben ihm nur noch P. Carl Friedrich Jaeger, der mit dem Regime sympathisierte (1955 wurde er auf eigenes Betreiben Propst in Segeberg).

Die Personalpolitik der NSDAP, genauer: ihre Kirchenpolitik im Land nördlich der Elbe war rigoros und brutal. Konsistorialrat und Pastor Nikolaus Christiansen aus Kiel, Parteigänger der Nazis, wurde 1930 Leiter der Ricklinger Anstalten des Landesvereins für Innere Mission seit dem 18.4 .1920 von Dr. theol. P. Friedrich Gleiss, Neumünster geleitet. P. Hermann Grimm, Neumünster wurde zwangsversetzt in eine lauenburgische Landgemeinde (Ki. Gesch. S. 162). Von vielen weiteren Amtsenthebungen durch die NS-gesteuerte Landeskirche nenne ich die wichtigsten: Propst Hermann Siemonsen, Flensburg, ist allerdings nach seiner Absetzung im Jahr ’33 schon 1935 zum Propst in Schleswig ernannt worden (das. S. 161), P. Hans Asmussen, nach dem Krieg Propst in Kiel sowie P. Wilhelm Knuth, beide Altona, wurden 1933 suspendiert und zwangsweise pensioniert. Auch P. Wilhelm Halfmann, Flensburg, späterer Bischof für Holstein, wurde 1934 Opfer dieser Säuberungen.  In fünfzig von hundert holsteinischen Kirchengemeinden wollten die „braunen“ Kirchenvorstände ihren Pastor „verjagen“ (das. S. 163). Es wären hier noch viele andere Namen zu nennen.

Nach dem schnellen Abgang des NSDAP-Propsten Szymanowski hieltLandesbischof Adalbert Paulsen am 17. Dezember 1934 einen Vortrag in Segeberg, bei dem er auf Betreiben von P. Peperkorn durch SA-Trupps gestört wurde. Er konnte den Saal nur über eine Hintertür unter Polizeischutz verlassen (das. S. 204). Noch einmal kam Paulsen am 21. August 1935 zum Pfarrkonvent nach Segeberg (das. S. 210, 220,230-33). Es ging dabei vor allem um den Austritt von 34 Vikaren der BK (Bekennende Kirche) aus dem Preetzer Predigerseminar. Während der Amtszeit von Propst Szymanowski und offenbar auch zu dessen Unterstützung sprach Gauleiter Hinrich Lohse am 14. Januar 1934 hier (Segeberger Kreis- und Tageblatt vom 15. Januar 1934). Der Nazi-Propst und spätere Massenmörder fand hier keine Anerkennung.

Nun müssen die Segeberger Amtsträger der NSDAP, ihre Bedeutung für Juden und Christen sowie die wichtigsten Kombattanten erwähnt werden. Ortsgruppenleiter war von 1930 bis 1936, also in den entscheidenden Jahren, Otto Gubitz. Er war kein Scharfmacher, aber er befolgte dennoch alle Weisungen seiner Führung. Dazu gehörten nach dem 30. Januar 1933 laufende Boykotte jüdischer Geschäfte und Betriebe durch SA-Posten, Schmierereien an Schaufenstern und Häusern, Hetzartikel in der Tagespresse. Das erste Opfer war der getaufte Jude, Rechtsanwalt und Notar Emil Waldemar Selig, Klosterkamp 6. Er hatte von vier vorhandenen die größte Praxis in Segeberg. Im Mai 1934 drehte er den Gashahn auf. Sein weißer Grabstein steht auf dem zweiten christlichen Friedhof. Weitere Opfer der Judenverfolgung unter Gubitz waren die Pensionen Klara bzw. Sally Baruch und Sally Goldschmidt, Kurhausstr. 31 und 53; Kaufhaus Adolf Levy, Kurhausstr. 9; Rieke Levin und Cilly Heilbronn, Kurzwaren, Hamburger Str. 35 und 9; Lede Meier, Herren Konfektion, Hamburger Str. 5; Leo Levy, Häute und Felle, Hamburger Str.  15; Moritz Steinhof, Klein- und Landhandel, Putzmacherei, Lübecker Str. 12. Das Kaufhaus Leo Baruch, Kirchstr. 1-3 hielt durch bis zur Reichspogromnacht 1938. Neun Betriebe wichen dem Druck der Judenfeinde und der Partei bis 1938 aus.

Kreisleiter Werner Stiehr

Kreisleiter Werner Stiehr

Militante Schützenhilfe bekam Gubitz vom Kreisleiter Werner Stiehr, der ein scharfer Hetzer gegen die Kirche war, obgleich früher selbst Propstei- und Landes-Synodaler, sowie Vorstands -Mitglied im Landesverein für Innere Mission. Er holte, wie schon berichtet, den Pastor und Pg Ernst Szymanowski als Propst nach Segeberg. Und er setzte die erwähnte Weisung seiner SA-Führung, zur Kirchzeit sogenannte kulturelle Veranstaltungen durchzuführen, konsequent um, z.B. durch eine Feier auf dem Marktplatz vor der St. Marien-Kirche zur Übernahme der 14jährigen Pimpfe in die HJ, kräftig von Blasmusik unterstützt. Er hatte verstanden, was er sollte: die gläubigen Kirchgänger stören. Ich erinnere mich gut an diese Trompeter-Kapelle, die immer dann einsetzte, wenn im Gottesdienst ein neuer Choral intoniert oder liturgische Stücke gesungen wurden. In Wahrheit war diese Feier keine Kulturveranstaltung, sondern eine Jugendweihe, durch die Konfirmationen ersetzt werden sollten.

Anzeige von Kaufhaus Leo Baruch, Kirchstr. 1-3 (Juli 1933 bereits Horst- Wesselstr.)

Anzeige von Kaufhaus Leo Baruch, Kirchstr. 1-3 (Juli 1933 bereits Horst- Wesselstr.)

Stiehr und Gubitz erreichten die Flucht aller jüdischen Bürger bis 1939, mit einer einzigen Ausnahme: Jean Labowsky hat als einziger Jude in Segeberg den Krieg und die NS-Verfolgung überlebt. Er war ein Klassenkamerad von Werner Stiehr. Das ist aber keine Ehrenrettung dieses Fanatikers, im Gegenteil: alle übrigen Juden sind in gemeinster Weise verfolgt worden, darauf hatte Jean bei seinem Klassenkameraden keinen Einfluß. Er wurde hier „Kreis-Stierleiter“ genannt. Beide Parteibosse wurden von anderen unterstützt, z.B. von Studienrat Dr. Franz Eichstädt oder Gustav Sach, weiter von Studienrat Dr. Rudolf gen. „Noske“ König, der oft in Uniform in die Schule kam. Oder vom Bürgermeister Koch. Es ist hier nicht der Ort, die Wirksamkeit dieser Parteigenossen im einzelnen darzustellen. Ich möchte aber zeigen, daß die Landeskirche und meine Vaterstadt kein Hort gegen die judenfeindliche Politik des Dritten Reiches war, und Segeberg keine Insel der Seligen.

Urkunde Frederiks VI. vom 14. März 1780:... dem Bekenner der Mosaischen Religion Moses Moses unterm 14. März erteilte Emission, wodurch es ihm gestattet wird, sich in dem zum Amte Segeberg gehörigen Anteil Gieschenhagen niederlassen zu dürfen. (Moses Moses war der Gründer des Jüd. Friedhofes 1791/92)

Urkunde Frederiks VI. vom 14. März 1780:… dem Bekenner der Mosaischen Religion Moses Moses unterm 14. März erteilte Emission, wodurch es ihm gestattet wird, sich in dem zum Amte Segeberg gehörigen Anteil Gieschenhagen niederlassen zu dürfen. (Moses Moses war der Gründer des Jüd. Friedhofes 1791/92)

Persönliche Schlußbemerkung: Jeder junge oder ältere Leser kann überprüfen, ob die vorstehenden Ausführungen stimmen: in der einschlägigen Literatur, in Jahrbüchern, Protokollen, Zeitungsberichten usw. usw. Eines habe ich den heute unter 70jährigen ungewollt voraus: die meisten namentlich genannten Akteure-Pastoren, Pröpste, Bischöfe, NS-Führer, Lehrer – habe ich nicht nur in Büchern, Dokumenten und Bibliotheken theoretisch studiert, sondern persönlich gekannt und erlebt. Der vorstehende Beitrag basiert primär auf Band 6/1 der Schleswig -Holsteinischen Kirchengeschichte, erschienen bei Wachholtz / Neumümster 1988, Andere Quellen sind im Text genannt.

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March: Die Kapitulation von 1945 in regionalgeschichtlicher Sicht

aus dem Heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg, 1995, S. 87 ff

Dr. Ulrich March, Bad Bramstedt

Die Kapitulation von 1945 in regionalgeschichtlicher Sicht

  Nordwestdeutschland im allgemeinen und Schleswig-Holstein im besonderen sind – historisch betrachtet – Regionen der Freiheit. Politische Knechtschaft, Willkürherrschaft oder Despotismus hat es hierzulande, sieht man von der Zeit zwischen 1933 und 1945 ab, nie gegeben. Schon in der germanischen Frühzeit herrschen freiheitliche Verfassungsverhältnisse. Das gleiche gilt für den frühmittelalterlichen sächsischen Stammesstaat, der die älteste Repräsentativverfassung Europas entwickelt (Versammlung von Delegierten aller Gaue in Markloh/ Weser). Im Hochmittelalter kommt es dann zwar zur Herausbildung von Landesherrschaft und Lehnsadel, und im Bereich der Grund- und späteren Gutsherrschaften hat es in der Folgezeit auch Unfreiheit und Unterdrückung gegeben. Dies gilt jedoch nicht für die eigentlich politische Ebene. Hier stehen vielmehr der meist schwachen Landesherrschaft ein starker Adel und eine selbstbewußte Bauernschaft gegenüber, die freiheitssichernde Funktion der Stände ist offenkundig. Außerdem werden republikanische Traditionen fortgesetzt, etwa in der Bauernrepublik Dithmarschen oder in der Freien Reichsstadt Lübeck. Selbst im Zeitalter des Absolutismus, als sich in fast ganz Europa alle politischen Befugnisse vom jeweiligen Herrscher herleiten, kann die fürstliche Allmacht auf lokaler Ebene nicht durchgesetzt werden.
An diese älteren Traditionen knüpft dann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Schleswig-Holsteinische Bewegung an, deren politisches Ziel ein freies Schleswig-Holstein in einem freien, einigen Deutschland ist. Nach der Erhebung der Herzogtümer im Jahre 1848 wird eine hochmoderne, die Freiheitsrechte des einzelnen sichernde Verfassung in Kraft gesetzt. Mit der Einverleibung in Preußen am 1.1.1867 wird zwar das Ziel der Eigenstaatlichkeit verfehlt, jedoch treten die Schleswig-Holsteiner nun in einen Staatsverband ein, der sich seit der Zeit Friedrichs des Großen zu einem Rechtsstaat entwickelt hat und in dem die Stein-Hardenbergschen Reformen vom Beginn des Jahrhunderts tiefe Spuren hinterlassen haben. So können die Schleswig-Holsteiner beispielsweise bei der kommunalen Selbstverwaltung ohne weiteres an die ältere Zeit anknüpfen; das Rechtsbewußtsein der Zeit ist feiner entwickelt als etwa im 20. Jahrhundert.

  Erst mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 bricht hierzulande eine mindestens 2000 Jahre alte freiheitliche Verfassungsentwicklung ab, auch wenn viele Schleswig-Holsteiner dies damals zunächst so nicht gesehen haben. Eine regionalgeschichtliche Besinnung auf den 8. Mai 1945 ist also schon deswegen geboten, weil an diesem Tag ein Gewaltregime zusammenbricht, das für die gesamte schleswig-holsteinische Geschichte völlig untypisch ist.
Ein weiterer Grund, das Ende des Zweiten Weltkriegs auch unter regionalgeschichtlicher Perspektive zu betrachten, ist der Umstand, daß sich damals hohe und höchste Personen und Dienststellen des zusammenbrechenden Dritten Reiches, politische wie militärische,  in  Schleswig-Holstein befinden.  Höchst bedeutsam ist ferner in diesem Zusammenhang, daß Schleswig-Holstein und der Großraum Lübeck gegen Kriegsende im strategischen Kalkül von nicht weniger als drei kriegführenden Parteien, nämlich in der Konzeption von Stalin, Churchill und Dönitz, geradezu den Charakter einer Schlüsselregion haben.

  Mit dem Angriff der Roten Armee auf Berlin, dem Durchbruch der Amerikaner nach Mitteldeutschland und dem schnellen Vormarsch der Briten in Nordwestdeutschland tritt der Zweite Weltkrieg im April 1945 in seine letzte Phase. Nach dem Zusammentreffen der Russen und der Amerikaner bei Torgau an der Elbe zerfällt das noch von der Wehrmacht gehaltene Gebiet in einen Südraum (Teile Süddeutschlands, Ostalpen, Böhmen) und einen Nordraum, der das nördliche Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg, ferner das westliche Holland, Dänemark und Norwegen umfaßt. Militärischer Oberbefehlshaber im Nordbereich wird mit Wirkung vom 20. April der langjährige Chef der deutschen U-Boot-Flotte, Großadmiral Karl Dönitz.
Ganz Schleswig-Holstein hofft damals, daß die Briten schneller sein würden als die Rote Armee, die aber gerade in diesen Tagen dank neu herangeführter Kräfte in Vorpommern beträchtliche Geländegewinne erzielt, unübersehbare Massen von Flüchtlingen vor sich her treibend. Dönitz ist entschlossen, die Elbelinie zu verteidigen, um den Flüchtlingsströmen den Zugang nach Schleswig-Holstein offenzuhalten und auf diese Weise möglichst viele Menschen vor dem Zugriff der Sowjets zu bewahren. Er möchte eine Besetzung Schleswig-Holsteins durch die Briten auch deswegen vermeiden, weil in jenen Wochen zahllose ostdeutsche Flüchtlinge – insgesamt etwa 2,4 Millionen – über die Ostsee nach Westen fliehen und die zum Transport eingesetzten Schiffe angesichts des Vorrückens der Roten Armee in zunehmenden Maße schleswig-holsteinische und dänische Häfen ansteuern.
Die britische Strategie zielt demgegenüber auf einen schnellen Vorstoß an die Lübecker Bucht ab, weil der britische Premierminister Churchill sich große Sorgen macht, daß sonst die Sowjets in Schleswig-Holstein eindringen und von da aus vielleicht sogar nach Skandinavien vorstoßen könnten. Der Oberbefehlshaber der britischen Truppen, Montgomery, erhält deswegen Befehl, nach dem Rheinübergang bei Wesel mit dem Kern seiner Truppen, der 21. Armeegruppe, zunächst auf Lüneburg vorzustoßen. Dabei wird – auch wegen des unerwartet heftigen Widerstandes im Großraum Bremen – zunächst in Kauf genommen, daß die Nordseeküste weiterhin in deutscher Hand bleibt. Von Lüneburg aus sollen die britischen Truppen über die Elbe vorstoßen und bei Lübeck die Ostsee erreichen, um so den Sowjets den Weg nach Schleswig-Holstein abzuschneiden. Dieses Unternehmen muß jedoch nach dem wochenlangen Vormarsch in technischer und personeller Hinsicht vorbereitet werden, so daß in Nordwestdeutschland im letzten Drittel des Monats April eine Kampfpause eintritt.
Am 22. April trifft Dönitz in seinem Hauptquartier ein, einer Baracke am Suhrer See bei Plön, auf dem Gelände der heutigen Fünf-Seen-Kaserne. Dort ist in der Schlußphase des Krieges die Seekriegsleitung stationiert, so daß die erforderlichen Nachrichtenverbindungen vorhanden sind. Zugleich verläßt fast die gesamte Reichsregierung das vor der Einschließung stehende Berlin und versammelt sich im Eutiner Landratsamt, wo sie sich bis zum Kriegsende völlig passiv verhält.
Um die Verteidigungsvorbereitungen zu koordinieren, beruft Dönitz für den 23. Mai [Datum ?]  eine Konferenz mit den Gauleitern von Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg ein. Der Hamburger Gauleiter Kaufmann erscheint jedoch nicht, weil er im Einvernehmen mit dem Kampfkommandanten der Stadt, Generalmajor Wolz, damals bereits Verbindung mit den Briten aufgenommen hat in der Absicht, Hamburg kampflos zu übergeben und eine Sprengung der Eibbrücken zu verhindern.
Schleswig-Holstein soll entlang der Linie Elmshorn – Barmstedt – Alveslohe – Ahrensburg – Geesthacht – Boizenburg verteidigt werden. Damit nutzt man zwar die sich bietenden Geländevorteile (Krückau-Niederung, Sachsenwald, Elbsteilufer bei Geesthacht), doch ist die Verteidigungsstellung nur unzulänglich befestigt. An den folgenden Tagen werden daher in aller Eile Minengürtel, Stacheldrahtverhaue, MG-Nester und Laufgräben angelegt; ferner werden große Mengen von Munition, deren Reste teilweise erst in den siebziger Jahren geräumt werden, herbeigeschafft.
Für die Verteidigung dieser Stellung stehen deutscherseits nur völlig unzulängliche Streitkräfte zur Verfügung, die ihrem britischen Gegner in quantitativer und qualitativer Hinsicht weit unterlegen sind. Oberbefehlshaber ist der Chef der Heeresgruppe Nordwest, Feldmarschall Busch, der seinen Gefechtsstand in Wentorf bei Reinbek hat. Ihm unterstehen Reste der 25. Armee und der 1. Fallschirm-Armee sowie die erst wenige Wochen zuvor gebildete Armee Blumentritt (Gefechtsstand Hitzhusen) und das ihr zugeordnete Korps Witthöft (Gefechtsstand Bokeler Mühle). Insgesamt stehen sieben Divisionen — genauer gesagt: die Reste davon – zur Verfügung, die durch nur sehr bedingt kampffähige Verbände ergänzt werden (zum Erdkampf herangezogene Marine- und Luftwaffeneinheiten, Reichsarbeitsdienst- und Polizeiverbände, Volkssturm-Einheiten etwa im Bereich Krempe, Barmstedt und Mölln).

  Vom 24. April an fliegt die Royal Air Force zur Vorbereitung des britischen Vorstoßes nach Schleswig-Holstein Luftangriffe auf die deutschen Stellungen bzw. deren Hinterland mit dem vorrangigen Ziel, die Eisenbahnverbindungen zu zerstören. Zunächst greifen 110 Lancaster-Bomber die Stadt Oldesloe an, die auf Luftabwehr nicht vorbereitet ist; 700 Tote sind zu beklagen. In den folgenden Tagen werden dann Elmshorn, Barmstedt, Büchen und – zum wiederholten Male – Kiel bombardiert. Auch der Angriff auf die durch Flüchtlinge und Wehrmachtseinheiten völlig verstopfte Reichsstraße 76 zwischen Plön und Eutin sowie die Versenkung der „Kap Arcona“, auf der sich 7000 KZ-Häftlinge befinden, sind in diesem Zusammenhang zu sehen.
Am 27. April begibt sich Dönitz nach Rheinsberg, um sich ein Bild von der Lage an der deutsch-russischen Front zu machen, die bedrohlich näher rückt. Er wählt dieses Ziel sicherlich auch, um Abschied zu nehmen von einer versinkenden Welt, deren Traditionen er sich verpflichtet fühlt. Auf der Rückreise trifft er in Lübeck den Reichsführer-SS Heinrich Himmler, der ihm aber nicht von seinen Kontakten mit dem Vizepräsidenten des Schwedischen Roten Kreuzes, Graf Folke Bernadotte, berichtet, mit dessen Hilfe er eine Teilkapitulation an der Westfront erreichen möchte.
Mittlerweile drängt Churchill, der einen baldigen Zusammenbruch der vor-pommerschen Front erwartet, Montgomery dazu, sobald wie möglich die Elbe zu überschreiten. Am 29. April, kurz nach Mitternacht, eröffnen die britischen Batterien ein verheerendes Dauerfeuer auf die deutschen Stellungen bei Lauenburg. Im Schutz dieses Feuers setzen westlich und östlich des Stadtzentrums amphibische Fahrzeuge über die Elbe; britische Truppen umschließen die Stadt und dringen anschließend in das Zentrum ein. Um 8 Uhr morgens ist ein kleiner Brückenkopf vorhanden. Aus dieser Situation heraus entwickelt sich die letzte große Schlacht in Nordwestdeutschland, die einzige größere Landschlacht auf schleswig-holsteinischem Boden. Die deutschen Verbände versuchen, im Gegenangriff den britischen Brückenkopf einzudrücken; dabei werden auch Düsenjäger vom Typ Messerschmitt 262 eingesetzt, die mit einer Höchstgeschwindigkeit von 960 Stundenkilometern damals die leistungsfähigsten Militärflugzeuge überhaupt sind, von denen jedoch nur noch wenige Maschinen zum Einsatz kommen.
Am 30. April versucht ein SS-Bataillon, den Vormarsch der Briten bei Lütau zu stoppen, erleidet dabei aber schwere Verluste. Aus dem Sachsenwald heraus treten zwei deutsche Regimenter zum Gegenangriff an, können jedoch nicht verhindern, daß die Briten ihren Brückenkopf bis Geesthacht und Schwarzenbek ausdehnen. Der Durchbruch nach Norden gelingt den Truppen Montgomerys jedoch noch nicht.
Am gleichen Tag um 18.35 Uhr, drei Stunden nach Hitlers Tod, trifft in Plön der Funkspruch aus Berlin ein, durch den Großadmiral Dönitz zum Reichspräsidenten ernannt wird. Dönitz ist entschlossen, den Krieg zu beenden, möchte jedoch noch so viele Menschen wie möglich vor dem Zugriff der Roten Armee retten. Deshalb soll vorerst der Kampf an der Ostfront fortgesetzt und, damit die Schleuse südlich Lübeck offen gehalten werden kann, Schleswig-Holstein auch gegen die Briten verteidigt werden. Dönitz bildet in Plön eine Regierung, der u. a. der Rüstungsminister Speer und der Außenminister Lutz Graf Schwerin-Krosigk angehören. Himmler wäre gerne Reichskanzler geworden, wird aber nicht berücksichtigt.
Bei einem Treffen in Eutin gratuliert Himmler Graf Schwerin-Krosigk zu seiner Ernennung. Noch nie habe ein deutscher Außenminister sein Amt in einer so günstigen Lage angetreten. Der Zerfall der Siegerkoalition sei nämlich mit Sicherheit zu erwarten, Deutschland spiele dann das Zünglein an der Waage, könne seine Bedingungen stellen und werde schon bald wieder seinen Einfluß bis zum Ural ausüben. Der Graf über seinen Besuch im Eutiner Landratsamt: „Ich hatte das Gefühl, in ein Irrenhaus geraten zu sein.“

  Am 2. Mai durchbrechen die Briten aus ihrem Brückenkopf heraus in breiter Front die deutschen Linien und stoßen weit nach Norden und Nordwesten vor. Gleichzeitig erreichen britische Truppen Wismar – sechs Stunden vor Ankunft der russischen Panzer. Im Wehrmachtsbericht heißt es zum 2.5.: „Beiderseits des Elbe-Trave-Kanals stießen die Engländer aus dem Raum Mölln auf Lübeck vor und nahmen die Stadt. Vorgeworfene Abteilungen erreichten Bad Segeberg und den Raum nordwestlich von Plön.“ In Ostholstein gibt es keine zusammenhängende deutsche Front mehr; der Weg nach Kiel steht den Briten offen.
Dönitz zieht aus der veränderten militärischen Lage sogleich die Konsequenzen. Der Widerstand gegen die Briten ist sinnlos geworden, nachdem diese die Ostsee erreicht haben. Dönitz beauftragt daher noch am Abend des 2. Mai den Generaladmiral v. Friedeburg, sich in das Hauptquartier Montgomerys in Wendisch-Evern bei Lüneburg zu begeben und eine Teilkapitulation für Nordwestdeutschland auszuhandeln; im Osten soll weitergekämpft werden, damit möglichst viele Flüchtlinge Gelegenheit erhalten, die britisch-amerikanischen Linien zu erreichen.
Zugleich erteilt Dönitz dem Hamburger Kampfkommandanten Wolz Vollmacht, die Stadt kampflos zu übergeben. Wolz erhält Befehl, die Truppen „aus Hamburg herauszuziehen und in die Linie Elmshorn – Bad Bramstedt [Barmstedt ?] – Alveslohe, die zu halten ist, zurückzuführen.“ Für den Fall, daß diese Stellung von Briten durchbrochen wird, ist eine Auffanglinie vorgesehen, die von Horst über Offenseth und Lutzhorn nach Lentföhrden reicht.
Dönitz hat sich mit v. Friedeburg auf der Levensauer Hochbrücke getroffen, die nordwestlich von Kiel den Nordostseekanal überquert. Er ist nämlich auf dem Weg nach Flensburg, um sich angesichts des britischen Vormarsches in Ostholstein seinen Handlungsspielraum für die bevorstehenden Kapitulationsverhandlungen zu bewahren. Dies ist auch der Grund, weshalb die Krückaulinie verteidigt werden soll. General Blumentritt hat jedoch mittlerweile mit den Briten vereinbart, sich auf eine Linie 40 km nordwestlich von Hamburg zurückzuziehen, und erspart damit den Orten Elmshorn, Barmstedt und Alveslohe den infanteristischen Endkampf.
In Anbetracht des britischen Vormarsches auf Lübeck und Bad Segeberg setzt sich Himmler am 2. Mai nach Westen ab. In einem Waldstück an der Reichsstraße 206 zwischen Bad Segeberg und Bad Bramstedt trifft er sich zu einer Unterredung mit Reichsminister Speer. Bevor er untertaucht, erkundigt er sich noch in Bad Bramstedt bei Wehrmachtsoffizieren über die militärische Lage.
Am 3. Mai ordnet Generalmajor Wolz als Hamburger Kampfkommandant den Rückzug aus der Stadt an; anläßlich seines 80. Geburtstags wird er dafür 1977 von Bürgermeister Klose als Retter Hamburgs geehrt. Die Übergabe Hamburgs erfolgt im Einvernehmen mit der politischen Leitung. Gauleiter Kaufmann: „Wem soldatische Ehre gebietet weiterzukämpfen, hat hierzu Gelegenheit außerhalb der Stadt.“
Am 4. Mai wird im Hauptquartier Montgomerys über die Teilkapitulation Nordwestdeutschlands verhandelt. Zur gleichen Zeit setzen die Briten ihren Vormarsch fort und erreichen von Plön aus Kiel; am Vormittag werden Pinneberg und Wedel, am Nachmittag auch Quickborn besetzt. Vor laufenden Kameras werden um 18.30 Uhr die Kapitulationsvereinbarungen unterzeichnet. Sie sehen vor, daß alle den Briten gegenüberstehenden Truppen, auch die in Dänemark und Holland, bedingungslos kapitulieren. Wehrmachtsangehörige, die aus dem Osten in den Operationsbereich der Briten gelangen, sollen in Gefangenschaft genommen werden. Mündlich wird zugesichert, daß deutsche Soldaten nicht an die sowjetische Armee ausgeliefert werden und daß die Transporte über See weitergehen können.
Am 5. Mai ist der Krieg in Nordwestdeutschland zu Ende; um 8.00 Uhr tritt die zwischen v. Friedeburg und Montgomery ausgehandelte Teilkapitulation in Kraft. Im Laufe des Tages besetzen die aus dem Afrika-Feldzug bekannten „Wüstenratten“, die in den vorangegangenen Wochen vor Hamburg gelegen hatten, das südwestliche Schleswig-Holstein. Montgomery befiehlt seinen Truppen jedoch, am Nordostseekanal anzuhalten. Erst vom 8. Mai an bewegen sie sich weiter in Richtung Norden.
Unmittelbar nach dem Inkrafttreten der Kapitulationsvereinbarungen kommt es zu allerlei Auflösungserscheinungen. Zivilisten plündern Wehrmachtslager, zwangsweise verpflichtete Fremdarbeiter gehen gegen die deutsche Bevölkerung vor. Um die Lage unter Kontrolle zu behalten, legen die Briten größten Wert darauf, daß die deutschen Befehlsstrukturen erhalten bleiben. Sie verlangen jedoch, daß der Hitler-Gruß in der Wehrmacht wieder abgeschafft und prominente Nationalsozialisten entmachtet werden. Im Zusammenhang mit diesen Forderungen entläßt Dönitz am 6. Mai den Gauleiter Hinrich Lohse als Oberpräsidenten von Schleswig-Holstein.
Das Verhalten der Briten gegenüber den Wehrmachtsdienststellen und der deutschen Zivilbevölkerung ist in aller Regel korrekt. Dazu äußert sich beispielsweise General Blumentritt wie folgt: „Ich … bin korrekt und fair als besiegter Soldat und mit Ehren behandelt worden.“ Beim Empfang in Lüneburg wird ihm sogar eine Ehrenkompanie gestellt!
Am 7. Mai wird in Reims die bedingungslose Gesamtkapitulation der deutschen Wehrmacht unterzeichnet, nachdem General Eisenhower eine Teilkapitulation gegenüber den westlichen Alliierten abgelehnt hat. Auf Verlangen der Sowjets wird die Unterzeichnung in der Nacht vom 8. zum 9. Mai in Berlin-Karlshorst wiederholt. Am 9. Mai um 0.01 Uhr schweigen an allen Fronten die Waffen.

  Was die weitere politische Entwicklung in Schleswig-Holstein angeht, so ist die Niederlage vom 8. Mai 1945 die Voraussetzung dafür, daß wieder an die alte Verfassungstradition des Landes angeknüpft werden kann. Nach und nach werden demokratische Verhältnisse geschaffen, und mit der Gründung des Landes Schleswig-Holstein und der Bundesrepublik Deutschland erfüllt sich erstmals der alte Traum von einem freien Schleswig-Holstein in einem freien Deutschland. Dieses Deutschland umfaßt jedoch nicht die Gesamtheit der Nation, und Schleswig-Holstein, an der Nahtstelle zwischen zwei verfeindeten Welten gelegen, hat die negativen Folgen der deutschen Teilung, durch die der Raum Lübeck-Lauenburg zur Grenzregion geworden ist, jahrzehntelang besonders stark gespürt. Schleswig-Holstein – zunächst aufgrund des Flüchtlingszustroms stark übervölkert – leidet auch unter der schwach entwickelten gewerblich-industriellen Infrastruktur und der periphären geographischen Lage und gilt lange Zeit als das Armenhaus der Bundesrepublik Deutschland. Erst mit der Norderweiterung der Europäischen Union, vor allem aber durch die Wiedervereinigung Deutschlands tritt eine entscheidende Verbesserung dieser Situation ein. Es steht zu hoffen, daß sich die geographische Lage im Übergangsraum zwischen Nord- und Mitteleuropa einerseits, dem westlichen und dem östlichen Norddeutschland andererseits gerade auch in wirtschaftlicher Hinsicht günstig auswirkt.

  Da sich ein historisches Datum wie der 8. Mai 1945 unmöglich unter ausschließlich regionalgeschichtlichen Aspekten würdigen läßt, sei abschließend die Erweiterung der historischen Perspektive gestattet. Weltgeschichtlich gesehen bedeutet das Ende des Zweiten Weltkriegs den Abschluß der größten Katastrophe aller Zeiten. daß innerhalb von weniger als sechs Jahren etwa 55 Millionen ums Leben kommen, davon rund die Hälfte Zivilisten, hat es in der bisherigen Menschheitsgeschichte noch nicht gegeben.
Europageschichtlich gesehen bedeutet der 8. Mai 1945 das Ende der Epoche des Faschismus, die etwa 1920 beginnt und dadurch gekennzeichnet ist, daß sich in einer Vielzahl europäischer Staaten autoritäre oder diktatorische Regime nationalistischer Prägung etablieren. Da auch die Geschichte Europas ganz überwiegend durch freiheitliche Verhältnisse gekennzeichnet ist, endet damit eine für den Kontinent untypische Epoche der Verfassungsgeschichte. Andererseits gehen die ebenfalls totalitären Systeme des Kommunismus gestärkt aus dem Zusammenbruch des Dritten Reiches hervor; erst viereinhalb Jahrzehnte später sollten auch sie ihr Ende erleben.
In nationalgeschichtlicher Sicht bedeutet das Ende des Zweiten Weltkriegs die zweite große Katastrophe der Deutschen nach der des Dreißigjährigen Krieges. Was Menschenverluste und Zerstörungen angeht, sind beide Kriege miteinander vergleichbar. Da jedoch im Mai 1945 – erstmals in der 1200jährigen Geschichte des deutschen Volkes -jede deutsche Staatlichkeit erlischt, da ferner durch die Untaten der Nationalsozialisten das deutsche Ansehen in der Welt nachhaltig beschädigt ist, muß man wohl doch den Zweiten Weltkrieg als die größere der beiden Katastrophen einschätzen.

  Die Befreiung vom nationalsozialistischen Regime stellt die historische Voraussetzung für die Wiederherstellung freiheitlicher Verhältnisse auf deutschem Boden dar, auch wenn viele Deutsche damals den 8. Mai 1945 keineswegs als einen Tag der Befreiung empfunden haben. Dies gilt insbesondere für die Ostdeutschen, deren Mehrheit neues Leid und neue Not erfahren mußte und die entweder von Haus und Hof vertrieben wurden oder sich in einer neuen Diktatur wiederfanden, die erst 1989/90 beseitigt werden konnte. Man kann also, was Freiheit und Demokratie in Deutschland angeht, den 8. Mai 1945 nicht isoliert betrachten, sondern muß ihn im Zusammenhang mit der Revolution in der DDR und der Wiedervereinigung Deutschlands sehen. Das gleiche gilt übrigens auch für die Vorgeschichte des Dritten Reiches, insbesondere für das Ende des Ersten Weltkriegs und den nachfolgenden Versailler Vertrag, wodurch überhaupt erst die Voraussetzungen für die Heraufkunft des Nationalsozialismus geschaffen werden. Erst wenn man den 8. Mai 1945 im Zusammenhang mit dem 9. November 1918 und dem 9. November 1989 sieht, wird man der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts in ihren Grundlinien gerecht.

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Claußen: 1911 – Ein Flugzeug muss in Großenaspe notlanden

aus dem heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg, 1995, S. 53f

Hans Claußen, Großenaspe

1911: Ein Flugzeug muß in Großenaspe notlanden

Der Wunsch, es den Vögeln gleichzutun und durch die Lüfte zu schweben, ist ein uralter Menschheitstraum. Doch unendlich lange hat es gedauert, bis dieser Traum in Erfüllung ging. Immer wieder haben einfallsreiche und wagemutige Männer den Vögeln das Geheimnis des Fliegens abzulauschen versucht. Dem deutschen Ingenieur Otto Lilienthal gelang es schließlich Ende des vorigen Jahrhunderts, die ersten Gleitflüge durchzuführen. Als er 1896 ein Opfer seines Wol-lens und seines hohen Mutes wurde, hinterließ er der Nachwelt zugleich seine reichen Erfahrungen.

Nachdem dann der Benzinmotor erfunden war, gelangen den Brüdern Wright in Amerika die ersten wirklichen Flüge, schafften sie im Jahre 1908 in ihrem Doppeldecker eine Strecke von 123 km. 1909 flog der Franzose Bleriot als erster über den englischen Kanal. Schon 2 Jahre später, in einer Zeit also, in der die Fliegerei noch in ihren Kinderschuhen steckte, hat unser Dorf bereits engste Bekanntschaft mit dieser großartigen Erfindung gemacht: „Vom 17. bis 23. Juni 1911″, so wird in der Schulchronik berichtet, „war die Kieler Flugwoche. In den Morgenstunden des erstgenannten Tages gewahrten wir nacheinander sieben Flugmaschinen, die in ruhiger Fahrt bei prächtigstem Wetter dem Kieler Landungsplatz zustrebten, wo auch alle glücklich angekommen sind.

HkJb1995_01Am Montag abend sahen wir über Halloh hin einen Zweidecker. Es war der Flieger König, der auch Kiel glücklich erreichte. Am Dienstag, dem 20. Juni,morgens 4.30 Uhr ward ich (Hauptlehrer A. Burmeister) von Hans Mohr, Enkel des Hufners Martin Sellhorn – Großenasperfeld -, geweckt, und es ward mir von ihm gemeldet, daß auf der Weide Brookhorn, dem Amtsvorsteher Hufner Hinrich Stölting hierselbst gehörig, der Flieger Paul Lange aus Wien mit seinem Eindecker niedergegangen sei und um 8 Uhr weiterfliegen wolle.

Über seine Fahrt bis hierher will ich hier seine eigne Mitteilung wiedergeben: ,Um 7.50 Uhr am Montag abend war ich mit meinem Passagier Otto Temmel aus Hamburg abgefahren. Die Fahrt ging anfangs sehr glatt vonstatten; mein 70-PS-Daimler-Motor arbeitete vortrefflich, und bald hatte ich eine Geschwindigkeit von 110 km pro Stunde erzielt. Nach einer Fahrt von 10 Minuten wehte uns intensiver Brandgeruch entgegen; unter uns sahen wir eine große schwarze Fläche. (Die Lutzhorner Tannen waren wenige Tage vorher durch ein gewaltiges Feuer, dessen Schein wir hier in Großenaspe am Abend deutlich sehen konnten, vernichtet worden.)

Da ich an ein großes Moor glaubte – in Hamburg war ich merkwürdigerweise nicht auf die veränderte Gegend bei Lutzhorn aufmerksam gemacht worden -, steuerte ich rechts und kam plötzlich in eine Gewitterwolke hinein . Und nun ging ein tolles Treiben an. Ein Windstoß warf uns plötzlich 50 m steil abwärts, ein andrer wieder 20 m hoch, bald links, bald rechts wurden wir geworfen, bald lag das Fahrzeug auf der Seite oder es stand Kopf. Ich hatte fast die Hoffnung auf ein glückliches Ende aufgegeben, aber der Motor blieb intakt und arbeitete vorzüglich; so kamen wir schließlich glücklich aus dem Gewitter. Nach der Fahrtdauer mußte ich jetzt über Neumünster sein, konnte aber nichts erspähen. Ich mußte also niedergehen, um zu erspähen, in welcher Gegend ich mich befände. Bald entdeckte ich eine Wiese, die mir geeignet schien, und mit abgestelltem Motor ging ich im Gleitflug nieder. Kurz vor der Landung jedoch wurde der Apparat von einem Windstoß gepackt, er setzte seitwärts über einen Zaun, berührte darauf die Erde und übersprang, bevor er anhielt, noch drei Gräben. Hierbei ist ein Stück der Gleitschiene abgebrochen. Im übrigen sind Apparat und Motor trotz der schweren Fahrt vollständig intakt geblieben. Zwei Monteure, die in dem begleitenden Automobil waren, wurden auf telephonischen Anruf in Bramstedt angehalten und durch ein Bramstedter Automobil nach hier befördert, wo sie sich sofort an die Ausbesserung machten. Wann ich weiterfahre, weiß ich nicht, jedenfalls nicht eher, als bis der Schaden repariert und gutes Wetter ist.‘

Als das Ereignis, daß die erste Flugmaschine auf Großenasper Gebiet gelandet sei, genügend bekannt wurde, ward die Schule ausgesetzt, und es begann bald eine förmliche Völkerwanderung nach dem Brookhorn. Von allen Seiten strömten Leute herbei, um den Riesenvogel zu sehen.

Es ist ein Etrich-Rumpler-Eindecker ,Taube‘, Besitzer Flieger Lange. Schwanz und Flügelenden sind beweglich und dienen als Steuer. Die Klafterweite beträgt 15 m, die Flügelbreite ist 2,85 m und die Länge des ganzen Aero-planes vom Kopf bis zum Schwanzende 10,50 m. Am Kopf der ,Taube‘ befindet sich ein Austro-Daimler -Motor von 70 PS, der einen ganz vorn befindlichen zweiflügeligen Holzpropeller von reichlich 2,50 m Durchmesser treibt. Letzterer macht 1400 Umdrehungen in der Minute. Hinter dem Motor befindet sich der verdeckte Sitz für den Passagier und noch mehr nach hinten ist der Führersitz. Unten sind Holzschienen und Räder mit federnden Stangen angebracht, welche beim Auf- und Abstieg Dienste zu leisten haben.

Am Dienstag abend war der Apparat bereits fertiggestellt, aber es konnte noch kein Aufflug unternommen werden, weil aus Kiel Sturm gemeldet war. Auch am Mittwoch lag die ,Taube‘ noch bis zum späten Abend ruhig da. Fast hatte man die Hoffnung auf das Erscheinen der Flieger aufgegeben, als in später Abendstunde, 8.30 Uhr, zwei Automobile sie nebst zwei Monteuren von Bad Bramstedt brachten. Letztere unterwarfen den Apparat einer genauen Durchsicht, Herr Lange nahm im Führersitz Platz und nach einem kurzen Anlauf erhob sich der Riesenvogel in die Lüfte zu einem prächtigen Rundflug. Es war ein unvergeßlicher Anblick. In einem großen Bogen kehrte die ,Taube‘ zu uns zurück und ging jetzt auf der Weide des Hufners Johannes Mehrens in Großenaspe nieder. Wieder war derselbe Bruch eingetreten wie am Montag abend. Am Donnerstag vormittag ward derselbe aber ausgebessert, und am Donnerstag nachmittag sollte nun endlich der Aufstieg nach Kiel stattfinden. Tausende von Menschen hatten sich eingefunden. Der Apparat wurde durchmontiert. Herr Lange und Herr Otto Temmel nahmen ihre Sitze ein. Der Motor ward in Bewegung gesetzt und nach längerem Anlauf ging die ,Taube‘ in die Luft, um aber sehr bald wieder niederzugehen. Es zeigte sich, daß der Propeller von der Feuchtigkeit gelitten hatte und drum ein Aufstieg nicht möglich war.

Am Freitag gab Herr Lange die Fahrt nach Kiel endgültig auf. Die ,Taube‘ wurde abmontiert und mit der Bahn nach Hannover gesandt. Damit hatte dieses für unsern Ort so wichtige Ereignis sein Ende erreicht. Wir aber hatten den Vorzug genossen, eine Flugmaschine aus nächster Nähe betrachten zu können und auch fliegen zu sehen, wie es auf den größeren Flugplätzen gar nicht möglich ist.“

Ja, das war schon eine Sensation, und wir verstehen es, wenn in jenen Tagen Tausende von Menschen aus nah und fern herbeieilten, um teilzuhaben an dem Ereignis!

Als ein Jahr später, Ende Juni/Anfang Juli 1912, anläßlich der Kieler Woche 2 Doppeldecker in ruhiger Fahrt über Großenaspe in Richtung Kiel dahinflogen, wurde manches Erlebnis aus den Junitagen 1911 wieder lebendig.

Um das Jahr 1912 herum wurden auch die deutschen Zeppeline wiederholt, bald näher, bald ferner, gesichtet. Zweimal flogen sie direkt über unsern Ort dahin, einmal die „Viktoria-Louise“, am Sonnabend, dem 22. Juni 1912, einmal die „Hansa“ auf ihrer Fahrt nach Flensburg.

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Neumann: Zur Bauerngeschichte in Föhrden und Hagen

aus dem Heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg, 1975, S. 55f

Otto Neumann, Itzehoe:

Zur Bauerngeschichte in Föhrden und Hagen

Wie sein Vater, der Reichsgraf Christian zu Rantzau auf Breitenburg, so versuchte auch Reichsgraf Detlev zu Rantzau sein Besitztum noch zu vergrößern. 1674 kaufte er vom Amte Segeberg die Dörfer Föhrden und Hagen, die an der östlichen Grenze seines Gebietes um Kellinghusen lagen.

Doch sollte er in den Anfangsjahren dieses Besitzes wenig Freude daran haben. Sieben Jahre sind vergangen, da die Bauern oder Hüfener in diesen beiden Dörfern nur sehr wenig oder gar nichts von ihren pflichti-gen Abgaben gezahlt haben. Sie stehen 1681 in sehr tiefen Schulden. Diese Bauern zahlen nur eine Geldabgabe, sie leisten keine Spann- und Handdienste, leisten auch keine Naturalabgaben in Vieh, Korn, Flachs, Eiern usw. Für ihren früheren Besitzer, den Segeberger Amtmann, war die Geldleistung wohl am bequemsten.

Der Breitenburger Amtswalter Hinricus Bilenberg, Sohn des verstorbenen vieljährigen Amtswalters Nicolaus Bilenberg, der drei Herren aus dem Rantzau Geschlecht auf Breitenburg gedient hatte, ließ für seinen Herrn, der jetzt auf Schloß Drage wohnte, von seinen Schreibern ein genaues Schuldverzeichnis der beiden Dörfer aufsetzen. Zunächst für die vier Föhrdener Hüfener oder Bauern. Es sind Hinrich Carstens, Jürgen Horn, Hartig Lohmann und Frenz Titke. Es erfolgt die Aufstellung für beide Dörfer zunächst für 1675, 1676 und 1677. Jeder Bauer zahlt jährlich 25 Reichsthaler, das sind für 1 Jahr 4 mal 25 = 100 Rthlr., für drei Jahre also 300 Rthlr.

In Hagen sind acht Hüfener, 1 Kätner und 3 Insten (Tagelöhner). Die acht Bauern sind: Carsten Hardebek, Hans Boye, Jasper Horns, Claus Fischer, Timm Fischer, Jasper Sibbers, Jaspar Pingel, Claus Fischer, Kätner Grete Fischer und die drei Insten, deren Namen nicht genannt werden. Jeder Bauer zahlt wie in Föhrden jährlich 25 Rthlr., Kätner 3 Rthlr., die drei Insten zusammen auch 3 Rthlr. Das macht jährlich 206 Rthlr. In drei Jahren sind es 606 Rthlr. Beide Dörfer müssen also in drei Jahren zusammen 300 + 606 = 906 Rthlr. zahlen.

Um den damaligen Geldwert zu erkennen, möge erwähnt werden, daß nach den Preisen auf dem Kellinghusener Viehmarkt eine mittelmäßige Milchkuh mit ca. 13-14 Reichsthalern bezahlt wurde. Auch wohl noch weniger. Dafür setze man den heutigen Kuhpreis ein! Statt der 25 Rthlr. für 1675 hatten die Föhrdener Bauern nur bezahlt: Hinrich Carstens 25 Rthlr., Jürgen Horn 13 Rthlr., Hartig Lohmann 12 Rthlr., Frenz Titke 15 Rthlr. zusammen für das erste Jahr also nur 65 Rthlr., es fehlten oder restierten noch 35 Rthlr.

Die Hagener Bauern, Kätner und Insten hatten für 1675 auch nur 106 Rthlr. 6 Schillinge bezahlt, sie schuldeten also noch 99 Rthlr. 42 Schillinge. Beide Dörfer zusammen schuldeten also für 1675 noch 35 + 99,42 = 134 Rthlr. 42 Schillinge.

Für die Jahre von 1676 bis 1681 schuldete Föhrden also 6 mal 100 Rthlr. = 600 Rthlr., im ganzen also für die Zeit von 1675 bis 1681 = 600 + 35 = 635 Rthlr. Davon sind nachträglich aber noch für 1681 gezahlt worden 155 Rthlr., so daß Föhrden noch 480 Rthlr. schuldete. Für die Hagener Bauern kommen einmal die Schulden für 1676 bis 1681 in Frage; für 1681 haben aber auch sie einige Beträge gezahlt, so daß sie 1681 aber immerhin noch 614 Rthlr. schuldig bleiben.

Es wird nicht mitgeteilt, welches die Gründe zu dieser großen Verschuldung waren, auch nicht, wie sich die Bauern und Hüfener von diesen Schulden wieder befreit haben. Die Nichtzahlung kann wirtschaftliche Gründe, wie sehr schlechte Ernten oder Viehseuchen oder auch schlechte Wirtschaftsweise oder nachlässige Bezahlung, gehabt haben. In späteren Jahren werden sie als „Rentenzahler“ in den Herrengeldregistern aufgeführt.

(Schloßarchiv Breitenburg, Herrengeldregister 1668-1677)

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de Cuveland: Notgeld von de holsteensche Stadt Bad Bramstedt

aus dem heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg 1972, S. 129 ff (um Farbfotos ergänzt)

Helga und Ernst de Cuveland, Norderstedt:

Notgeld von de holsteensche Stadt Bad Bramstedt

Wie z. B. Bad Segeberg oder auch kleinere Orte, darunter das heute zu Norderstedt gehörende damalige Dorf Garstedt, hat auch Bad Bramstedt nach dem ersten Weltkrieg angesichts der damals zerrütteten Währungsverhältnisse aufgrund staatlicher Ermächtigung ab 1920 Notgeld für einen begrenzten Geltungsbereich herausgegeben. Dessen endgültige Einlösung erfolgte 1923 und von heute auf morgen nahm die Reichsbank kein Notgeld mehr in Zahlung.

Im Hinblick auf die begrenzte Gültigkeit der Scheine heißt es auf dem 50-Pfennig-Schein von Bramstedt, welcher ein eichenlaubbekränztes Rolandwappen trägt, unter dem 7. Dezember 1920:notgeld50v

Düß Schien, de gelt sien föfti Penn.
Doch eenmal hett dat ock en Enn.
Denn kannst du lesen in uns‘ Blatt:
,De Schiens sünd all nu vör de Katt!“
Denn bring em gau hen nah de Kass‘,
Du büß sünst an de Kossen faß.

De Bürgermeister:
Jensen

Die Rückseite dieses Scheines zeigt bäuerliche Bevölkerung vor dem Roland, während Spitzgiebelhäuser mit Kirchturm den Hintergrund bilden. Das Gesamtbild ist von Eichenzweigen eingerahmt. Ganz links hält ein durch eine steife Schirmmütze als Amtsperson gekennzeichneter Mann ein Dokument hoch, während ganz rechts ein Kind mit einer Fahne abgebildet ist. Links unten unter dem Siegel der Stadt hat J. Struve als Zeichner der Darstellungen auf den hier gezeigten Notgeldexemplaren seinen Namen angegeben. Wo diese Scheine gedruckt wurden, ist nicht erkennbar.

Die bildliche Darstellung hat die Unterschrift:

De Bramstedter Buern danzt an’n drütten Pingsdag 1674 üm den Roland, weil se ehr Freeheit kregen harrn. — Düt ward hüt to Dog noch mackt.

Links oben steht der auch hierauf zu beziehende Spruch:notgeld50h

Solang de Wind weiht
Un de Hahn kreiht,
Schall um’n Roland danzt warrn
Wenn de Sünn ünnergeiht!

Auch der 25-Pfennig-Schein hat eine amtliche Seite mit Bürgermeister Jensens Unterschrift. Die Wertangabe ist von einem Roggenährengebinde mit Kornblumen eingerahmt. Amtlich ist am Unterrand angegeben: Dieser Schein verliert seine Geltung vier Wochen nach öffentlicher Ankündigung in den „Bramstedter Nachrichten“. Auch der 25-Pfennig-Schein trägt als Datum den 7. Dezember 1920.

Zentralfigur auf dieser Seite ist wieder der Roland. Daneben steht folgender Spruch:

notgeld25v

Uns‘ Roland steiht un kiekt un nöckt.
He seggt: „De Welt, de is verrückt.
Ick mag hier nich mehr länger stahn,
Ick will man leewer rünnergahn.
Ick gah nah Bielenbarg nu aff,
Dar legg ik mi ganz still int Graff
Un slaap dar, bet in Kopp un Hart
De Minschheit wer‘ vernünftig ward.“

Seinen ganzen Jammer über die damalige Situation hat der Lokalpoet A. Kühl in diese Zeilen einfließen lassen, nicht ohne Humor natürlich. Diesmal lautet die Überschrift in amtlichem Hochdeutsch: Notgeld der Stadt Bad Bramstedt.

Jugendstil prägt die Rückseite dieses Scheines, welcher die Reklame für das „Sol- und Moorbad Bad Bramstedt“ nicht zu kurz kommen läßt. Ein breiter mit stilisierten Lilien geschmückter Rahmen umgibt Bild und Gedicht. In den oberen Ecken zeigt er in Wappenform den Geldeswert, 25 Pfennig, an, in den unteren Ecken befindet sich das Nesselblattwappen. Eine griechisch gewandete und einen Stirnreifen tragende Frauengestalt hat auf einer Mauer einen bauchigen Krug abgestellt, auf welchem sie die rechte Hand hält, während sie an die Mauer angelehnt steht. Sie schöpft hier offenbar aus der Quelle, die durch einen Brunnenstein quillt, welcher als Wasserspeier den bekränzten Kopf eines bärtigen Mannes trägt. Das davor befindliche Auffangbecken ist mit Steinplatten eingefaßt.

Kühl hat dazu das vierstrophige Gedicht geschrieben:

Hest du all mal von Bramstedt hört?
Und von sien brunes Water?
All mennig een hett dat kureert,
Keen Water is probater.

Wenn se hierher kamt ut de Stadt,
Denn könnt se knapp noch krupen,
Se sünd nervös un sonst noch wat
Un hebbt den Kopp voll Rupen.

Denn plümpert se hier jeden Dag
In uns‘ oll dreckig Water.
Slank ward se as en Bohnenschach
Un bruner as en Tater.

Un ook de Rupen in den Kopp
De speelt nie mehr Theater.
De ganze Minsch, de leewt wer‘ op,
Blot von dat brune Water.

notgeld25h

Die Scheine sind auf weißes Papier in graugrüner Grundtönung gedruckt und werden zum Teil durch Bandstreifen gegliedert. Laub und andere hervorzuhebende Partien sind kräftiger grün gefärbt. Ferner findet sich ein kräftiges Rot für die Kennzeichnung von Geldwerten, Wappen, Siegel und Initialen.

Diese Stadt konnte auf ihren Scheinen ihre Rolandstradition dokumentieren, auf das historische Ereignis der Bauernbefreiung 1674 Bezug nehmen und zugleich auf ihre Stellung als Bad hinweisen, was allerdings mit leichtem Spott über uns oll dreckig Water, welches so große Wirkung haben soll, verbunden wurde.

Fast der ganze Text konnte ganz selbstverständlich in Plattdeutsch gehalten werden, welches damals noch sehr viel verbreiteter war als heute, wenig mehr als 50 Jahre später.

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Krüger: Karl Lagerfeld: Seine Jahre auf Gut Bissenmoor

aus dem Heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg, 1991 S. 105 ff


Bert Krüger, Neumünster

Modezar Karl Lagerfeld:

Seine Jahre auf Gut Bissenmoor

„Das Schöne besteht in der Mannigfaltigkeit des Einfachen“. Dieses Zitat schrieb der gerade zehnjährige Karl-Otto Lagerfeld auf den Rücken eines Buches mit 40 Holzschnitten von Albrecht Dürer und schenkte es 1948 seinem Kunstlehrer an der Jürgen-Fuhlendorf-Schule in Bad Bramstedt, Heinz-Helmut Schulz.

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Karl Lagerfeld als Schüler der Jürgen-Fuhlendorf-Schule in Bad Bramstedt (vordere Reihe, dritter von links).

Der pensionierte Oberstudienrat, selbst anerkannter Maler, erinnert sich: „Karl war mir aufgefallen, denn er konnte schon frühzeitig eigenständig künstlerisch arbeiten.“ Trotzdem hält sich der Lehrer bei der Frage nach seinem künstlerischen Einfluß bescheiden zurück: „Ich hatte jeden Schüler gefördert, alle waren vor mir gleich.“
Als die Familie Lagerfeld 1944 nach Bad Bramstedt auf Gut Bissenmoor zog, war Karl gerade sechs Jahre alt. Aus seiner gewohnten Umgebung in Hamburg herausgerissen, fühlte sich der sensible Junge fremd und isoliert. Auf dem Dachboden des inzwischen abgerissenen Gutes fand er Stapel von Illustrierten, Modezeitschriften und Kunstmagazinen. Und da es keine Bilderbücher zu kaufen gab, malte er mit Buntstiften die Schwarzweißfotos an. Er veränderte die Kleider in den Modejournalen und malte in abgedruckte Bilder Figuren und Arabesken hinein.
Bei den meisten Erwachsenen rief das wohl allenfalls nachsichtiges Lächeln hervor. Unterstützung fand Karl aber bei seiner Mutter, zu der er ein intensives Verhältnis hatte, und später bei Kunstlehrer Heinz-Helmut Schulz, der sein Talent ernst nahm. Wie dankbar der frühere Schüler noch heute dafür ist, zeigt der Kontakt, den er trotz aller Prominenz zu seinem ehemaligen Lehrer gehalten hat. Die Widmung eines Buches über seine Kreationen, das er 1988 an Schulz sandte, beginnt mit den Worten: „Lieber Freund, mein lieber ehemaliger Lehrer!“GutBiss_360r

Hans-Otto Jarren, heute pensionierter Rektor, lebte lange Zeit auf Gut Bissenmoor, ist rund zehn Jahre älter als Karl und erinnert sich noch deutlich an die damalige Zeit. „Karl, genannt „Mühle“, hatte eine leichte, typisch französische Art. Er war sehr klug, und es ließ sich gut mit ihm reden.“ Einige seiner Schulkameraden wußten das offensichtlich weniger zu schätzen und drohten ihm, so daß Karl manchmal von der Jürgen-Fuhlendorf-Schule -damals war sie noch in der heutigen Grundschule am Bahnhof untergebracht – nur mit Begleitschutz älterer Schüler nach Hause gehen konnte. Seine Gewohnheit, gelegentlich zur kurzen Hose ein geschlossenes Hemd mit Krawatte zu tragen, war vielleicht ein Grund dafür.
Jarren weiß auch noch zu berichten, wie sich der achtjährige Karl sträubte, sich die Haare schneiden zu lassen. Ein für die damalige Zeit schlimmes Vergehen: Er wurde gewaltsam zum Friseur geschleppt. Vielleicht ein Grund für sein heutiges Markenzeichen – den Zopf.
Karls Vater, den Jarren als typischen Geschäftsmann in Erinnerung hat, stand dem Talent des Sohnes eher mit Unverständnis gegenüber. Nur mit der Hilfe seiner Mutter konnte Karl seinen Wunsch, Modezeichner zu werden, durchsetzen.
„Es waren schwere Zeiten damals“, berichtet Jarren, „man mußte als junger Mensch für seine Entwicklung die Initiative selbst ergreifen.“ Für Lagerfeld war es trotz der finanziellen Unterstützung durch seine Eltern schwer, seinen eigenen Weg zu gehen.
Hans-Joachim Bronisch, Regierungsdirektor und ehemaliger Mitschüler Lagerfelds, weiß noch, wie er sich mit Karl und anderen Schülern ein Lateinbuch „teilen“ mußte: „Wir hatten einen Ort vereinbart, an dem die Übergabe stattfand.“ Bronisch bestätigt Lagerfelds frühe künstlerische Begabung, allerdings: ,Seinen Zopf finde ich ziemlich albern.“

Von Bissenmoor nach Paris
Karl-Otto Lagerfeld wurde am 10. September 1938 als einziger Sohn von Elisabeth und Otto Lagerfeld, dem Gründer und Generaldirektor der Glücksklee-Gesellschaft, geboren. Vor ihrem Umzug nach Bad Bramstedt wohnte die Hamburger Familie an einem der schönsten Punkte des rechten Elbufers. Als der Bombenkrieg über Hamburg hereinbrach, zogen die Lagerfelds 1944 nach Bad Bramstedt auf das – mittlerweile abgerissene – Landgut Bissenmoor.
In den fünfziger Jahren zog die Familie nach Hamburg zurück. Karl besuchte eine Privatschule und schließlich das Lyce Montaigne in Paris. Der junge Künstler kultivierte sein Zeichentalent und studierte Kostümkunde. Noch keine 18 Jahre alt, bekam er eine Anstellung beim Modeschöpfer Pierre Balmain. Da hatte er bereits freie Hand und entwarf unter anderem Modelle für Lilli Palmer und Sophia Loren. Nach einer weiteren „Lehrzeit“ als künstlerischer Direktor bei Jean Patou arbeitete er als freier Stylist und Modeberater. 1963 wurde Lagerfeld künstlerischer Direktor der Konfektionsfirma Chloé sowie Direktor der Karl-Lagerfeld-Production. Auch Chanel begann Interesse an dem Modeschöpfer zu zeigen. Er belohnt es mit vier Kollektionen pro Jahr. Später eröffnete er ein eigenes Modehaus auf den Champs-Elysees in Paris. Seine Freizeit widmet der Mann mit dem Zopf in erster Linie seinem Schloß in der Bretagne, das er im Stil des 18. Jahrhunderts einrichten läßt. Darüber hinaus besitzt er Luxuswohnungen in Paris, Monte Carlo, Rom und New York. Seit einiger Zeit arbeitet Lagerfeld an zwei Büchern, einer Biographie über Lieselotte von der Pfalz und einer Geschichte der Mode von 1900 bis 1975.

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Krüger verwendet hier das Geburtsjahr 1938 aus den Eigenangaben Lagerfelds. Richtig ist hingegen (mind.) 1933, wie das Alter seiner Mitschüler in Bad Bramstedt bezeugt.

Im Dezember 2005 war Karl Lagerfeld Gast beim ZDF in einem ausführlichen Interview bei Johannes B. Kerner: Die Aufzeichung steht online zur Verfügung (Stand 7.1.2007) und zwar hier.

Ein Jahr später war er am 5.12.2006 im ERSTEN zu sehen bei “Menschen bei Maischberger”. Eine Aufzeichnung gibt es hier.

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