aus dem Heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg, 1995, S. 87 ff
Dr. Ulrich March, Bad Bramstedt
Die Kapitulation von 1945 in regionalgeschichtlicher Sicht
Nordwestdeutschland im allgemeinen und Schleswig-Holstein im besonderen sind – historisch betrachtet – Regionen der Freiheit. Politische Knechtschaft, Willkürherrschaft oder Despotismus hat es hierzulande, sieht man von der Zeit zwischen 1933 und 1945 ab, nie gegeben. Schon in der germanischen Frühzeit herrschen freiheitliche Verfassungsverhältnisse. Das gleiche gilt für den frühmittelalterlichen sächsischen Stammesstaat, der die älteste Repräsentativverfassung Europas entwickelt (Versammlung von Delegierten aller Gaue in Markloh/ Weser). Im Hochmittelalter kommt es dann zwar zur Herausbildung von Landesherrschaft und Lehnsadel, und im Bereich der Grund- und späteren Gutsherrschaften hat es in der Folgezeit auch Unfreiheit und Unterdrückung gegeben. Dies gilt jedoch nicht für die eigentlich politische Ebene. Hier stehen vielmehr der meist schwachen Landesherrschaft ein starker Adel und eine selbstbewußte Bauernschaft gegenüber, die freiheitssichernde Funktion der Stände ist offenkundig. Außerdem werden republikanische Traditionen fortgesetzt, etwa in der Bauernrepublik Dithmarschen oder in der Freien Reichsstadt Lübeck. Selbst im Zeitalter des Absolutismus, als sich in fast ganz Europa alle politischen Befugnisse vom jeweiligen Herrscher herleiten, kann die fürstliche Allmacht auf lokaler Ebene nicht durchgesetzt werden.
An diese älteren Traditionen knüpft dann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Schleswig-Holsteinische Bewegung an, deren politisches Ziel ein freies Schleswig-Holstein in einem freien, einigen Deutschland ist. Nach der Erhebung der Herzogtümer im Jahre 1848 wird eine hochmoderne, die Freiheitsrechte des einzelnen sichernde Verfassung in Kraft gesetzt. Mit der Einverleibung in Preußen am 1.1.1867 wird zwar das Ziel der Eigenstaatlichkeit verfehlt, jedoch treten die Schleswig-Holsteiner nun in einen Staatsverband ein, der sich seit der Zeit Friedrichs des Großen zu einem Rechtsstaat entwickelt hat und in dem die Stein-Hardenbergschen Reformen vom Beginn des Jahrhunderts tiefe Spuren hinterlassen haben. So können die Schleswig-Holsteiner beispielsweise bei der kommunalen Selbstverwaltung ohne weiteres an die ältere Zeit anknüpfen; das Rechtsbewußtsein der Zeit ist feiner entwickelt als etwa im 20. Jahrhundert.
Erst mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 bricht hierzulande eine mindestens 2000 Jahre alte freiheitliche Verfassungsentwicklung ab, auch wenn viele Schleswig-Holsteiner dies damals zunächst so nicht gesehen haben. Eine regionalgeschichtliche Besinnung auf den 8. Mai 1945 ist also schon deswegen geboten, weil an diesem Tag ein Gewaltregime zusammenbricht, das für die gesamte schleswig-holsteinische Geschichte völlig untypisch ist.
Ein weiterer Grund, das Ende des Zweiten Weltkriegs auch unter regionalgeschichtlicher Perspektive zu betrachten, ist der Umstand, daß sich damals hohe und höchste Personen und Dienststellen des zusammenbrechenden Dritten Reiches, politische wie militärische, in Schleswig-Holstein befinden. Höchst bedeutsam ist ferner in diesem Zusammenhang, daß Schleswig-Holstein und der Großraum Lübeck gegen Kriegsende im strategischen Kalkül von nicht weniger als drei kriegführenden Parteien, nämlich in der Konzeption von Stalin, Churchill und Dönitz, geradezu den Charakter einer Schlüsselregion haben.
Mit dem Angriff der Roten Armee auf Berlin, dem Durchbruch der Amerikaner nach Mitteldeutschland und dem schnellen Vormarsch der Briten in Nordwestdeutschland tritt der Zweite Weltkrieg im April 1945 in seine letzte Phase. Nach dem Zusammentreffen der Russen und der Amerikaner bei Torgau an der Elbe zerfällt das noch von der Wehrmacht gehaltene Gebiet in einen Südraum (Teile Süddeutschlands, Ostalpen, Böhmen) und einen Nordraum, der das nördliche Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg, ferner das westliche Holland, Dänemark und Norwegen umfaßt. Militärischer Oberbefehlshaber im Nordbereich wird mit Wirkung vom 20. April der langjährige Chef der deutschen U-Boot-Flotte, Großadmiral Karl Dönitz.
Ganz Schleswig-Holstein hofft damals, daß die Briten schneller sein würden als die Rote Armee, die aber gerade in diesen Tagen dank neu herangeführter Kräfte in Vorpommern beträchtliche Geländegewinne erzielt, unübersehbare Massen von Flüchtlingen vor sich her treibend. Dönitz ist entschlossen, die Elbelinie zu verteidigen, um den Flüchtlingsströmen den Zugang nach Schleswig-Holstein offenzuhalten und auf diese Weise möglichst viele Menschen vor dem Zugriff der Sowjets zu bewahren. Er möchte eine Besetzung Schleswig-Holsteins durch die Briten auch deswegen vermeiden, weil in jenen Wochen zahllose ostdeutsche Flüchtlinge – insgesamt etwa 2,4 Millionen – über die Ostsee nach Westen fliehen und die zum Transport eingesetzten Schiffe angesichts des Vorrückens der Roten Armee in zunehmenden Maße schleswig-holsteinische und dänische Häfen ansteuern.
Die britische Strategie zielt demgegenüber auf einen schnellen Vorstoß an die Lübecker Bucht ab, weil der britische Premierminister Churchill sich große Sorgen macht, daß sonst die Sowjets in Schleswig-Holstein eindringen und von da aus vielleicht sogar nach Skandinavien vorstoßen könnten. Der Oberbefehlshaber der britischen Truppen, Montgomery, erhält deswegen Befehl, nach dem Rheinübergang bei Wesel mit dem Kern seiner Truppen, der 21. Armeegruppe, zunächst auf Lüneburg vorzustoßen. Dabei wird – auch wegen des unerwartet heftigen Widerstandes im Großraum Bremen – zunächst in Kauf genommen, daß die Nordseeküste weiterhin in deutscher Hand bleibt. Von Lüneburg aus sollen die britischen Truppen über die Elbe vorstoßen und bei Lübeck die Ostsee erreichen, um so den Sowjets den Weg nach Schleswig-Holstein abzuschneiden. Dieses Unternehmen muß jedoch nach dem wochenlangen Vormarsch in technischer und personeller Hinsicht vorbereitet werden, so daß in Nordwestdeutschland im letzten Drittel des Monats April eine Kampfpause eintritt.
Am 22. April trifft Dönitz in seinem Hauptquartier ein, einer Baracke am Suhrer See bei Plön, auf dem Gelände der heutigen Fünf-Seen-Kaserne. Dort ist in der Schlußphase des Krieges die Seekriegsleitung stationiert, so daß die erforderlichen Nachrichtenverbindungen vorhanden sind. Zugleich verläßt fast die gesamte Reichsregierung das vor der Einschließung stehende Berlin und versammelt sich im Eutiner Landratsamt, wo sie sich bis zum Kriegsende völlig passiv verhält.
Um die Verteidigungsvorbereitungen zu koordinieren, beruft Dönitz für den 23. Mai [Datum ?] eine Konferenz mit den Gauleitern von Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg ein. Der Hamburger Gauleiter Kaufmann erscheint jedoch nicht, weil er im Einvernehmen mit dem Kampfkommandanten der Stadt, Generalmajor Wolz, damals bereits Verbindung mit den Briten aufgenommen hat in der Absicht, Hamburg kampflos zu übergeben und eine Sprengung der Eibbrücken zu verhindern.
Schleswig-Holstein soll entlang der Linie Elmshorn – Barmstedt – Alveslohe – Ahrensburg – Geesthacht – Boizenburg verteidigt werden. Damit nutzt man zwar die sich bietenden Geländevorteile (Krückau-Niederung, Sachsenwald, Elbsteilufer bei Geesthacht), doch ist die Verteidigungsstellung nur unzulänglich befestigt. An den folgenden Tagen werden daher in aller Eile Minengürtel, Stacheldrahtverhaue, MG-Nester und Laufgräben angelegt; ferner werden große Mengen von Munition, deren Reste teilweise erst in den siebziger Jahren geräumt werden, herbeigeschafft.
Für die Verteidigung dieser Stellung stehen deutscherseits nur völlig unzulängliche Streitkräfte zur Verfügung, die ihrem britischen Gegner in quantitativer und qualitativer Hinsicht weit unterlegen sind. Oberbefehlshaber ist der Chef der Heeresgruppe Nordwest, Feldmarschall Busch, der seinen Gefechtsstand in Wentorf bei Reinbek hat. Ihm unterstehen Reste der 25. Armee und der 1. Fallschirm-Armee sowie die erst wenige Wochen zuvor gebildete Armee Blumentritt (Gefechtsstand Hitzhusen) und das ihr zugeordnete Korps Witthöft (Gefechtsstand Bokeler Mühle). Insgesamt stehen sieben Divisionen — genauer gesagt: die Reste davon – zur Verfügung, die durch nur sehr bedingt kampffähige Verbände ergänzt werden (zum Erdkampf herangezogene Marine- und Luftwaffeneinheiten, Reichsarbeitsdienst- und Polizeiverbände, Volkssturm-Einheiten etwa im Bereich Krempe, Barmstedt und Mölln).
Vom 24. April an fliegt die Royal Air Force zur Vorbereitung des britischen Vorstoßes nach Schleswig-Holstein Luftangriffe auf die deutschen Stellungen bzw. deren Hinterland mit dem vorrangigen Ziel, die Eisenbahnverbindungen zu zerstören. Zunächst greifen 110 Lancaster-Bomber die Stadt Oldesloe an, die auf Luftabwehr nicht vorbereitet ist; 700 Tote sind zu beklagen. In den folgenden Tagen werden dann Elmshorn, Barmstedt, Büchen und – zum wiederholten Male – Kiel bombardiert. Auch der Angriff auf die durch Flüchtlinge und Wehrmachtseinheiten völlig verstopfte Reichsstraße 76 zwischen Plön und Eutin sowie die Versenkung der „Kap Arcona“, auf der sich 7000 KZ-Häftlinge befinden, sind in diesem Zusammenhang zu sehen.
Am 27. April begibt sich Dönitz nach Rheinsberg, um sich ein Bild von der Lage an der deutsch-russischen Front zu machen, die bedrohlich näher rückt. Er wählt dieses Ziel sicherlich auch, um Abschied zu nehmen von einer versinkenden Welt, deren Traditionen er sich verpflichtet fühlt. Auf der Rückreise trifft er in Lübeck den Reichsführer-SS Heinrich Himmler, der ihm aber nicht von seinen Kontakten mit dem Vizepräsidenten des Schwedischen Roten Kreuzes, Graf Folke Bernadotte, berichtet, mit dessen Hilfe er eine Teilkapitulation an der Westfront erreichen möchte.
Mittlerweile drängt Churchill, der einen baldigen Zusammenbruch der vor-pommerschen Front erwartet, Montgomery dazu, sobald wie möglich die Elbe zu überschreiten. Am 29. April, kurz nach Mitternacht, eröffnen die britischen Batterien ein verheerendes Dauerfeuer auf die deutschen Stellungen bei Lauenburg. Im Schutz dieses Feuers setzen westlich und östlich des Stadtzentrums amphibische Fahrzeuge über die Elbe; britische Truppen umschließen die Stadt und dringen anschließend in das Zentrum ein. Um 8 Uhr morgens ist ein kleiner Brückenkopf vorhanden. Aus dieser Situation heraus entwickelt sich die letzte große Schlacht in Nordwestdeutschland, die einzige größere Landschlacht auf schleswig-holsteinischem Boden. Die deutschen Verbände versuchen, im Gegenangriff den britischen Brückenkopf einzudrücken; dabei werden auch Düsenjäger vom Typ Messerschmitt 262 eingesetzt, die mit einer Höchstgeschwindigkeit von 960 Stundenkilometern damals die leistungsfähigsten Militärflugzeuge überhaupt sind, von denen jedoch nur noch wenige Maschinen zum Einsatz kommen.
Am 30. April versucht ein SS-Bataillon, den Vormarsch der Briten bei Lütau zu stoppen, erleidet dabei aber schwere Verluste. Aus dem Sachsenwald heraus treten zwei deutsche Regimenter zum Gegenangriff an, können jedoch nicht verhindern, daß die Briten ihren Brückenkopf bis Geesthacht und Schwarzenbek ausdehnen. Der Durchbruch nach Norden gelingt den Truppen Montgomerys jedoch noch nicht.
Am gleichen Tag um 18.35 Uhr, drei Stunden nach Hitlers Tod, trifft in Plön der Funkspruch aus Berlin ein, durch den Großadmiral Dönitz zum Reichspräsidenten ernannt wird. Dönitz ist entschlossen, den Krieg zu beenden, möchte jedoch noch so viele Menschen wie möglich vor dem Zugriff der Roten Armee retten. Deshalb soll vorerst der Kampf an der Ostfront fortgesetzt und, damit die Schleuse südlich Lübeck offen gehalten werden kann, Schleswig-Holstein auch gegen die Briten verteidigt werden. Dönitz bildet in Plön eine Regierung, der u. a. der Rüstungsminister Speer und der Außenminister Lutz Graf Schwerin-Krosigk angehören. Himmler wäre gerne Reichskanzler geworden, wird aber nicht berücksichtigt.
Bei einem Treffen in Eutin gratuliert Himmler Graf Schwerin-Krosigk zu seiner Ernennung. Noch nie habe ein deutscher Außenminister sein Amt in einer so günstigen Lage angetreten. Der Zerfall der Siegerkoalition sei nämlich mit Sicherheit zu erwarten, Deutschland spiele dann das Zünglein an der Waage, könne seine Bedingungen stellen und werde schon bald wieder seinen Einfluß bis zum Ural ausüben. Der Graf über seinen Besuch im Eutiner Landratsamt: „Ich hatte das Gefühl, in ein Irrenhaus geraten zu sein.“
Am 2. Mai durchbrechen die Briten aus ihrem Brückenkopf heraus in breiter Front die deutschen Linien und stoßen weit nach Norden und Nordwesten vor. Gleichzeitig erreichen britische Truppen Wismar – sechs Stunden vor Ankunft der russischen Panzer. Im Wehrmachtsbericht heißt es zum 2.5.: „Beiderseits des Elbe-Trave-Kanals stießen die Engländer aus dem Raum Mölln auf Lübeck vor und nahmen die Stadt. Vorgeworfene Abteilungen erreichten Bad Segeberg und den Raum nordwestlich von Plön.“ In Ostholstein gibt es keine zusammenhängende deutsche Front mehr; der Weg nach Kiel steht den Briten offen.
Dönitz zieht aus der veränderten militärischen Lage sogleich die Konsequenzen. Der Widerstand gegen die Briten ist sinnlos geworden, nachdem diese die Ostsee erreicht haben. Dönitz beauftragt daher noch am Abend des 2. Mai den Generaladmiral v. Friedeburg, sich in das Hauptquartier Montgomerys in Wendisch-Evern bei Lüneburg zu begeben und eine Teilkapitulation für Nordwestdeutschland auszuhandeln; im Osten soll weitergekämpft werden, damit möglichst viele Flüchtlinge Gelegenheit erhalten, die britisch-amerikanischen Linien zu erreichen.
Zugleich erteilt Dönitz dem Hamburger Kampfkommandanten Wolz Vollmacht, die Stadt kampflos zu übergeben. Wolz erhält Befehl, die Truppen „aus Hamburg herauszuziehen und in die Linie Elmshorn – Bad Bramstedt [Barmstedt ?] – Alveslohe, die zu halten ist, zurückzuführen.“ Für den Fall, daß diese Stellung von Briten durchbrochen wird, ist eine Auffanglinie vorgesehen, die von Horst über Offenseth und Lutzhorn nach Lentföhrden reicht.
Dönitz hat sich mit v. Friedeburg auf der Levensauer Hochbrücke getroffen, die nordwestlich von Kiel den Nordostseekanal überquert. Er ist nämlich auf dem Weg nach Flensburg, um sich angesichts des britischen Vormarsches in Ostholstein seinen Handlungsspielraum für die bevorstehenden Kapitulationsverhandlungen zu bewahren. Dies ist auch der Grund, weshalb die Krückaulinie verteidigt werden soll. General Blumentritt hat jedoch mittlerweile mit den Briten vereinbart, sich auf eine Linie 40 km nordwestlich von Hamburg zurückzuziehen, und erspart damit den Orten Elmshorn, Barmstedt und Alveslohe den infanteristischen Endkampf.
In Anbetracht des britischen Vormarsches auf Lübeck und Bad Segeberg setzt sich Himmler am 2. Mai nach Westen ab. In einem Waldstück an der Reichsstraße 206 zwischen Bad Segeberg und Bad Bramstedt trifft er sich zu einer Unterredung mit Reichsminister Speer. Bevor er untertaucht, erkundigt er sich noch in Bad Bramstedt bei Wehrmachtsoffizieren über die militärische Lage.
Am 3. Mai ordnet Generalmajor Wolz als Hamburger Kampfkommandant den Rückzug aus der Stadt an; anläßlich seines 80. Geburtstags wird er dafür 1977 von Bürgermeister Klose als Retter Hamburgs geehrt. Die Übergabe Hamburgs erfolgt im Einvernehmen mit der politischen Leitung. Gauleiter Kaufmann: „Wem soldatische Ehre gebietet weiterzukämpfen, hat hierzu Gelegenheit außerhalb der Stadt.“
Am 4. Mai wird im Hauptquartier Montgomerys über die Teilkapitulation Nordwestdeutschlands verhandelt. Zur gleichen Zeit setzen die Briten ihren Vormarsch fort und erreichen von Plön aus Kiel; am Vormittag werden Pinneberg und Wedel, am Nachmittag auch Quickborn besetzt. Vor laufenden Kameras werden um 18.30 Uhr die Kapitulationsvereinbarungen unterzeichnet. Sie sehen vor, daß alle den Briten gegenüberstehenden Truppen, auch die in Dänemark und Holland, bedingungslos kapitulieren. Wehrmachtsangehörige, die aus dem Osten in den Operationsbereich der Briten gelangen, sollen in Gefangenschaft genommen werden. Mündlich wird zugesichert, daß deutsche Soldaten nicht an die sowjetische Armee ausgeliefert werden und daß die Transporte über See weitergehen können.
Am 5. Mai ist der Krieg in Nordwestdeutschland zu Ende; um 8.00 Uhr tritt die zwischen v. Friedeburg und Montgomery ausgehandelte Teilkapitulation in Kraft. Im Laufe des Tages besetzen die aus dem Afrika-Feldzug bekannten „Wüstenratten“, die in den vorangegangenen Wochen vor Hamburg gelegen hatten, das südwestliche Schleswig-Holstein. Montgomery befiehlt seinen Truppen jedoch, am Nordostseekanal anzuhalten. Erst vom 8. Mai an bewegen sie sich weiter in Richtung Norden.
Unmittelbar nach dem Inkrafttreten der Kapitulationsvereinbarungen kommt es zu allerlei Auflösungserscheinungen. Zivilisten plündern Wehrmachtslager, zwangsweise verpflichtete Fremdarbeiter gehen gegen die deutsche Bevölkerung vor. Um die Lage unter Kontrolle zu behalten, legen die Briten größten Wert darauf, daß die deutschen Befehlsstrukturen erhalten bleiben. Sie verlangen jedoch, daß der Hitler-Gruß in der Wehrmacht wieder abgeschafft und prominente Nationalsozialisten entmachtet werden. Im Zusammenhang mit diesen Forderungen entläßt Dönitz am 6. Mai den Gauleiter Hinrich Lohse als Oberpräsidenten von Schleswig-Holstein.
Das Verhalten der Briten gegenüber den Wehrmachtsdienststellen und der deutschen Zivilbevölkerung ist in aller Regel korrekt. Dazu äußert sich beispielsweise General Blumentritt wie folgt: „Ich … bin korrekt und fair als besiegter Soldat und mit Ehren behandelt worden.“ Beim Empfang in Lüneburg wird ihm sogar eine Ehrenkompanie gestellt!
Am 7. Mai wird in Reims die bedingungslose Gesamtkapitulation der deutschen Wehrmacht unterzeichnet, nachdem General Eisenhower eine Teilkapitulation gegenüber den westlichen Alliierten abgelehnt hat. Auf Verlangen der Sowjets wird die Unterzeichnung in der Nacht vom 8. zum 9. Mai in Berlin-Karlshorst wiederholt. Am 9. Mai um 0.01 Uhr schweigen an allen Fronten die Waffen.
Was die weitere politische Entwicklung in Schleswig-Holstein angeht, so ist die Niederlage vom 8. Mai 1945 die Voraussetzung dafür, daß wieder an die alte Verfassungstradition des Landes angeknüpft werden kann. Nach und nach werden demokratische Verhältnisse geschaffen, und mit der Gründung des Landes Schleswig-Holstein und der Bundesrepublik Deutschland erfüllt sich erstmals der alte Traum von einem freien Schleswig-Holstein in einem freien Deutschland. Dieses Deutschland umfaßt jedoch nicht die Gesamtheit der Nation, und Schleswig-Holstein, an der Nahtstelle zwischen zwei verfeindeten Welten gelegen, hat die negativen Folgen der deutschen Teilung, durch die der Raum Lübeck-Lauenburg zur Grenzregion geworden ist, jahrzehntelang besonders stark gespürt. Schleswig-Holstein – zunächst aufgrund des Flüchtlingszustroms stark übervölkert – leidet auch unter der schwach entwickelten gewerblich-industriellen Infrastruktur und der periphären geographischen Lage und gilt lange Zeit als das Armenhaus der Bundesrepublik Deutschland. Erst mit der Norderweiterung der Europäischen Union, vor allem aber durch die Wiedervereinigung Deutschlands tritt eine entscheidende Verbesserung dieser Situation ein. Es steht zu hoffen, daß sich die geographische Lage im Übergangsraum zwischen Nord- und Mitteleuropa einerseits, dem westlichen und dem östlichen Norddeutschland andererseits gerade auch in wirtschaftlicher Hinsicht günstig auswirkt.
Da sich ein historisches Datum wie der 8. Mai 1945 unmöglich unter ausschließlich regionalgeschichtlichen Aspekten würdigen läßt, sei abschließend die Erweiterung der historischen Perspektive gestattet. Weltgeschichtlich gesehen bedeutet das Ende des Zweiten Weltkriegs den Abschluß der größten Katastrophe aller Zeiten. daß innerhalb von weniger als sechs Jahren etwa 55 Millionen ums Leben kommen, davon rund die Hälfte Zivilisten, hat es in der bisherigen Menschheitsgeschichte noch nicht gegeben.
Europageschichtlich gesehen bedeutet der 8. Mai 1945 das Ende der Epoche des Faschismus, die etwa 1920 beginnt und dadurch gekennzeichnet ist, daß sich in einer Vielzahl europäischer Staaten autoritäre oder diktatorische Regime nationalistischer Prägung etablieren. Da auch die Geschichte Europas ganz überwiegend durch freiheitliche Verhältnisse gekennzeichnet ist, endet damit eine für den Kontinent untypische Epoche der Verfassungsgeschichte. Andererseits gehen die ebenfalls totalitären Systeme des Kommunismus gestärkt aus dem Zusammenbruch des Dritten Reiches hervor; erst viereinhalb Jahrzehnte später sollten auch sie ihr Ende erleben.
In nationalgeschichtlicher Sicht bedeutet das Ende des Zweiten Weltkriegs die zweite große Katastrophe der Deutschen nach der des Dreißigjährigen Krieges. Was Menschenverluste und Zerstörungen angeht, sind beide Kriege miteinander vergleichbar. Da jedoch im Mai 1945 – erstmals in der 1200jährigen Geschichte des deutschen Volkes -jede deutsche Staatlichkeit erlischt, da ferner durch die Untaten der Nationalsozialisten das deutsche Ansehen in der Welt nachhaltig beschädigt ist, muß man wohl doch den Zweiten Weltkrieg als die größere der beiden Katastrophen einschätzen.
Die Befreiung vom nationalsozialistischen Regime stellt die historische Voraussetzung für die Wiederherstellung freiheitlicher Verhältnisse auf deutschem Boden dar, auch wenn viele Deutsche damals den 8. Mai 1945 keineswegs als einen Tag der Befreiung empfunden haben. Dies gilt insbesondere für die Ostdeutschen, deren Mehrheit neues Leid und neue Not erfahren mußte und die entweder von Haus und Hof vertrieben wurden oder sich in einer neuen Diktatur wiederfanden, die erst 1989/90 beseitigt werden konnte. Man kann also, was Freiheit und Demokratie in Deutschland angeht, den 8. Mai 1945 nicht isoliert betrachten, sondern muß ihn im Zusammenhang mit der Revolution in der DDR und der Wiedervereinigung Deutschlands sehen. Das gleiche gilt übrigens auch für die Vorgeschichte des Dritten Reiches, insbesondere für das Ende des Ersten Weltkriegs und den nachfolgenden Versailler Vertrag, wodurch überhaupt erst die Voraussetzungen für die Heraufkunft des Nationalsozialismus geschaffen werden. Erst wenn man den 8. Mai 1945 im Zusammenhang mit dem 9. November 1918 und dem 9. November 1989 sieht, wird man der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts in ihren Grundlinien gerecht.