Die Verdrängung des Nichtariers Oskar Alexander aus der von ihm aufgebauten Rheumaheilstätte zu Zeiten des 1000jährigen Reiches hat bereits Gerhard Hoch in den ausführlich dargestellt in seinem Buch „Oskar Alexander – Vom Kurhaus ins Konzentrationslager.
Darin ist das nachstehende Schriftstück, das Alexander 1936 im Kampf um seine Existenz verfasst hat, nur kurz erwähnt und wird in Fußnote 9 genannt.
Es gibt nicht nur viele Informationen zum Alten Kurhaus und zu Bad Bramstedts Anfängen als Rheumaheilstätte, sondern lässt tief in die Seele dieses zutiefst verletzten und gedemütigten Menschen blicken.
Ein Stück Zeitgeschichte … deren Täter kaum oder gar nicht zu Rechenschaft gezogen wurden.
1918 – 1936.
Als ich Ende 1918, eben aus dem Krieg gekommen, das alte Kurhaus übernahm, fand ich einen Trümmerhaufen vor. An und für sich schon veraltet, war das Kurhaus durch die 4 Jahre Stillegung während des Krieges gänzlich verfallen in des Wortes wahrster Bedeutung.
Mein damaliges Vermögen, das ich aus meinem Geschäftsverkauf in Hamburg erübrigt hatte, RM. 100.000.– rd., ging durch die Inflation verloren.
Nach Stabilisierung der Mark 1924 musste ich neu anfangen.
1925 gelang es mir, die Versicherungsträger nach Bad Bramstedt zu rufen. Diese verlangten vor Abschluß eines Vertrages den Aus- und Aufbau, des Hauses, das für eine grössere Frequenz in diesem Zustande nicht in Betracht kam. Insgesamt habe ich von 1925 – 1930 rund RM. 250.000.– in das Haus gesteckt für Neu- und Umbauten, Erneuerung der Maschinen, Instandsetzung usw. Nach dem Vertrag mit den derzeitigen Besitzern sollten mir RM. 150.000.– bei Ablauf des Vertrages 1930 zurückgezahlt werden.
Ausser dieser Summe habe ich an Pacht für die Jahre 1925 – 1930 rd. RM. 200.000.- bezahlt.
Es ist ‚Eingeweihten bekannt, daß ich nach vierjährigem Prozeß, den ich gewonnen habe, als einzigen Erlös daraus den halben Anteil des alten Kurhauses bekommen habe, weil die Gegner ja inzwischen ihr Vermögen verloren oder verschoben hatten, den ich für RM 25.000.– der Stadt weitergegeben habe. Die Prozeß- und Gerichtskosten betrugen rd. RM. 13.000.–. Ich habe also von den RM. 250.000.–, die ich in das alte Kurhaus gesteckt habe, in Wirklichkeit nur RM. 12.000,– zurückerhalten.
1928, als die Besitzer des alten Kurhauses die Modernisierung der vollständig veralteten Anlage ablehnten, schlug ich den Bau dieses neuen Kurhauses vor, damit nicht die wertvolle Verbindung mit den Versicherungsträgern der Stadt Bramstedt verlorengehe. Es war mir gelungen, das Vertrauen dieser Kreise durch die richtige Behandlung und Verpflegung ihrer Pfleglinge für Bad Bramstedt zu gewinnen. Besonders auch dadurch, daß ich schon damals – als erster – keinerlei Unterschiede machte hinsichtlich Behandlung und Verpflegung zwischen Privat- und Kassenpatienten.
Die Entscheidung, ob dieses Haus nach Bad Bramstedt kommen sollte oder nach Lüneburg, hing sozusagen an einem Faden. Lüneburg machte die größten Anstrengungen, die Versicherungsträger für sich zu gewinnen und hatte große Terrainflächen für den .Bau des Hauses zur Verfügung gestellt. Ich darf sagen, daß es meiner damaligen Initiative gelungen ist, die Versicherten endgültig für Bramstedt zu gewinnen.
Es ist aktenmässig zu belegen, daß ich von vornherein jeden Bau ablehnte dessen Gestehungskosten über 1 Million hinausgingen. Ich habe damals einen genauen Rentabilitätsplan ausgearbeitet, der aber verworfen wurde.
Weiter kann ich aktenmässig belegen, daß ich 1928 von allen Sitzungen diesen Bau betreffend, ausgeschlossen worden war unter dem Vorwand, daß ich kein Gesellschafter sei. Es ist also nicht meine Schuld, wenn der Bau der Rheumaheilstätte schließlich über 3 Millionen gekostet hat und viel zu groß geraten ist.
Ich habe mich von Anfang an der Rheumaheilstatte gegenüber als der Treuhänder gefühlt, wie ich es heute noch tue.
1928 habe ich der Rheumaheilstätte das jetzige Moorgelände gesichert. Ausser diesem Moorgelände gibt es in ganz Bramstedt keines, das quantitativ und qualitativ für ein Moorbad geeignet wäre. Dieses Moorgelände ist überhaupt das einzige, das für unser Haus in Frage kam, sowohl hinsichtlich der Ausbeutungsmöglichkeit wie auch der Qualität der Moorerde.
Der Balneologe Dr. Benade von der Reichsanstalt für Bäderprüfung erklärte, daß er selten ein solch plastisches Moor vorgefunden hätte. Die unteren Schichten seien geradezu wie eine hergerichtete Paste.
Durch intensive Arbeit mit dem hiesigen Makler, Herrn Julius Schnoor, gelang es uns, dieses Gelände von fast 25 Morgen, das einen Moorvorrat von 2 1/2 Millionen Bäder enthält für RM. 24.000.– zu erwerben.
Ich habe diese RM. 24.000 .–aus meiner Tasche bezahlt und dieses Geld erst nach Jahren wiederbekommen. lch habe, obwohl ich viel Arbeit mit diesem Landankauf gehabt habe, nicht einen Pfennig für die Rheumaheilstätte aufgeschlagen, sondern habe den gleichen Betrag wiedergefordert. Notarielle Beurkundung hierüber kann ich nachweisen.
Schon bei Eröffnung der Rheumaheilstätte 1931 befand sich diese in grossen finanziellen Schwierigkeiten, weil sie das Betriebskapital verbaut und sogar von den beiden Landesversicherungsanstalten Vorschüsse für die Baukosten mit verwendet hat. Um überhaupt dieses Haus nicht schon im Anfang kaputtgehen zu sehen, das doch immerhin 150 Leuten, von denen ein grosser Teil seit 12 Jahren bei mir war, Arbeit und Brot gab, habe ich durch Personalkredite die Weiterführung ermöglicht.
Hätte damals nicht die Bramstedter Sparkasse in der Person des Herrn Rendanten Sievers mir das Vertrauen geschenkt, einen Kredit bis rd. RM. 70.000.- einzuräumen, so wäre damals schon .das Schicksal der Rheumaheilstätte besiegelt gewesen. Auch Herr Quistorff von der Firma H.F. Quistorff wird bestätigen, daß nur das Vertrauen, das ich mir in 12 Jahren erworben habe, einen weiteren Lieferantenkredit bis zu RM. 90.000.– ermöglichte.
1932 stand die Rheumaheilstätte vor dem Ruin, in der Hauptsache dadurch hervorgerufen, daß die Privatpatienten fehlten. Alle Gläubiger, die im Vertrauen auf mich ihr Geld gegeben hatten, hätten dieses verloren, wenn ich nicht als Pächter eingesprungen und einen Vertrag geschluckt hätte, den schon Herr Oberbürgermeister Maass als einen Knebelungsvertrag bezeichnet hat. Ich muß dieses einmal an dieser Stelle klar zum Ausdruck bringen. Um die Gläubiger der Rheumaheilstätte zu schützen, bin ich damals eingesprungen und habe damit meinen eigenen Vermögensverfall vorbereitet. .
1932, nachdem. ich am 1.6. die Pacht übernommen hatte, gelang es mir, in 4 Monaten 455 Privatpatienten anzuschaffen. 1932 hatte ich einen Reingewinn von RM. 25.000.-.
Das Jahr 1933 war das ungünstigste Jahr hinsichtlich der Beschickung durch Versicherte.
Die Zahl der Versicherten betrug 1.464, denen gegenüber 791 Privatpatienten standen. Wäre es mir nicht in diesem. Jahre durch intensive Werbung gelungen, eine solche Zahl von Privatpatienten (54% gegenüber den Versicherten) heranzuziehen, dann hätte ich schon damals schwere Verluste gehabt. :So konnte ich 1933 noch eben balancieren.
Von 1934 an tritt ein sichtbarer Vermögensverfall ein. Hierfür sind drei Umstände verantwortlich:
– die wachsenden Reparaturkosten,
– das Versagen der Versicherungsträger.
– der Auf- und Ausbau des ärztlichen Apparates von RM. 20.000.- bis jetzt RM. 80.000.
Erfahrungsgemäß dürfen die Reparaturkosten eines Neubaues, von der Art unseres Hauses. in den ersten. 5 Jahren höchstens 3 – 5 Pfg. per cbm jährlich betragen. B e i u n s betragen die Reparaturkosten per cbm jährlich 24 Pfg !
Hinsichtlich des Arztapparates hat man den Ausbau in dieser Höhe seitens grosser Versicherungsträger verlangt, wie ja auch bekannt ist.
Auf der anderen Seite hat sich herausgestellt, daß das Haus für eine ständige gleichmässige Belegung zu groß war. Wäre es nicht meiner Werbungsmethode gelungen, im Laufe von rd. 4 Jahren 3.027 Privatpatienten mit 86.486 Patiententagen = RM. 700.000.– anzuschaffen, so wäre das Haus schon lange nicht mehr zu halten gewesen. Hier zu kommen noch rd. RM. 120.000.– für Einnahmen von ambulanten Privaten, die meine Werbung gewonnen hat, sodaß also insgesamt rd. RM. 820.000.– Einnahmen durch Besuch der Privatpatienten zu verzeichnen sind.
Ich ganz allein habe in den 18 Jahren die Propaganda für das Bad Bramstedt tragen müssen. Als ich vor 18 Jahren begann, kannte kaum jemand in Hamburg Bad Bramstedt. Heute hat es sich weit über Hamburg hinaus Ruf und Ansehen verschafft. Das alles war nur möglich unter Aufbietung grosser Geldmittel.
Auch der Vertrieb der Moorsalzquelle war von mir als ein grosses Propagandainstrument gedacht; ist doch Pistyan [Anm.: bekanntes Kurbad in der Slowakei] erst durch den Vertrieb seines Schlammes das Bad von heute geworden. Etwas Ähnliches schwebte mir auch hinsichtlich der Moorsalzquellpaste vor. Wenn in allen Städten der Name „Bad Bramstedt“ durch die Moorsalzquellpaste in die Augen fällt, so ist das die großartigste und zugleich billigste Werbung, die es überhaupt gibt. Man darf also den Vertrieb der Moorsalzquelle nicht nur nach den Ausgaben berechnen, sondern muß die Werbung als wichtiges Kalkül mit hineinbeziehen. Ich bin überzeugt, daß ich mit dieser Erfindung der Stadt Bad Bramstedt eine Industrie gegeben habe, die von Jahr zu Jahr wachsen wird. Diese Ansicht teilt auch die Firma Rud. Deecke, Lübeck, Generalvertreterin des grossen Schering-Konzerns.
Auch andere Firmen stehen auf diesem Standpunkt.
Hätte ich rein kaufmännisch dieses Kurhaus angepackt, so wäre ich heut sicherlich in einer guten finanziellen Lage, aber ich hielt es für meine Aufgabe, das Bad in ideeller Hinsicht zu gestalten, was vor allen Dingen in dem ärztlichen Apparat zum Ausdruck kommt. Ich hielt es für meine Pflicht, das Haus selbst in einen baulichen Zustand zu bringen, der jeder Kritik standhält, während in dem Regiebetrieb eben nur die zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendigen Reparaturen mir zu machen gestattet war aus Mangel an Mitteln. Darum bin ich sozusagen mitten in die Kinderkrankheiten dieses Neubaues gefallen, die mit jedem Jahr mehr in Erscheinung traten.
Jedenfalls muß man erkennen, daß das Haus in seinem heutigen inneren und äusseren Ausbau nur möglich geworden ist durch meine Aufopferung. Diese oben ausgeführten Tatsachen .sind die Ursache meines Vermögensverfalls.
18 Jahre habe ich nur daran gedacht, Bad Bramstedt zu einem Bade zu machen, 18 meiner besten Jahre habe ich geopfert. Ich darf erwarten, daß man dieses anerkennt und daß man mir die Möglichkeit gibt, mir im Laufe der folgenden Jahre eine neue Existenz zu gründen. Ich bin niemals gegen einen meiner Kontrahenten oder Mitarbeiter kleinlich gewesen. Ich darf hoffen und habe die Hoffnung bestärkt durch die erste Aussprache mit dem Herrn Vorsitzenden, daß man auch gegen mich nicht kleinlich sein wird, daß man nicht vergessen wird, daß es in meinen immerhin vorgerückten Jahren und der heutigen Geschäftslage nicht leicht ist, Terrain wiederzuerobern.
Stände ich allein, so wäre die Sache einfacher, heute aber habe ich Verpflichtungen gegen meinen Sohn, der nach seinem Reichswehrjahr seine Sprachstudien fortsetzen muß.
Wenn dieses Haus nicht ein großer Zuschußbetrieb werden soll, dann bedarf es nach wie vor der Frequenz durch die Privatpatienten. Neben der Moorsalzquelle wäre hier ein Gebiet, wo ich auch später der Rheumaheilstätte nützlich sein könnte. Ich hoffe, daß nach dieser Seite hin eine Verständigung möglich sein wird.
Wen ich heute zurückblickend den Kampf dieser 18 Jahre, den ich um die Geltung von Bad Bramstedt als Bad geführt habe, mir vor Augen halte, einen Kampf ohne Ausspannung und Atempause, beginnend mit der traurigen Zeitepoche nach einem verlorenen Krieg, durch eine Inflation, die das ganze Vermögen verschlang, und heute nun.das Ende dieses Kampfes für mich persönlich sehe, dann wird wohl jeder verstehen, daß über alles Materielle hinweg das Abtreten von meinem Lebenswerke zu einer Zeit, wo es sich endlich seiner inneren Vollendung nähert, das größte
Opfer ist, das man einem schaffenden Menschen auferlegen kann.
Bad Bramstedt, den 23. Mai 1936.
gez.: ALEXANDER.