1861/62 – Müllerin Wichmann zieht gegen den Weddelbrooker Müller vor Gericht

In den „Hosteinischen Anzeigen“ von 1862 fand ich zufällig zwie Urteile aus den Jahren 1861/2 zur Bramstedter Wassermühle und zur Weddelbrooker Mühle. (https://archive.org/details/bub_gb_qboOAAAAYAAJ/page/244/mode/2up?q=bramstedter+nachrichten)

Nach Aufhebung des Mühlenzwanges war der Weddelbrooker Müller (Name nicht genannt) offenbar in den Augen der Bramstedter Müllerin zu umtriebig und zu erfolgreich und sie verlangte vom Staat, der den Mühlenzwang einige Jahre vorher abgeschafft hatte, eine Entschädigung.

Interessant, dass sie hier als Klägerin auftritt und als Besitzerin der Mühle genannt wird. Seit Jahren war sie mit Nicolaus Friedrich Paustian verheiratet, den wir in der Bramstedter Geschichte als den Müller Paustian kennen. Formaljuristisch war die Mühle aber immer noch der Familie Wichmann zuordnet, die auf der Mühle schon seit dem 17. Jahrhundert genannt wird.

Interessant ferner, dass das Glückstädter Obergericht und das Kieler Oberappelationsgericht mit unterschiedlichen Begründungen die Klage(n) ablweisen.

 

 

Allerhöchst privilegirte holsteinische Anzeigen.

Redigirt von den Obergerichtsräthen Etatsrath Henrici und Lucht.
Gedruckt bei Augustin in Glückstadt.

32. Stück.  –  Den 14. August 1862,

 

Entscheidungen.


Ueber die bei Ermittelung der Entschädigung für den aufgehobenen Mühlenzwang zu
beobachtenden Grundsätze.

In Sachen des Müllers Nic. Fr. Paustian, uxor [Ehefrau]. noie (genannt]. Metta Elisabeth Paustian, geb. Wichmann, in
Bramstedt, als Besitzerin der Bramstedter Mühle, Klägers,

wider

das Königl. Commissariat zur Leitung des die Aufhebung des Mühlenzwanges im Herzogthum Holstein betreffenden Entschädigungsverfahrens, Beklagten,

  • wegen verweigerter Entschädigung für die Aufhebung des mit der Bramstedter Mühle verbunden gewesenen Zwangsrechtes s. w. d. a.,

hat Kläger vortragen lassen, wie behufs Ermittelung der von dem Kläger beanspruchten von dem Commissariat verweigerten Entschädigung für die Aufhebung des mit der Bramstedter Mühle verbunden gewesenen Zwangsrechtes bereits zwei Taxationen [Wertschätzungen] stattgefunden. In beiden Fällen hätten die gegnerischen Taratoren, welchen der Obmann schließlich beigetreten, das Vorhandensein irgend welchen Schadens verneint, während die Taxatoren des Klägers die Entschädigung das erste Mal auf 3,572 [?] 88 ß R.-M., das zweite Mal auf 5,745 [?] 30 ß R.-M. berechnet hätten. Kläger sei demnach genöthigt gewesen, den Rechtsweg einzuschlagen.

In der Klage sind sodann die Umstände hervorgehoben, welche den ungünstigen Ausfall der Taxationen bewirkt hätten und ist besonders darauf hingewiesen, daß die für den Kläger besonders gefährliche Concurrenz der Wassermühle zu Weddelbrock nicht gehörig in Rechnung gebracht worden sei. Diese Mühle sei nämlich nur als Schrotmühle concessionirt und hätten daher die Taxatoren nur den durch den freigegebenen Mehlhandel erwachsenen Schaden veranschlagt. Dabei sei jedoch übersehen, daß in solchen Fällen Contraventionen [Verstöße, Zuwiderhandlungen] schwerlich nachweisbar sein würden, indem die Mahlgäste dem Müller ihr Korn verkauften und das Mehl wieder kauften. Eine Schrotmühle sei überhaupt zu jeder Concurrenz berechtigt, da eine feste Grenze zwischen Mehlmahlen und Schroten nicht existire.

Von dem Kläger ist dann eine Berechnung sowohl über den Abgang als den Zugang von Kundschaft angestellt und dabei des Weiteren ausgeführt, daß es eben nur auf den Unterschied in der Zahl der regelmäßigen Mahlgäste und auswärtigen Mehlconsumenten, so wie auf die Haltung etwaniger Mehllager ankommen könne, eine anderweitige Mehlausfuhr aber außer Berücksichtigung bleiben müsse.

Auf Grundlage dieser Berechnung hat Kläger dann seinen Verlust, je nachdem die Weddelbrocker Mühle mit in Berücksichtigung gezogen werde oder nicht, auf 8,110 [?] 90 ß R.-M. event. auf 4,573 [?] 67 ß R.⸗M. angegeben und gebeten, das beklagte Commissariat schuldig zu erkennen, diese Summen in Gemäßheit des Gesetzes vom 10. Mai 1854, namentlich auch mit Zinsen vom 1. Juli f. J. an den Kläger auszuzahlen, ref. exp.

Excipiendo [durch Einrede] hat der Beklagte es in Abrede gestellt, daß der Kläger durch die Aufhebung des Zwangsrechts der Bramstedter Mühle Schaden erlitten habe, und ist die aufgestellte Berechnung ald unrichtig bestritten worden, Was insbesondere die Weddelbrocker Mühle betreffe, so dürfe dieselbe nach wie vor nicht mit der Mühle des Klägers concurriren und nur durch den dem Weddelbrocker Müller freigestellten Mehlhandel sei eine Einbuße von Seiten des Klägers denkbar. Ein Verfahren wie das, welches in der Klage den Mahlgästen untergeschoben werde, wäre eine klare Umgehung des Gesetzes und daher eine offenbare Gewerbecontravention. Daß Mehlmahlen und Schroten dasselbe bedeute, sei vollständig verkehrt. Bei dem Gewinn, den der Kläger durch die allgemeine Aufhebung des Mühlenzwangs gehabt, müsse endlich nicht allein die Kundschaft, sondern auch die Mehlausfuhr, wie der Kläger sie besonders nach Neumünster in bedeutendem Umfange betreibe, mit berechnet werden und ist demnach, da der gehabte Vortheil den Verlust weit überwiege, auf Abweisung der Klage ref. exp. angetragen.

Nach stattgehabter mündlicher Verhandlung der Re- und Duplik steht solchemnach nunmehr zur Frage, wie zu erkennen.

     In Erwägung nun, daß, da Kläger behauptet hat, durch die Aufhebung des Zwangsrechts der Bramstedter Mühle einen näher angegebenen Schaden erlitten zu haben, von dem Beklagten aber das Vorhandensein irgend welcher Verlüste geleugnet worden ist, der Kläger den Nachweis seiner Behauptung zu führen haben wird;
     in Erwägung, daß dabei jedoch die Nachtheile, welche der Kläger aus der Concurrenz der Weddelbrocker Mühle herleitet, nur in so weit zu berücksichtigen sind, als diefelben durch den dem Weddelbrocker Müller freisstehenden Mehlhandel hervorgerufen worden, indem es zwischen den Parteien nicht streitig ist, daß die fragliche Mühle durch die Verordnung vom 10. Mai 1854, betreffend die Aufhebung des Mühlenzwanges, nicht das Recht erworben hat, mit dem Kläger hinsichtlich des Mehlmahlens zu concurriren, und die größere und geringere Leichtigkeit, gegen dbie gesetzlichen Vorschriften zu contraveniren oder dieselben zu umgehen, bei der Ermittelung der Entschädigungsansprüche keine Beachtung finden kann, wie es denn auch irrig ist, daß Mahlen und Schroten dasselbe sei;
     in Erwägung endlich, daß bei der Berechnung der dem Kläger durch die Aufhebung des Mühlenzwanges etwa erwachsenen Vortheile, wie auch in einem frühren Falle bereits entschieden worden,
                cf. Anz. pro 1861, Stück 39,
die Wahrscheinlichkeit eines Gewinnes durch die Mehlausfuhr in anderweitige frühere Zwangsdistricte mit in Berücksichtigung zu ziehen ist, wird auf eingelegte Recesse, nach stattgehabter mündlicher Verbandlung, hiedurch für Recht erkannt:

Könnte und würde Kläger, unter Vorbehalt des Gegenbeweises und der Eide, binnen Ordnungsfrist darthun und erweisen, daß ihm durch die Aufhebung des mit der Bramstedter Mühle verbunden gewesenen Zwangsrechts ein Schaden von 4573 [?] 67 ß R.-M. oder wie viel weniger entstanden sei, so würde nach solchen geführten oder nicht geführten Beweisen weiter ergeben, was den Rechten gemäß.
Wie denn solchergestalt hiedurch erkannt wird

V. R. W.

Urkundlich ꝛc. Publicatum im Königl. Holsteinischen Obergericht zu Glückstadt, den 5. December 1861.


Auf die von der Klägerin zur Hand genommene Oberappellation gegen dieses Erkenntniß erging der folgende abschlägige Bescheid:

Namens Sr. Königl. Majestät.

Auf die unterm 13. März d. J. hieselbst eingereichte Appellationschrift für die Besitzerin der früheren Zwangsmühle zu Bramstedt, Ehefrau Metta Elisabeth Paustian, geb. Wichmann, cum cur. mar., Klägerin und Appellantin,

wider

das Königl. Commissariat zur Leitung des die Aufhebung des Mühlenzwangs im. Herzogthum Holstein betreffenden Entschädigungsverfahrens, Namens und im Auftrag des Königl. Ministeriums für die Herzogthümer Holstein und Lauenburg, Beklagten und Appellaten,

  • wegen verweigerter Entschädigung, jetzt Appellation wider das Erkenntniß des Holfteinischen Obergerichts vom 5. December 1861, wird,

     in Erwägung, daß, da der Appellantin vor dem Gesetze vom 10. Mai 1854, betreffend die Aufhebung des Mühlenzwangsrechts, ein Zwangsrecht auf Schroten nicht zugestanden hat, der Weddelbrocker Müller schon vor Aufhebung des Mühlenzwangs für die Eingesessenen des früher zu der Mühle des Appellanten gehörigen Zwangsdistricts Korn zu schroten befugt war, mithin daraus, daß der Weddelbrocker Müller nach Aufhebung des Mühlenzwangsrechts für die Eingesessenen des früheren Zwangsdistricts der Bramstedter Mühle Korn zu schroten fortfährt, von der Appellantin ein Entschädigungsanspruch nicht hergeleitet werden kann, und zwar selbst auch dann nicht, wenn, wie Appellantin behauptet, der Unterschied zwischen seinem Schrot und grobem Mehl nicht mit der genügenden Bestimmtheit sollte festgestellt werden können, weil der Weddelbrocker Müller auch schon vor Aufhebung des Mühlenzwangsrechts in demselben Maaße wie jetzt schroten durfte und die jetzt etwa eingetretene größere Schwierigkeit der Ermittelung einer Ueberschreitung der dem Weddelbrocker Müller ertheilten Concession einen Entschädigungstitel nicht bildet,

hiemit
                         ein abschlägiger Bescheid
ertheilt.

Die Rechnung des Anwalts und Procurators ist auf 27 [?] 5 ß bestimmt.

Urkundlich ꝛc. Gegeben im Königlichen Oberappellationsgericht zu Kiel, den 28. Juni 1862.

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