March: Bramstedt im Früh- und Hochmittelalter – Forschungsprobleme und Hypothesen

aus dem Heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg, 1999 S. 38 ff

Dr. Ulrich March, Bad Bramstedt

Bramstedt im Früh- und Hochmittelalter –

Forschungsprobleme und Hypothesen

     Die ältesten Nachrichten zur Bramstedter Ortsgeschichte stammen alle erst aus dem späten Mittelalter und sind überdies wenig aussagekräftig. Wahrscheinlich im Jahre 1274 berichtet der Rat von Hamburg dem von Lübeck über ein – ergebnisloses — Treffen mit dem holsteinischen Grafen Adolf III., das „in dem Dorf Bramstedt“ („in villa Bramstede“) stattgefunden habe; es handelt sich um die erste Erwähnung des Ortsnamens überhaupt. In der Urkunde zur Landesteilung des Jahre 1316 wird auch über „dhat kerspel tho bramzstede“ verfügt, ohne daß nähere Einzelheiten genannt werden. 1322 verpfändet Graf Gerhard dem Kloster Itzehoe Einkünfte von Höfen „in unserem Dorf Bramsted“. 1344 beurkunden die Grafen Heinrich und Klaus die von ihnen mit der Hamburger Probstei getroffene Vereinbarung über die Patronatsrechte der Kirchen in Rendsburg und Bramstedt. Aus dem Jahr 1347 schließlich ist eine Liste der Einkünfte der Hamburger Probstei überliefert; das Kirchspiel Bramstedt hat jährlich 24 Mark zu entrichten und liegt damit im mittleren Bereich.
Angesichts dieses Befundes erscheint es auf den ersten Blick völlig unmöglich, einigermaßen gesicherte Angaben zur Bramstedter Ortsgeschichte des Hochmittelalters (800-1250 n. Chr.) oder gar des Frühmittelalters (500-800 n. Chr.) zu machen. Die landesgeschichtliche Forschung hat jedoch in den letzten fünfzig Jahren Methoden entwickelt, die es mitunter gestatten, auch dort weiterzukommen, wo die schriftlichen Quellen versagen. Im folgenden soll versucht werden, unter Heranziehung von Erkenntnissen der historischen Geographie, der Ortsnamenskunde und der Patrozinienforschung gewisse Grundzüge der ältesten Bramstedter Ortsgeschichte aufzuzeigen, auch wenn dabei naturgemäß manches hypothetisch bleiben muß.

     Die historische Ortsnamensforschung ist nach dem weitgehend gescheiterten Versuch, bestimmte Ortsnamen mit Stammesgebieten oder Siedlungsregionen in Zusammenhang zu bringen, schon seit langem dazu übergegangen, Ortsnamensformen auf Zeitepochen zu beziehen. Dabei stellte sich heraus, daß sich bestimmte Ortsnamensformen zu bestimmten Zeiten so stark häufen, daß sie als typisch für die betreffende Epoche angesehen werden können. Auch die Ortsnamensgebung ist von der Mode abhängig, ähnlich wie die Wahl der Vornamen, wenn auch nicht mit so schnellem Wechsel.
Typisch für die hochmittelalterliche Ausbau- und Rodungsepoche sind beispielsweise die auf -hagen oder -rade (im südelbischen Deutschland auch -rode, -reuth, -reit) endenden Ortsnamen, während etwa das Ortsnamenssuffix -wiek auf eine ältere Siedlungsepoche verweist. Die älteste für Nordelbingen überhaupt faßbare Ortsnamensschicht sind die -dorp-, -stede- und -feld-Orte sowie kurze, einsilbige Ortsnamensformen (z. B. Wrist, Puls). Die meisten Orte dieser Namensgruppe sind bereits im frühen Mittelalter entstanden oder mitunter vielleicht sogar noch älter.
Trägt man alle Orte mit der Endung -dorp/dorf, -stede/stedt und -feld und alle Orte mit einsilbigem Namen in eine Landkarte ein, so ergibt sich eine starke Konzentration in drei Regionen, und zwar werden flächendeckend der Holstengau, der Dithmarschengau und der Stormarngau erfaßt, während die dazwischen liegenden breiten Ödmarkenzonen, die erst später besiedelt worden sind, ausgespart bleiben. Mit Hilfe der Ortsnamensforschung ist es also möglich, die nordelbische Gaugliederung auf das frühe Mittelalter zurückzuführen, obwohl die älteste schriftliche Nachricht darüber erst aus dem 11. Jahrhundert stammt (Adam, Hamburgische Kirchengeschichte).
Was das genaue Alter der Orte dieser frühesten Namensperiode angeht, so ist die sprachwissenschaftliche Forschung bisher zu keinen sicheren Ergebnissen gekommen. Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht liegt ein Zusammenhang mit der Entstehung der nordelbischen Gaustruktur nahe.
Auch dieser Vorgang läßt sich nicht genau datieren. Die Gaustruktur dürfte jedoch spätestens bei der Konsolidierung der Siedlungsverhältnisse im Nordseeraum um die Mitte des Jahrtausends entstanden sein, also nach dem Abflauen der Wanderungsbewegungen, die mit der Besiedlung Englands durch Angeln, Sachsen und Jüten ihren Höhepunkt erreichen (um 450).
Die Orte, bei denen aus verschiedenen Gründen ein sehr hohes Alter zu vermuten ist oder die als erste in der schriftlichen Überlieferung auftreten, tragen allesamt Namen, die zur ältesten Ortsnamensschicht zu rechnen sind. Zu nennen wären etwa die in der „Visio-Godescalci“, einer Quelle des 12. Jahrhunderts, auftretenden Hauptorte des nördlichen und des östlichen Viertels des Holstengaues, Jevenstedt und Nortorf, ferner die bereits bei Adam genannten Gauhauptorte Schenefeld (für den Holstengau) und Meldorf (für den Dithmarschengau). Da Bramstedt dieser ältesten Ortsnamensschicht zuzurechnen ist und, wie sich durch viele weitere Beispiele zeigen ließe, in dem entsprechenden Verbreitungsgebiet liegt, bestehen keine Bedenken, auch für diesen Ort ein hohes Alter anzunehmen. Bramstedt ist nach dem ortsnamenskundlichen Befund jedenfalls lange vor der Jahrtausendwende, wohl im zweiten Drittel des ersten nachchristlichen Jahrtausends gegründet worden.

       Was die politischen und sozialen Verhältnisse des Ortes Bramstedt angeht, so ist man bis zum Ende des Hochmittelalters ganz und danach noch weitgehend auf Analogieschlüsse angewiesen, d. h. man geht davon aus, daß sich die politischsozialen Strukturen hier in gleicher Weise oder ähnlich entwickelt haben wie in anderen Orten, über die wir besser informiert sind. Das politische Leben spielt sich im Früh- und Hochmittelalter zwischen Nordsee, Eider und Elbe auf drei Ebenen ab: auf der Dorfebene, der Ebene des Gauviertels (später des Kirchspiels) und der Gauebene. Zentrales Verfassungsinstitut ist auf allen drei Ebenen ein Gremium, dem alle freien Männer angehören und das neben politischen und administrativen auch gerichtliche Aufgaben wahrnimmt (Dorfding, Lot- bzw. Kirchspielsding, Goding). Damit ist recht wahrscheinlich, daß in Bramstedt vor der 1999 vollzogenen Auflösung des Amtsgerichts rund anderthalb Jahrtausende lang Recht gesprochen worden ist.
An welcher Stelle in frühester Zeit das Bramstedter Dorfding zusammengetreten ist, wissen wir nicht. Nachdem der Ort Kirchdorf geworden ist, dürfte das Kirchspielsding – wie auch sonst üblich – unter freiem Himmel in der Nähe der Kirche zusammengetreten sein, denn Politik, Recht und Kult gehörten damals noch eng zusammen. Die zugehörige Richtstätte (Galgenberg) ist möglicherweise im oberen Teil des Düsternhoop zu lokalisieren. Zwar haben wir Nachrichten, die eine solche Vermutung nahelegen, erst aus sehr viel späterer Zeit, aber gerade im Bereich des Rechts- und Gerichtswesens ist häufig eine erstaunliche Kontinuität zu beobachten.
Angelegenheiten von überörtlicher Bedeutung werden auf dem Lotding verhandelt, der Versammlung aller Freien eines Gauviertels. Da Bramstedt zum Südviertel des Holstengaus gehört, ist das Lotding von Kellinghusen zuständig. Es dürfte im Bereich der Cyriakuskirche zusammengetreten sein, vielleicht auch schon in vorchristlicher Zeit, denn die ältesten Kirchen werden mit einiger Regelmäßigkeit an den früheren heidnischen Kultstätten errichtet. Mit der Errichtung weiterer Kirchspiele verringert sich die Bedeutung des Kellinghusener Lotdings, dessen Befugnisse nun auf das jeweilige Kirchspielsding übergehen. Bis zur Erbauung der Maria-Magdalenen-Kirche dürfte jedoch Bramstedt nach Kellinghusen hin orientiert gewesen sein, und zwar in politischer, gerichtlicher und kirchlicher Hinsicht.
Die wichtigsten Entscheidungen werden auf dem Goding getroffen, das bis zur Errichtung der schauenburgischen Landesherrschaft, also bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts, die oberste politisch-juristische Instanz überhaupt darstellt und dem zweifellos über viele Jahrhunderte hinweg auch die Bramstedter Freien angehört haben. Das Goding des Holstengaues tritt in der Regel in dem Gauhauptort Schenefeld, häufiger auch auf dem Jahrschen Balken nördlich Itzehoe, gelegentlich an anderen Orten zusammen. Vorsitzender ist der Overbode, der im Hochmittelalter einer in Arpsdorf bei Neumünster ansässigen Großbauernsippe entstammt und auch Befehlshaber des Gauaufgebots ist. Gerade die militärischen Entscheidungen des Goding dürften für Bramstedt von besonderer Bedeutung gewesen sein, denn der Ort liegt – wie auch Neumünster, Kaltenkirchen oder Arpsdorf selbst – nicht weit von der slawischen Siedlungsgrenze, dem „limes Saxonicus“, entfernt und wird daher jahrhundertelang immer wieder von Slaweneinfällen bedroht.

       Über die wirtschaftlich-sozialen Verhältnisse Bramstedts erfahren wir Einzelheiten erst um die Wende zur Neuzeit. Natürlich ist es unzulässig, die zu diesem Zeitpunkt zutage tretende Sozialverfassung einfach in das frühe Mittelalter zurückzuprojizieren. Aus der späteren Flurverfassung läßt sich aber doch wohl immerhin so viel entnehmen, daß Bramstedt zu keinem Zeitpunkt ein typisches Bauerndorf gewesen ist. Dafür ist die Anzahl der Vollhufner-Stellen zu gering, die der Leute mit geringem Grundbesitz viel zu hoch (13 Vollhufner, 57 Teilhufner, darunter 35 Kätner; s. H. H. Harbeck, Chronik von Bramstedt, Hamburg 1959, S. 179). Da Flurverfassung und Besitzstrukturen eines Ortes in der Regel sehr große Kontinuität aufweisen, ist für die frühe Zeit kaum mit grundlegend anderen Verhältnissen zu rechnen. Der Ort ist nicht durch das Großbauerntum, sondern durch Kleinbauern, Nebenerwerbslandwirtschaft und Dienstleistungen geprägt.
Eine solche Ortsstruktur ist keineswegs ungewöhnlich. Auch Jevenstedt ist kein reines Bauerndorf, erst recht nicht Nortorf und Schenefeld und schon gar nicht Kellinghusen, wo es keinen einzigen Bauernhof gibt. So stark denkt man später in agrarischen Kategorien, daß sich die Kellinghusener ihre besondere Flurverfassung nur damit erklären können, daß die Bauern der Nachbardörfer ihnen Land und Vieh geraubt haben. In Wirklichkeit erklärt sich die besondere Struktur der vier genannten Ortschaften durch den Umstand, daß sie alle von vornherein zentralörtliche Bedeutung gehabt haben, als Hauptorte der vier holsatischen Gauviertel, als Kirchorte der vier Urkirchspiele. Auch in einer landwirtschaftlich geprägten Welt waren Handwerk und Handel vonnöten, und wo hätten diese Dienstleistungsbedürfnisse besser befriedigt werden können als an den Orten, wo die Menschen ohnehin zusammenkamen?
Wieso ergab sich aber nun die Notwendigkeit derartiger Dienstleistungen für das Dorf Bramstedt, das erst als Mittelpunkt eines großen Kirchspiels, also nach Erbauung der Maria-Magdalenen-Kirche, zentralörtliche Funktionen wahrnimmt? Der Grund dürfte darin zu suchen sein, daß seit der Bronzezeit eine der bedeutendsten Nord-Süd-Verbindungen des Kontinents, der Ochsenweg, den Ort durchquert, zumal die hier notwendige Überwindung der Osterau-Furt in vielen Fällen Anlaß für Rast und Ruhepause gewesen sein mag. Die auch in frühesten Zeiten notwendige Versorgung der Reisenden bot beste Voraussetzungen für Handwerk und Handel, etwa für Schuhmacher, Schneider, Vieh- und Futterhändler, und auch das Krügergewerbe dürfte in Bramstedt auf eine sehr lange Tradition zurückblicken. Im ganzen gesehen dürfte es vor über tausend Jahren nicht wesentlich anders gewesen sein als heute: Der Ort lebte von Handel, Handwerk und Gastronomie, nur daß die landwirtschaftliche Komponente noch wesentlich stärker ausgeprägt war als heute.
Einen erheblichen Entwicklungssprung – vergleichbar mit der späteren Fleckenserhebung und der Erteilung der Stadtrechte – macht das Dorf Bramstedt, als es zum Kirchspielsort und damit zum politischen und religiösen Zentrum eines rund anderthalb Dutzend Dörfer umfassenden Gebiets erhoben wird. Doch wann ist die Maria-Magdalenen-Kirche erbaut worden?
Die ältere lokalgeschichtliche Forschung war bemüht, die Kirchengründung möglichst weit zurückzuverlegen; man nahm an, daß bereits zur Zeit Karls des Großen, spätestens aber in ottonischer Zeit am Ort eine Kirche bestanden habe. Derartige Vorstellungen, die mitunter auch heute noch in kirchlichen Broschüren und Publikationen zum Ausdruck kommen, sind ganz irrig. In Wirklichkeit hat es neben der Kirche in Heiligenstedten, wo besondere Bedingungen vorliegen, zwischen Eider, Elbe und Nordsee jahrhundertelang nur drei Kirchen gegeben, nämlich die Gaukirchen für den Stormarngau in Hamburg, für den Dithmarschengau in Meldorf und für den Holstengau in Schenefeld. Noch im Jahre 1074 bezeichnet Adam von Bremen die Schenefelder Kirche als die Kirche der Holsaten. Bis in spätsalische, ja in staufische Zeit hinein ist damit Nordelbingen das einzige Gebiet des Heiligen Römischen Reiches, das nicht als christlich bezeichnet werden kann, da bei einer so schmalen organisatorischen Grundlage die volle Christianisierung des Gebietes undenkbar erscheint.
Als im Jahr 1127 der Pfarrer Vizelin nach Neumünster berufen wird, damit er von dort aus die Slawenmission in Ostholstein in Gang bringe, muß er feststellen, daß das Ausgangsgebiet im Osten des Holstengaus, also der Raum Nortorf-Neumünster — Bramstedt — Kaltenkirchen, noch nicht christianisiert ist. Helmold von Bosau, der eine Generation später seine Slawenchronik schreibt, berichtet, daß die Holsten damals lediglich dem Namen nach Christen waren und daß bei ihnen „vielfältige Verirrungen“ herrschten, da sie an heidnischen Hain- und Quellenkulten festhielten. Unter diesen Voraussetzungen kann von einem christlichen Leben in Bramstedt bis ins 12. Jahrhundert hinein keine Rede sein.
Was den Ausbau der nordelbischen Kirchenorganisation angeht, ist erst durch die Dissertation von Karl-Heinz Gaasch über die mittelalterliche Pfarrorganisation in Dithmarschen, Holstein und Stormarn, abgedruckt im Band 77 der Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-holsteinische Geschichte, Licht in das Dunkel gebracht worden. Gaasch unterscheidet zwei Ausbauphasen, nämlich das 12. und das 13. Jahrhundert. Dazwischen liegt, ohne daß dies bei Gaasch zum Ausdruck kommt, die Dänenzeit zwischen 1201 und 1227, die wegen der politischen Unsicherheit und der Kriegsgefahr aufgrund der Entschlossenheit der Schauenburger, die verlorene Grafschaft zurückzuerobern, nicht gerade zu Kirchenneubauten einlud. Übrigens hat es dann zwischen dem 13. und dem 19./20. Jahrhundert kaum mehr Kirchenneubauten in Holstein gegeben.
Zunächst dürften, wie spätere landeskundliche Forschungen nahelegen, die vier „Urkirchspiele“ entstanden sein, d. h. nach Schenefeld werden auch in Jevenstedt, Nortorf und Kellinghusen Pfarrkirchen errichtet, die für das jeweilige Gauviertel zuständig sind. Noch im Laufe des 12. Jahrhunderts entstehen dann weitere Kirchen in Itzehoe, Breitenberg, Neumünster und Hohenwestedt; dadurch verringert sich zwar die Größe der einzelnen Sprengel, doch weisen die Pfarrbezirke immer noch riesige Dimensionen auf. Nicht ganz eindeutig ist die Lage im Südosten des Holstengaues, denn die hier später anzutreffenden Kirchspiele Bramstedt und Kaltenkirchen sind beide erst zu Beginn des 14. Jahrhunderts bezeugt. Gaasch meint, daß die Kirche von Kaltenkirchen die ältere ist: „Für die im südostholsteinischen Raum zwischen den Parochien Kaltenkirchen und Neumünster liegende Kirche in Bramstedt, die urkundlich zuerst im Jahre 1314 nachweisbar ist, lassen sich für eine frühere Datierung nicht die gleichen entscheidenden Gründe vorbringen wie im Falle Kaltenkirchen. Bramstedt liegt nicht so zentral wie Kaltenkirchen in dem um 1200 anscheinend kirchenlosen Gebiet. Die Ausdehnung des Bramstedter Sprengels bleibt um einiges hinter derjenigen der alten, gut bezeugten Kirchen zurück. In der Größenordnung wurde er viel eher zu den Parochien der zweiten Gründungsperiode passen“ (Zeitschrift der Gesellschaft für schleswig-holsteinische Geschichte 77, Seite 42).
Der Meinung von Gaasch ist zuzustimmen. Trägt man die um 1200 bestehenden Kirchen in eine Karte des Holstengaues ein, so zeigt sich, daß sie einigermaßen gleichmäßig über das Gaugebiet verteilt sind, sieht man einmal von dem kaum besiedelten Nordosten und dem dichter besiedelten Störtal ab. Wäre die Bramstedter Kirche vor der Kaltenkirchener gegründet worden, so wäre der gesamte Südosten des Gaugebietes ausgespart geblieben. Den Bewohnern Bramstedts und der umliegenden Dörfer ist – je nach geographischer Lage – der Weg nach Kellinghusen, Neumünster oder Kaltenkirchen eher zuzumuten als etwa den Leuten aus Henstedt der Weg nach Kellinghusen oder Bramstedt. Überdies weist die Kirche von Kaltenkirchen mit ihrem Feldstein-Mauerwerk an der Nordseite des Turmes ältere baugeschichtliche Elemente auf als die Maria-Magdalenen-Kirche.
Mit Recht weist damit Gaasch die Bramstedter Kirchengründung der zweiten Ausbauperiode, also dem 13. Jahrhundert zu. Er macht ferner darauf aufmerksam, daß nach der eingangs zitierten Urkunde von 1344 die Patronatsrechte über die Maria-Magdalenen-Kirche von Bad Bramstedt in gräflichen Händen waren, daß also sehr wahrscheinlich das schauenburgische Haus bei der Kirchengründung beteiligt ist: „Daher ist aller Wahrscheinlichkeit nach die Kirchengründung auf einen holsteinischen Grafen zurückzuführen, auf welchen aber, das können wir nicht entscheiden“ (S. 43).
Wir können es sehr wohl entscheiden! Am Maria-Magdalenen-Tag des Jahres 1227, dem Tag der Schlacht von Bornhöved, schien der Sieg zunächst dem Dänenkönig Waldemar zuzufallen. In dieser kritischen Phase der Auseinandersetzung warf sich Graf Adolf IV von Schauenburg, der Führer der verbündeten norddeutschen Fürsten, auf die Knie und flehte die heilige Maria-Magdalena an, ihm doch noch den Sieg zu verleihen; für diesen Fall gelobte er den Eintritt in das Kieler Kloster.
Nicht nur der Landesherr, sondern das gesamte Land war der Heiligen nach dem doch noch erfochtenen Sieg unendlich dankbar. Symptomatisch ist beispielsweise die Gründung des Maria-Magdalenen-Klosters in Hamburg durch Graf Adolf IV, in das er 1239 selbst als Mönch eintritt. Im Lübecker Burgkloster werden noch gegen Ende des Mittelalters am Maria-Magdalenen-Tag Dankmessen für den Sieg bei Bornhöved gelesen. Was liegt näher als die Annahme, daß angesichts dieser Stimmungslage Graf Adolf IV an einem Ort, wo das schauenburgische Haus nachweislich seit langem Einfluß ausübt, zur Gründung einer Kirche schreitet, die der Heiligen gewidmet ist, der er seinen Sieg von Bornhöved verdankt? Das Patrozinium Maria Magdalena trägt damit zur Datierung des Bramstedter Kirchenbaus bei: Er dürfte mit einiger Sicherheit nach 1227, jedoch auch nicht wesentlich später erfolgt sein.

Zum Schluß seien die wichtigsten der hier vorgetragenen Thesen noch einmal zusammengefaßt:
1. Bramstedt wird im zweiten Drittel des ersten Jahrtausends gegründet.
2. Die Einwohner des Ortes leben von Anfang an nicht nur von der Landwirtschaft, sondern auch von Handel, Handwerk und Gastronomie.
3. Die Maria-Magdalenen-Kirche ist in den Jahren nach 1227 erbaut worden.
Alle drei Aussagen sind mit dieser Eindeutigkeit noch nie getroffen worden – kein Wunder, da die schriftlichen Quellen in dieser Hinsicht nichts hergeben. Zugegebenermaßen handelt es sich um Hypothesen, also keineswegs um gesicherte Erkenntnisse, aber auch nicht um völlig willkürliche Annahmen. Über ihre Tragfähigkeit wird die weitere ortsgeschichtliche Forschung entscheiden.

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Dreifke: Die „Flecken Bramstedter Spar- und Leihkasse AG“

aus dem Heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg, 1991 S. 81 ff

Max Dreifke, Klein Rönnau +

Die „Flecken Bramstedter Spar- und Leihkasse AG“

Nach einer Verordnung des Reichswirtschaftsministers wird die Fleckenkasse A.G. Bad Bramstedt zum 1. Oktober 1941 auf die Stadtsparkasse übergeführt. Die Kasse ist hervorgegangen aus der Flecken Bramstedter Spar- und Leihkasse, dem am Ort ältesten Geldinstitut. Zwölf hiesige Einwohner waren es, die 1847 sich zusammenschlossen und die Kasse ins Leben riefen; die Zwölfzahl behielt man bis heute bei; wenn einer aus der Vereinigung ausschied, dann ergänzte sie sich durch Berufung eines anderen Einwohners in die Gemeinschaft. Als im Jahre 1871 neue Satzungen angenommen wurden, waren die Zwölfmänner, die mit ihrer Unterschrift die Satzungen bestätigten: J. H. Baßmann, H. D. Langhinrichs, J. W. Langhinrichs, H. Hesebeck, N.F. Paustian, J. Schümann, Joh. Sievert, J. Schmidt, Johs. Reimers, H. Kröger, C. Quitzau und H. Steckmest.

Als Rechnungsführer zeichnete außerdem E. Wolf. Infolge der späteren gesetzlichen Vorschriften konnte diese ziemlich lose Vereinigung nicht aufrechterhalten werden; um dem Gesetz zu genügen, wählte man die Form einer Aktiengesellschaft. Die Fleckenkasse wurde als gemeinnützige Einrichtung gegründet; diese Gemeinnützigkeit wurde bis heute beibehalten. Die 12 Garanten, wie auch der von ihnen ernannte Vorstand, dienten der Kasse ehrenamtlich, nur der Rechnungsführer wurde für seine Mühewaltung bezahlt. Alle Überschüsse wurden zum Besten des Heimatortes verwendet, was auf diese Weise in den fast hundert Jahren dem Ort zugewendet worden ist, geht in die Hunderttausende.DieAnlagen Das schönste Denkmal, das die Kasse sich gesetzt hat, ist wohl das Herrenholz. In früheren Zeiten zum adligen Gut gehörend, wurde der Waldbestand in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts auf Anordnung des Gutsherrn niedergelegt und das entwaldete Gelände an hiesige Einwohner verpachtet, bis sich einige Jahrzehnte später 60 Einwohner zusammentaten und das etwa 10 Hektar große Stück kauften. Von ihnen erwarb die Sparkasse das Land und forstete es auf. Später räumte sie der Stadtgemeinde auf ewige Zeiten – solang de Wind weiht un de Hahn kreiht – das Recht ein, das Gehölz, das mit seinen prächtigen Eichen und Buchen eine Zierde der Stadt ist, als öffentlichen Park zu nutzen. Inzwischen hatte die Kasse auch noch den im Westen sich anschließenden Bauernwald hinzugekauft. Als dann das adlige Gut um die Jahrhundertwende parzelliert wurde, kaufte die Sparkasse von den Gutswiesen einen Streifen, der von der Glückstädter Straße bis zum Dahlkamp reichte, und schuf dort durch Aufschüttungen den viel begangenen, wegverkürzenden Wiesensteig. daß Bad Bramstedt ein vielbesuchter Kurort geworden ist, ist ebenfalls der Kasse zu verdanken. Wohl wurde das alte Kurhaus mit seinem schönen Park von dem Zimmermeister Matthias Heesch aus kleinen Anfängen nach und nach geschaffen, aber er wäre dazu nicht imstande gewesen, wenn nicht die Sparkasse ihm immer wieder mit Darlehen unter die Arme gegriffen hätte. Der Sparkasse verdankt die Stadt die Bürgersteige mit dem Klinkerbelag. Als in Hamburg die Straßenbeleuchtungen auf Gas umgestellt wurden, kaufte die Sparkasse einen Teil der überflüssig gewordenen Petroleum-Laternen und ließ sie in den Straßen aufstellen. Auch das Reinigen der Lampen und ihre Versorgung mit Brennstoff wurde von ihr bezahlt, und wo sich ein Bedürfnis dafür ergab, wurden weitere Straßenlampen aufgestellt. Nachdem aber auch hier die Petroleumlampen ausgedient hatten, zahlte die Sparkasse zur Bestreitung der durch Einführung der elektrischen Straßenbeleuchtung entstehenden Kosten jährlich 3 000 M an die Stadt. Den Bau der Jürgen-Fuhlendorf-Schule ermöglichte die Fleckensparkasse durch Hergabe der Baugelder; ebenso war sie bei dem Bau der Turnhalle finanziell wesentlich beteiligt, wie ihr auch sonst die Turnerschaft für geldliche Unterstützung bei Beschaffung von Geräten und dergleichen seit ihrem Bestehen zu großem Dank verpflichtet ist. Wo es galt, das Stadtbild zu verschönern, sprang die Kasse ein. Erinnert sei nur an das früher wüst aussehende Dreieck vor der Post, das durch ihre Unterstützung in einen Schmuckplatz verwandelt wurde. Durch die Kasse wurde manchem aufstrebenden jungen Menschen die Möglichkeit gegeben, Schulen zu besuchen, und wenn jemand sich ein eigenes Heim bauen lassen wollte, so wandte er sich an die Kasse; wenn er ihr als strebsam bekannt war, konnte er sicher auf Hergabe der erforderlichen Summe rechnen. Das alles sind nur einige Beispiele, um zu zeigen, wie die Kasse arbeitete. Die Inflation setzte ihrem Wirken zunächst ein Ende, aber sobald wieder normale Geldverhältnisse eintraten, ging es auch bei ihr an ein Aufbauen, und sie war auf dem besten Wege, ihre gemeinnützige Tätigkeit, wenn auch vorläufig in beschränktem Maße, wieder aufzunehmen. Diese Pläne können jetzt zur Ausführung gelangen. Was aber die Fleckensparkasse in den 94 Jahren ihres Bestehens für das Gemeinwesen geleistet hat, das sichert ihr für alle Zeiten einen Platz in der Geschichte Bad Bramstedts.stadtsparkasse480

Die am 6. Dezember 1846 gegründete „Spar- und Leihcasse von 1847 zu Bramstedt“ wurde am 18. November 1899 zur „Flecken Bramstedter Spar- und Leihkasse AG“ umbenannt.

Am 1. Oktober 1941 wurde sie der 1933 so benannten „Stadtsparkasse Bad Bramstedt“ angegliedert.

Hinweis: Dieser Aufsatz, ohne Verfasserangabe, wurde dem „Segeberger Kreis- und Tageblatt“ 215/13.09.1941 entnommen.


Aus heimatkundlichem Jahrbuch des Kreises Segeberg, 1988 S. 193

Die kriegsbedingte staatliche Lenkung der Produktion und des Verbrauchs ließ auch im Jahre 1941 den Zustrom freigesetzter Produktionsmittel und überschüssiger Kaufkraft zu den Kapitalsammelstellen nicht nur anhalten, sondern noch verstärken.

Auch die Sparkasse des Kreises Segeberg kann einen verstärkten Kapitalzufluß verzeichnen, vermerkt der abgekürzte Verwaltungsbericht.
Bad Bramstedt:

1941 war die 1846 als „Spar- und Leihcasse von 1847 zu Bramstedt“ gegründete und 1899 zu „Flecken Bramstedter Spar- und Leihkasse AG“ umbenannte Kasse an die Stadtsparkasse angegliedert worden. Die 1933 so benannte „Stadtsparkasse Bad Bramstedt“ kam 1943 an die „Sparkasse des Kreises Segeberg“. Die Stadtsparkasse war 1910 als „Bramstedter kommunale Sparkasse“ gegründet worden. An diese war 1939 die „Kirchspiel Bramstedter Spar- und Leihkasse GmbH“ gegangen, die 1866 als „Spar- und Leihcasse des Kirchspiels Bramstedt“ gegründet worden war.

Somit gab es jetzt innerhalb des Kreises Segeberg nur eine öffentliche Sparkasse. 1971 erfolgte die Umbenennung der „Sparkasse des Kreises Segeberg“ auf den neuen Namen „Kreissparkasse Segeberg“.

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Schadendorf: Es gibt noch andere Bramstedt !

Es gibt noch andere Bramstedt !

Irrungen und Wirrungen um Urkunden

Im Gegensatz zum alltäglichen Leben, wo jeder lieber jünger ist, wird in der Heimatforschung gern ein großes Alter eines Ortes vorgewiesen und jedwede Quelle geschöpft.
So wurde z.B. in den Bramstedter Nachrichten im Jahre 1879 das Jahr 1248 als erstes Erwähnungsjahr Bramstedts dargestellt und zwar unter Bezug auf folgenden Urkundentext.

“Es sei kund allen Gläubigen Christi, …., daß ich, Gerbert von Stotle, die Kirchenvogtei Bramstede, welche ich aus der Hand meines Herrn, des ehrbaren Erzbeischoffs und von der Bremer Kirche kraft … als bonificium gehabt habe, diesem meinen Herrn verkauft und abgetreten habe ….. …. und zu besagter Vogtei gehört:
Der ganze Ort Bramstedt mit einigen Arnen und was zu diesem Orte gehört als 10 1/2 Bauernstellen, Wittestede von 9 Bauernhöfen, Asstede 1/2 Bauernhof ……., Olenstede…, Borseten …, Eilendingele ….., Wartflede …., Rechtippe …, Utlede …., Broke …, Skattenbuttle …..

Geschehen bei dem Castell Haghen … im Jahre des Herrn 1248”

so abgedruckt in den Bramstedter Nachrichten Nr. 18 im Jahre 1879.


Schon der Autor der großen Bramstedter Chronik H.H. Harbeck hinterfragte diese Quelle und schrieb: “… ergab Nachfrage im Kirchspiel Wesermünde, daß dort noch alle Orte liegen, wie bezeichnet.” Und stellte damit klar, daß es sich um das Bramstedt zwischen Stade und Bremen handelt.
Ein weiteres Bramstedt ist nahe Tondern kurz vor der heutigen dänischen Grenze zu finden.

Schade drum, aber bis 1248 reichen für unser Bramstedt die urkundlichen Beweise noch nicht zurück. Aber, wer weiß … nie die Hoffnung aufgeben. Es gibt noch viele unerschlossene Quellen.

Tatsächlich findet sich nach gegenwärtigem Stand eine Urkunde, die ins Jahr 1274 datiert wird.

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March: Der Raum Segeberg im Zeitalter der altsächsischen Gauverfassung

aus dem Heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg 1987, S. 14 ff


Dr. Ulrich March, Bad Bramstedt

Der Raum Segeberg im Zeitalter
der altsächsischen Gauverfassung

  Der germanische Gau ist ein politisch organisiertes Siedlungsgebiet mittlerer Größe, das von den Nachbargauen in der Regel durch breite, verkehrsfeindliche Zonen (Ödmarkengrenzen) getrennt ist. Sein wichtigstes politisches Organ ist die Gauversammlung, in Norddeutschland als „Goding“ bezeichnet, die nicht nur die politischen Grundsatzentscheidungen fällt, sondern auch Heeres- und Gerichtsversammlung darstellt. Von den etwa hundert Gauen, die es auf dem Gebiet des Sachsenstammes zum Zeitpunkt seiner Unterwerfung durch Karl den Großen gibt, liegen drei nördlich der Elbe: der Dithmarschengau (heutiger Landkreis Dithmarschen), der Holstengau (Mittelholstein) und der Stormarngau (Großraum Hamburg). Die beiden letzteren erstrecken sich auch über das Gebiet des heutigen Kreises Segeberg, und zwar gehört der Westen des Kreises (Raum Bramstedt/Kaltenkirchen) zum Holstengau, der Raum Norderstedt und das heutige Amt Itzstedt zum Stormarngau. Östlich von diesen Gebieten, im Bereich des Segeberger Forstes und an der mittleren Trave, befindet sich eine breite, kaum durchdringbare Ödmarkenzone. Sie ist ein Teilstück des Limes Saxoniae, der sich von der Kieler Förde bis zum Sachsenwald erstreckt und das Siedlungsgebiet der Sachsen von dem der in Ostholstein ansässigen Slawen trennt.

  Anders als im übrigen Deutschland bleibt die Gauverfassung in den Gebieten nördlich der Elbe während des Hochmittelalters erhalten, da sich die Vertreter der Reichsgewalt, Grafen und Herzöge, und die im übrigen Reich vorhandenen Verfassungsinstitutionen, etwa Grundherrschaft oder Lehnswesen, hier zunächst nicht oder nicht auf Dauer durchsetzen können. Bis in die Zeit Heinrichs des Löwen hinein liegt vielmehr die eigentliche politische Macht bei den überkommenen volksrechtlichen Gewalten, vor allem beim Goding, dessen Vorsitzender, der „Overbode“, auch noch im 13. Jahrhundert genannt wird. Das Goding des Stormarngaus tritt in der Nähe von Hamburg (wahrscheinlich bei Volksdorf), das für den Holstengau zunächst in Schenefeld bei Hohenwestedt, dann bei Lockstedt im Kreis Steinburg oder auf dem Jahrschen Balken nördlich von Itzehoe zusammen.

  Im Jahre 1139 erobern die Holsten, Stormarner und Dithmarscher das ostholsteinische Slawenland, das seit 1143 planmäßig besiedelt wird. Was das Gebiet des heutigen Kreises Segeberg angeht, so siedeln im Bereich des alten Limes Saxoniae vor allem Holsten, östlich davon, im ehemaligen Slawengau Dargun, vorwiegend Westfalen. Auch im ostholsteinischen Neusiedelland bildet sich ein Goding, das auf dem Megedeberg bei Plön (in der Nähe des heutigen Hotels Fegetasche) zusammentritt und mehrfach bezeugt ist. Nach der Vorstellung der Zeitgenossen wird also durch die Eroberung Ostholsteins den drei vorhandenen Gauen ein vierter Gau „Wagrien“ hinzugefügt. Zu diesem Gau „Wagrien“ gehören somit auch die mittleren und östlichen Teile des heutigen Kreises Segeberg.

  Obwohl die älteste Nachricht über die nordelbische Gauverfassung erst aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts stammt, lassen sich die Gaugebiete und Gaugrenzen bereits für das frühe Mittelalter erschließen. Trägt man nämlich auf einer Karte alle dieje

Zusammentreffen dreier nordelbischer Gaue im Raum Segeberg
=     Gaugrenzen im 12. Jahrhundert
o  Kirchspielsort
_   Grenze des heutigen Kreises Segeberg

nigen Orte ein, die aufgrund ihrer Namensform sehr alt sind — das ist etwa bei den auf -stedt, -dorf und -feld endenden Orten der Fall —, so ergibt sich eine deutliche Konzentration auf Dithmarschen, Mittelholstein und den Raum Hamburg, während die dazwischen liegenden Gebiete mehr oder weniger ausgespart bleiben. Schon im frühen Mittelalter konzentriert sich also die Siedlung auf die seit dem 11. Jahrhundert bezeugten Gaugebiete, während die dazwischen liegenden Zonen, für die keine oder nur sehr wenige Belege der ältesten Ortsnamensschicht beizubringen sind, die seit altersher vorhandenen Ödmarkengrenzen sein müssen.

  Kombiniert man den Befund der Ortsnamenkarte mit den ältesten einschlägigen Nachrichten, so lassen sich für den Bereich des Kreises Segeberg die älteren Siedlungsgebiete und Ödmarkenzonen in etwa bestimmen. Legt man die ältesten Kirchspielorte zugrunde, die nicht nur in religiöser, sondern auch in politischer Hinsicht die Bezugspunkte für das Umland darstellten, so gehören Bornhöved, Segeberg und Leezen mit Sicherheit zum Neusiedelland, also zum „Gau Wagrien“. Kaltenkirchen und Bramstedt dagegen gehören seit jeher zum holsteinischen Altsiedelland, ebenso wie der „Faldera-Gau“, das Gebiet um Neumünster. Zu den ältesten Kirchspielorten, die für den Stormarngau bezeugt sind, gehören Rellingen, Nienstedten, Bergstedt und Sülfeld. Dazwischen erstrecken sich die Ödmarkengrenzen, durch die der Holstengau, der Stormarngau und Wagrien voneinander geschieden sind. Die zum Teil gewaltigen Dimensionen der Kirchspiele erklären sich daraus, daß sie erhebliche Teile des Ödmarkengebietes umfassen.

  Am leichtesten läßt sich die Westgrenze des alten Slawenlandes, also des „Gaues Wagrien“, bestimmen. Da das ostholsteinische Neusiedelland in kirchlicher Hinsicht dem Bistum Lübeck untersteht, braucht man nur die Westgrenze dieses Bistums zu ermitteln. Sie entspricht der Westgrenze der Kirchspiele Bornhöved und Segeberg sowie der Südwestgrenze der Kirchspiele Leezen und Oldesloe. Innerhalb des Kreises Segeberg verläuft diese Grenze westlich des heutigen Segeberger Forstes und über die Moor- und Niederungsgebiete südwestlich der Linie Hartenholm-Todesfelde-Fredesdorf-Heiderfeld und Groß Niendorf; die genannten Gemarkungen gehören noch zum Bistum Lübeck und damit zum „Gau Wagrien“.

  Was die Grenze zwischen dem Holsten- und dem Stormarngau angeht, so läßt sich die alte Ödmarkengrenze teilweise bis heute aus den geographisch-naturräumlichen Gegebenheiten ermitteln. Im Südwesten, Süden und Osten des Kirchspiels Kaltenkirchen erstrecken sich jahrhundertelang ausgedehnte Wald-, Moor- und Sumpfgebiete, die den Holstengau nach Süden abschließen. Dazu gehören die Moore zwischen Lentföhrden und Quickborn, das Niederungsgebiet der oberen Pinnau, der Oberalsterraum und der Kisdorfer Wohld. Die Gaugrenze verläuft südlich von Alveslohe, Ulzburg und Wakendorf, wendet sich sodann in nördliche Richtung und läuft auf die oben gekennzeichnete Grenze des Wagrien-Gaues zu, wobei die Gemarkungen Kisdorfer Wohld und Hüttblek beim Holstengau verbleiben. Dagegen gehören die Orte Nahe, Itzstedt, Oering, Sievershütten, Struvenhütten, Stuvenborn und Seth zum Stormarngau, da das riesige Stormarner Kirchspiel Sülfeld sich in diesem Bereich sehr weit nach Nordwesten erstreckt.
Der germanische Gau besteht — ähnlich wie die Stadt des Mittelalters — in aller Regel aus vier Vierteln, unter denen man Siedlungskammern zu verstehen hat, die — wie der Gau selbst — in politischer, rechtlicher und kultischer Hinsicht Bedeutung haben. Für den Holstengau hat die Forschung ein Nordviertel, ein Nordostviertel, ein Westviertel und ein Südviertel ermittelt; diesen Vierteln entsprechen die „Urkirchspiele“ Jevenstedt, Nortorf, Schenefeld und Kellinghusen. Die Kirchspiele Bramstedt und Kaltenkirchen, die man sich als Abspaltungen des Urkirchspiels Kellinghusen vorzustellen hat, gehören zum Südviertel des Gaues. Für den Stormarngau läßt sich die Viertelsgliederung nicht so genau nachweisen, doch wird im allgemeinen ein Westviertel (Kirchspiele Rellingen/Eppendorf), ein Ostviertel (Rahlstedt/Steinbeck), ein Nordviertel (Hamburg/Nienstedten) und ein Nordostviertel (Bergstedt/Sülfeld) angenommen; die heute zum Kreis Segeberg gehörigen Gebiete haben demnach den beiden letzten angehört.

Spuren einer alten Viertelsgliederung finden sich auch im Bereich des „Gaues Wagrien“, allerdings nur noch im kirchlichen Bereich. In vier Kirchenverzeichnissen des 13. Jahrhunderts werden die Pfarrkirchen des Bistums Lübeck, dessen Ausdehnung der des „Gaues Wagrien“ entspricht, unter geographischen Gesichtspunkten zu vier Gruppen zusammengefaßt, die jeweils einer Hauptkirche („ecclesia Stationalis“) zugeordnet sind. Als Hauptkirchen werden Plön, Oldenburg, Süsel und Segeberg bzw. Warder genannt. Zum Südwestviertel des Bistums gehören neben Segeberg und Warder außerdem die Kirchspiele Bornhöved, Schlamersdorf, Gnissau, Pronstorf, Oldesloe und Leezen. Da die Quartgliederung des Bistums Lübeck zum großen Teil auch den Siedlungs- und späteren Verwaltungsgrenzen Ostholsteins entspricht, ist nicht auszuschließen, daß hier eine zeitweilig vorhandene Viertelsgliederung des ostholsteinischen Neusiedellandes durchschimmert.

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Storjohann: Wie die Bramstedter Müller-Familie Wichmann – Paustian ihre Erbpacht-Rechte sicherte

aus dem Heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg, 1984, S. 34 ff
(bei den Familiendaten im Anhang habe ich mir erlaubt noch einige aus dem Stellenverzeichnis des Hans Riediger zu ergänzen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit / Jan-Uwe Schadendorf)

Karl-Rudolf Storjohann, Neumünster.

Wie die Bramstedter Müller-Familie Wichmann – Paustian

ihre Erbpacht-Rechte sicherte

Eine familiengeschichtliche Rekonstruktion aus Kirchenbüchern

Muehle_M_Muehle1906_480aus Erbpachtverträge zwischen Mühlen -besitzern und Müllerfamilien wurden zuerst im 18. Jahrhundert abge- schlossen. Besitzer waren seit dem Mittelalter die Landesherren, der Adel und die Klöster. Die Pachtverträge wurden zunächst nur kurzfristig auf drei, höchstens auf fünf Jahre abgeschlossen. Erst im 16. Jahrhundert verlängerte man aus Zweckmäßigkeitsgründen auf sechs bis zehn Jahre. Die Einnahmen beschränkten sich nicht nur auf die „Matte“ (Anteil des Müllers an gemahlenem Getreide), der auch in bar gezahlt werden konnte. Oft war mit der Mühlenpacht das Fischerei-Recht (Aalreusen) und Branntwein-Brennerei u. Bierbrauerei-Rechte verbunden, so daß die Müller es oft zu Wohlstand brachten. Dadurch genossen sie eine gewisse Sonderstellung, konnten Geld ausleihen, aber auch in einigen Fällen betrügen.
Wie stand es nun, was die Rechtslage betrifft, mit der Bramstedter Wassermühle?
Bis zum Jahre 1633 unterstand die Mühle dem königlich dänischen Amt Segeberg, und die Pachtsumme mußte an die Glückstädter Kanzlei gezahlt werden. Daher der Name Kanzlei-Mühle.
1632 kaufte der dän. König Christian IV. das Gut Bramstedt, um es ein Jahr später seiner Geliebten Wiebke Kruse, Bauerntochter aus Föhrden-Barl zu schenken. Die adeligen Berater des Königs, selbst Gutsbesitzer, rieten ihm aus ihren eigenen Erfahrungen, die Mühle zum Gut zu legen, um die Erträge zu verbessern.
Die verwickelte Guts-Geschichte hat Wolfgang Prange in der Zeitschrift f. Schlesw. -holst. Geschichte 1966 ausführlich dargelegt. Auch nach Wiebke Kruses Tod (1648) bleibt die Mühle unter ihren Erben beim Gut. Die Tochter Elisabeth Sophie Gyldenlöwe hatte den Generalmajor in Norwegen Klaus v. Ahlefeldt geheiratet; der zwar ein bedeutender Feldherr und für den dän. König unentbehrlich war; zum erfolgreichen Gutsherrn eignete er sich jedoch weniger. Hinzu kam, daß im Jahre 1659 im sogenannten „Polackenkrieg“ brandenburgische u. polnische Truppen mehrere Wochen in Bramstedt lagen und dänische und schwedische Truppen durch den Flecken zogen. Die finanzielle Notlage Dänemarks zwang Friedrich III. Gelder aufzunehmen, was 1665 zur Verpfändung des großen Amtes Segeberg an zahlungsfähige Adelige, so zum Beispiel die Grafen v. Königsmarck führte. Alles Ereignisse, die den Wohlstand des Fleckens schwer schädigten.
In dieser Phase erbte die Enkelin Wiebke Kruses, Christine Sophie Amalie v. Ahlefeldt, Gut und Mühle. Die Lebensumstände dieser Dame würden Ausgang des 20. Jahrhunderts etwa dem Trend der Zeit entsprechen, waren jedoch zu ihrer Zeit bemerkenswert außergewöhnlich und zeichneten sich durch drei z.T. geschiedene Ehen, Prozeßlust und ständig absinkenden Lebensstandard aus. Dieses spielte sich in den Jahren zwischen 1669 und 1729 ab, und betraf in besonderem Maße die Müller-Familie Wichmann. Aus der beigefügten Zeittafel möge man sich über ihre Familienverhältnisse orientieren. 1697/98 mußte sie das Gut Bramstedt an den aus niedersächsischem Adel stammenden Oberstleutnant und Hessen-kasselaschen Oberberghauptmann Johann Ernst von Grote verkaufen, der auch nicht gerade ein Ausbund von Tugendhaftigkeit war, denn er wurde unter anderem der Falschmünzerei verdächtigt; und es kam zu Prozessen zwischen der Verkäuferin des Gutes, der jetzt in ihrer 3. Ehe Baroneß von Dieden genannten Enkelin der Wiebke Kruse.
Die Mühle hatte Christian IV. seinerzeit der Wiebke Kruse, aber auch ihren Erben zum Nießbrauch vermacht, mit der Auflage, daß sie nicht mit dem Gute verkauft werden durfte.

Die Baroneß von Dieden, inzwischen verarmt, zog mit ihren Domestiken in die Mühle, was begreiflicherweise zu Streitigkeiten mit der Müller-Familie Peter Wichmann führen mußte. Sie kündigte dem Müller Peter Wichmann (II ) (siehe Tabelle Pächterreihenfolge) die Mühlenpacht, weil sie sich von einem neuen Pächter eine höhere Pachtsumme versprach. Doch für sie lief die Sache schief, denn sie schuldete dem Peter W. noch eine beträchtliche Geldsumme, die sie zur Prozeßführung mit dem jetzigen Gutsbesitzer von Grote benötigte. Nach einem Beschluß der dän. Regierung wurde sie den Müller nicht eher los, bis sie ihm ihre Schulden beglichen hatte. Diese Misere spielte sich während der allgemein wirtschaftlich schlechten Lage ab, die durch den Nordischen Krieg ausgelöst worden war (1700-1721). Es war auch noch die Zeit der kurzfristigen Mühlen-Pachtverträge. Ein Hinweis, wo sich der 3. Ehemann zu der Zeit befand, läßt sich aus den Akten nicht entnehmen. Als 1721 der Müller Peter Wichmann starb, ließ die Baroneß von Dieden kurzerhand die Müllerswitwe ausquartieren. Mit dieser Maßnahme drang sie jedoch beim dän. König nicht durch, wie sehr sie sich auch bemühte, ihre Lage in den schwärzesten Farben zu schildern. Selbst die Äußerung „sie müsse mit ihren Domestiken crepieren, wenn der König ihr nicht beistünde“, verfing nicht. So muß es bis zu ihrem Tode 1729 wohl recht unerfreulich auf der Mühle zugegangen sein. Nach dem Tode der Baroneß von Dieden erbte ihre einzige Tochter Charlotte von Oertzen (aus ihrer 1. Ehe), die mit einem in Ungarn wohnenden Grafen Thomas Theodor von Schmiedegg verheiratet war, die Mühle.

Die Aversion gegen die Müllerfamilie W. scheint zunächst auch wohl von der gräflichen Familie von Schmiedegg übernommen zu sein, denn obwohl der Sohn Siegfr. H. Christ. W. des verstorbenen Peter W. 1728 heiratete, hat es den Anschein, daß die Schmiedeggs mit einem andern Müller einen Pachtvertrag abschlossen; [Anmerkung J-U S: Pachtvertrag von 1729 ist im Jahr 2017 aufgetaucht.] denn im Bramstedter Kirchenbuch findet sich am 16.2.1732 eine Taufeintragung einer Tochter Charlotte des Müllers Jochim Witte mit den Paten Charlotte Baroneß de Schmiedegg, und als weiterer Pate tritt der Glückstädter Advokat Paul Niemann auf, der als Anwalt der Familie von Schmiedegg häufiger in Aktion tritt. Man kann daraus wohl mit einiger Sicherheit schließen, daß zu dieser Zeit Jochim Witte der Pächter der Mühle war. Doch scheint dieser Vertrag nur kurzfristig Gültigkeit gehabt zu haben, denn Harbeck nennt in seiner Chronik von Bramstedt Peter Haack in den Jahren 1740-46 als Mühlen-Pächter, der, der sich jedoch dadurch in Schwierigkeiten begab, daß er ohne Genehmigung einen After-Pächter Kühl einsetzt, möglicherweise aus Krankheitsgründen, denn Peter Haack stirbt 1750.

Nun taucht wieder – vielleicht war er der potentere Zahler – der Sohn Peter Wichmanns Siegfr. H. Christopher W., mit 44 Jahren (1746) diesmal als 1. Erbpächter auf. Er muß von der Familie her als vermögend gelten. 1721 beim Tode des Vaters war er 19 Jahre, zu jung, um als Mühlenpächter akzeptiert zu werden. Mit 26 Jahren heiratet er 1728 in Bramstedt, dort werden vor 1746 sechs seiner Kinder geboren, und 1734 ist er Besitzer eines Hauses im Flecken. Im Zusammenhang mit dem Erbpacht-Vertrag verpfändet er sein schuldenfreies Haus, das zwischen Kirche und Mühle liegt als Sicherheit für den Grafen von Schmiedegg. In einem zweiten Vertrag bürgen für ihn zwei Fleckensbewohner mit einer Summe von 500 Rthl. Immerhin ein Beweis für sein Ansehen im Flecken. Leider muß die Frage, was für eine Tätigkeit er vor 1746 ausgeübt hat, offenbleiben, denn es ist nicht wahrscheinlich, daß er als wohlhabender Hausbesitzer unter den Müllern Witt und Haack in der Kanzlei-Mühle gearbeitet hat.

Bevor auf die Erbpacht-Familie Siegfr. H. Christ. W. näher eingegangen werden soll, ist noch ein kurzer Rückblick auf die vorhergehenden Generationen Wichmann nötig, obwohl die Zusammenhänge weitgehend ungeklärt sind.
Aus einer Notiz in Harbecks Chronik läßt sich entnehmen, daß nach 1721, dem Todesdatum des Vaters von S. H. Chr. W. die Witwe Rechnungsbücher von der Mühle ihres Mannes und Schwiegervaters vorlegen kann. Daraus läßt sich entnehmen, daß es vor diesem Zeitpunkt mindestens zwei Müllergenerationen – beide mit dem Vornamen Peter – Wichmann gegeben hat. Leider wird auf der großen Sandsteingrabplatte an der Südseite der Kirche der Beruf des Verstorbenen nicht genannt. Die Inschrift lautet:
„Anno 1703, den 3. Novembris ist der wohlehrenhafte und großachtbare Herr Peter Wichmann’s selig in dem Herrn entschlafen und allhier begraben. Seines Alters 78 Jahr.
Anno 1699, den – Martis ist die wohlehrenwerte und großachtbare – Wichmann’s selig in dem Herrn entschlafen und allhier begraben. Ihres Alters 76 Jahr und haben miteinander im Ehestand gelebt 53 Jahr.“
Darüber befindet sich ein Wappen, das einen Mann mit Keule darstellt, und, heraldisch korrekt ausgeführt ist.

Aus der Inschrift der Grabplatte kann man entnehmen, daß es sich um einen, wohlhabenden freien Bürger Bramstedts gehandelt hat. Seine Lebensdaten sind ebenfalls aus der Grabplatte bekannt. Das jugendliche Heiratsalter des Mannes – er war bei der Eheschließung 21 Jahre – läßt den Schluß zu, daß auch er schon aus einer wohlhabenden Familie stammen muß. Leider fehlen auf der Grabplatte Angaben über den Beruf, Geburtsort und den Familiennamen der Ehefrau. Möglicherweise ist dieser Peter W. (I) schon Mühlenpächter in Bramstedt gewesen, als die Mühle noch zum Stegdinger Hof gehörte. Falls er schon bei seiner Heirat 1646 Mühlenpächter war, wäre das noch unter der Ära Wiebke Kruses – Christian IV. gewesen, die beide 1648 starben.

In den Bramstedter Schuld- und Pfandprotokollen findet sich der Name Peter Wichmann seit 1660. Die Akten sind nicht überprüft, es hat jedoch den Anschein, daß in Bramstedt gleichzeitig mehrere Namensträger auch gleichen Vornamens wohnten. Die oben erwähnte Witwe des Müllers Peter W. (II) hieß Magdalene Haß(en) und stammte aus Itzehoe. Ob die Ehefrauen Haß aus Itzehoe, und Gätgens aus Elmshorn auch Müllerfamilien entstammen, ist nicht geprüft. Hiermit mögen die Spekulationen über die älteren Generationen Wichmann ein Ende haben. Die Übersicht in der Anlage über die Lebensdaten der einzelnen Generationen möge für Interessenten eine Hilfe sein. Nach Abschluß der Arbeit fand sich im Landesarchiv Schleswig unter den Bramstedter Schuld- und Pfandprotokollen (Abt. 110,3. Folie 532, Jahrg. 1734) unter dem Dat. vom 4.1.1735 der Hausbrief für Siegfried Hans Christopher Wichmann, der Übergabevertrag des elterlichen Hauses durch die Witwe des 1721 verstorbenen Peter Wichmann (II) Magdalene Wichmann geb. Haß(en) aus Itzehoe.
Es wird hierin die Lage des Hauses zwischen dem Pastorat und dem Haus von Claus Rathgen angegeben; und es ist darin von einer Mälzerei die Rede. Ferner wird ein zweiter, sicher älterer, Sohn Gosche W. (Confirmation eines Gosche W. 1708 im Bramstedter Kb.) genannt, der als Interessenvertreter seiner Mutter auftritt, (dieser Gosche Wichmann lebt als Kaufmann in Krempe und hat einen Sohn ebenfalls mit dem Vornamen Peter W., der Bürgermeister in Krempe war geb. 20.5.1720, + 12.11.1783, oo 9.11.1760 mit Margarethe Junge, die am 17.12 .1771 +, die Ehe war kinderlos. Peter W. war ihr 3. Mann.) und der häufig als Pate bei den Wichmanns in Bramstedt u. den Hahn’s in Caden erscheint.
Für die Mutter ist ein in allen Einzelheiten festgelegtes Altenteil-, Versorgungs- und Wohnrecht angegeben.
Außer dem Haus erbt der jüngste Sohn Siegfr. H. Christopher W. Ländereien, die schon der Großvater Peter W. (I) erworben hatte, und Kühe, Pferde und Geräte für die Landwirtschaft.
Es gibt einige Anhaltspunkte dafür, daß es sich bei diesem Besitz um die frühere „Vikarie“ handelt, um die früher, wie Harbeck in seiner Chronik berichtet, ein längerer Streit bestand, zwischen der Bramstedter Kirche – das Gebäude liegt im Bramstedter Kirchenland – einerseits und dem Hamburger Domkapitel, dessen Dompröpste, 5 an der Zahl, der Familie Rantzau angehörten. Das Gebäude, während der kathol. Zeit als Unterbringung für die Vikarie genutzt, fand nach der Reformation keine so rechte Verwendung und wurde nachdem es vorübergehend als Schule diente an Privatleute verheuert, die zu 9 Teilen der Bramstedter Kirche und zu 1 Teil dem Hamburger Domkapitel Mietzins zahlten.
Als 2. Pächter wird der Barbier – sie nahmen bekanntlich in damaliger Zeit die Position der Ärzte ein – Hans Meulken (Moyelken) genannt (1588), nach ihm sein Sohn Dietrich M., dann der Schwiegersohn von Hans M., Rötger Lindemann, der sich nur dem Hamburger Domkapitel als Vermieter verpflichtet fühlte, (über ihn siehe Harbecks Vikarie-Kapitel.). Um 1657 wird Peter Wichmann (I) als Schwiegersohn von Rötger Lindemann bezeichnet (LAS 1660 Abt. 110,3, Fol. 66). In den Streitereien um das „Vikarien-Haus“ spielt eine Schankgerechtigkeit eine erhebliche Rolle, die seit der kathol. Zeit bestand und die die Haupteinnahmequelle auch für die späteren Mieter war, bis sie zur Zeit Rötger Lindemann’s vom König auf Betreiben der Kirche und anderer Gastwirte des Fleckens aufgehoben wurde, nur vorübergehend?, denn in dem Abtretungsvertrag des Hauses an Siegfr. H. Christopher W. ist von einer Mälzerei die Rede.
Bei dieser Annahme würde verständlich, daß die Familie Wichmann, die nach dem Tode von Peter W. (II) 1721 die Mühlenpacht verlor (siehe Seite 1 unten), durch die Landwirtschaft und möglicherweise auch durch die Gastwirtschaft ihr Auskommen fand in der Zeit von 1728-1747, dem Eheschließungsdatum Siegf. H. Christophers und der erneuten Übernahme der Mühle durch den ersten Erbpachtvertrag 1747.
Das Streitobjekt, die „Vikarie“ müßte dann von Peter W. (II) von der Bramstedter Kirche und dem Hamburger Domkapitel käuflich erworben sein.
Der Beweis für diese Annahme ließe sich nur durch eine genaue Durchsicht der Schuld- und Pfandprotokolle u. der Akten des Hamburger Domkapitels erbringen.

Wenden wir uns nun der 1. Generation, den Kindern des 1. Erbpachts-Müllers Siegfried Hans Christopher Wichmann zu. Der Vorname Siegfried ist im 18. Jahrhundert in Schleswig-Holstein recht ungewöhnlich. 1702 im Geburtsjahr fehlt die Taufeintragung im Bramstedter Kb. und damit auch die Paten, die über die Herkunft des Namens hätten Auskunft geben können. Jedenfalls bleibt Siegfried über mehrere Generationen bei den Wichmanns so etwas wie ein Leitname. [Anm. Schadendorf 2020: Rötger Wichmann lässt 1691 ein Kind taufen auf den namen Siegfried mit dem Taufpaten Siegfried Bentzen, Pastor zu Schönfeldt, dieser war nach Arends mit Elisabeth Sophia Wichmann, Vater Peter Wichmann, Kornhändler in Bramstedt, verheiratet] Wir hörten bereits, daß Siegfr. H. Chr. W. am 24.1.1728 in Bramstedt Anna Margaretha Gätgens aus Elmshorn heiratete. Die Urkunden sind zu dieser Zeit kärglich, so daß wir über die Eltern der Frau nichts erfahren. Vielleicht war sie bereits Waise, so daß die Eheschließung auch nicht im Geburtsort der Frau erfolgen konnte.
Als Basis für die Sicherung der Erbpachtfolge muß dieser Generation ein breiter Raum gewidmet werden, ihre Lebenswege lassen sich in den Kirchenbüchern von Bramstedt, Kaltenkirchen, Nortorf, Wedel, Kiel und Bredstedt dank der ausführlichen Sterbeurkunden in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts gut verfolgen (siehe Anlagen). Zwischen 1731 und 1753 wurden dem Ehepaar 9 Kinder geboren, von denen 3 im frühen Kindesalter starben. (Taufen: Anna 23.3.1733. Harm Anton 25.5.1735. u. Friedrich Christian, 5.2.1749). Von den Sechsen, die das Erwachsenenalter erreichten, waren 5 Söhne, von denen zwei Müller wurden, einer als Nachfolger des Vaters in Bramstedt, Siegfried Christopher, einer als Müller in der Wassermühle zu Bünzen, Hans Hinrich. Die einzige Tochter Magdalena heiratete ebenfalls einen Müller Daniel Hahn von der Gutsmühle Caden. Der älteste Sohn Peter wurde zunächst in Kaltenkirchen, später in Segeberg Kirchspielvogt; ein weiterer Sohn Georg Friedrich wird Pastor in Rendsburg, später in Wedel (Holst.). Seinen Söhnen kommt die Aufgabe zu, die Erbpachtsfolge auf der Bramstedter Mühle zu sichern. Der jüngste Sohn Johann Christian, 1/2 Hufner und Gastwirt in Bramstedt, erlag schon im Alter von 34 Jahren, kinderlos der Schwindsucht (Tuberkulose). Ein Zwillingspaar, 1785 geboren, war schon vor ihm verstorben. Joh. Christ. W. (III 9 ) geb. 13.10.1753. + 31.1.1787.
Wenn auch die Todesursachen in Sterbeurkunden, weil sie oft nur Krankheitssymptome beschreiben, mit starkem Vorbehalt zu verwenden sind, so läßt sich doch für die Familie Wichmann feststellen, daß in einem Zeitraum von 53 Jahren (von 1773-1826) eine Häufung von Schlaganfällen in drei Generationen in immer früheren Alter nachweisbar war, wobei die Frage offenbleibt, ob eine familiäre Krankheitsbereitschaft oder eine Wohlstandslebensweise bzw. beides die Ursache waren. Auch eine familiär bedingte Häufung von Zwillingsgeburten konnte festgestellt werden.

Von den Kindern des Erbpachts-Müllers S. H. Chr. W., erreichte der Älteste, Peter Wichmann (III 1) im Amt Segeberg die größte Bedeutung. Mit 32 Jahren wurde er 1763 kgl. dän. Kirchspielvogt in Kaltenkirchen und heiratete am 23.10.1764 in Kaltenkirchen Sophia Hedewig Hoyer, Tochter des aus einer alten Pastorenfamilie stammenden Kaltenkirchener Pastors Andreas Hoyer. Er wurde in Kaltenkirchen Nachfolger des Justizrats und Oberkriegscommissionsrates Peter Bruhn. Wo Peter Wichmann seine Ausbildung bekommen hatte, läßt sich schwer feststellen, wahrscheinlich in einer Kirchspielvogtei der Umgebung, vielleicht sogar in Bramstedt selbst. Peter W. war als Müllersohn in der Lage, das Kirch-spielvogteihaus in Kaltenkirchen zu kaufen. Während seiner Amtszeit in Kaltenkirchen fiel ihm die Durchführung der Verkoppelungsverordnung von 1771 zu. Bis 1775 blieb er in Kaltenkirchen und wurde dann nach Segeberg berufen. In Kaltenkirchen wurden dem Ehepaar 6 Kinder geboren, ein 7., der Sohn Andreas, in Segeberg. 1789 hat Peter W. das Segeberger Kirchspielvogteihaus bezogen (jetzt Höhlenbäckerei), dessen Bauherr er war.
Der älteste Sohn, mit den Vornamen des Großvaters Siegfr. H. Chr., studierte Jura in Kiel und wurde Advokat in Bredstedt. Seine Ehe blieb kinderlos.
Die Tochter Anna Margaretha Christina (Taufe 28.6.1768 in KKirchen West) heiratet den Segeberger Postmeister Theodor Peter Koch, der nach dem Tode seines Schwiegervaters die Postmeisterei in die Kirchspielvogtei verlegte. Es muß wohl das ansehnlichste Haus in Segeberg gewesen sein, denn im Dezember 1813 wählte es Graf Bernadotte als ranghöchster Offizier der combinierten Nordarmee als Hauptquartier, bis er es nach Kiel verlegte. Der Postmeister Th. P. Koch starb 1824. Hans Siemonsen schreibt in seinem Buch „Segebergs ältere Häuser“, daß nach dem Postmeister Koch der Senator und Kalkbergkontrolleur Christian Friedrich Magnus, der mit Anna Magdalena Wichmann, einer Tochter des Bünzener Müllers und Bruder des Kirchspielvogtes P.W., verheiratet war, das Haus bewohnte. Magnus und sein einziger Sohn waren schon 1822, also vor dem Postmeister gestorben. So kann demnach nur die Witwe Frau Magnus in das Kirch-spielvogteihaus eingezogen sein. Sie war wohlhabend, denn sie hatte nicht nur von ihrem Vater, der seit 1781 als Branntweinbrenner in Kiel gelebt hatte und dort zu Wohlstand gekommen war, sondern hatte auch noch mit ihren Geschwistern die Bünzener Mühle geerbt. Der Grabstein ihres Mannes und Sohnes, von Simonsen beschrieben, steht heute noch vor der Segeberger Kirche. Sie ist nicht, wie Simonsen vermutete, aus Segeberg fortgezogen, sondern hat noch bis 1853, ihrem Todesjahr, in Segeberg gelebt und vielleicht weiter zusammen mit dem Nachfolger ihres Onkels, dem Kirchspielvogt Lange (t 1835) und seiner Familie, im Kirchspielvogteihaus gelebt und das Haus 1841 an den Gastwirt Hinrich Fürstenberg verkauft.
Ein Sohn Peter (Taufe 26.11.1770 Kaltenkirchen West) lebte in Heilshoop, Ksp. Zarpen, war vor 1829 verstorben, hinterließ vier Kinder. (Da seine Sterbeurk. nicht im Zarpener Kb. eingetragen ist, ist der Beruf nicht bestimmbar.)
Die Tochter Catharina Frederike Hedwig W. geb. 1775 noch in Kaltenkirchen heiratete am 22.3.1796 den Freiherrn Otto Diedrich von Brockdorff (geb. 7.9.1764), Sohn des Landrats und Amtmann zu Rendsburg und Gutsbesitzer von Klein-Nordsee und Marutendorf Hans Schack von Brockdorff und der Frederike Anna Sophia geb. Gräfin Schack. O.D. von Brockdorff war von 1804-1811 Forst- und Jagdjunker in Plön, später lebte das Paar in Glücksburg. Er starb am 31.1.1831, seine Frau den 2.6.1849. Eine weitere Tochter Sophia Maria Agneta starb 2jährig (1773 -1775). daß ein Brockdorff eine Bürgerliche heiratete mag eine Fernsteuerung aus dem Paris der 90er Jahre sein. Der jüngste Sohn des Kirchspielvogtes Peter W., als einziges in Segeberg geborenes Kind, hieß Andreas (Taufe‘ 17.9.1779, confir. 1795) – der sonst nicht in der Familie W. übliche Name Andreas stammte von seinem Taufpaten, dem Amtmann Andreas Schuhmacher und von zahlreichen Pastoren-Vorvätern (Andreas Hoyer) seiner mütterlichen Linie. Bei dem Tode der Mutter 1820 lebt er in Petersburg, unverheiratet, leider fehlt die Berufsangabe.

Die 1737 geborene Tochter Magdalena (Malen III 4) W. heiratet in die Berufsklasse des Vaters und zwar am 3.11.1758 in Bramstedt den Müller Daniel Hahn aus der Gutsmühle Caden, dessen Vater gerade gestorben war. Dieses Ehepaar hinterläßt eine zahlreiche Nachkommenschaft (siehe Sterbeurk. Daniel Hahn in der Anlage), darunter der bekannte schleswig-holst. Maler Siegfried Detlev Bendixen (1786 in Kiel geb., + nach 1864 in London), dessen väterliche Familie aus Apenrade stammt. (Ratsherr Hans Bendixen und Botilla geb. Schade) (Siehe Lilly Martius, Schleswig-Holstein. Malerei, Wachholtz-Verlag 1956).
Hans Hinrich W. (III 5), geb. in Bramstedt, Taufe 6.7.1740, ergreift den Beruf des Vaters, wird aber nicht sein Nachfolger, sondern heiratet in die Bünzener Wassermühle ein, und zwar Margarete Humfeldt (Homfeldt), die Tochter des Bünzener Müllers Heinrich Friedrich Humfeldt u. der Margarete geb. Harder. Die Humfeldt’s sind seit Generationen als Müller in Bünzen nachweisbar. Schon um 1750 hatte ein Bruder des Cadener Müllers Daniel Hahn, Hans Hinrich Hahn, als 2. Mann der Witwe Hinrich Friedrich Humfeldt (siehe Sterbeurk.) in die Bünzener Müllerfamilie Humfeldt eingeheiratet und war somit der Vorgänger des Hans Hinrich Wichmann gewesen. Man sieht hieraus die engen Verflechtungen der Müller-Familien untereinander. Die hohe Kindersterblichkeit in dieser Familie scheint durch innerfamiliäre Infektion an Tuberkulose bedingt gewesen zu sein, denn nicht nur aus der Ehe Hahn-Humfeldt starben alle 6 Kinder vor dem Vater Hans Hinrich Hahn (siehe Sterbeurk.), und er selber war ein Jahr vor seinem Tode schwächlich, (+ Januar 1785), auch 4 Kinder der Ehe Hans Hinrich W. starben im frühen Kindesalter, möglicherweise könnte dies für die Familie Hans Hinrich W. der Grund gewesen sein, von Bünzen nach Kiel zu ziehen und die Bünzener Mühle anderweitig zu verpachten (siehe Reimer Böken, Aukrug, Bünzener Mühle). Denn 1781 ist Hans Hinrich W. deputierter Bürger Kiels und wohlhabender Branntweinbrenner auf dem großen Kuhberge. Eine Tochter Margarethe Friederika wurde noch in Kiel geboren, aber 5 Jahre später stirbt die Mutter geb. Humfeldt im Alter von 44 Jahren. Die 5 Kinder, die die Mutter hinterläßt, erben 1788 die Bünzener Mühle. Beim Tode des Vaters 1818, er war in Kiel noch eine 2. Ehe eingegangen (geb. Hasenkamp), lebten noch 4 Kinder 1. Ehe. Eines dieser Kinder war Frau Anna Magdalena Magnus in Segeberg.

Von den in Bünzen geborenen 3 Söhnen des Müllers Hans Hinrich W. muß vor 1818 noch einer gestorben sein. Infolge der lapidaren Kürze der Kieler Sterbeurk. erfahren wir über die überlebenden zwei Söhne nichts, im Kieler Bürgerbuch sind sie nicht aufgeführt.
Die jüngste Tochter Margaretha Friederika heiratet um 1800 den Theologie-Studenten Jasper Hansen, 1802 wird ihnen eine Tochter Henriette geboren. 1803 wohnen sie in Kiel bei dem Vater der Frau. Hansen ist 1807 Diakon in Marne, von 1830-1833 Pastor ebendort. Mit 53 Jahren wurde er emeritiert und starb 1859 in Fiedericia. Eine Tochter Margarethe Dorothea heiratet den Büsumer Pastor Thees Behrens (+ 1869). (In der Anlage der Bericht über die Bünzener Mühle.)

Siegfried Christopher Wichmann (III 6), Taufe 13.9.1742 Bramstedt, gestorb. 5.7./begr. 8.7.1811 in Bramstedt.
Er wird als Nachfolger des Vaters nach dessen Tod 1773 also mit ca. 30 Jahren die Erbpacht der Bramstedter Mühle übernommen haben. Seine drei kinderlosen Ehen siehe Anlagen. Er hat zwar 37 Jahre die Mühle geführt, konnte jedoch keinen Nachfolger für die Erbpacht stellen. Er starb mit 68 Jahren 10 Monaten an den Folgen eines Schlaganfalls.
Über die Bünzener Wassermühle berichtet G. Reimer, Böken in der Geschichte des Aukruges.
„Da die Mühle dem Amt Rendsburg, also dem dän. König, unterstand, hieß sie .Königsmühle‘. Schon 1552 wird die Mühle und ein Mühlenpächter namens Humfeldt genannt. 1731 sucht der Müller Heinrich Friedrich Humfeldt um einen Erbpachtsvertrag nach, der am 4.7.1732 vom König genehmigt wird. Im Todesfalle muß der Erbe des Erbpächters (wie wir in Bramstedt u. Bünzen sahen, konnte es auch eine Tochter des Erbpächters sein) um Bestätigung der Erbpacht nachsuchen. Hinrich Friedrich Humfeldt war der letzte Träger des Namens Humfeldt. Er übernahm die Mühle am 4.4.1747, starb aber kurz darauf, und die Erbpachtfolge ging auf seine kleine Tochter Margarete über. Die Mutter hatte inzwischen den Müller (Hans Hinrich) Hahn geheiratet. Sie verwaltet für die Tochter Margarete die Mühle (mit ihrem 2. Mann Hahn) bis zur Heirat im Jahre 1765 mit dem Müller Hans Hinrich Wichmann aus Bramstedt.“ Reimer, Böken fährt dann fort: „Die letzten Erbpächter waren die 5 Kinder Wichmann. Sie übernahmen die Mühle am 25.10.1786 und verpachteten sie. Als Afterpächter wurde Jochim Hudemann genannt (also keiner der 3 Söhne des Hans Hinrich Wichmann). 1801 verkaufte der frühere Erbpacht-Müller in Bünzen Hans Hinrich Wichmann die Mühle wieder an den dänischen König.“

Sterbereg. Nortorf, 1779, Nr. 52, S. 259. 17.6./begr. 19.6. 64 Jahre.
Margarethe Hahnen, aus Bünzen, des weil. Hans Harder’s in Bünzen und weil. Margarethe H. geb. S. Grothe (? unleserlich) Tochter verheiratet zum 1. tenmal mit Hinrich Friedrich Homfeldt, Müller zu Bünzen, mit dem sie 13 Jahre in der Ehe lebte und 4 Kinder (3 Söhne u. 1 Tochter) zeugten, wovon noch eine Tochter lebt: Margarethe verheiratet an Hans Hinrich Wichmann, Erbmüller zu Bünzen.
Die Verstorbene heiratet zum 2. Male den jetzigen Witwer Hans Hinrich Hahn, gewesenen Müller, jetzt Abschiedsmann in Bünzen, mit dem sie 32 Jahre in der Ehe lebte und 5 Kinder zeugten (4 Söhne und 1 Tochter, welche alle bereits verstorben sind. Sie ist alt geworden 64 Jahr.

Sterbereg. Nortorf, 1785, S. 51, Nr. 19. begr. 14.1. 66 Jahr. Hans Hinrich Hahn, gewesener Müller in Bünzen, seit 1 Jahr schwächlich, des weil. Peter Hahn in (Caden) Cayn. Er war in 1. Ehe verheiratet mit Greta Homfeldt, geb. Harder’s mit der er 33 Jahre im Ehestand gelebt hat und 6 Kinder zeugte, als 3 Söhne und 3 Töchter, welche alle gestorben sind. Zum 2. Mal an die jetzige Witwe Anna geb. Tanken mit der er 4 Jahre im Ehestand lebte, 66 Jahr.

Copulationsreg. Nortorf, 1765, 14.5. S. 408, Nr. 14. J. (Junggeselle) Hans Henrich Wiegmann, Müller in Bünzen , Siegfried Hans Christopher W. in Bramstedt und Anna Margarethe Homburgen (muß heißen: Gätgens) (ein ungeklärtes Verwandtschaftsverhältnis Wichmann-Homburg besteht allerdings). Und Jfr. (Jungfrau) Margareth Homfeldt, sel. Henrich Friedrich Homfeldt, Müller in Bünzen, und Margarethe, jetzt wieder verheiratete Hahnen in Bünzen, geb. Hardern Tochter.

Volkszahlreg. Kiel 1781. 1. Quartier, Großer Kuhberg, Hans Hinrich Wichmann, Mältzer u. Branntweinbrenner, 7 Familienmitglieder, wohlhabend, 3 Domestiken.

Sterbereg. Kiel 1786, 16. l./begr. 21.1. Nr. 54. Frau Margarethe Wichmann, geb. in Bünzen, im Amt Rendsburg , alt 44 Jahr. Hinterläßt ihren Eheliebsten und 5 Kinder.

Volkszählliste 1803. S. 494, 4. Quartier Nr. 107 Holstenstr. gegenüber dem Papenthor. Hans Hinrich Wichmann , 63 Jahre, Hausvater. Witwer. Tochter Marg. Frederika oo mit stud. theolog. Jasper Hansen, Tochter Henriette 1 Jahr.

Der Familie des Sohnes
Georg Friedrich Wichmann (III 7), Taufe 24.6.1748 in Bramstedt, des Pastors in Wedel blieb es vorbehalten, durch zwei seiner Söhne die gefährdete Erbpachtsfolge in der Bramstedter Mühle aufrechtzuerhalten. Georg Friedrich’s Werdegang geht aus seiner Sterbeurkunde hervor (siehe Anlage). Er hatte die Tochter Maria Elisabeth, des Sülfelder Pastors Johann Christian Wendisch (Pastor in Sülfeld von 1736-67) und der Caecilia Hedwig Hartung, (ebenfalls eine Pastorentochter) geheiratet und wurde Pastor in St. Marien, Rendsburg, später in Wedel. Auch er starb am Schlaganfall mit 53 1/2 Jahren am 28.12.1798, begr. 4.1.1799 in Wedel, seine Ehefrau starb ebenfalls in Wedel am 24.2.1826, begr. 2.3.

Ähnlich wie das Jahr 1811 wurde das Jahr 1826 für die Müllerfamilie Wichmann ein dramatisches Jahr. Der Sohn des Wedeler Pastoren Siegfried Christian Peter W. (III 7 a) 1775 in Rendsburg geboren, hatte nicht nur die Bramstedter Erbpacht der Mühle nach dem Tode des Onkels Siegfr. Christopher W. nach dem5.7.1811 übernommen, sondern auch noch die Witwe Christina Rebecca Margaretha geb. Mohr geheiratet, wie das zu jener Zeit aus moralischen und Zweckmäßigkeitsgründen häufiger vorkam. Doch die am 2.8.1812 geschlossene Ehe, auch im Alter stimmte alles, die Eheleute waren 37 und 36 Jahre alt, endete schon nach 2 Monaten am 3 .10.1812 mit dem Tode der Frau (Kirchbuchdiagnose Gallenruhr und Nervenfieber, also an einer akuten Infektionserkrankung Ruhr oder Typhus (gleichzeitig Truppendurchzüge im Verlauf der napoleonischen Kriege). Der Müller Siegfr. Christ. Peter heiratete nicht wieder und führte die Mühle bis zu seinem Tode am 25.1.1826 (51 jährig, Todesursache Schlaganfall).

Doch auch aus dieser Situation des fehlenden Nachfolgers mit Erbpachtberechtigung wurde ein Ausweg gefunden, denn der Pastor hatte noch einen weiteren Sohn Johann Nicolaus Christopher (III 7b) geb. 1786, Taufe 4.2. in Wedel, übrigens ein Zwilling. Sein sehr begabter Zwillingsbruder Daniel Christian Eberhard war mit 12 Jahren als hoffnungsvoller Schüler des Altonaer Christianeum, einer der angesehensten Schulen in Holstein, 1798 gestorben. Johann Nicol. Christopher W. war eigentlich schon etabliert, denn er hatte die Nachfolge des Erbpächters sämtlicher Haseldorfer Mühlen Barthold Plüschau angetreten, und am 20.12.1816 die Tochter Metta Plüschau geheiratet. Was ihn veranlaßt hat, die Haseldorfer Postition aufzugeben und die Erbpachtfolge in Bramstedt zu sichern, ließe sich eventuell aus der Haseldorfer Mühlengeschichte aufklären.

Das Ehepaar zog mit zwei Kindern, einem Sohn Siegfr. Friederich geb. 2.1./ Taufe 23.1.1820 in Wedel und einer jüngeren Tochter Maria Margarethe nach Bramstedt; ein weiteres Kind wurde erwartet. Kurz nach dem Umzug wurde eine Tochter Metta Elisabeth am 19.7./Taufe 23.7.1826 in Bramstedt geboren. So schien alles einen erfreulichen Verlauf zu nehmen. Doch nach zwei Monaten beendete ein akutes Krankheitsgeschehen die Zukunftshoffnungen der jungen Müllerfamilie. Denn am 21.9.1826 starb Johann Nicolaus W. mit 39 1/2 Jahren, wie die Sterbeurkunde ausweist, an einer Brustentzündung, Lungenentzündung würde es heute heißen, oder foudroyante Form der Lungentuberkulose (die erst in diesem Jahrhundert durch Chemotherapie aus dem Krankheitsgeschehen zum Verschwinden gebracht werden konnte). Auch der Sohn Siegfried Friedrich kann kein höheres Alter erreicht haben, sicher starb er unter 40 Jahren, denn 1862 in der Sterbeurk. der Mutter wird er nicht mehr genannt.
Doch die Frau des Müllers Metta W. geb. Plüschau aus Haseldorf scheint eine lebenstüchtige, energische Frau gewesen zu sein, denn sie gab nicht auf und ging nicht, wie man vermuten könnte, nach Haseldorf in ihre Heimat zurück, sondern sie wollte, obwohl ihre beiden Töchter u. der Sohn noch klein waren, die Erbpachtsfolge in Bramstedt sichern. Als Müllerstochter war sie in der Lage, den Mühlenbetrieb mit einem Müllergesellen Gottlieb Dietrich Niemann aus Ülzen weiterzuführen. Am 20.1.1828 heiratet sie G. D. Niemann, und aus dieser Ehe geht noch eine Tochter hervor, Maria Dorothea, die später den Hufner C. H. Denker aus Wiemersdorf heiratet, während die noch in Haseldorf geb. Tochter Maria Margarethe den Bramstedter Arzt Dr. G. L. Schamvogel heiratet. Das Ehepaar Niemann führte die Mühle, sozusagen als Setzwirte, für die noch kleinen erbberechtigten Kinder erster Ehe Wichmann. Der oben genannte Sohn Siegfr. Friedrich wird sicher vor 1846 gestorben sein, denn die inzwischen 20jährige Tochter Metta Elisabeth heiratet in diesem Jahr den von der Kampener Mühle stammenden Nicolaus Friedrich Paustian, Sohn des Kampener Müllers Georg Andreas Paustian und der Catharina Elisabeth geb. Abel. Mit Nicolaus Friedrich Paustian begann für die Bramstedter Mühle, und man kann wohl sagen, auch für Bramstedt, eine neue erfolgreiche Ära, aber das ist ein weites Feld und reicht nahezu bis in die Jetztzeit, denn Nicol. Fried. Paustian wurde 97 Jahre u. starb erst 1920. Seine Frau Metta Elisabeth geb. Wichmann hat er noch 23 Jahre überlebt, sie starb am 9.11./begr. 12.11.1897.

Außer dem Bemühen, familiengeschichtliche Verflechtungen zwischen einer Reihe von Müllerfamilien in den Ämtern Segeberg und Rendsburg aufzuzeigen (außer den Wichmann’s in Bramstedt, Hahn’s in Caden, Paustian in Campen, Humfeldt in Bünzen u. Plüschau in Haseldorf, ferner am Rande Tiedemann’s und Abel), war das Hauptanliegen dieses Beitrages, die Schwierigkeiten aufzuzeigen, die im Zeitalter hoher Sterblichkeit, in einem Mühlenbetrieb auftreten konnten. Sie konnten aber durch die Einbeziehung weiblicher Familienmitglieder der direkten Linie in die Erbpachtsfolge und durch zweckmäßige Ehepartner-Wahl innerhalb der Berufsgruppe z.B. im Krankheits- oder gar Todesfall des Müllers bis zur Großjährigkeit und Berufsfähigkeit der erbberechtigten Kinder überwunden werden.

Es lagen in dieser Berufsgruppe ähnliche Verhältnisse vor, wie bei den sogenannten Holländer-Pächtern der Milchviehbestände auf den Gütern, die ebenfalls eine selbständige Unternehmergruppe im vorindustriellen Zeitalter darstellten, und in dem die Frauen eine ebenso wichtige Rolle spielten, wie bei den Müllern und Bauern.

Pacht- und Erbpachtfolge der Bramstedter Wassermühle (Kanzleimühle).
I Peter Wichmann, Grabplatte Friedhof.
Geb. 1625, + 3.11.1703, 78 Jahr, verheiratet mit N. N. geb. 1623, + März 1699 76 Jhar.
II Peter Wichmann, verheiratet mit Magdalene Haß(en) aus Itzehoe, geb. vor 1660, + 1721.
Erbpacht-Folge.
III Siegfried Hans Christopher Wichmann, 1746-1773.
III 6. Siegfried Christopher, 1773-1811.
III 7 a. Siegfried Christian Peter, 1811 – 25.1.1826.
III 7 b. Johann Nicolaus Christopher, 25.1.1826-21.9.1826. Metta Wichmann, geb. Plüschau, 1826-1828. Setzwirt, u. in 2 oo mit Gottlieb Diederich Niemann 1828-1846.
III 7 b Metta Elisabeth Wichmann oo 1846 mit Nicolaus Friedrich Paustian, Müllersohn von der Campener Mühle. Otto Georg Wilhelm Paustian oo 27.11.1883 mit Adeline Agnes Magdalene Schümann, Tochter des Drittel-Hufners u. Gastwirt Joh. Hinr. Jasper Schümann u. Berta Maria Rosamunde geb. Tamm.

Zeittafel.

1628 Die Bramstedter Mühle brannte ab.
1633 Schenkt Christian IV., König v. Dänemark, das von ihm 1632 gekaufte Gut Bramstedt (Stedinger Hof) seiner Geliebten Wiebke Kruse aus Föhrden-Barl.
Die Kanzlei-Mühle wird zum Gut gelegt. Der Nießbrauch auch den Erben der Wiebke Kruse zugesichert.
1648 Sterben Christian IV. und Wiebke Kruse im gleichen Jahr.
Die Tochter Elisabeth Sophie Gyldenlöwe (die illegitimen Kinder Christian IV. und Friedrich III. bekamen den Namen Gyldenlöwe), verheiratet mit dem Generalmajor in Norwegen Klaus v. Ahlefeldt, erben nach Erbteilung mit dem einzigen Bruder dieser Verbindung das Gut und die Mühle.
1659 Brandenburgische und polnische Truppen lagen während des sogenannten „Polackenkrieges“ mehrere Wochen in Bramstedt. Dänische und Schwedische Truppen durchzogen den Flecken.
1665 Die finanzielle Notlage durch den Polackenkrieg zwingt Friedrich III. zur Verpfändung des Amtes Segeberg . Die Enkelin Wiebke Kruse’s Christine Sophie Amalie v. Ahlefeldt erbt das Gut Bramstedt u. die Mühle. Ihre drei Ehen:
1669 1.) mit Rittmeister Oberstleutnant Klaus v. Oertzen (mecklenburgischer Adel). Aus dieser Ehe 1 Tochter: Charlotte von Oertzen, die den Grafen Thomas Theodor v. Schmiedegg heiratet, der in Ungarn Besitzungen hat , 2.) mit Johann Friedrich Freiherr v. Kielmannsegg aus der österreichischen Linie, der 1695 seine Frau verließ und nach Österreich zurückging.
1697 Verkauf des Gutes Bramstedt an den Hessen-Kassel’schen Oberberghauptmann und Oberstleutnant Johann Ernst v. Grote aus niedersächsischem Adel.
1698 Die Mühle wird nicht mit verkauft und bleibt den Erben Wiebke Kruse.
1712 heiratet Christine Sophie Amalie geb. v. Ahlefeldt, geschiedene v. Oertzen, gesch. v. Kielmannsegg in 3. Ehe den russischen Generalmajor Freiherr Diede zu Fürstenstein und wohnt als Baroneß von Dieden zusammen mit der Müllerfamilie in getrennten Räumen auf der Mühle. [Anmerkung J-U S  6.12.2019: Bei Diede dürfte es sich um eine Verwechselung handeln. Der russ. Generalmajor ist Johan Carel van Dieden, Herr auf Hurwenen (Nl) und gehört nicht zu der Familie der Diede zum Fürstenstein. Für die Eheschließung in 1712 fehlt mir ein Belege; Johan Carel und Christine Sophie werden bereits 1701/1703 in Böhmen als Besitzer/Verwalter des Gutes Slavétin genannt: https://cs.wikipedia.org/wiki/Řísnice]
1729 erbt nach dem Tode der Baroneß von Dieden ihre Tochter aus der ersten Ehe Gräfin Charlotte v. Schmiedegg geb. von Oertzen die Mühle. Die Familie von Schmiedegg wohnt auf ihren Besitzungen in Ungarn, beansprucht, nur im Besuchsfall, Wohnraum in der Mühle.
1732 Müller Jochim Witte (nach Kirchenbucheintragung).  [Anmerkung J-U S: Pachtvertrag von 1729 ist im Jahr 2017 aufgetaucht.]
1740-1746 Müller Peter Haack (nach Harbeck).
1746 1. Erbpachtvertrag zwischen dem Grafen v. Schmiedegg als Besitzer und dem Müller Siegfried Hans Christopher Wichmann als Erbpacht-Müller.

Kinder des Erbpachtmüllers Siegfried Hans Christopher Wichmann und Anna Margarethe Gätgens (aus Elmshorn). oo 14.1./22.1.1728 Bramstedt.

Taufdaten.
1. Peter, 17.1.1731.
2. Anna, 23.3.1733 + früh.
3. Harm Anton, 26.5.1735, + früh.
4. Malen (Magdalena), 6.11.1737.
5. Hans Hinrich, 6.7.1740.
6. Siegfried Christopher, 13.9.1742.
7. Georg Friedrich, 24.6.1748.
8. Friedrich Christian, 5.2.1749, + früh.
9. Johann Christian, 13.10.1753.

Sterbereg. Bramstedt + 1773, 8./13.4. Nr. 30.
Siegfried Hans Christopher Wichmann, hiesiger Mühlenpächter, des weil. Peter Wichmann’s u. Magdalena geb. Haßen aus Itzehoe Sohn verheiratet an Frau Anna Margaretha Gätkens aus Elmshorn hinterläßt mit ihr gezeugte Kinder, als
1.) Peter Wichmann, Kirchspielvogt in Kaltenkirchen verheiratet an Frau Sophia Hedwig geb. Hoyern davon
a) Siegfried Hans Christopher, b) Anna Margaretha, c) Peter, d) Maria, e) Sophia Agnetha, alle Wichmann’s
2.) Magdalena Wichmann, verheiratet an Daniel Hahn, Müller zu Caden davon
a) Margaretha Catharina, b) Anna Dorothea, c) Magdalena Caecilia Sophia, e) Christina Hedwig, alle Hahn’s
3.) Hans Hinrich Wichmann, verheiratet an Margaretha geb. Homfeldt aus Bünzen, davon
a) Siegfried Christopher, b) Hinrich Friedrich, beide Wichmann’s
4.) Siegfried Christopher Wichmann
5.) Georg Friedrich Wichmann, Pastor in Rendsburg, verheiratet an Maria Elis. geb. Wendisch.
6.) Johann Christian Wichmann.

Der alte Wichmann stirbt am Schlage. Alt 71 Jahr 2 Monate.

Sterbereg. Segeberg 1820, 19.12./24.12. Nr. 10 nach Adv.
Sophia Hedewig Wichmann in Segeberg, Tochter des weil. Pastor Hoyer zu Kaltenkirchen verheiratet gewesen an den weil. Hausvogt Wichmann zu Segeberg. Die Leibeserben sind:
1.) Advokat Siegfried Hinrich Christopher Wichmann in Bredstedt.
2.) Anna Margaretha Christine, Ehefrau des Leutnants u. Postmeisters Koch in Segeberg.
3.) vier Kinder des zu Heilshoop verstorbenen Sohnes Peter, welche Hans, Peter, Mina u. Lena heißen.
4.) Katharina Frederika Hedewig, Ehefrau des Baron’s von Brockdorff in Glücksburg.
5.) Andreas, unverheiratet, in Petersburg. Sie starb über 80 Jahre alt.

Sterbereg. Kaltenkirchen West 1794, 19.2./23.2.
Daniel Hahn, Kätner in Kaltenkirchen, vormals Mühlenpächter in Caden. weil. Peter Hahn, Müller zu Caden u. weil. Caecilia Dorothea geb. Dreier eheleiblicher Sohn, alt 68 1/4 Jahr u. 14 Tage, hinterläßt seine Witwe geb. Wichmann u. 6 Kinder
1.) Margarethe Catharina, verehelicht mit Christoph Wecker, Bürger u. Gastgeber in Segeberg,
deren Tochter heißt Magdalena.
2.) Anna Dorothea, verwitwete Controlleurin Hartmann,
deren Tochter heißt Magdalena.
3.) Magdalena verehelicht mit Hans Peter Bendixen,
deren Kinder sind Daniel Friedrich, Detlev Siegfried, Botilla Dorothea Christiana, Magdalena Johanna Christine, Christiana Agatha Amalia, Lucia Frederika Christiana, Hans Johann Gerhard.
4.) Caecilia Sophia, verehelicht mit Thiel Abel, Mühlenpächter zu Caden,
deren Kinder sind Magdalena und Franz Martin.
5.) Peter Jacob.
6.) Johanna Antoinette Christina.

Sterbereg. Kiel 1818, Nr. 163, 2.8./5.8.
Der hiesige deputierte Bürger Hans Hinrich Wichmann, alt 78 Jahre, gebürtig aus Bramstedt, Witwer, hinterläßt 4 Kinder.

Sterbereg. Bramstedt 1811, 5.7./8.7.
Bramstedt, der hiesige Erbpachtsmühlenpächter Siegfried Christoph Wichmann, des weil. Hans Christopher Wichmann und Anna Margaretha geb. Gätgens ehel. Sohn, war verheiratet an:
1.) Metta Magdalena geb. Butenschön,
aus welcher Ehe keine Kinder.
2.) an Christiana Elisabeth Henriette geb. Rudolphi,
aus welcher Ehe auch keine Kinder.
3.) an Christiana Rebecca Margaretha geb. Mohr aus Glückstadt,
aus welcher Ehe ebenfalls keine Kinder.

Er starb am Schlage, 68 Jahr.

Sterbereg. Wedel. 28.12.1798/4. Januar 1799.
Öffentlich mit Parentation Herr Georg Friedrich Wichmann, Prediger hierselbst, des weil. Erbmühlenpächters Siegfried Hans Christopher Wichmann zu Bramstedt und Anna Margaretha geb. Gätgens eheleiblicher Sohn. Er ward im Jahre 1772 Prediger in Rendsburg, und nach 9 Jahren u. 7 Monaten im Jahre 1781, dem 2.12. trat hierselbst sein Amt an, welches er 17 Jahre und 3 Wochen redlich u. treu gewaltet. Er war ein Mensch von ausgebreiteten theologischen u. anderen Kenntnissen, sein Herz sprach aus seinem Munde, u. die Redlichkeit seiner Amtsführung wird sein Gedächtnis in Segen erhalten. Er endete durch einen Schlagfluß schnell und leicht sein Leben, nachdem er 53 Jahre 6 Monate u. 4 Tage alt geworden. Er ist verheiratet gewesen mit Marie Elisabeth geb. Wendisch, die er hinterläßt und zwei Kinder: Siegfried und Nikolaus.

Gott sei in Demuth gepriesen, daß er ihn bald und selig hat vollenden lassen. Seine Gemeinde weihe ihm eine Zähre der Dankbarkeit und ehre seine Asche durch Ausübung seiner Lehre.

Die Lebensdaten der drei Ehefrauen des Siegfried Christopher Wichmann III, 6. + 5./begr. 8.7.1811. 2. Erbpachtmüller in Bramstedt.
1. oo 20.12.1780 Bramstedt mit Metta Magdalena Margaretha Butenschön, geb. 16./Taufe 18.4.1763, Tochter des Kirchspielvogtes u. Zollverwalters Johann Barthold Butenschön in Bramstedt, u. Metta Marg. Basuhn, gestorben mit 25 Jahren am 20.8./ begr. 23.8.1787 an Scharlachfieber.
2. oo mit Elisabeth Christiana Rudophi, geb. 1775, Tochter des Herrn Inspectors
Gerhard Ulrich Rudolphi, Glückstadt, u. Christiane Charlotte geb. Winkler, gestorben am 14./begr. 15. März 1807, „krampfartige Zufälle“, fast 32 Jahre.
3. oo Christiane Rebecca Margarethe Mohr, geb. 1776, Tochter des Schusters oder Schiffers (?) Claus Mohr, Hamburg, und der Margarethe Lindemann.

36 Jahr gestorben am 3./begr. 6.10.1812. Gallenruhr u. Nervenfieber. Ihre 2. Ehe mit Siegfried Christian Peter Wichmann III a. am 2.8.1812.

Sterbereg. Bramstedt. 1787, 31. l./begr. 5.2.
Bramstedt. Der Halbhufner und Gastwirt Johann Christian Wichmann, des weil. Siegfried Hans Christopher Wichmann’s hiesiger Erbmühlenpächter und der noch lebenden Anna Margarethe geb. Gätgens ehelicher Sohn war verehelicht mit Anna Christina Grothen aus Itzehoe gebürtig. Hinterläßt aber von ihr keine Kinder. Er starb an der Schwindsucht im 34. Jahr seines Lebens.

Copulationsreg. Bramstedt. 1846, 11. 1.
Nicolaus Friedrich Paustian, jetziger Erbpachtmüller in Bramstedt. Des Müllers Georg Andreas Paustian in Campen u. Catharina Elisabeth, geb. Abel, ehelicher Sohn, alt 22 Jahr, und Metta Elisabeth Wichmann hierselbst des weil. hiesigen Erbpachtsmüller Johann Nicolaus Wichmann und der noch lebenden Metta geb. Plüschau eheliche Tochter, alt 20 Jahre.

Muehle_Wichmann_Paustian

Müller-Familie aus Bramstedt oder Umgebung um 1818. Original im Landesmuseum Schloß Gottorp, Schleswig. Von dem Bonner Silhouettenschneider Franz Liborius Schmitz (1762-1827), der von 1799 bis 1825 durch Skandinavien und Schleswig-Holstein reiste. (Schlesw.-Holst. Silhouetten. Kunst in Schlesw.-Holst.) 1959. S. 119-121. Ernst Schlee.

Mühlenpächter der Mühle zu Kampen, Kirchspiel Kaltenkirchen.
Nicolaus Friedrich Paustian.
geb. 1745. + (als Abschiedsmann) 9.3./begr. 14.3 1820 in Kaltenkirchen. 75 Jahre.
verheiratet vor 1770 mit Margarethe Tiedemann’s
hinterlassen 6 Kinder
Conrad, Gerhard, Marike, Stina, Friederika.

Georg Andreas Paustian. Müller zu Campen.
verheiratet 16.8.1817 Kaltenkirchen West
mit Catharina Elisabeth Abel, Tochter des Müllers Thiel Abel zu Caden.

Nicolaus Friedrich Paustian geb. Kaltenkirchen West 25.12.1823
Taufe 11.1.1824 Nr. 14.
verheiratet mit Metta Elisabeth Wichmann geb. 19.7./T. 23.7.1826 Bramstedt.
oo Bramstedt 1846. Nr. 2. + 15.1./ begr. 18.1.1920 Bramstedt.
+ 9./begr. 12.11.1897 Bramstedt.

Mühlenpächter der Mühle zu Caden.
Peter Hahn. geb. c 1687/88. + 4.1./ begr. 10.1.1757. Kaltenkirchen verheiratet mit Caecilia Dorothea Dreier, geb. c 1689/90. vor 1719. + 28.1./begr. 3.2.1759.
Daniel Hahn. geb. 1725. + als Kätner u. Rentner Kaltenkirchen 19.2./begr. 23.2.1794
verheiratet mit Magdalena geb. Wichmann, Tochter von Siegfried Hans Christopher Wichmann, Erbpachtmüller in Bramstedt. oo 1758 in Bramstedt.
Thiel Abel + 20.12./begr. 23.12.1820 Kaltenkirchen West 1821, Nr. 1 verheiratet mit Caecilia Sophia Hahn. Tochter von Daniel Hahn. 7 Kinder, darunter Franz Martin, später Nachfolger des Vaters, und Catharina Elisabeth, später Ehefrau des Campener Müllers Georg Andreas Paustian.

Franz Martin Abel. Müller zu Caden
verheiratet 23.4.1821 mit Friederika Sophia Paustian, Tochter des Müllers Nicolaus Friedrich Paustian u. Margarethe Tiedemann’s.

aus dem Bramstedter Stellenverzeichnis (abgeschrieben von Prof. Hans Riediger)

Bramstedt
Inste Nr. XXIV
(Bramsteder Insten)

Peter Wichman, Moller, getr. 25.p.Trin.1646 mit Geseke Lindemannes aus Bramstedt, T.d. Rottker Lindeman, gest. 17.12.1699, begr. 28.12.1699;
Kinder:
Clawes, geb. 1648, get. 1.3.1648, gest. „ümb die Adventzeit“ 1657;
Gev.: Jochim Wichman, Peter Kerlls, Cattrina Lindemannes;
Abell , geb. 1649, get. „ümb die Zeit der Buchweitzenerndte“
1649, getr. 2.10.1667 mit Hanß Götschen von Hartenholm,
Gev.: Fr. Ellsebe Röpstorpfen, Wibke Toden, Clauß Wichman;
Christoffer, geb. 1651, get. Laetare 1651, gest. „ümb die Adventzeit“ 1657 (Pocken);
Gev.: Christoffer Roepstorff Vorwalter auf dem Hoeff Bramstede, Abel Lewahn, Magdalena Wichmans;
Lysebett Sophia , geb. 1652, get. 1.Adv.1652, getr. 1688 mit Siegfried Bensen, Pastor in Stellau und Schenefeld, Pastor und Probst in Meldorf von 1704-09;
Gev.: Die HochEdle Frauw Elisabett Sophia Gülden Löwen, Junckfrauw Gertrudt Krusen, Cordt Lindeman;
Rottger , geb. 1653, get. 2.Adv.1653, gest. 3.9.1693, getr. 21.10.1680 mit Engell Bartels aus Bramstedt,
Gev.: Arendt Wulff, Jochim Westphall, Cattrina Kerlls von Kellinckhusen;
Peter , geb. 1654, get. 26.p.Trin.1654, getr. 28.4.1691 mit Magdalena Hassen von Itzehoe,
Gev.: Dethlevus Galenbecius, Hans Roepstorpen vnd Anna Lindemanß;
Maria , geb. 1656, get. Sexs.ges.1656, gest. am anderen Tage 1656;
Gev.: F. Engel Galenbeken Pastorsche, Geseke Rovers, Hinrich Lindeman;
Christian , geb. 1657, get. 1657, gest. 1659 in Crempe, begr. 15.9. 1659, „Ist gestorben in Crempe, alß die Schweden ins Land gekommen. Von dannen es heraußgeführet v. zu Bramstedte begraben nachdem er etwa 20 Wochen gelebet.“
Gev.: H. Christian Schlaff, H. Daniel Galenbeck, J. Anna Röpken;
Clauß Christoffer, geb. 1659, get. Judica 1659, gest. 1659 in Crempe, begr. 15.9.1659;
Gev.: Albrecht Bartels, Han Tode, Ellsebe Lindemanß;
Hanß Christoffer , geb. 1661, get. 1.p.Trin.1661, um 1702 auf Gut Claderam in Mecklenburg,
Gev.: H. Han Schroder, Majeur, H. Ludwig Heinrich Schlaff, J. Heilwig Röpstörpffen;
Burchard , geb. 1662, get. 19.p.Trin.1662, gest. 1663, begr. 17.5.(Cantate)1663;
Gev.: Mons. Burchard Röpstrpff, Conrad Damman, J. Engeborgh Freimuths;
Christina Maria , geb. 1664, get. Palmarum 1664, gest. 1668, begr. 1.6.1668,
Gev.: Fr. Christina Galenbeken, Pastörinn, Fr. Margareta Bäwmeisters, Peter Elerß von Itzehoe;

Literaturverzeichnis und Quellenangaben:

1. Wolfgang Prange. Entstehung und innerer Aufbau des Gutes Bramstedt. Zeitschr. f. Schlesw. -Holst. Gesch. Bd. 91, 1966, S. 122-175.
2. Harbeck. Chronik von Bramstedt.
3. Dr. H. A. Hermann. Jahrbuch des Kreises Plön, XIII. Jahre, 1983, S. 18.
4. Heinrich Pöhls. Heimatbuch des Kreises Plön, 1953, Ländliches Handwerk u. Gewerbe, S. 257-262.
5. Bürgermeister Kinder, Plön. Beiträge zur Stadtgeschichte, S. 335, Forst- u. Jägermeister, Freiherr Otto Dietrich v. Brockdorff.
6. Ernst Kröger. Kisdorf, Barghof. Die Kirchspielvögte von Kaltenkirchen. Heimatkl. Jahrb. d. Kreises Segeberg, 1973. 19. Jahrg. S. 51-98.
7. Otto Fr. Arends. Gejstligheden i. Slesvig og Holsten fra Reformationen til 1864.
8. Karl-Rud. Storjohann. Kalkbergbeamte u. Amtsverwalter des Amtes Traventhal. Jahrb. Segeberg 1982.
9. Karl-Rud. Storjohann. Amtmänner u. Amtsverwalter des Kgl. dän. Amtes Segeberg. Jahrb. Segeberg 1983. S. 71.
10.. Hans Simonsen. Segebergs ältere Häuser. 1956. Die Kirchspielvogtei in der Lübecker Str.
11. Hans Hübner. Altes Postwesen in Segeberg. Die „Heimat“ 1950, Heft 6.
12. G. Reimer, Böken. Geschichte des Aukruges. 3. Aufl. 1978. Verlag Möller Söhne, Rendsburg.
13. Lilly Martius. Schlesw.-holst. Malerei. Wachholtz-Verlag, Neumünster 1956.
14. Landesarchiv Schleswig Abt. 110, 3 Fol 769. 706. Bramstedter Schuld- u. Pfandprotokolle. Cautionsprotokoll, betrifft Erbpacht-Vertrag zwischen den Grafen v. Schmiedegg in Ungarn u. dem Müller Siegfried Hans Christopher Wichmann, Bramstedt.
15. Kirchenbücher der evang. Gemeinden Bramstedt, Kaltenkirchen, Segeberg, Nortorf, Wedel, Kiel, Bredstedt u. Zarpen.

Für freundliche Unterstützung möchte ich Frau Warnke, Frau Keßlau und Frau Stiller von den Kirchenbuchämtern Bramstedt, Segeberg u, Kaltenkirchen und Herrn Amtsrat Witt vom Landesarchiv Gottorp-Schleswig herzlich danken.


mehr zu Mühlen und den Paustians gibt es hier: 1993: 150 Jahre Kisdorfer Mühle

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Zimmermann / Brandt: Astronom Heinrich Christian Schumacher

Astronom Schumacher wieder entdeckt

Ein Beitrag von Horst Zimmermann
in „300 Jahre Bramstedter Heilquellen“, Bad Bramstedt 1981.

Abdruck mit frdl. Genehmigung der Rheumaklinik Bad Bramstedt

Bad Bramstedter Heimatforscher hatten bisher das Wirken des in Bramstedt gebürtigen Astronoms Heinrich Christian SCHUMACHER nur oberflächlich in wenigen Zeilen geschildert. Wertvoll war für weitere Nachforschungen der Hinweis, daß in Hamburg/Altona eine Straße nach ihm benannt worden sei.
In jüngster Zeit ist das Leben von Heinrich Christian SCHUMACHER vor allem durch eine Arbeit von Lutz BRANDT, Hamburg, aufgehellt worden.

Heinrich Christian Schumacher

Heinrich Christian Schumacher

Heinrich Christian SCHUMACHER wurde am 3. September 1780 in Bramstedt geboren. Sein Vater war hier königlich-dänischer Kammerherr. Der Sohn verlebte in Bramstedt und in Segeberg seine Jugend.

Umfangreiche Studien der Mathematik und der Astronomie folgten. Es kam zu einer engen Verbindung mit dem berühmten bahnbrechenden Mathematiker und Direktor der Göttinger Sternwarte Carl Friedrich GAUSS (1777-1855). 1810 wurde SCHUMACHER Professor der Kopenhagener Universität und königlich-dänischer Konferenzrat. Der Astronom unternahm ab 1815 die sehr wichtige Gradmessung und Triangulation des dänischen Gesamtstaates; es folgten topographische Aufnahmen von Holstein, Hamburg und Lauenburg. “Im Treppenhaus des Segeberger Rathauses hängt ein Abdruck eines schönen Planes der Stadt und ihrer Umgebung aus dem Jahre 1825” (Brandt, 5. 25). Zu den Hauptwerken SCHUMACHERS zählt die Gründung der Altonaer Sternwarte an der Palmaille im Jahr 1821. Hier wirkte er rund drei Jahrzehnte und starb am 28. Dezember 1850.

schumacherPlatte

An das Wirken des Astronoms Heinrich Christian Schumacher erinnert am Ausgang des Hamburger S-Bahnhofes Königstraße eine Gedenkplatte: ein symbolisierter Meridian (senkrecht) und eine kunstvoll gegliederte Platte “Lauschen zum All”.

Unter den Überresten des Heilig-Geist-Kirchhofes, ein Relikt der Hamburger Bombardierungen des 2. Weltkrieges, steht noch heute der Grabstein SCHUMACHERS und seiner Frau. Wenige Schritte davon entfernt wurde am Eingang des S-Bahnhofes Königstraße eine Gedenktafel für ihn angebracht. Der in den Boden eingelassene Altonaer Meridian erinnert an die Sternwarte Altona, Hauptwirkungsstätte des Astronomen SCHUMACHER, der aus Bramstedt stammte.


aus dem Heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg, 1980, S. 45 ff.

Lutz Brandt, Hamburg

Heinrich Christian Schumacher zum zweihundertsten Geburtstag

Der zweihundertste Geburtstag des großen Astronomen und Geodäten Heinrich Christian Schumacher am 3. September 1980 soll uns hier willkommener Anlaß sein, ein Bild wissenschaftlichen Lebens und Arbeitens im 19. Jahrhundert entstehen zu lassen. Trotz mancher unliebsamer Zeitumstände, die auch an Schumacher nicht spurlos vorübergingen, stellt das 19. Jahrhundert so etwas wie den Höhepunkt einer geradezu heroischen Zeitepoche in den Naturwissenschaften dar, die mit dem Auftreten Isaac Newtons und seiner „Prinzipien“ an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert ihren Anfang nahm.

Den Segebergern ist Schumacher bekannt durch seine umfangreiche geodätische, hier besonders topographische Tätigkeit. Im Treppenhaus des Segeberger Rathauses hängt ein Abdruck seines schönen Planes der Stadt und ihrer Umgebung aus dem Jahre 1825.

I.

Heinrich Christian Schumacher wurde am 3. September 1780 als Sohn des königlich-dänischen Amtmanns und Kammerherrn Andreas Schumacher (1726 -1790) und dessen Ehefrau Sophia Hedwig Rebecca geb. Weddy (1752 -1822) im holsteinischen Flecken Bramstedt (heute Bad Bramstedt) geboren. Schumacher verlebte dort und zum Teil in Segeberg, wo sein Vater als Amtmann des Amtes Segeberg wirkte, seine ersten Jugendjahre. Wie Schumacher selbst berichtet1, wurde er im 7. Lebensjahre von seinem Vater dem König Friedrich VI. von Dänemark und Herzog von Holstein vorgestellt und dieser hat als wahrhaft königlicher Gönner bis zu seinem Tode, stets seine schirmende Hand über ihn gehalten.

Eine einschneidende Änderung bedeutete es für Schumacher als er mit 10 Jahren seinen Vater verlor. Der Fürsorge seines Vaters hatte Schumacher es aber zu verdanken, daß er seinen ersten Unterricht von einem gewissenhaften und tüchtigen Mann, dem Pastor Dörfer erhielt, der durch seine Topographie Schleswig-Holsteins bekannt wurde. Schumacher gedachte dieses Mannes stets in großer Dankbarkeit. Als Pastor Dörfer nach dem Tode von Vater Schumacher die Pfarrstelle an einer Kirche in Altona erhielt, wird es das Verhältnis zwischen ihm und der Familie Schumacher gewesen sein, das Schumachers Mutter veranlaßte 1790 nach Altona zu ziehen und die Söhne2 das dortige Gymnasium besuchen zu lassen, dessen Direktor Jacob Struve war, der Vater des berühmten Astronomen Friedrich Georg Wilhelm Struve (1793 bis 1864).

Durch vormundschaftlichen Rat zum Studium der Rechtswissenschaften bestimmt, war es einstweilen nicht die Astronomie, der Schumacher sich verschreiben sollte. Nach Beendigung seiner juristischen Studien in Kiel und Göttingen nahm er 1804 eine Anstellung als Hauslehrer in einer angesehenen Familie in Livland an, ging aber bereits 1805 nach Dorpat, um sich an der dortigen Universität als Privatdozent für Jurisprudenz niederzulassen. Die hierdurch bedingte Verbindung zu den Dorpater Professoren J.W.A. Pfaff und E. Chr. F. Knorre ließ in Schumacher die alte Liebe zur Mathematik und Astronomie wieder aufleben, so daß er sich unter ihrem Einfluß immer mehr zu diesen Wissenschaften hingezogen fühlte. Nach mancherlei Umständen, die die Aufnahme seiner Dozententätigkeit bis Anfang 1807 verhinderten, wurde Schumacher nach Kopenhagen berufen, um in der Rentkammer angestellt zu werden. Vereitelt wurde dieser Stellungswechsel durch den Anfang September 1807 erfolgten Überfall der englischen Flotte auf Kopenhagen. Schumacher erreichte aber dennoch, daß ihm Aussichten auf eine Anstellung als außerordentlicher Professor der Astronomie an der Kopenhagener Universität gemacht wurden. So ging Schumacher, um die weitere Entwicklung abzuwarten, nach Altona zurück, wo er mit seiner Mutter in der Palmaillenstraße (heute Behnstraße) wohnte und an einer Übersetzung von Carnots „Geometrie de position“ arbeitete.

In diese Zeit von Schumachers Aufenthalt in Altona fallen zwei für sein weiteres Leben außerordentlich wichtige Ereignisse. Es handelt sich um die beginnende Freundschaft mit dem Hamburger Spritzenmeister und Liebhaber der Astronomie Johann Georg Repsold und den sich anbahnenden Briefwechsel mit dem berühmten Mathematiker und Direktor der Göttinger Sternwarte Carl Friedrich Gauss (1777-1855).

Auf Veranlassung der Grafen v. Reventlow und Schimmelmann erhielt Schumacher vom dänischen König 600 Taler Kurant mit der Maßgabe, diese für astronomische Studien, deren Zeitdauer auf ein Jahr festgelegt war, zu benutzen. In einem Brief vom 20. September 18083 teilt Schumacher Gauss dieses mit und bittet ihn gleichzeitig, unter seinen Augen seine astronomischen Studien fortsetzen und vertiefen zu können. Gauss schreibt unter dem 2. Oktober 18084 zurück: „ . . . Höchst erfreulich ist mir die Aussicht, daß Sie Göttingen eine Zeitlang zu Ihrem Aufenthalte wählen wollen, und ich werde mich sehr glücklich halten, wenn ich Gelegenheit habe, Ihnen auf irgend eine Weise nützlich zu seyn. . . Alle Hülfsmittel, die unsere Sternwarte darbietet, stehen zu Ihrer Uebung bereit. Wir werden zusammen beobachten, Sie werden mich bei den Rechnungen unterstützen, und vielleicht bin ich im Stande, Ihnen bei beiderlei Beschäftigung manches mitzuteilen, was Ihnen interessant und nützlich seyn kann.“

Schumachers Aufenthalt in Göttingen währte von November 1808 bis etwa Oktober 1809. Eine erhoffte Verlängerung des Stipendiums ließ sich leider nicht erwirken. So reiste denn Schumacher in Gauss‘ Gesellschaft über Bremen, um den berühmten Arzt und Astronomen H. W. M. Olbers zu treffen und Joh. H. Schröters Sternwarte in Lilienthal, wo F. W. Bessel wirkte, zu besuchen, nach Altona zurück.

Schumachers etwas unbestimmter Zustand in Altona zog sich bis zum August 1810 hin, als er aus Kopenhagen die Berufung zum a. o. Professor der Astronomie der Kopenhagener Universität erhielt. Eine Verwendung Schumachers in Kopenhagen kam dennoch nicht in Frage, da der dortige Ordinarius für Astronomie Th. Bugge, die Sternwarte allein zu seiner Verfügung zu erhalten wünschte. Man legte Schumacher deshalb nahe, sich einstweilen beurlauben zu lassen, um seine in Hamburg auf der Sternwarte Repsolds angestellten Beobachtungen weiterzuführen. Durch diese gemeinsame Tätigkeit traten sich die beiden ihrer Veranlagung nach grundverschiedenen Männer näher. Repsold bieder, zum Teil drastisch, Schumacher diplomatisch gewandt, verband beide eine innige Freundschaft, die, trotz mancher starker Prüfungen, ungeschwächt bis zu Repsolds Tod5 bestehen blieb und die der Überlebende auch auf die Söhne des verstorbenen Freundes übertrug.

Auf Betreiben der französischen Besatzungsmacht in Hamburg mußte Repsold 1811 das Sternwartengebäude auf der Bastion „Albertus“ der hamburgischen Wallanlagen abbrechen, um neuen Befestigungen Platz zu machen. Unter diesen Umständen war es Schumacher sehr erwünscht, auf Veranlassung von Gauss hin, einen Ruf als Direktor der Sternwarte nach Mannheim zu erhalten. Der ihm darauf in Kopenhagen gewährte Abschied galt aber nur unter der Bedingung, daß, falls Bugge sterben würde, er sofort als dessen Amtsnachfolger zurückzukommen habe. Im August 1813 verließ Schumacher mit seiner Frau und in Begleitung seiner Mutter Altona und zog nach Mannheim.

Die traditionsreiche, von P. Christian Mayer S. J. 1772 auf Veranlassung von Kurfürst Carl Theodor gegründete Mannheimer Sternwarte6, fand Schumacher in einem traurigen und verwahrlosten Zustand vor. Trotz aller Unzuträglichkeiten war Schumacher ein fleißiger Beobachter. Der Aufenthalt Schumachers in Mannheim sollte nicht von allzu langer Dauer sein. Bugge starb Anfang 1815 und Schumacher wurde nach Kopenhagen zurückgerufen, um dessen erledigte Professur und die Leitung der Sternwarte zu übernehmen. Eine Reise nach Italien, die er in Begleitung Georg v. Reichenbachs machen wollte, kam nicht mehr zur Ausführung, so daß er im Juli 1815 die Rückreise nach Kopenhagen antrat.

II.

Die Sternwarte in Kopenhagen auf dem „Runden Turm“, war instrumentell nicht gut ausgestattet und befand sich, hinsichtlich ihrer baulichen Ausführung, in einem sehr mangelhaften Zustand. Diese Sternwarte konnte Schumacher nicht genügen. Er nennt sie einmal Bessel gegenüber „eine der erbärmlichsten Europas“.

Die Tätigkeit Schumachers an der Sternwarte und seine Wirksamkeit an der Kopenhagener Universität, waren aber nur von episodenhafter Kürze. Um diesem unerfreulichen Zustand eine ihm gemäße Wendung zu geben, verstand es Schumacher mit exzellenter Diplomatie, den dänischen König für den Plan einer großangelegten Gradmessung, deren nördlichster Punkt Skagen und deren südlichster Punkt Lauenburg seine sollte, zu interessieren. Der gesamte Bogen zwischen Skagen und Lauenburg umfaßte 4 1/3 Grad. Als Ergänzung zu diesem Plan, kam noch das Projekt einer Längengradmessung von Kopenhagen bis zur Westküste Jütlands, die 4 2/3 Grad umfaßte.

Bis Mitte 1816 waren Schumacher alle erforderlichen finanziellen Mittel in liberalster Weise von der dänischen Regierung zur Verfügung gestellt worden. Im Juni desselben Jahres war Schumacher bereits vollauf mit den Vorbereitungen zu den Triangulationsarbeiten beschäftigt, wobei er allerdings dann doch ins Hintertreffen kam, da Reichenbach in München die bestellten Instrumente nicht termingerecht ablieferte. In einem Brief Schumachers an Gauss vom 7. Juni 18167, in dem er ihn diesen Umstand mitteilt, regt Schumacher unter anderem an, ob nicht Gauss, eventuell zusammen mit B. A. v. Lindenau, den Meridian durch Hannover fast bis gegen Gotha führen und somit den Anschluß an die bayerischen Dreiecke vornehmen wolle.

Wenn dieses auch der entscheidende Anlaß zu der von Gauss durchgeführten hannoverschen Gradmessung war, so bedurfte es doch noch umfangreicher Vorstellungen und Eingaben bei den Regierungen in Hannover und London — unter anderem durch Schumacher selbst —, bis durch eine Kabinettsorder König Georgs IV. vom 9. Mai 1820, die Fortsetzung der dänischen Gradmessung durch das Königreich Hannover angeordnet wurde8.

Im Laufe der Zeit schritten die Arbeiten Schumachers trotz einiger Hindernisse zügig voran. Zwei der markantesten Dreieckspunkte in seinem Netz, waren der Turm der Michaeliskirche in Hamburg und einer der Türme der Lübecker Marienkirche. Für die Festlegung einer Basis, für die Repsold die Anfertigung des Meßapparates in Auftrag genommen hatte, fand Schumacher bei Ahrensburg in der Gemeinde Braak ein geeignetes Gelände, das auch den späteren Anschluß der hannoverschen Dreiecke zuließ. Nicht unerheblich erleichtert wurden Schumachers Vermessungsarbeiten im Feld durch die Beistellung einiger Offiziere der dänischen Armee und Marine, unter ihnen die Leutnants Caroc, Nehus, Nyegaard und der spätere Vizeadmiral und Freund Schumachers Zahrtmann. Für die Reduktionsrechnungen zog Schumacher im Laufe der Zeit P. A. Hansen, Olufsen, Nissen, Th. Clausen sowie später C. A. F. Peters und A. C. Petersen heran.

Die Tätigkeit Schumachers war naturgemäß mit recht vielen Reisen zwischen den Dreieckspunkten einerseits und Kopenhagen und Altona, das ihm als Hauptquartier diente, andererseits verbunden. Weilte er in Altona, so wohnte er in Abständen in der Zeit von August 1818 bis Juni 1819 bei Conrad Hinrich Donner auf dessen Besitzung in Neumühlen an der Elbe, nicht unweit Altonas.

Da mittlerweile eine, wenn auch noch keineswegs definitive Entscheidung der englischen Regierung betreffs der Durchführung der hannoverschen Gradmessung gefallen war, beteiligte sich Gauss an den Zenitsektorbeobachtungen Schumachers im Sommer 1819 in Lauenburg. Im Winter 1819/20 war Schumacher zu Polhöhenbestimmungen und trigonometrischen Messungen in Kopenhagen, und im darauffolgenden Sommer in Skagen und wieder in Lauenburg. Im Oktober 1820, Schumacher hatte sich inzwischen in Altona in der Karolinenstraße bei Madame Klick eingemietet und für Gauss ebenfalls ein Zimmer mit schönster Elbaussicht eingerichtet, wurde im Beisein von Gauss und F. G. W. Struve, die Basismessung bei Braak begonnen.

Trotz mancher Unzuträglichkeiten, welche die Feldarbeiten für Schumachers Gesundheit mit sich brachten, war er auch auf literarischem Gebiet sehr tätig. So gab er ab 1820/21 astronomische Hilfstafeln und Ephemeriden unter anderem für navigatorische Zwecke heraus, die bis zum Jahre 1829 bzw. 1831 fortgesetzt wurden.

Unter dem 27. März 18219 schreibt Schumacher aus Kopenhagen an Gauss: ,,. . . Unser Finanzminister hat mich beinahe aufgefordert, eine Astronomische Zeitung in Altona herauszugeben, von der jede Woche etwa ein Bogen erschiene, und die dazu diente, die lebhafteste Communication unter den Astronomen zu erhalten.“

So gründete Schumacher die „Astronomischen Nachrichten“ (A. N.) und erhielt von der dänischen Regierung jegliche erdenkliche Unterstützung in finanzieller Hinsicht. Nach Schumachers eigenen Worten, müßte der damalige dänische Finanzminister Mösting (1759 -1843) als der eigentliche Begründer der Zeitschrift bezeichnet werden. Indessen wurde Mösting dadurch geehrt, daß ein Mondkrater in Nähe der Mondmitte, der als Ausgangspunkt für zahlreiche Positionsmessungen und Anschlußbeobachtungen von Objekten auf der Mondoberfläche diente, nach ihm benannt worden ist.

HCSchumacher_HkJB80Die Bedingungen für das Erscheinen einer solchen Zeitschrift waren insofern günstig, als Schumacher sich auf eine Reihe von Mitarbeitern stützen konnte, wie sie in der Regel zu seiner Zeit dem Herausgeber einer wissenschaftlichen Zeitschrift kaum zur Verfügung standen. Die erste Nummer der A. N. erschien im September 1821 in Altona als Verlagsort. Sie stellt die einzige noch heute erscheinende deutschsprachige astronomische Fachzeitschrift aus dem 19. Jahrhundert dar, deren 159. Jahrgang nunmehr vorliegt.

Neben den geodätischen Vermessungsarbeiten, wurde Schumacher 1821 auch noch die topographische Bearbeitung des Herzogtums Holstein übertragen, die infolge einer zu weit getriebenen Detaillierung, eine erhebliche Mehrbelastung für Schumacher mit sich brachte. 1824 erhielt er außerdem einen entsprechenden Auftrag für das Hamburger Gebiet. Um 1841/42 wurden Schumacher diese Arbeiten endlich abgenommen und dem dänischen Generalstab übertragen. Von den im Maßstab 1:20000 aufgenommenen Blättern, sind nur noch das Blatt Segeberg und acht Hamburger Blätter erhalten.10

Ein verdienstvolles Unternehmen brachte Schumacher 1839 zum Abschluß. Es handelt sich um den auf der Grundlage trigonometrischer Messungen erstellten Plan der Stadt Altona im Maßstab 1:4000, der, wie Schumacher schreibt11 „ein getreues Bild dieser Stadt, wie sie im Jahre 1836 war, enthält.“ Dem Plan liegt ein Dreiecksnetz zugrunde, bestehend aus 15 im und um das Stadtgebiet verteilten Stationen, von denen 46 weitere Richtobjekte trigonometrisch eingeschnitten wurden.

III.

In Verbindung mit seinen oben genannten Arbeiten, konnte es Schumacher 1821 endlich durchsetzen, mit königlicher Erlaubnis seinen ständigen Wohnsitz in Altona zu nehmen, allerdings mit der Maßgabe, einmal im Jahr zur Berichterstattung persönlich in Kopenhagen zu erscheinen. Es wurde nun bald von der dänischen Regierung ein Haus für Schumacher gekauft, gelegen an der Südseite von Altonas einstmals prächtiger Wohnsitzstraße — Palmaille —, und ihm zur Verfügung gestellt. Bei diesem Haus, das 1800 von dem bekannten dänischen Baumeister und Architekten C. F. Hansen erbaut worden war, handelte es sich wohl um das eigenartigste und zugleich schönste Haus, das an der Palmaille stand. Das Haus, ein klassizistisches Kulturdenkmal im Barockstil, welches ein Opfer des Zweiten Weltkrieges wurde, stand auf dem Grundstück Nummer 27, Ecke Palmaille und Van der Smissens Allee12.

Im ersten Stock nach hinten und gen Süden hatte Schumacher sein Arbeitszimmer eingerichtet, von dessen drei Fenster man einen ungehinderten Blick über die Elbe in das dahinter liegende Land hinein hatte. Im November 1821 konnte Schumacher Gauss als einen seiner ersten Gäste im neuen Haus begrüßen. Er bewohnte eines der Eckzimmer im Erdgeschoß mit Ausblick auf die Palmaille. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß Schumacher oft und gern Gäste in seinem Haus sah und er auf eine gute Küche und einen wohlversorgten Keller Wert legte.

Unter Mitwirkung des Hamburger Baumeisters Kessels, der auch maßgeblich am Entwurf und Bau der ersten Hamburger Sternwarte beteiligt war, entwarf Schumacher nun den Plan für eine Sternwarte im Garten seines Hauses. Die Fundamente und Pfeiler für den Meridiankreis als Hauptinstrument sowie das Sternwartengebäude, wurden im Laufe des Jahres 1822 errichtet.

Es sei hier daran erinnert, daß zur gleichen Zeit als Schumacher seine Sternwarte errichten ließ, es den gemeinsamen Bestrebungen von Repsold, dem Strom- und Kanaldirektor J. Th. Reinke und J. C. v. Hess in Hamburg zu verdanken ist, den Senat von der Notwendigkeit einer Sternwarte in Hamburg zu überzeugen, die dann 1825 ihre Verwirklichung fand13.

Neben astronomischen Beobachtungen und Berechnungen, die unter anderem der Heranbildung einer ganzen Astronomengeneration mit klangvollen Namen diente, wurden ab 1835 auf der Altonaer Sternwarte auch erdmagnetische Beobachtungen in dem von Gauss konzipierten Sinn aufgenommen. Zu diesen Arbeiten Schumachers traten im Laufe der Zeit noch einige andere, welche die Regulierung und Vergleichung von Maßen und Gewichten, sowie die Bestimmung der Länge des Sekundenpendels betrafen. So weilte er 1830 zur Durchführung der Pendelbeobachtungen in Güldenstein bei Lensahn, Kreis Ostholstein. Auch nahm Schumacher neben den Astronomen Argelander, Bessel und Encke, an leitender Stelle an der im Sommer 1833 vom russischen Generalstab durchgeführten Chronometer Expedition teil. Sie diente der Bestimmung von Längenunterschieden hervorragender Punkte im gesamten Ostseeraum und im Baltikum14.

Das weitere Leben Schumachers erfuhr, soweit es seine äußeren Verhältnisse anbelangt, in den folgenden Jahren keine wesentlichen Veränderungen. 1828 war Schumacher zum Etatsrat ernannt worden, 1840 wurde er Konferenzrat. Neben seiner von allen Seiten hochgeschätzten Mitgliedschaft in mehr als 20 wissenschaftlichen Gesellschaften, war er Ritter und sodann Kommandeur vom Dannebrog-Orden.

Im Dezember 1839 traf Schumacher ein empfindlicher Schlag durch den Tod seines Gönners und Beschützers König Friedrich VI. Der Nachfolger, König Christian VIII., erwies sich ebenfalls Schumacher gegenüber als sehr günstig gesonnen. Dennoch zwangen die politischen Verhältnisse zur weiteren Sparsamkeit bei den Staatsausgaben, so daß auch der Etat für die Vermessungsarbeiten eingeschränkt werden mußte. Schumacher persönlich hatte durch diese Maßnahmen nicht zu leiden, da sein auf Diäten begründetes Einkommen in ein festes, lebenslanges Gehalt gleicher Höhe umgewandelt wurde.

Eine kritische Situation entstand für Schumacher insofern, als man zu Anfang der Regierungszeit Christians VIII . seine Rückberufung nach Kopenhagen in Erwägung zog. Es war für Schumacher und seine Sternwarte eine Lebensfrage, in Altona zu bleiben. Die Folge hiervon war, daß sich Gelehrte und Freunde Schumachers von Rang und Namen in Eingaben an den dänischen König wandten15, um sein Verbleiben in Altona zu erwirken und damit den Fortbestand der zu einem festen Begriff in der Astronomie gewordenen Altonaer Sternwarte zu sichern. Hierdurch schien nunmehr einer durchgreifenden und ungünstigen Veränderung von Schumachers Lage vorgebeugt zu sein, jedoch warfen die kommenden politischen Ereignisse bereits ihre Schatten voraus. Sie gipfelten schließlich 1848 in der Erhebung Schleswig-Holsteins gegen Dänemark, nachdem König Friedrich VII. die Inkorporation Schleswigs in Dänemark verkündet hatte. Für Schumacher, der sich vom politischen Leben und von politischen Meinungen immer ferngehalten hatte, bedeutete dieses eine außerordentlich prekäre Situation in seiner Eigenschaft als dänischer Beamter mit Sitz in Kopenhagen. Als königstreuer Untertan, der seinem Landesherrn soviel zu verdanken hatte, konnte Schumacher sich nur schwer dem neuen Regiment der „Provisorischen Regierung“ in Kiel fügen. Durch eine, auch durch die neu geschaffenen Verhältnisse in Schleswig-Holstein kaum zu entschuldigende Indolenz, verbunden mit Unverständnis in den jetzt die Regierungsmacht ausübenden Kreisen, blieben nach und nach die finanziellen Mittel zum Unterhalt von Sternwarte und Astronomischen Nachrichten aus. Schumachers Alter, verbunden mit zunehmender Kränklichkeit, ließen ihn seine ungerechte Situation doppelt schwer empfinden. Doch er fand immer wieder Ablenkung aus seiner trüben Stimmung durch seinen brieflichen Verkehr und aus der Sorge heraus um die Fortführung der Astronomischen Nachrichten. Er spricht im März 1849 von „unruhigen und unglücklichen Zeiten“ , und im Februar 1850 von seinem Journal, den A. N., „das ich in diesem Augenblick mit meinen letzten pecuniären Kräften aufrecht zu erhalten suche.“

Hier sei noch ein Wort zu Schumachers nationaler Stellung gesagt. Er war ein guter dänischer Untertan und Bürger und ein guter Deutscher, der sich internationaler Wertschätzung erfreute, der Altona durch die Gründung der Altonaer Sternwarte und der Astronomischen Nachrichten zu einem Zentrum des wissenschaftlichen Fortschritts und zum literarischen Mittelpunkt der astronomischen Fachwelt im 19. Jahrhundert gemacht hatte.

So verzehrten sich Schumachers geringe Kräfte in steter Sorge um sein Werk immer mehr. Er starb am Vormittag des 28. Dezember 1850 im Kreise seiner Familie, in seinem 71. Lebensjahre.

Den Astronomen teilte A. C. Petersen, Schumachers langjähriger und engster Mitarbeiter, in Nr. 744 der Astronomischen Nachrichten vom 5. Januar 1851 die traurige Tatsache mit. Seine letzte Ruhestätte fand Schumacher am 2. Januar 1851 auf dem kleinen, zur Heilig-Geist-Kirche gehörenden Friedhof an der Palmaillenstraße16, gegenüber seiner Sternwarte, in deren Räumen er 29 Jahre in großer Aufopferung für seine geliebte Wissenschaft lebte.

IV.

Im Zuge der Fertigstellung und Eröffnung der Hamburger City-S-Bahn zwischen den Bahnhöfen Altona und Landungsbrücken im April 1979, wurde der Haltepunkt Königstraße zu einer würdigen Erinnerungsstätte an Heinrich Christian Schumacher und die Altonaer Sternwarte gestaltet. An dem unmittelbar auf dem früheren Heilig-Geist-Kirchhof neben dem Grabstein Schumachers gelegenen Zugangsgebäude an der Behnstraße, wurde der Altonaer Meridian in Mauer und Boden eingelassen sowie eine Gedenktafel angebracht.

Dem vorliegenden Beitrag liegt eine Arbeit des Verfassers unter dem Titel „Heinrich Christian Schumacher zum Gedächtnis — zur Geschichte der Altonaer Sternwarte“ zugrunde, die in den Mitteilungen Nr. 14 der Gauss -Gesellschaft, Göttingen 1977, anläßlich des 200. Geburtstages von Carl Friedrich Gauss erschien.

Anmerkungen:

1) Briefwechsel Gauss-Schumacher, hrsg. von C. A. F.Peters, Altona 1860, Brief an Gauss vom 17.1.1840, Bd. II, S. 345
2) Schumacher hatte noch einen Bruder namens Anton Frederik (1782—1823).
3) Briefwechsel (wie Anm. 1), Bd. I, S. 4
4) Briefwechsel (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 6
5) Repsold, geb. am 19. September 1770 in Wremen, starb in Ausübung seines Amtes als Oberspritzenmeister am 14.
Januar 1830 bei einem Brand in Hamburg.
6) G. Klare, Sterne und Weltraum 1 (1962), 117, ders. Sterne und Weltraum 9 (1970), 148
7) Briefwechsel (wie Anm. 1), Bd. I, S. 126
8) Th. Gerardy, Die Triangulation des Königreichs Hannover durch C. F. Gauss (1821—1844). In: C. F. Gauss und die Landesvermessung in Niedersachen, Niedersächsisches Landesvermessungsamt Hannover 1955.
9) Briefwechsel (wie Anm. 1), Bd. I, S. 222
10) Fr. Treichel, Schumacher. In: Schleswig-Holsteinisches Biographisches Lexikon, Bd. 3, S. 249 ff. Neumünster 1974.
11) „Bericht über den Plan von Altona“ von H. C. Schumacher, Kopenhagen 1839; (Original im Hamburgischen Staatsarchiv, Schumacher-Nachlaß).
12) Auf einem Teil des ehemaligen Sternwartengrundstücks befindet sich heute das Gebäude der Bundesforschungsanstalt für Fischerei.
13) L. Brandt, Hamburgische Astronomiegeschichte im Überblick. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, Hamburg 1980 (zur Zeit im Druck).
14) J. H. Mädler, Geschichte der Himmelskunde, Bd. 2, S. 388 ff. Braunschweig 1873.
15) Anfang 1849 hatte Schumacher eine Anzahl dieser Schreiben drucken lassen, um sie in wenigen Exemplaren zu verbreiten, da er sich hiervon eine Besserung der damaligen Lage erhoffte.
16) Der Grabstein Schumachers befindet sich heute an der Ecke der in Behnstraße umbenannten Palmaillenstraße und Struenseestraße.

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Beckmann: 800 Jahre Fuhlendorf 1189 – 1989

aus dem heimtkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg 1989, S. 18 ff

Dr. Leo Hans H. Beckmann, Fuhlendorf

800 Jahre Fuhlendorf 1189 – 1989

Von den Anfängen

Siedlungen — Dörfer wie Städte — haben nicht wie Menschen Geburtstag, sondern kennen in Ausnahmefällen ihr Geburtsjahr, so daß von König Christian IV. gegründete Glückstadt, Fundationsbrief vom 22. März 1617. Auch das von seinem Bruder, Herzog Friedrich III. von Gottorf 1621 gegründete Friedrichstadt und der Ortsteil von Norder-stedt, Friedrichsgabe (nach König Friedrich VII.), gehören in diese Reihe.

Fuhlendorf_800a Wann und wie Fuhlendorf entstanden ist, wissen wir nicht. Wie kam es zur ersten Erwähnung seines Namens?

Heinrich der Löwe, mächtiger Herzog von Sachsen, war 1180 durch Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) und die deutschen Fürsten gestürzt worden (Exil in England). Das Herzogtum Sachsen geht von den Weifen an die Askanier über.
Im Jahrzehnt danach gab es im ganzen Reich Veränderungen. In Schleswig-Holstein wurde Lübeck kaiserliche Stadt. 1186 rief Graf Adolf III. von Wagrien, Holstein und Stormarn mit kaiserlicher Erlaubnis Mönche der Zisterzienserabtei Loccum ins Land. 1189 wurde die Hamburger Neustadt und der Hamburger Hafen gegründet, ebenso das Kloster Reinfeld.
Fuhlendorf_800bAls Besitzgrundlage erhielt Kloster Reinfeld das Gebiet nördlich der Trave beiderseits der Heilsau bis zur Reinsbek zur Rodung und Erschließung, „eine Gegend des Schreckens und der endlosen Einsamkeit“ (in loco horroris vastae solitudinis)1).
Eine Klosterneugründung braucht Einkünfte, um leben zu können. Da Erträge von den übereigneten Flächen auf Jahre nicht zu erwarten waren, mußten sofort eingehende Einkünfte geschaffen werden.
Die Stiftungsurkunde2) enthält eine Dotationsliste, die, in Klosternähe beginnend, von Ost nach West — wie auf einer Perlenschnur — Besitzungen und Gefälle in Oldeslo, Bemohlen, Goumecke, Wlentorpe, Leszehow, Münsterdorp und Mercgure nennt.
Sind Oldeloe, Bimöhlen, Itzehoe, Münsterdorf bald erkannt worden3), so fragt Paul Hasse4), ob Wlentorpe mit Willentorpe nordwestlich Reinfeld zu identifizieren sei. D. Detlefsen5) und Reimer Hansen6) erkennen Wlentorpe als das Vulentorpe, Fuhlendorf bei Bramstedt. So ist von Gelehrten im Lande Wlentorpe als das Fuhlendorf bei Bramstedt erkannt.
Was bedeutet nun, “praedium Wlentorpe“? Die Urkunde sagt, “Besitztum“, ohne Angabe, was es ist, eine Hufe oder zwei. Der Zehnte wie von Itzehoe oder von bestimmten Ackern bei Münsterdorf ist es nicht. Wir erfahren nur, daß von einem Dorf die Rede ist. So ist Fuhlendorf älter als seine Erwähnung in der Stiftungsurkunde des Klosters Reinfeld.

Mehr als 300 Jahre danach gibt es keine Urkunde, keine Quelle.

Mit der ersten Amtsrechnung des königlichen dänischen Amtes Segeberg — der König von Dänemark war auch Herzog in Holstein — in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts, wahrscheinlich 1525, rückt Fuhlendorf aus einer Existenz in der Verborgenheit ins amtliche Licht der Steuerregister.7) Hier ist der „jährliche Schatz“, die Verteidigungssteuer zu zahlen.

Fuhlendorf_800c Auf dieser Steuerliste lernen wir die ältesten uns bekannten Namen Fuhlendorfer Hufner kennen. Drei Hufen sind im Eigentum eines Verst8). Ob und wie diese verwandt sind, wissen wir nicht. Zwei Höfe gehören einem Oerth, später Orth, auch Ordt, Ortt geschrieben. Mit Marquart Runge kommt ein Name vor, der auch am Ende des 20. Jahrhunderts als Hofbesitzer im Dorf lebendig ist. Weitere drei Hufen gehören Tymme Hennecke, Tygges Becker und Hennecke Tithkenn.
Die zehnte Hufe schließlich ist „dat Kerckgueth“. Ob es sich hierbei um das in der Zwischenzeit an eine Kirchengemeinde verkaufte „praedium Wlentorpe“ der Klosterstiftsurkunde handelt, erfahren wir nicht. Die Reformation hat sich 1525 noch nicht durchgesetzt. Das Bramstedter Stellenverzeichnis der Pastorendynastie Galenbeck beginnt erst 1630. Sämtliche Akten und Dokumente der katholischen Zeit sind vernichtet. Vor 1543 haben wahrscheinlich Ties Lindeman oder Claus Muggesfelt das Kirchgut übernommen.9) Von da an bleiben die zehn Fuhlendorfer Hufen in Bauernhand.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Fuhlendorf hat es vor 1189 gegeben. Fuhlendorf ist nicht nach der Säcularisation zum Amte Segeberg gekommen10), wie Johannes von Schröder und Hermann Biernatzki in der „Topographie“, Bd. I, schreiben. Fuhlendorfzahlt dem Amt Segeberg spätestens mit zehn Hufen seit 1525 Steuern, also 55 Jahre vor Aufhebung des Klosters Reinfeld. Das Kirchgut der Steuerliste kann der inzwischen veräußerte Klosterbesitz sein. Seit 1543 — spätestens — ist und bleibt Fuhlendorf in der Hand freier Bauern.

Anmerkungen:
1) Schleswig-Holstein-Lauenburgische Regesten und Urkunden, Bd. I, Nr. 165
2) a. a. O. Seite 88
3) ZSHG 23, 20 ff; ZSHG 35, 242 ff, 253 ff
4) ZSHG 23, 21
5) ZSHG 35, 246
6) ZSHG a. a. O zu 5.
7) LAS 110 AR 1525
8) Verst. zu engl. first und deutsch Fürst verwandt
9) LAS 110 AR 1543
10) Topographie der Herzogthümer Holstein und Lauenburg des Fürstenthums Lübeck und des Gebiets der freien und Hanse-Städte Hamburg und Lübeck, Bd. I, S. 396, Oldenburg (in Holstein) 1855, 2. Auflage.

Abschrift aus der
Segeberger Amtsrechnung von 1525

Fuhlendorf_800d

Claues Wysschmann    iii m
Claues Stekemest     iii m
Koethener dareßulygest
Titke Hoegehues     iiii ß
Raethke Stoker         i m
Vulenndorpp
Henneke Verst        iii m
Tymme Henneke        iii m
Hinrick Oerth        iii m
Hinrick Verst        iii m
Tygges Becker        iii m
Marquart Runge       iii m
Hertych Verst        iii m
Henneke Tithkenn     iii m
Hertych Oerth        iii m
Dat Kerckgueth       iii m
Hyddesßhußenn
Tithke Dieck         iii m
Hinrick Schacht      iii m
Marquart Lindema(nn) iii m
Peter Bornemann      iii m
Sum(m) lateris xlix m iiii ß
Veröffentlicht unter K - aus den umliegenden Dörfern | Kommentare deaktiviert für Beckmann: 800 Jahre Fuhlendorf 1189 – 1989

Diverse: Ein Roland – was ist das ?

Ein Roland – was ist das ?

In Bad Bramstedt steht der nördlichste Roland in Deutschland. An vielen weiteren Orten gibt oder gab es solche Figuren, die immer wieder Rätsel zu ihrer Geschichte und Bedeutung aufgaben. Zahlreiche Publikationen gibt es dazu (so z.B. ein in Bad Bramstedt erschienenes Buch: Erich Fischer / Manfred Jacobsen / Ulrich March : Roland Herrscher des Rechts, das allerdings für Bad Bramstedt ein falsches Datum nennt.)

rol_badbramstedt1748 Ich möchte den Publikationen nicht eigene Ausführungen anfügen, sondern hier auf einige im Internet publizierte Artikel und Seiten zurückgreifen, die den Stand der Forschungen wiedergeben.

aus dem Internet hier zwei wissenschaftliche Abhandlungen:

1. Dieter Pötschke; Ursprung und rechtliche Bedeutung
insbesondere der märkischen Rolandstandbilder

(dort wird allerdings das Jahr des ersten Nachweises mit 1597 angegeben, während wir in Bramstedt 1533/34 nennen können.)

2. Frau Dr. Dietlinde Munzel-Everling, Taunusstein,
Kaiserrecht und Rolandfiguren – ein weiterer Beitrag zur Rolandforschung

eine ansprechende Zusammenstellung dieser Quellen findet sich bei

3. Franziska aus Berlin (ein Impressum gibts leider auf der Seite nicht)
Neben den beiden o.a. Artikeln findet sich dort eine schöne Zusammenstellung vieler bestehenden und ehemaliger Rolande samt Bildern und Daten.

Veröffentlicht unter B0 - Roland | Kommentare deaktiviert für Diverse: Ein Roland – was ist das ?

Zimmermann / Schadendorf: 300 Jahre Heilquellen in Bramstedt

Die Bramstedter Heilquellen

Über die Art der Entdeckung und die ersten Heilwirkungen der Quelle gibt Ferd. O. V. Lawätz, ein geistig reger Mann und seit 1774 Besitzer des Gutes Bramstedt, folgende, nicht bestrittene Nachrichten.

„Anno 1681 im Monat Juni ist der hiesige köstliche Gesundbrunnen entsprungen, wodurch viele herrliche Curen durch göttliche Hülfe und Segen verrichtet, und ist folgender Gestalt entdecket. Ein Knabe mit Namen Gerd Giesler hütet seines Vaters Schweine und hatte schon das Fieber bei 1 1/2 Jahren gehabt. Wie ihm nun einstens das Fieber ankommt, bittet er die anderen Knaben, sie möchten doch nach seinen Schweinen sehen, und setzet sich indessen im Grunde unter einer Eiche nieder. Und weilen mit dem Fieber ein starker Durst ihn plaget, rufet er zu Gott in seiner Einfalt, daß Er ihn doch einmal von dem Fieber aus Gnaden befreien wolle. – Er wird hierauf sogleich gewahr, daß da Wasser bei der Wurzel des Eichbaumes hervorkommt, hält seinen Hut dahin, lasset einen guten Trunk darauslaufen und trinkt davon, um seinen Durst zu löschen. Zu seiner großen Freude und Verwunderung hört der Durst wie auch das Schaudern den Augenblick auf, und er fängt an zu singen; da denn die Knaben zu ihm sagen, wenn er singen könnte, so könnte er auch seine Schweine selber in Acht nehmen, welches er mit Ja beantwortet. Gehet darauf hervor und saget niemand, was ihm widerfahren, bis nach etlichen Tagen, da er höret, daß eine Frau, deren Mann Johann Hambeck geheißen, auch das Fieber hatte. Da er dann sagte: Sie dürften nur von dem Wasser holen, welches neulich bei dem Eichbaum hinter den Mohrstätten entsprungen, alsdann würde ihr wohl geholfen, eben wie ihm. Welches sie auch getan, und es hat gleiche Cur an ihr verrichtet. Wie nun dieses bald darauf weit und breit kund geworden, sind viele Kranken und Preßhafte von andern Orten, auch aus Hamburg, häufig herzugekommen, da denn in allem über 800 Personen bei diesem Brunnen gesund geworden. Die als Krüppel und Lahme dahin gekommen, haben nachher ihre Krücken und Stäbe an den Eichenbaum gehangen und sind mit Freuden und Lob Gottes nach ihrer Heimat gegangen. Ermeldeter Eichbaum hat noch gestanden bis 1704.“

Aus Anlaß des 300jährigen Jubiläums der Heilquelle und des 50jährigen Jubiläums des 1931 erbauten “Neuen” Kurhauses erschien eine Festschrift, der Inhalt im Folgenden abgedruckt ist.


300J_titel


(1)

Die Rheumaklinik Bad Bramstedt 1981 mit ihren Schwerpunkten Zentralbau (links) und das ehemalige Haupthaus (rechts)

Die Rheumaklinik Bad Bramstedt 1981 mit ihren Schwerpunkten Zentralbau (links) und das ehemalige Haupthaus (rechts)

(2)

300 Jahre
Bad Bramstedter Heilquellen
1681 — 1981

50 Jahre
Rheumaklinik Bad Bramstedt
1931 — 1981

(3)

Impressum
Herausgegeben von der Stadt Bad Bramstedt und der Rheumaklinik Bad Bramstedt
Redaktion: Horst ZIMMERMANN
Graphische Gestaltung: Bernd STRIEPKE
Bildgestaltung: Jan-Uwe SCHADENDORF
© Verlag: C. H. WÄSER, Bad Segeberg

(4)
Inhalt

Seite
Vorwort 7
Prof. Dr. med. Gerhard Rudolph:
300 Jahre Gesundbrunnen des Nordens – Von der Trink- und Badekur
zur umfassenden Physikalischen Therapie
8
Dr. med. Gerhard Josenhans:
Die Entwicklung der Rheumaheilstätte zur Rheumaklinik 1931 – 1981
26
Verwaltungsdirektor Reinhold Rath:
Sichere Arbeitsplätze in der Rheumaklinik
40
Ministerialrat und Bürgervorsteher Friedmund Wieland:
Was Bad Bramstedt so liebenswert macht
44
Bürgermeister Heinz Wedde:
Im Ziel verbunden: Den Kranken zu dienen
51
Redakteur Horst Zimmermann:
Persönlichkeiten, die Bad Bramstedt prägten
65
Anhang 73
Literatur 74
Tabellen 75
Personenregister 80
Bildnachweis 83

(5)



Vorwort

Vor 300 Jahren wurde 1681 die erste Bramstedter Heilquelle entdeckt. Seit 50 Jahren besteht die Rheumaheilstätte/Rheumaklinik. Aus diesem An­laß geben die Stadt Bad Bramstedt und die Rheuma­klinik eine Festschrift ,,300 Jahre Bad Bramstedter Heilquellen 1681/1981 und 50 Jahre Rheumaklinik Bad Bramstedt“ heraus.
Diese Festschrift soll keine Bramstedter Chronik sein. Ihre Hauptaufgabe ist es, die ersten Phasen der Nutzung der Heilquellen seit 1681 in Zusammenhang mit der Entwicklung der Bäderheilkunde darzustel­len. Geschildert wird in einem weiteren Schwer­punkt das Wirken der Rheumaklinik Bad Bramstedt in 50 Jahren 1931 bis 1981.
Die medizinisch-wissenschaftlichen Beiträge wer­den durch Hintergrundschilderungen mit umfang­reichem Meinungsspektrum ergänzt. Alle Verfasser betrieben eingehende Quellenforschungen,
Die vorliegende Schrift ist ebenso für die Einwoh­ner der Kur- und Rolandstadt wie auch für die vielen Gäste der Rheumaklinik und alle die bestimmt, die Verbindungen mit der Rheumaklinik und Bad Bramstedt haben. Die Festschrift soll eine Orientie­rungshilfe darstellen, um eine sachgerechte Informa­tion über ,,300 Jahre Bad Bramstedter Heilquellen und 50 Jahre Rheumaklinik 1931/1981″ zu ermögli­chen.

Stadt Bad Bramstedt
Rheumaklinik Bad Bramstedt

(7)



Professor Dr. med. Gerhard RUDOLPH
Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin und Pharmazie
der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

300 Jahre Gesundbrunnen im Norden

Von der Trink- und Badekur zur umfassenden Physikalischen Therapie

1. Ursprung und antike Überlieferung
Eine über drei tausendjährige westeuropäische Tradition der Heilquellenverehrung und des Bade­wesens läßt vermuten, daß die Heilfaktoren Wasser, Mineral- und Temperaturwirkungen immer wieder mit Erfolg therapeutisch eingesetzt wurden. Wäh­rend vieler Jahrzehnte des augusteischen Zeitalters, so versichert der ältere PLINIUS (23-79) „haben die Römer keine anderen Ärzte gekannt als ihre Bäder“. Von AUGUSTUS wird berichtet, daß er erfolgreiche Rheumakuren in Baiae und in Dax (heute ein bedeu­tendes südwestfranzösisches Heilbad) durchgeführt hat. Seit dem Altertum kennen wir Kurorte im mo­dernen Wortsinn. Unter dem Wechsel kultureller, wirtschaftlicher und gesellschaftspolitischer Einflüsse haben sie ein gleichfalls wechselvolles Schick­sal erlebt. Zeiten der Blüte, des Niedergangs, des völligen Verschwindens, aber auch der Wiederer­weckung lösten sich ab. Damit ist die Geschichte des Bäderwesens zugleich ein Spiegel europäischer Kul­turgeschichte.
Der Ursprung des Bäderwesens, wobei Badewesen und Bäderwesen in der Frühzeit begrifflich zusam­menfließen, ist älter als alle schriftlichen Zeugnisse darüber. So wurde beispielsweise 1907 in bester Er­haltung die vorrömische, bronzezeitliche Quellfas­sung des Sauerbrunnens (Mauritiusquelle) von St. Moritz im Engadin entdeckt. Sie wurde im zweiten vorchristlichen Jahrtausend angelegt. Kelten und Germanen kannten und nutzten Heilquellen schon lange Zeit vor der Berührung mit der römischen Zi­vilisation.

Die frühe Hochkultur der Griechen, die das gesam­te Abendland in Denken und Handeln geprägt hat, läßt sowohl die kultischen wie die medizinischen Ur­sprünge des Bäderwesens deutlich erkennen. Für den ursprünglichen Menschen, der sich von der Macht der umgebenden Natur noch bestimmt und ge­tragen fühlt, der sich als Teil, als Abbild dieser Na­tur empfindet, ist das aus dem Erdreich fließende Wasser Gegenstand der Verehrung. Die Quelle bringt – von der mittelmeerischen Landbevölkerung nachhaltig empfunden- Fruchtbarkeit und Gedeihen. Sie spendet Leben. Als heilige Quelle wirkt sie Wunder; sie wird zum Born der Gesund­heit, der Lebensverlängerung.

Hygienische Bedeutung des Wassers. Beispiel griechischer Vasenmalerei 6. - 4. Jh. Pelike aus Athen, Nationalmuseum

Hygienische Bedeutung des Wassers. Beispiel griechischer Vasenmalerei 6. – 4. Jh. Pelike aus Athen, Nationalmuseum

Orte, an denen Quellen entspringen, tragen den Charakter des Besonderen, der Unverletzlichkeit. Sie laden ein zu Besinnung und Einkehr. Zur heili­gen Quelle gehört ihr unmittelbarer landschaftlicher Bezug, ein Felsen, eine Grotte, eine Gruppe von Bäu­men, der heilige ,,Hain“. Denker und Dichter wie PLATO (um 428-348) und SENECA (um 465) bis hin zu KLOPSTOCK (1724-1803) im Norden, haben die „Ahnung des Göttlichen“ von Quelle und Hain in poetischer Sprache verdeutlicht. Die Quellen der Griechen befanden sich in göttlicher Hut. Die Quell­nymphen sind die ältesten volkstümlichen Gotthei­ten; sie besaßen heilende Kraft. Sie wurden als „Arztkundige“, als „Löserinnen der Mühsal“ angesprochen und dem Heilgott Asklepios (Äskulap) im Kult verbunden.

Neben dieser lebenspendenden, Verehrung hei­schenden Bedeutung hat das Wasser aber noch die Funktion der Reinigung, der körperlichen wie der moralischen, der Befreiung von Schuld, auch der schuldhaften Ursache von Krankheit. Das Untertau­chen im Wasser ist eine Art Wiedergeburt, ein Akt der Erneuerung. Von den Griechen wurde aus diesen frühen, metaphysischen Ursprüngen des Badens der säkularisierte moderne Gebrauch abgeleitet: die An­wendung des Wassers in der täglichen Hygiene und die Nutzung der Quellen, der Mineral- und Thermal­quellen zu Kur- und Heilzwecken. Von der hygieni­schen Bedeutung des Bades geben zahlreiche Vasen­bilder als Ausschnitte täglicher Gewohnheit leben­dige Kunde (Abb.) und es erscheint fast trivial, in diesem Zusammenhang an den Spruch des Lyrikers PINDAR (518 – 438) zu erinnern: „Ariston men hydor – das Beste aber ist das Wasser.“

Der hippokratische Verfasser der Schrift „Über die alte Heilkunst“ (4. vorchristliches Jahrhundert) hat ganz hellsichtig die Ursprünge der ärztlichen Wissenschaft aus der sinnvollen Regelung der Lebensweise abgeleitet (Heinrich Buess), wofür die Griechen den Namen diaita, Diätetik gewählt ha­ben. Die Diätetik umfaßt sechs Verhaltenskategorien, deren Ausgewogenheit der Arzt für jeden einzelnen gleichsam errechnet, um ihn so der bestmög­lichen Lebensordnung – entsprechend dem Ideal leibseelischer Harmonie, wie die Griechen es forder­ten – zuzuführen. Die sechs Kategorien sind: 1. Um­gebung (Wasser, Licht und Luft), 2. Speise und Trank, 3. Bewegung und Ruhe, 4. Schlafen und Wa­chen, 5. Ausscheidungen und Absonderungen, 6. Gemütsbewegungen (Psychosomatik). Sie haben über ein Jahrtausend mittelalterlicher Heilkunde als „Regimen sanitatis“ (Gesundheitsordnung) ihre un­bestrittene Rolle gespielt und sind auch heute noch in den Kurplan einzubeziehen. Ein solches „Regi­men“ verlangt von dem Patienten innere Umstel­lung und aktive Mitarbeit.

Badender Jüngling - Schale im Nationalmuseum Athen.

Badender Jüngling – Schale im Nationalmuseum Athen.

Die Griechen machten die ursprünglich regellose Bäderanwendung zur Kunst. Einreibungen, Massage, Gymnastik wurden planmäßig in das Behand­lungsprogramm einbezogen. Bäder wurden in medi­zinischen Behandlungsstätten (Asklepiostempeln) eingerichtet und versahen ihren Dienst neben natür­lichen, sogenannten herakleiischen (Wild-)Bädem und heilkräftigen Quellen.

Dieser reiche Erfahrungsschatz wurde von griechi­schen Ärzten auf die italische Halbinsel, und ab der Mitte des 3. vorchristlichen Jahrhunderts nach Rom übertragen. Dort fanden sie bereits eine etruskisch-römische Bädertradition vor. Anders als bei den noch stärker kultbezogenen Grie­chen hat sich dank des praktischen Verstandes der Römer die therapeutische Heilquellennutzung und die Bädertech­nik zu erstaunlicher Höhe entwickelt, so in den künstlich erwärmten „Hypokaustbädern“, d. h. Bädern mit Unterflurbe­heizung, wie sie SERGIUS ORATA um 100 v. Chr. eingeführt und der bedeuten­de Badearzt ASKLEPIADES von Prusa (1. Jh. v. Chr.) der Balneotherapie zu­gänglich gemacht hat. Der Besuch eines Heilbades wurde von römischen Ärzten bei chronischen, vor allem rheumatischen Erkrankungen und Lähmungen verord­net. Mineralquellen wurden nach PLINIUS zum Baden und Trinken, der Mine­ralschlamm unter Ausnutzung thermi­scher Effekte zu Packungen verwandt.

Die Anlage öffentlicher Bäder (Ther­men), die gleichzeitig medizinischen Zwecken dienten, führte zu Leistungen der römischen Architektur (VITRUVIUS, 1. Jh.) von bewundernswerter Größe und Einheitlichkeit des Konzepts, aber auch zur Entwicklung eines kostspieligen Ba­deluxus. Neben raffinierten technischen Anlagen schmückten Marmor und Edel­metalle in verschwenderischer Pracht die großräumigen Hallen. Die Ruinen der Thermen der Kaiserzeit von Rom bis Trier und bis Paris geben noch heute ei­nen Eindruck vom Ausmaß dieser Anla­gen, aber auch von ihrer Ausbreitung in den weiten Grenzen des damaligen römischen Rei­ches. Im keltischen und im germanischen Bereich vorgefundene Badeanlagen wie Aachen, Baden/ Schweiz, Baden-Baden, Badenweiler, Bertrich und viele andere mehr sind von den Römern nach ihrer Vorstellung ausgebaut und für die Truppen, aber auch zivil genutzt worden.

Nach der reichen Entfaltung des römischen Bäder­wesens (die Stadt Rom allein zählte an die 900 Ther­men zur Zeit CONSTANTINs) kam es mit dem politischen Niedergang auch zum Niedergang der medizinischen und der Bäderkultur. Die Wirren der Barba­renzüge hatten den Aufbauwillen gebrochen, sie lie­ßen die Bäderanlagen zerstört zurück. Das kostbare Material fand im Kirchenbau eine andere Verwen­dung. Nur gelegentlich blieb ein Teil der Bäder in vereinfachter Form funktionell bestehen. Auch dort, wo keine Zerstörung stattgefunden hatte, ver­fielen die Anlagen. Die von den Kolonisatoren ge­hegten Sauerbrunnen und warmen Quellen wurden bis auf wenige vergessen (J. Steudel). Eine Ausnah­me ist die Wiederherstellung der Thermen von Abano während der Regierungszeit von THEODERICH durch CASSIODOR (455-526) und von Aachen durch Kaiser KARL d. Gr. (742-814).

2. Das Bäderwesen in Mittelalter und Neuzeit

Den Perioden des Niedergangs folgen solche der Wiedererweckung oft unter veränderten Aspekten. Das trifft sowohl das Bäderwesen insgesamt, wie einzelne Bader oder Quellen, die dank einer Modeströmung „wie Leibröcke und Damenhüte“ (L. Spen­gler 1854) eine Zeitlang in Gunst sind und wieder vergessen werden, was bei einer hinreichenden wis­senschaftlichen Begründung ihres Nutzens wohl nicht der Fall gewesen wäre. Doch die konnte erst nach langdauernden und mühsamen Erkenntnis­schritten eine moderne naturwissenschaftliche Medizin erbringen.

Das oft so genannte finstere Mittelalter war, auch wenn das römisch-antike Badewesen nahezu aus dem Bewußtsein geschwunden war, keineswegs eine Epoche balneologischer Nichtexistenz. Im Norden blieb der aus heidnisch-germanischem Brauchtum überkommene Quellenkult, der „hillige Born“ le­bendig (Buschan), ebenso das Mai- und Johannisbad, wohl der volkspsychologische Ausgangspunkt noch später beliebter Frühlingskuren. Das griechische medizinische Wissen wurde von arabischen Ärzten bewahrt, übersetzt und erläutert. So gab beispiels­weise RHAZES (865-925) nach griechischem Muster für Schwefel-, Alaun-, Kupfer- und Eisenwässer ge­nau festgelegte Heilungsanzeigen an. In lateinischer Gestalt (etwa ab dem 11. Jh.) trat dies Wissen in das ärztliche Bewußtsein des Abendlandes. Die antike Badetradition wurde unter Beibehaltung des Grund­schemas römischer Thermen (Benedum) im islami­schen Einflußbereich weiter gepflegt.

Der Hohenstaufenkaiser FRIEDRICH II (1194 bis 1250), der die warmen Quellen von Puteoli aufge­sucht hatte, welche auch im Mittelalter ihren Ruf zur Heilung von Gelenkleiden bewahrt hatten, interes­sierte sich für den Ursprung der Mineralquellen und stellte dem am sizilianischen Hofe lebenden Gelehr­ten MICHAEL SCOTUS (gest. um 1235) die Frage: ,,Wir möchten wissen, wie die salzigen und die bitte­ren Wässer entstehen, die an manchen Orten hervorbrechen, und die übelriechenden Wässer, wie man sie an vielen Plätzen mit Bädern und Piszinen fin­det, ob sie aus sich selbst entstehen oder anderswo­her (Steudel), ARNALDO DE VILLANOVA (um 1235-1313), Professor in Montpellier und unter an­derem Verfasser eines Kommentars zu den berühm­ten „Gesundheitsregeln“ von Salerno interessierte sich für die Mineralquellen und versuchte, sie nach ihren Eigenschaften einzuteilen. Wenn trotz dieses partiellen Interesses die physikalischen und chemi­schen Faktoren einer „Naturmedizin“, wie sie Quel­len und Bäder boten, im Hochmittelalter weitge­hend vernachlässigt wurden, so lag dies an dem Übergewicht der von den Arabern hochentwickelten Arzneimittelkunde, die auch die Einführung eines neuen Berufs, den des Apothekers, notwendig ge­macht hatte. Immerhin erschienen an der Schwelle des 15. Jhs. die „Regeln für den Quellengebrauch“ („Canones“) des oberitalienischen Arztes PIETRO DATOSSIGNANO, die viele spätere Bäderschriften beeinflußt haben. Im gleichen Zeitraum kamen in Italien, aber auch nördlich der Alpen {Aachen, Plombieres) Quellen und Wildbäder zunehmend in Ge­brauch.

Mineralbad im 15. Jahrhundert — Nach dem Konstanzer mittelalterlichen Hausbuch

Mineralbad im 15. Jahrhundert — Nach dem Konstanzer mittelalterlichen Hausbuch

Die jährliche Badefahrt, auch ohne bestimmte me­dizinische Indikation, gehörte im 15. Jh. bald zum Selbstverständnis eines wohlhabend gewordenen Bürgertums. Die hier wiedergegebene Abbildung läßt einen Blick in das gesellige Treiben eines dama­ligen Mineralbades tun, wie es in anschaulicher Wei­se von Gian-Francesco POGGIO (1380-1459) geschil­dert wurde, der 1417 als Begleiter (und Sekretär) des Papstes JOHANNES XXIII. auf das Konzil in Kon­stanz die Quellen zu Baden im Aargau {kalkreiche Schwefelthermen) aufgesucht hatte, aber mehr Vergnügung als Heilung Suchende antrat. In oft engen Piszinen badeten Männer und Frauen fast nackt zusammen, die Badezeiten wurden bei Musik und Spiel überlange ausgedehnt, oft auch im Wasser Wein und Mahlzeiten eingenommen, wie zeitgenössi­che Darstellungen hinlänglich belegen.

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Oben: Badstube im16. Jahrhundert Links: Bad- und Tafelfreuden im Spätmittelalter. Rechts: Spätmittelalterliche Badstube.

In quellenärmeren Gegenden und Städten hatte die Badstube medizinisch und gesellschaftlich die Funktion der Badefahrt erfüllt (Abb.), bevor diese sich in breiteren Kreisen durchzusetzen begann. In Deutschland knüpfte die Badestube an die frühmit­telalterliche Tradition der Wannen-Kräuter- und Schwitzbäder an. Sie hielt sich bis weit in das 16. Jh. (Abb.). Ein konzessionierter Bader massierte, salbte, setzte Schröpfköpfe oder ließ zur Ader, um so nach dem Verständnis der alten, Säftelehre“ überschüs­sige und schädliche Stoffe aus dem Körper zu ent­fernen (Abb.)

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Kombinierte Bad- und Mineraltrinkkur nach ärztlicher Vorschrift – Holzschnitt von Urs Graf, Zürich 1509.

Im 16. Jh. erreichte das Bäderwesen mit vielen an­gesehenen Kurorten eine neue Blüte. Mineraltrink- und Badekuren wurden gewöhnlich miteinander verbunden. Eine Kur sollte in der Regel 3 Wochen in Anspruch nehmen, wovon mindestens 100 Stunden im Mineralwasser zu verbringen seien (Steudel). Da­mals waren die Quellen wegen ihrer schlechteren Quellfassung noch unwirksamer (Amelung). Die spä­ter kritisierten langen Badezeiten erscheinen heute in manchen Fallen sogar sinnvoll (Untersuchungen aus dem Institut für angewandte Physiologie der Freien Universität Berlin), nämlich dort, wo durch den anhaltenden Druck des Wassers auf dem Reflex­wege eine Ausschwemmung des Körpers erfolgen soll. Doch wegen des falschen Gebrauchs hinsicht­lich Zeit, Menge und Indikation wurde der Hinweis auf die strikte Befolgung ärztlicher Anweisungen immer notwendiger. (Lorenz FRIES, Straßburg 1519). So ist auch das Blatt (Abb.) des Baseler Grafi­kers Urs GRAF (um 1485-1527) zu verstehen.

Es gab noch keine eigentlichen Badeärzte zu dieser Zeit. Wer es sich leisten konnte, „hohe Herren und reiche Kaufleute“, reisten in Begleitung ihrer Haus­ärzte. Bald stand auch eine reiche medizinische Lite­ratur zur Verfügung, an der Spitze das eindrucksvol­le Sammmelwerk (Venedig 1553) des Zürcher Arztes und Humanisten Conrad GESSNER (1516-1565). Auch der heute vielleicht bekannteste Arzt des 16. Jh. PARACELSUS (1493-1541) hat sich, seinem Grundsatz „experientia ac ratio“ (Erfahrung und ob­jektive Prüfung des Beobachteten) folgend, um balneologische Erkenntnisse bemüht (1535). Nach der These „alle Artzney ist in der Erden“ führt er, ohne allerdings darin über das Wissen seiner Zeit hinauszugelangen, die verschiedenen wirksamem Prinzi­pien auf. Erwähnenswert erscheint indessen seine ärztliche Feststellung, „daß zum guten Gelingen ei­ner Kur eine bekömmliche Diät und entsprechende Lebensweise gehören“; auch sollte je nach Art und Alter der Krankheit eine zusätzliche „medikamen­töse und physikalische Behandlung die natürlichen Heilmittel ergänzen“. Das „Weltbad“ Pyrmont wur­de 1556 von über 10000 Heilungssuchenden aufge­sucht, die z. T. im Freien unter Zelten ihre Behand­lung fanden. Das beweist, daß die Bäder wie in römi­scher Zeit nahezu von der ganzen Breite sozialer Schichten in Anspruch genommen wurden.

Im 16. Jh. finden sich auch wirksame Ansätze ei­ner chemischen Analyse der Heilquellen (DRYAN­DER, FALLOPPIO, VAN HELMONT). Einen ent­scheidenden Fortschritt leistete aber erst in den achtziger Jahren des 17. Jh. der englische Chemiker Robert BOYLE (1627-1691) und sein jüngerer schwedischer Zeitgenosse Urban HJÄRNE (1641 bis 1724). Bis dahin hatte sich aber das Bäderwesen völ­lig gewandelt. Mit der Verbreitung von Seuchen (Sy­philis, Pest), politischen Wirren, Zerstörungen in Kriegszügen, allgemeiner Verarmung, auch dem Mangel an Heizmaterial kam es zu einem Erliegen des Badebetriebes in Badstuben und Kurorten. Den entscheidenden Einschnitt setzte der 30jährige Krieg. Als man sich nach dem Westfälischen Frieden erneut auf die Mineralbrunnen besann, wurden Ba­debecken und Wannen verlassen. An ihre Stelle trat, nahezu ausschließlich, die Trinkkur. „Die Bäder wurden zu Stätten einer vornehmen Geselligkeit, die sich neue Formen schuf und einen größeren ar­chitektonischen Rahmen verlangte, an die Stelle der Gemeinschaftspiszinen traten freie Plätze, gedeckte Bogengänge, schattige Alleen, die einer eleganten Welt erlaubten, sich zu sehen und gesehen zu wer­den“ (Steudel). 1681, im Jahr der ersten Quellent­deckung in Bramstedt, waren „nicht weniger als 40 fürstliche Personen mit großem Gefolge gleichzeitig in Pyrmont anwesend“ (Amelung), um hier den als Wunderheilmittel geltenden Sauerbrunnen zu trin­ken. Die neue Trinkkur stützte sich auf die theoreti­sche Vorstellung (DE LE BOE SYLVIUS, 1614 bis 1672), daß alle Lebensvorgänge als eine Kette chemi­scher Reaktionen aufzufassen seien, in die die In­haltstoffe der Mineralquellen bei Störungen ersatz­leistend, vorbeugend, regulierend eingreifen können.

Die im Barock geschaffene neue Form, bei der die Brunnenpromenade durch den Schweizer Arzt und Freund VOLTAIRE’s Theodore TRONCHIN (1709 bis 1781) einen bewegungstherapeutischen Sinn er­hielt (das „Tronchinieren“, Umherwandeln), setzte sich über das 18. in das 19. Jahrhundert fort. Der hannover­sche Leibarzt Johann Georg ZIMMERMANN (1728 bis 1795), aber auch GOETHE schildern unter vielen anderen ihre Erlebnisse als Badegäste in dieser Zeit, in der Pyrmont, Karlsbad, Marienbad zu beliebten Modebädern geworden waren, nachdem schon im 17. Jh. Madame DE MONTESPAN, die Favoritin LUDWIGs XIV. Bourbonl’Archambault zu weitreichen­dem Ruf verhalf. Daher wundert es nicht, daß im 18. Jh. in Frankreich die Verpflichtung zur jährlichen Badekur sogar in den Ehevertrag aufgenommen wurde.

Es ist das besondere Verdienst von Franciscus BLONDEL (1613-1703), der als Badearzt von Spaa nach Aachen übergesiedelt war, daß er neben dem Ausbau der Trinkkur seine Aufmerksamkeit den technischen Verbesserungen des darniederliegenden Badebetriebes widmete und das Thermalbad wirksam mit neuer Indikation, vor allem gezielt zur Behandlung rheumatischer Erkrankungen einsetzte (V. Ott). Nicht zuletzt durch BLONDELs Initiative ge­wann der äußere Brunnengebrauch allmählich wie­der seinen Platz. Wie GOETHE das Bad beurteilte, verrät eine Briefstelle aus Karlsbad an ZELTER vom 22. Juli 1816: „Ich sehne mich unsäglich ins Was­ser und zwar diesmal in Schwefelwasser, denn we­der Gelenke noch Haut wollen mehr dem Willen ge­horchen und spielen ihr eigenes unbequemes Spiel“. Mit der systematischen Einrichtung der Solbäder (ab 1803) wurde die Trinkkur von ihrer bis dahin vorherrschenden Stellung wieder verdrängt.

Schließlich hat das späte 19. Jh., an dessen Beginn der Bäderimpuls von Christoph Wilhelm HUFE­LAND (1762-1836) steht, Bäderschriften: (1801, 1815), einer bis dahin herrschenden Erfahrungsheil­kunde die objektivierbaren Grundlagen einer mo­dernen naturwissenschaftlichen Medizin geliefert. Aus der riesigen Datenfülle der Grundlagenforschung, die hier nicht aufgeführt werden kann, sei nur an die für das Verständnis der Mineralwasserwirkung {Spurenstoffe) wichtige Entdeckung der elektrolytischen Dissoziation („the importance of being ionized“, wie ein moderner Physiologe im An­klang an Oscar WILDE scherzte) und die Bestim­mung des Dissoziationsgrades aus der elektrischen Leitfähigkeit durch Svante ARRHENIUS (1859 bis 1927) erinnert (siehe die Ionen-Angaben aller neu­zeitlichen Quellenanalysen). Im 20. Jh. ist vollends an die Stelle einer hauptsächlich empirischen Bal­neologie die Physikalische Medizin mit einem der wichtigsten Auswirkungsgebiete, die Rheumatologie, getreten.

Daß in dieser überaus erfolgreichen Zeit beherr­schender Naturwissenschaftlichkeit die alte Diäte­tik, die HUFELAND noch überzeugend vertrat, häu­fig zu kurz gekommen ist, soll nicht verschwiegen werden. In den letzten 200 Jahren sind auch „Wandlungen im Verhältnis vom Kurpatienten zum Kur­ort“ eingetreten, die der Internist Fritz HART­MANN (1978) in vier charakteristische Punkte zusammengefaßt hat:

1. Die Wandlung von der Kur zur Krankenbehand­lung.
2. Der Rollenwechsel vom Kurgast zum Kurpatien­ten.
3. Die Industrialisierung der Kurorte mit der zuge­hörigen Vermarktung der den Reichtum des Kur­ortes begründenden natürlichen Heilmittel.
4. Die Öffnung der Kurmöglichkeiten für alle Bevölkerungsschichten seit der Einführung der So­zialversicherung mit entscheidenden Einflüssen der Versicherungsträger auf den „Kur-Betrieb“.

„Kurwesen und Kurorte haben also an allen gesellschafts- und gesundheitspolitischen Entwick­lungen teilgenommen.“ Nach HARTMANN sollte ein Weg beschritten werden, der auch den neuen Kurpatienten wieder zum Kurgast macht. Dazu hilft die alte, immer noch lebendige „Denkfigur: Rekreation – Repräsentation – Kommunikation“. Wie weit hier eine ärztlich-erzieherische Aufgabe der Ge­sundheitsbildung vorliegt, diese Frage wird sich der Kurarzt zwangsläufig stellen. Eine Antwort darauf geben schon die klugen Überlegungen von Hans Erhard BOCK im 1. Band der „Zeitschrift für physika­lische Medizin“ (1970).

3. Das Musterbeispiel Bad Bramstedt

In der langen mehrtausendjährigen Geschichte des Bäderwesens ist die Entdeckung der Mineralquellen von Bramstedt verhältnismäßig jung. Andererseits ist die Zeitspanne von dreihundert Jahren, die sich 1981 vollendet hat, gemessen an der individuellen Erfahrung, eine durchaus ehrwürdige Zeit. Sie ge­winnt besonderes Interesse, wenn man bedenkt, daß sie bedeutsamste Epochen der deutschen Kulturge­schichte einschließt, auf eine lange Zeit deutsch-dänischer Geschichte zurückblickt, denn Schleswig-Holstein war seit dem ausgehenden Mittelalter der dänischen Krone verbunden (Gedenkjahr an CHRI­STIAN I., 1426-1481). Frühe Entscheidungen über Bramstedts Quellen im 18. und 19. Jh. unterlagen no­minell der dänischen Verwaltung mit ihren höchsten Adressaten in Kopenhagen.

Bramstedt hat darüber hinaus den Vorzug, daß die fähigsten Gelehrten des Landes seine Quellen begut­achteten. Gelehrte von solch medizingeschichtlichem Rang wie sie kaum ein älteres Heilbad in Deutschland aufzuweisen hat und die dadurch noch an Gewicht gewinnen, als ihre Arbeit bereits die exakt-naturwissenschaftliche Denkweise des späte­ren 19. Jh. vorausahnen läßt. Paradigma aber, ein Musterbeispiel ist Bad Bramstedt in der Folgerich­tigkeit seiner Entwicklung, die zu seiner Weltgel­tung als Rheumaheilbad geführt hat. Unabhängig von der Beachtung seiner Quellen in der Publikums­gunst ist es aufgrund seiner naturgegebenen Mög­lichkeiten einen zielgerichteten Weg gegangen, der von manchen anderen Heilbädern auf den ihnen qua­litativ entsprechenden Sektoren erst noch vollzogen werden müßte.
Der Chronist von Bramstedt, Hans Hinrich HARBECK (1863-1950) gliedert in seiner Chronik (posthum 1959) die Geschichte des Kurortes Bramstedt – die amtliche Bezeichnung „Bad Bramstedt“ gibt es seit 1910 – in vier Abschnitte: drei Perioden spora­dischen Aufblühens, „stoßweise und eigenwillig“ (1681, 1761, 1810) und die der „stetigen Entwicklung“ ab 1879.

1681 wird der „Gesundbrunnen“ in der Feldmark östlich des Ortes von einem Schweinehüter, der sei­nen Fieberdurst zu stillen suchte, zufällig entdeckt. Die Kunde seiner Heilung veranlaßt andere Fiebernde und chronisch Erkrankte, von dieser Quelle zu trinken, mit gleichem Erfolg. Der Zuspruch läßt sich aus den Geldern ermessen, die in dieser Zeit der Kir­che durch Sammlung für die Armen zugeflossen sind, Ein Weihgeschenk nach erfolgter Heilung sind die Altarleuchter von Larenz JESSEN (1681) in der Bramstedter Kirche. Wenige Jahre später hatte die Quelle ihre „Anziehungskraft“ verloren.

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Titel der „Abhandlung vom Gebrauch und Mißbrauch des zu Brahmstedt in Holstein auf göttliche Vorsehung entsprunge­nen Gesundbrunnen“ 1761

1761 „hat man aufs neue angefangen, eine große Hoffnung zu diesem Brunnen zu fassen“ heißt es in dem Bericht des Segeberger Amtmanns von AR­NOLD (15. Mai), der den Wunsch ausdrückt, den nutzbringenden Brunnen vor erneutem Verfall zu bewahren. Voraussetzung wäre natürlich eine ge­naue Kenntnis seiner Eigenschaften und seiner Anwendung. Die Benutzerzahl ist so groß, daß am 1. Ju­ni eine vorläufige „Brunnenordnung“ erlassen und im Wortlaut seiner Königlichen Majestät in Kopen­hagen mitgeteilt wird. In Bramstedt, dessen Ruf als Heilquellenort in die weitere Umgebung gedrungen ist, gibt es keinen Badearzt (..Brunnen-Medicus“). Daher bewirbt sich der Hamburger „Licentiat“ und „Practicus“ der Medizin Johann Christoph HECHEL von HECHELSFELDT mit einer zierlichen Denk­schrift (Abb.) an den König zu „Dennemarc Norvegen“ um eine solche Stelle „unter freyer Wohnung und bestallung“, die aber in der Folge zweifellos nicht besetzt worden ist. Die Empfehlung, Kuren in ihrer Anzeige zu prüfen und ärztlich zu überwachen (wer das Wasser nicht richtig anwendet, hat sich „da­von schlechter Hülfe zu getrösten, woll aber Ungelegenheit und Schaden zu befahren“) entspricht durch­aus den seit FRIES und PARACELSUS (s. o.) erho­benen Forderungen. Dafür mußten natürlich Zusam­mensetzung und Eigenschaften des Wassers bekannt sein.

Titelseite des 134. Stücks aus Unzers Wochenschrift "Der Arzt" 1761

Titelseite des 134. Stücks aus Unzers Wochenschrift „Der Arzt“ 1761

Die Untersuchung „der unweit Bramstedt sich hervorgethanen Quelle“ wird von dem königlichen Ministerium in Kopenhagen anempfohlen. Von dem Staatsminister Exzellenz von BERNSTORFF, der inzwischen in die Korrespondenz eingeschaltet ist, werden bereits am 6. Juni dem Oberpräsidenten von QUALEN als Gutachter die Altonaischen Ärzte STRUENSEE, CILANO und UNZER benannt. Zu­gleich weist BERNSTORFF auf Vorsichtsmaßregeln hin, um die Eigenschaften des Wassers nicht durch den langen Transportweg nach Altona (45 km) zu ge­fährden. Wieweit die Bramstedter Quelle in kürzester Zeit Gegenstand der öffentlichen und medizinischen Er­örterung geworden ist,beweisen Artikel (127. und 134. Stück) aus UNZERs „Der Arzt“ (Abb.), einer der bemerkenswertesten medizinischen Periodica je­ner Zeit, Artikel, die bereits eine vorwegnehmende Untersuchung von UNZER enthalten und die am 17. Juli durch von QUALEN an BERNSTORFF übermittelt worden sind. Mit diesen geistvollen Aufsät­zen einer geistvollen Zeitschrift, die jeweils durch ein Motto aus den „Bremer Beiträgen“ und von Friedrich von HAGEDORN (1708-1754) eingeleitet werden, jenem Hamburger Nachfolger von HORAZ und LA FONTAINE und Privatsekretär des däni­schen Gesandten in London, sind wir mitten im Vor­feld der deutschen Klassik – GOETHE ist fast zwölf, SCHILLER noch nicht zwei Jahre alt. Es ist eine Zeit, die durch LESSING und KLOPSTOCK charakterisiert ist und in der der dänische Staatsmi­nister hannoverscher Abstammung Johann Hartwig Ernst Graf von BERNSTORFF (1712-1772) als För­derer und Anreger von Wissenschaft und Kunst eine kaum zu überschätzende Rolle spielt.

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Friedrich V. König von Dänemark

Ein aufgeschlossener, reformfreudiger König, FRIEDRICH V.(Abb./1723-1766), wie FRIEDRICH der Große und LUDWIG XV. ein Vertreter des aufgeklärten Absolutis­mus, ermöglichte dies Mäzenatentum. Es schloß Persönlichkeiten wie Jean Baptiste CHARDIN, Friedrich Gottlieb KLOPSTOCK, Johann Andreas CRAMER, Christian Johann von BERGER, „den Arzt . . . Freund aller leidenden Menschen“, der später der Universität Kiel sein Vermögen und seine umfangreiche Bibliothek vermachte, und Carsten NIEBUHR, den Orientreisenden ein, aber auch „wichtige Untersu­chungen auswärtiger Gelehrter“, „denn die Sache der Wissenschaft ist ein allgemeines (Anliegen) der Menschlichkeit“. Der geniale Peter Helferich STURZ (1736-1779), von dem diese Aufzählung stammt, schildert in seinen „Erinnerungen“ BERNSTORFF als Staatsmann, „der mit tiefer Menschen­kenntnis den Lieblingsberuf verband, einemunter seiner Leitung allzuglücklichen Lande nützliche Bürger zu verschaffen . . .“ Er „lebte“ in Bernstorffs Hause mit Klopstock die seligsten Tage seines Le­bens.

KLOPSTOCK, der auf Einladung FRIEDRICHS V. in Kopenhagen seinen „Messias“ vollenden sollte, hat BERNSTORFF dankbar die prachtvolle Ausga­be seiner „Oden“ gewidmet, in denen die „Wingolf“-Lieder (1767), aber auch viele andere Stellen das Na­turerlebnis von Quelle und Hain mit einer bis dahin ungewohnten Ausdrucksstärke schildern. Dort „in den Kühlungen des hohen Ahorns, und in der Grotte Bach“, dort wo es „im Haine weht“, wird „die gei­stervolle silberne Flut geschöpft“, „schon glänzt die Trunkenheit des Quells dir … aus hellem, entzücktem Auge“. Gesundbrunnen des Körpers und „Mi­mer“, Quell der Dichtkunst und Weisheit scheinen zusammenzufließen.

Johann August Unzer.

Johann August Unzer.

Der bedeutende Arzt und wissenschaftliche Schriftsteller Johann August UNZER (Abb./1727 bis 1799), dem GOETHEin „Dichtung und Wahr­heit“ anerkennend ein Denkmal gesetzt hat, tritt in seiner Wochen­schrift „Der Arzt“ (1761) mit der wohlwollenden Skepsis des Aufklärers der naiven Volksmei­nung entgegen, die allzu blind Wunderheilungen vertraut, doch will er nicht entmutigen: „In­zwischen“ (bis genaue Daten vorliegen) „wider rathe ich keinem die Rei­se, wer nur mit großen Hoffnungen eine Wassercur versuchen oder eine Lu­streise thun oder auch nur einen ROLAND sehen will“. Im 134. Stück bestätigt er aber, daß das Bram­stedter Wasser „wirklich mineralisch sey“, und „so geringhaltig esauch immer seyn mag, so haben wir doch in unseren Gegenden für erst keinen stärkeren Gesundbrunnen und es ist für tausend Kranke ein ausnehmender Vortheil, eine solche Quelle in der Nachbarschaft zu besitzen.“

Das angeforderte „amtliche“ Gutachten vereinigt UNZER, DE CILANO und STRUENSEE, ein wissen­schaftliches Dreigestirn erster Ordnung. Georg Chri­stian Matemus DE CILANO (Abb./1696-1773) ge­bürtig aus Preßburg, Arzt in Altona, seit 1738 könig­lich dänischer Professor der Physik (Naturwissen­schaften) und der klassischen Altertumskunde – solche Verbindung war damals durchaus möglich – hat ein reiches wissenschaftliches Werk verfaßt, zu Fragen der Medizin und der Naturwissenschaft <z. B. dem Alterstod) kritisch Stellung genommen, sich über die Ursache des Nordlichts Gedanken gemacht (1743) und sich mit der Quellenkunde und Wasserver­sorgung in der Antike beschäftigt.

Georg Christian Johann Friedrich Maternus de Graf Struensee als Cilano. Minister.

li.: Georg Christian Maternus de Cilano re.: Johann Friedrich Graf Struensee als Minister.

Eigentlich federführend und bestimmend, wobei UNZERS chemische Voruntersuchungen eine wichti­ge Rolle spielten, war Johann Friedrich STRUEN­SEE (Abb./1737-1772). Gleich der erste Satz des Berichtes „Nur Versuche an der Quelle konnten zum Ziele führen“ verrät STRUENSEEs Diktion. Seine überragenden medizinisch-wissenschaftlichen Qua­litäten und sein Weitblick in der Organisation desGesundheitswesens sind von dem dänischen Medizinhistoriker Egill SNORRASON (J. Fr. Struensee, Laege og Geheimestatsminister, Kobenhavn 1968) monographisch dargestellt. STRUENSEEs kometen­hafter Aufstieg am Himmel der dänischen Politik, wo er 1770 als Staatsminister den Grafen BERNSTORFF verdrängt, seine als Arzt des kranken CHRI­STIAN VII. (1749-1808, in Rendsburg gestorben) na­hezu unbegrenzte Macht, seine schicksalhafte Verstrickung mit der unglücklichen dänischen Königin CAROLINE MATHILDE (1751-1775), sein grausa­mes Ende, all das wurde Anlaß zu zahlreichen Roma­nen und Bühnenstücken, darunter auch ein Entwurf des aus Wesselburen stammenden Friedrich HEB­BEL (1813 bis 1863). Solch ein Aufstieg und Ende hat damals ganz Europa bewegt und, wie auch LESSINGs Korrespondenz beweist, vor dem Fall des Glücks erschauern lassen. STRUENSEE war ge­scheitert, weil er, der überzeugte Anhänger der fran­zösischen Aufklärungsphilosophie („Um Gespenster zu verscheuchen, muß man Licht anzünden“, Gedan­ken eines Arztes vom Aberglaubenund der Quacksalberey 1760), seine weitgespannten Reformen in ei­ner dafür unvorbereiteten und in ihren Spitzen brüskierten Gesellschaft über das Knie brechen wollte. Das Schicksal fügte es, daß sie dann später unter seinen Nachfolgern Stück für Stück verwirklicht wur­den.

Das Ergebnis des Dreiergutachtens (1761) war eine qualitative Aufnahme der Bestandteile des Bram­stedter Brunnens, der in manchen seiner Eigenschaf­ten dem Pyrmonter und Schwalbacher Wasser vergleichbar schien. Wegen der Transportverluste bei geringem Mineralgehalt soll er „bloß an der Quelle getrunken werden“. Die Verhinderung des Zuflusses von Fremdwasser würde die Wirkung, die sich medi­zinisch noch nicht eindeutig bestimmen läßt, ver­stärken können.

Philipp Gabriel Hensler.

Philipp Gabriel Hensler.

Von anderen Quellenuntersuchungen (deren SÜERSEN noch eine ganze Anzahl vermerkt) ist die aus dem Jahre 1764 von dem damaligen Amtsphysicus zu Segeberg und späterem Kieler Professor der Medizin und Begründer des „Schleswig-Holsteini­schen Sanitäts-Collegiums“ Philipp Gabriel HENSLER (Abb./1733-1805) erwähnenswert. HENSLER ist in Oldensworth auf der Halbinsel Eiderstedt ge­boren, also ein Sohn des Landes. 1775 zum dänischen Archiater (oberster Arzt) ernannt, begründet er mit einem umfangreichen, auch heute noch faszinieren­den wissenschaftlichen Werk, in dem er sich u.a. für Diätetik und Lebensordnung (Luft, Wärme, Kälte, äußere und innere Bewegung, Geistesanstrengungen als Genesungsmittel) einsetzt, den Ruhm der Kieler Universität im ausgehenden 18. Jh. Sein (erst 1789 veröffentlichter) Bericht über Bramstedt erwähnt sechs, nach Ausschöpfung des Brunnens unterscheidbare Quellen, von denen er vier analysiert hat mit dem Nachweis von Schwefel, Eisen und Koch­salz. Nach HENSLERs Urteil ist das Wasser „nutz­bar“. ,,Es scheint mit Kräften versehen zu seyn, die vermutlich einen Teil der Indicationen ein Genüge thun können, um deren Willen wir andere mineralische und leichte Wässer schätzen.“ „Die bis­herigen Proben von Heilungen sind . . . zum Theil unleugbar wahr“. Um die Kräfte zu bestätigen und dauerhaft zu erhöhen, sind Mühe, Kosten und „ein bisgen Enthusiasmus“ nötig. Sie müßten sich „zum Vortheil des Brunnens vereinigen“.

Aus HENSLERs Bericht wird einsichtig, warum den Quellen eine Dauerwirkung versagt blieb. Es fehlten, von der Quell­fassung abgesehen, die örtlichen Einrichtungen, die eine Trink- oder Ba­dekur zu einem wiederholbaren Erfolg machen konnten und über die äl­tere, etablierte Heilbä­der bereits verfügten. Einen Ansatz dazu hätte es vielleicht in den kom­menden zehn oder fünf­zehn Jahren nach dem Dreiergutachten (1761) gegeben, aber BERNSTORFFs Entlassung und STRUENSEEs baldiger Sturz ließen für solche Hoffnung keinen Raum.

Titel des Buches von J.F. Süersen über die Mineralquellen bei Bramstedt

Titel des Buches von J.F. Süersen über die Mineralquellen bei Bramstedt

1810, rund zwanzig Jahre nach HENSLERs Veröf­fentlichung wollen die Einwohner von Bramstedt selbst die Initiative ergreifen, um die „nöthigen Ein­richtungen für die Bequemlichkeit der Kranken zu treffen“. König FRIEDRICH VI. (1768-1839), da­mals Verbündeter NAPOLEONS und, wie FRIED­RICH V. ein Förderer von Kunst, Wissenschaft, Han­del und Agrikultur, erteilt das gewünschte Privilegium, in Bramstedt ein Brunnengebäude anzulegen. Wieder ist ein BERNSTORFF, diesmal der Groß­neffe Christian Günther (1769-1835) dänischer Staatsminister; sein Vater Peter Andreas (1735 bis 1797), ebenfalls Minister in Kopenhagen, hatte das Bauernbefreiungswerk vollendet und den jungen SCHILLER unterstützt.

Das Jahr 1810 sieht gleich zwei wichtige, voneinan­der unabhängige Veröffentlichungen über die Bram­stedter Quellen in Buchform. Es sind dieersten quantitativen Analysen.

Johann Friedrich SÜERSEN (1771-1845), später Dozent für „Mineralogie und Pharmazie“ an der Universität Kiel, hat das Verdienst in seiner Dar­stellung alles über die Bramstedter Heilquellen Be­kannte mit historischer Genauigkeit zusammenge­tragen zu haben. Er fügtseinem Buch (Abb.) eine Si­tuationskarte bei (Abb.), aus der die Existenz mehrerer Mineralquellen hervorgeht. Neben dem alten, so­genannten „Schwefelbrunnen“ (Eisenoxydquelle) sind es Eisenquellen (vormals „Stahlquellen“ ge­nannt) und eisenhaltige Salinen. SÜERSEN selbst verwendet den Ausdruck Eisenquellen in seinem Text und gibt eine ausführliche Beschreibung nach eigenen, im Auftrag des Schleswig-Holsteinischen Sanitäts-Collegiums durchgeführten Untersuchun­gen. Die Analysen in den Handbüchern der Heilquel­lenlehre von OSANN (1832) und VETTER (1845) be­ziehen sich auf ihn und auf die Analysen von PFAFF.

Situationskarte der Mineralquellen von Bramstedt (1810) nach einer Aufnahme von Jargstorff-Kellinghusen gezeichnet von Pastor Holst in Kiel.

Situationskarte der Mineralquellen von Bramstedt (1810) nach einer Aufnahme von Jargstorff-Kellinghusen gezeichnet von Pastor Holst in Kiel.

Christoph Heinrich PFAFF (Abb./1773-1852), seit 1797 Professor an der Kieler Universität, einer der bahnbrechenden medizinischen Forscher des frühen 19. Jhs., hat in seinem überaus kritischen Buch (Abb.) die Bramstedter Quellen ebenfalls einer sorg­fältigen Analyse unterzogen.

Christoph Heinrich Pfaff - königlich däni- scher Etatsrath und Professor der Medi­zin.

Christoph Heinrich Pfaff – königlich däni- scher Etatsrath und Professor der Medi­zin.

Er erkennt den Wert des schwach wirkenden Mineralwassers für bestimmte Konstitutionen und sieht darin einen Vorzug vor dem Pyrmonter und Driburger Bad. Nach Dr. GRAUER in Kellinghusen ist die Quelle mit überwiegen­dem Eisengehalt bei Lähmungen und Gelenk­leiden wirksam. Heute würde man mit Heinrich VOGT bei Eisenwässern eher an eine allgemein erholungsfördernde Wir­kung denken. Interes­sant ist schließlich der Vergleich der Salinen mit demMeerwasser, die quantitative Entspre­chung der ältesten Bramstedter Quelle und der Kissinger Quelle, der Eisenquellen mit Rehburg und Bath in England. Einen ganz wesentlichen Anteil der Kurwirkung machen nach PFAFF veränderte Diät, Lebensart, veränderte Luft und Umgebung, so­wie der Temperaturreiz von Bädernaus, so daß in seiner Darstellung für den alten Glauben an den Hei­leffekt der Mineraltrinkkur (die Flüssigkeit alleinkann schon ein ausreichender Reiz sein) nur noch we­nig Raum bleibt.

Titel der Abhandlung von C. H. Pfaff über die Mineralquellen bei Bramstedt, Altona 1810.

Titel der Abhandlung von C. H. Pfaff über die Mineralquellen bei Bramstedt, Altona 1810.

Bereits 1814 werden neben Trinkkuren in Bram­stedt auch Badekuren verordnet (Harbeck). Eine Vorstellung über die Anwendung der Kurmittel lie­fert die für uns Heutige amüsante kleine Schrift von Dr. Franz HAGELSTEIN „Entwurf einesallgemei­nen Badereglements beimGebrauche der Oldesloer salz- und schwefelhaltigen Salzbäder“, Kiel 1813.

Der für Bramstedts Entwicklung als Heilbad ent­scheidende Schritt erfolgt 1879 – inzwischen istSchleswig-Holstein nach turbulenten Ereignissen und Kriegswirren preußische Provinz geworden – als Dank der Initiative eines Bramstedter Bürgers, Matthias HEESCH, ein Solbrunnen höherer Salzkonzentration erbohrt, ein Badehaus errichtet und erstmals warme Solbäder angeboten werden. Der frühzeitig sich ankündigende Rheumatismus ist bekanntlich ein ausgezeichnetes Behandlungsobjekt für Wärmetherapie, Solbäder, Kochsalzbäder und milde Schwefelthermen. Dauerhafte Erfolge bleiben nicht aus. Der Bau des Matthias-Bades (so benannt nach HEESCH), bald erweiterter Kuranlagen, eines zweiten Solbades (1911) zieht eine wachsende Zahl von Kurgästen nach Bad Bramstedt. 1913 wird bei Bimöhlen eine weitere Quelle erbohrt, die eine Zeit­lang sogar als „Versandbrunnen“ (z. B. für Eppendorf) genutzt wird.

Die in Bramstedt vorhandene glückliche Verbin­dung von Moor und Sole (Moorsole und Mineral­moor) läßt, unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg, dem Moor erhöhte Aufmerksamkeit zuteil werden. Die Moorbildung ist ein komplizierter Vorgang, für dessen Ablauf in der Natur 10000 bis 15000 Jahre er­forderlich sind bei einemjährlichen Wachstum von nur etwa einem Millimeter. Das Moorschlammbad ist ein ideales Mittel, Wärme festzuhalten. Es ermög­licht die Anwendung hoher Wärmegrade bei sehr schonender Übertragung. Im Moorbewegungsbad unterschiedlicher Zähigkeit spielen die Reibungswi­derstände, die eine erhöhte Arbeitsleistung erfor­dern, eine wichtigephysikalische und damit auch biologische Rolle. Schließlich hat das Moorbad auch chemische Eigenschaften durch seine natürlichen (oder zugesetzten) Mineralien und durch seine Ex­traktivstoffe. Die tiefgreifenden Wirkungen des Moorbades machen es zu einem idealen Behand­lungsmittel für denRheumakranken. Der Nachweis der Radioaktivität derBramstedter Moorsole er­weckt zusätzliches Interesse, da durch Radon eine schmerzlindernde, aber auch eine zellanregende, „verjüngende“ Wirkung zu erwarten ist, die sich zu den kreislaufwirksamen und hautkosmetischen Ef­fekten des Moorbades addiert.

Mit der Ausnutzung des Moores wurde in Bram­stedt der konsequente Weg zum großräumigen Rheu­maheilbad beschritten, also zur Behandlung einer Krankheitsgruppe von größter sozialhygienischer Bedeutung. 1925 ist die Zusammenarbeit mit den So­zialversicherungen gesichert, 1926 die Aufnahme in den Bäderverband erfolgt. Es ist dies das Jahr, in dem eine in ihren Ausmaßen und ihrem Inhalt einzi­gartige Ausstellung der Gesundheitspflege, sozialen Fürsorge und Leibesübungen, der „Gesolei“ in Düs­seldorf, nur acht Jahre nach einem verlorenen Krieg, das Auge der Weltöffentlichkeit auf das vordringli­che Problem körperlicher und seelischer Gesundheit lenkt.

Dank einer großzügigen Geländestiftung der Stadt wird 1929-1930 das ebenso großzügige und ästhe­tisch fesselnde Bauprojekt (Karl FEINDT) der Rheu­maheilstätte verwirklicht. Durchblättert man die 10. Auflage (1938) des damals noch schwergewichti­gen „Reichshandbuchs der deutschen Fremdenver­kehrsorte“, so springt die Luftaufnahme dieses neu­en Kurhauses Bad Bramstedt beinahe vor allen an­deren Abbildungen heraus (siehe Abb Seite 27) und läßt den Betrachter auf dieser Seite verweilen. Na­türlich hat die Entwicklung hier nicht angehalten, Sanierungs- und Ergänzungsbauten bis 1981 zeigen flächenmäßig wohl mehr als eine Verdoppelungder Gesamtanlage. Sogar die Entdeckung neuer Quel­len, die HECHEL von HECHELSFELDT 1761 in sei­ner Bewerbungsschrift richtig vermutet hatte, hat sich bis 1966, der Entdeckung der Solequelle am Raa­berg, fortgesetzt.

Bramstedt liefert so ein am Ziel der Rheumabe­handlung und etwaiger Begleiterkrankungen orien­tiertes Entwicklungsbeispiel, das von der bescheide­nen Anwendung des alten Mineralbades im 19. Jh. hinführt zu breit gefächerten therapeutischen Mög­lichkeiten moderner physikalischer Medizin mit ih­ren vielfältigen apparativen, manuellen und bewe­gungstherapeutischen Hilfen. Die jüngste medizini­sche Vergangenheit hat neue Einsichten in das We­sen der Rheumaerkrankungen und ihrer Ursachen gebracht (Victor Ott). Diese fordern eine hochentwickelte Diagnostik, um Therapiemaßnahmen erfolgreich einsetzen zu können. Sie verlangen aber auch Forschungseinrichtungen, die einen weiteren Erkenntnisfortschritt ermöglichen.

Die moderne „kurörtliche Balneotherapie“, eine Umstimmungs- und Anpassungstherapie, führt in ein umfassenderes therapeutisches, rehabilitatives und gesundheitsbildendes Programm. Die naturge­ebenen Möglichkeiten erkannt und sie im Interesse Heilungsuchender verwirklicht zu haben, ist das Verdienst vorausgegangener Generationen, die der „Gesundbrunnen des Nordens“ angeregt hat. Aber, „ein Bad und eine Quelle sind bekanntlich so gut wie die Ärzte, die sie anwenden“ (Hans Erhard Bock). Es ist nur zu wünschen, daß mit dieser erfolgreichen Entwicklung, die heutige universitäre Ausbildung junger Ärzte auch qualitativ Schritt hält. Wenn sich an Bad Bramstedts Naturheilschätzen der alte Spruch des PARACELSUS neu bewährt: „Alle Arztney ist in der Erden“, so bedarf es doch überlegter menschlicher Mitarbeit, um sie voll wirksam zu ma­chen.

Schrifttum (in Auswahl und soweit nicht im Text angeführt).
Allen, C. F.: Geschichte des Königreiches Dänemark, Kiel 1842,
Amelung, W.: Bäder- und Klimaheilkunde im Wandel der Zeiten. Z. angew. Bäder- u. Klimaheilk. 19, 209 – 218 (1972).
Harbeck. H. H.: Chronik von Bramstedt, Hamburg 1959.
Hartmann, F.: Wandlungen im Verhältnis vom Kurpatienten zum Kurort. Z. angew. Bäder- u. Klimaheilk. 25, 1 – 16 (1978).
Krane, K.-W.: Vom Gesundbrunnen zur Rheumaklinik, Bad Bramstedt 1979.
Ott, V.: Balneotherapie der Rheumaerkrankungen im Wandel der Zeiten. Therapiewoche 29, 5994 – 6008 (1979).
Rudolph, G.: 100 Jahre wissenschaftliche Balneologie. Z. angew. Bäder- u. Klimaheilk. 26, 115 – 146 (1979).
Rudolph, G.: Die kulturgeschichtlichen und medizinischen Wurzeln des Bäderwesens. – Festvortrag auf der Fortbildungsveranstaltung
der Bundesärztekammer. Davos 1980 (im Druck).
Schipperges, H.: Geschichte der Christian-Albrechts-Universität Kiel, 1665 – 1965, Bd. 4,1, Kiel 1967.
Steudel, J.: Geschichte der Bäder- u. Klimaheilkunde in Amelung-Evers Handbuch der Bäder- u. Klimaheilkunde, Stuttgart 1962.
Vogt, H.: Einführung in die Balneologie und medizinische Klimatologie. Berlin 1945.

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Dr. med. Gerhard JOSENHANS
Ärztlicher Direktor der Rheumaklinik Bad Bramstedt

Die Entwicklung der Rheumaheilstätte
zur Rheumaklinik 1931 – 1981

Fünfzig Jahre ist es her, daß am 1. Februar 1931 die Rheumaheilstätte Bad Bramstedt für die ersten Kranken geöffnet wurde, die in diesem Hause mit 325 Betten in 171 Krankenzimmern Heilung finden sollten. Der Eröffnung voraus ging ein langer Weg sorgfältiger Planungen.
Von 1931 bis 1981, in einem halben Jahrhundert al­so, sind mehr als 390 000 Kranke in der Rheumaheil­stätte, die seit 1976 offiziell Rheumaklinik heißt, er­folgreich behandelt worden.

Rheumatologie um 1930

Vom Stand der „Reumatologie um 1930″ aus nahm die Bad Bramstedter Rheumaheilstätte ihre Tätig­keit auf. An der Spitze der Betrachtungen über „Rheumatologie um 1930″ soll eine Aussage stehen, die Dr. Anton FISCHER vom Rheuma-Forschungsinstitut Aachen im März 1931 verfaßte: „Unter der Bezeichnung „Rheumatismus“ werden gemeinhin alle diejenigen Erkrankungen des Bewegungsapparates zusammengefaßt, die in das thera­peutische Gebiet der inneren Medizin gehören und die nicht als Teilsymptom einer spezifischen Allge­meinerkrankung (Lues, Tuberculose, Neoplasmen) erkannt wurden. Diese Bezeichnung enthält dabei zunächst etwas Negatives: Die unklare Ätiologie.

Da ferner sowohl akute wie chronische Prozesse, sowohl Gelenk- wie Nervenerkrankungen als „rheu­matisch“ bezeichnet worden sind, so haftet an dieser Bezeichnung etwas Wechselndes und Unbestimmtes, was bei einem Teil der so bezeichneten Prozesse bei oberflächlicher Betrachtung auch zutreffen mag, der exakten klinischen Diagnostik jedenfalls nicht för­derlich sein kann.

Das einzig Positive der als „rheumatisch“ bezeich­neten Erkrankung war ihre Eigenschaft, auf physi­kalisch-therapeutische Maßnahmen günstig zu rea­gieren.“

Da die Behandlung der rheumatischen Erkrankun­gen damals im wesentlichen aus physikalischen und balneologischen Maßnahmen bestand, ist es nicht verwunderlich, daß die International Society of Medical Hydrology am 20. April 1925 in Paris ein inter­ationales Komitee für Rheumatismus gründete und die Anregung gab, nationale Komitees zur Grün­dung von Rheuma-Gesellschaften ins Leben zu ru­fen.

Am 28. Januar 1927 wurde die Deutsche Rheuma-Gesellschaft geschaffen, nachdem schon in den bei­den vorangegangenen Jahren ähnliche Vereinigun­gen in einer ganzen Reihe von Ländern entstanden waren. Am 15. Oktober 1928 kam die Internationale Rheuma-Liga zustande, der sich die Mehrheit der eu­ropäischen Länder anschloß.

Die Internationale Rheuma-Liga stellte es sich zur Aufgabe, die Krankheiten, die mit dem Sammelna­men „Rheuma“ bezeichnet wurden, in ihrem Wesen und in ihrer Ursache zu erforschen, Klarheit über den Begriff Rheuma auf dem Wege der Analyse und Synthese zu schaffen und eine allgemeingültige No­menklatur aufzustellen. Sie verfolgte neben der wis­senschaftlichen Forschung das Ziel sachgemäßer Be­handlung zur Vorbeugung und Heilung, vor allem aber suchte sie das allgemeine öffentliche Interesse dadurch zu wecken, daß sie auf die wirtschaftliche Bedeutung der rheumatischen Erkrankung hinwies.

Rheumatische Erkrankungen hat es immer gege­ben, sie stellen durch Schmerzen und Behinderung eine erhebliche Last für den Betroffenen dar, und sie haben eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung durch ihr häufiges Auftreten. Erst mit Einführung statistischer Erhebungen um die Jahrhundertwende 1900 gelang es, einen Überblick über die Zahl der Er­krankten zu gewinnen. Aus den Feststellungen des englischen Gesundheitsministeriums im Jahre 1924 ergab sich, daß der sechste Teil aller versicherten Kranken in Großbritannien „Rheumatiker“ waren (SCHOGER 1967).

Die Behandlung erfolgte durch die niedergelasse­nen Ärzte, die entgegen der weiten Verbreitung die­ser Krankheiten im Studium nur wenig auf diese spätere Aufgabe vorbereitet wurden.

Der Geheime Sanitätsrat Dr. P. KÖHLER aus Bad Elster berichtete 1938 „als ich studierte, hörte ich wohl in den Vorlesungen der inneren Medizin von dem akuten Gelenkrheumatismus sprechen, auch von der chronischen Arthritis pauperum und von Ischias. In den chirurgischen Vorlesungen war von Arthritis deformans die Rede, am wenigsten wurde von den Krankheiten gesprochen, denen man in der Sprechstunde als .Gliederreißen‘ begegnete, von all den Krankheiten, die Ärzte und Publikum allgemein als Rheuma bezeichneten.Über keinen Begriff der Medizin herrschte soviel Unklarheit und so we­nig Interesse und Verständnis!“

Luftaufnahme der 1931 eröffneten Rheumaheilstätte Bad Bramstedt: Ein großzügiges und ästhetisch wirkendes Bauwerk.

Luftaufnahme der 1931 eröffneten Rheumaheilstätte Bad Bramstedt: Ein großzügiges und ästhetisch wirkendes Bauwerk.

Soweit den niedergelassenen Ärzten eine klinische Behandlung erforderlich schien, erfolgte sie in den regionalen Krankenhäusern, von denen die wenig­sten eine „Badeabteilung“ hatten. Lediglich in eini­gen Bädern mit Rheuma-Tradition gab es „Landes­bäder“, klinische Einrichtungen, die später Schulen der Deutschen Rheumatologie wurden, wie z. B. die Landesbäder in Baden-Baden, Wildbad und Aachen, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gegrün­det worden waren.

Wie es zur Gründung der Rheumaheilstätte kam.

In der am 1. Februar 1956 erschienenen Festschrift „25 Jahre Rheumaheilstätte Bad Bramstedt“ schrieb Präsident HELMS als Vorsitzender des Vorstandes der ehemaligen Landesversicherungsanstalt der Hansestädte: „Seit 1925 belegten die in der Vereini­gung von Krankenkassen Groß-Hamburg e. V. und im Landesverband Norden des Haupt Verbandes Deutscher Krankenkassen zusammengefaßten Krankenkassen in steigendem Maße das von Direk­tor Oskar ALEXANDER als Pächter betriebene Kurhaus Bad Bramstedt mit Kassenpatienten, um so in einem günstig gelegenen („das Bad vor den To­ren Hamburgs“) einfachen Bade ohne unverhältnis­mäßige Kosten Rheumakuren für Versicherte und deren Angehörige durchzuführen. Der steigenden Inanspruchnahme genügte aber die vorhandene alte und reichlich verschlissene Anlage nach Umfang und Einrichtung bald bei weitem nicht. So erwuchs . . . der Gedanke, anstelle des veralteten und unzulänglichen Kurhauses eine eigene, den Bedürfnissen der sozialen Versicherungsträger entsprechende Heilstätte – insbesondere für Rheumakranke – zu errichten.“

Am 2. April 1929 wurde der Gesellschaftsvertrag der „Rheumaheilstätte Bad Bramstedt GmbH“ ab­geschlossen. Planung und Leitung des umfangreichen Baues, der 2 770 000 RM kosten sollte, wurde dem Hamburger Architekten Karl FEINDT übertra­gen. Der Bau- und Einrichtungsaufwand von 8 500 RM je Patientenbett war „gewiß auch nach den Prei­sen jener Zeit nicht übermäßig“.

Das therapeutische Zentrum der neuen Rheuma­heilstätte lag im Rundbau des Badehauses, in dem die Bramstedter Moorsole in Wannenbädern, das Moor als Heißpackungen sowie als Moorbäder in Holzwannen angewandt wurde. Die Moorgewinnung erfolgte im Gelände südlich der Heilstätte von Hand, der Transport mittels Loren zum Badehaus, wo die Aufbereitung in Mühlen stattfand, von denen das Packungsmoor in die Badekabine getragen wur­de. In dieselben Kabinen schob der Moorarbeiter die fahrbaren Wannen, deren Bademoor mit strömen­dem Dampf auf etwa 40 Grad erwärmt war.

Von Krisen geschüttelt

Mit der Weltwirtschaftskrise 1931/1932 kam die neugegründete Rheumaheilstätte schnell in finan­zielle Schwierigkeiten, die zu einer Verpachtung an den bisherigen wirtschaftlichen Leiter Oskar ALEXANDER führten, Es wurden auch Privatpa­tienten als Selbstzahler aufgenommen, obwohl ur­sprünglich vorgesehen war, ausschließlich Kranken- und Invalidenversicherte aus den Bereichen der drei Hansestädte und Schleswig-Holstein aufzunehmen.

Die Ärztliche Leitung der Rheumaheilstätte hatte bis 1. September 1933 Dr. SCHULZ, der langjährige Badearzt des alten Kurhauses. Bis März 1935 war Dr. STROMBERGER als Chefarzt tätig. Als Dr. PAU­LUS am 4. März die Stelle des Chefarztes der Rheu­maheilstätte übernahm, befand sich das Haus neben der wirtschaftlichen auch in einer ärztlichen Krise, da sein Vorgänger mit zwei anderen Ärzten plötzlich ausgeschieden war. Dr. PAULUS konnte den Inter­nisten Dr. GROSSEKETTLER und den Röntgenologen Dr. GATZWEILER als Abteilungsärzte gewin­nen. Diese personelle Besetzung führte zu einer Ver­größerung des Laboratoriums, zur Einrichtung eines Raumes für EKG und Grundumsatzbestimmung so­wie zum Bau eines Rontgeninstitutes für Diagnostik und Therapie. 1935 wurde eine Diätküche mit Diät­speisesaal neu gebaut.

Mit 1130 Betten überfülltes Lazarett

Wenige Tage vor Kriegsausbruch wurde die Rheu­maheilstätte am 25. August 1939 Reservelazarett, zu­nächst für Rheumakranke und Innere Leichtkranke. In der Zwischenzeit war die Heilstätte durch den Neubau des für Privatpatienten vorgesehenen Kur­hauses an den Auen auf 360 Betten erweitert wor­den. Wirtschaftlich stand die Einrichtung wieder ge­festigt da. Bei geringer Belegung des Lazaretts konnte der Heilstättenbetrieb aufrechterhalten bleiben, so daß im Januar 1940 neben 80 Soldaten noch 250 kranken- und invalidenversicherte Patienten vorhanden waren. Im Januar 1942 wurde das Lazarett auf 450 Bet­ten vergrößert und eine chirurgische Abteilung mit 250 Betten eingerichtet, was eine Aufgabe des zivi­len Betriebes bedingte. 1944/45 stieg die Bettenzahl bis auf 1 130 Betten, was nur durch Zuhilfenahme al­ler Flure, der Speise- und Aufenthaltsräume, des Ba­dehauses und Gymnastiksaales möglich war.

Vom 12. Mai 1945 war die Rheumaheilstätte Reser­velazarett unter Leitung eines aktiven Sanitätsoffi­ziers bis zur Auflösung des Lazaretts am 30. Januar 1946 und Umwandlung in ein Flüchtlings-Kranken­haus mit 700 Betten, zu dessen Leiter Oberarzt Dr. GROSSEKETTLER bestimmt wurde. Am 19. Okto­ber 1946 wurde das Flüchtlings-Krankenhaus end­gültig aufgelöst.

Der alte Haupteingang zum Kurhaus, benutzt im Laufe von Jahrzehnten von hunderttausenden Patienten

Der alte Haupteingang zum Kurhaus, benutzt im Laufe von Jahrzehnten von hunderttausenden Patienten

Die Rheumaheilstätte Bad Bramstedt GmbH über­nahm unter Leitung von Dr. PAULUS wieder den Betrieb des ganzen Hauses, in dem sich noch innere, chirurgische, neurologische, gynäkologisch-geburtshilfliche, Kinder- und Rheuma- Abteilungen befan­den. Die neurologische Abteilung wurde Ende 1946, die Kinder-Abteilung im März 1947 aufgelöst und die innere, chirurgische und gynäkologische Abteilung verkleinert unter langsamer Vergrößerung der Rheuma-Abteilung.

Die gynäkologisch-geburtshilfliche Abteilung un­ter Leitung von Professor Dr. KRANE stand ebenso wie die innere Abteilung unter Dr. WIEDE der Be­völkerung von Bad Bramstedt und Umgebung zur Verfügung. In der chirurgischen Abteilung unter Dr. ZEHRER wurden zahlreiche neurochirurgische Operationen, vor allem Bandscheibenoperationen vorgenommen, nachdem die Wirbelsäule als Krank­heitsfaktor erkannt worden war.

Im therapeutischen Bereich wurden Kabinen für die elektrophysikalische Behandlung eingerichtet und die Pendelapparate aus dem Zandersaal ent­fernt. Im Haus an den Auen konnte ein Saal für zwei Krankengymnasten benutzt werden. Im Badehaus wurden zwei hydrogalvanische Bäder, zwei Unter­wassermassageräume und ein subaquales Darmbad eingebaut.

Viele Ärzte haben im Verlauf eines halben Jahr­hunderts den Kranken in der Rheumaheilstätte/ Rheumaklinik gedient. Unzählig viele Mitarbeiter waren in anderen Bereichen ebenfalls für die Kran­ken tätig. Stellvertretend für alle soll der jahrzehn­telange Einsatz von zwei Persönlichkeiten im Dienst der Klinik gewürdigt werden.

Über 30 Jahre war Landesverwaltungsrat Hans BLOBEL Geschäftsführer der Rheumaklinik Bad Bramstedt. Seinem Einsatz ist es mit zu verdanken, daß die damalige Rheumaheilstätte nach dem Nie­dergang durch den Zweiten Weltkrieg Aufbaupha­sen nie gekannten Ausmaßes erleben konnte. Es ge­lang, die Rheumaheilstätte ab 1950 als größte Heil­stätte der Bundesrepublik auf den modernsten Stand zu bringen.

In dieser Form wurden Moorbäder bis 1979 verabreicht. Über 400 Moorbadewannen besaß die Rheumaheilstätte

In dieser Form wurden Moorbäder bis 1979 verabreicht. Über 400 Moorbadewannen besaß die Rheumaheilstätte

Herbert ALEXANDER war seit 1947 Verwaltungs­direktor und ab 24. April 1967 Geschäftsführer der Rheumaheilstätte GmbH. Unter seiner Regie fanden umfangreiche Erweiterungen statt. Seit 1948 wur­den durch seinen Einsatz Bauten im Wert von zehn Millionen Mark (einschließlich der Personenwohn­häuser) errichtet. Viele Ehrenämter bekleidete der 1976 verstorbene Geschäftsführer: Stadtverordne­ter, Mitglied des Kirchenvorstandes, Vorsitzender der AOK-Vertreterversammlung, Vorsitzender der Rheuma-Liga Schleswig-Holstein.

Entwicklung zum Spezialkrankenhaus

17 Jahre wirkte Dr. PAULUS als Chefarzt der Rheumaheilstätte. Seine Zielsetzungen für die Rheu­maheilstätte erläuterte er am 15. April 1952, als er sein Aufgabenfeld verließ: „Es war mein Ziel, der Rheumaheilstätte allmählich den Charakter eines Spezialkrankenhauses für Rheumakranke zu geben. Die Bäderbehandlung sollte zwar ein sehr wichtiges und unentbehrliches Mittel, aber kein Allheilmittel sein. Es gab ja manche Rheumakranke, bei denen ei­ne Bäderbehandlung durchaus nicht angezeigt war. Deshalb sollten alle Behandlungsmethoden, also außer der balneologischen, der verschiedenen elektro-mechanisch-physikalischen Methoden, Gymnastik, Diät, Röntgentherapie, Psychotherapie, orthopädi­sche und operative Maßnahmen, Arzneimittelbe­handlung usw. angewendet werden.

Viele Rheumakranke litten gleichzeitig noch an anderen Krankheiten, die zum Teil mit dem Rheu­maleiden in einem ursächlichen Zusammenhang standen und die unbedingt mitbehandelt werden mußten. Dies waren vor allem Herz- und Kreislaufkrankheiten, Stoffwechselkrankheiten, Blutkrank­heiten, Krankheiten der Verdauungsorgane und der inneren Drüsen, Nervenkrankheiten, Knochen­krankheiten, bösartige Geschwülste, Unterleibs­krankheiten der Frauen, Krankheiten der Rachenor­gane und der Nebenhöhlen, Zahnkrankheiten.

Aus diesen Gründen mußte ich bestrebt sein, daß außer den entsprechenden diagnostischen und thera­peutischen Einrichtungen auch Ärzte zur Verfügung standen, die in den diesbezüglichen Fachgebieten ei­ne genügende Erfahrung hatten. Dieses Ziel habe ich allerdings erst nach dem Kriege erreicht. Die An­sicht, daß es sich bei den Rheumakranken meist nur um Leichtkranke handele, die keiner eingehenderen Untersuchung und Behandlung bedürfen und bei de­nen es genüge, zu Beginn die Bäder zu verordnen und am Schluß zu fragen, wie es gehe, ist völlig abwegig. Gerade bei diesen Leichtkranken handelt es sich nicht selten um den Beginn einer sehr ernsten, ja tödlichen Krankheit.

Auch die alte Moorbahn gehört seit 1979 der Vergangenheit an. Vier- bis fünfmal am Tage fuhr sie Frischmoor in Massen heran. Jetzt kommt das für die Behandlung so notwendige Moor über eine Pipeline in die Klinik.

Auch die alte Moorbahn gehört seit 1979 der Vergangenheit an. Vier- bis fünfmal am Tage fuhr sie Frischmoor in Massen heran. Jetzt kommt das für die Behandlung so notwendige Moor über eine Pipeline in die Klinik.

Je geringer die Beschwerden und der oberflächli­che Befund erscheinen, desto genauer muß die Un­tersuchung sein. Die Diagnose, daß es sich um eine leichte und belanglose Krankheit handle oder daß überhaupt keine or­ganische Krankheit vor­handen sei, kann erst nach einer ganz gründli­chen Durchuntersuchung gestellt werden. Ganz be­sonders zu berücksichti­gen ist gerade bei den Rheumakranken der psy­chische Faktor. Oft liegt dem sogenannten „Rheu­ma“ eine seelische Schä­digung zugrunde. Diese Kranken bedürfen einer psychischen Behandlung, die mit der Bäderbehand­lung verbunden werden kann.“

Untersuchungsarbeiten in der Rheumaforschung

Untersuchungsarbeiten in der Rheumaforschung

Trotz Erweiterung der Belegungsmöglichkeiten auf 650 Betten, was durch eine Aufstockung des Hauptgebäudes erreicht wurde, traten insbesondere in den Sommermonaten lange Wartezeiten ein. Die Anzahl der Selbstzahler verdoppelte sich in den Jah­ren 1950 bis 1955.

Größte Rheumaklinik der Bundesrepublik

Im April 1952 übernahm Dr. GEHLEN nach ärztli­cher Weiterbildung in der Rheumaklinik „Landes­bad“ in Aachen von Dr. PAULUS die Aufgabe des Chefarztes und Ärztlichen Direktors. Im Frühjahr 1952 wurden die restlichen Krankenhausbetten mit Rheumakranken belegt. Die Gesamtkapazität be­trug nunmehr 670 Betten. Damit war die Rheuma­heilstätte Bad Bramstedt die größte in der Bundes­republik geworden.

1953/1954 wurde das Moorsolebewegungsbad in der Mitte des Badehausringes errichtet, in dem zum ersten Male Krankengymnastik im Wasser erfolgen konnte. Gleichzeitig wurde ein Gymnastiksaal, ein Inhalationsraum sowie eine Massageabteilung er­richtet. Die physikalische Therapie wurde durch Wechselduschen, Hauffe‘ sche Bäder sowie einKohlensäuregas-Trockenbad erweitert.

Die Aufenthaltsräume konnten 1958/1959 durch den Bau des Hauses Süd vergrößert werden, in dem auch ein Theatersaal mit über 400 behindertenge­rechten Sitzplätzen enthalten ist. Der Theatersaal, der durch gemeinsame Benutzung mit der Volks­hochschule zur Verbindung von Stadt und Rheuma­heilstätte beiträgt, hat das Freizeitangebot erheb­lich verbessert. In Haus Süd wurden auch Zimmer für 80 Patienten und 14 Krankenschwestern geschaf­fen.

Schwerpunkt: Rheumaforschung

Mit der Errichtung des „Haus des Ärztlichen Dien­stes“ 1962/1963 wurden die Diensträume für Ärzte vermehrt, ein weiträumiges klinisches Labor sowie ein Forschungslabor eingerichtet und im 1. Geschoß ein Wohnheim für Schwestern und medizinische As­sistenzberufe geschaffen, im 2. Obergeschoß ein Konferenzraum sowie eine wissenschaftliche Biblio­thek.

Die Einrichtung eines Forschungslaboratoriums geht auf die Initiative des wissenschaftlichen Bei­rats der Rheumaheilstätte zurück, der gemeinsam mit den Gesellschaftern die Erforschung der Ursa­chen rheumatischer Erkrankungen für erforderlich hielt. Rheumaforschung wurde außerhalb der Uni­versitäten bisher lediglich in der Rheumaklinik Aachen sowie im Rheumakrankenhaus Baden-Ba­den betrieben, sie sollte sich in der Rheumaheilstät­te Bad Bramstedt schwerpunktmäßig auf morpholo­gische Fragen mittels Elektronenmikroskop (Dr. DETTMER) sowie auf biochemische Vorgänge im Gelenk (G. BINZUS) konzentrieren.

Die bisherigen Forschungsziele von Dr. PAULUS lagen in der statistischen Auswertung der Erpro­bung neuer Arzneimittel sowie in der Auswertung diagnostischer und therapeutischer Erfahrungen. Dr. GEHLEN führte die medizinisch-statistischen Untersuchungen seines Vorgängers weiter und rich­tete sein Interesse auf die Einflüsse des Herdgesche­hens in Entstehung und Entwicklung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen.

Mit Erreichen der Altersgrenze von Dr. GEHLEN übernahm der Verfasser am 1. April 1964 die Ärztli­che Leitung der Rheumaheilstätte mit dem Ziel, die Diagnostik auf klinischem, radiologischem und la­bormedizinischem Gebiet zu verbessern, die medi­kamentöse Therapie, insbesondere auf dem Gebiete der „Basistherapeutika“ zu erweitern und auf dem Gebiet der physikalischen Maßnahmen das aktivie­rende Prinzip zu verstärken durch einen Ausbau der krankengymnastischen Abteilung sowie durch Ein­richtung der Beschäftigungstherapie. Begleitend da­zu wurde das Freizeitangebot vergrößert, welches ebenso wie die aktive physikalische Therapie den Patienten für eine Weiterführung der begonnenen Maßnahmen motivieren soll.

Die EDV-Erfassung der Krankengeschichten unter Einschluß eines Teiles der Labordaten begann 1964/ 1965. In der Zwischenzeit liegen Lochkarten von mehr als 150 000 Krankengeschichten vor. Unter An­wendung dieses Verfahrens konnten die Arbeitsun­fähigkeitsfälle sämtlicher AOK-Versicherter der Länder Schleswig-Holstein, später auch Hamburg, nach den Einflüssen der jeweiligen Behandlungen untersucht werden.

1964 wurde die Neurologische Abteilung mit Dr. STRAUBE neu besetzt, der elektroencephalographische, später elektromyographische Untersuchungen einführte und sich für psychosomatische Zusammen­hänge interessiert.

Beschäftigungstherapie im Kurmittelhaus am Teich nach ärztlichen Verordnun­gen. Tätig sind drei exami­nierte Beschäftigungsthera­peutinnen

Beschäftigungstherapie im Kurmittelhaus am Teich nach ärztlichen Verordnun­gen. Tätig sind drei exami­nierte Beschäftigungsthera­peutinnen

Aufgrund der Erfahrungen, die im Konsiliarsystem mit der Orthopädischen Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf von Professor Dr. HARF und Dr. TILLMANN gemacht wurden, konnte mit Ver­ständnis der Gesellschafter und Unterstützung durch Professor Dr. BUCHHOLZ vom Allgemeinen Krankenhaus St. Georg Hamburg 1965 eine orthopä­disch-operative Abteilung eingerichtet werden mit dem Ziel, bewegungsunfähige Rheumakranke durch operative Maßnahmen wieder zu mobilisieren sowie durch operative Entfernung der entzündeten Ge­lenkkapsel richtunggebenden Einfluß auf die Ent­wicklung des rheumatischen Prozesses zu nehmen. Nach Studienreisen durch Finnland, wo die operati­ve Behandlung entzündlich-rheumatischer Erkran­kungen ihren Ausgang genommen hatte und der Schweiz wurde Dr. TILLMANN die Leitung der Or­thopädischen Abteilung der Rheumaheilstätte über­tragen. Es wurden dazu die früheren Operationsräu­me im III. Obergeschoß des Haupthauses wieder ein­gerichtet.

Gamma-Kamera mit Untersuchungs- tisch (links) und Meß­wertverarbeitung (Rechner, rechts) zur Durchführung nukle­armedizinischer Untersuchungen (Isotopen-Diagnostik) des Skeletts, der Gelenke, der inneren Organe sowie des Gehirns

Gamma-Kamera mit Untersuchungs- tisch (links) und Meß­wertverarbeitung (Rechner, rechts) zur Durchführung nukle­armedizinischer Untersuchungen (Isotopen-Diagnostik) des Skeletts, der Gelenke, der inneren Organe sowie des Gehirns

Um Raum für die aktivere physikalische Therapie zu schaffen, wurde 1966/1967 das „Kurmittelhaus am Teich“ errichtet mit einem Bewegungsbad von 100 Quadratmetern Größe, gefüllt mit 175 Kubikmeter Sole in einer Temperatur von 33 Grad Celsius, in dem Unterwassergymnastik erfolgt, ergänzt durch therapeutisches Schwimmen (unter Einschluß von Schwimmunterricht). Im selben Gebäude liegen eine Gymnastikhalle für Gruppentherapie, eine Abtei­lung für Beschäftungstherapie, Räume für die Abga­be von Massagen, Spielzimmer für Tischtennis und Billard sowie Umkleide- und Ruhehallen.

Neuer Name offiziell: „Rheumaklinik“

Die Gesellschafter haben durch eine Änderung des Namens in „Rheumaklinik“ der tatsächlichen Auf­gabe einer Spezialklinik Rechnung getragen. Auf­grund der großen Nachfrage wird die Bettenzahl durch Belegung von Außenstationen zeitweilig bis auf 970 vergrößert. Durchschnittlich sind 600 bis 700 Betten durch die Rentenversicherungen, 200 Betten durch die Krankenversicherungen belegt, selbstzah­lende Patienten machen weniger als fünf Prozent aus. Die Steigerung der Bettenzahl wird ermöglicht durch die Aufstockung des „Haus des Ärztlichen Dienstes“ 1970/1971, in dem 24 Patienten, nach Neu­bau eines Personalwohnhauses 1973 weitere 50 Pa­tienten untergebracht werden.

Mit dem neuen Verwaltungsdirektor RATH be­gann eine großzügige Renovierung und Modernisie­rung der Klinikeinrichtungen. Als erstes wird das Haus an den Auen 1974 renoviert und auf Einbett­zimmer umgestellt. 1975 ersetzte die neue Energie­zentrale das alte Kesselhaus.

Durch gute Behandlungsergebnisse stieg die Nach­frage nach Unterwassergymnastik so stark, daß 1975/1976 ein zweites Bewegungsbad an das Kurmit­telhaus am Teich angebaut werden mußte, in dem sich unter anderem feststehende Düsen zur Unterwassermassage befinden. Der Erweiterungsbau ent­hält auch zwei Saunen mit Tauchbecken und Frei­luftraum, Tretbäder sowie eine Wechseldusche und Liegeräume.

Das Moorbewegungsbad - die „Attraktion der Rheuma­klinik Bad Bramstedt"

Das Moorbewegungsbad – die „Attraktion der Rheuma­klinik Bad Bramstedt“

Gamma-Kamera mit Untersuchungs- tisch (links) und Meß­wertverarbeitung (Rechner, rechts) zur Durchführung nukle­armedizinischer Untersuchungen (Isotopen-Diagnostik) des Skeletts, der Gelenke, der inneren Organe sowie des Gehirns

Gamma-Kamera mit Untersuchungs- tisch (links) und Meß­wertverarbeitung (Rechner, rechts) zur Durchführung nukle­armedizinischer Untersuchungen (Isotopen-Diagnostik) des Skeletts, der Gelenke, der inneren Organe sowie des Gehirns

Mitte der siebziger Jahre beschließen die Gesell­schafter langfristige Strukturmaßnahmen zur Inten­sivierung der Therapie sowie zur Verbesserung der Unterbringung. Als erste Maßnahme wird 1976 bis 1979 das Badehaus zu einem modernen Therapiering neugestaltet, wodurch sich die Abgabekapazität auf 3 400 Anwendungen pro Tag verdoppelt hat, so daß den stationären Patienten rund drei Anwendungen pro Tag zur Verfügung stehen. Der qualitativen Ver­besserung der physikalischen Therapie dienen die neugeschaffenen Moorbewegungs­bäder und Moor­tretbäder sowie die Neukonstruktion einer Groß­raum-Wanne, gefüllt mit fünfprozentiger Sole und ausgerüstet mit feststehenden und beweglichen Dü­sen für Unterwassermassagen sowie für Sprudelbä­der. Die Moorbäder sind an das Leitungsnetz ange­schlossen, welches von einer Mooraufbereitungsein­richtung über eine Druckleitung gespeist wird. Sämtliche Therapieeinrichtungen wurden behinder­tengerecht erbaut.

Zwei Bettenhäuser sind im Sommer 1981 auf dem Gelände der Rheuma- klinik im Bau, um den Patienten noch bessere Unterbringungsmöglichkeiten anzubieten. 160 Betten werden im „Haus am Park“ und „Haus am Wald“ geschaffen

Im Rahmen der Modernisierung wird die Belegung im Haupthaus reduziert auf zwei- und einbettige Be­legung. Um einen Ausgleich in der Bettenzahl zu schaffen, erfolgt der Neubau des Klinikums.
Entzündlich-rheumatische Erkrankungen können bereits im Kindesalter beginnen. Die ambulante undstationäre Betreuung rheumatisch erkrankter Kin­der und Jugendlicher übernimmt Dr. KÜSTER, auch die Mitbetreuung von Kindern während operativer Behandlungen.

Um einen Forschungsverbund zwischen den Fach­bereichen Medizin der Universitäten Hamburg, Kiel und Lübeck und der Rheumaklinik Bad Bramstedt zu betreiben, wird der Verein zur Förderung der Erforschung und Bekämpfung rheumatischer Erkran­kungen e.V. gegründet, der dazu beitragen soll, die Arbeiten in der Forschungsabteilung zu intensivie­ren.

Alle Behandlungen unter einem weiten Dach

Im August 1980 wird das Klinikum als Zentralbau der Rheumaklinik eingeweiht und mit dem Haus Alexander (Haupthaus) und Haus Süd durch Gänge verbunden. Das Klinikum umfaßt die zentrale Patientenaufnahme, die Planung der physikalischen Therapie sowie ein Postamt.

In der Abteilung für Radiologie (Dr. HAASS), de­ren Diagnostik durch nuklearmedizinische Einrich­tungen erweitert wurde, findet auch eine konventio­nelle Strahlentherapie sowie eine Isotopenbehand­lung (Radiosynoviorthese) statt, bei der durch intraarticuläre Applikation von Isotopen eine Beein­flussung der entzündlich verdickten Gelenkinnen­haut angestrebt wird. Im Erdgeschoß des Klinikum liegen weiterhin die internistischen, pädiatrischen und orthopädischen Ambulanz-Räume, im Unterge­schoß das Zentralarchiv, Werkräume und die Betten­desinfektion. Das erste Obergeschoß wird aus­schließlich durch Operations-Säle in Anspruch ge­nommen, bei denen höchste Ansprüche an Sterilität gestellt werden. Im zweiten Obergeschoß befindet sich die orthopädisch-operative Abteilung, im dritten Obergeschoß die internistisch-rheumatologische Abteilung unter Einschluß von 6 radiologischen Bet­ten. Insgesamt enthält das Klinikum 110 Betten.

1981 wurde mit dem Neubau von zwei Häusern mit je 80 Betten und Arzt- und Schwestern-Station be­gonnen. Diese Neubauten sollen mit Gängen die Ver­bindung zum Kurmittelhaus am Teich herstellen, so daß dann der Patient alle diagnostischen und thera­peutischen Einrichtungen der Rheumaklinik in ge­schlossenen Räumen erreichen kann. Der Neubau der beiden Häuser ist erforderlich, um die Bettenzahl zu halten, da sich mit der Renovierung des Hau­ses Alexander (Haupthaus) Mitte der achtziger Jahre eine beträchtliche Reduktion ergeben wird.

Mitte der achtziger Jahre wird die Rheumaklinik ihre Strukturmaßnahmen abgeschlossen haben. Da­mit ist das Ziel der Modernisierung einer Klinik er­reicht, als erste und einzige Spezialklinik in der Bundesrepublik Deutschland sämtliche diagnostischen und therapeutischen Einrichtungen zur Be­handlung der rheumatischen Erkrankungen aller Lebensalter unter einem weiten Dache verbindet.

Die Gesellschafter der Rheumaklinik Bad Bramstedt GmbH.
Landesversicherungsanstalt Freie und Hansestadt Hamburg
vertreten durch Direktor Ewald RAMIN, Vorsitzender der Gesellschafterversammlung
Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein in Lübeck
vertreten durch den Ersten Direktor Dr. Gerhard BLUHM, stellvertretender Vorsitzender der Gesellschafterversammlung
Landesverband der Ortskrankenkassen Hamburg
vertreten durch Direktor Heinz RUMPF
Landesverband der Ortskrankenkassen Schleswig-Holstein
vertreten durch Direktor Günter MEYER
Stadt Bad Bramstedt
vertreten durch Bürgermeister Heinz WEDDE
Stand 1. September 1981
Seite 38 Oben: Unterwassergymnastik im Solebewegungsbad. Unten links: Fünffingerbad mit Unterwassermassage und Luftperlbad. Unten rechts: Neugestaltete Brunnenhalle im Altbau.

Seite 38
Oben: Unterwassergymnastik im Solebewegungsbad.
Unten links: Fünffingerbad mit Unterwassermassage und Luftperlbad.
Unten rechts: Neugestaltete Brunnenhalle im Altbau.

Seite 39 Oben: Gruppengymnastik auf dem kleinen Sportplatz des Kurmittelhauses am Teich. Unten links: Die Gärtner der Rheumaklinik sorgen stets da­für, daß die Kurgäste Freude an den Anlagen haben. Unten rechts: Blick auf das Kurmittelhaus am Teich mit Schwimmhalle und Liegewiese.

Seite 39
Oben: Gruppengymnastik auf dem kleinen Sportplatz des Kurmittelhauses am Teich.
Unten links: Die Gärtner der Rheumaklinik sorgen stets da­für, daß die Kurgäste Freude an den Anlagen haben.
Unten rechts: Blick auf das Kurmittelhaus am Teich mit Schwimmhalle und Liegewiese.


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Reinhold RATH
Verwaltungsdirektor der Rheumaklinik Bad Bramstedt

Sichere Arbeitsplätze in der Rheumaklinik

Unternehmen mit bedeutender Wirtschaftskraft

Auf einen Blick können Besucher der Rheumakli­nik die Entwicklung der Rheumaklinik Bad Bram­stedt im Abschnitt von 50 Jahren zwischen 1931 und 1981 nachvollziehen, wenn sie das Modell in der Empfangshalle des Klinikums eingehend betrach­ten. Alle Einzelheiten des vielfältigen Werdens der Heilstätte/Klinik und der Modernisierung werden am Modell verdeutlicht.

Ein halbes Jahrhundert lang erfolgte die Leitung der Rheumaheilstätte nach den Gesichtspunkten, die im Gesellschaftsvertrag vom 2. April 1929 für die Rheumaheilstätte festgelegt wurden: Der Betrieb des Kurhauses ist für „minderbemittelte Volkskrei­se“ bestimmt, „zur Bekämpfung von Rheuma und ähnlichen Krankheiten sowie Frauenkrankheiten.“

Die Rheumaheilstätte, 1931 in Betrieb genommen, gab zunächst dem Ganzen den Namen. Sie ent­wickelte sich im Laufe von fünf Jahrzehnten zu ei­ner Anlage nie geahnten Ausmaßes. Standen ursprünglich 15 Hektar Land zur Verfügung, so besitzt die Rheumaklinik heute 57 Hektar Land dank einer vorausschauenden Bodenvorratsüberlegung.

Modell der Rheumaklinik Bad Bramstedt in der Empfangs­halle des Klinikums. Erfaßt ist die Entwicklung der Rheuma­heilstätte / Rheumaklinik in den vergangenen 50 Jahren

Modell der Rheumaklinik Bad Bramstedt in der Empfangs­halle des Klinikums. Erfaßt ist die Entwicklung der Rheuma­heilstätte / Rheumaklinik in den vergangenen 50 Jahren

Die Gesellschafter waren sich 1976 mit dem Ärztli­chen Direktor sowie der Geschäftsführung in derAuffassung einig, daß eine Bezeichnung „Rheuma­klinik“ besser den aktuellen Zielsetzungen gerecht wird als der Name „Rheumaheilstätte“. So erfolgte die Umbenennung in Rheumaklinik.

Wie der Vorsitzende der Gesellschafterversamm­lung der Rheumaklinik Ewald RAMIN bei der offi­ziellen Eröffnung des neuen Klinikums als Mittel­punkt der Erweiterungsmaßnahmen am 29. August 1980 erklärte, ist es Hauptaufgabe der Rheumakli­nik, den behinderten Menschen zu helfen. ,,Ihre Fä­higkeiten und Kräfte sind zu entfalten, damit sie ei­nen angemessenen Platz in der Gemeinschaft finden. Dazu gehört vor allem eine dauerhafte Eingliede­rung in Arbeit und Beruf.“

„Rehabilitation vor Rente“ – diese Zielsetzung streben die Sozialversicherungsträger als wichtigste Garanten der Rehabilitation auch in der Rheumakli­nik Bad Bramstedt an. Die Versicherten sollen vor einer vorzeitigen Verrentung bewahrt werden.

Ab 1974 wurde in intensiver Teamarbeit mit den Gesellschaftern und Geschäftsführern, dem ärztli­chen Direktor Dr. med. Gerhard JOSENHANS, dem Verwaltungsdirektor Reinhold RATH sowie dem Betriebsingenieur Edgar RIEHL geplant, die Rheu­maklinik besser als bisher auszurüsten, um den Auf­gaben der Rehabilitation gerecht zu werden.

Ziel war es, die technisch/medizinischen Einrich­tungen ebenso wie die allgemeine technische Ausrü­stung und eng damit verbunden die bauliche Kon­zeption grundlegend zu verbessern, um ein Opti­mum der Behandlung zu erreichen. Im Dienst der Rheumakranken waren physikalisch/therapeuti­sche Einrichtungen zu erweitern und auch im großen Umfange überhaupt erst zu schaffen.

Patienten der Rheumaklinik Bad Bramstedt suchen gern die beschauliche Stätte des Verweilens vor dem 400 Plät­ze fassenden Kurhaustheater auf

Patienten der Rheumaklinik Bad Bramstedt suchen gern die beschauliche Stätte des Verweilens vor dem 400 Plät­ze fassenden Kurhaustheater auf

Alle Strukturmaßnahmen zielten darauf an, den Rang und die Bedeutung der Rheumaklinik Bad Bramstedt als klinisches Zentrum zur umfassenden medizinischen und beruflichen Rehabilitation von rheumatischen Erkrankungen zu festigen sowie dieRheumaklinik zu einer Schwerpunktklinik auszu­bauen.

Das Papier über „Strukturmaßnahmen der Rheu­maklinik11 schildert auf sechs Seiten alle Ausbau­phasen. Für das Team der Rheumaklinik war es die Grundlage, der Kompaß, in sieben Jahren des Durchhaltens in der Aufbauarbeit. Die meiste Ar­beit war geschafft, als der Zentralbau – jetzt offi­ziell Klinikum – als „Herzstück der Gesamtkonzep­tion“ am 29. August 1980 eingeweiht wurde. Bauten mit einem Gesamtaufwand von 60 Millionen DM wurden vollendet oder stehen unmittelbar vor dem Abschluß. Bauten in dieser Größenordnung hatte es seit 1931 im Bereich der Rheumaheilstätte / Rheuma­klinik bisher nicht gegeben.
Ergänzend ist mitzuteilen, daß dabei auch die Freizeittherapie nicht zu kurz kam. Auf eine vollau­tomatische Kegelbahn mit vier Bahnen hatten sich die Kurgäste bereits seit langem gefreut. An Frei­zeitbetätigungen werden Wanderungen angeboten, für das Radwandern stellt die Rheumaklinik kosten­los Fahrräder zur Verfügung. Schwimmen und Gym­nastik sind sehr gefragt. Neben Billard stehen für das „Königliche Spiel“ mehrere Bretter, davon eins mit Großfiguren, zur Verfügung.
Bei näherer Betrachtung des Investitionsaufkom­mens in den Jahren der Erneuerung und Sanierung derRheumaklinik läßt sich die Bedeutung der Wirt­schaftskraft der Rheumaklinik für Bad Bramstedt erkennen.

Seit 1953 ist die Rheumaheilstätte, später Rheumaklinik, ständig modernisiert wor­den. Das gilt für den medizi­nischen Bereich ebenso wie für den wirtschaftlichen Zweig und die Verwaltung. Das Foto zeigt Erdarbeiten für den Neubau des Bade-hausringes. der 1976 / 1979 in zwei Abschnitten verwirk­licht wurde

Seit 1953 ist die Rheumaheilstätte, später Rheumaklinik, ständig modernisiert wor­den. Das gilt für den medizi­nischen Bereich ebenso wie für den wirtschaftlichen Zweig und die Verwaltung. Das Foto zeigt Erdarbeiten für den Neubau des Bade-hausringes. der 1976 / 1979 in zwei Abschnitten verwirk­licht wurde

Firmen der norddeutschen Bauregion fanden für viele Jahre in der Rheumaklinik einen großen und sicheren Arbeitsplatz. Großaufträge dieser Art konnte das Bramstedter Baugewerbe natürlich nicht übernehmen, weil es überfordert war. Spezialausführungen wurden sogar an süddeutsche Firmen vergeben.
Die Rheumaklinik ist eine gemeinnützige Einrich­tung und daher aufgrund einer gesetzlichen Rege­lung von allen Steuern und Abgaben befreit.
Über 40 Millionen DM beträgt das Haushaltsvolu­men der Rheumaklinik für 1981. 57 Prozent der Ge­samtaufwendungen – 23,2 Millionen DM – sind Per­sonalkosten. Diese Gelder werden zum größten Teil in der Wohnstadt Bad Bramstedt und der näheren Umgebung ausgegeben.
Die Sachaufwendungen betragen 12,4 Millionen DM. Außerhalb der Klinik sind 240 Betten ständig besetzt. Für diese auswärtige Unterbringung zahlte die Rheumaklinik 1980 an Hotels und Pensionen ei­nen Betrag von 3,4 Millionen DM. Für Lebensmittel gab die Rheumaklinik im Jahr 1980 rund 1.764.000 DM aus. Der größte Teil der Lebensmittel wurde in Bad Bramstedt gekauft.

Ständig finden in der Rheumaklinik Theater- und Musikveranstaltungen statt, um den Kurgästen etwas Kulturelles zu bieten. In­mitten des Kurparkes wurde eine große Musikmuschel (Bildmitte) errichtet, davor zahlreiche Zuhörerbänke. Im Sommer finden Kurkonzerte hauptsächlich im Freien statt.

Ständig finden in der Rheumaklinik Theater- und Musikveranstaltungen statt, um den Kurgästen etwas Kulturelles zu bieten. In­mitten des Kurparkes wurde eine große Musikmuschel (Bildmitte) errichtet, davor zahlreiche Zuhörerbänke. Im Sommer finden Kurkonzerte hauptsächlich im Freien statt.

606 Mitarbeiter sind in der Rheumaklinik beschäf­tigt: Davon 38 Ärzte, 56 medizinisch-technischeMit­arbeiter, 84 Krankenschwestern und Pfleger, 122 im Bereich der physikalischen Therapie und Moorauf­bereitung, 212 in der Haus- und Wirtschaftsabtei­lung, 37 Handwerker, 33 in der Verwaltung, zwei in der Forschungsabteilung sowie 22 Praktikanten und Lehrlinge.
Mit 606 Beschäftigten ist die Rheumaklinik Bad Bramstedt mit Abstand die weitaus größte Arbeits­stätte im Wirtschaftsraum Bad Bramstedt.
Es bedarf großer Anstrengungen, um Fachkräfte für Spezialtätigkeiten zu gewinnen. Einpendler kommen Tag für Tag zur Rheumaklinik aus den Räu­men Richtung Neumünster, Kellinghusen / Henstedt-Ulzburg.
Durch den gesicherten Arbeitsplatz in der Rheumaklinik entschlossen sich in den vergangenen Jahr­zehnten viele Mitarbeiter, in der ,,Rolandstadt im Grünen“ ihren Wohnsitz zu nehmen.
Mit den ehemaligen Betriebsangehörigen bestehen enge Verbindungen. Die Zahl der Altersrentenemp­fänger ist in den vergangenen Jahren erheblich ge­stiegen. Diese Tatsache läßt positive Rückschlüsse auf die Betriebstreue der Beschäftigten der Rheuma­klinik zu.
Aus dem Unterstützungsverein und dem Pensions­fonds wurden 1980 an 161 ehemalige Betriebsange­hörige und an 30 Witwen insgesamt 820 000 DM an Renten gezahlt.
Durch die Vielzahl der Arbeitsplätze stützt die Rheumaklinik die wichtige Funktion des Unterzen­trums Bad Bramstedt für den überörtlichen Wir­kungsbereich.

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Friedmund WIELAND
Ministerialrat u. Bürgervorsteher der Stadt Bad Bramstedt

Was Bad Bramstedt so liebenswert macht!

Oft stellen Besucher und auch Bewohner der Kur- und Rolandstadt Bad Bramstedt die Frage: „Was macht Bad Bramstedt eigentlich so liebenswert?“ Darauf eine Antwort zu geben, ist gar nicht so leicht. Vielleicht kommen wir der Beantwortung etwas nä­her, wenn wir uns einmal die „Rolandstadt im Grü­nen“ vom Turm des Intermar-Hotels „Köhlerhof“ anschauen.

Blicken wir von dort aus auf Bad Bramstedt und seine nähere Umgebung, so liegt eine wundervolle Parklandschaft zu unseren Füßen. Sechs Auen prä­gen das Bild der Landschaft: Bad Bramstedt zeigt sich von der besten Seite. Es ist wirklich eine Kur- und Rolandstadt im Grünen.

Liebenswert die Stadt und die Umgebung mit Fel­dern, Wiesen, dem Höhenzug des Liethberges und vielen Wäldern. Aus ihnen finden seit Jahrzehnten Weihnachtstannen den Weg in die Städte bis nach Westberlin hin.

Dort inmitten des großen Kurparks die Rheuma­klinik, Zentrum des Sole- und Moorbades Bad Bram­stedt. Sie genießt Weltruf und wird ständig entsprechend den medizinischen Anforderungen moderni­siert. Jahr für Jahr finden in der Rheumaklinik etwa 10000 Patienten Genesung und Linderung von schweren Leiden.

Vom Turm erkennbar ist ein großes Wandernetz. Es wurde in jüngster Zeit vom Bürger- und Ver­kehrsverein Bad Bramstedt erschlossen. 16 Rund­wanderwege von 140 Kilometer Länge führen durch die landschaftlich reizvollsten Gegenden innerhalb und außerhalb der Stadtgrenzen. Schon jetzt werden die Wege, die noch ergänzt werden sollen, von vielen Patienten der Rheumaklinik für Terrainkuren, von Hamburger Ausflüglern und nicht zuletzt von den Bramstedter Einwohnern für Spaziergänge genutzt. Außerdem beginnt und endet in Bad Bramstedt ein großes Radwegenetz.

Durch einen Grüngürtel ist in jüngster Zeit die Stadt Bad Bramstedt mit der Rheumaklinik verbunden worden. Besonders geglückt ist die Anbindung durch seenartige Teiche am Intermar-Hotel Köhlerhof.

Durch einen Grüngürtel ist in jüngster Zeit die Stadt Bad Bramstedt mit der Rheumaklinik verbunden worden. Besonders geglückt ist die Anbindung durch seenartige Teiche am Intermar-Hotel Köhlerhof.

Die Rolandstadt im Grünen besitzt einen hohen Wohnwert: In Bad Bramstedt wohnt es sich gut und schön. Deutlich erkennen wir das vom Hotelturm aus: Ganz bewußt haben es die Stadtväter in der Zeit des Wirtschaftswunders und auch danach abgelehnt, städtebauliche Exzesse von Hochhäusern zuzulassen. Einige wenige Dominanten wirken nicht stö­rend, sondern lockern die Bebauung auf. Kleinere Mehrfamilienhäuser und auch viele Einfamilienhäu­ser erhielten in sehr guter Wohnlage den Vorzug.

Zu gleicher Zeit bemühten sich die Verantwortli­chen in der Stadt, die Zahl der Arbeitsplätze in den verschiedenen Bereichen von Bad Bramstedt zu ver­größern oder zumindest zu festigen. Es war immer das Bemühen der Stadtväter, den Einwohnern eine Wohnung und einen Arbeitsplatz in der Stadt zu si­chern. Das weite Auspendeln zu einer fern gelegenen Arbeitstätte sollte auf alle Fälle vermieden werden. Auch das ist ein Pluspunkt für Bad Bramstedt.

Bramstedt – das ist die „Ginsterstätte“ – Ende Mai/Anfang Juni können wir im Weichbild der Ro­landstadt viele gelbe Farbtupfer erkennen. Es ist der prächtig leuchtende Ginster, niederdeutsch „Bram“ genannt, von dem die Stadt ihren Namen hat.

Schauen wir weiter aus: Dort unten liegt geschichtsträchtig inmitten des Ortes der Bleeck mit dem Roland, der im 16. Jahrhundert erstmals ur­kundlich erwähnt wird. In Nordwest-Deutschland gibt es außerdem noch Rolandstandbilder in der Hansestadt Bremen und in Wedel/Holstein.

Der Bleeck, zweitgrößter Marktplatz Schleswig-Holsteins, bildet den uralten Kern der jetzigen Stadt, die früher ein Flecken war. Im Mittelalter war der Bleck der ganze Ort. Die Liebe der Bramstedter zum Bleeck und Roland hat die Jahrhunderte überdauert und besteht immer noch. Auch heute ist der Bleeck die „gute Stube“ von Bad Bramstedt.

Der Bleeck war seit über 600 Jahren ein bedeuten­der Schnittpunkt der Verkehrswege. Vorbei führte der alte Ochsenweg. Unterm Roland wurde über Fragen des Ochsenhandels Recht gesprochen. Heute pulsiert der Verkehr der Bundesstraßen 4 und 206 in alle Himmelsrichtungen am Bleeck vorbei. Der Verkehr wäre unerträglich, wenn nicht die Autobahn Hamburg – Flensburg mit Zubringer nach Kiel, ei­nige Kilometer östlich der Stadt, Bad Bramstedt an das große Fernverkehrsnetz anschließen würde. Be­fürchtungen, der Ort würde durch die Autobahn leer gefahren werden, haben sich nicht bestätigt.

Larenz Jessen aus Glückstadt stiftete der Maria-Magdalenen-Kirche zu Bramstedt drei Leuchter, nachdem er durch Ge­brauch des Wassers der Entdeckungsquelle 1681 vom Vier-Tage-Fieber genesen war.

Seite 46 Der Bleeck aus der Vogelperspektive. Deutlich ist zu er­kennen, daß sich bis heute der Charakter des zweitgrößten Marktplatzes Schleswig-Holsteins über Jahrhunderte hinweg erhalten hat. Der Bleeck blieb die Mitte des Ortes. Seine Ein­heit wurde auch nicht durch den Bau der Kreissparkasse (links) gestört. Auffallend ist in der Bildmitte das Schloß, das seit 1969 nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten Reprä­sentationszwecken dient und manche Kostbarkeit birgt. Rechts oben liegt das Warmwasserfreibad, das weit über Bad Bramstedt hinaus beliebt ist. Die Stadt ist bemüht, neue Frei­zeitaktivitäten zu ermöglichen. Sichtbar ist in der unteren Bildmitte an der Hudau ein Teil des Wanderwegenetzes zur Erschließung der Auenlandschaft (Freigabe des Luftbildes unter der Nr. SH 912/1).

 

 

Seite 47 Oben; Blick auf die „Rolandstadt im Grünen" vom Turm des Intermar-Hotels „Köhlerhof". Oben rechts: Heil ist die Welt noch in der Moorlandschaft bei Bad Bramstedt. Unten links: Die Hambrücke, das Eingangstor zur Rheuma­klinik. Bad Bramstedt besitzt 24 Brücken. Die Hambrücke ist wahrscheinlich die älteste. Urkundlich wird sie bereits 1317 erwähnt, als die Schlacht auf dem Strietkamp stattfand. Unten rechts: Schloß und Roland - denkwürdige Zeugen der Vergangenheit auf dem Bleeck. Seit Jahrhunderten haben hier der Flecken und später die Stadt Bad Bramstedt ihren Mittelpunkt.

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Oben; Blick auf die „Rolandstadt im Grünen“ vom Turm des Intermar-Hotels „Köhlerhof“.
Oben rechts: Heil ist die Welt noch in der Moorlandschaft bei Bad Bramstedt.
Unten links: Die Hambrücke, das Eingangstor zur Rheuma­klinik. Bad Bramstedt besitzt 24 Brücken. Die Hambrücke ist wahrscheinlich die älteste. Urkundlich wird sie bereits 1317 erwähnt, als die Schlacht auf dem Strietkamp stattfand.
Unten rechts: Schloß und Roland – denkwürdige Zeugen der Vergangenheit auf dem Bleeck. Seit Jahrhunderten haben hier der Flecken und später die Stadt Bad Bramstedt ihren Mittelpunkt.

Ein Glückslos zieht der Besucher des Bleecks, wenn er einmal bei sommerlichen Temperaturen spätabends auf dem Platz verweilen kann. Er sollte sich dann von der eigentümlichen Atmosphäre des Bleecks gefangennehmen lassen. Er wird glauben, weit im Süden zu sein. Gedämpftes Licht strahlt aus den Gaststätten, die hier und dort von Weinreben umrankt sind: Wer glaubt da noch, einen Sommer­abend im nördlichsten Land der Bundesrepublik zu erleben!?

Der träumende Besucher hört vielleicht einen be­sonderen Dreiklang am Bleeck: Die Vorbeifahrt al­ter königlicher Postkutschen, das Klappern der Pferdehufe und den Klang des Posthorns – liebenswertes Bad Bramstedt.

Traditionsreich auch die Küchen in den ausge­zeichneten Bramstedter Gaststätten. Oft haben sie etwas Besonderes auf der Speisekarte. So mancher Gast hat sich schon in alte holsteinische Spezialitä­ten verliebt: Rode Grütt (Rote Grütze), Grönkohl mit Swiensback (Grünkohl mit Schweinebacke) oder Groter Hans (Warmer Semmelkuchen mit Vanille­sauce). Liebenswürdige Einladungen zu Besonder­heiten auf Speisekarten offeriert.

Ohne ,.Schloß“ wäre Bad Bramstedt nicht zu den­ken. Dem Schloß gehört die „heimliche“ Liebe der Rolandstädter. Es liegt am Bleeck und ist ein Klein­od, obwohl es eigentlich ein Torhaus ist. Der däni­sche König CHRISTIAN IV. ließ es im 30jährigen Krieg erweitern. Er schenkte es 1633 seiner ihm zur Linken angetrauten Frau WIEBKE KRUSE. Ihr Mit­einander begann, als der König 1625 die Wäscherin Wiebke aus dem Nachbardorf Föhrden-Barl von der Beeckerbrücke aus beim Vorbeiritt erblickte. Kurz nacheinander wurden sie beide 1648 vom Tod hin­weggerafft.

Doch die Liebe der Bramstedter zum „Schloß“ blieb über Jahrhunderte erhalten. Als 1964 das Schloß vor dem drohenden Verfall stand, erwarb die Stadt das Gebäude. Mit großem Einfühlungsvermö­gen wurde eine umfangreiche Restaurierung eingeleitet. Um die Erhaltung und werkgetreue Wieder­herstellung der Bausubstanz bemühte sich vor allem der damalige Leiter des Segeberger Kreisbauamtes Peter O. EBERWEIN. Mit Sachverstand wurde er von Walter SCHULZE unterstützt, der sich schon um eine Darstellung der Maria-Magdalenen-Kirche zur 650-Jahr-Feier bemüht hatte.

Nur ein Beispiel der sachgerechten Restaurierung des Schlosses sei erwähnt: 17 verschiedene Backstei­ne mußten in Dänemark 1968 gebrannt werden, um die Schloßfassade im Stil des 17. Jahrhunderts wie­derherzustellen. Bei einem Gang durch die Säle und Zimmer des Schlosses beeindrucken vor allem die Stuckelemente. Schöneren Stuck gibt es kaum in schleswig-holsteinischen Profanbauten.

Im Laufe der Jahrhunderte haben sich in den Städ­tebildern die Dominanten, die Dome, in ihrer Stel­lung geändert. Geblieben ist in Bad Bramstedt die seit 1316 bestehende Maria-Magdalenen-Kirche. Das ehrwürdige Gotteshaus ist ein eindrucksvolles Bei­spiel der Backsteingotik. Wertvolle Kunstschätze birgt die Kirche. Im Mittelpunkt steht der Altar – ein gotisches Triptychon. Einen tiefen Eindruck hin­terläßt der Taufkessel, Anfang des 13. Jahrhunderts. Drei stützende Figuren besitzen das sogenannte „ archaische Lächeln“, eine Verwandtschaft zur Spätan­tike. Holzskulpturen und der reiche Silberschatz zählen zu weiteren Schätzen.

Larenz Jessen aus Glückstadt stiftete der Maria-Magdalenen-Kirche zu Bramstedt drei Leuchter, nachdem er durch Ge­brauch des Wassers der Entdeckungsquelle 1681 vom Vier-Tage-Fieber genesen war.

Larenz Jessen aus Glückstadt stiftete der Maria-Magdalenen-Kirche zu Bramstedt drei Leuchter, nachdem er durch Ge­brauch des Wassers der Entdeckungsquelle 1681 vom Vier-Tage-Fieber genesen war.

Aus Anlaß der Entdeckung der ersten Bramstedter Heilquelle im Jahr 1681 vor 300 Jahren sei daran er­innert, daß sich in der Maria-Magdalenen-Kirche drei silberne Barock-Leuchter mit folgender Inschrift befinden: ,,Ann 1681 – den 1. Juli ist Larenz Jessen, Kön. Prov. Verwalter in Glückstadt durch Gebrauch des Wassers von Quartan (Vier-Tage-Fieber) befreit – verehrt diese drei Leuchter zum Gedächtnis“. Die Maria-Magdalenen-Kirche ist oft Stätte kirchenmusikalischer Veranstaltungen. Die Ev.-Luth. Kirchengemeinde macht seit Jahrzehnten den Patienten ein gottesdienstliches Angebot in der Rheumaklinik. Ähnlich bemühten sich die Katholi­sche Kirchengemeinde und weitere Bramstedter Glaubensrichtungen.

Zur Sorgfalt der Stadtväter um die Einwohner ge­hört auch eine gute schulische Versorgung. Bad Bramstedt geht der Ruf voraus, auch für das große Umland ein gut ausgerüsteter schulischer Mittel­punkt zu sein. Der Jugend werden hervorragende Schulmöglichkeiten geboten: zwei Grundschulen, eine Hauptschule, je eine Sonderschule L und G, eine Realschule, ein Gymnasium (Jürgen-Fuhlendorf-Schule). Im vergangenen Jahrzehnt erfolgten viele Schulneubauten oder grundlegende Umbauten. Der mit dem Amt Bad Bramstedt-Land bestehende Schulverband hat sich in jeder Weise bewährt.

Die Maria-Magdalenen-Kirche zu Bad Bramstedt. 1316 erstmals urkundlich erwähnt. Die Kirche ist heute noch ein bedeutender geistlicher Mittelpunkt für ein großes Einzugsgebiet.

Die Maria-Magdalenen-Kirche zu Bad Bramstedt. 1316 erstmals urkundlich erwähnt. Die Kirche ist heute noch ein bedeutender geistlicher Mittelpunkt für ein großes Einzugsgebiet.

Jugend und Sport haben ein weites Feld für Sport- und Freizeit durch ein umfangreiches Angebot: Ju­gendzentrum, Sport- und Turnhallen, Sportplätze, modernes Warmwasserfreibad, Reithallen, Schieß­stände, Tennis, Golf, Angeln. Es gibt in Bad Bram­stedt, außer dem großen Wassersport, wohl kaum ei­ne Sportart, die nicht ausgeübt werden kann. Run­den wir den Katalog von Antworten zur Frage „Was macht Bad Bramstedt eigentlich so liebenswert?“ ab. Da werden Bramstedter Neubürger beim Einleben in die Rolandstadt durch das reichgegliederte Vereinsleben fasziniert. Es gibt für jeden Gesch­mackund für jeden Geldbeutel etwas, um sich schnell zu integrieren: Jedermann ist in Bad Bramstedt willkommen.
Das Bild Bad Bramstedts wäre ohne den Standort des Bundesgrenzschutzes unvollkommen und ent­behrte einer wichtigen Note. Das Grenzschutzkom­mando Küste und die Grenzschutzverwaltung Küste haben hier seit 1964 ihren Sitz. Der damalige Bürger­meister Heinrich GEBHARDT war es, der das Bun­desinnenministerium in jahrelangen Verhandlungen davon überzeugte, das schöne Bad Bramstedt als BGS-Standort zu wählen. Seit 17 Jahren bestehen zwischen dem BGS und der Bramstedter Bevölke­rung sehr gute partnerschaftliche Bande.

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Heinz WEDDE
Bürgermeister der Stadt Bad Bramstedt

Im Ziel verbunden: Den Kranken zu dienen

50 Jahre Zusammenarbeit von Stadt Bad Bramstedt und Rheumaklinik

Partner der Rheumaheilstätte/Rheumaklinik ist die Stadt Bad Bramstedt seit über 50 Jahren. Diese Partnerschaft hat sich in jeder Weise bewährt, was an den Erfolgen der Rheumaklinik abzulesen ist. Bei der Interessenabgrenzung waren allerdings die Wün­sche innerhalb der Partnerschaft mitunter sehr un­terschiedlich.

Beim Start der Rheumaheilstätte gab die Stadt 1929/1931 wertvolle Hilfen, die den Bau überhaupt erst ermöglichten. Eingebracht wurden in die Gesell­schaft mit 15 Hektar das erforderliche Gelände. Der Wert dieser Starthilfe hat sich im Verlauf eines halben Jahrhunderts vervielfacht. Es handelte sich um das Kernstück des „Kaiser-Wilhelm-Waldes“ (Stadt­wald), das der Rheumaheilstätte mit den darauf be­findlichen Holzbeständen zum Eigentum überlassen wurde. Der Wert des Grundstücks wurde auf 60 000 RM festgesetzt. Zum Stammkapital der Rheuma­heilstätte GmbH von 100 000 RM leistete die Stadt eine Stammeinlage von 10 000 RM, mithin zehn Pro­zent.

Die weiteren 50 000 RM aus dem überlassenen Grundvermögen wurden in einer unverzinslichen Goldmark-Darlehns-Hypothek mit der Maßgabe an­gelegt, daß sie während des Bestehens der Gesell­schaft unkündbar ist.

Damit gewährte die Stadt der Rheumaheilstätte eine unkündbare Dauersubvention. Das war eine Entscheidung, die sich nach heutiger Sicht zumin­dest aus finanzwirtschaftlichen Erwägungen als falsch erweisen sollte: Der Grund und Boden war 1929/1931 fast geschenkt. Von der großen Mitgift der 50 000 RM-Hypothek weiß im übrigen die große Öf­fentlichkeit in Bad Bramstedt kaum noch etwas.

Ein Studium der Protokolle der Bad Bramstedter Stadtverordnetenversammlung lehrt, daß sich die Stadtväter in den Jahren 1928/1931 die Entscheidun­gen über die Rheumaheilstätte nicht leicht werden ließen. Alle Sitzungen waren vertraulich, ähnlich wie in den Jahren 1962/1964, als es darum ging, Bad Bramstedt Standort des Bundesgrenzschutzes wer­den zu lassen.

Ganz Bad Bramstedt nahm an dem großen Bau der Rheumakeilstätte 1930 teil. Ein so gewaltiges Vorhaben war in der Rolandstadt noch nie verwirklicht worden. 2,7 Millionen Steine wurden für den Bau benötigt, teilten die „Bramstedter Nachrichten" mit, 134 Meter betrug die Ge­samttiefe des Bauwerks

Ganz Bad Bramstedt nahm an dem großen Bau der Rheumaheilstätte 1930 teil. Ein so gewaltiges Vorhaben war in der Rolandstadt noch nie verwirklicht worden. 2,7 Millionen Steine wurden für den Bau benötigt, teilten die „Bramstedter Nachrichten“ mit, 134 Meter betrug die Ge­samttiefe des Bauwerks

Aus den Verhandlungen der Stadt vom Frühjahr 1929 wegen der Gründung der Rheumaheilstätte GmbH ist zu entnehmen, daß die Stadt damals im Interesse der Sache auf eine grundbuchliche Eintra­gung der Hypothek von 50 000 RM verzichtete.

Rund 20 Jahre später verschlechterte sich die Stel­lung der Stadt als Gesellschafter nach der Währungs­reform von 1948 wesentlich. Bedingt durch die sehr geringe Eigenkapitalausstattung und wegen der not­wendigen Verstärkung der Betriebsmittel kam es in den 50er Jahren nach langwierigen Verhandlungen der Gesellschafter zu einer Erhöhung des Stammka­pitals von 100 000 DM auf zunächst 300 000 DM und später auf 400 000 DM.

Diese Aufstockung brachte der Stadt nach der gro­ßen Starthilfe nunmehr harte, zusätzliche Belastun­gen. Beim Währungsschnitt von 1948 erwies sich die Grunderwerbsregelung von 1929 als sehr nachteilig. Die Stadt hatte mit ihrem Grundvermögen 60 000 RM (40 Prozent) in die Gesellschaft eingebracht, während die übrigen Gesellschafter 90 000 RM in Geldbeträgen (60 Prozent) zahlten.

Durch die Währungsreform wurde die städtische Hypothek von 50 000 RM auf ein Zehntel, 5 000 DM, dezimiert. Die baren Beteiligungen des Stammkapi­tals blieben dagegen unverändert. In Wahrung der Interessen der Bürger protestierte der damals amtie­rende Bürgermeister gegen diese Umstellung des Stammkapitals – leider vergeblich. Im jetzt gülti­gen Gesellschaftsvertrag wird das von der Stadt 1929 eingebrachte Grundvermögen mit lediglich 15 000 DM ausgewiesen. Das sind nur 3,75 Prozent des Stammkapitals. Die Höhe des städtischen An­teils wird weder den tatsächlichen Gegebenheiten der Gründung gerecht, noch entspricht sie den heuti­gen Wertvorstellungen über das Grundvermögen. Um wenigstens einen Anteil von 7,5 Prozent des Stammkapitals zu besitzen, überließ die Stadt der Rheumaheilstätte ein drei Hektar großes Waldstück „Am Wittrehm“ mit einem 50jährigen Kiefern- und Fichtenbestand. Der Anteil der Stadt erhöhte sich in der Gesellschaft auf 30 000 DM.

Monopolstellung der Rheumaheilstätte

Bereits vor dem Bau der neuen Rheumaheilstätte verlangten die Sozialversicherer für den Standort Zusicherungen und Garantien. Aufgrund eines An­trags der Vereinigung von Krankenkassen Groß Hamburgs e.V. vom 17. Dezember 1928 verpflichtete sich die Stadt, „auf dem jetzigen städtischen Grund­stück beim Neuen Kurhaus (Stadtwald) weder selbst Erholungsheime und Gaststätten zu bauen noch de­ren Bau die Zustimmung zu geben“.
Damit wurde der gesamte Stadtwald zur aus­schließlichen Benutzung der Kurgäste kostenlos zur Verfügung gestellt. Ausgeschlossen waren dadurch sämtliche Engagements der Stadt. Die Monopolstel­lung der Rheumaheilstätte blieb auch gegenüber ei­ner möglichen Reaktivierung des „Alten Kurhauses“ – einst von Matthias HEESCH gegrün­det – in jeder Weise gewahrt. Hier hätte sich nach 1933 für das Neue Kurhaus eine Konkurrenz ent­wickeln können. Den beiden Hamburger Unterneh­mern KULLACK und WEINBERG gelang es aller­dings nicht, im Alten Kurhaus den Badebetrieb fort­zuführen.

Mit der Unterstützung der Rheumaheilstätte kauf­te die Stadt 1934/35 die Liegenschaft „Altes Kur­haus“, um „die dort befindlichen Solequellen nicht in Privathand gelangen und damit eine Konkurrenz entstehen zu lassen“. Einige Jahre später übernahm die Rheumaheilstätte von der Stadt das alte Kur­haus.

Heute – 1981 – wird ein Teil der alten Badeanla­gen für die Unterbringung von Personal der Rheu­maklinik verwendet. Städtischer Grundbesitz sind die Flächen des ehemaligen Rügerparks und des Waldbades. Rheumaklinik und Stadt bemühen sich gemeinsam darum, hier rings um den alten Schwa­nenteich eine Parklandschaft entstehen zu lassen.

Eine großzügige Anbindung der Rheumaheilstätte von der Stadtseite aus ist leider unterblieben. So schlängelt sich noch heute der Verkehr durch das „Nadelöhr“ der Hambrücke über die AKN hinweg zu den Kuranlagen. Wie ganz anders wurde dieses Problem in anderen Bädern gelöst.

Die nahezu fertige Rheumaheilstätte, die im Herbst 1930 vollendet war . Der erste Patient wurde am 1. Februar 1931 aufgenommen.

Die nahezu fertige Rheumaheilstätte, die im Herbst 1930 vollendet war . Der erste Patient wurde am 1. Februar 1931 aufgenommen.

Nach ihrem Vermögen hat die Stadt allerdings 1930 für den Ausbau der jetzigen Oskar-Alexander-Straße in sechs Meter Breite einen Zuschuß von 10 000 RM geleistet und dafür eine Anleihe aufge­nommen.

Einige Monate zuvor hatte die Stadtverordneten­versammlung einem Stromlieferungsvertrag des städtischen Elektrizitätswerkes mit der Rheuma­heilstätte zugestimmt. Es wurden Ausnahmetarife gewährt.

Ein guter Steuerträger ging für immer verloren

Auch in einer partnerschaftlichen Zusammenar­beit, die durch wechselseitige Beziehungen bedingt ist, bleibt es nicht aus, daß Interessenkollisionen auftreten. Jeder Partner hat in derartigen Situatio­nen darauf bedacht zu sein, daß seine berechtigten Anliegen gewahrt bleiben, ohne allerdings die Part­nerschaft zu gefährden. Im Miteinander von Rheu­maheilstätte und Stadt trat ein Interessenkonflikt auf, als die Rheumaheilstätte als Krankenhaus die Gemeinnützigkeit und damit die Steuerfreiheit er­hielt. Der Steuerausfall von jährlich 15 000 Mark brachte den Stadthaushalt von 270 000 RM im Jahre 1938 bedenklich ins Wanken. Ein „guter Steuerträ­ger“, so 1939 der damalige Bürgermeister, war für immer verloren. Die Zeche hatten die Bürger zu zah­len, erhöht wurden die Bürgersteuer und die Grund­steuer.

Die Rheumaheilstätte hatte natürlich in Sachen Steuern ihren Part in jeder Weise zu wahren. Berech­tigte Interessen lagen vor, als sie den Antrag auf Ge­währung der Gemeinnützigkeit stellte und ihr die Steuerfreiheit aufgrund der gesetzlichen Gegeben­heiten gewährt wurde.

Die Einsparung von 15 000 Mark Steuern bildete den Grundstock für den Bau eines Angestelltenhau­ses der „Rheuma“ und damit einen neuen Zankapfel mit der Stadt. Die noch in der Stadt wohnenden Angestellten der „Rheuma“ wurden zum Schaden der Stadt aus den Pensionen abgezogen. Der Bürgermei­ster sprach damals von nachteiligen Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben der Stadt. Sein Antrag auf Erhöhung der Kurtaxe zum Ausgleich für die Steuer­verluste wurde vom Oberpräsidenten nur zu einem kleinen Teil genehmigt.

Heute sollte man das Thema Steuerfreiheit der Rheumaklinik getrost in der Schublade versenken. Es ist eine gesetzliche Realität. An Auseinanderset­zungen über das „liebe Geld“ sind schon Ehen und Freundschaften gescheitert. An endlosen Streitig­keiten ist der Bürger, der Hauptbeteiligte, wahrhaf­tig nicht interessiert.

Matthias Heesch - Begründer des Solbades Bramstedt. Er leitete 1879 die entscheidende, vierte Phase für den Kurort ein.

Matthias Heesch – Begründer des Solbades Bramstedt. Er leitete 1879 die entscheidende, vierte Phase für den Kurort ein.

Blenden wir nochmals auf 1931, das Eröffnungs­jahr des Neuen Kurhauses, zurück. In einer Ver­sammlung des Bramstedter Fremdenverkehrsver­eins trafen sich im März 1931 viele Bramstedter Bür­ger. In einem Bericht der „Bramstedter Nachrich­ten“ heißt es darüber: „Es sind schlechte Zeiten, das weiß jeder. Unserer Stadt ist durch das Geschenk der Rheumaheilstätte die Möglichkeit gegeben, die wirtschaftliche Lage wesentlich zu verbessern . . . Möge jeder bedenken, daß wir hier in Bramstedt vor dem Anfang einer neuen Entwicklung stehen und daß es auf jeden ankommt, ob wir die uns gebotenen Aussichten ausnutzen wollen oder nicht. Wenn wir jetzt nicht anpacken, dann geht uns vieles verloren, vielleicht alles.“

Einen Tag später wird in den „Bramstedter Nach­richten“ über einen Fremdenverkehrs-Vortrag von Bürgermeister ERLENBACH berichtet. Für die Fremdenverkehrswerbung müsse das erforderliche Geld durch den Zusammenschluß aller Bürger aufge­bracht werden. „Nicht alle Fremden suchen gern ein großes Kurhaus auf, mancher wohnt lieber privat. Die Fremden werden unsere Gasthäuser, unsere Pensionen aufsuchen, bei Zimmervermietern an­klopfen. Der Fremdenverkehr bringt unter Umstän­den mehr als die Industrie.“ „Unsere Nachkommen sollen uns einmal loben als einsichtige Menschen, die mit scharfem Blick erkannt haben, was für das Wohl der Stadt dienlich ist“, erklärte der Bürgermeister vor dem Fremdenverkehrsverein.

Das Wohl der Stadt, von der die Rede war, schloß 1931 ebenso wie in den nachfolgenden 50 Jahren ei­nen kommunalen Kurbadbetrieb aus. Die Stadt hat­te eine Fülle von Aufgaben zu bewältigen, die eine Übernahme von Aufgaben auf dem Kurbad-Sektor unmöglich machten. Die Stadt hätte sich sonst in ein finanzielles Abenteuer gestürzt. Das Sozialbad war seit 1925 vorhanden. Dank des Geschickes des Wirt­schaftsdirektors Oskar ALEXANDER wurden nach dem Start der Rheumaheilstätte 1931 große wirt­schaftliche Schwierigkeiten überwunden und durch­gestanden.

Das alte Kurhaus - ein wert­volles Bild aus dem Bad Bramstedter Stadtarchiv

Das alte Kurhaus – ein wert­volles Bild aus dem Bad Bramstedter Stadtarchiv

Auch bei der vierten Blüteperiode brauchte 1879 die Stadt nicht Pate zu stehen – 1681, 1761 und 1810 waren vorausgegangen. In der sogenannten Gründerzeit war es der privaten Initiative und dem Weit­blick von Matthias HEESCH zu verdanken, daß er den Grundstock für die moderne Heilbadentwick­lung in Bramstedt legte. Sie hat heute noch nach 100 Jahren Bestand. HEESCH vollzog auch die Umkehr von der Trink- zur Badekur. Nach seinem Tode im Jahr 1887 führten seine Kinder den Betrieb erfolg­reich weiter und errichteten 1905 am Dahlkamp ein größeres Logierhaus. Behnkes Solbad kam 1911 als weiteres Unternehmen hinzu.

Inzwischen wurden Bramstedt 1910 die Stadtrech­te verliehen, doch um den wichtigen Zusatz „Bad“ gab es Streitigkeiten. Sie wurden ausgerechnet vom Fleckensverordnetenkollegium ausgelöst. Zweimal lehnt es den Antrag der Altona-Kaltenkirchener Ei­senbahn ab, die Station in Bad Bramstedt umzube­nennen. Viele Güter waren irrtümlich nach Barmstedt geleitet worden. Als die Königliche Oberpost­direktion Kiel einen gleichlautenden Antrag stellte, kapitulierte das Fleckenverordnetenkollegium. Am 11. März1910 ist durch allerhöchsten Regierungser­laß die offizielle Ortsbezeichnung „Bad Bramstedt“ endlich perfekt.

Werbung für das Matthiasbad vor dem 1. Weltkrieg mit Pensionspreisen von 4 Mark bis 4.50 Mark

Werbung für das Matthiasbad vor dem 1. Weltkrieg mit Pensionspreisen von 4 Mark bis 4.50 Mark

Die Wallfahrt zum rechten Heilbrunnen

Ein Engagement des Fleckens Bramstedt für eine Nutzung der Heilquellen ist während der drei Entdeckungs- und Wiederentdeckungsperioden der Jah­re 1681, 1761 und 1810 nur für den letzten Abschnitt urkundlich belegt. Viel größer und weitgehender ist dafür der Einsatz des Staates, des dänischen Königs und seines Beamtenstabes.

Pumpe auf der Brunnenwie­se. Gastwirt Heinrich Fick ließ 1911 hier einen Brunnen bohren. Das gewonnene Was­ser fand als „Roland-Sprudel" starken Absatz

Pumpe auf der Brunnenwie­se. Gastwirt Heinrich Fick ließ 1911 hier einen Brunnen bohren. Das gewonnene Was­ser fand als „Roland-Sprudel“ starken Absatz

Die älteste Nachricht über die Entdeckung des Ge­sundbrunnens in der östlichen Feldmark des z.Fleckens Bramstedt im Jahre 1681 stammt vom Kö­niglichen Propst des Amtes Segeberg, Dr. Christian v. STOECKEN in seiner Schrift ,,Gründliche Nach­richten wegen des Gesundbrunnens zu Bramstedt“. Mundpropaganda sorgte dafür, daß die Kunde von der Wunderheilung des Schweinehirten Gerd GIESLER und weiterer Heilungssuchender weithin im Holsteinischen, in Hamburg und darüber hinaus be­kannt wurde.

Ein Unterkunftsproblem tauchte auf. Tausende waren im Flecken Bramstedt und den umliegenden Dörfern nicht unterzubringen. Für Quartier und Proviant blieb manche Mark im Flecken hängen, doch für die Masse wurden Zelte und Hütten rings um die Entdeckungsquelle errichtet. Als Propst v. STOECKEN seine berühmt gewordene Brunnenpre­digt hielt, waren 3 000 Menschen von ihr fasziniert.

Von spektakulären Heilerfolgen berichtet eine zweite Schrift des Pröpsten: „Geistliche Wallfahrt zum rechten Heilbrunnen“. Der Chronik der Maria-Magdalenen-Kirche ist zu entnehmen, daß über 800 Menschen durch das heilende Wasser gesund wur­den. Doch plötzlich ist die Quelle von 1681 verges­sen.

Eine neue Wallfahrt zur Quelle begann ebenso plötzlich im März 1761. Aktiv wird darauf sofort der damalige Amtmann zu Segeberg, Conferenz- und Landrat von ARNOLD. Er berichtet dem Staatsmi­nister v. BERNSTORFF nach Kopenhagen über den neuen Zulauf zur Quelle: „Es ist die Anzahl der Brunnengäste dergestalt angewachsen, daß hier im Flecken und in den nahe herumliegenden Dörfern für deren Bequemlichkeit kaum Platz vorhanden ist.“

Der Flecken und später die Stadt Bad Bramstedt ha­ben sich im Verlauf von drei Jahrhunderten immer um die Lösung der Quartierfrage für viele Gäste kümmern müssen. Sie wurde vor allem in der vierten Blütezeit ge­löst. Im gastfreundlichen Bad Bramstedt fanden viele nicht nur Aufnahme, sondern vor allem „Bequemlichkeit“. Dabei blieb natürlich so manche Mark in der Kasse der Quartierswirte.

Aktivitäten des Staates

Nach der Wiederentdeckung der Quelle im Jahr 1761 war der Staat, vertreten durch den königlichen Amtmann v. ARNOLD, schnell zur Stelle, um für Ordnung rund um den Brunnen, von Hunderten, mitunter Tausenden aufgesucht, zu sorgen. Plaka­tiert wurde eine Fünf-Punkte-Verordnung. Allein der Brunnenmeister darf das Heilwasser schöpfen. An der Quelle ist bereits ein Gebäude aufgerichtet worden. „Keiner soll sich auf eine umgestüme Art bey dem Brunnen betragen und Zänkereyen anfan­gen.“

Um die Rechte der königlichen Autorität, die sich laufend über die Wunderheilungen unterrichten ließ, zu sichern, wurde eine Wache von neun Mann und drei Unteroffizieren am Brunnen aufgestellt. Sie hatte sich täglich abzulösen.

Sicher ist das Leben im Flecken Bramstedt wäh­rend der Entdeckungsperioden der Heilquellen durch den starken Zustrom der Gäste beeinflußt worden. Sehr hohe Spenden wurden im Armenstock der Kirchengemeinde in der Nähe der Quelle verein­nahmt. In drei Monaten sind nach Heilerfolgen spon­tan 2 022 Mark und acht Schillinge für die Armen ge­stiftet worden. Das war damals eine gewaltige Sum­me. Allerdings mußte der Armenstock auch dazu herhalten, für 461 Mark und acht Schillinge ein höl­zernes Brunnenhaus und ein Wachhaus zu errichten.

Der Staat hat durch die königlichen Beamten alles versucht, um den Massenansturm in geregelte Bah­nen zu bekommen. Unbekannt ist, warum der Zu­strom fast über Nacht fünf Monate nach der Wiederentdeckung völlig abriß. Erneut geriet der heilkräf­tige Gesundbrunnen für fast 50 Jahre in Vergessen­heit.

Aus der Sicht unserer Tage ist das große Engage­ment des Staates in der zweiten Entdeckungsperiode hervorzuheben. Der Staat hatte das Sagen und nicht die Männer des Bramstedter Fleckenskollegiums. Auch in der nächsten Periode, die 1810 beginnt, wird die königliche Regierung aktiv, um etwas für die „Vision eines Staatsbades Bramstedt“ zu tun. Eingefaßt wurden die Quellen, nachdem einige zusätzliche entdeckt worden waren, auf königliche Kosten. Die Quellen erhielten hölzerne Dächer, Wälle grenzten sie deutlich von der Umgebung ab. In der Nähe des alten Gesundbrunnens sollen zwei Badehäuser, mit je einer großen Badewanne, errichtet worden sein.

Kunst am Bau bereits im Jahr 1810

Der Flecken ist wach geworden. Es kommt 1810 zu einer spektakulären Petition dreier Bramstedter Ratsmänner an den Landesherrn, den dänischen Kö­nig Friedrich VI. Anton SCHMIDT, Hans LAHRSEN und Hinrich STECKMEST haben die Zeichen der Zeit verstanden und bitten am 17. April 1810 den König, am Bramstedter Gesundbrunnen die nötigen Einrichtungen für die Bequemlichkeit der Kranken zu schaffen: „Die Kranken haben noch keine Be­quemlichkeiten beim Gebrauch des Brunnens und der Bäder.“

Diese Petition kreuzte sich mit einem Privilegium des Königs an den Fleckenseingesessenen Johann HÜBNER, dem auf Antrag gestattet wurde, Brun­nengebäude zu errichten. Im Privilegium wird sogar der Gedanke von „Kunst am Bau“ laut. HÜBNER darf „Künstler, Kunstsachverständige und andere Arbeiter zum Bau der Gebäude nach eigenem Gut­dünken nehmen“. Zoll- und Abgabenfreiheit wurden gewährt. Doch zum Bau der vom König genehmigten Gebäude ist es nicht gekommen. Das Privilegium er­losch, falls von ihm nicht innerhalb von zwei Jahren Gebrauch gemacht wurde.

Oftmals wird aus früheren Zeiten und um 1810 da­von berichtet, daß zahlreiche Brunnengäste im Frei­en nächtigen mußten. Der Flecken konnte Hunderte und Tausende einfach nicht zusätzlich fassen, denn Bramstedt hatte um 1810 etwa 1 000 Einwohner. Für die Jahrhundertmitte – etwa um 1855 – werden Ackerbau, die bürgerlichen Gewerbe und die Gast­wirtschaften als die Haupterwerbszweige der Bram­stedter Fleckensbewohner bezeichnet. „Verdursten“ brauchte niemand, denn es gab im Flecken bei 1 800 Einwohnern immerhin 40 Gasthäuser und Schenken sowie sechs Brenner und Brauer.

Zur Frage der Quartiere, die für den Ruf der Heil­bäder stets eine eminente Bedeutung haben, sei ein Sprung um 70 Jahre von 1855 auf 1925 erlaubt. Ein damals von Direktor Oskar ALEXANDER herausgegebener Werbeprospekt nennt für das (alte) Kur­haus, zu dem damals die beiden Bäder vereinigt wa­ren, die Zahl von 140 Betten. Sie kommen „den be­sten Privatbetten an Güte und Bequemlichkeit gleich. Seit den letzten Jahren hat das Kurhaus ei­nen ausgesprochenen Sanatoriumscharakter“. Stolz ist man auf die Zahl von vier Ärzten – in den Jahren 1925/26. Jetzt – 1981 – sind in der Rheumaklinik 38 Ärzte tätig.

Im Prospekt heißt es weiter: „In den letzten Jah­ren steht das alte Kurhaus zwar vorwiegend den Krankenkassen zur Verfügung, jedoch werden, so­weit Platz vorhanden ist, Privatgäste aufgenom­men. Diese finden außerdem in dem nur wenige Mi­nuten entfernten Städtchen in einer Reihe guter Pen­sionen bei sehr mäßigen Preisen vorzügliche Unter­kunft.“ Soweit der Prospekt, der sich in erster Linie an die Hamburger wendet.

Für „Das moderne Rheuma- und Frauenbad seit 1681" warb am Hamburger Haupt­bahnhof um 1930 ein Ver­kehrspavillon. Die Werbung war erfolgreich, denn viele Hamburger kamen als Kur­gäste nach Bad Bramstedt

Für „Das moderne Rheuma- und Frauenbad seit 1681″ warb am Hamburger Haupt­bahnhof um 1930 ein Ver­kehrspavillon. Die Werbung war erfolgreich, denn viele Hamburger kamen als Kur­gäste nach Bad Bramstedt

Bad Bramstedt – das ist auch in der damals beson­ders aktiven Werbung ,,Das Bad vor den Toren Ham­burgs“. In der Hansestadt wurde 1930 ein großer Werbekiosk ausschließlich für Bad Bramstedt eröffnet. Er warb für „Das moderne Rheuma- und Frau­enbad seit 1681″. Die Kaltenkirchener Bahn gab Ba­defahrkarten mit 50 Prozent Ermäßigung aus, wobei ein Solbad frei war. Außer zu Tagesaufenthalten nutzten die Hamburger auch Wochenendkarten zu einem längeren Verweilen in Bad Bramstedt.

Für die Sache der Rheumaheilstätte warben kurz vor dem Zweiten Weltkrieg Chefarzt Dr. med. R. PAULUS und seine Abteilungsärzte. Sie suchten mehrfach im norddeutschen Raum Ärzte auf, um sie über die Möglichkeiten bei der Bekämpfung rheu­matischer Leiden in Bad Bramstedt zu unterrichten. Aufgrund dieser Aktionen wurden viele Patien­ten zusätzlich in die Rheumaheilstätte eingewiesen. Ärzteinformationen erfolgten auch in der Klinik selbst.

Nach einem Vortrag vor norwegischen Ärzten im Osloer Reichshospital besuchte Chefarzt Dr. PAULUS in Skandinavien einflußreiche Mediziner. Die­se Imagepflege der Rheumaheilstätte zahlte sich 1938 aus: Die Rheumaheilstätte hatte in diesem Jahr 203 Patienten aus Dänemark, Norwegen und Schwe­den.

Im Anhang ist die Fremdenverkehrsstatistik 1938 veröffentlicht: Patienten kamen aus allen deutschen Ländern und Provinzen nach Bad Bramstedt, mit Schwerpunkt natürlich aus Hamburg und Schles­wig-Holstein. Die Tabelle zeigt auch die Beliebtheit vieler Privatpensionen, deren Gäste zum Teil sechs Wochen lang in der Pension wohnten.

390 000 Patienten

Sehr eindrucksvoll ist die Aufstellung über die Be­legung der Rheumaheilstätte/ Rheumaklinik in den Jahren 1931 bis 1980 (siehe Anhang). Insgesamt wur­den im genannten Zeitraum 385 968 Patienten ge­zählt. Darunter befinden sich 329 043 Versicherte, 40 156 Privatpatienten und aus der Zeit des Reserve­lazarettes der Wehrmacht (1939/1946) 16 769 Solda­ten. Wird das Jahr 1981 mit acht Monaten berück­sichtigt, dann haben in der Rheumaklinik in 50 Jah­ren über 390 000 Patienten Aufnahme gefunden.

In der Vorkriegszeit erlebte die Rheumaheilstätte nach Überwindung von Anlaufschwierigkeiten ab 1935 einen steilen Aufstieg. Er wirkte sich auf die ganze Stadt aus. Die Werbung, Vorreiter war der Fremdenverkehrsverein, wurde durch Erfolge be­lohnt.

Zwischen dem Kurhaus, der Stadt und den Ver­mietern kommt es in den folgenden Jahren zu einer intensiven, zugleich erfreulichen Zusammenarbeit. Schon 1936 werden Pauschalkuren mit Pensionen in der Stadt den Gästen angeboten. Sie umfassen 28 Ta­ge Vollpension, entweder mit oder ohne Moorbäder, einschließlich ärztlicher Behandlung durch die Ärzte des Kurhauses. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges reißt die Entwicklung jäh ab, die Rheumaheilstätte wird Reservelazarett.

Vierzehn Jahre sollte es dauern bis ab 1. April 1953 die Rheumaheilstätte wieder vollständig der Be­handlung Rheumakranker dienen konnte. Die Auf­lösung der Inneren und Chirurgischen Abteilung un­ter dem Leitendem Arzt Dr. ZEHRER löste in der Bramstedter Bevölkerung einen schweren Schock aus. Bad Bramstedt hatte plötzlich kein allgemeines Krankenhaus mehr. Neubau eines Krankenhauses in Bad Bramstedt oder Ausbau des Kaltenkirchener Vereinskrankenhauses? – diese Frage bewegte mo­natelang die Kreispolitiker. Die „Krankenhaus­schlacht“ erreichte 1953 im alten Segeberger Kur­haussaal ihren Höhepunkt. Zum Entsetzen der Bramstedter Vertreter gab der Kreistag in einer Kampfabstimmung Kaltenkirchen den Vorzug. Bad Bramstedt mobilisierte darauf alle Reserven, um wenigstens am Schlüskamp ein kleines Kranken­haus zu erhalten.

Im Bramstedter Schloß kann vieles bewundert werden. Die Aufnahme wurde aller­dings bereits vor rund 100 Jahren gemacht.

Im Bramstedter Schloß kann vieles bewundert werden. Die Aufnahme wurde aller­dings bereits vor rund 100 Jahren gemacht.

In der Rheumaheilstätte ging es jedenfalls auf­wärts (siehe Anhang). 1958 wird die Schwelle von 10 000 Aufnahmen überschritten. Für Bad Bram­stedt werden bald 400 000 Übernachtungen im Jahr und mehr registriert, nur die Kurkrise der Jahre 1977/78 bringt einen vorübergehenden Abschwung.

Schleswig-Holstein ist in der Bundesrepublik das führende Fremdenverkehrsland. Zu seinen etwas ru­higeren Fremdenverkehrsorten zählt Bad Bram­stedt. Es ist kein „Übernachtungsmillionär“, nimmt aber unter den Heilbädern und Kurorten des Binnenlandes eine führende Rolle ein. Seine Spitzen­stellung liegt in der hohen Bettenauslastung mit durchschnittlich 235 Tagen im Jahr begründet. Die jahreszeitliche Unabhängigkeit bedeutet für alle Fremdenverkehrsbetriebe des Sol- und Moorbades Bramstedt einen Idealzustand.

Mit einem Angebot von 1 670 Betten liegt Bad Bramstedt unter 138 deutschen Heilbädern im Mit­telfeld. Davon entfallen allein auf die Rheumaklinik 605 Betten. Die Klinik hat in der Stadt außerdem 240 Betten ständig belegt. Für Tagungen stehen 260 Bet­ten bereit. Die restlichen 565 Betten, davon 212 in Privatquartieren, stehen dem allgemeinen Frem­denverkehr zur Verfügung.

Das Gastgewerbe stellt in Bad Bramstedt einen beachtlichen Teil der Arbeitsplätze und ist damit ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Bad Bramstedt ist weithin bekannt für das hohe Niveau der Gastrono­mie, für ein vielseitiges und preiswertes Angebot. Verfünffacht wurde in vergangenen 20 Jahren das Angebot von Hotelbet­ten; Pensionen und Pri­vatvermieter standen mit Investitionen nicht nach. Ölkrise und der Rückgang der Kuren in den 70er Jahren brach­ten Rückschläge, führ­ten aber in Sicht auf eine Qualitätssteigerung zu einer gewissen Auslese. Heute sind gute Privat­zimmer inzwischen wie­der Mangelware gewor­den. Ungeachtet von Abschwüngen sind Privat­vermieter immer wieder das Risiko eingegangen, ihre Wohn- und Übernach­tungsmöglichkeiten unter einem hohen Kostenauf­wand zu verbessern. Sie tragen zum hohen Niveau des Bramstedter Fremdenverkehrsgewerbes bei.

Vorstellung im Kurhaus­theater, das über 400 Plätze hat, die so eingerichtet sind, daß auch Behinderte das Theater besuchen können. Stadt Bad Bramstedt und Rheumaklinik bieten ge­meinsam den Kurgästen ein umfangreiches Veranstal­tungsprogramm an

Vorstellung im Kurhaus­theater, das über 400 Plätze hat, die so eingerichtet sind, daß auch Behinderte das Theater besuchen können. Stadt Bad Bramstedt und Rheumaklinik bieten ge­meinsam den Kurgästen ein umfangreiches Veranstal­tungsprogramm an

Bad Bramstedt gehört zweifellos zu den bedeuten­den deutschen Rheumabädern, vor allem wegen der großartigen medizinischen Leistungen der Rheuma­klinik. Als Schwerpunktklinik steht sie an der Spit­ze ähnlicher Einrichtungen in der Bundesrepublik. Rheumaforschung wird außer in Bad Bramstedt nur in den Rheumakliniken von Aachen und an Univer­sitäten betrieben. Diese Faktoren führten dazu, daß die Rheumaklinik Bad Bramstedt oft als „größte deutsche Rheumaklinik“ bezeichnet wird.

Aus der Sicht des Bürgermeisters der Stadt Bad Bramstedt und zugleich des Gesellschafters der Rheumaklinik meine ich nach reiflicher Überle­gung, es war ein kluger Schritt, die Verantwortung für die Wirtschaftlichkeit der Rheumaheilstätte nicht von den Hauptnutzem – den Sozialversicherern – zu trennen. Bad Bramstedt hat in der Ge­samtheit seines Fremdenverkehrs die Kurkrisen auch deswegen so gut durchgestanden, weil die Lan­desversicherungsanstalten und die Krankenkassen ihre Belegung in der Flaute nicht so stark zurück­nahmen. Sie dachten dabei auch an die Wirtschaft­lichkeit der Klinik. Andere Kurorte hatten die Rezession viel schwerer zu ertragen. Auf viele Betten wurde dort einfach verzichtet.

Die Versorgung mit Sole gehört zu den Verpflich­tungen der Stadt gegenüber der Rheumaklinik. Ge­nutzt wird allerdings noch heute, seit 1929, die eige­ne Moorsolequelle der Klinik aus 54 Meter Tiefe. Mit Erfolg wurde die bisher letzte Bohrung nach Sole von der Stadt 1977 am Raaberg niedergebracht. Die Sole mit 23 Prozent Salzgehalt wird per Pipeline zur Klinik gepumpt, um dort – wesentlich verdünnt – in den Bädern genutzt zu werden.

Lange bestand für die Klinik eine eigene Wasser­versorgung. Seit 1980 besorgt das die Stadt, die umfangreiche Erweiterungen am Wasserwerk vor­nahm.

Ohne ausdrückliche Verpflichtung warben Stadt und Fremdenverkehrsverein um Gäste. Neue Moti­vationen ließen 1981 den Bürger- und Verkehrsver­ein Bad Bramstedt aktiv werden, um den Fremden­verkehr durch eine Zusammenarbeit mit den Medien zu mobilisieren. Für Werbungsmaßnahmen gibt die Stadt im Jahr 25000 bis 30000 DM aus. Die Stadt ist Mitglied des Deutschen Bäderverbandes, der in der Hauptsache Werbeträger der Bäderwirtschaft ist.

Das Bad mit einer 300jährigen Heilquellentradi­tion ist vom Sozialminister des Landes offiziell am 28. September 1977 als Heilbad anerkannt worden. Das hatte wegen der Kurtaxe nur abgabenrechtliche Gesichtspunkte. Der Satz der Kurtaxe von zehn DM pro Person und Jahr ist sehr niedrig, außerdem wird den Sozialversicherungen eine Ermäßigung von 25 Prozent gewährt. Die vergleichsweise niedrige Kur­taxe ist natürlich für die Rheumaklinik ein günsti­ger Wettbewerbsfaktor. Allerdings unterhält die Rheumaklinik einen beträchtlichen Teil der Kurein­richtungen selber; sie liegen sonst oft in kommunaler Hand.

Das Kurtaxaufkommen der Stadt beträgt jährlich etwa 60 000 DM. Rund 80 000 DM werden allein für Kurveranstaltungen ausgegeben, die im Kurtheater der Rheumaklinik stattfinden. Die Rheumaklinik trägt aber mit dem Gebäude und seiner Bewirtschaf­tung einen Teil der Veranstaltungskosten.

Rückblick auf 300 Jahre Bramstedter Heilbadentwicklung

Wenn wir die 300jährige Geschichte der Bramsted­ter Heilquellen eng zusammengefaßt überblicken, haben wir ganz objektiv festzustellen, daß die ver­gangenen 50 Jahre (1931/1981) die erfolgreichsten in der Heilbadentwicklung der Stadt Bad Bramstedt waren.

Die Kurhaus-Haltestelle der Altona-Kaltenkirchener Eisen­bahn (AKN) vor rund 50 Jahren. Immer war die AKN für den Antransport der Kurgäste wichtig. Verbilligte Fahrkarten gab die AKN für die Strecke Hamburg- Bad Bramstedt her­aus.

Die Kurhaus-Haltestelle der Altona-Kaltenkirchener Eisen­bahn (AKN) vor rund 50 Jahren. Immer war die AKN für den Antransport der Kurgäste wichtig. Verbilligte Fahrkarten gab die AKN für die Strecke Hamburg- Bad Bramstedt her­aus. Auch heute noch ist die AKN für die An- und Abreise der Pa­tienten der Rheumaklinik von Bedeutung. Geblieben ist wie vor 50 Jahren die an sich bescheidene Kurhaus-Haltestelle, wie es das Foto vom Sommer 1981 zeigt.

Es war bestimmt der richtige Schritt, 1929 für die Trägerschaft des Kurwesens eine GmbH zu gründen. Wohin wäre das Kurwesen gesteuert, wenn die Stadt eine Eigenentwicklung betrieben hätte? Im moder­nen Kommunal recht unseres Landes ist seit 1977 die Vorschrift verankert, nur dann ein kommunales An­gebot zu schaffen, wenn der Zweck nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise erfüllt werden kann. 1929 wurden Starthilfen – sie waren erheb­lich – von der Stadt für die Entwicklung des Kur­wesens geleistet. Sie hatten gegenüber einer städti­schen Eigenentwicklung Priorität. Diese Haltung hält noch heute nach über 50 Jahren durch. Expan­diert ist inzwischen der Haushalt der Rheumaklinik auf über 40 Millionen DM, der Stadthaushalt beträgt etwa zehn Millionen DM. Bei einer städtischen Ent­wicklung des Kurwesens wäre eine nicht zu über­brückende Diskrepanz entstanden: Sicher zum Scha­den der Bürger.

Zukunftsperspektiven für eine echte Kurstadt

An der Schwelle von 50 Jahren Gemeinsamkeit von Stadt und Rheumaklinik Bad Bramstedt, ist die Entwicklung von Zukunftsperspektiven für eine echte Kurstadt ein Gebot der Stunde. Bestandssiche­rungen und Qualitätsverbesserungen sind vorrangi­ge Ziele der Stadt für die Rheumaklinik. Mit der Bauleitplanung wurde 1970 für das Kurgebiet – wie bereits 1928 – jede Fremdentwicklung ausgeschlos­sen. Gesichert wird durch einen Landschaftsplan die Erhaltung und Gestaltung der Landschaft im Kurge­biet.

Angesichts der Investitionen der Rheumaklinik in den Jahren 1973/1981 mit rund 60 Millionen DM ist der Nachholbedarf gerade der Stadt um so dringen­der. Die finanzielle Situation der Stadt schafft je­doch Barrieren, die nicht leicht wegzuräumen sind. Das Straßen- und Verkehrsnetz bedarf einer grund­legenden Neugestaltung. Die Klinik muß endlich straßenmäßig gut anzufahren sein. Vordringlich sind Parkprobleme an der Kurhaus-Haltestelle zu lösen. Der Katalog von Prioritäten der Qualitätsver­besserungen umfaßt außerdem Arbeiten an Kuran­lagen wie Kurpark, Tiergehege, Wander- und Rad­wege, Ruheplätze, Aussichtspunkte, Spielplätze für Kinder der Besucher.

Der Gondelteich am Alten Kurhaus ist wahrscheinlich 1911 fertiggestellt worden. Schon damals spürten die Bad Bramstedter etwas von der „ Faszination des Was­sers", wie heute betont wird. Im Fremdenverkehrskon­zept 1980 wird ausdrücklich betont, daß sich für Bad Bramstedt der Bereich „Frei­zeitaktivitäten" wesentlich intensivieren läßt, wenn Wasserflächen geschaffen werden

Der Gondelteich am Alten Kurhaus ist wahrscheinlich 1911 fertiggestellt worden. Schon damals spürten die Bad Bramstedter etwas von der „ Faszination des Was­sers“, wie heute betont wird. Im Fremdenverkehrskon­zept 1980 wird ausdrücklich betont, daß sich für Bad Bramstedt der Bereich „Frei­zeitaktivitäten“ wesentlich intensivieren läßt, wenn Wasserflächen geschaffen werden

Einwohnern und Gästen ist eine verkehrsberuhig­te Innenstadt und eine landschaftlich interessante Fußgängerverbindung zwischen Kurgebiet und Stadtmitte anzubieten. Erfolgversprechende Ansät­ze sind bereits vorhanden. Der Reiz unserer ,.Klein­stadt im Grünen“ soll möglichst vielen erschlossen werden.

Der Fremdenverkehr gilt mehr und mehr als ein „Bollwerk der Stabilität“, vor allem dann, wenn er wie in Bad Bramstedt ein so gutes und festes Funda­ment besitzt. Daher gibt ein fremdenverkehrspolitisches Entwicklungskonzept des schleswig-holsteini­schen Fremdenverkehrsverbandes dem Fremden­verkehr in Bad Bramstedt gute Chancen. Vorge­schlagen werden die Ausdehnung des Kurbereichs in östliche Richtung über die Schmalfelder Au und Freizeitangebote im Osterautal. Die „Faszination des Wassers“, die viele Menschen gerade heute in Kurorte lockt, müsse auch in Bad Bramstedt ge­schaffen werden, meint das Konzept. Das steigende Gesundheitsbewußtsein in der Bevölkerung läßt größere Erfolgsmöglichkeiten in Bad Bramstedt er­warten.

Die Rheumaklinik wird nicht nur in der Werbung oft als „Zugpferd“ oder als „Aushängeschild“ der Stadt Bad Bramstedt bezeichnet. Für mich ist sie et­was anderes: eine schmucke Visitenkarte, die sehr viele zum Verweilen in ganz Bad Bramstedt einlädt.

Die Stadt wird alles tun, um den guten Ruf dieser Klinik zu sichern. Möge sich der vor über 50 Jahren begonnene und so erfolgreiche Weg im gemeinsamen Bemühen von Rheumaklinik und Stadt Bad Bram­stedt fortsetzen. Zum Wohle aller Beteiligten wird der Erfolg auf die Dauer dann sicher sein, wenn das gleiche Ziel immer im Blickfeld bleibt.

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Horst ZIMMERMANN, Redakteur

Persönlichkeiten, die Bad Bramstedt prägten

Vom 16. bis zum 20. Jahrhundert

Die Beiträge in dieser Schrift wollen in erster Li­nie die gestaltenden Kräfte darstellen, die seit 300 Jahren auf das Bramstedter Kurwesen wirkten oder direkte Beziehungen zu ihm hatten. Es hieße den Charakter der Festschrift sprengen, wenn außerdem eine Fülle chronologischer Daten für den Ablauf ei­ner 1100jährigen Geschichte Bramstedts aneinander­gefügt würde. Wahrscheinlich ist 830/831 im Zuge des Wirkens von ANSGAR, des Apostels des Nor­den, in Bramstedt zusammen mit Kellinghusen und Wipenthorp-Faldera eine Kirche errichtet worden. Urkundlich ist das jedoch nicht belegt.

Seit nahezu 670 Jahren hat die Maria-Magdalenen-Kirche inmitten Bad Bramstedts „Menschen dieses holsteinischen Landes mitgeformt und ihrem Den­ken und Handeln einen unzerstörbaren Charakter aufgeprägt“, stellte der damalige Ministerpräsident Dr. LEMKE bei der 650-Jahr-Feier der Kirche fest. Der Bischof von Holstein, Dr. Friedrich HÜBNER, fügte hinzu, daß die Kirche vom ,.Schaffen, Glauben und Hoffen der Generationen vergangener Jahrhun­derte“ zeuge.

Vom Schaffen in vergangenen Jahrhunderten zeu­gen viele Persönlichkeiten, die in Bad Bramstedt ge­boren wurden, nach Bramstedt zogen, für den frühe­ren Flecken und später wertvolle Spuren hinterlie­ßen. Sie überdauerten oft nicht nur den Alltag, sondem mitunter Jahrhunderte. Längst nicht alle Per­sönlichkeiten können erwähnt werden.

Dirick Vaget schuf die Urzelle des Gutes

Bramstedts wechselvolle Geschichte spiegelt sich in der Geschichte des Gutes Bramstedt wider, das 1540 adliges Gut wird. In einer Urkunde „begnadet König CHRISTIAN III. Füh und seine unmündigen Brüder seinen und seines Vaters, König FRIED­RICH I., langjährigen Sekretär Caspar FUCHS mit den Gütern, die Dirick VAGET zu Bramstedt von König FRIEDRICH I. innegehabt hat“.

Der eigentliche Begründer des Gutes Bramstedt, das bis zum 19. Jahrhundert bestehen soll, ist also Dirick VAGET. Reichtum und Herrendienst waren die bestimmenden Faktoren für seinen Aufstieg in die ständisch höhere Schicht. ,,Kern seiner Macht“ war der große Grundbesitz in und um Bramstedt. Di­rick VAGET trug den ehrenden Zunamen „VON BRAMSTEDT“. Er wird 1530 im Bramstedter Fleckensbuch als Bürgermeister bezeichnet. Erst nach 340 Jahren gab es diesen Titel in Bramstedt wieder. Ein jäher Tod ruft Dirick VAGET 1538 in der Höhe der Schaffenskraft ab.

Eine Romanze war es nicht

König Christian IV., Wiebeke Kruse der volkstümlichste aus dänische König. Föhrden-Barl bei Bramstedt gebürtig.

König Christian IV., der volkstümlichste dänische König. Wiebeke Kruse aus Föhrden-Barl bei Bramstedt
gebürtig.

Rund 100 Jahre später schenkte 1633 der dänische König CHRISTIAN IV. WIEBEKE KRUSE und ih­ren Erben das Gut Bramstedt, das zuvor erweitert worden war. Damals soll auch das Torgebäude ent­standen sein, das heute allgemein als „Schloß“ be­zeichnet wird.

Mitten in den Wirren des 30jährigen Krieges hatte das Leben der Wäscherin Wiebeke KRUSE aus dem Bramstedter Nachbardorf Föhrden-Barl eine ent­scheidende Wende bekommen. An einem Frühlings­tag 1625 erblickte der damals 48jährige König CHRI­STIAN IV. die 18jährige WIEBEKE. Der König ist von ihr beeindruckt. Sie holte das Einverständnis ih­res Vaters ein und wurde Kammerjungfrau der Königin. Die Hauptbeteiligten einer Romanze sind CHRISTIAN IV. und WIEBEKE nicht. Der große Al­tersunterschied des Paares und die unterschiedliche soziale Herkunft sind unüberwindliche Hindernisse. Nach förmlicher Trennung von seiner zweiten Frau Christine wird Wiebeke KRUSE 1630 dem König zur „linken Hand“ angetraut. „Womit Wiebeke, um ehr­lich zu bleiben, in Reihenfolge mindestens die dritte .linke‘ Frau Christian IV. war“, stellte ein Chronist fest.

Wiebeke betrachtete sich aber als rechtmäßige Gattin des Königs. Vom Hof in Kopenhagen aus be­wirtschaftete sie das in erster Linie als königliches Gut geführte Bramstedter Gut. Anerkannt wurde sie auf dem Gut, wie Stadtarchivar Hans FINCK 1967 ermittelte, als eine Wohltäterin.

WIEBEKE KRUSE starb im April 1648 im 40. Le­bensjahr. 71jährig war zuvor König CHRISTIAN IV. am 28. Februar 1648 verschieden.

Befreit von der Zwangsherrschaft

Zu den Persönlichkeiten, die Bramstedt entschei­dend prägten, gehört der Fleckensvorsteher Jürgen FUHLENDORF, der 1685 den Flecken dank seiner Tapferkeit in einer dramatischen Befreiungstat, un­terstützt von vielen Bewohnern, von der Zwangsherrschaft des Barons von KIELMANNSEGGE frei­kaufte.

König CHRISTIAN V. hatte aus Geldmangel das gesamte Amt Segeberg verpfändet. Baron von KIELMANNSEGGE erwirbt das Pfandrecht. Er ver­langt von den Bramstedter Fleckensbewohnern Lei­stungen, die einer Leibeigenschaft gleichkommen. Die Ratmänner werden unter Druck gesetzt, fügen sich aber nicht, an der Spitze Jürgen FUHLENDORF.

Im Verlauf weiterer Auseinandersetzungen wird Jürgen FUHLENDORF niedergeschlagen und ins Gefängnis geworfen. Fast der ganze Flecken zieht auf den Gutshof, um den Fleckensvorsteher zu befreien, was gelingt. Nach vielen Verhandlungen kann unter zahlreichen Opfern der Flecken schließ­lich aus der Zwangsherrschaft freigekauft werden.

Die Fleckensgilde von 1677 erinnert noch heute an die Befreiungstat, wenn am Dienstag nach Pfingsten nach Sonnenuntergang um den Roland getanzt wird.

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Am Rande der europäischen Literatur

Christian Günther Graf zu STOLBERG war Kam­merherr und Amtmann des Amtes Segeberg. Das ad­lige Gut Bramstedt besaß er von 1751-1755. Der fortschrittliche Mann hob als Musterbeispiel späte­rer Bauernbefreiungen auf dem Gut die Leibeigen­schaft auf.

Durch seine drei Kinder gelangt „Bramstedt im 18. Jahrhundert an den Rand europäischer Literatur“. Der älteste Sohn Christian Graf zu STOLBERG wur­de am 15. Oktober 1748 in Hamburg geboren, in Bramstedt Friedrich Leopold Graf zu STOLBERG am 7. November 1950. Auguste Louise Gräfin zu STOLBERG erblickte am 7. Januar 1753 ebenfalls in Bramstedt das Licht der Welt.

Die Grafen STOLBERG waren mehr Übersetzer griechischer Epen als Dichter. Beide studierten in Göttingen und traten dort einem Zusammenschluß junger Dichter, dem „Hainbund“ bei. Es kam zu verschiedenen Begegnungen mit Johann Wolfgang GOETHE.

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Friedrich Leopold Graf zu Stolberg

Mit dem Dichterfür­sten unternahmen sie 1775 eine Reise in die Schweiz. Mit dabei war der gemeinsame Freund HAUGWITZ. Die jungen Menschen standen ganz unter dem Einfluß des Zivilisationskritikers ROUSSEAU „Zurück zur Natur“. Es ging dar­um, die Gesundheit zu erhalten, die heilsamen Kräfte des Wassers zu suchen, sich von der „Faszination des Wassers“ gefangennehmen zu lassen.

Wegen der Badelust GOETHES und der Grafen STOLBERG kommt es am Züricher See zu einem Skandal. Darüber schreibt GOETHE in „Dichtung und Wahrheit“ im 19. Buch: „Ich selbst will nicht leugnen, daß ich mich im klaren See zu baden mit meinen Gesellen vereinte, und wie es schien, weit ge­nug von allen menschlichen Blicken. Nackte Körper jedoch leuchteten weit, und wer es auch mochte gese­hen haben, nahm Ärgernis daran.“ Die vier nackt Badenden wurden kurz darauf an einer abgelegenen Stelle mit Steinen beworfen.

Beide Grafen STOLBERG hatten sehr enge Bezie­hungen zu KLOPSTOCK, dem Dichter des Messias. Ihre Schwester Auguste Louise Gräfin zu STOL­BERG, ein „Bramstedter Kind“, ging auch in die Literaturgeschichte ein. Sie war die Vertraute GOE­THES in der Zeit des Verlöbnisses mit Lili aus der Bankiersfamilie SCHÖNEMANN. Vor der Verlo­bung um 1775 schreibt GOETHE der „fremden Freundin Gustchen STOLBERG aufgewühlte Be­kenntnisbriefe“. Die Gräfin heiratete 1783 den däni­schen Minister Peter Graf Ernst zu BERNSTORFF.

Drei Mitglieder der Familie Graf STOLBERG – eng verwachsen mit Bramstedt: Begleiter des großen Dichterfürsten Goethe.

Ein „Weltmann“ zog sich nach Bramstedt zurück

Das Gut Bramstedt und damit auch das Schloß/ Torhaus haben im Verlauf von 450 Jahren 22 Besitzer gehabt. Unter ihnen befindet sich Professor Fried­rich Ludwig Wilhelm MEYER, der das Gut 1796 für 40000 Taler erwarb. Am 1. September 1840 starb MEYER In Bramstedt. Seine Erben bekamen das Gut.

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Professor Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer

Ein in seiner Form aufwendiges Grabmal gleich links neben dem Eingang der Maria-Magdalenen-Kirche erinnert an Professor MEYER.

Als „Harburger Meyer“ ist der in Harburg gebürti­ge – 28. Januar 1759 – in die Literaturgeschichte,zumindest als Nebenfigur, eingegangen. 1785 wurde er als 26jähriger außerordentlicher Professor der Philosophie und der Deutschen Literatur an der Uni­versität Göttingen. Eine Brieffreundschaft verband ihn mit einer der geistreichsten Frauen ihrer Zeit, mit Caroline SCHELLING, geschiedene Schlegel. Caroline über Meyer 1780: „Seine edle Seele drückt sich auf seinem Gesicht so sehr aus und macht einem so sicher“. Geschildert wird der „Harburger Meyer“ als gutaussehender Mann, als Weltmann, der außer­dem sehr belesen ist. – Jäh bricht die Freundschaft mit Caroline ab, es kommt zu einer Trennung für im­mer.
Prof. Friedrich Ludwig Wilhelm MEYER, der spä­tere Bramstedter Gutsbesitzer, im Urteil der Litera­turgeschichte: ,,Der Weltmann, der reichbegabte Mann, ist in seinem 81 Jahre langen Leben nie imstande gewesen, ein Werk zu schreiben, das ihn über­dauert. 13 dicke Bände, darunter viele Theater­stücke, waren schon bei Lebzeiten vergessen“.
Von Prof. MEYER stammt die Meyersche Stif­tung. Sie besagt: „Sterbe ich als Besitzer des Gutes Bramstedt, so vermache ich der Bramstedter Ar­menkasse 500 Reichsthaler . . . und der Weddelbrooker Armenkasse gleichfalls 500 Reichsthaler. Nach dem Tod von Prof. MEYER wurden Arme aus Bad Bramstedt und Weddelbrook erstmals am 1. Septem­ber 1841 mit Gaben aus der Stiftung bedacht.

Astronom Schumacher wieder entdeckt

Bad Bramstedter Heimatforscher hatten bisher das Wirken des in Bramstedt gebürtigen Astronoms Heinrich Christian SCHUMACHER nur oberfläch­lich in wenigen Zeilen geschildert. Wertvoll war für weitere Nachforschungen der Hinweis, daß in Ham­burg/Altona eine Straße nach ihm benannt worden sei.

In jüngster Zeit ist das Leben von Heinrich Chri­stian SCHUMACHER vor allem durch eine Arbeit von Lutz BRANDT, Hamburg, aufgehellt worden.

Astronom Heinrich Christian Schumacher, geboren am 3. September 1780 in Bramstedt

Astronom Heinrich Christian Schumacher, geboren am 3. September 1780 in Bramstedt

Heinrich Christian SCHUMACHER wurde am 3. September 1780 in Bramstedt geboren. Sein Vater war hier königlich-dänischer Kammerherr. Der Sohn verlebte in Bramstedt und in Segeberg seine Jugend.

Umfangreiche Studien der Mathematik und der Astronomie folgten. Es kam zu einer engen Verbin­dung mit dem berühmten bahnbrechenden Mathematiker und Direktor der Göttinger Sternwarte Carl Friedrich GAUSS (1777-1855). 1810 wurde SCHU­MACHER Professor der Kopenhagener Universität und königlich-dänischer Konferenzrat. Der Astro­nom unternahm ab 1815 die sehr wichtige Gradmes­sung und Triangulation des dänischen Gesamtstaates; es folgten topographische Aufnahmen von Hol­stein, Hamburg und Lauenburg. „Im Treppenhaus des Segeberger Rathauses hängt ein Abdruck eines schönen Planes der Stadt und ihrer Umgebung aus dem Jahre 1825″ (Brandt, S. 25). Zu den Hauptwer­ken SCHUMACHERS zählt die Gründung der Altonaer Sternwarte an der Palmaille im Jahr 1821. Hier wirkte er rund drei Jahrzehnte und starb am 28. Dezember 1850.

Unter den Überresten des Heilig-Geist-Kirchhofes, ein Relikt der Hamburger Bombardierungen des 2. Weltkrieges, steht noch heute der Grabstein SCHUMACHERS und seiner Frau. Wenige Schritte davon entfernt wurde am Eingang des S-Bahnhofes Königstraße eine Gedenktafel für ihn angebracht. Der in den Boden eingelassene Altonaer Meridian er­innert an die Sternwarte Altona, Hauptwirkungs­stätte des Astronomen SCHUMACHER, der aus Bramstedt stammte.

Johanna Mestorf: Vorkämpferin der Frauen

Bei der Würdigung von Persönlichkeiten, die in Bramstedt beheimatet waren, nimmt das Lebens­werk von Johanna MESTORF einen besonderen Platz ein. Sie wurde am 17. April 1928 in Bramstedt als Tochter des Arztes Jacob MESTORF geboren. Dank ihrer Persönlichkeit wurde Johanna MESTORF nicht nur eine große Forscherin auf dem Ge­biet der Prähistorik. Ihr war es auch zu verdanken, daß den Frauen endlich akademische Berufe er­schlossen wurden.

300J_image114Die Geschichtsforscherin verfaßte 1866 als Erst­lingsarbeit ,,Wiebeke Kruse“. Aus dieser Arbeit ist ein tiefes Heimatgefühl ablesbar. Viele Jahre später schreibt sie als 76jährige an Pastor HÜMPEL: „Sie haben Recht, daß ich mein liebes Bramstedt sehr liebe“. 36 Jahre lang diente sie der prähistorischen For­schung. Ein für damalige Zeiten ungewöhnlicher Schritt erfolgte 1891. Minister v. GOSSLER berief eine Frau, Johanna MESTORF, zur Direktorin des Kieler Museums für vaterländische Altertümer. Da­mit nicht genug, wurde ihr zum 70. Geburtstag als ersten schleswig-holsteinischen Frau der Titel einer Professorin verliehen. Zum 80. Geburtsag schickte Kaiser WILHELM II. ihr sein Bild mit eigenhändiger Unterschrift – eine damals ungewöhnliche Ehrung für eine Frau. An Bramstedt erinnerte sich die Pro­fessorin oft. Sie setzte 1906 ein Legat für die Kir­chengemeinde Bramstedt aus, um einmal im Jahr zwölf bedürftige Frauen in den Genuß einer „kräftigen Rindfleischsuppe mit Klößen kommen zu lassen“. Die Währungsschnitte haben 500 Goldmark des Legats inzwischen verschmelzen lassen. Johanna MESTORF starb 81jährig und wurde auf dem Fried­hof zu Hamburg-Ohlsdorf begraben. Im Nachruf der Kieler Unviersität hieß es: „Aus dem Dunkel der vorgeschichtlichen Zeit Schleswig-Holsteins drang durch sie manch heller Schein in die Gegenwart“.

Eine Generation lang Bürgermeister

30 Jahre lang wirkte Gottlieb Carl Christian FREUDENTHAL von 1879 bis 1909 als Bramstedter Bürgermeister. Der Anschluß Bramstedts an die Kaltenkirchener Bahn im Jahr 1898 ist sein Werk. Elektrifizierung des Ortes, Gründung einer Fleckenssparkasse, eines Krankenhausvereins und schließlich des Vereins für die Gründung einer höheren Privatschule sind wichtige Marksteine für die aktive Ortsentwicklung, die Gottlieb FREUDEN­THAL betrieb. 40 Jahre lang war er Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr.

Bürgermeister Gottlieb Freudenthal

Bürgermeister Gottlieb Freudenthal

In seine Amtszeit fällt der Beginn der entscheiden­den Badeentwicklung durch Matthias Heesch im Jahr 1879. Fast seherisch erwarb Freudenthal um 1890 rund 100 Morgen des Ödlandes an der Hambrücke vom Fiskus für ganze fünf Mark. Es wurde 1929/31 der Grundstock für die Rheumaheilstätte.

Der größte Teil des Öd­landes war bei der Verkoppelung um die Jahrhundertwende 1800 her­renlos geblieben und in Staatsbesitz gekommen. Tippelbrüder, auch Monarchen genannt, sorgten dafür, daß Zug um Zug eine Aufforstung in Gang kam. Die Tippelbrüder arbeiteten damit Kost und Unterkunft ab, die ihnen in einer Bram­stedter „Verpflegungs­station“ gewährt wor­den war.

Ein Leben für das Kurbad

,,In Würdigung der Opfer des Faschismus und in Anerkennung der Verdienste eines dieser Opfer um die Stadt Bad Bramstedt haben die Gemeinderäte einstimmig beschlossen, die Straße von der Segeber­ger Straße ab bis zur Hohenstegener Brücke, soweit sie bebaut ist, als Oskar-Alexander-Straße zu benen­nen“ – diesen Beschluß faßte am 11. November 1947 die Bad Bramstedter Stadtverordnetenversamm­lung.

Geehrt wurde damit Oskar ALEXANDER, gebo­ren am 29. Oktober 1881 in Visselhövede/Lüneburger Heide, ein Mann, der bereits 1919 die entschei­denden Weichenstellungen für die Bad Bramstedter Heilbadentwicklung vorgenommen hatte.

Oskar Alexander

Oskar Alexander

Die Verfasser dieser Festschrift bemühten sich mit Erfolg, den Lebensweg Oskar ALEXANDER aufzu­hellen. In den Akten der Rheumaklinik fand sich ein Schreiben von Oskar ALEXANDER, datiert am 19. Februar 1936, gerichtet an den „Stellvertreter des Führers“, Reichsminister Rudolf HESS. Es beweist in tragischer Weise den Mut des Mannes, der als Jude aktiv am 1. Weltkrieg teilnahm und mehrere Kriegs­auszeichnungen erhalten hatte: Eisernes Kreuz II. Klasse, Frontkämpferabzeichen, Hanseatenkreuz und für eine schwere Verwundung das Verwunde­tenabzeichen.

Der Grund des Schreibens an Rudolf HESS: „Der Vorsitzende der Rheumaheilstätte GmbH, der Präsi­dent der Landesversicherungsanstalt der Hansestäd­te Lübeck, Herr Dr. STORCK, ist in der letzen Zeit angegriffen worden, weil er mit mir, einem Nichtarier, den Pachtvertrag für das Neue Kurhaus bis 1940 verlängert hat“. Das ist mir unerträglich, des­halb „wende ich mich an Sie im Vertrauen auf Ihre geäußerte Bereitsamkeit, jeden Deutschen anzuhö­ren“.

Oskar ALEXANDER schilderte Rudolf HESS sei­nen ideellen und materiellen Einsatz für die Heil­badentwicklung Bad Bramstedt. Er war von 1919 bis 1930 Pächter des Alten Kurhauses und schuf 1919/1931 die Voraussetzungen für die Rheumaheilstätte GmbH und den Bau des großen Hauses.

In dem sechs Seiten langen Schreiben bittet Oskar ALEXANDER, „eine klare Entscheidung zu fällen. Wenn die oberste Instanz glaubt, daß ich (als Jude Anm. d. Verfassers) weiter als Pächter hier tätig sein kann, so ist damit allen Angriffen die Spitze abge­brochen“.

Unbekannt ist, ob Rudolf HESS das Schreiben von Oskar ALEXANDER beantwortet hat. Wir wissen nur, daß Oskar ALEXANDER zum 31. Mai 1936 sei­ne Tätigkeit als Pächter wenige Monate später für immer aufgeben mußte. Sein Einsatz für Deutschland im Ersten Weltkrieg wurde in keiner Weise ge­lohnt.

Bei der 25-Jahr-Feier der Rheumaheilstätte wür­digte der langjährige Vorsitzende des Vorstands der ehemaligen Landesversicherungsanstalt, Präsident HELMS, das Wirken von Oskar ALEXANDER. Beim Start habe die Rheumaheilstätte bereits 1931 eine schwere Wirtschaftskrise durchstehen müssen. Es sei das Verdienst des ersten wirtschaftlichen Lei­ters, Direktor Oskar ALEXANDER, gewesen, daß diese Krise gemeistert wurde. Der Betrieb wurde mustergültig geführt. „Er setzte seinen persönlichen Kredit ein, warb private Kunden, übernahm zeit­weise den Betrieb und damit das Risiko als Pächter.“

Präsident HELMS weiter wörtlich: „Dem treffli­chen Mann, der als Volljude im Lazarett des Konzen­trationslagers Oranienburg am 25. Januar 1942 (als 61jähriger) an Lungenentzündung starb, sei im Rückblick auf jene Zeit der Sorge und Not auch an dieser Stelle gedankt“.

Im Haus „Alexander“, wie das „Neue Kurhaus“ jetzt offiziell heißt, erinnert im Haupteingang eine Tafel an den ehemaligen Verwaltungsdirektor Os­kar ALEXANDER.

(72)


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Anhang

Literatur
Brandt, Lutz: Heinrich Christian Schumacher in Heimatkundliches Jahrbuch des Kreises Segeberg 1980
Goethe, Johann Wolfgang: Dichtung und Wahrheit
Hahn-Gernat von Schönfels: Wunderbares Wasser, Aarau/Schweiz 1980
Hans Kasper
Harbeck, Hans-Hinrich: Chronik von Bramstedt, Hamburg 1959
Heimatkundliche Jahrbücher des Kreises Segeberg seit 1956
Kähler, Johann: Das Stör-Bramautal, Kellinghusen 1905
Kleßmann. Eckart: Das Leben der Caroline Michaelis Böhmer – Schlegel – Schelling, München 1979
Landesarchiv Schleswig: 66 Folien Bramstedter Gesundbrunnen betreffend 1761-1810
Mestorf, Johanna: Wiebeke Kruse, Hamburg 1866
Prange, Dr. Wolfgang: Entstehung und innerer Aufbau des Gutes Bramstedt, ZSHG Neumünster 1966
Puls Dieck: Erste Berichte von den Bramstedter Quellen in „Die Heimat“ 73. Jahrgang 1966 Neumünster
Röstermundt, Max: Dad Bramstedt – Der Roland und seine Welt, Neumünster 1952
Sach, Prof. August: Vaterländisches u. Norddeutsches Lesebuch, Halle 1885
Schadendorf, Jan-Uwe: Alt-Bramstedt im Bilöd, Bad Bramstdt 1978
Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung seit 1927
25 Jahre Rheumaheilstätte Bad Bramstedt – Festschrift – 1956
Rheumaklinik Bad Bramstedt – Zentralbau – 1980
Bramstedter Nachrichten seit 1881 und folgende
Akten der Rheumaheilstätte / Rheumaklinik Bad Bramstedt seit 1931
(74)


Aufstellung über die Belegung der Rheumaheilstätte Bad Bramstedt
in den Jahren 1931 – 1980

Belegung mit Belegung mit
Jahr Versicherten Privaten Soldaten zusammen Jahr Versicherten Privaten Soldaten zusammen
1931 2 464 2 464 1957 8 302 1 004 9 306
1932 1 513 439 1 952 1958 9 089 1 066 10 155
1933 1 461 791 2 252 1959 9 519 1 170 10 689
1934 2 915 663 3 578 1960 9 650 1 142 10 792
1935 2 939 715 3 654 1961 9 659 1 172 10 831
1936 3 228 611 4 039 1962 9 549 1 093 10 642
1937 3 782 767 4 549 1963 9 453 1 055 10 508
1938 4 267 824 5 091 1964 9 979 1 075 11 054
1939 3 614 829 81 4 524 1965 10 044 1 171 11 215
1940 2 695 832 860 4 387 1966 10 137 1 085 11 222
1941 3 260 775 804 4 839 1967 10 174 1 094 11 268
1942 216 37 2 715 2 968 1968 9 976 1 250 11 226
1943 3 454 3 454 1969 9 940 1 166 11 106
1944 3 500 3 500 1970 10 101 1 097 11 198
1945 414 42 4 230 4 686 1971 10 277 1 139 11 416
1946 5 269 839 1 125 7 233 1972 10 240 896 11 136
1947 5 022 1 202 6 224 1973 10 502 852 11 354
1948 4 489 1 306 5 795 1974 10 577 675 11 252
1949 4 955 923 5 878 1975 10 294 548 10 842
1950 4 622 676 5 298 1976 8 927 342 9 269
1951 4 855 740 5 595 1977 9 214 304 9 518
1952 5 289 942 6 231 1978 9 064 369 9 433
1953 6 275 1 063 7 338 1979 9 082 296 9 378
1954 6 692 1 246 7 938 1980 9 654 217 9 871
1955 7 284 1 377 8 661 Sa. 329 043 40 156 16 769 385 968
1956 8 120 1 039 9 159 Versicherte Private Soldaten insgesamt

Anmerkungen:
25. 8.1939 – 30. 1.1946: Wehrmachtslazarett mit zunächst teilweiser, ab 1.2.1942 voller Inanspruchnahme sämtl. Betten.
1. 2.1946 – 19.10.1946: Influx- und Hilfskrankenhaus für den Kreis Segeberg mit 700 Betten.
20.10.1946 – 31. 3.1953: Allgemeines Krankenhaus mit 550 Betten – ab Frühjahr 1947 jedoch 150 und ab Oktober 1948
mehr als 400 Betten für Rheumakranke -.
1. 4. 1953: Wiederverwendung in vollem Umfang für Rheumakranke.

(75)


Fremdenverkehrsstatistik 1938

Betrieb Gäste Übernachtungen
Rheumaheilstätte GmbH 5 090 146 998
davon (Ausquartierte) (16 443)
Hotel Rolandseck. Bleeck 2 220 220
Hotel Holsteinisches Haus. Bleeck 1 503 658
Heinrich Freese, Maienbeeck 23 25 33
Max Fick, Mühlenstraße 25 7 77
Hermann Harms, Bleeck 25 105 105
Wilhelm Therkorn, Altonaer Str. 37
(ab 1. 8. 1938 Karl Bockwoldt)
91 97
Anna Köhncke. Butendoor 42 44 608
Friedrich Fick, Bleeck 29 118 190
Hans Rathje, Landwg 6 250 250
K. Hesebeck, Bleeck 28 98 2386
Robert Hauschildt, Lohstücker Weg 13 60 1253
Diedrich Wesselmann. Kirchenbleeck 8 22 24
H. Lesch, Zum Stadtwald 20 20 306
Heinrich Rave, Butendoor 6 29 496
O. Heckert, Altonaer Str. 53 7 302
Pension Clausen, Altonaer Str. 64 4 70
zusammen 6.693 154.073
dazu Jugendherberge 45 45
sonstige Herbergen und Masssenquartiere 267 267
insgesamt 7.005 154.385
2 Herkunft der Gäste 3. Herkunft der
ausländischen Gäste
Herkunftsland Gaste Herkunftsland Gäste Über-

nachtungen

Groß Hamburg 2 921 Dänemark 151 963
Schleswig-Holstein 1692 Norwegen 26 29
Stadt Berlin 430 Schweden 26 6
Prov Hannover 420 Niederlande 17 17
Ausländer 235 England 3 3
Land Bremen 201 Schweiz 3 20
Land Mecklenburg 152 Balten-Länder 3 3
Rheinprovinz 124 Griechenland 2 2
Land Oldenburg 85 Argentinien 2 2
Provinz Pommern 53 Tschechoslowakei 2 2
Prov. Brandenburg 46 zusammen 235 1 067
Land Thüringen 46
Prov. Schlesien 42
Prov. Westfalen 39
Provinz Sachsen 37
Provinz Ostpreußen 31
Land Braunschweig 25
Land Bayern 20
Land Sachsen 0
Provinz Hessen-Nassai 20
übrige deutsche Provinzen und Länder 54
zusammen 6.693

(76)


a) Analyse der Moorsolequelle am Lohstücker Weg

Kationen: Gramm in 1 Liter bei 18°
Kalium-Ion K 0,1127
Natrium-Ion Na 1,3100
Calcium-Ion Ca 0,0476
Magnesium-Ion Mg 0,0066
Eisen-(Ferro)-Ion Fe 0,0043
Aluminium-Ion AI 0,0047
Anionen:
Chlor-Ion Cl 2,1530
Sulfat-Ion SO4 0,0512
Hydrocarbonat-Ion HCO3 0,1035
Summe 3,7936
Meta-Kieselsäure H2Si03 0,0298
Organische Stoffe:
kolloidal gelöste Huminsauren 0,0727 0,2463
molekulardisperse Huminsäuren 0,1736
organischer Rest und bei 105°
nicht flüchtiges Wasser 0,1009
Gesamtsumme 4,1706

2. Oktober 1936
Preußische Geologische Landesanstalt gez. Prof. Henseler

(77)


b) Analyse der 1967 erschlossenen neuen Solequelle

In 1 kg der Sole sind enthalten: Milligramm Millival Millival.%
Kationen Kalium-Ion (K +) 14,9 0.38 0,10
Natrium-Ion (Na +) 8.720 379,13 98,57
Calcium-Ion (Ca++) 57,3 2,86 0,74
Magnesium-Ion (Mg++) 16,3 1,34 0,35
Kationendifferenz 0.91 0,24
384,62 100,00
Anionen Chlorid-Ion (Cl-) 13.500 380.77 99,00
Phosphat-Ion (PO4— ) 0,26 0,01 0,00
Sulfat-Ion (SO4– ) 30,0 0.62 0,16
Hydrogencarbonat-Ion
(HCO3-)
196,2 3,22 0.84
22.534,96 384.62 100,00
Millimol
Kieselsäure, meta (H2SiO3) 26.0 0,33
Kohlensäure, frei (CO2) 12,4 0,28
22.573,36

8, Mai 1967 Städtisches Laboratorium Kiel, gez. Dr. Heinke

( 78)


c) Analyse der 1977 erschlossenen neuen Solequelle am Raaberg

Kationen Milligramm / kg Millival/kg Millival-%
Lithium {Li+) 0,35 0,0504 0,001
Natrium (Na+) 78.310 3.406 97,20
Kalium (K+) 206,30 5.276 0,15
Rubidium (Rb+) 0.02 0,00023 _
Ammonium (NH4+) 0.14 0,0078 _
Magnesium (Mg2+) 231.10 19,02 0,54
Calcium (Ca2+) 1.462 72,95 2,08
Strontium (Sr2*) 29,90 0,6825 0,02
Barium (Ba2+) 0,021 0,0003
Mangan (Mn2+) 0,45 0,0164
Eisen (Fe2+/3+) 3,10 0,1110 0,003
Aluminium (Al3+) 0.12 0.0133
3.504 100.0
Anionen:
Fluorid (F–) 0,45 0.0237 0,001
Chlorid (C1-) 121.090 3.416 97,48
Bromid (Br -) 11.1 0,1389 0.004
Jodid (J -) 0,91 0,0072 _
Sulfat (SO42-) 4.143 86,26 2,46
Hydrogenphosphat (HPO42-) ) 0,012 0,0003 _
Hydrogencarbonat (HCO3-) 123,9 2.03 0,06
Summe: 205.613 3.504 100,0
Undissoziierte Stoffe:
Millimol/kg
Kieselsäure (meta, H2SiO3) 2,70 0.035
Borsäure (meta. HBO2) 12,40 0.283
Summe: 205.628

12. September 1980
Institut Fresenius, Bad Schwalbach

(79)


Personenregister

A
Alexander, Herbert, Geschäftsführer der Rheumaklinik (1967-1976). 30
Alexander, Oskar, Mitbegründer des Kurbades Bad Bram­stedt (1920-1936). 28, 56, 59, 71/72
Ansgar, Apostel des Nordens (9. Jahrhundert). 66
Arnaldo de Villanova, Prof., (um 1235-1313). 11
Arnold, von – Segeberger Amtmann (1761). 17, 58
Arrhenius, Svante (1859-1927). 16
Asklepiades, Badearzt (100 v. Chr.). 10
Augustus, röm. Kaiser (63 v.-14 n. Chr.). 8

B
Berger, Johann Christian von, Kieler Arzt (18. Jahr­hundert). 19
Bernstorff, Johann Hartwig Ernst Graf zu, dän. Minister (1712-1772). 18, 19, 20
Bernstorff, Peter Andreas Graf zu, dän. Minister (1735-1797). 21,58
Bernstorff, Christian Günther Graf zu, dän. Minister (1769-1835). 21
Binzus, Gerhard, Rheumaforschung Bad Bramstedt. 32
Blobel, Hans, Geschäftsführer der Rheumaheilstätte Bad Bramstedt (1934-1966). 30
Blondel, Franciscus, Badearzt (1613-1703). 15, 16
Bluhm, Dr. Gerhard, Gesellschafter d. Rheumaklinik Bad Bramstedt. 37
Bock, Hans Erhard. 16
Boyle, Robert, engl. Chemiker (1627-1691). 15
Brandt, Lutz, Schriftsteller. 69
Buchholz, Prof. Dr. 33
Buess, Heinrich. 9

C
Caroline Mathilde, dän. Königin (1751-1775). 20
Cassiodor (455-526). 11
Chardin, Jean Baptiste, franz. Maler (1699-1779). 19
Christian I., dän. König (1426-1481). 17
Christian III., dän. König (1503-1559). 66
Christian IV., dän. König (1577-1648). 48, 67
Christian VII., dän. König (1749-1808). 20
Cilano, Johann Christian Maternus de, Arzt. Prof. der Physik (1696-1773). 18, 19, 20
Constantin, der Große, röm. Kaiser (306-337). 10
Cramer, Johann Andreas (18. Jahrhundert). 19

D
Dettmer Dr. (Rheumaforscher). 32

E
Eberwein, Peter O., Kreisbaudirektor a. D. (1968).
Erlenbach, Bramstedter Bürgermeister (1931). 56

F
Falloppio, Gabriele, ital. Anatom (1523-1562). 15
Feindt, Karl, Architekt (1929-1931). 24, 28
Finck, Hans, Stadtarchivar um 1970. 66
Fischer, Anton (Rheumatologe (1931). 26
Freudenthal, Gottlieb, Bramstedter Bürgermeister (1879-1909). 71
Friedrich 1., dän. König (1471-1533). 66
Friedrich II., Hohenstaufenkaiser (1194-1250). 11
Friedrich II., der Große, preuß. König (1712-1786). 19
Friedrich V., dän. König (1723-1766). 18, 19
Friedrich VI., dän. König (1768-1839). 21, 58
Fries, Lorenz (1519). 15, 18
Fuchs, Caspar, königl. Sektretär und Gutsherr (1540). 65
Fuhlendorf, Jürgen, Fleckensvorsteher (17. Jahrhundert) 67

G
Gatzweiler Dr., Abt.-Arzt (1935). 29
Gauss, Carl-Friedrich, Mathematiker (1777-1855). 70
Gebhardt, Heinrich, Bramstedter Bürgermeister (1950-1964). 51
Gehlen Dr., Chefarzt (1952). 32, 33
Gessner, Conrad, Züricher Arzt (1516-1565). 15
Giesler, Gerd, Entdecker der Bramstedter Heilquelle (1681). 58
Goethe. Johann Wolfgang (1749-1832). 15. 16, 18, 19, 68
Gossler von, Minister (um 1900). 71
Graf, Urs (1485-1527). 15
Grauer Dr. 23
Grossekettler Dr., Abt.-Arzt (1935). 29

H
Haas Dr. Abt.-Arzt. 36
Hagedorn, Friedrich von (1708-1764). 18
Hagelstein Dr., Franz (1813). 23
Harbeck, Hans Hinrich (1863-1950). 17
Hart, Prof. Dr. 33
Hartmann, Fritz (1978). 16
Haugwitz, Reisebegleiter Goethes (1775). 68
Hechelsfeldt, Hechel von, Licentiat (1761). 18, 24
Hebbel, Friedrich, Dichter (1813-1863). 20
Heesch, Matthias, Begründer des Alten Kurhauses (1879). 23, 54 ff., 71
Helmont, van. 15 Helms, Präsident (1956). 28, 72
Hensler, Philipp Gabriel, Arzt (1773-1805). 20, 21
Heß, Rudolf, Reichsminister (1933-1941). 72
Hjärne, Urban, schwed. Chemiker (1641 -1724). 15
Horaz, röm. Dichter (65-8 v. Chr.). 18
Hübner, Dr. Friedrich, Bischof (1965-1981). 66
Hübner, Johann, Bramstedter Unternehmer (1810). 59
Hümpel, Pastor in Bramstedt (1904). 69
Hufeland, Christoph Wilhelm, Arzt, Prof. (1762-1836). 16

J
Jessen, Larenz (1681). 17, 49
Johannes XXIII.. Papst (um 1415). 12
Josenhans, Dr. Gerhard, Ärztl. Direktor der Rheuma­klinik. 41

K
Karl d. Große (742-814). 11
Kielmannsegge, Baron von ( 17. Jahrhundert). 67
Klopstock, Friedrich Gottlieb, Dichter (1724-1803). 9. 18, 19, 68
Köhler, Dr. P., Geheimer Sanitätsrat (1938). 27
Krane, Dr. Wilhelm, Prof. (1948). 30
Küster, Dr., Abt.-Arzt. 36
Kullack, Unternehmer (1920). 54

L
La Fontaine, franz. Fabeldichter (1621-1695) 18
Lahrsen, Hans, Bramstedter Bürger (1810). 59
Lemke, Dr. Helmut, Ministerpräsident a. D., Landtags­präsident (1966). 66
Lessing, Gotthold Ephraim, Dichter und Kritiker (1729-1871). 18, 20
Ludwig XV.. franz. König (1710-1774). 19

M
Mestorf, Jacob, Arzt (1825). 70
Mestorf, Johanna, Professorin, Forscherin (1828-1909). 70/71.
Meyer, Friedrich Ludwig Wilhelm, Prof. (1759-1840). 68, 69
Meyer, Günther, Gesellschafter der Rheumaklinik. 37
Montespan, Francoise, Marquise de, Geliebte Ludwig XIV (1641 – 1707). 15

N
Napoleon I., franz. Kaiser (1769-1821). 21
Niebuhr, Carsten, Forschungsreisender (1733-1815). 19

O
Ott, Victor. 16, 25

P
Paracelsus, Naturforscher, Arzt (1493-1541). 15, 18, 25
Paulus. Dr.. Chefarzt (1935). 29ff, 59
Pietro da Tossignano, oberital. Arzt (15. Jahrhundert), 11
Pfaff, Christoph Heinrich, Prof. (1773-1852). 23
Pindar, griech. Dichter (518-438). 9
Plato, griech. Philosoph (428-348). 9
Plinius, röm. Schriftsteller (23-79) 8. 10
Poggio, Gian Francesco, Papst-Begleiter (1380-1459). 12

Q
Qualen, von, Oberpräsident (1761). 1

R
Ramin, Ewald, Vors. der Gesellschafterversammlung der
Rheumaklinik. 37, 41
Rath, Reinhold, Geschäftsführer der Rheumaklinik. 34, 41
Rhazes, arab. Arzt (865-925). 11
Riehl, Edgar, Betriebsingenieur. 41
Rousseau, Jan-Jaques, Philosoph und Schriftsteller (1712-1778). 68
Rumpf, Heinz, Gesellschafter der Rheumaklinik. 37

S
Scotus, Michael (gestorben um 1235). 11
Seneca, röm. Dichter und Philosoph (4-65). 9
Sergius Orata (100 v. Chr.). 10
Snorrason, Egil (1968). 20
Sprengler, L. (1854) 11
Süersen. Johann Friedrich (1771-1845). 20, 21
Sylvius, De le boe (1614-1672). 15

Sch
Schelling, Caroline, weibl. Mittelpunkt der Frühromantik (1763-1809). 69
Schiller, Johann Friedrich, Dichter (1759-1805). 18, 21
Schmidt, Anton, Bramstedter Bürger (1810). 59
Schönemann, Lili, Verlobte Goethes (1775). 68
Schumacher, Heinrich Christian, Astronom (1780-1850). 69,70
Schulz, Dr., Chefarzt (1933). 29
Schulze. Walter, Denkmalspfleger. 49

St
Steckmest, Hinrich, Bramstedter Bürger (1810). 59
Stoecken Dr. Christian von, Propst (1681). 58
Stolberg, Christian Günther Graf zu, Kammerherr und Amtmann (1765). 67
Stolberg, Christian Graf zu (1748-1821). 68
Stolberg, Friedrich Leopold Graf zu (1750-1819). 68
Stolberg, Auguste Louise Gräfin zu (1753-1835). 68
Storck. Dr., Vors. der Rheumaheilstätte (1936). 72
Straube, Dr., Abt.-Arzt. 33
Stromberger, Dr., Chefarzt (1935). 29
Struensee, Johann Friedrich, dän. Staatsminister (1737-1772). 18, 19 ff.
Sturz, Peter Helferich (1736-1779). 19

T
Theoderich der Große, König der Ostgoten (um 456-526) 11
Tillmann, Dr., Abt.-Arzt. 33, 34
Tronchin, Theodore, Schweizer Arzt (1709-1781). 15

U
Unzer, Johann August, Arzt und Schriftsteller (1727-1799). 18, 19

V
Vaget, Dirick, Begründer des Gutes Bramstedt (1530) 66
Vogt, Heinrich. 23
Voltaire, franz. Dichter und Philosoph (1694-1778). 15

W
Wedde, Heinz, Bramstedter Bürgermeister und Gesell­schafter der Rheumaklinik. 37
Weinberg, Unternehmer (1920). 54
Wiebeke Kruse, Frau Christian IV. (1608-1648). 48, 67
Wiede, Dr., Internist (1950). 30
Wilde, Oscar, engl. Dichter (1856-1900). 16
Wilhelm II. (1859-1941). 71

Z
Zehrer, Dr. Gerhard, Chirurg (1950). 30, 60
Zelter, Karl Friedrich, musik. Begleiter Goethes (1758-1832). 16
Zimmermann, Johann Georg, Leibarzt (1728-1795). 15

Bildnachweis

Archiv der Stadt Bad Bramstedt. 55, 56, 59, 60, 63, 66, 67, 70
Archiv der Rheumaklinik Bad Bramstedt. 27, 29, 30. 31, 42
Bibliotheque de l’Arsenal, Paris, MS 50 70. 13
R. Ginouves, Balaneutike, Paris 1962. 9, 10
Urs Graf, Zürich 1508. 14
M. Hero, Schachtafeln der Gesundheit, Straßburg 1533. 13
Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel
Kupferstich von M. Bernigroth 1749. 19
Kupferstich von Fritzsch 1764. 19
Kupferstich von Fritzsch 1775. 20
Landesarchiv Schleswig-Holstein. 17
Martin, Deutsches Badewesen Jena 1906. 12
Österreichische Nationalbibliothek Wien MS 2561. 13
Jan Uwe Schadendorf, Bad Bramstedt: Farbtafeln. 2, 38, 39, 46, 47 und Abb. 32, 34, 35, 40, 41, 43, 45, 49, 50, 52, 53, 54, 56, 70, 71
Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek. 21, 23
Sternwarte Hamburg. 68
J. F. Süersen. 22
Universitäts-Bibliothek Kiel. 18
Kupferstich von A. Stöltrup. 21, 23
Horst Zimmermann. 36, 69

300J_image125EICHHÖRNCHEN nehmen im Bad Bramstedter Kurpark seit Jahrzehnten eine
ausgesprochene Sonderstellung ein. Überall sind die possierlichen, ach so flinken Tierchen im Park zu finden. In sie sind die Kurgäste verliebt, die sich von morgens bis abends emsig darum bemühen die EICHHÖRNCHEN möglichst aus der Hand zu füttern. Ein Spiel, das Tag für Tag im Kurpark zu beobachten ist. Woher die besondere Liebe der Rheumakranken zu den EICHHÖRNCHEN kommt? Verbirgt sich dahinter etwa der Wunschtraum, wie diese Tierchen behende zu sein? Nur Linderung von
ihrem Leiden können Rheumakranke erfahren, meinte ein Rheumatologe zu diesen Fragen. Eichhörnchen-Behendigkeit können sie nie mehr erhalten. – Doch im Bramstedter Kurpark bleibt die Zuneigung der Patienten zu den EICHHÖRNCHEN von Kur zu Kur erhalten: Eine Liebe, die immer dauert.

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Neumann: Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Jürgen-Fuhlendorf-Schule

Im Jahre 1958 konnte die Jürgen Fuhlendorf-Schule auf ein 50jähriges Bestehen zurückblicken. Aus diesem Anlaß entstand eine Festschrift, deren Text ich hier wiedergebe.

Am Ende finde sich noch Ergäzungen und Hinweise von Ehemaligen.


FESTSCHRIFT
zum 50jährigen Bestehen
der
JÜRGEN-FUHLENDORF-SCHULE in Bad Bramstedt
1. Mai 1908
——————-
1. Mai 1958JFS1958_50J_Titel

INHALTSÜBERSICHT

Zum Geleit

3

Der Gründer unserer Schule

4

Gedenktafel für die Gefallenen

6

E. Neumann Fünfzig Jahre Jürgen-Fuhlendorf-Schule

7

H. Ralf Sozialstruktur und höhere Schule in Bad Bramstedt

27

G. Wangerin Der Physikunterricht
Vergangenes, Erreichtes, Erwünschtes

31

Katharina Nauck Gedanken über Ziel und Bedeutung des neusprachlichen Unterrichts

36

H.W. Meyer Unser Laienspielkreis

42

S. Soth Habe ich durch das Bestehen der Reifeprüfung den Beweis erbracht, daß ich ein gebildeter Mensch bin?

53

E. Baar Fahrt zum Abitur im Schnee steckengeblieben

57

Ein Schulalltag im Jahre 1958

60

Verzeichnis der Lehrkräfte

62

Verzeichnis der Abiturienten

63

Zum Geleit

In den ersten fünfzig Jahren ihres Bestehens hat sich die Jürgen-Fuhlendorf-Schule in Bad Bramstedt in mannigfachen Wandlungen zu ihrer heutigen Gestalt entwickelt. Es waren gewiß keine leichten Jahre, und deswegen erscheint es mir berechtigt, wenn die Schule voll Freude über das Erreichte ihr Jubiläum feiert.
Als Privatschule auf Initiative von Schülereltern und Freunden der Jugend gegründet, hat sie sich in mühevollem Ringen aus kleinsten Anfängen heraus entwickelt. Sie hat auch noch, als sie zu der von einer Stiftung getragenen Oberschule geworden war, um ihre Existenz kämpfen müssen, bis das Land Schleswig-Holstein sie vor einem Jahr als Staatliches Gymnasium übernommen hat und damit auf eine sichere Grundlage gestellt hat.
Diese ihre besondere Entwicklungsgeschichte hat den Charakter der Schule geprägt und in ihrer Schulgemeinde stärkere und persönlichere Bindungen zu ihrer Schule geschahen, als man sie gemeinhin an unseren öffentlichen Schulen zu finden pflegt.
Von dieser Grundlage aus bieten sich für die Jürgen-Fuhlendorf-Schule, zumal sie auch als staatliches Gymnasium mit vierhundert Schülern und Schülerinnen eine überschaubare Größe bewahrt hat, besonders günstige Voraussetzungen für die Pflege einer echten Partnerschaft zwischen Eltern, Schülern Lehrern.
Daß die Schule diese ihre besonderen Möglichkeiten auch in der Zukunft zum Besten der ihr anvertrauten Jugend pflegen und weiterentwickeln möge, ist der Wunsch, den ich ihr als Kultusminister des Landes Schleswig-Holstein an ihrem Jubiläumstage mit auf den Weg geben möchte.

Osterloh


Der Gründer unserer Schule
huempel150
Das zwischen dem Bereich der Schulen von Hamburg, Elmshorn, Itzehoe, Neumünster, Segeberg und Oldesloe liegende Landgebiet verdankt sein Gymnasium einem Bauernsohn.

Ernst Hümpel, am 29. Mai 1867 geboren, war das achte Kind des Halbhufners Franz Joachim Nicolaus Hümpel zu Borstorf im Herzogtum Lauenburg. Er selbst hat nach dem Besuch der Dorfschule zwei Jahre lang als Knecht auf dem Hofe seines Bruders gearbeitet. Eines Tages nahm sich der Pastor von Breitenfelde seiner an und ermöglichte dem inzwischen Sechzehnjährigen den Besuch der Gelehrtenschule zu Ratzeburg. Die Reifeprüfung bestand Ernst Hümpel mit einundzwanzig Jahren, mit sechsundzwanzig Jahren promovierte er in Greifswald magna cum laude zum Dr. phil., mit neunundzwanzig Jahren legte er die theologische Amtsprüfung ab.
Ernst Hümpel hat mit erstaunlicher Hartnäckigkeit, unter großen Entbehrungen seinen Berufsweg verfolgt. Immer wieder mußte er sein Studium unterbrechen und als Hauslehrer seinen Lebensunterhalt verdienen. Lediglich den prekären wirtschaftlichen Verhältnissen ist es zuzuschreiben, daß der junge Dr. et lic. auf die von der Theologischen Fakultät in Greifswald bereits gestattete Habilitation verzichtete.
D. Theodor Kaftan ordinierte den Dreißigjährigen zum Geistlichen. Am 20. Januar 1901 übernahm Dr. Hümpel die Pfarre in Bad Bramstedt. Im gleichen Monat heiratete er Dorothea Katterfeld, die Tochter des Pastors zu Preetz.

In dem kaum zur Stadt gewordenen Bramstedt gründete der Vierzigjährige angesichts eines sehr zurückhaltenden Königlich -Preußischen Provinzialschulkollegiums eine höhere Privatschule. Drei Jahre leitete er die Schule selbst, vier Jahre führte er den Vorsitz im Schulverein, um dann in einem abrupten Entschluß – das Protokollbuch nennt Gesundheitsrücksichten – sein eigenes Werk sich selbst zu überlassen. Unser Bild – es stammt aus der Gründungszeit – zeigt einen früh gealterten Menschen. Dennoch hat damals wohl niemand geahnt, daß das Leben dieses willensbestimmten, schaffensfreudigen, gelegentlich etwas heftigen Mannes sich bereits seinem Ende zuneigte.
Mit fünfzig Jahren ist Ernst Hümpel am 23. Februar 1918 einem Schlaganfall erlegen.

Die älteren Bramstedter erinnern sich noch recht gut ihres Pastors, der, von großer Statur, mit auf dem Rücken verschränkten Händen die Straßen durchschritt, gelegentlich begleitet von einem lateinische Vokabeln hersagenden Schüler. Sie erinnern sich, daß der Pastor die Jugend zu Sonntagsausflügen einlud und ihr – in Fragen der Moral selbst von rigoroser Gesinnung – gehörig den Kopf zurechtsetzte.
Pastor Hümpel kümmerte sich um Fragen der Kommunalpolitik ebenso wie um den Ausbau der Eisenbahnstrecke Bad Bramstedt – Neumünster. Gern schränkte er im Schleswig-Holsteinischen Sonntagsboten den Raum für die Gemeindenachrichten ein, um gegen die Freisinnigen zu Felde zu ziehen oder gar um Friedrich Dernburgs „Kritik der Nationen“ zu rezensieren.
Pastor Hümpel war ein königstreuer Mann und guter Patriot. Kein Wunder, daß er, der Geistliche, am ersten Mobilmachungstag 1914 seine Pflicht darin sah, vor dem Roland zu den Bramstedtern zu sprechen. Während der Kriegsjahre unterhielt er mit den Einheitsführern der an der Front stehenden Gemeindemitglieder einen ständigen Briefwechsel. Den Angehörigen der Gefallenen hat er immer selbst die Todesnachricht überbracht.

Über dem Eingang unseres Altbaus steht die etwas altfränkisch anmutende Sentenz „Alles für die Jugend und das Vaterland“.
Ich glaube, dahinter verbirgt sich eine Art Vermächtnis des Gründers unserer Schule. Jenes Mannes, dem die Schwere der eigenen Jugend Ziel und Maß seines Lebens setzte.

H. Ralf


Unsere Gefallenen
1914-1918

Bernhard Otte
Karl Reumann
Heinrich Schümann
Hans Schlüter
Hans Sievert
Heinrich Timmermann

1939 – 1945

Klaus Asbahr
Fritz Barth
Horst Cordua
Hans-Jürgen Franke
Hans-Georg Glass
Günter Hargens
Hermann Hargens
Ludwig Hartmann
Helmut Hauschildt
Wolfgang Hauschildt
Curt Hoffmann
Fritz Kahl
Hans-Alfred Kahl
Helmut Kay
Heinrich Köhnke
Hermann Krüger
Paul Krüger
Heinz Kruse
Erich Kunrath
Alfred Lienau
Gustav Lienau
Gerd Neumann
Heinrich Ohrt
Hans Oldenburg
Arthur Oppermann
Günther Rabben
Heinrich Rathje
Otto Runge
Joachim Schloe
Adolf Schröder
Heinz Schümann
Peter Schümann
Paul Schulz
Dr. Helmut Schwarz
Otto Seller
Walter Sorgenfrei
Paul Stammerjohann
Heinrich Stau
Dieter Stiller
Hans-Adolf Thies
Max TietjensG
Gustav Timmermann

Johannes Christian Wrage

50 Jahre Jürgen-Fuhlendorf-Schule

Oberstudiendirektor Dr. E. N e u m a n n

Nihil intellegitur, nisi diligitur

50 Jahre – welch winzige Zeitspanne im Meer der Ewigkeit! Und auch in der mensch­lichen Geschichte: Was bedeutet schon dort ein Halbjahrhundert gegenüber den gewaltigen Entwicklungen politischer, wirtschaftlicher und technischer Art, die sich auf weit größere Zeiträume erstrecken? Und 50 Jahre einer Schule? Selbst in diesem engeren Bezirk menschlichen Geschehens ist diese Zeitspanne gering .zu nennen, wenn man an die Zahl der Jahre denkt, auf die manche altehrwürdigen höheren Schulen in Deutschland und anderen Kulturländern zurückschauen können. Und doch, wenn ich im Rahmen dieser Festschrift einen Überblick über die 50jährige Geschichte der Jürgen-Fuhlendorf-Schule in Bad Bramstedt gebe, so tue ich es nicht nur freudig, sondern auch in dem Bewußtsein, eine lohnende und dankbare Aufgabe zu erfüllen. Einmal läßt ein solcher Überblick den Wandel der Zeiten in überaus interessanter Weise spürbar werden, und zwar bei der engen Verbindung, die von jeher zwischen der Jürgen-Fuhlendorf-Schule und ihrem Domizil, Bad Bramstedt, bestanden hat, gerade auch innerhalb dieser Stadt und ihrer Umgebung; zum anderen ist die Entwicklung unserer Anstalt selber bemerkenswert, da wohl selten eine Schule, aus bescheidensten Anfängen erwachsen, sich in dem geschichtlich gesehen nur kurzen Zeitraum von fünf Jahrzehnten in so erstaunlicher Weise entfaltet hat. Dabei soll der Opferfreudigkeit und privaten Initiative interessierter Männer und Frauen aus Bad Bramstedt und Umgebung besonders gedacht werden, ebenso der Bemühungen meiner Vorgänger, der einstigen Leiter der Schule, und aller ihrer Mitarbeiter. Es darf dadurch aber keineswegs die Förderung, die staatliche Stellen und andere Behörden unserer Anstalt angedeihen ließen, in den Hintergrund gerückt oder gar verkleinert werden. Die nachfolgenden Ausführungen werden auch diesen nicht gering zu schätzenden Faktor im Aufstieg der Schule an gegebener Stelle gebührend werten. Nur eins sei noch vorangeschickt: Da ich erst etwa ein Jahrzehnt der Jürgen-Fuhlendorf -Schule als Lehrer und Anstaltsleiter zugehöre, so bin ich mir dessen bewußt, daß meine nachfolgende Darstellung manche Unzulänglichkeiten, vielleicht sogar Ungenauigkeiten und Irrtümer enthalten mag, obwohl ich bemüht war, aus noch vorliegenden Protokollen, Mitteilungsbüchern, Eingängen aller Art und sonstigen vorhandenen Unterlagen zu schöpfen und von älteren früheren Schülern Wissenswertes zu erfahren, vor allem die jeweilige Eigenart der Atmosphäre seit Bestehen der Schule nachzuempfinden und nachzuzeichnen. Allen denen, die mich bei diesem Suchen und Bemühen unterstützt haben, gebührt mein herzlicher Dank, besonders Herrn Studienassessor Dr. Ralf, meinem Helfer bei der Sammlung und Sichtung des vorliegenden Materials.

I. Höhere Privatschule

1908 – 1922

Zu Beginn unseres 20. Jahrhunderts wurde im Zeichen des steigenden Wohlstandes und Bildungsstrebens im deutschen Kaiserreich bei einigen besser situierten Familien in der damals rund 2500 Einwohner umfassenden kleinen Landstadt Bad Bramstedt der Wunsch rege, am Ort eine höhere Privatschule zu errichten. Sie sollte befähigte Kinder aus der Stadt und ihrer Umgebung auf den späteren Besuch einer höheren Lehranstalt vorbereiten. Es ist das unvergängliche Verdienst des damaligen Pastors lic. Dr. Ernst Hümpel, daß er sich zum energischen Verfechter dieses an ihn herangetragenen und von ihm selbst lebhaft gehegten Wunsches machte. Dabei fand er in dem hiesigen Arzt Dr. med. Paul Wulf einen umsichtigen, tatkräftigen Helfer. In der ganzen Umgegend, auch in Kaltenkirchen und Großenaspe, wurden Werbeabende veranstaltet, in denen Pastor Hümpel durch Darlegung der Vorteile, die das Vorhandensein einer solchen Schule für die heranwachsende Jugend biete, mit Erfolg für seinen Plan Stimmung machte. Nachdem bereits verschiedene vorbereitende Versammlungen und Sitzungen stattgefunden hatten, wurde schließlich am 2. Februar 1908 der „Verein für die Höhere Privatschule“ gegründet und beschlossen, die Schule möglichst bald ins Leben zu rufen. Es bildete sich ein geschäftsführendes Kuratorium, bestehend aus Pastor Dr. Hümpel, Dr. Wulf, Amtsgerichtssekretär Matthies, Viehhändler H. Langhinrichs und Pensionsbesitzer G. Meyer aus Bad Bramstedt sowie O. Möller und Tischlermeister Lüders aus Kaltenkirchen. Der genannte Beschluß fand in der Elternschaft so großen Widerhall, daß man, nachdem die Regierung in Schleswig die einstweilige Genehmigung erteilt hatte, sofort an die Arbeit gehen konnte. Zwei im Wohnhaus (1. Stock!) des Tischlermeisters Graf im Landweg zur Verfügung stehende Räume wurden entsprechend eingerichtet und die Schule am 1. Mai 1908 mit 39 Kindern eröffnet. Das war also recht eigentlich der Geburtstag unserer jetzigen Jürgen-Fuhlendorf-Schule. Welche Wandlung, wenn man das heutige staatliche Gymnasium mit dem schwachen Gebilde vergleicht, als das sich uns die höhere Privatschule von Bad Bramstedt im Jahre 1908 bei ihrer Eröffnung darstellt: Damals fanden sich 39 jüngere Kinder zu gemeinsamem Unterricht in dem oberen Teil eines Wohnhauses zusammen, heutzutage gehen 400 Jungen und Mädchen in dem ausgedehnten Schulgebäude mit seinen 20 Unterrichtsräumen in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs ein und aus, um hier von insgesamt 25 Lehrkräften in den Klassen VI – OI mit dem Ziel der Reifeprüfung zeitgemäßen Unterricht zu empfangen. Wie andersartig, ja, fremdartig muß uns das innere Gefüge dieser Schule in ihren Anfängen erscheinen: Die meisten Kinder besuchten damals die sogenannte Vorschule als Vorstufe zum Eintritt in die Sexta, einige wenige die Sexta selbst, die Hauptklasse, wie sie offiziell hieß. Höhere Klassenstufen waren zunächst noch nicht vorhanden. Die Zahl der zur Verfügung stehenden Lehrkräfte aber belief sich auf vier, von denen jedoch nur eine einzige hauptamtlich wirkte: Fräulein Frieda Krüger aus Barmen. Sie war also die erste eigentliche

Landweg 28

Graf’sches Haus im Landweg 28 Am Bahnhof 16 im Jahr 1912

Lehrkraft unserer Schule. Außerdem unterrichteten Pastor Dr. Hümpel, die im Meyerschen Pensionat tätige Lehrerin Fräulein Pfähler und der an der Volksschule angestellte Lehrer A. Kühl nebenamtlich. Pastor Dr. Hümpel aber als Leiter der Schule gab der jungen Anstalt auf Jahre hinaus ihr Gepräge. Einige frühere Schüler, heute nicht mehr gerade die jüngsten an Lebensalter, schildern ihn als imposante Gestalt, gar streng und ziemlich gefürchtet, selbstlos und hilfsbereit, aber auch aufbrausend und impulsiv, eine eindrucksvolle und mit hervorragender Rednergabe ausgestattete Persönlichkeit von Format. An Schulgeld wurden erhoben in der Vorschule jährlich 100 M, in der Hauptschule 120 M. Der Etat – im ersten Jahr mit einer Endsumme von 4500 M – war knapp bemessen, und so fehlte es im Anfang an Lehrmitteln jeglicher Art. Nach und nach wurde dann das Nötigste angeschafft, manche Stücke von Gönnern der Schule gestiftet. So schenkte ein Einwohner aus Kaltenkirchen 200 M zur Beschaffung eines Harmoniums, wie überhaupt schon für diese erste Werdezeit der Bramstedter Schule das starke Interesse, das ihr unser Nachbarort Kaltenkirchen entgegenbrachte, charakteristisch erscheint. Diese Verbundenheit besteht noch heute, da ja die Jungen und Mädchen aus Kaltenkirchen einen bedeutenden Teil unserer auswärtigen Schüler darstellen. In damaliger Zeit kann man geradezu von einer Art Zusammengehörigkeitsgefühl sprechen, und es waren sogar laut Beschluß des Vorstandes seit 1911 ein Drittel des Kuratoriums Herren aus der Gemeinde Kaltenkirchen.

Das Jahr 1909 brachte einen weiteren Fortschritt. Die Schülerzahl wuchs auf 53, und eine dritte Klasse wurde eingerichtet. Auch der erste Lehrerwechsel trat ein: eine neue hauptamtliche Lehrkraft wurde gewonnen, zwei der bisherigen Lehrerinnen schieden aus, und andere traten an ihre Stelle. Es sei hier schon vermerkt, daß auch im Laufe der weiteren Entwicklung der Schule bis zum Ende des zweiten Weltkrieges, also rund vier Jahrzehnte hindurch, dieser stete Lehrerwechsel eine der, auffälligsten Erscheinungen innerhalb ihrer Geschichte ist. Er erklärt sich wohl vor allem aus der Tatsache, daß die Private höhere Schule ihren Lehrkräften keine finanzielle Sicherheit auf weite Sicht gab und auch nicht geben konnte. Es ist gewiß kein Geheimnis, daß einzelne Lehrer und Lehrerinnen im Laufe der Jahrzehnte sich als wenig tauglich erwiesen haben und darum nicht auf eigenen Wunsch, sondern durch Kündigung ihres Dienstverhältnisses seitens des Schulvorstandes ausgeschieden sind. Diese Schattenseite, welche die Geschichte unserer Schule vor allem in ihrem ersten Jahrzehnt deutlich aufweist – denn nach dem ersten Weltkrieg, etwa ab 1922, überwies in zunehmendem Maße das Provinzialschulkollegium junge Kräfte, wenn auch meist nur für begrenzte Zeit, hierher zur Dienstleistung –, hat erfreulicherweise weder die aufsteigende Entwicklung der Anstalt gehemmt noch den wachsenden Leistungsstand vereitelt, gewiß ein günstiges Zeichen für die Schule als Ganzes, für ihre gesunde Solidität, vor allem aber zweifellos ein Verdienst ihrer jeweiligen Leiter, über die noch im einzelnen zu sprechen sein wird.

Doch nun zurück zu ihren Anfängen! Im Jahre 1910 zählte die Schule bereits 67 Kinder. Zwei neue Klassenzimmer im Erdgeschoß des genannten Hauses im Landweg wurden in Benutzung genommen. Jetzt gab es außer der Vorschule bereits drei Klassen: Sexta, Quinta und Quarta. Da die Räumlichkeiten dadurch immer enger wurden, richtete das Kuratorium, einer Anregung, aus Mitgliederkreisen folgend, an die Stadt den Antrag, die aufblühende Schule zu übernehmen. Doch wurde dieser Antrag mit Stimmenmehrheit von dem Stadtverordnetenkollegium abgelehnt. Vermutlich spielte in damaliger Zeit das Vorurteil, daß eine höhere Schule als eine Art Standesschule anzusehen sei, eine wesentliche Rolle und war vielleicht sogar für die Ablehnung ausschlaggebend.

Als Pastor Dr. Hümpel erklärte, die Schulleitung niederlegen zu wollen, beschloß das Kuratorium, einen hauptamtlichen Leiter anzustellen. Als solcher wurde Rektor Gehrs aus Borkum gewählt, während Pastor Dr. Hümpel auch weiterhin – bis Oktober 1912 – als Vorsitzender des Kuratoriums fungierte. Der neue Leiter trat seine Stelle 1911 an. Gleichzeitig erfuhr der Unterrichtsbetrieb insofern eine wichtige Umstellung, als an die Stelle des Latein, das fortab nur noch wahlfreies Unterrichtsfach in der inzwischen neu entstandenen Klasse U III war, Französisch als Hauptsprache trat. So wurde aus der Schule eine Vorbereitungsanstalt für den Übergang auf die Oberrealschule oder das Realgymnasium.
Das ständige Wachsen der Schülerzahl – 1911 waren es schon 73 Kinder machte den Bau eines eigenen Schulhauses notwendig. Man begann, sich immer eingehender mit diesem Problem zu beschäftigen. Bald ergab sich, daß die ursprünglich vorgesehene Bausumme von 30 000 M keineswegs ausreichte und das Doppelte, also 60 000 M erforderlich waren. Als eine hiesige Sparkasse sich bereit erklärte, die Bausumme zu mäßigen Zinsen herzugeben, wurde noch im gleichen Jahr der Bau beschlossen. Ein schönes Beispiel für Opfersinn und Schulinteresse bekundeten damals viele Eltern und Freunde der Schule, als sie Anteilscheine zeichneten und mit je 300 M für die angeliehene Bausumme hafteten. Bis Ende des Jahres stand das jetzige Schulhaus im Rohbau da, und am 17. April 1912 konnte die Schule in ihr eigenes, geräumiges und zweckmäßig eingerichtetes schönes Heim einziehen. Sie hatte nunmehr 99 Jungen und Mädchen und umfaßte, abgesehen von der Vorschule, die Klassen VI – OIII.

In den Schulakten sind die Reden des damaligen Rektors Gehrs beim Abschied aus dem alten Haus und bei der Einweihungsfeier des neuen Schulgebäudes an jenem Frühlingstag 1912 noch erhalten. Aus ihnen ergibt sich manches Interessante: In eindrucksvollen Worten schildert er die Unmöglichkeit, in den bisherigen Schulräumen weiterhin ersprießliche Arbeit zu leisten: „Wenn sie auch anfänglich den bescheidenen Anforderungen bei Gründung der Schule im Jahre 1908 wohl genügen mochten, so stellte es sich doch im Laufe der vier Jahre nur allzuschnell klar heraus, daß sie den gesteigerten Anforderungen an Luft und Licht für eine größere Schulgemeinde nicht länger genügen konnten.“ Aber auch ein Satz aus der Einweihungsrede verdient meines Erachtens noch heute Beachtung: „Wir dürfen dieses neue Gebäude wohl mit Recht als ein zweites Wahrzeichen dieser Stadt neben dem Roland bezeichnen. Von welcher Seite man auch sich Bramstedt nähern mag, überall macht sich dem umschauenden Auge dieser stattliche Bau angenehm bemerkbar.“ Ist die Behauptung zu anmaßend, daß man auch heute das Gleiche von unserem jetzt erweiterten Schulgebäude sagen kann?

Mit dem Einzug in das neue Heim, vier Jahre nach ihrer Begründung, hatte die Schule sozusagen ihre Kinderschuhe ausgezogen. Im allgemeinen blieb die Schülerzahl konstant. Sie bewegte sich um 100 Kinder, von denen rund ein Drittel Mädchen waren. Unterrichtende Lehrkräfte gab es meist fünf. Es war eine kleine Schule, die der Landschaft, in die sie hineingestellt war, einen notwendigen Dienst leistete, ja, für sie allmählich unentbehrlich war. Dies erweist deutlich die Tatsache, daß bereits zum erstenmal im Jahre 1911 sowohl das Stadtverordnetenkollegium von Bad Bramstedt wie auch der Segeberger Kreistag Zuschüsse leisteten und unsere Schule dieser finanziellen Förderung auch weiterhin alle die folgenden Jahre hindurch für würdig erachteten. Gewiß muten diese ersten Zuschüsse vom Jahre 1911 heutzutage mehr als bescheiden an, wenn man vernimmt, daß die Stadt 750 M und der Kreis 500 M bewilligten. Doch der Geldwert war ja in dieser wirtschaftlich so fest fundierten Zeit vor 1914 ein ganz anderer. Vor allem scheint es mir ein schönes Zeichen positiver Wertung für unsere damalige Schule zu sein, wenn ihr im Rechnungsjahr 1912 das Bramstedter Stadtverordnetenkollegium 1440 M und der Segeberger Kreistag 1000 M bewilligten, also das Doppelte gegenüber dem Vorjahr, und auch in den nächsten Jahren wurden die Summen noch erhöht. Klar ergibt sich daraus, daß die Bezeichnung „Private höhere Schule“ im eigentlichen Sinne gar nicht paßte, als ob je an unserer Schule ein Unternehmer hätte Einkünfte erzielen wollen und Verdienstmöglichkeiten gesucht hätte. Immer war das Ziel der jeweiligen Vorsitzenden und sonstigen leitenden Herren im Schulverein gemeinnütziger Art. Dies erhellt auch aus der erfreulichen Tatsache, die immer wieder aus den einstigen Aufzeichnungen hervortritt, daß jederzeit Kinder bedürftiger Familien aus Bad Bramstedt und Umgebung großzügig ganze oder halbe Freistellen bewilligt erhielten und zahlungsschwachen Eltern Zahlungsaufschub gewährt wurde. Oft hat man geradezu das Gefühl, daß man säumigen Zahlern gegenüber allzu gutmütig und nachsichtig war, gewiß ein Zeichen dafür, daß in keiner Weise die Schule im Sinne eines Geschäftsunternehmens an der Erzielung von Einnahmen interessiert war, sondern diese nur zur Deckung der unvermeidlichen Ausgaben, wie Lehrerbesoldung, Instandhaltung des Gebäudes, Beschaffung von Lehrmitteln, benutzte.

Der erste Weltkrieg übte auf die Schule keine größere Wirkung aus. Der Schulbetrieb konnte im ganzen aufrechterhalten bleiben. Die Schülerzahl stieg weiterhin und erreichte 1918, als man des zehnjährigen Bestehens der Anstalt – entsprechend der Schwere der Zeit ohne besondere Feierlichkeiten – gedachte, die bisherige Höchstzahl von 171 Kindern. Ehrend sei auch an dieser Stelle der Gefallenen gedacht: Ein jüngerer Lehrer mit Namen Ernst Piur, der gleich zu Beginn des Krieges freiwillig in das Heer eingetreten war , und sechs ehemalige Schüler haben in den Kämpfen von 1914 bis 1918 ihr Leben gelassen, wie eine noch jetzt in der Schule angebrachte Ehrentafel ‚kündet. Ein früherer Schüler verlor das Augenlicht.

Auch nach dem Krieg blieb die Schule zunächst in ihrem Bestand so gut wie unverändert. Der Abbau der Vorschulklassen (entsprechend der nunmehr durch Reichsgesetz festgelegten Grundschulpflicht) konnte sogar noch mehrfach hinausgeschoben werden und war erst im Jahre 1932 abgeschlossen. Nach genau zehnjähriger Wirksamkeit trat am 1. April 1921 Rektor Gehrs von der Leitung der Schule zurück. Er hat noch 17 Jahre in Ruhestand gelebt und verstarb 1938. Sein Nachfolger wurde Rektor Schneider . Unter ihm erlebte die Schule einen grundlegenden Wandel und trat damit in den zweiten Abschnitt ihrer Geschichte und Entwicklung ein.

 

II. Realschule e. V.

1922 – 1936

Verhältnismäßig leicht wurden die Wirren und Stürme der Inflation von dem Schulverein als Träger der Anstalt überwunden, und die Schule konnte sogar in dieser Zeit einen großen Schritt vorwärts tun. Seit den ersten Jahren ihres Bestehens umfaßte sie, abgesehen von den Vorschulklassen, die Klassen VI bis O III. Sie hatte damit ausschließlich vorbereitenden Charakter. Die Schüler sollten so weit gebracht werden, daß sie über OIII hinaus anderswo eine Vollanstalt besuchen konnten. Wiederholt war wohl schon der Gedanke aufgetaucht, der Anstalt bis zum Beginn der Oberstufe zur Selbständigkeit zu verhelfen, auch, wenn möglich, ihre Übernahme durch die Stadt oder den Kreis zu erreichen. Bei diesen Bestrebungen, die sich jetzt verstärkt regten, war eine Frage umstritten: Sollte die Anstalt Mittelschule werden oder höhere Schule bleiben, entsprechend der ursprünglichen Absicht ihrer Gründer ? Damit hing die Frage der Schulaufsicht zusammen: Wer sollte diese übernehmen, der Kreisschulrat oder das Provinzialschulkollegium? Rückblickend wollen wir uns dessen freuen, daß die Schule trotz aller Schwierigkeiten ihren ursprünglichen Charakter hat bewahren können. Die endgültigen Voraussetzungen dazu wurden in den Jahren 1922/23 geschaffen: Ab Ostern 1922 erhielt sie eine Untersekunda, und im September hieß sie nunmehr amtlich „Realschule e. V.” Zu Ostern 1923 wurde dann die erste Abschlußprüfung gehalten. Zu diesem Zweck mußten die betreffenden Jungen und Mädchen der letzten Klasse nach Bad Oldesloe fahren und sich an der dortigen Oberrealschule der Prüfung unterziehen. Diese brachte eine große Enttäuschung: Nur drei Prüflinge unter sieben bestanden. Mit gutem Recht äußerte in der Mitgliederversammlung des Schulvereins im Mai dieses Jahres ein Kuratoriumsmitglied, der Grund liege hauptsächlich in dem Mangel an geeigneten Lehrmitteln, vor allem für Geschichte und Chemie , und ihre Anschaffung sei dringend erforderlich. Das Fiasko hatte ein Gutes: Die Anstrengungen wurden verdoppelt, alle Kräfte wurden angespannt, und so geschah es bei der Abschlußprüfung im Jahre 1924, daß von sechs Prüflingen fünf, und im folgenden Jahre, daß von acht Prüflingen sieben in Bad Oldesloe bestanden. Oberstudiendirektor Dr. Michael, der Leiter dieser höheren Schule , seither etwa 20 Jahre ein warmer Förderer unserer Anstalt, konnte mit Freude damals feststellen, daß die Leistungsfähigkeit unserer Anstalt von Jahr zu Jahr zunahm. Sie war nunmehr in ihrem Weiterbestehen als Realschule, das heißt als höhere Schule, gesichert. Als im Dezember 1926 nochmals an die Stadtverwaltung das Gesuch erging, die Schule zu übernehmen, wurde ausdrücklich betont, daß sie auf jeden Fall Realschule bleiben müsse und eine Umwandlung in eine Mittelschule nicht in Frage käme. Das Gesuch selbst hatte keinen Erfolg.

Nach dem Ausscheiden von Rektor Schneider übernahm ab 1. Oktober 1923 Studienassessor Richard Horstmann die Leitung der Schule. Er führte zunächst nach altem Brauch den Titel „Rektor“; ab 1926 wurde jedoch dieser entsprechend dem privaten Charakter der Schule als unstatthaft erklärt und durch den allgemeinen Titel „Direktor“ ersetzt. In seiner fast vierjährigen Tätigkeit verstand es Direktor Horstmann, die Schule vorwärtszubringen und ihre weitere Entfaltung zu fördern. Die allgemein im damaligen deutschen Bildungswesen spürbare Modernisierung und Reformfreudigkeit – dieses Wort im besten Sinne des Wortes gebraucht! – fanden auch an der Realschule in Bad Bramstedt einen günstigen Niederschlag. Schulbetrieb und Unterrichtsweise wurden weitgehend umgewandelt, wobei der Gedanke des Arbeitsunterrichts, eine Lieblingsidee jener Jahre, theoretisch durchgearbeitet und praktisch nach besten Kräften verwirklicht wurde. Die Verbindung mit der Elternschaft wurde auf Elternabenden gepflegt. Ausflüge, Fahrten der älteren Schüler zum Besuch kultureller Veranstaltungen in Kiel und Hamburg, Lesenachmittage, mancherlei Feierstunden sowie Laienspielaufführungen lockerten das Schulleben auf und vermehrten die Schulfreudigkeit. Ab Ostern 1925 wurde Englisch anstatt Französisch die erste Fremdsprache. Der Lehrerwechsel an der Schule, eine Dauererscheinung in ihrer Geschichte, hielt zwar an, aber man kann beim Lesen der alten Protokolle dennoch einen erfreulichen Wandel feststellen: Junge Akademiker traten vielfach an Stelle der bisherigen meist seminaristisch gebildeten Lehrer. Ist es ein Zufall, daß gerade in diesen Jahren, die dem nachträglichen Betrachter ein ausgesprochen positives Bild bieten, die Schülerzahl mit 176 Jungen und Mädchen im April 1926 ihren bisherigen Höchststand erreichte? Äußere Momente, wie die Festigung und Stärkung der allgemein wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, mögen ebenso wie die erwähnten Lichtseiten im inneren Gefüge der Schule diesen Aufstieg begünstigt haben.

Weniger erfreulich ist das Bild der Jahre 1927 bis 1932. Es muß zugegeben werden, daß offensichtlich in dieser Zeit die Direktoren wie auch manche Lehrkräfte ihren Aufgaben nicht gewachsen waren. Vom 1. Mai 1927 bis 1. April 1932 fungierte Direktor Schaarschmidt, von da ab für ein Halbjahr vertretungsweise ein gewisser Herr Lawin, dessen längeres Verbleiben gewisse Vorkommnisse unmöglich machten. Der Wechsel der Lehrkräfte häufte sich. Wir beobachten ein Kommen und Gehen der an der Schule tätigen Assessoren, und gerade auch die tüchtigen scheinen ihr häufig den Rücken zu kehren. Gewiß ist die nachträgliche Beurteilung der damals herrschenden Verhältnisse schwierig. Doch gibt es zu denken, wenn man in den aus dieser Zeit erhaltenen Akten liest, daß abfällige Äußerungen über die Realschule in unserer Stadt im Schwange waren, daß der damalige Direktor mehrfach protokollierte, er habe befriedigende Aufklärungen über die Verhältnisse an der Schule gegeben, daß er andererseits vom Kuratorium angewiesen wurde, sein Kollegium darauf aufmerksam zu machen, daß über alle Schulangelegenheiten im Interesse des Ansehens der Anstalt unbedingte Schweigepflicht herrschen müsse.

Doch verlassen wir die Zeit der Stagnation oder vielleicht sogar des Niedergangs unserer Schule in diesen Jahren, freuen wir uns nachträglich dessen, daß die damals drohende Gefahr ihres Zusammenbruchs dank der Treue und Opferbereitschaft des überwiegenden Teils der Eltern und Freunde der Schule, dank dem selbstlosen Einsatz der meisten Kuratoriumsmitglieder gebannt werden konnte. So beobachten wir seit Oktober 1932 eine sichtbare Beruhigung der Verhältnisse. Von der Schulbehörde empfohlen, wurde Oberstudienrat a. D. Prof. Ernst Hansen aus Flensburg damals Direktor. Er wirkte genau vier Jahre in diesem Amt. Schon nach einigen Monaten äußerte der Vorsitzende des Schulvereins auf einer Mitgliederversammlung wörtlich: „Es hat sich schon jetzt erwiesen, daß wir mit dieser Wahl in den Glückstopf gegriffen haben.“ Die nunmehr an der Schule tätigen Lehrkräfte, überwiegend neu eingetretene Akademiker mit vollgültigen Zeugnissen und angemessenen Befähigungsnachweisen, fanden allgemeine Anerkennung.

Infolge höherer Anordnung erfolgte in dieser Zeit wieder einmal ein Wechsel in der Fremdsprachenfolge: Ab Ostern 1933 war Französisch in Sexta die erste Fremdsprache, und in Obertertia kam Englisch hinzu. Mittlerweile war der Nationalsozialismus zur Macht gelangt. Im Mai 1933 feierte die Realschule glücklich und zukunftsfroh ihr 25jähriges Bestehen; keiner der Beteiligten konnte ahnen, wie verhängnisvoll sich die politischen Ereignisse dieses Jubiläumsjahres noch auswirken sollten. Im übrigen verdient es vermerkt zu werden, daß die beiden Direktoren in der Zeit von 1933 bis 1945 ihre Stellung wahrten, ohne je der damals allmächtigen Partei anzugehören, und die Gerechtigkeit verlangt es nicht minder, anzuerkennen, daß auch die führenden Parteifunktionäre im damaligen Bad Bramstedt maßvoll genug waren, die Schule im allgemeinen ihre bewährte Eigenart erhalten und weiter pflegen zu lassen. Spannungsmöglichkeiten zwischen der Schule und den nationalsozialistischen Jugendbünden ergaben sich wie wohl überall; doch ging es fast immer glatt, und der Standpunkt der Schule konnte sich durchsetzen. Anfang März 1936 tat Prof. Hansen in Anbetracht seines hohen Alters den Entschluß kund, mit Ende des Sommerhalbjahres sein Amt niederzulegen. Mit aller Umsicht und Sorgfalt hielt man diesmal Ausschau nach einer Persönlichkeit, die den mannigfachen Aufgaben des ihr zu übertragenden Amtes gewachsen zu sein versprach. Schon Anfang März stand fest, daß unter den Bewerbern Oberstudienrat a. D. Dr. Dietrich Heine, der gerade in diesen Wochen auf Grund der damaligen gesetzlichen Bestimmungen bereits mit 62 Jahren als Lehrkraft der Holstenschule in Neumünster in den Ruhestand trat, am ehesten für den Posten in Frage kam. So wurde er am 26. März 1936 vom Vorstand der Realschule einstimmig zum Leiter der Anstalt gewählt. Am 15. Oktober trat er sein neues Amt an. daß mit ihm und durch ihn eine überaus bedeutsame neue Ära in der Geschichte unserer Schule einsetzte, eine Zeit fast ununterbrochenen Aufstiegs und nie geahnter Weiterentwicklung, konnte damals niemand wissen oder auch nur vorausahnen. Der rückblickende Chronist stellt es im folgenden eindeutig fest und läßt darum hier einen neuen Abschnitt in der Schulgeschichte angehen.

III. Jürgen-Fuhlendorf-Schule

Private Oberschule für Jungen und Mädchen
1937-1949

Der Bericht über die „Ära Heine“ sei mit einer allgemeinen Feststellung begonnen: Vom ersten Tage an bestand ein ausgezeichnetes Verhältnis zwischen Schulleiter einerseits und Vorstand und Kuratorium andererseits, im wohltuenden Gegensatz zu manchen früheren Zeiten, da nur zu oft Differenzen und Spannungen sich unliebsam bemerkbar gemacht hatten. Was aber noch wesentlich wichtiger war; Dr. Heine entfaltete mit seinem Amtsantritt eine energiegeladene, ideenreiche Tätigkeit, die der Schule sichtbaren Auftrieb verlieh. Im Rahmen dieser Schrift kann nur ein Teil seiner verdienstvollen Wirksamkeit gewürdigt werden.

Dr. Dietrich Heine

Dr. Dietrich Heine

Einen Monat nach Beginn seiner Tätigkeit wurden auf seinen Antrag zwei Neuerungen beschlossen, die sich in damaliger Zeit recht erfolgreich auswirkten: 1. Bei besonderen Gelegenheiten wurden fortab Schülern und Schülerinnen aller Klassenstufen Bücher für gute Leistungen überreicht, 2. eine Schulzeitschrift wurde begründet, die zweimal im Jahr erscheinen sollte. – Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß durch die eine dieser Neuerungen das Streben der Schüler gehoben und ihr gesunder Ehrgeiz angespornt wurde , was dem allgemeinen Leistungsniveau zugute kam, durch die andere aber das Interesse für die Schule bei den Eltern und Freunden der Anstalt verstärkt, bei den ehemaligen Schülern wachgehalten und überhaupt in den weiteren Kreis der Öffentlichkeit getragen wurde. Auch noch eine dritte Neuerung fiel unmittelbar mit der Übernahme der Schulleitung durch Dr. Heine zusammen und war seiner Anregung zu verdanken: Bereits Anfang Dezember 1936 wurde bekanntgegeben, daß fortab die Schüler der Untersekunda nicht mehr zur Abschlußprüfung die Oberschule in Bad Oldesloe aufsuchen mußten, sondern die Prüfung an der eigenen Schule in Bad Bramstedt im Beisein des Oldesloer Direktors ablegen konnten. Welche Erleichterung nicht etwa bezüglich der Anforderungen, aber in seelischer Hinsicht diese Maßnahme bedeutete, ist leicht zu ermessen. Andere bezeichnende Maßnahmen fördernder Art fielen ebenfalls in die erste Zeit nach Dr. Heines Amtsantritt, wie vermehrte Durchführung von Elternabenden und ähnlichen Veranstaltungen und die Begründung einer Kameradschaft ehemaliger Schüler und Schülerinnen der Realschule.

Mittlerweile hatte sich die nationalsozialistische Staatsführung immer mehr gefestigt, und ihre totalitären Ansprüche steigerten sich in bedrohlichem Ausmaße. daß eine private Realschule, deren Unterhaltung einem Schulverein mit zahlenden Mitgliedern und einem Kuratorium mit ziemlich ausgeprägten Individualitäten oblag, von den damaligen Machthabern nicht gerade gern gesehen wurde, lag auf der Hand. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß es Dr. Heine im Bunde mit dem Vorstand und Kuratorium hier gelungen ist, Erstaunliches zu erreichen. Die große Schulreform der Jahre 1937 und 1938 würgte nicht, wie es anderswo in Deutschland bei ähnlichen Einrichtungen oft geschah, die Realschule ab, sondern in Verbindung mit der praktischen Auswirkung der großen Reform entwickelte sich aus der bisherigen Realschule eine private Oberschule für Jungen und Mädchen, deren Klassenzahl sich freilich endgültig auf nur fünf beschränken sollte. Die Klasse U II des Schuljahres 1937/38 durfte unter dem besonderen Namen OIIb zu Ende geführt werden und hatte nunmehr angesichts der Tatsache, daß die deutschen Oberschulen seit 1938 nur noch eine achtjährige Dauer umfaßten, die Aufgabe, zum Eintritt in die Klasse v, das heißt die Prima, vorzubereiten. Mit Interesse vernehmen wir heutzutage, daß damals in den Erörterungen anläßlich dieser weitgreifenden Schulreform der Wunsch laut wurde, im Laufe der Zeit aus der nunmehrigen Privaten Oberschule eine Vollanstalt zu machen. Wie dieses Streben ganz allmählich und schrittweise innerhalb eines Jahrzehnts sich aus tastenden Versuchen zu festen Formen verwirklicht hat, wird weiter unten noch auszuführen sein. Nunmehr ist aber auf ein historisches und wichtiges Ereignis in der Geschichte unserer Anstalt einzugehen, das in dieselbe Zeit fällt, ihre Umbenennung auf den Namen „Jürgen-Fuhlendorf-Schule“.

Es war im Frühjahr 1937, als Dr. Heine im Zusammenhang mit der amtlich angeordneten Umbenennung der bisherigen „Realschule e. V.“ in „Private Oberschule für Jungen und Mädchen“ den Vorschlag machte, der Anstalt einen würdigen Namen nach einer historischen Persönlichkeit zu geben. Der Gedanke wurde sehr beifällig aufgenommen. Vorgeschlagen wurden: „Roland-Schule“, „Gorch-Fock-Schule“, „Graf-Luckner-Schule“ und schließlich „Jürgen-Fuhlendorf-Schule“. Dieser Name drang durch in stolzer Erinnerung an den Mann, der als Fleckenvorsteher einst im 17. Jahrhundert die Bramstedter Bauern vor der Leibeigenschaft bewahrte. Seit August 1937 führt unsere Schule mit behördlicher Genehmigung ihren traditionellen Namen.

In Auswirkung der damaligen Schulreform und der sonstigen Maßnahmen des totalitären Staates, die ohne Widerspruch hingenommen werden mußten, sank die Schülerzahl in erschreckendem Maße: Sie bewegte sich in den Jahren 1937 und 1938 um 90 und ging sogar im Mai 1939 bis auf 72 zurück. Es zeugt von dem unverwüstlichen Optimismus aller maßgebenden Männer im Vorstand und Kuratorium einschließlich des zu diesem gehörenden Direktors Dr. Heine, daß man dennoch nicht verzagte. Die Feier des 30jährigen Bestehens, der Schule am 16. Juli 1938 war laut Bericht der „Bramstedter Nachrichten“ aus diesen Tagen der Anlaß zu einem Festakt, wie ihn Bad Bramstedt nur selten begangen hat.

Noch im selben Jahr 1938 bahnte sich eine neue Entwicklung an, die wir rückblickend als wichtigen Markstein im Aufstieg der Jürgen -Fuhlendorf-Schule beurteilen müssen: Im Zuge der damals vom Reichserziehungsminister verfügten „Planung der höheren Schulen“ bot sich ihr die Möglichkeit, trotz ihres privaten Charakters, der aber doch deutliche Merkmale einer gemeinnützigen Einrichtung aufwies, als „Zubringeschule“ anerkannt zu werden, das heißt als eine Schule, die den öffentlichen Anstalten völlig gleichgestellt war, so daß beispielsweise die Abgangszeugnisse ohne weiteres zum Übergang auf öffentliche höhere Schulen berechtigten. Freilich waren wichtige Voraussetzungen zu erfüllen. Besonders hing die Erreichung des genannten Zieles davon ab, daß ein naturwissenschaftlicher Arbeitsraum und zwei naturwissenschaftliche Sammlungsräume in das Schulgebäude eingebaut und die Sammlungen für Biologie, Chemie und Physik vervollständigt wurden, und dies erforderte bedeutende finanzielle Mehraufwendungen. Es ist nun ein stolzes Ruhmesblatt in der Geschichte der Jürgen-Fuhlendorf-Schule, daß dieses Vorhaben geglückt ist dank dem vereinten Einsatz des Direktors, des Kuratoriumsvorstandes, der Elternschaft und der beteiligten Handwerker, nicht zuletzt aber auch dank dem verständnisvollen Entgegenkommen der maßgebenden Männer in der höheren Schulbehörde, die trotz äußerer Parteizugehörigkeit gute Sachkenner waren und sich genug Objektivität bewahrt hatten. Sie alle verdienen, auch mit ihrem Namen hier ehrend erwähnt zu werden: Vorsitzender des Kuratoriums war damals Herr Amandus Kohfahl, der bereits seit August 1933 mit größter Freudigkeit und unermüdlicher Tatkraft die Belange der Schule vertrat, Kassenwart Herr Wilhelm Quistorff, der, nachdem er bereits längere Zeit als Vorstandsmitglied sein Interesse für die Schule unter Beweis gestellt hatte, seit Juli 1937 die Verwaltung der Gelder vorbildlich durchführte und lange Jahre in dieser seiner Tätigkeit der Schule wertvollste Dienste erwies. Den Neubau führte Bauunternehmer Horst durch. Seitens der damaligen Behörden seien in diesem Zusammenhang die beiden Oberschulräte Dr. Erichsen und Dr. Heller und der amtierende Bürgermeister von Bad Bramstedt, Karl Dittmann, auch heute noch dankbar genannt! Die Gesamtkosten dieser Umgestaltung des Schulgebäudes und der Neuerstellungen beliefen sich auf rund 12 000 RM. Da man nicht damit rechnen konnte, sie nur aus Schulgeldern und staatlichen sowie sonstigen öffentlichen Zuschüssen zusammenzubringen, wurden die Eltern aufgefordert, möglichst zahlreich Bürgschaften von je 300 RM zu leisten. Es zeugte von dem Opfersinn und dem Schulinteresse der Elternschaft, daß zahlreiche Zeichnungen erfolgten. Erfreulicherweise brauchte diese Bürgschaft aber dann nicht in Anspruch genommen zu werden. Der für damalige Verhältnisse umfangreiche Erweiterungsbau begann nach langen Vorarbeiten im August 1939, drei Wochen vor Kriegsausbruch, und konnte, wenn auch mit mehrmaligen Verzögerungen , durchgeführt werden. Bereits am 25. Januar 1940 wurde die Jürgen-Fuhlendorf-Schule als private Zubringeschule für die Oberschule in Bad Oldesloe vom Reichserziehungsminister anerkannt und ihr bald darauf die Genehmigung erteilt, zu Ostern 1940 eine Klasse 6 einzurichten. Da diese Klasse nach damaliger Ordnung bereits zur Oberstufe rechnete, war mitten im Krieg der erste Schritt zum weiteren Ausbau der Anstalt getan worden. Doch ehe in dieser Richtung Fortschritte möglich wurden, vergingen noch schwere Jahre, eine Zeit der größten Kraftanspannung allenthalben im deutschen Lande, der man, wenngleich sie einer schlechten Sache diente, was den meisten damals verborgen blieb, die Anerkennung nicht versagen kann.

„Der 2. Weltkrieg und die Jürgen-Fuhlendorf-Schule“: Über dieses Thema ließe sich eine besondere Abhandlung schreiben. In unserem Zusammenhang können jedoch nur die Hauptgeschehnisse angeführt werden, da sonst der Rahmen des Berichtes gesprengt würde. Die Mitglieder des Kollegiums und die Schüler gaben im eigentlichen Wehrdienst wie auch bei der Erfüllung anderer kriegswichtiger Tätigkeit ihr Bestes her. Aus dem Lehrerkollegium mußte Studienrat Dr. Helmut Schwarz noch am Ende des Krieges, im März 1945, sein Leben opfern. Wie viele von den früheren Schülern der Jürgen-Fuhlendorf-Schule gefallen oder vermißt sind, wird sich schwer endgültig feststellen lassen. Die Zahl 50 dürfte nicht zu hoch gegriffen sein, eine erschütternd große Zahl aus dieser verhältnismäßig kleinen Privatschule und ein getreues Spiegelbild jener allgemeinen Erscheinung, daß im zweiten Weltkrieg der Tod unter der deutschen Jugend furchtbare Ernte hielt.

Im übrigen sicherten paradoxerweise Leid, Unglück und Verderben, das deutsche Schicksal jener schweren Kriegsjahre, unserer Jürgen-Fuhlendorf-Schule damals die Existenzberechtigung: Die schweren Luftangriffe auf Hamburg und später auf Neumünster erzwangen die Verlegung größerer Bevölkerungsteile auf die ländliche Umgebung und veranlaßten die Einschulung vieler gefährdeter Kinder in ruhigeren Orten. So stieg die Zahl der Jungen und Mädchen bei uns im Laufe des Krieges sprunghaft an, wie folgende Übersicht verdeutlicht: 1939: 72, 1940: 91, 1941: 117, 1942: 104, 1943: 136, 1944: 253. Diese gewaltige Zunahme der Schülerzahl in einem viel zu engen Schulgebäude stellte an die Arbeitskraft und das Organisationstalent Dr. Heines, der selber schon über das Alter hinaus war, in dem man normalerweise seinen Beruf ausübt – im Jahre 1944 vollendete er das 70. Lebensjahr –, die höchsten Anforderungen, zumal gleichzeitig sich andere Schwierigkeiten drückend bemerkbar machten: Lehrkräfte waren äußerst schwer zu beschaffen, im Winter bereitete die Frage der Heizung größte Sorgen, und die Knappheit auf allen Gebieten des Lebens nahm täglich zu.

Und dann kam der große Zusammenbruch: April 1945 hörte der Unterricht auf. Als er auf Anordnung der Militärregierung gegen Jahresende wiederaufgenommen werden sollte, galt es, aus dem Nichts anzufangen. Jeder weiß, daß es damals an allem fehlte. Das Schulgebäude war vorhanden, doch hatte es durch Belegung mit der Organisation Todt in den letzten Kriegswochen erheblich gelitten und diente jetzt Flüchtlingen als Unterkunft. Schüler meldeten sich in großer Zahl: An Stelle der Jungen und Mädchen aus Neumünster, die im letzten Kriegsjahr der Luftgefahr wegen die Schule in Bad Bramstedt besucht hatten, traten die vielen Flüchtlingskinder aus Ost- und Mitteldeutschland, und so fanden sich, als der Unterricht am 28. November 1945 wiedereröffnet wurde, 140 Jungen und Mädchen ein. Die nächsten Wochen brachten laufend Zugänge, so daß die Schülerzahl bis Ostern 1946 auf 270 anschwoll. Die Zahl der Lehrkräfte dagegen war 1945 bis auf zwei zusammengeschrumpft. Dr. Heine eröffnete nach dem Zusammenbruch seine Schule mit Frau Dr. Dreves und Fräulein Jüngst, den einzigen Mitgliedern des heutigen Lehrkörpers, die schon vor der Kapitulation hier tätig waren. Sie bildeten den Stamm des neuen Kollegiums, das danach allmählich geschaffen wurde . Die meisten, unserer heutigen festangestellten Lehrer und Lehrerinnen sind in den Jahren 1946 bis 1948 hierhergekommen.

Auch nach dem Kriege blieb Dr. Heine trotz seines hohen Alters weiterhin auf seinem Posten. Tatkräftig unterstützt von Herrn Ernst Schümann, Hitzhusen, dem stellvertretenden Vorsitzenden des nach dem Kriege neu gebildeten Kuratoriums, der gleichzeitig Elternsprecher der Klasse U II des Schuljahres 1945/46 war, sah er eine neue große Aufgabe darin, einen Plan zu verwirklichen, der in früheren Jahren schon gelegentlich zaghaft geäußert worden war, den aber je durchzuführen man kaum zu hoffen gewagt hatte: Er beantragte die Einrichtung einer Obersekunda, um die Jürgen-Fuhlendorf-Schule nunmehr zu einer Vollanstalt auszubauen. Dr. Heine fand bei Herrn Oberschulrat Jaquet in Kiel volle Unterstützung in seinem Vorhaben und einen warmen Förderer unserer Schule: Dem Antrag wurde nach formaler Genehmigung seitens der Militärregierung stattgegeben und so zu Ostern 1946 eine Obersekunda eingerichtet. Man kann ohne Übertreibung sagen: In der wechselvollen Geschichte der Schule war diese neue Entwicklung nach rund 40 Jahren ihres Bestehens wohl am bedeutsamsten; denn damit war die Bahn frei gemacht zur Vollendung dessen, was unsere Bramstedter höhere Schule heutzutage nach 50jähriger Geschichte darstellt, wie noch im letzten Teil dieses Überblicks näher auszuführen sein wird. Am 1. Oktober 1948 legte der hochverdiente Leiter der Schule, Direktor Dr. Heine, sein Amt nieder und trat in den Ruhestand. Bei der Abschiedsfeier wurden ihm in reichem Maße Ehrungen zuteil; von den verschiedensten Seiten wurde ihm dankend Anerkennung bezeugt für seine Verdienste um den überraschenden Aufstieg der Schule in den zwölf Jahren seiner Wirksamkeit. So war es auch selbstverständlich, daß er bei der Reifeprüfung unserer ersten Oberprima, die von der Kieler Schulbehörde eigens auf den 4. März 1949, seinen 75. Geburtstag, gelegt worden war, als Ehrengast im Prüfungskollegium weilte und berechtigten Stolz und hohe Freude empfand, als unsere ersten 8 Abiturienten geschlossen durchs Ziel gingen. Die Leitung der Schule hatte nach dem Ausscheiden Dr. Heines für anderthalb Jahre kommissarisch Studienrat Herbst inne und führte in dieser Zeit die ersten beiden Reifeprüfungen an unserer Schule in den Jahren 1949 und 1950 erfolgreich durch.

IV. Durchbruch zum Endziel:

Jürgen-Fuhlendorf-Schule, Staatliches Gymnasium für Jungen und Mädchen
1950 – 1958

Gleichzeitig mit dem soeben dargestellten erfreulichen Aufstieg der Jürgen-Fuhlendorf-Schule seit 1946 trat eine bedrohliche Krise finanzieller Art in Erscheinung, die zeitweise geradezu die weitere Existenz der Anstalt in Frage stellte. Schon bald nach ihrer Wiedereröffnung Ende 1945 zeigte sich deutlich, daß der alte Schulverein zukünftig nicht mehr in der Lage war, mit Hilfe der einkommenden Schulgelder und verhältnismäßig geringer öffentlicher Zuwendungen in der bisherigen Form die Schule zu erhalten. Mit der Währungsreform im Jahre 1948 und der etwa gleichzeitig für alle öffentlichen Schulen gesetzlich verankerten Schulgeldfreiheit wurde der Anstalt ihre bisherige Existenzgrundlage völlig entzogen, ja, auch ihre Daseinsberechtigung ließ sich in Frage stellen, als durch die damals eingeführte sechsjährige Grundschulpflicht die stärksten Klassen der Unterstufe fortfielen und dadurch naturgemäß die Schülerzahl wieder zurückging. So mußte eine neue Form der Schulträgerschaft gefunden werden. An dieser Stelle seien mit Dank alle die Herren der Regierung (u. a. Regierungsdirektor Möhlmann, Oberschulrat Jaquet), des Kreises Segeberg (u. a. Landrat Dr. Dr. Pagel), der Stadt Bad Bramstedt (u. a. Stadtdirektor von Lübken) und des damaligen Kuratoriums (u. a. Fritz Wallmann, Ernst Schümann, Wilhelm Quistorff) genannt, die damals auf zahlreichen Beratungen ihr ganzes Bemühen auf das eine Ziel vereinten, die Jürgen- Fuhlendorf-Schule in irgendeiner Form am Leben zu erhalten. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch, daß in Anbetracht dieser ausgesprochenen Notlage dem damaligen Lehrerkollegium das gewiß nicht leichte Opfer auferlegt wurde, für die Zeit vom 1. Januar 1949 bis 31. März 1950 auf 25 % des Gehalts zu verzichten.
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Schließlich war ein gangbarer Weg gefunden, der das Weiterbestehen der Anstalt finanziell gewährleistete: Am 1. April 1950 wurde die Jürgen-Fuhlendorf-Schule eine „Stiftung öffentlichen Rechts“, an die das Land Schleswig-Holstein, der Kreis Segeberg und die Stadt Bramstedt angemessene geldliche Zuwendungen zu leisten gewillt waren und sich entsprechend verpflichteten. Die Verwaltung der Stiftung und aller Schulangelegenheiten außerhalb des eigentlichen Unterrichts oblag fortab dem Stiftungsvorstand, der an die Stelle des früheren Kuratoriums trat. Vorsitzender dieses Stiftungsvorstandes war für eine kurze Übergangszeit Herr Quistorff und dann mehrere Jahre Herr Bürgermeister Gebhardt von Bad Bramstedt. Zur Übernahme der laufenden Verwaltungsgeschäfte erklärte sich dankenswerterweise unsere hiesige Stadtverwaltung bereit. Freilich war diese Regelung nur durch die Anwendung einschneidender Sparmaßnahmen möglich: Drei Lehrkräfte wurden abgebaut, und – was die Schüler und ihre Eltern besonders anging – die Schule durfte nur eingleisig bestehen und erhielt lehrplanmäßig eine Sonderstellung, indem bei uns keine Teilung mehr nach der sprachlichen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Richtung hin ab Klasse O III möglich war. Diese Maßnahme wirkte sich in der folgenden Zeit oft nachteilig für Schüler aus, die von uns auf andere Oberschulen übergingen oder, von anderen Bildungsanstalten kommend, in die Jürgen-Fuhlendorf-Schule eintraten. Mit Wirkung vom 1. April 1950 übernahm die Leitung Oberstudiendirektor z. Wv. Dr. Neumann, der bereits Seit Oktober 1948 dem Kollegium als Lehrkraft angehörte.

Wir nähern uns der Gegenwart, und mit einem Überblick über die Schulgeschichte der letzten acht Jahre möge nun diese Darstellung zu Ende geführt werden. Die oben erwähnte Verkürzung der höheren Schule durch Einführung der sechsjährigen Grundschulpflicht war nur von kurzer Dauer. Schon zu Ostern 1951 wurde die Grundschulzeit für zukünftige Oberschüler wieder auf vier Jahre festgelegt, und so begann nach Wiedererrichtung der Klassen VI und V unsere Schule, die im März 1951 nur 232 Schüler (innen) zählte, das Schuljahr 1951/52 mit insgesamt 430 Schülern (darunter 182 Mädchen). Das bedeutete eine Zunahme von rund 85 %! Auch in den beiden nächsten Jahren stieg die Schülerzahl noch an, und es verdient festgehalten zu werden, daß zu Ostern 1953 die Jürgen-Fuhlendorf-Schule mit insgesamt 478 Jungen und Mädchen die höchste Zahl seit ihrem Bestehen erreicht hat. Wenn seitdem wieder eine Verringerung eingetreten ist und nun schon seit einigen Jahren die Zahl von 400 fast konstant geblieben ist, so erklärt sich dieser Rückgang wohl aus drei Gründen: Auch aus Bad Bramstedt und Umgebung sind inzwischen zahlreiche Heimatvertriebene in andere Länder umgesiedelt worden. Ferner verminderte die Wiedereinführung der vierjährigen Grundschule in Hamburg die Zahl derjenigen unserer Schüler, die in Quickborn und zwischen Quickborn und Hamburg wohnhaft waren. Vor allem aber gelangten seit Ostern 1954 die schwachen Geburtsjahrgänge der letzten Kriegsjahre und ersten Nachkriegszeit zur Aufnahme in die höhere Schule.

In den Jahren 1951 bis 1956 bestand das schwierigste Problem darin, wie man der drückenden Enge und Raumnot im jetzt viel zu kleinen Schulgebäude Herr werden sollte. Im Hinblick auf die sicher zu erwartende gewaltige Zunahme der Schülerzahl hatte der Direktor bereits im Februar 1951 Schritte eingeleitet mit dem Ziel, durch Um- und Erweiterungsbauten innerhalb des‘ Schulgebäudes neue Klassenräume zu schaffen, leider nur mit geringem Erfolg. Um wenigstens die äußere Durchführung des Schulbetriebes zu ermöglichen, wurden drei im Gebäude befindliche und noch immer von Privatpersonen benutzte Räume und eine Küche der früheren Direktorwohnung freigemacht, jedoch mußten sie, da die Geldmittel für die Maurer- und Malerarbeiten fehlten, zunächst in dem Zustand, wie sie waren, in Benutzung genommen werden. Sie erhielten je eine Wandtafel und Schulbänke. Doch nicht einmal diese waren in hinreichender Zahl vorhanden. Dank dem Entgegenkommen der hiesigen Volksschule bekamen wir von dort wenigstens die unbedingt notwendigen Bänke leihweise überlassen. Man konnte uns allerdings nur solche geben, die als veraltet bereits ausrangiert worden waren. Die trotzdem noch bestehende Raumnot ließ sich nur dadurch überwinden, daß den beiden Sexten und Quinten nur je ein Raum zugeteilt wurde, was bei der verhältnismäßig geringen Wochenstundenzahl dieser Klassenstufen, deren Unterricht ohnehin wegen Mangels an Lehrkräften gekürzt werden mußte, nicht schwer durchzuführen war, und so war es möglich, den Unterricht täglich bis etwa 15 Uhr zum Abschluß zu bringen. Alle ehemaligen Schüler, die zwischen Ostern und Sommerferien 1951 unsere Anstalt besucht haben, werden sich für immer daran erinnern, wie ausgesprochen primitiv die Verhältnisse damals waren. Erst in den Sommerferien wurden die erwähnten in Klassenräume umgewandelten Wohn- beziehungsweise Küchenräume einigermaßen instand gesetzt. Die Freude über diese baulichen Verbesserungen zu Beginn des zweiten Schulvierteljahres wurde allerdings dadurch noch getrübt, daß sich die erhoffte Neuanschaffung von Schulmöbeln weiterhin verzögerte. Erst zur Jahreswende 1951/52 wurde die langersehnte Neuausstattung wenigstens eines Teiles der Klassenräume Wirklichkeit, und 6 Klassenräume wurden mit modernen raumsparenden Zweisitzertischen und entsprechenden Schülerstühlen geschmackvoll eingerichtet. Gleichzeitig erfolgte die Neuausstattung des Direktorzimmers, dessen bisherige Möbelstücke größtenteils noch persönlicher Besitz des früheren Leiters der privaten Jürgen-Fuhlendorf-Schule gewesen waren.

Ein Gutes hatten die erwähnten Schwierigkeiten und Unzuträglichkeiten: Auch an höherer Stelle hatte man die Einsicht gewonnen, daß endlich Grundlegendes geschehen müßte. Es bleibt das Verdienst unseres Bramstedter Bürgermeisters Gebhardt, daß er in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Stiftungsvorstandes in unermüdlicher Kleinarbeit mit Kieler Regierungsstellen das Vorhaben des von der Schulleitung vorgeschlagenen und dringend beantragten Erweiterungsbaues vorwärtsgebracht hat. Der Erfolg war nicht leicht zu erringen. Die leidige Geldfrage verursachte immer wieder neue Verzögerungen. Auch die Bausachverständigen der Regierung und der mit der Durchführung des Baues betraute hiesige angesehene Architekt Dipl.-Ing. Wilhelm Otto benötigten naturgemäß viel Zeit, um sich über alle Einzelheiten des Vorhabens endgültig schlüssig zu werden; galt es doch, mit verhältnismäßig geringen Mitteln – rund 240 000 DM standen zur Verfügung – möglichst viele praktisch gut verwendbare Räume zu schaffen. Erst im Herbst 1953 wurden die vorgesehenen Baumaßnahmen in ihrem ersten Teil verwirklicht. Man begann mit der Erstellung neuer Schultoiletten in einem Anbau an das Schulgebäude, der zugleich als Anfang des erwähnten größeren Erweiterungsbaues gedacht war. In vier Monaten waren sie fertiggestellt und brachten in sanitärer Hinsicht eine erfreuliche Verbesserung. Fast ein Jahr dauerte es nun aber, ehe der nächste Schritt getan wurde: Nach manchen Beratungen und Verhandlungen zwischen Vertretern der Landesregierung, des Kreises Segeberg, dessen Landrat, Herr Dr. Alnor, ebenso wie sein oben erwähnter Vorgänger, Dr. Dr. Pagel, sich die Förderung unserer Schule stets angelegen sein ließ, und unserer hiesigen Stadtgemeinde konnte im Herbst 1954 endlich der erste Spatenstich getan werden. Die lange Frostperiode des folgenden Jahres bedingte dann eine weit längere Unterbrechung der Arbeiten, als man ursprünglich angenommen hatte. Im Mai 1955 wurde das Richtfest gefeiert, und im Dezember war der langersehnte Neubau endlich fertiggestellt. Welche Erleichterung bedeutete es, als im Jahre 1956 die 11 neuen Klassenräume bezogen und dazu noch z andere Räume im Neubau, die endgültig für andere Zwecke bestimmt waren, als provisorische Unterrichtsräume für kleinere Klassen eingerichtet wurden! Freilich waren wir noch immer nicht am Ende aller Schwierigkeiten und Raumnöte: Zu Beginn des Jahres 1956 wurde mit den Umbauarbeiten im Altgebäude begonnen; und so ergab sich die Notwendigkeit, den gesamten Unterricht in den Neubau zu verlegen. Aber auch diese Übergangszeit lag schließlich hinter uns: Allmählich war auch das Altgebäude in seiner neuen, stark veränderten Form bezugsfertig und verwendungsbereit, und die Jürgen-Fuhlendorf-Schule nennt seitdem ein ausreichendes und würdiges Anstaltsgebäude ihr eigen. Im Juli 1956 kannten der Zeichensaal, 5 Klassenräume sowie die neuen Räume für den Oberstudiendirektor und den Oberstudienrat, das Geschäftszimmer und das Elternsprechzimmer in Benutzung genommen werden. Als letztes Erfordernis blieb die Erstellung zeitgemäßer Räume für die Naturwissenschaften und deren Ausstattung mit den gerade heutzutage so wichtigen Geräten und Utensilien verschiedenster Art. Bereits zu Beginn der Sommerferien 1956 waren die beiden vorgesehenen Fachräume, der eine für Physik, der andere für Chemie und Biologie, samt ihren Nebenräumen fertiggestellt, doch zog sich die Beschaffung des dazugehörigen Inventars noch bis zum Ende des Jahres hin, und erst seit Januar 1957 sind sie so weit eingerichtet und ausgestattet, daß der Unterricht nunmehr endlich in geeigneten Fachräumen durchgeführt wird. Am Ende des Schuljahres harrte noch der Schulhof, der sich bisher ohne Zaun und irgendeine Rasenanlage in ausgesprochen ungepflegtem Zustand befand, der längst fälligen Neugestaltung und Verschönerung. Auch diese letzte Arbeit wurde in den vergangenen Monaten noch durchgeführt. Zum Schluß wurde dort eine Plastik aufgestellt, die an diesem von der Straße weit sichtbaren Platz durch die Steinfiguren eines Jungen und Mädchens symbolhaft den Charakter unseres Baues verkündet.

Nach all dem oben Ausgeführten dürfte wohl verständlich sein, warum bisher keine besondere Einweihungsfeier aus Anlaß dieser recht bedeutsamen Umgestaltung und Vergrößerung unseres Anstaltsgebäudes stattgefunden hat. Der Zeitpunkt zum Feiern war eben erst mit der Vollendung des gesamten Erweiterungs- und Erneuerungsprogramms gegeben, und damit ist auch schon gesagt, daß wir mit gutem Recht die Ende April 1958 vorgesehene Feier des 50jährigen Bestehens der Schule gleichzeitig, wenn auch verspätet, als Einweihungsfestlichkeit begehen dürfen und wollen.

So hat nun diese Darstellung die Gegenwart erreicht. Doch ist der Vollständigkeit halber noch einiges Wichtige aus der jüngsten Vergangenheit nachzuholen, um so mehr, weil es auch als Kennzeichen dafür angesehen werden kann, wie sich in zunehmendem Maße die Stellung der Jürgen-Fuhlendorf-Schule festigt und ihr Charakter als öffentliche höhere Schule des Landes Schleswig-Holstein sich immer stärker ausprägt. Am 14. August 1952 überreichte Oberschulrat Jaquet als Vertreter des Kultusministeriums in feierlicher Form dem bisherigen kommissarischen Leiter der Schule, Dr. Neumann, die Urkunde über seine Ernennung zum Oberstudiendirektor, dem bisherigen Studienrat z. Wv. Zylka die über seine Ernennung zum Oberstudienrat sowie drei Herren und sechs Damen des Lehrkörpers die Urkunden über ihre Ernennung zum Studienrat beziehungsweise zur Studienrätin, wobei sämtliche Ernennungen rückwirkend ab i. April 1952 galten. daß damit die Lehrkräfte unserer Schule als Landesbeamte eine gesicherte Position erhielten, war keineswegs nur für sie ein erfreuliches Geschehen und auch eine Anerkennung der an der Anstalt in der schwierigen Nachkriegszeit geleisteten Arbeit, sondern durfte mit vollem Recht als Gewinn für die gesamte Jürgen-Fuhlendorf-Schule angesehen werden: Was in den vorangegangenen 44 Jahren sich oft so unliebsam ausgewirkt hatte, gehörte damit der Vergangenheit an: der häufige Lehrerwechsel mit all seinen Schattenseiten. Seitdem hat nun auch unsere Anstalt wie jede andere höhere Schule einen Oberstudiendirektor an ihrer Spitze, einen Oberstudienrat als seinen Stellvertreter und eine bestimmte Anzahl von Planstellen, die von Studienräten oder Studienrätinnen besetzt sind, Hinzu kommen zur weiteren Durchführung des Unterrichts Studienassessoren und -referendare, die je nach Bedarf für bestimmte Zeit der Schule zur Dienstleistung überwiesen werden. Aus den letzten Jahren sei in diesem Zusammenhang auch noch berichtet, daß zu Ostern 1956 die oben erwähnte Sonderstellung unserer Schule, insofern ihr seit iq5o aus Ersparnisgründen eine Gabelung nach der sprachlichen und mathematisch -naturwissenschaftlichen Seite hin untersagt war, ihr Ende fand. Seit 1954 wirkte sie sich freilich nur noch in der Oberstufe aus, weil in Schleswig-Holstein seither erst in Klasse O II diese Gabelung einsetzt. Trotzdem war sie abgesehen von der Benachteiligung der zu anderen Schulen überwechselnden oder von dort kommenden Schüler ein leidiger Rest überwundener Zeitläufe und erweckte bei manchem den Eindruck, diese Schule ’sei nicht nur aus besonderen Gründen andersartig, sondern wohl auch den anderen Gymnasien des Landes – so .heißen seit 1954 alle höheren Schulen von Schleswig-Holstein – nicht ganz gleichwertig. Seit zwei Jahren wird also jetzt auch an unserem Bramstedter Gymnasium der Unterricht zweigleisig durchgeführt (sprachlich und mathematisch-naturwissenschaftlich) und stimmt nach Fächerverteilung und Stoffplan mit der allgemein gültigen Regelung in unserem Lande überein.

Eine eigenartige Schicksalsfügung hat es gewollt, daß gerade im 50. Jahr die Jürgen-Fuhlendorf-Schule noch einmal eine entscheidende Wandlung erlebte, nach menschlichem Ermessen für absehbare Zeiten die letzte, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil es nicht höher hinaufgehen kann: Durch „Gesetz über die Unterhaltung und Verwaltung der öffentlichen Schulen“ vom 28. März 1957 wurde mit Wirkung vom 1. April 1957 die Jürgen-Fuhlendorf-Schule in Bad Bramstedt staatliches Gymnasium unseres Landes. Nach siebenjährigem Bestehen wurde somit die Stiftung öffentlichen Rechts aufgelöst, und an ihre Stelle trat das Land.
So tritt, gefestigt und gesichert, die „Jürgen-Fuhlendorf-Schule, Staatliches Neusprachliches und Mathematisch -Naturwissenschaftliches Gymnasium für Jungen und Mädchen in Bad Bramstedt“ demnächst über die Schwelle ihres ersten Halbjahrhunderts. Uns alle, die wir an diesem denkwürdigen Ereignis Anteil nehmen, ihre Lehrer und Schüler von einst und jetzt wie auch die Eltern dieser Schüler, erfüllt die frohe Zuversicht, daß sie ihre in zähem Ringen nach einem unverkennbaren Aufstieg von 5 Jahrzehnten gewonnene Stellung halten wird. Wenn im Jahre 1983 die 75-Jahr-Feier und gar im Jahre 2008 die 100-Jahr-Feier der Schule wieder Anlaß zu festlichem Rückblick bieten, hoffen wir jetzt an der Schule Wirkenden, im Gedenken unserer Nachfahren einen rühmlichen Platz zu erhalten und in Ehren zu bestehen. Möge der künftige Chronist von uns bezeugen können, daß wir nach besten Kräften unsere Pflicht erfüllt und uns erfolgreich eingesetzt haben zum Wohl, zum Besten, zum weiteren Gedeihen unserer lieben Jürgen-Fuhlendorf-Schule in Bad Bramstedt!

Das Kollegium 1957/58

JFS1958-FotoS26_640

Göke K. Knaak G. Knaak Meyer Jüngst Simonsen Lienau Dexling Zingelmann John Schneider Biendara Dr. Dreves Schulz Prößdorf Dr. Ralf Pönisch Zylka Nauck Spann Dr. Neumann Lange Buchard Wangerin

Sozialstruktur und höhere Schule in Bad Bramstedt

Der offizielle Name der heutigen Jürgen-Fuhlendorf-Schule lautete von 1908 bis 1922 „Verein für die höhere Privatschule in Bad Bramstedt“, von 1922 bis 1937 „Private Realschule Bad Bramstedt e.V.“. Im Volksmund hieß sie kurz „die Privatschule“. Der Ausdruck „Realschule“ war, soweit ich feststellenkonnte, weniger gebräuchlich.

Diese kleine Besonderheit kennzeichnet, welche Stellung unsere Schule im Bewußtsein der Bramstedter Bürger früher eingenommen hat. Mit dem Wort „Realschule“ verknüpft sich der Anspruch auf höhere Leistung. Der Ausdruck „Privatschule“ dagegen dokumentiert den Geltungswillen einer Elternschaft, die es sich leisten k o n n t e oder die es sich leisten w o l I t e, auf die öffentliche Schule zu verzichten.

Ohne allen Zweifel war diese Privatschule keine vollwertige höhere Lehranstalt. An ihr wurde bis zum zweiten Weltkrieg lediglich Vorbereitungsunterricht erteilt. Es ging den meisten Eltern noch nicht um die qualifizierte Ausbildung selbst, sondern darum, den Jungen und Mädchen den Weg in eine qualifizierte Ausbildung offenzuhalten. Trotz mancher Mängel verzichteten die Eltern darauf, ihre Kinder frühzeitig nach Altona, Neumünster oder Bad Oldesloe umzuschulen. Die Väter hielten tapfer bei der Schule aus: sei es, um die Söhne und Töchter möglichst lange im Hause zu behalten, sei es, um die Schule zu erhalten und den geistig weniger beweglichen Kindern den Realschulbesuch zu ermöglichen.

Die Elternschaft der Privatschulzeit hat es sich wahrlich sauer werden lassen. Folgende nüchterne Rechnung soll uns das verdeutlichen: In den dreißiger Jahren kam auf 120 Schüler der Klassen VI bis U II ein Ausgabenetat von etwa 30 000 RM, was unter Einbeziehung kleiner öffentlicher Zuschüsse ein monatliches Schulgeld von 20 bis 24 RM für jeden Schüler ausmachte (etwa 34 bis 41 DM)‘.

Heute, bei einer Durchschnittszahl von 400 Schülern, beträgt der entsprechende Ausgabenetat etwa 312 500 DM (184 375 RM). Umgerechnet wären das monatlich 65 DM (etwa 38 RM) je Kind.

1 jährliches Schulgeld  
1909 bis zur Quinta 110 bis 130 M
1918 bis zur Quinta 160 bis 180 M
Quarta bis Obertertia 170 bis 230 M
1924 in der Regel 186 RM
1929 in der Regel 288 RM
1937 in der Regel 240 RM

Jahresausgaben der Schule

1908/09

3 600,00 M

1917/18

20 670,00 M

1934/35

47 599,97 RM

1909/10

4 970,00 M

1918/19

etwa 30 000,00 M

1935/36

30 094,45 RM

1910/11

8 470,00 M

1927/28

26 000,00 RM

1936/37

25 000,00 RM

1911/12

11 429,00 M

1928/29

28 755,16 RM

1937/38

41 703,00 RM

1912/13

13 340,00 M

1929/30

31 270,00 RM

1938/39

?

1913/14

15 977,50 M

1930/31

27 476,21 RM

1939/40

39 161,68 RM

1914/15

16 820,00 M

1931/32

24 662,86 RM

1948/49

91 512,02 DM

1915/16

16 854,21 M

1932/33

24 800,00 RM

1949/50

146 368,45 DM

1916/17

17 273,27 M

1933/34

24 800,00 RM

1957/58

etwa 312 500,00 DM

Und nun stellen Sie sich bitte einmal vor, dieser Haushalt müßte wie früher von den Eltern aufgebracht werden. Die Schule würde vermutlich sofort zusammenbrechen, und das, obwohl wir – wie wir täglich in der Presse lesen – in einer Zeit der wirtschaftlichen Prosperität leben.

Die Zeit unserer alten Privatschule waren die Jahre der Inflation, die Jahre der Weltwirtschaftskrise und der Massenarbeitslosigkeit, die Jahre der nationalsozialistischen Vorkriegswirtschaft … und die Schule blieb erhalten.

Das Geld – auch heute Äquivalent einer Arbeitsleistung – wurde damals bestimmt schwerer verdient. Wie sehr mußten die Mütter und Väter sich in ihren persönlichen Ansprüchen bescheiden, wie oft mußten sie sich um das Schulgeld sorgen … und mit welcher Selbstverständlichkeit nehmen wir heute die Hunderttausende hin, die der Staat nach Bad Bramstedt einfließen läßt!

Wer aber waren die Väter und Mütter, die alljährlich unter dem Vorsitz des Pastors, des Sanitätsrats, des Justizrats, der Landwirte und Rechtsanwälte über den Etat „ihrer“ Schule und über die Berufung und Abberufung „ihrer“ Lehrer berieten? Was erstrebten sie für ihre Kinder?

Ich will diese beiden Fragen möglichst unpersönlich zu beantworten suchen: Eine Standesschule – Instrument einer privilegierten Schicht – ist die Jürgen-Fuhlendorf-Schule niemals gewesen. Ein Viertel der Väter der Schulabgänge mit mittlerer Reife (1923 -1939) war in der Landwirtschaft tätig, ein Viertel betrieb Ladengeschäfte, Gaststätten und Werkstätten, ein Viertel diente als Beamte der mittleren Laufbahn. In das letzte Viertel teilen sich alle anderen Berufe. Etwa 90 Prozent dieser Väter hatten selbst nur die Volksschule besucht. Eine standesmäßige Trennung der Arbeiter von den kleinen Handwerkern und kleinen Landwirten gab es in Bad Bramstedt nicht. Die Standesbezeichnung Arbeiter erscheint sehr selten in den Schulakten. In der Regel wurden die soziologisch indifferenten Berufsbezeichnungen (Elektriker, Schlosser usw.) bevorzugt.
Insgesamt ist unsere erste Elterngeneration eine bäuerlich-kleinbürgerliche Gruppe gewesen, deren Lebenserwartung sich auf das Glück und den Erfolg ihrer Kinder richtete. Die Jungen und Mädchen haben – nach Ausweis der Statistik – die in sie gesetzte Hoffnung erfüllt.

Gesamtübersicht

____________________

der Väter
1923-1939

ausgeübte Berufe der Söhne und berufstätigen Töchter, die 1923-1939 die Mittlere Reife erlangten

der Väter
1949-1958

angestrebte Berufe der Söhne und Töchter, welche 1949-58 die Reifeprüfung bestanden

Selbständige Berufe:        
1. Bauern

26,0 %

3,6 %

11,0 %

2,7 %

2. freiberufliche Akademiker

5,0 %

10,5 %

11,0 %

24,6 %

3. Kaufleute

27,0 %

22,8 %

16,2 %

5,0 %

4. Gastwirte

2,0 %

0,8 %

 

60,0 %

 

39,0 %

 
Abhängige Berufe:        
1. Beamte und Angestellte        
a) Vollakademiker

2,0 %

10,5 %

9,3 %

26,3 %

b) Teilakademiker und
Fachschulabsolventen

10,0 %

22,8 %

18,6 %

36,4 %

c) Beamte mit
einfacher Ausbildung

26,0 %

29,8 %

25,5 %

5,0 %

2. Lohnempfänger        
a) Facharbeiter

2,0 %

7,6 %

b) angelernte Arbeiter und
Landarbeiter

 

100 = 102

100 = 57

100 = 118

Die ehemaligen Schüler vom Lande verließen den bäuerlichen Lebenskreis für immer und schufen sich in der Stadt und in der Kleinstadt eine eigene Existenz. Die Söhne und Schwiegersöhne der Kaufleute und Handwerker übernahmen die Betriebe ihrer Väter und führten sie – nicht ohne Erfolg – weiter. Fast jeder dritte Vater war Beamter, unter den Söhnen wurde es jeder zweite. Die Zahl der Akademiker und Fachschulabsolventen verdoppelte sich.

Unter diesen ehemaligen Schülern finden wir manche Mutter und manchen Vater der jetzigen Schülergeneration.
Dennoch zeigt die heutige Gruppe der Väter ein eigenes Gesicht. Das wird deutlich, wenn wir
1. die Generation der Schüler von 1923 bis 1939 mit der heutigen Generation der Väter,
2. die heutige Generation der Väter mit der Generation der Väter von 1923 bis 1939 vergleichen.

Eine Statistik, die sich auf einen Kreis von 57 bis 118 Personen beschränkt, steht auf schwachen Füßen. Ich habe deshalb in einer zweiten Zählung die etwa gleich starken Jahrgänge 1926 – 1939 und 1949 – 1955 miteinander verglichen:

 

Schüler und Schülerinnen:

a) lediglich aus den alteingesessenen Familien

b) aus den alteingesessenen (I) und den zugezogenen (II) Familien
Reifeprüfung 1949-1955

Mittlere Reife
1926 – 1939

Reifeprüfung
1949 – 1955

I

II

1. Bauern

26 %

20 %

8 %

 
2. Kleiner Kaufleute, Gastwirte, selbständige
Handwerker

26 %

20 %

16 = 9 + 7 %

3. Akademiker, Diplomingenieure,
Stabsoffiziere

9 %

15 %

16 = 6 + 10 %

4. Lehrer, Ingenieure, Truppenoffiziere

11 %

28 %

16 = 12 + 4 %

5. Mittlere Beamte (ohne Lehrer)

12 %

7 %

12 = 3 + 9 %

6. Angestellte

4 %

7 %

16 = 3 + 13 %

7. Facharbeiter, niedere Beamte

5 %

7 %

6 %

 
8. Arbeiter    

4 %

 
9. Sonstige

7 %

 

6 %

 

(Ich spreche absichtlich nicht von Flüchtlingen, denn die Ansiedlung im Einzugsgebiet unserer Schule ist oft nur eine mittelbare Folge der Kriegsereignisse gewesen. Zu den zugezogenen Familien gehören neben den Ostdeutschen auch Neu-Einwohner aus dem mitteldeutschen und dem Hamburger Raum.)

Die Gruppe der Bauern, Kaufleute, Gastwirte und Handwerker zeigt selbst unter den Einheimischen eine rückläufige Tendenz. Der Anteil der Akademiker, Lehrer, Fachschulabsolventen und Offiziere steigt bedeutend an, der Anteil der Arbeiter und mittleren Beamten bleibt gleich, die Gruppe der Angestellten entfaltet sich als etwas Neues.

Von 1908 bis 1958 geht die Zahl der Selbständigen mindestens um ein Drittel zurück, die Zahl der Väter, die eine höhere Schule besucht haben, vervierfacht sich dagegen.

Und nun zur Schülergeneration von 1949 bis 1958.

Ich glaube nicht, daß ein Drittel der Abiturienten später einen freien Beruf ausüben wird.

Das Streben nach qualifizierter Ausbildung ist weit stärker geworden als früher. Die Aussicht auf eine materielle Sicherung des Lebens erscheint recht günstig. Hinsichtlich der Krisenfestigkeit mag dieser oder jener Beruf freilich Bedenken erwecken.

Die jüngste Schülergeneration wird weiter über die Verhältnisse der ersten Jahre unserer Anstalt hinauswachsen. Viele Jungen und Mädchen werden sich außerhalb des Einzugsgebietes unserer Schule nach einem Arbeitsplatz umsehen müssen. Der kleinstädtisch -ländlichen Idylle entrückt, werden sie weniger genügsam und bescheiden leben als die Alten, aber sie werden auch dafür bezahlen müssen, und zwar mit dem Verzicht auf jene persönliche Unabhängigkeit, über welche die Väter und Großväter verfügten.

Zwei Fragen sind es, die an dem Geburtstag einer Schule auf Beantwortung drängen:

Was ist aus den Mädchen und Jungen von einst geworden?
Was wird aus denen von heute einmal werden? Die erste Frage wird bei jedem Zusammentreffen „Ehemaliger“ aufgeworfen und beantwortet, sei es mit dem Ausdruck der Genugtuung, sei es mit dem Ausdruck des Bedauerns und der Verlegenheit.

Die zweite Frage wird zumeist gescheut, und nicht bloß deshalb, weil sie für das Einzelschicksal nur als Frage möglich ist.
Die Antwort, welche die Statistik uns gibt, erscheint nicht ungünstig. Doch diese Antwort ist trügerisch. Die Gefallenenliste auf Seite 6 spricht eine andere Sprache. Die Sorge der Eltern um die unbeschwerte Zukunft der Kinder ist eine Größe, die sich ebensowenig in Prozentzahlen ausdrücken läßt wie das dennoch erfahrene Leid.

 

H. Ralf


Der Physikunterricht
Vergangenes, Erreichtes, Erwünschtes

Ich habe da einen alten Zeitungsausschnitt – ich weiß nicht, aus welchem Blatt und welchem Jahr, er muß aber etwa 1865 entstanden sein –, der folgenden Bericht enthält:

„Wien. (Das Telephon.) Im experimentalen Teil des Vortrages, den Dr. Pick kürzlich über diesen Gegenstand im Akademiegebäude hielt, zeigte er, daß es wirklich möglich sei, den Schall mit Hilfe eines einfachen electrischen Apparates von einem Orte nach einem beliebig weit davon entfernten zu leiten, derselbe verliert dabei durchaus nichts an der Modulation, wohl aber – und das ist die Beschränkung – an Intensität. Die in ein Rohr hineingesungene ,Volkshymne‘, schönsten Augen etc.’ wurde durch die electrische Leitung in einem ziemlich weit davon entfernten Saale in der unmittelbaren Nähe des Apparates mit genügender Deutlichkeit vernommen, der Ton aber hatte weniger den Charakter der Menschenstimme, als den eines gestrichenen Violoncell. Damit haben wohl alle abenteuerlichen Gerüchte, wonach ein Sänger, der in London gemütlich in seinem Zimmer sitzt, doch in der großen Oper zu Paris den ,Raoul‘ singen könnte, ihr Ende.“

Die naturwissenschaftlichen Räume früher und heute

Die naturwissenschaftlichen Räume früher und heute

Es ist für uns heute amüsant, daß man in dieser Frühzeit des Telephons – es dauerte noch einige Jahre, bis es praktisch brauchbar wurde – Erwartungen hegte, die dann der Rundfunk verwirklicht hat, freilich anders herum: der Hörer bleibt gemütlich zu Hause, und der Sänger geht zum Funkhaus. In der Hauptsache aber gibt der Bericht ein Beispiel für den bescheidenen Anfang einer großen Entwicklung.

1828 erschien ein „Leitfaden für den Unterricht in der Physik“ von meinem Urgroßvater Prof. Dr. Brettner. Ich besitze noch mehrere Ausgaben, darunter die 16. Auflage von 1864. Das Buch war also sehr verbreitet, und so wird es denn für seine Zeit ziemlich repräsentativ sein. Wenn man nun ein heutiges Lehrbuch mit einem so alten vergleicht, so ist zunächst das Anwachsen des Stoffes auffallend. Wesentlicher ist ein anderer Punkt. Vor etwa hundert Jahren heißt es: „Wenn wir auch nicht wissen, was das Licht sei, so kennen wir doch größthenteils die Gesetze, nach, denen es wirkt.“ Und dann werden in sechzehn Zeilen die Lichttheorien angeführt, noch dazu in kleinerem Druck.

Auch wir wissen nicht, was das Licht ist; aber welch große Rolle spielen die Theorien, oder besser die Modellvorstellungen vom Licht heute!

Ganz allgemein läßt sich sagen, daß heute die Frage nach dem Warum mehr in den Vordergrund tritt gegenüber der Frage nach dem Was. Freilich kann die Physik kein letztes Warum beantworten, aber sie kann eine tiefere Schicht erreichen. Die Frage nach dem Was ist eine echt physikalische, eine echt wissenschaftliche Frage. An sie schließt sich die andere: „Was kann man damit anfangen?“, die Fragestellung der Technik. Sie hat all die Veränderungen unseres Lebens hervorgerufen, aus denen man ihr und der Physik so oft einen Vorwurf macht – als ob ein Klavier etwas dafür könnte, wenn man schlecht darauf spielt.

Aber uns beschäftigt hier ja nicht das Wozu, sondern das Warum. Wir fragen heute: Warum ist Wasser flüssig, warum dehnt es sich unterhalb 3,98· C aus, warum ist Eisen undurchsichtig, warum Stahl hart? Mit Fragen dieser Art erreichen wir eine tiefere Schicht, bleiben jedoch innerhalb der Physik. Wir fragen aber außerdem, und zwar gerade auch von der Physik her, über die Physik hinaus: Wenn man heute an so vielen Stellen Grenzen findet oder zu finden meint, Grenzen des Großen und des Kleinen, Grenzen der Geschwindigkeit, des Raumes und der Zeit, der Teilbarkeit, der Länge, Grenzen der Kausalität und Grenzen der Anschauung, wenn wir manchmal nur uns selbst zu finden scheinen, wo man früher eine objektive Wirklichkeit zu finden dachte, gibt es für das alles auch ein Warum? Geht jetzt die Epoche, die mit der Renaissance begann, zu Ende? Und wohin führt der Weg, der vor nunmehr etwa fünfzig Jahren eingeschlagen wurde, als die Quanten- und die Relativitätstheorie ihren Anfang nahmen?

Unterprima 1957/58

Unterprima 1957/58

Wir wollen hier mit dem Fragen aufhören und das Stichwort der fünfzig Jahre benutzen, um auf unsere fünfzig Jahre alte Schule zu kommen. Ich habe ihre Geschichte erst seit ’1952 miterlebt, und ich beschränke mich auf diese Zeit. Ich kam an die Jürgen -Fuhlendorf-Schule nach langer Tätigkeit an Schulen und Instituten, die mit hervorragenden Lehrmitteln in zahlreichen Unterrichts-, Übungs-, Vorbereitungs- und Sammlungsräumen, mit Werkstatt und Dunkelkammer ausgestattet waren. Hier in Bramstedt zeigte mir ein liebenswürdiger Amtsgenosse den einen Raum, der fast alles darstellte und enthielt, was die Schule für die Naturwissenschaften zu bieten hatte. Der Kollege war berechtigterweise ein wenig stolz darauf, was er aus einigen mehr oder weniger kaputten Apparaten und etwas Holz, Draht und Bindfaden zusammengebastelt hatte. Ich mußte aber meine Gedanken für mich behalten. Statt der Schalttafeln fand ich einen merkwürdigen Kasten, aus dem unter Umständen auch Strom herauskam, nur daß mir diese Umstände selbst recht unklar blieben. Statt mit der elektrisch betriebenen Ölluftpumpe, wie ich sie gewohnt war, mußte ich hier mit einem nur historisch interessanten Apparat umgehen, der schlecht oder überhaupt nicht funktionierte. Und so ging es weiter. Einwandfreie Versuche, die auch ästhetisch einigermaßen befriedigten, waren kaum möglich. Gewiß hat auch diese Art des Experimentierens ihren Reiz für den Lehrer und ihren Wert für den Schüler – aber sie ist einfach nicht zeitgemäß, und die dafür verbrauchten Stunden könnten besser ausgenutzt werden.

Blicken wir nun auf die Fortschritte, die dank der Energie der Lehrkräfte und der Hilfe der Behörden seitdem erzielt worden sind. Wir haben jetzt zwei Lehrräume, die gut eingerichtet sind, zwei Sammlungszimmer und einen Vorraum, der auch noch einige Schränke aufgenommen hat. Die notwendigen Lehrmittel sind vorhanden, oder ihre Beschaffung ist im Gang. Wir sind ein gutes Stück vorwärts gekommen.

Ich will auf einiges genauer eingehen. Früher benutzte man hauptsächlich Geräte, die für die Demonstration einer ganz bestimmten physikalischen Gesetzmäßigkeit hergestellt und meist nur für einen Zweck brauchbar waren. Demgegenüber verwendet man heute weitgehend Geräteteile, die den Aufbau einer ganzen Anzahl verschiedener Apparaturen ermöglichen. Es ist klar, daß diese Methode wirtschaftlicher ist, daß sie aber auch zu neuer Fragestellung und neuer Versuchsordnung reizt. Und dann ist die vom Lehrer vor den Augen der Schüler oder auch von den Schülern selbst zusammengesetzte Apparatur verständlicher als die von vornherein fertige, so wie im Mathematikunterricht die stückweise gezeichnete Figur verständlicher ist als eine vorher angefertigte, vollständige Zeichnung. Natürlich wurde diese sogenannte Aufbauphysik auch schon früher betrieben, zum Beispiel bei der optischen Bank; aber ihr Anwendungsbereich ist wesentlich erweitert worden, namentlich in der Elektrizitätslehre.
In der Akustik benutzte man zur Erzeugung von Tönen lange Zeit Geräte, die aus den Anfängen, der Forschung stammen. Die Stimmgabel hat den Nachteil, daß ihre Tonhöhe wenig oder gar nicht veränderlich ist und die Lautstärke rasch absinkt. Saite und Pfeife sind schlechte und frequenzunreine Schallstrahler. Wir verwenden jetzt einen Tonfrequenzgenerator mit einstellbarer Frequenz von 25 bis 11 000 Hertz, dessen Schallstrahlung beliebig lange andauert und dessen Lautstärke einstellbar ist. Mit ihm kann man nicht nur die klassischen Versuche vollkommener ausführen, sondern auch neue Wege beschreiten (Chladnische Klangfiguren in Abhängigkeit von der Frequenz, Vermessung von Schwingungen nach Kundt, stehende Wellen durch Reflexion an einer Wand).

In der Elektrizitätslehre ist die anschauliche experimentelle Darstellung der elektromagnetischen Wellen durch ein Mikrowellengerät möglich (Beugung, Reflexion, Interferenz, stehende Wellen). Man kann so die elektromagnetischen Wellen den optischen gegenüberstellen und die Wesensgleichheit beider verdeutlichen.

Während der Forscher in der Atomphysik die Expansionsnebelkammer bevorzugt, eignet sich für die Schule die kontinuierlich arbeitende Kammer, bei der die Bahnen der Teilchen in ihrem Entstehen, Verlauf und Vergehen beobachtet werden können. Auch die von der Höhenstrahlung ausgelösten Teilchen sind gut zu erkennen.

Diese Beispiele, die sich vermehren ließen, mögen genügen, um den großen Unterschied deutlich zu machen zwischen dem, was ich 1952 vorfand, und dem, was die Schule heute besitzt – aber wenn wir uns des Erreichten freuen, so soll das nicht heißen, daß nun jeder Wunsch erfüllt sei.

Die noch fehlenden Lehrmittel wird man nach und nach beschaffen können, aber Raumschwierigkeiten werden bestehen bleiben. Die beiden Lehrräume reichen nur knapp für die Anzahl der naturwissenschaftlichen Stunden aus, die Sammlungszimmer sind schon jetzt zu klein, und die Vereinigung chemischer und biologischer Lehrmittel in einem Raum ist recht unbefriedigend. Uns fehlt ein Raum, der ausschließlich für Schülerübungen bestimmt ist, es fehlen ein Vorbereitungszimmer, eine Werkstatt und eine Dunkelkammer. Dem wird in absehbarer Zeit schwer abzuhelfen sein. So sehr wir uns also freuen, daß es in wenigen Jahren gelungen ist, so viel zu erreichen, so sehr haben wir Anlaß, weiter daran zu arbeiten, den Gedanken mehr ins allgemeine Bewußtsein zu bringen, daß Ausgaben für die Ausbildung der Jugend eine gute Kapitalanlage sind. Und Deutschland hat nicht nur seine politische Großmachtstellung verloren: die deutsche Wissenschaft hat es sehr schwer, auch nur einigermaßen mit anderen Ländern Schritt zu halten, namentlich die Physik. Ich las kürzlich, daß die Laboratoriumseinrichtungen, die Faraday für seine großen Entdeckungen brauchte, heute etwa 200 DM kosten würden, die von Heinrich Hertz etwa 10 000 DM, daß heute aber ein physikalisches Universitätsinstitut etwa 5 000 000 DM, das Synchrophasotron in der Nähe von Moskau eine halbe Milliarde DM kostet.

Wenn sich in Deutschland nicht eine sehr viel größere Freigebigkeit gegenüber den Naturwissenschaften entwickelt, wird unsere Wirtschaft später die Folgen zu tragen haben. Auch für die Schulen ist vieles wiedereinzubringen, was seit 1933 vertan ist, und aufzubauen, was im Krieg zerstört wurde. Wir müssen aber noch darüber hinaus das nachzuholen suchen, was inzwischen in anderen Ländern mit großer Energie vorangetrieben wurde, und zwar nicht nur in den Vereinigten Staaten und in Rußland.
Es bleibt also noch viel zu tun.

G. Wangerin


Gedanken über Ziel und Bedeutung des neusprachlichen Unterrichts

Wie die meisten Oberschulen Schleswig-Holsteins führt auch die Jürgen-Fuhlendorf-Schule die Bezeichnung „Neusprachliches und mathematisch-naturwissenschaftliches Gymnasium“. Damit sind, die beiden Gebiete bezeichnet, denen sich der Unterricht neben den sogenannten Kernfächern, wie Deutsch, Geschichte, Erdkunde, im besonderen zuwendet.

Die Vorstellungen, welche die Bezeichnung „Neusprachliches Gymnasium“ weckt, werden sehr unterschiedlich sein; darum soll im folgenden der Versuch gemacht werden, zu zeigen, was unter dem Begriff „Neusprachliches Gymnasium“ zu verstehen ist, worin sein Ziel und seine besondere Bedeutung liegen.

Die Beantwortung zweier so grundsätzlicher Fragen kann jedoch nur richtig werden, wenn man sich dessen bewußt bleibt, daß die Neueren Sprachen wie jedes andere Unterrichtsgebiet immer nur ein Teil der gesamten unterrichtlichen wie erzieherischen Arbeit im Gymnasium sind, und das heißt, daß auch die Neueren Sprachen über ihr Teilziel hinaus einem gemeinsamen Ziel verantwortlich sind, von dem sie wie, die anderen Fächer auch erst ihre letzte Bedeutung erhalten. Es ist nicht leicht, den umfassenden Inhalt dieses Gesamtziels knapp zu umreißen, aber es ist richtig, zu sagen, daß das Gymnasium die Grundlage zu einer echten und allgemeinen Bildung legen soll. Diese aber ist nicht einfach mit dem Erwerb bloßer Kenntnisse gleichzusetzen. Echte Bildung erwerben heißt die Fähigkeit erlangen, die inneren Ursachen und Zusammenhänge zu erkennen, die hinter dem bloß Erlernbaren verborgen sind. Echte Bildung wird also nie durch bloßes Aneignen erworben, sondern immer nur durch das innere Verarbeiten von entweder uns überkommenem oder ständig sich neu entwickelndem Wissen von den Dingen und Menschen. Diese Fähigkeit im Schüler zu wecken und zu entwickeln ist das letzte und wesentliche Ziel des Gymnasiums und grenzt es daher grundsätzlich gegen all die weiterführen, den Schulformen ab, deren Ziel, weil sie in erster Linie die Berufsausbildung im Auge haben müssen, vorwiegend nach praktischen Erwägungen ausgerichtet ist.

Im Bereich des neusprachlichen Unterrichtes ist die Frage, ob das Ziel ein allgemeines oder ein fachliches sein soll, sehr entscheidend. Im Gymnasium, das noch keine Berufsausbildung zu geben hat, würde ein nur von praktischen Gesichtspunkten geleiteter neusprachlicher Unterricht an dem gemeinsamen Ziel, die Grundlage für eine echte und allgemeine Bildung zu legen, vorbeigehen. Das gilt es grundsätzlich zu erkennen, oder man wird mit dem Ziel auch dem Weg verständnislos gegenüberstehen. Es ist aber eine Tatsache, daß das Verständnis für das Ziel und die Bedeutung des neusprachlichen Unterrichtes im Gymnasium heute in der Öffentlichkeit weithin fehlt. Das liegt wohl nicht zuletzt daran, daß der Mensch von heute immer mehr geneigt ist, das, was gelernt werden muß, in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst einfache Weise zu bewältigen, um ebenfalls sobald wie möglich aus dem Erlernten Nutzen ziehen zu können. Diese Grundhaltung dem zu erlernenden „Stoff“ gegenüber ist weit verbreitet; nicht ohne Grund klagen die Professoren heute immer wieder über die mangelnde Bereitwilligkeit des Studenten zu einem Studium auf breiterer Basis. Wir wissen, daß die Ursache für diese Einstellung durchaus nicht etwa in Oberflächlichkeit ihren Grund haben muß. Bittere Erfahrungen aus zwei Kriegen mit ihren Folgen für den einzelnen haben viele gezwungen, gegen eigenen Wunsch den kürzesten Weg zu gehen, um zum Ziele zu gelangen. Aber diese Dinge richtig sehen und verstehen heißt doch nicht, sie auch gutheißen müssen. Es wird vielmehr danach zu streben sein, daß die jüngere Generation wieder lernt, daß nicht der äußere Nutzen, sondern – und das gilt gerade auch für den Sprachunterricht im Gymnasium – das tiefere Eindringen in den jeweiligen Gehalt des Stoffes für den Unterricht maßgebend sein muß. Mit dieser Erkenntnis entfällt der Einwand, daß man das bis jetzt erreichte sprachliche Ergebnis in kürzerer Zeit bewältigen könne, oder auch der, daß sich im modernen Sprachunterricht des Gymnasiums mehr erreichen ließe, wenn man allen überflüssigen Ballast beiseite ließe. Abgesehen davon, daß das heute im neusprachlichen Gymnasium zu erreichende Ziel durchaus nicht anspruchslos zu nennen ist, ließe ein in diesem Sinne aufgestellter Lehrplan gerade das Entscheidende vermissen, weil er die Erlernung der Sprache zum Selbstzweck machen würde.Ich möchte diese Gedanken an einem praktischen Beispiel zu erläutern versuchen. Unter den Einwänden, die nicht nur von Schülern , sondern auch von Eltern gemacht werden, kann man zum Beispiel die folgenden immer wieder hören:
1. Ist die Sprache Shakespeares nicht zu schwer und veraltet, um noch im Unterricht gelesen zu werden?
2. Warum wird Shakespeare nicht auf deutsch gelesen, da wir doch gute deutsche Übersetzungen seiner Werke haben?
In seinem Aufsatz „Die Shakespearelektüre, ihre Bedeutung und ihre Möglichkeiten“ (Die Neueren Sprachen, Jahrgang 1953, Heft 2, Seite 494 ff.) nimmt H. Schwamborn zu der Frage nach der Berechtigung der Shakespearelektüre im Sprachunterricht Stellung. Von den hier entwickelten wichtigen Einsichten, die gerade die englische Lektüre Shakespeares dem Schüler zu vermitteln hat, möchte ich nur drei zitieren:

1. die Einsicht, daß „alles wirklich Bedeutende niemals veraltet“ (Seite 494),
2. daß „die Sprache ein lebendiger Organismus ist und als solcher dauernder Veränderung unterworfen ist“ (ebenda). Und er fährt fort: „Auf diesen Veränderungen beruhen zwar die besonderen Schwierigkeiten, aber auch der eigentümliche, unerschöpfliche Reiz jeder gewachsenen Sprache“,
3. daß „eine Übertragung niemals das Original ersetzen kann“ (ebenda).

Quinta 1957/58

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Diese allgemeinen Erkenntnisse ließen sich zwar auch rein theoretisch vermitteln, aber sie würden dann wie alles, was nur übermittelt wird, an der Oberfläche haften bleiben. Zum tieferen Verständnis der Bedeutung Shakespeares wird der Schüler erst gelangen können, wenn er das. eine oder andere Werk im Shakespearetext selbst liest. Wie sollte er sonst zum Beispiel die Zeitgebundenheit Shakespeares erkennen können, die sich außer in der Stoffwahl gerade auch in der Symbol- und Bildersprache seiner Dramen zeigt? Und wieviel deutlicher kann sich das Bild von der Gestaltungskraft dieses Dichters einprägen, wenn der Schüler bei der englischen Lektüre selbst die Erfahrung gewinnt, daß Shakespeare da, wo er allgemein menschliche und allgemein gültige Aussagen macht, auf alle Symbolik verzichtet und gerade durch die Einfachheit der Sprache besonders nachhaltig wirkt.

Das eine Beispiel, das in diesem Rahmen natürlich nur ganz allgemein gehalten sein konnte, muß hier genügen, um anzudeuten, was unter dem tieferen Eindringen in einen Stoff und seiner inneren Verarbeitung zu verstehen ist.
In diesem Zusammenhang wird es für manchen Leser interessant sein, wie in den Lehrplanrichtlinien für die Gymnasien Schleswig -Holsteins Ziel und Aufgaben des Neusprachlichen Unterrichts amtlich festgelegt sind. Danach ist es „die allgemeine Aufgabe des Sprachunterrichts, den Schüler mit den geistigen Strömungen des Abendlandes vertraut zu machen. Aus der Begegnung und Auseinandersetzung mit wertbestimmten Werken des fremden Geistes gewinnt der junge Mensch Antriebe für seine Gesinnung und sein Verhalten.

Im englischen Unterricht soll der Schüler an die Kultur der Angelsachsen so herangeführt werden, daß er ein in den Grundlinien klares Bild von den Wesenszügen der Engländer und der Amerikaner gewinnt. Der Unterricht im Französischen hat die besondere Aufgabe, Verständnis zu wecken für die Eigenart und die künstlerischen und wissenschaftlichen Leistungen des französischen Volkes und so zu einer friedlichen Zusammenarbeit beider Völker beizutragen, die durch ihre Lage schicksalhaft verknüpft und durch eine lange Grenze verbunden sind.“Das sprachliche Ziel betreffend, heißt es dann weiter: „Unbedingte Voraussetzung dafür ist eine innere Vertrautheit mit der Sprache selbst. Der Unterricht muß daher vom ersten Tage an so gestaltet und entwickelt werden, daß in den Abschlußklassen das Verstehen und Sprechen der Sprache keine Schwierigkeiten mehr bereitet.“Aus diesen Sätzen wird klar, daß das Ziel des neusprachlichen Unterrichtes ein doppeltes ist:

1. das Eindringen in die Geistes- und Wesensart des fremden Volkes,
2. das Erlernen der Sprache als Voraussetzung für die Erreichung des eben genannten obersten Zieles.

Von diesem doppelten Ziel ist auch die erzieherische Bedeutung des neusprachlichen Unterrichtes nicht zu trennen. Sie ist eine zweifache: Einmal verlangt sie vom Schüler die intensive Beschäftigung mit dem Stoff selbst; darüber hinaus gibt sie ihm „Antrieb für seine Gesinnung und sein Verhalten“.

Wenn das praktische Ziel, die fremde Sprache in den Abschlußklassen ohne Schwierigkeiten verstehen und sprechen zu können, wohl von den meisten um seiner Lebensnähe und seiner handgreiflichen Vorteile willen bejaht wird, so sollte das eigentliche Ziel, das „Eindringen in die Geistes- und Wesensart des fremden Volkes“, das nicht minder gegenwartsnah ist, ebensowenig in seiner Bedeutung verkannt werden. Denn wir stehen heute mitten in einer Entwicklung, die ein bei aller Verschiedenheit der Nationen geeintes Europa anstrebt.

Quinta 1957/58 Quinta 1957/58

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Der Weg wird noch lang sein und auch noch manche Enttäuschung bringen. Es besteht jedoch kein Zweifel, daß sich der Gedanke immer mehr Bahn brechen wird, um so mehr, als die politische und wirtschaftliche Entwicklung immer mehr dahin drängt. daß aber nicht nur ein wirtschaftlicher und politischer Interessenverband erstehe, sondern ein organisch gewachsener Bau, der auf dem gemeinsamen Grund abendländischer Kultur errichtet ist, das ist ein Ziel, an dessen Verwirklichung auch der Unterricht in den Neueren Sprachen mitzuarbeiten hat und von dem er noch seine besondere Bedeutung erhält. Es gilt nun, bei der Beschäftigung mit dem fremden Volk nicht nur seine Andersartigkeit sehen und verstehen zu lernen, sondern zu erkennen, daß jedes Volk, das sich zu diesem geeinten Europa bekennt, Miterbe einer gemeinsamen großen Kultur ist und um seiner Werte willen eine Bereicherung für den europäischen Staatenbund darstellt.

Die Arbeit des neusprachlichen Unterrichtes kann natürlich nur eine richtunggebende und vorbereitende sein; aber sie kann doch wenigstens so weit führen, dem Schüler zu zeigen, daß es nur da ein Verstehen geben kann, wo die Bereitwilligkeit vorhanden ist, sich dem andern ohne Vorurteile zu nähern, und wo aus der Kenntnis der Dinge heraus auch die Schwierigkeiten gesehen werden, mit denen das andere Volk zu kämpfen hat.

Bei einer Aneignung der fremden Sprache nach rein praktischen Gesichtspunkten würden alle diese Überlegungen zu kurz kommen. Das Ziel, das sie verfolgen, liegt zwar noch in sehr weiter Ferne, aber es ist ein Ziel, das einmal die mühsamen Wege, die zu ihm führen, lohnen wird. Wer sie geht, wächst nicht nur selbst an Wissen und Erkenntnis, sondern erweist damit seinem eigenen Volk den besten Dienst.

Vielleicht wird derjenige, der den Unterricht in den modernen Sprachen an den höheren Schulen glaubt geringschätzen zu müssen, weil er den „handgreiflichen Zweck“ vermißt, nun eher geneigt sein, die so viel weiter gesteckten Ziele wegen ihrer aktuellen und lebensnahen Auswirkungen anzuerkennen. Denn mit diesem Unterricht begibt sich der Schüler nicht auf ein volks- und zeitfremdes Gebiet, sondern mitten hinein in das Woher und Wozu der Beziehungen, der europäischen Völker untereinander. Ist das ein utopisches Ziel? Sind das nur große Worte ohne Inhalt? Wir sind heute solchen Formulierungen gegenüber mißtrauischer denn je, und das ist gut so. Aber die Wege, die wir als verantwortliche Erzieher gegangen sind, um diesem Ziele näher zu kommen, zeigen, daß die Zielrichtung wenigstens richtig ist.

Unter den mannigfachen Wegen, die der neusprachliche Unterricht heute beschreitet, sei an dieser Stelle auf diejenigen hingewiesen, die der Gefahr, den Sprachunterricht zu einer bloßen Vermittlung von Buchwissen zu machen, am wirksamsten entgegenarbeiten können. Es sind das: die Arbeit mit Rundfunk und Tonbandgerät, die Lektüre von fremdsprachlichen Zeitungen, die Anregung der Schüler zum Briefwechsel mit gleichaltrigen Jungen und Mädchen im Ausland und zum Aufenthalt im fremden Lande, gegebenenfalls auf dem Wege des Austausches.

Am unmittelbarsten wird der Lernende im Lande selbst mit der fremden Wesensart bekannt gemacht, denn hier kommt er täglich mit den Menschen des Volkes zusammen, dessen Gast er ist, nimmt ihre Art bewußt auf und vergleicht sie mit der eigenen. So bildet er sich, wenn auch kein allgemeingültiges oder gar fertiges, doch ein eigenes Urteil, das er nun mit den Meinungen vergleicht , die ihm bei anderen Menschen oder auch im weiteren Unterricht entgegentreten. Auch wenn er seine Ansicht dann noch korrigieren müßte, wird er die Eigenart des anderen Volkes viel klarer sehen können als die Kameraden, die sie nur aus den Berichten anderer kennenlernen, und seien es noch so gute und sachliche Darstellungen über die Sitten und Gebräuche, die Vorzüge und Schwächen des fremden Volkes. Die persönliche Fühlungnahme wird als der unmittelbarste Weg immer sehr fruchtbar sein. Es wäre sehr zu wünschen, daß das Verständnis für die Bedeutung dieser lebendigen Berührung mit der Sprache im fremden Lande selbst bei unseren Eltern noch viel mehr wächst. Gewiß wird ein auch noch so kurzer Aufenthalt im Ausland für viele von ihnen ein wirtschaftliches Opfer sein; es ist aber eins, das zu bringen sich lohnt, nicht zuletzt auch in erzieherischer Hinsicht; denn es fördert die Selbständigkeit und Umsicht des Schülers.

Besonders lohnend ist immer der Austausch, er vertieft die persönlichen Beziehungen auch noch dadurch, daß beide Partner für längere Zeit, als es die Ferien allein erlauben, zusammen sind. Vor allem aber bleibt der Hauptgewinn des Kennenlernens nicht einseitig auf den beschränkt, der den Partner in seinem Lande aufsucht, sondern beide haben Gelegenheit, ihr Urteil im Lande selbst zu bilden und ihre Erfahrungen und Ansichten auszutauschen. Die Kosten sind nicht unbedingt höher als bei einem Einzelaufenthalt im Ausland; denn durch die wechselseitige Aufnahme in der Familie werden auch die Kosten zu gleichen Teilen getragen. Diese Möglichkeit der Kontaktgewinnung wird von den Eltern, die einen solchen Austausch durchführen könnten, noch viel zu wenig genutzt.

Der Briefwechsel ist natürlich kein Ersatz für einen Aufenthalt im Lande selbst. Er ist zudem von solchen Faktoren wie Lust oder Unlust des einen oder anderen Partners, den Briefwechsel regelmäßig durchzuführen, abhängig. Enttäuschungen bleiben deshalb nicht aus. Trotzdem sollte immer wieder begonnen werden; denn wo dann wirklich ein befriedigender Briefwechsel entsteht, da entsteht gleichzeitig mit dem nun geweckten Interesse für die fremde Welt ein ganz anderes Verhältnis zu dem, was im Unterricht über dieses Land und seine Leute gesagt wird. Ein solcher Briefwechsel fördert nicht nur die Vertiefung der Vorstellungen. Es ist außerdem durch ihn schon manches persönliche Band geknüpft worden. Solche menschlichen Beziehungen haben sich nicht seiten als sehr beständig erwiesen. Ein einmal geschenktes und gewonnenes Vertrauen hat sogar vielfach auch die Zeiten politischer Hetzpropanganda überdauert.

Eine weitere Hilfe, die die Eltern wirtschaftlich ebenfalls nur in geringem Maße belastet, ist das Abonnieren fremdsprachlicher Schülerzeitungen. Sie werden über die Schulen vermittelt, und die Beschäftigung der Jugendlichen mit diesem fremden Sprachgut trägt ebenfalls dazu bei, das Bild, das im Unterricht entsteht, auf allerlei Weise zu ergänzen. Es ist nicht deshalb erst jetzt hier davon die Rede, weil das Lesen einer solchen Zeitung von untergeordneter Bedeutung wäre. Jede Art der Beschäftigung des Schülers mit dem Sprach- und Gedankengut des fremden Volkes ist zu begrüßen und zu unterstützen. Dazu kommt, daß auch das Lesen ebenso wie Briefwechsel und Auslandsreise den sehr wichtigen Charakter der Freiwilligkeit tragen und schon deshalb den Schüler sehr aufgeschlossen machen. Außerdem sind heute die Zeitungen dieser Art wirklich bemüht, den Interessen der Schüler entgegenzukommen und die sprachliche Arbeit in jeder Weise zu erleichtern, daß alle diese hier nur angedeuteten Möglichkeiten viel dazu beitragen können, das eigentliche Ziel, vom dem oben die Rede war, zu erreichen, ist ohne weiteres einzusehen. daß aber alle diese Maßnahmen, um einen vertieften Eindruck von dem fremden Land und seinen Leuten zu vermitteln, für Schulen wie die unsere noch von besonderer Wichtigkeit sind, soll nicht unerwähnt bleiben; denn eine Kleinstadtschule steht, was die Fortbildungsmöglichkeiten anbetrifft, in mehr denn einer Beziehung hinter den Schulen der größeren Städte zurück. Das gilt für den Unterricht in den modernen Sprachen in ganz besonderem Sinne. Ausländische Zeitungen, Büchereien mit fremdsprachlicher Literatur oder gar Kurse, an denen Interessenten teilnehmen könnten, fehlen gänzlich , von Theateraufführungen ganz zu schweigen. Dazu kommt noch, daß ungefähr die Hälfte aller Schüler unserer Schule in weitem Umkreise von Bad Bramstedt wohnt und schon deshalb nicht imstande wäre, an solchen Veranstaltungen regelmäßig teilzunehmen.

Aus diesen Gründen wäre es sehr wünschenswert – und mit diesem Wunsch wende ich mich an die Eltern –, wenn die oben genannten Möglichkeiten, den Kindern zu einer vertieften Kenntnis des fremden Volkes und seiner Art zu verhelfen, wirklich von vielen genutzt würden. Darüber hinaus aber wäre die Aufgabe dieser kurzen Betrachtung erfüllt, wenn sie den einen oder anderen anregen würde, sich über das Gedanken zu machen, was wir in der Schule als den letzten Sinn des neusprachlichen Unterrichts bezeichnen: das Erlernen der Sprache nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel, um in den Geist und die Wesensart des anderen Volkes einzudringen und dadurch an der Verwirklichung einer größeren Gemeinschaft mitzuarbeiten, die auf gegenseitigem Verstehen und gegenseitiger Achtung gegründet ist.

Katharina Nauck


Unser Laienspielkreis

Das Laienspiel hat als wichtiges Mittel der musischen Erziehung wohl in jede Schule Eingang gefunden. In Gymnasien, Mittel- und Volksschulen wird es in gleichem Maße gepflegt, und die meisten Schüler sind irgendwie einmal mit dem Laienspiel in Berührung gekommen, wenn sie die Schule verlassen.

Auch an unserer Jürgen-Fuhlendorf-Schule in Bad Bramstedt hatten schon lange verschiedene Lehrer auf diesem Gebiet gearbeitet; es hatten Gruppen bestanden, die Stücke einübten und aufführten. Allerdings waren diese Laienspielgruppen nach gewisser Zeit immer wieder zerfallen, da die Schüler sich entweder durch ihre übrigen Aufgaben zu sehr belastet fühlten oder sich anderen Interessen zuwandten, so daß die mit der mittleren Reife oder dem Abitur abgehenden Spieler nicht ersetzt werden konnten.

So hatte längere Zeit keine größere Aufführung an unserer Schule stattgefunden, als im Herbst des Jahres 1955 während einer Sitzung der Schülermitverantwortung ein Obersekundaner an mich die Bitte richtete, doch einen neuen Laienspielkreis zu gründen.

Ich hatte bereits mit meiner eigenen Klasse als Quarta beziehungsweise Obertertia zwei Stücke aufgeführt, an denen, wie ich glaube, die Kinder viel Freude gehabt haben. Doch nun ergab sich die Möglichkeit, mit Schülern der Oberstufe und der Untersekunden ein Laienspiel zu pflegen, das einen ganz anderen Charakter haben konnte als die bisher aufgeführten Stücke. Hatte ich bisher allgemein mit Kindern von zwölf bis vierzehn Jahren gespielt, so ergab sich für mich nun Gelegenheit, mit Jugendlichen zu spielen, die alle mehr als fünfzehn Jahre alt waren. Damit war aber eine Voraussetzung geschaffen, das Laienspiel so zu pflegen, wie es der große Altmeister Martin Luserke immer wieder gefordert hat. Bezeichnet er doch Jugendliche im Alter von fünfzehn bis fünfundzwanzig Jahren als am besten geeignet für das Laienspiel.

Auf unserer ersten Zusammenkunft – der neugegründete Laienspielkreis zählte etwa fünfundzwanzig bis dreißig Mitglieder, unter denen die Mädchen in der Überzahl waren – ging es natürlich um die Frage: „Was spielen wir?“ Dabei wurden die verwegensten Wünsche geäußert. Ich glaube, fast jedes Stück der deutschen und ausländischen Literatur hätte begeisterte Spieler gefunden.

Meine nicht ganz leichte Aufgabe war es nun, die Schüler davon zu überzeugen, daß wir als Laien uns doch in bestimmten Grenzen halten müßten, daß das Laienspiel nicht die Form der zeitlosen dichterischen Aussage sei, weil der bedeutende Gehalt auch die vollendete Reproduktion, eben das große Theater und den Berufsschauspieler verlange. Wenn das Laienspiel eine Berechtigung in der Schule haben soll, dürfen wir nicht versuchen, die Berufsbühne nachzuahmen oder gar mit ihr in Wettbewerb zu treten, uns ohne Einblick in die Grenzen unserer Begabung auf künstlerischem Gebiet betätigen. Das Kunstwerk würde so verfehlt oder verfälscht und wir verlören uns in dem gefährlichsten Dilettantismus oder würden, um mit Luserke zu sprechen, zur „Edelschmiere“ gelangen. Wie es überhaupt eine hervorragende Erziehungsaufgabe des Lehrers bleibt, den jungen Menschen ihre Möglichkeiten und Grenzen zu zeigen, so auch auf dem Gebiet des Laienspiels. Der Sinn für das Echte und Gemäße muß die Grundlage der musischen Erziehung sein. Ebenso wie auf anderen Gebieten kann sich eine Überforderung des Schülers in bezug auf seine musische Begabung und Empfänglichkeit sehr verhängnisvoll auswirken. Alle Versuche, ein Laienspiel von außen her, zum Beispiel aus religiösen oder weltanschaulichen Absichten, zu begründen, müssen fehlschlagen, wenn die innere Begründung in der besonderen musischen Begabung des Jugendlichen fehlt.

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Der Umstand nun, daß unserem Kreis eine so große Zahl von Mädchen angehörte, half mir, die Schüler dafür zu gewinnen, ein eigenes Stück zu schreiben und aufzuführen; denn in der gesamten Literatur mangelt es an Stücken mit einer genügenden Anzahl weiblicher Rollen, und es lag uns daran, in unserem ersten Stück alle unsere Mitglieder auftreten zu lassen.

Wir setzten uns nun jede Woche zu einem Arbeitskreis zusammen, wie ich ihn selbst in der „Werkstatt“ Martin Luserkes erlebt habe . Eine Fabel hatten wir schnell erfunden. Wir nahmen den Stoff aus der Welt der Antike, die jedem Schüler durch Geschichte und Literatur bekannt ist. Angeregt wurden wir auch durch die Erinnerung an eine ausgezeichnete Aufführung von Plautus’ „Amphitryon“, die einige Mitglieder unseres Kreises auf der Laienspieltagung in Lübeck im Herbst 1954 erlebt hatten.
Im Mittelpunkt unseres Stückes stand ein kleines Abenteuer Jupiters. Verwechslungen spielten eine große Rolle und gaben dem Stück, das etwa eine Stunde dauern sollte, die Spannung. Zahlreiche Anspielungen auf Schule und Alltag erhöhten die Wirkung.

Dieser antike Stoff hatte viele Vorteile. Die Lebensfreude der griechischen Götter und des griechischen Menschen steht dem Jugendlichen sehr nahe, ebenso die Vorliebe für das Lachen und den Scherz, das Ablehnen jeglichen Moralisierens. Für die vielen Mädchen boten die Gestalten der Göttinnen anziehende Rollen. Einen Teil des Stückes ließen wir im Reiche der Amazonen spielen, wodurch so viele weibliche Rollen geschaffen waren, daß alle Mädchen mitspielen konnten. Die antike Welt gab dann endlich noch die Möglichkeit für eine reizvolle, farbenfreudige Kostümierung, die sehr zum Gelingen der Aufführung beitrug.

Von Woche zu Woche wurde nun immer ein kleiner Abschnitt unseres Stückes, der inhaltlich bekannt war, von den Schülern dramatisiert. Sie verwendeten dabei Reime, was eine große Erleichterung dieser Arbeit wie auch später des Auswendiglernens bedeutete. Ein Obersekundaner schrieb inzwischen die Musik, ganz im Sinne Luserkes, in dessen Stücken die Musik eine wichtige Rolle spielt. Sie durchtränkt das Ganze und ist ein wunderbares, unentbehrliches Mittel zur Gliederung der Massenbewegung auf der Bühne, nicht etwa nur Zwischenakt- oder Begleitmusik.

Kurz nach Weihnachten war der Text vollendet, und die Probenarbeit konnte beginnen. Sehr schnell fand sich dabei jeder Spieler in seine Rolle. Mit großer Sorgfalt arbeiteten Jungen wie Mädchen inzwischen an ihren Kostümen, wobei die Mädchen oft den Jungen behilflich waren. Auch die notwendigen Requisiten wurden allmählich beschafft. Schon im März 1956 konnten wir aufführen; das war früher, als ich erwartet hatte. Der treffende und zugkräftige Titel „Götter, Griechen und Geliebte“ und wirkungsvolle Werbeplakate, die begabte Zeichner aus unserem Kreis angefertigt hatten, halfen mit, die Zuschauer anzulocken.

Da unserer Schule wie vielen anderen Schleswig Holsteins trotz des inzwischen vollendeten Neubaus eine Aula und eine eigene Bühne fehlen, mußten wir im Gemeindesaal der Stadt aufführen. Dieser Raum verfügt zwar nur über ein schmales Podium und hat Stühle für nur etwa hundert Zuschauer – weitere Stühle mußten aus der Schule unter dem Stirnrunzeln damals noch maßgeblicher Instanzen herbeigeschafft werden –, aber die Begeisterung und der Einsatz der Spieler verhalfen der Aufführung zu einem großen Erfolg.

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Hierbei wurde nun auch deutlich, wie sehr das Laienspiel die Gemeinschaft braucht, aber auch die Gemeinschaft fördert. Die Zuschauer kamen fast ausschließlich aus den Reihen der Lehrer, der Schüler oder deren Eltern. Von ihnen wurden der Stoff und die vielen Anspielungen auf das Schulleben sofort verstanden und immer wieder mit großem Beifall aufgenommen. Hierdurch wurde wieder die Spielleidenschaft der Darsteller mehr und mehr gesteigert. Nach dem Stück saßen dann Gruppen von Spielern und Nichtspielern, wie sie der Zufall gerade zusammengefügt hatte, verbunden durch die gemeinsame Freude am Stück, noch lange in froher Laune beisammen. Manche Eltern, die sonst nie den Weg zur Schule finden, sah man in angeregtem Gespräch mit den Lehrern. So wurde hier in der Tat die Schulgemeinschaft in weitestem Sinne demonstriert.
Da das Stück aus dem Schulleben erwachsen war und daher auch im wesentlichen nur von der Schulgemeinschaft verstanden werden konnte, verzichteten wir darauf, vor einem anderen Kreis die Aufführung zu wiederholen. Wir begnügten uns mit insgesamt drei Aufführungen vor einem Publikum, das eng mit der Schule in Verbindung stand.
Nachdem dieses erste Stück ein so großer Erfolg geworden war und ich erkannt hatte, über welch hohe spielerische Begabung ein großer Teil der Schüler verfügte, entschloß ich mich zu einem großen Wagnis. Ich plante, Shakespeares „Was ihr wollt“ als Bewegungsspiel aufzuführen, wie es Martin Luserke auf seiner Schulbühne in Wickersdorf und in seiner eigenen „Schule am Meer“ auf der Insel Juist entwickelt und in zahlreichen Aufführungen vervollkommnet hatte. Von vielen Fachleuten des Theaters und des Laienspiels sind diese Shakespeare-Aufführungen immer wieder hervorragend kritisiert worden. So würdigt einer dieser Kritiker die Aufführungen auf der Wickersdorfer Schulbühne als „die erste vollgültige Kunstleistung der bisher künstlerisch meist unfruchtbaren Jugendbewegung“‘, und ein anderer spricht von einem „geradezu fabelhaften“ Erfolg, einem „starken, reinen und schönen Eindruck, wie man ihn nur aus den besten Shakespeare-Abenden nach Hause trägt“’. Ich selbst habe als Student ebenfalls Shakespeare -Aufführungen Luserkes erlebt oder in ihnen sogar mitgewirkt und kann daher die oben angeführten Kritiken bestätigen.

Luserke hat besonders die Shakespeareschen Lustspiele durch das aus ihrer inneren Gesetzmäßigkeit entwickelte Prinzip des Bewegungsspiels in einen einzigen großen rhythmisch gegliederten Bewegungsablauf auf vorhang- und kulissenloser Bühne zu dieser Wirkung gebracht. Stets ging Luserke von den gegebenen Möglichkeiten und Fähigkeiten seiner Schüler aus, denen er niemals größere schauspielerische Leistungen abverlangte, als sie zu geben vermochten. Durch den natürlichen Resonanzkörper großer Spielermassen verhalf er dem einzelnen zu Sicherheit und spielerischer Unbefangenheit. Die Kostümierung, die dem Spieler das Hineinfinden in seine Rolle wesentlich erleichtert, die Musik und Beleuchtung sind ebenfalls außerordentlich wichtig. Den Auf- und Abzügen der Gruppen – unter entscheidender Mitwirkung der Musik – wird hohe Bedeutung beigemessen. Jede abziehende Gruppe zieht zugleich eine andere auf die Bühne, alles Kommen und Gehen ist wieder in sich gegliedert. So wird das Unausgesprochene, eben der rhythmische Ablauf der Ereignisse, voll ausgespielt. Schließlich sei noch bemerkt, daß die Shakespeare-Aufführungen nach Möglichkeit auf einer Plattformbühne stattfinden sollen, die weit in den Zuschauerraum hineinragt, um so eine enge Verbindung mit dem Publikum herzustellen.

Es würde an dieser Stelle zu weit führen, alle Einzelheiten des Lüserkeschen Bewegungsspiels zu beschreiben. Nur so viel sollte deutlich gemacht werden, daß diese Shakespeare-Aufführungen tatsächlich Laienspiel in eigener Form darstellen und daß hier von keinem Wettbewerb mit dem Berufstheater die Rede sein kann, obwohl man auf Stücke zurückgreift, die auch die Berufsbühne darstellt. Diese Form des Spiels ist nur dem Laienspiel eigen.

Es wird aus dem Gesagten nun aber wohl auch deutlich, welch einer gründlichen Arbeit es bedarf, um ein Stück Shakespeares als Bewegungsspiel aufführungsreif zu machen.

Durch das Entgegenkommen der Schulleitung hatten wir zunächst wöchentlich eine Stunde zu Proben zur Verfügung; später aber mußten wir Nachmittage und Abendstunden mit zu Hilfe nehmen. Die Einsatzfreude und die Lust am Spiel, die die Schüler an den Tag legten, übertraf noch bei weitem, was ich bei unserem ersten Spiel erlebt hatte, besonders, als das Stück allmählich Gestalt gewann. Hatte beim erstenmal einfach die Lust an Scherz und Spiel die Schüler mitgerissen, so spürte jetzt doch wenigstens ein Teil der Spieler, je länger wir uns mit Shakespeare beschäftigten, auch die Wirkung des großen Kunstwerks. Nach mehr als halbjähriger intensiver Arbeit wagten wir uns endlich an die Aufführung.

Wieder mußten wir uns den Saal des Gemeindehauses erbitten. Kurz vor Weihnachten 1956 zeigten wir dann unser „Was ihr wollt“ und erlebten von allen Seiten begeisterte Kritik. Zweimal führten wir im Gemeindehaus vor insgesamt dreihundert Zuschauern auf. Danach gaben wir außer der Schulgemeinschaft auch anderen Interessierten aus der Stadt Gelegenheit, unserer dritten Aufführung beizuwohnen, die im größten Saal Bad Bramstedts, im Kaisersaal, stattfand. (Den Reinertrag von etwa 200 DM stellten wir dem Deutschen Roten Kreuz für die Ungarnhilfe zur Verfügung). Schließlich fand noch eine vierte und letzte Aufführung im großen Saal des Kurhauses vor den Patienten der Rheumaheilstätte statt.

Damit hatten etwa achthundert Zuschauer unsere Shakespeare-Aufführungen erlebt, und ich glaube, daß kaum einer negative Kritik geäußert hat. Eine glänzende Bestätigung der Laienspielpraxis Martin Luserkes!

Nach diesen erfolgreichen Aufführungen nahm der Laienspielkreis der Jürgen-Fuhlendorf-Schule einen weiteren Aufschwung. Zahlreiche Schüler baten um Aufnahme. Nach einer längeren Pause begannen wir dann im Herbst 1957 mit den Proben zu Shakespeares „Der Sturm“, der zum 50jährigen Jubiläum unserer Schule (hoffentlich mit gleichem Erfolg) aufgeführt werden soll. Wenn ich die Erfahrungen meiner Laienspielarbeit zusammenfassend überblicke, so ergeben sich einige Einsichten und Wünsche, die ich an dieser Stelle nicht verhehlen möchte.

Die bedeutendste pädagogische Auswirkung eines stilvollen Laienspiels ist die Lösung gehemmter Schüler, sofern sie nur ein Mindestmaß an spielerischer Begabung mitbringen. Ebenso erfreulich sind die Ergebnisse im Bereich der musischen Erziehung und der Geschmacksbildung überhaupt. Den schädlichen Einflüssen von Dreigroschenromanen, Illustrierten usw. ist wohl am ehesten durch eine Schulung des Geschmacks und die Möglichkeit einer angemessenen guten Unterhaltung zu begegnen.

Hier zerbricht auch der stärkste und häufigste Einwand, der gegen die Betätigung der Schüler auf dem Gebiet des Laienspiels erhoben wird. Wird doch immer noch behauptet, die Jungen und Mädchen würden durch das Laienspiel von anderen, „wichtigeren“ Aufgaben abgelenkt, sie vernachlässigten ihre Hausarbeiten und ließen daher in ihren Leistungen nach. Ich möchte zunächst bemerken, daß in verschiedenen Untersuchungen die positiven Auswirkungen eines sinnvollen Laienspiels auch auf die Leistungen in den sogenannten Wissenfächern nachgewiesen worden sind. Es dürfte auch kaum möglich sein, die Behauptung aufrechtzuerhalten, der Schüler werde von seinen anderen Pflichten abgelenkt, und nicht viel mehr von Beschäftigungen zweifelhaften Werts, wie sie eben das Lesen minderwertiger Lektüre oder das Besuchen eines schlechten Films darstellt. Ich persönlich habe nie einen Rückgang der Leistungen durch die Beschäftigung mit dem Laienspiel feststellen können.

Ich möchte noch etwas hinzufügen: Wenn unsere Schule den Anspruch erheben will, eine wirkliche Bildungsstätte zu sein, müssen in ihr Verstand, Körper und Seele der Schüler gleichermaßen geformt werden. Denn erst ein Mensch, der auf diese Weise geformt worden ist, kann mit vollem Recht als wirklich gebildet bezeichnet werden. Durch die Bildung der seelischen Kräfte mit Hilfe der musischen Erziehung überhaupt und des Laienspiels im besonderen wird der Mensch geöffnet und erst recht empfänglich gemacht, um künstlerische Aussage zu erleben. Ein echtes musisches Erleben aber läutert den Menschen, ist so wertvoll, so beglückend, daß man alle Möglichkeiten nutzen sollte, es den Jugendlichen zu erschließen.

Deshalb ist es zu bedauern, daß das Laienspiel, das man den „Ort der Begegnung aller musischen Elemente – der Bewegung, Sprache, Musik und bildenden Kunst“ genannt hat, noch immer zu sehr am Rande des musischen Lebens in der Schule steht. Es ist nur selten in der Stundenplangestaltung berücksichtigt, wie doch – wenn auch nur in geringem Maße – die anderen musischen Fächer Kunsterziehung und Musik. So muß die Arbeit in den Laienspielkreisen viel zu sehr neben dem Unterricht geleistet werden, was besonders dann große Schwierigkeiten macht, wenn die Mitglieder eines solchen Kreises aus verschiedenen Klassen mit ganz unterschiedlichen Stundenplänen kommen.

Durch das Entgegenkommen und Verständnis der Schulleitung ist an unserer Schule immerhin ein einigermaßen tragbarer Zustand geschaffen worden, wenn auch die Arbeit im Laienspiel zum Teil noch während der Unterrichtsstunden anderer Fächer geleistet werden muß.

Deshalb wünschen wir uns zu unserem 50jährigen Schuljubiläum: eine genügende Berücksichtigung des Laienspiels im Stundenplan , unter Umständen als Arbeitsgemeinschaft, einen eigenen Festraum mit einer Bühne, um dort unsere Aufführungen veranstalten zu können. Dann erst kann die wertvolle pädagogisch-psychologische Bedeutung des Laienspiels voll zur Wirkung kamen, das – und mit diesem Zitat Martin Luserkes möchte ich schließen – „eine gar nicht zu überschätzende Gelegenheit zur Selbstbetätigung des ganzen Menschen bietet“, da in unseren Lebensverhältnissen „das Seelische durch das Geistige, Kopfmäßige vergewaltigt wird“‘.

H. W. Meyer

1) Hans Brandenburg: „Das neue Theater“, Leipzig 1926, S. 484.
2) O. Hagen in Shakespeare-Jahrbuch 1928, S. 221 f.
3) Martin Luserke: „Die Bedeutung des Theaters und des Laienspiels für die heutige Volksbildung“ in „Geistige Formung der Jugend unserer Zeit“, Berlin 1931, S. 99.


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Habe ich durch das Bestehen der Reifeprüfung den Beweis erbracht, daß ich ein gebildeter Mensch bin?

(Hausaufsatz U I, 1954)

Bildung – das ist ein Wort, das besonders in unserem Jahrhundert zu einem Schlagwort geworden ist. Man meint, es sei gut, „gebildet“ zu sein, und wer mit Zitaten unserer Großen aufwarten kann, gilt als ein „gebildeter“ Mensch. Auch der, der mit seiner „Kreuzworträtselbildung“ vor einem unwissenden und unverständigen Publikum glänzt, gehört in den Augen vieler zu den „Gebildeten“. – Wie aber wird der Ausdruck Bildung mißverstanden, wie äußerlich aufgefaßt! Man richtet Volksbildungsstätten ein. Das ist zwar gut, aber es ist ein grundlegender Fehler, alle Menschen, die eine Schulbildung genossen haben, als „gebildet“ anzusprechen. Bildung ist nicht das Wissen um eine Sache, das Beherrschen vieler Fremdwörter und unverstandener Phrasen. Sie ist keineswegs gleichzusetzen mit Gelehrsamkeit, Vielwissen.

Bildung ist die Ausbildung der im Menschen vorhandenen Fähigkeiten, des eigenen, selbständigen Wollens, Fühlens und Denkens zur höchsten Vollendungsstufe. Das Vorhandensein dieser Fähigkeiten ist die Grundlage für die Bildung. Nur der Mensch, dem die Anlage zur Selbständigkeit angeboren ist, ist bildungsfähig. Das Wort Bildung an sich meint, daß etwas im Menschen Vorhandenes, noch Formloses und Unentwickeltes zu einem Ganzen, Großen, Vollkommenen entfaltet werden soll. Man könnte Bildungsfähigkeit als die Fähigkeit des eigenen Erlebens bezeichnen.

Goethe sagt: „Den Stoff sieht jedermann, den Gehalt nur der, der etwas zuzutun hat; die Form ist ein Geheimnis den meisten.“ Damit gruppiert er die Menschheit in drei Klassen; und zwar kann der gewöhnliche Mensch wohl den Stoff, das Objekt, sehen und fühlen, aber nicht erfühlen. Er besitzt zwar die Fähigkeit, Dinge in seinem Gehirn aufzunehmen, zu registrieren. Er kann sie aber nicht verarbeiten, er vermag sie nicht zu erleben. Er kann Dinge mit einer gewissen Vorstellung verbinden, aber nicht ihr eigentliches Wesen erfassen, sie sich zu Eigenbesitz machen. Diese Fähigkeit, nämlich Eindruck und Gedanken eins werden zu lassen, spricht Goethe der zweiten Gruppe zu, die etwas hinzutun kann. Bei diesen Menschen entsteht durch die Verarbeitung eines Eindrucks etwas spezifisch Neues. Auf Grund dieser Fähigkeit kann das Individuum unter Mithilfe äußerer Einflüsse und eigener Kraft etwas Neues entwickeln und seinen Geistesstand ausbilden und weiterführen. Die Krone der Bildung aber gesteht Goethe dem Künstler zu, der nicht nur das Bild des Objekts zu Eigenem umgestaltet, sondern aus sich heraus, allerdings angeregt durch seine Umwelt, etwas Neues schafft.

Wenn ein Individuum fähig ist, sich selbst zu erleben, muß es Objekt und das eigene Sein scharf trennen können, es muß sich gegenüber dem Objekt finden, also zu Selbstbewußtsein gelangen, um das Ich als eines fühlenden, denkenden und wollenden Wesens wissen. Es muß seine Anlagen und Fehler erkennen können und durch Selbsterkenntnis das Gute und Böse in sich und seiner Umwelt sehen. Auf Grund des ihm angeborenen ethischen Gefühls erkennt es dann die Pflicht als ein göttliches Gesetz in sich, das Gute, Schöne und Wahre zu erstreben, die größtmögliche, seinen Fähigkeiten angemessene sittliche Vollkommenheit zu seinem Ziel zu machen, das durch das Ideal der Humanität bestimmt ist. Um diesem Ideal dienen zu können, ist es erforderlich, durch den vernünftig-sittlichen Willen sein Eigenleben im Sinne menschlicher Vollkommenheit zu gestalten. Die Kraft der Selbstbeherrschung soll ihn also veredeln. Ein veredelter Mensch ist ein Individuum, dessen Anlagen zu einer humanitätsbestimmten Höhe ausgebildet sind.

Diese vorhandenen Anlagen bedürfen der Pflege, der Kultur, die sich als eine Vervollkommnung des Bestehenden durch darauf gerichtete menschliche Einwirkung äußert. Durch die Selbsterkenntnis sieht der Mensch die Notwendigkeit, Triebe in sich zu bekämpfen. Dazu gehört sehr viel Kraft und Ausdauer, da der Mensch von Natur aus dazu neigt, sich nachzugeben, der Schwerkraft der Triebe zu folgen und sich Anstrengungen zu entziehen. Durch Tapferkeit und Mäßigung veredelt er im dauernden Kampf gegen den widerstrebenden Feind der Unmündigkeit sein Wesen und gelangt so zur Selbstbehauptung, zur Klarheit über sich selbst. Das heißt also, daß der Mensch seine Urteilskraft ausbildet und mit Hilfe seiner Vernunft und aus dem eigenen Verantwortungsgefühl heraus eine klare Entscheidung zu fällen imstande ist und in jedem Falle alle Dinge daraufhin prüft, ob er sie selbst verantworten kann und zu eigenen Gesetzen machen darf. Das Handeln des Menschen soll also nur durch die eigene Vernunft und das eigene Gefühl bestimmt werden. Das bedeutet eine Auseinandersetzung mit allem Bestehenden, Geltenden und von der Allgemeinheit Anerkannten. Die Autorität ist ein Hemmnis, das viele Menschen leicht besiegt, wenn sie nicht auf Grund ihrer Erfahrung selbstverantwortlich und selbständig ihre Vernunft und ihr Gefühl zur Entscheidung darüber zwingen, ob die Auffassung der Autorität als Gesetz der Eigenpersönlichkeit gelten kann. Selbstbehauptung bedeutet innere Auflehnung, keineswegs aber Fügung. Wenn der Mensch die eigene Überzeugung preisgibt und sich vom Autoritätsglauben leiten läßt, wird er – sofern er noch seine Gefühle überprüft – das niederdrückende Gefühl der inneren Unwahrhaftigkeit in sich spüren, die Selbstkontrolle verlieren, was zu einer Verarmung des Innenlebens führt. Der selbständige Mensch ordnet sich nur der Idee unter, die seinem Geist durch vernunftmäßige Überlegung entsprungen ist. Er wird also autonom. Handlungsbestimmend sind bei ihm nur die Ideen, die inneren Gesetze und das Streben nach Vollkommenheit, Menschenwürde. Diese Autonomie darf aber nicht in rücksichtslose Durchsetzung sinnlich -selbsüchtiger Triebe, die nicht vor dem Gewissen bestehen kann, ausarten. Nur dann darf das Individuum auf die Durchsetzung seiner Ideen dringen, wenn sie durch das ethische Bewußtsein begründet und getragen werden. Wenn es fähig ist, sich von Vorurteilen freizumachen und nur sich selbst als Maßstab des Handelns einzusetzen, hat es die Freiheit, das Wahre, Gute und Schöne zu tun, wie Schiller sie in seinen Humanitätsgedanken entwickelt.

Wie schon gesagt, beruht diese Freiheit auf der Selbständigkeit, selbst zu urteilen, das heißt auf dem Besitz einer Weltanschauung, die auf Natur- und Kulturkenntnissen und vor allem -erkenntnissen beruhen muß. Um aber das Wesen der Dinge erkennen zu können, bedarf es einer genauen Beschäftigung mit ihnen, denn die Erkenntnis des Zusammenhangs und Sinns des Weltgeschehens und der einzelnen Dinge prägt den durch die Einsicht geleiteten Willen, der für das Verhalten des Menschen zum Dasein verantwortlich ist. Der Wille und das aus ihm folgende Handeln formen den Charakter des Individuums. Charakter haben heißt aber, sich an Ordnungsprinzipien binden und nach Richtlinien handeln, die man sich durch die eigene Vernunft und Überlegung gesetzt hat. Charakter haben heißt, eine sich und ihrer höchsten Pflichten und Ziele bewußte Individualität – eine Persönlichkeit – sein.

Durch die Kultur nähert der Mensch sich letzten Endes in immer höherem Maße der Vervollkommnung seiner selbst und wird dadurch zu einem Wesen, das nur im Sinne der Humanität lebt, zur Menschenwürde gelangt und dessen Handeln Ideale verkörpert.

Ganz ohne äußere Einwirkung kann der Mensch aber nicht zu diesen Erkenntnissen gelangen, wenn auch die natürlichen Anlagen in ihm vorhanden sind. Aufgabe der Erziehung ist es deshalb, die angeborenen Gefühle für das Gute, Schöne und Wahre in ihm zu wecken, zu fördern und zu veredeln.

Das Leben des Menschen, insbesondere des jungen Menschen, ist ein Entwicklungsgang, der ihn von der Anfangsstufe der Unerfahrenheit zu der seinen Kräften und Fähigkeiten angemessenen Vollendung führen soll, nämlich zur Persönlichkeit. Um einen Menschen zu einem höherstehenden, veredelten Wesen im Sinne der Humanitätsideale zu bilden, bedarf es einer Formung seines ganzen Menschseins von Grund auf. Erziehung gründet sich zunächst auf Autoritätsglauben, der aber im Fortgang der Entwicklung des zu erziehenden, bildungsfähigen Individuums allmählich mehr und mehr der Einsicht weichen soll, die den Menschen schließlich zur Freiheit führt. In der Zeit des noch unentwickelten Willens, der Unselbständigkeit oder Unmündigkeit, müssen erziehende Kräfte auf ihn einwirken und seinen Werdegang zur Mündigkeit fördern und in ihm nach besten Kräften allen Fähigkeiten und Anlagen seines Wesenskernes die entscheidende Lenkung auf das Humanitätsideal hin geben.

In der ersten Entwicklungsstufe ist die Erziehung Sache des Elternhauses, der Kirche und der Schule. Diese Erziehungsgrundlagen, die der Unmündige hier erfährt, sind die Voraussetzung für ein sittliches Leben. Sobald sich das Bewußtsein des eigenen Seins im jungen Menschen rührt und die eigene Stellungnahme wach wird, ist eine sorgfältige Erziehung besonders wichtig, denn nun beginnt er eigene Eindrücke und Autoritätsglauben zu verbinden. Die Beeinflussung muß so gelenkt werden, daß das Individuum an der Autorität zu zweifeln beginnt, sich endlich von ihr löst und sich selbst zu klarer, selbstbewußter Entscheidung durchringt. Mit dem Mündigwerden, das individuell früher oder später erfolgen kann, wird die Erziehung von außen abgelöst und weicht der Selbsterziehung.

Der Inhalt der Erziehung sollte bestimmt werden durch die geistige Entwicklungsstufe des im Bildungsgang Begriffenen und durch die Höhe der Menschheitskultur, immer im Hinblick ‚auf die Pflicht und Verantwortung, eine freie und erlebnisreiche und -fähige Persönlichkeit zu entwickeln, bei der die Harmonie des Denkens, Fühlens und Wollens charakterbestimmend ist. Die Charakterbildung ist aber durch die seelische und körperliche Verfassung des Menschen bestimmt, und es besteht die Gefahr der Verbildung und Zerstörung durch äußere Einflüsse, ebenso wie eine sorgfältige, folgerichtige und individuelle Behandlung eine Persönlichkeit heranbilden kann, die eine gesunde Weltanschauung und Lebensauffassung besitzt, bei der eine harmonische Ausbildung ihrer Anlagen des Verstandes und Gemüts die höchste Entfaltung menschlicher Kultur und Gesittung bewirkten. Es entwickeln sich so Menschen, in denen Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Achtung vor den Mitmenschen und hohe Entwicklung der Herzensbildung alles Niedrige verdrängt haben und die durch Selbsterkenntnis zur Bescheidenheit gelangt sind.

Deshalb ist es Aufgabe des Erziehers, nicht nur stur reines Wissen zu vermitteln, sondern sich in erster Linie für die Herausbildung der Persönlichkeit verantwortlich zu fühlen, ja das objektive Wissen eigentlich nur als Grundlage zu benutzen, denn die Hauptsache ist, daß es Zugang ins Menscheninnere findet. Natürlich ist die Verwertungsfähigkeit äußerst verschieden. Man könnte die Erziehung durch die Umwelt als einen Katalysator ansehen, einen entscheidenden, antreibenden Faktor im Werdegang des Menschen, der erst die Entwicklung und Bildung auf das Ideal hin auslöst, ohne den der Mensch wohl schwerlich Bildung erlangen könnte. Wenn dieses wesentliche Moment mit dem noch wichtigeren der Bildungsfähigkeit zusammentrifft und im Individuum der Wille vorhanden ist, dann haben wir alle Voraussetzungen dafür, daß ein Mensch gebildet werden kann.

Während seiner Schulzeit ist der Schüler in ein intensives Erziehungssystem eingeordnet, das ihn von allen Seiten und auf allen Gebieten beeinflußt und formt. Sollte die Erziehung von seiten der Schule alle Voraussetzungen für eine richtige Beeinflussung bieten, so ist aber noch nicht die Gewähr gegeben, daß der Schüler am Ende seiner Schulzeit, also mit dem Abitur, ein gebildeter Mensch ist. Denn für den Entwicklungsabschluß kann man keinen Termin setzen, ja vielleicht endet die Entwicklung nie. läßt sich Bildung überhaupt beweisen? Möglicherweise kann unter günstigen Voraussetzungen der Charakter des jungen Menschen so geprägt werden, daß wir von einem gebildeten Menschen reden können. Aber weitaus nicht die meisten Abiturienten sind gebildete Menschen, denn ein begabter Mensch kann durch viel Wissen die Prüfung bestehen. Aber Bildung läßt sich nicht mit Maßstäben prüfen; sie läßt sich bei einem anderen Menschen nur vermuten und erfühlen.

Von sich selbst kann man sagen, daß man Bildung besitzt, wenn man auf sich selbst die Worte Saint-Exuperys bejahend anwenden kann: „Menschsein heißt: Verantwortung fühlen, sich schämen beim Anblick einer Not, auch dann, wenn man selber spürbar keine Mitschuld an ihr hat – stolz sein auf den Erfolg der Kameraden – und persönlich seinen Stein beitragen im Bewußtsein, mitzuwirken am Bau der Welt.“

Silke Soth


Auf der Fahrt zum Abitur im Schnee steckengeblieben

Scheußlich kalt und dunkel war es noch, als wir am 18. Februar 1955 morgens zum Zug gingen. Die Straßen waren dicht verschneit, und zu den Fußwegen hin türmten sich die Schneemassen. Aber dafür hatten wir keinen Blick, und auch von der Kälte merkten wir nichts; denn uns wurde warm genug bei dem Gedanken an das in zwei Stunden beginnende Abitur. – Vorbereitet an Leib und Geist, stiegen wir verhältnismäßig ruhig in den Zug. Zwar brachte jede Station, auf der ein „Mitleidender“ zustieg, ein wenig Aufregung, und die Stimmung war belebt und durchwirkt von dem gegenseitig nicht eingestandenen Gedanken, daß es nun endlich soweit sei und wir am Abend wohl den schweren Kampf überstanden haben würden. –Als der Zug glücklich alle sechs – vier Jungen und zwei Mädchen –, für die der Tag X angebrochen war, auf den verschiedenen Stationen gesammelt hatte, hielt er plötzlich mit einem Ruck kurz hinter einem Bahnhof; die Maschine setzte aus, und es wurde bedenklich still. Hochguckend, sozusagen aufwachend aus unserer Fragerei: „Wie ist es damit? Ob man das wissen muß?“ sahen wir die anderen Fahrgäste zum Teil aussteigen, zum Teil unruhig hin und her gehen. Der einfache, für uns aber Entsetzen bringende Tatbestand war der, daß die A.K.N. im Schnee steckengeblieben war! Zum erstenmal in all der Zeit, die wir zur Schule fuhren – und das waren immerhin neun Jahre! –

Die Schaffner berieten, besorgten Schaufeln, und man begann, die Schienen freizulegen. Dann fuhr die A.K.N. ein Stück zurück, nahm alle ihre Kraft und unsere Gedanken zusammen und stieß – durch die Schneewehe hindurch? – nein, nur tiefer in sie hinein! Hinter der Bahn brachen die nur wenig zur Seite geschaufelten Schneemassen in sich zusammen, und wir saßen endgültig fest! Es gab kein Vor und kein Zurück!

Die Schaffner berieten neu und kamen zu dem Entschluß, einen Schneepflug herbeischaffen zu lassen. Mittlerweile war es 10 Uhr geworden, und um 9 Uhr sollte das Abitur beginnen! Wir mußten wissen, was in der Schule geschah, ob man auf uns wartete. Zwei von uns gingen auf einem freigeschaufelten schmalen Weg zum Bahnhof und telefonierten mit der Jürgen-Fuhlendorf-Schule. Sie brachten die Nachricht zurück, daß man bereits zu prüfen begonnen hatte und daß wir nur dann noch drankämen, wenn wir bis 13 Uhr da sein würden. Das waren noch drei Stunden!

Um unsere Unruhe nicht noch größer werden zu lassen, schlossen wir das Abkommen, keiner dürfe den anderen mehr nach etwas Wissensnotwendigem fragen. Dann begannen wir Karten zu spielen, den heißen Kaffee aus unseren Thermosflaschen zu verteilen und unsere Geisteskraft durch Dextro-Energen, Cola-Schokolade und dergleichen aufzumuntern. – In dieses unruhevolle, für die Mitreisenden aber anscheinend recht belustigende Idyll schoß eine alarmierende Botschaft: Der uns zur Rettung kommende Schneepflug war seinerseits steckengeblieben! Damit wurde unsere Unruhe zur Nervosität, unsere Passivität zu verzweifelter Aktivität; denn nun nützte alles Beraten nichts mehr. Wiederum zogen zwei von uns zum Bahnhof! Sie wollten nach den Autos ihrer Väter telefonieren. Die Väter waren nicht zu erreichen. Nun mußte ein Taxi heran! Aber – ein neuer Schlag des Schicksals – auch die Straßen waren schneeverstopft und ein Weiterkommen mit dem Auto unmöglich!

Bei dieser Nachricht drückten die Jungen ihre Zigaretten aus, um zwei Minuten später neue zu entzünden. Wir Mädchen liefen nervös im Zug umher. – Doch plötzlich kam uns ein, wie wir meinten, rettender Gedanke: Wenn wir zu Land nicht vorwärts kommen konnten, mußten wir es auf dem Luftwege versuchen. „Das Hamburger Abendblatt hat doch einen Hubschrauber! Man muß es den Zeitungsleuten entsprechend schildern: Sechs Leute in Abiturnot! Es ist doch unmöglich, daß all die Arbeit des Repetierens, die Angst noch einmal beginnen soll! daß wir vielleicht noch vier Wochen zur Schule gehen müssen, während die halbe Klasse das Abitur schon überstanden hat!“

Wieder zwei zum Bahnhof! „Es ist doch gar nicht weit, warum kommen sie denn noch nicht wieder? Es ist schon halb eins!“ Da tauchen sie auf! Und? Sie schütteln die Köpfe: „Nichts. Vielleicht ist der Hubschrauber kaputt oder sonst was.“ Egal! Aber was nun? Wir gucken einander an. Die Jungen lockern ihre Schlipse, dann ein Seufzer, und ausgerechnet der, der gerade vier Wochen krank gewesen ist, gibt ein entschlossenes: „Ich geh zu Fuß!“ von sich. Und tatsächlich, drei ziehen mit schwarzen Anzügen, schwarzen Schuhen und neuen Kollegmappen unter dem Arm über das Schneefeld vor uns, um auf die Straße durchzustoßen, ein Stück mit einem Wagen zu fahren, um eine Schneewehe herumzugehen und wieder ein Stück zu fahren. Für uns zwei Mädchen gibt es diese Möglichkeit nicht; denn wer kann mit hohen Absätzen und Nylonstrümpfen in knietiefem Schnee umherlaufen? Und als die drei unseren Blicken entschwunden sind, überfällt uns Resignation. Bei uns beiden Mädchen bleibt nur ein Klassenkamerad: der, der später Pastor werden will. Er übt sich im Trösten. –

Inzwischen entsendet man von Hamburg einen großen Schneepflug, der tatsächlich den Weg hinter uns freilegt. Dann fährt die A.K.N. wiederum ein Stück zurück, der große Schneepflug wird vorgespannt, und wir bringen es fertig, bis zum anderen Ende der Schneewehe durchzustoßen. – Wir wagen kaum aufzuatmen, aber wir haben ein wenig neuen Mut. Schließlich kommen wir, wenn auch recht erschöpft, um 12.3o Uhr auf dem Bramstedter Bahnhof an! Unsere drei Fußgänger sind seit etwa zehn Minuten da, und als wir letzten erscheinen, ist einer von ihnen bereits vom „Mündlichen“ befreit worden. – Abends gegen halb acht haben dann auch wir alles überstanden und den Sieg davongetragen. –

Erika Baar


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Ein Schulalltag im Jahre 1958

Vor dem Unterricht

Rrrr…! Der Wecker klingelt. Schon wieder! Ich drehe mich verschlafen um… Ich finde es im Bett noch so schön und bleibe liegen. Da kommt aber meine Mutter und schimpft: „Nun aber schnell! Raus aus dem Bett! Die Uhr ist gleich ein Viertel vor sieben!“ Ich sause aus dem Bett, wasche, kämme und ziehe mich in Windeseile an. Dann schnell nach unten, frühstücken, Mantel an, Mappe holen, Rad aus dem Stall schieben und los. Mutti ist schon vorgegangen, da sie früher in der Schule sein will.

Glücklich bei der Schule angekommen, ist es zwanzig Minuten vor acht. Ach, du Schreck! Jetzt muß ich noch zehn Minuten warten, ehe die Schule geöffnet wird. Das habe ich nun von dem Hasten. Unendlich langsam schleichen die Minuten dahin. Da kommen Klassenkameraden. Nun kann man sich wenigstens unterhalten…
Silke Dreves (IV a)

Mathematikstunde

„Hans, an die Tafel! Folgende Gleichung mit zwei Unbekannten graphisch darstellen: x – 2y+2 … Uwe ruhig! x – 2y … Hefte ’raus, mitschreiben! x – 2y … Ich werd‘ euch schon wach kriegen…
Wolfgang König
(U III a)

Ich werfe auf Ines und Ilse einen Blick. Wie zu erwarten, beschäftigen sich die beiden mit dem Essen… Immer in unbewachten Augenblicken schiebt Ines ein Stück Kuchen in den Mund. „Ihr Futtertanten!“ flüstere ich hinüber. „Bist ja bloß neidisch, daß du nichts abkriegst.“ „Pah, ich verzichte darauf zugunsten armer Negerkinder.“ „He, Molly, wann klingelt es.“ „In zwei Minuten“, ist die Antwort. Gott sei Dank! Hat auch lange genug gedauert …
Heide Kelle (U III a)

Pause im Gebäude

Ich rase hinter Klaus zum Biologieraum, und wir holen ein Glas voll Krebse und eine Karte, auf der diese übelriechenden Kreaturen abgebildet sind.
Hinrich Beck (U III a)

Lateinarbeit

Drückende Stille herrscht in der Klasse, man hört nur die ruhigen Schritte des Lehrers.
Ab und zu wird ein Stöhnen laut. Die Schüler und Schülerinnen sitzen gebeugt über den Heften. Ein Klingeln zerreißt die Stille, ein Raunen geht durch die Klasse, aber es wird weitergeschrieben. Bald erhebt sich ein Finger. „Was ist?“ fragt Herr Direktor. „Was heißt bauen?“ Er ist entsetzt, dann fragt er Dörte, was bauen heißt. „Aedificare“, antwortet sie. Der Junge setzt sich. Wieder ist alles still. Einzelne geben ihre Hefte ab.
Karin Reinke (IV a)

Pause auf dem Hof

„Soll Dir ein gutes Zeugnis winken, mußt täglich Du die Schulmilch trinken!“ steht auf den Kakaoflaschen, aus denen wir alle trinken. „Pfui Teufel, schmeckt das Zeug!“
Inge Schuricht (IV a)

Die letzte Stunde

Als krönenden Abschluß haben wir Deutsch. Herr Dr. Ralf ist den ganzen Tag darauf bedacht, Hausordnungen zu verteilen. Er findet auch oft genug Kunden, die ihm eine abnehmen. Dr. Ralf ist auch sehr für die Sauberkeit in den Heften. Einer hat sogar in Schrift eine Sechs bekommen. Derjenige bemüht sich jetzt aber besser zu schreiben. Nicht selten wird einem die Hausarbeit durchgestrichen. Oft ist er aber auch zu Scherzen aufgelegt.
Wolfhart Dallmann (IV a)

Man wartet nicht nur auf den Zug, sondern auch auf das erlösende Klingelzeichen.
Die Erdkundestunde endet im Schatten der oberitalienischen Alpen.
Jan Ziera (U III a)

Nach dem Unterricht

Nach dieser Stunde gehen wir zum Bahnhof und warten auf die A.K.N. Mit einer Geschwindigkeit von dreißig Kilometern in der Stunde bringt sie uns unter vielen Angstschreien wieder nach Hause.
Thomas Kohrt (IV a)

Aber bevor man am Nachmittag zum Fußballspiel oder ins Waldbad gehen kann, muß man noch seine Hausaufgaben erledigen. Endlich, wenn das letzte Hausheft in die Ecke gefeuert wird, ist ein Schulalltag für den armen, geplagten Schüler beendet.
Hagen Rettke (U III a)


 

Das Kollegium der Jürgen-Fuhlendorf-Schule
(Stand vom 1. Februar 1958)

Oberstudiendirektor Dr. Ernst Neumann

Oberstudienrat Alfred Zylka

Studienräte:
Günther Wangerin
Gertrud Spann
Charlotte Lange
Olga Buchard
Käthe Biendara
Friedrich Schneider
Heinz-Helmut Schulz
Dr. Hildegard Dreves

Katharina Nauck
Karl Simonsen
Ursula Prößdorf.
Annemarie John
Irmtrud Jüngst
Hans Wilhelm Meyer
Manfred Pönisch

Studienassessoren
Lothar Dexling
Dr. Horst Ralf

Gisela Knaak
Klaus Knaak

Studienreferendare
Hartmut Göke

Helmut Lienau

Die Abiturienten der Jürgen-Fuhlendorf-Schule

1949
Gisela Anders
Wilfried Dähnick
Franz Hinte
Helga Kock


Lieselotte Köhler
Helmut Lienau
Johann Joachim Marks
Gerhard Zorn

1950
Friedrich Ewert
Werner Gehl
Hermann Grüttner
Klaus Jäger
Esther Kluth
Bruno Lehnert

Fritz Leitzke
Ruth Pietsch
Irmgard Schümann
Ernst-Walter Schümann
Rose-Lotte Willers

1951
Helmut Böge
Waldemar Buchholz
Karl-Heinz Gnotka
Elisabeth Hammerich
Ingeborg Hesebeck
Paul Hinte
Brigitte Klein

Wanda von Malottki
Ulrich Seibüchler
Klaus-Jürgen Thies
Harald Timmermann
Hans-Otto Wessel
Klaus Zierau

1952
Jürgen Bornhöft
Dietrich Hamdorf

Hans-Wilhelm Rüter

1953
Otmar Aldenhoven
Elke Blaszkowski
Rosemarie Marten
Gudrun Oldenburg
Ortrud Oldenburg
Heinrich Schlichting
Ernst Thamer

Günther Wolfs
Hans-Günther Cnotka
Ernst-Heinrich Kuhrt
Erich Schnoor
Detlef Soth
Siegfried Völz

1954
Jutta Awe
Wolfgang Gieraths
Karl Lademann
Ingeborg Schramm


Antje Sievers
Roland Sukow
Gerriet Sweers
Günter Volz

1955
Erika Baar
Dieter Brack
Jürgen Brandt
Winfried Kruse
Adolf Lescow
Ulrich Lüdemann
Horst Matthiesen


Ursula Paulsen
Hans-Georg Peglow
Horst Penschuck
Jürgen Rolke
Erhard Seredszus
Rudi Sommer

1956
Dietmar Arnemann
Christa Bochmann
Elke Haensel
Inghild Henke
Peter Jensen
Annemarie Kipp
Hatto Klamt
Siegfried Liebschner
Karl Mathiak

Rudolf Mews
Klaus-Dieter Müller
Hannelore Neumann
Detlef Oetjens
Günter Olbrück
Lothar Schallau
Silke Soth
Antje Wagner

1957
Karin Albat
Gerd Behrendt
Rimbert Gatzweiler
Klaus Goldmann
Hans-Jochen Hinz
Burkhard Holzapfel
Heike Kramp

Hartwig Kuhnert
Dora Laabs
Siegfried Puschke
Christel Runge
Reimer Sievers
Hans Stein
Dieter Zimmermann

1958
Lothar Boesler
Claus Bornhöft
Volker Brack
Harald Bürck
Joachim Hasse
Heinrich Holderbach
Gunter Kurrasch
Matthias Franke
Franz Großekettler
Roswitha Hübner

Reinhard Kuhnert
Hartmut Papke
Gerd Sielk
Klaus Soth
Manfred Tews
Telse Todsen
Norbert Wünsch
Ulrich Zander
Ulrich Zylka

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Der ehemalige Schüler Klaus Reinstorp gab mir noch folgenden Daten aus seiner Schulzeit nach 1945:
Lehrer, die während meiner Schulzeit zwischen Ostern 1946 und Ostern 1952 an der Jürgen-Fuhlendorf-Schule in Bad Bramstedt tätig waren:

 

Frau Dr. Dreves, Hildegard         Chemie, Biologie, Erdkunde

Frl.           Nauck, Katharina         Englisch, Französisch, Geschichte, ev. Religion

Frl.           Jüngst                            Leibesübungen Mädchen

Frl.           Hinspeter, Charlotte    Deutsch, Rechnen (Unterstufe)

Frl.           John                               Deutsch, Rechnen (Unterstufe)

Frl.           Spann (od. Spahn)

Frl.           Burghart

Frl.           Jaquet, Lisa                   Musik

Herr Dr.   Heine                             Direktor

Herr Dr.   Neumann, Ernst           Direktor, Latein

Herr Dr.   Tiedemann                    Deutsch, Leibesübungen Jungen

Herr         Herbst                             Latein

Herr         Simonsen, Karl             Mathematik, Physik, Leibesübungen Jungen

Herr         Schneider                      Mathematik, Biologie

Herr         Zylka

Herr         Schulz                            Kunsterziehung

Herr         Mahn                              Deutsch

Herr         Rosenblatt                     Biologie

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