Ralf: Ernst Hümpel und Ernst Hansen – zwei Schulmänner in Bad Bramstedt

Aus dem Heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg, 1995, S. 60ff

Dr. Horst Ralf, Flensburg

Ernst Hümpel und Ernst Hansen

– zwei Schulmänner in Bad Bramstedt

HkJb1995_02 Die Chronik der Jürgen-Fuhlendorf-Schule in Bad Bramstedt1) erwähnt zwei Schulleiter, die für die Gründung dieser Schule als Privatschule 1908 und für deren Erhaltung in der schwierigen Zeit der Wirtschaftskrise 1932 von Einfluß waren:
Pastor lic. Dr. phil. Ernst Hümpel und Oberstudienrat Professor Ernst Hansen. Einige Erinnerungen an diese beiden so verschiedenen Persönlichkeiten seien hier zusammengetragen.
Bei der 50-Jahr-Feier der Jürgen-Fuhlendorf-Schule 1958 war die Gattin des am 5. Februar 1955 verstorbenen Professors Hansen selbst noch dabei, ebenso Kinder und Enkel von Pastor Hümpel2).
Zeitlich war man 1958 den Verhältnissen der Jahre 1908 bzw. 1932 viel näher als heute. Vielleicht ermöglicht der heute weit größere Abstand für dieses und jenes eine deutlichere Erkenntnis.
Professor Ernst Hansen kam ein Vierteljahrhundert nach Pastor Hümpel an die damalige höhere Privatschule in Bad Bramstedt. Wer aber denkt dabei, daß beide fast gleichaltrig waren:
Ernst Hümpel wurde am 29. Mai 1867 geboren, Ernst Hansen am 13. August 1868.
Ernst Hümpel starb am 23. Februar 1918. Ernst Hansen übernahm im gleichen Monat die zeitweilige Leitung des Flensburger Wandervogels.
Ernst Hümpel war ein Kind vom Lande, achtes von neun Kindern eines Halb-hufners aus Borstorf im lauenburgischen Kirchspiel Breitenfelde.
Ernst Hansen war ein Stadtkind aus Flensburg.
In Borstorf lebten Ende der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts vielleicht 200 Menschen, in Flensburg waren es immerhin 22 000.

Beider Kindheit und Jugend fiel in die Zeit der beginnenden Moderne mit ihren wirtschaftlichen und sozialen Umbrüchen. Der Unterschied zwischen Stadt und Land war damals viel größer als heute. Vor allem gab es für die heranwachsende Generation in der Stadt ein vielseitigeres und besseres Ausbildungs- und Bildungsangebot als auf dem Dorf. Dort war man nach wie vor auf die Mitarbeit der Kinder angewiesen. 1867 waren in der damaligen Provinz Schleswig-Holstein von allen hauptberuflich Erwerbstätigen noch 50% in der Land- und Forstwirtschaft und Fischerei beschäftigt. Im Dezember 1880 lebten noch 94% aller Schleswig-Holsteiner in Gemeinden bis zu tausend Einwohnern3).
Flensburg war zeitweilig eine recht wohlhabende Stadt gewesen. Die Stadt hatte gute und weniger gute Tage gesehen, aber der Handel, d. h. die Norwegenfahrt (Getreide, Branntwein), Westindienfahrt (Zucker, Rum , Kaffee), die Bedienung der Ostseehäfen, die Mühlenbetriebe und die Metallverarbeitung hatten auch etwas eingebracht. Noch zwischen 1890 und 1910 verfügte Flensburg nach Hamburg und Bremen über Deutschlands drittgrößte Handelsflotte.
Für den jungen Ernst Hansen gab es da schon ein schulisches Angebot, vor allem das „Königliche Gymnasium mit seiner Realschule 1. Ordnung“. Wie in anderen Hafenstädten wurde frühzeitig auf die Neueren Sprachen Wert gelegt und darauf, daß auch Lehrer mit Auslandserfahrung zu Wort kamen4).
Für Ernst Hümpel gab es neben der Mitarbeit auf dem Bauernhof bis zum 14. Lebensjahr nur den Besuch der Dorfschule.
§ 65 der Allgemeinen Schulordnung von 18145) sah ausdrücklich vor, daß „besonders die Knaben, die des Sommers zur Feldarbeit mitgebraucht und zu ihrem künftigen Beruf angeführt werden müssen, von dem ununterbrochenen Schulbesuch des Sommers befreyet werden …“ Die Entscheidung über die Freistellung vom Unterricht lag in der Zeit des dänisch-deutschen Gesamtstaats bei den Eltern, in der preußischen Zeit beim – geistlichen – Schulinspektor. Etliche Jahre über 1866 hinaus dürfte die Hälfte der Kinder der Schule ferngeblieben sein6).
Nach seiner Konfirmation arbeitete Ernst Hümpel noch zwei Jahre auf dem Hof seines älteren Bruders als „Landwirtschaftslehrling“. Dann nahm der Pastor von Breitenfelde sich seiner an und brachte ihn in einem Jahr so weit, daß er mit sechzehn Jahren in die Quarta der Lauenburgischen Gelehrtenschule in Ratzeburg aufgenommen werden konnte. 1889 legte er dort die Abiturprüfung ab.
Vergleicht man die Werdegänge der Studenten Hümpel und Hansen, so wählte Ernst Hümpel mit seiner Entscheidung für das Theologiestudium den altüberkommenen Leidensweg der Armut, der schon immer den Studierenden zugemutet wurde, denen von den Eltern keine finanziellen Zuwendungen gemacht werden konnten.
Ernst Hansen war da moderner. Auch er hat noch Latein studiert, dann sich aber der Germanistik zugewandt (Dänisch, Deutsch, Niederdeutsch), und den „Neuen Sprachen“: Englisch und Französisch.
Schon 1895 fand er in seiner Heimatstadt an der neugegründeten Oberrealschule (mit Handelswissenschaft) eine Planstelle, auf der er dann vom wissenschaftlichen Hilfslehrer zum Professor und schließlich zum Oberstudienrat als Vertreter des Direktors kontinuierlich aufgestiegen ist.

Das Leben hat Ernst Hümpel zeitweilig hart mitgenommen. Er studierte in Leipzig, Tübingen, Erlangen und vor allem in Greifswald. In seiner Familie ist überliefert, daß viele Verwandte und Freunde ihm kleine und kleinste Beträge geborgt hätten, über die er sorgfältig Buch geführt und die er später korrekt zurückgezahlt habe. Im Jahre 1892 legte er der Fakultät in Greifswald eine Preisschrift vor und erhielt den Preis. Ostern 1894 promovierte er dort „magna cum laude“ zum Dr. phil. Inzwischen aber war die Not so groß, daß er erst einmal Geld verdienen mußte. Er beging wieder den älteren Weg und wurde Hauslehrer auf dem Gut Gossow in der Neumark, das dem Reichstagspräsidenten von Levetzow gehörte. Berufliche Förderung, d. h. die früher auch übliche Karriereförderung des Hauslehrers durch den Hausherrn, erfuhr er nicht. Die Jahre 1895/96 sehen ihn als Dozenten am Lutherischen Missionsseminar in Leipzig. Das theologische Amtsexamen legte Ernst Hümpel am Anfang des Jahres 1896 in Kiel ab, das des Lizentiaten am Ende des gleichen Jahres in Erfurt. Wegen seiner Armut verzichtete er auf die Habilitation, die ihm die Fakultät in Greifswald bereits gestattet hatte. Im März 1897 trat der Lic. Dr. phil. Ernst Hümpel als Lehrvikar in den Dienst der evangelisch-lutherischen Kirche im Herzogtum Schleswig, und zwar zunächst an die Kirche St. Marien in Flensburg.
Dort hätte er den Hilfslehrer – oder war er schon Oberlehrer? – Ernst Hansen treffen können. Der bewegte sich in einem Kreise ambitionierter Kollegen, von denen einige sich selbst mehr pädagogisch, andere aber eher wissenschaftlich bemühten. Da war z. B. der Schulbuchautor Dr. Karl Engelke7), der seine Fremdsprachen- studien in Glasgow, Paris und Lausanne absolviert hatte, der auch auf dem Schulflur Französisch sprach und der in seiner preußischen Hauptmannsuniform für einen französischen Offizier gehalten werden konnte. Ernst Hansen hatte „nur“ in Göttingen, München und Berlin studiert. Im Sommer 1904 aber zog er nach: Der preußische Kultusminister sandte den Sechsunddreißigjährigen unter Beibehaltung seiner Bezüge zu Sprachstudien nach England und Frankreich.

Am 20. Januar 1901 wurde Ernst Hümpel an der Maria-Magdalenen-Kirche in Bramstedt zum Pastor ordiniert. Damit war er zum erstenmal in Arbeit und Brot. In Bramstedt gründete er seine Familie. Seine Angehörigen haben später berichtet, daß er mit Energie und Hartnäckigkeit, auch gegen größte Schwierigkeiten seine Ziele zu verfolgen und durchzusetzen pflegte.
Bei der Gründung der höheren Privatschule war eine derartige Beharrlichkeit auch wohl nötig: Das Provinzialschulkollegium stand dem Projekt zunächst skeptisch gegenüber, zumal Privatschulen in der Regel nicht durch einen Verein, sondern durch einen persönlich verantwortenden Pädagogen mit Berufserfahrung geleitet werden sollten.
Die Schule eröffnete am 1. Mai 1908.
Sie ist in die Reihe der vor dem Ersten Weltkrieg eingerichteten höheren Lehranstalten miteinzuordnen. W. Weimar8) hat dargetan, wie man nach der Jahrhundertwende in das Wohngebiet der „kleinen Leute“ auf der Kieler Westseite eine Realschule setzte, um ein Ventil zu öffnen zum Abbau sozialer Spannungen. Als die Mittel der Stadt Kiel dann für die Werftseite auf dem Ostufer nicht mehr reichten, sprang der Staat mit der höheren Schule in Wellingdorf ein. Aus anderen Städten mit ähnlich rasch zunehmender Arbeiterbevölkerung ließen sich weitere Beispiele beibringen.
Auch die 1908 gegründete Schule in Bramstedt eröffnete Chancen für soziale Aufsteiger. Dennoch war es da etwas anders als in den Industriestädten. Aus den Schülerlisten der „Mittlere-Reife-Prüfungen“, die bis 1936 an der staatlichen höheren Schule in Bad Oldesloe abzulegen waren, ließ sich folgendes ermitteln:
Die Schüler vom Lande verließen oftmals den häuslichen Lebenskreis und schufen sich in der Stadt eine Existenz. Söhne und Schwiegersöhne der Kaufleute und Handwerker übernahmen die Betriebe ihrer Väter und führten sie – nicht ohne Erfolg – weiter. Fast jeder dritte Vater war Beamter; unter den Söhnen wurde es jeder zweite. Die Zahl der Akademiker und Fachschulabsolventen verdoppelte sich9).
Pastor Hümpel dürfte es weniger um Berufschancen gegangen sein als um den Schulweg.
Sein Weg von Borstorf nach Ratzeburg war – in doppeltem Wortsinn – lang und beschwerlich. Der Weg der Bramstedter Kinder nach Itzehoe, Neumünster oder Bad Oldesloe wäre es auch gewesen. Jemandem, der mit sechzehn Jahren in die Quarta eintrat, dürfte es unmittelbar einsichtig gewesen sein, daß es für ein begabtes Kind nichts Besseres gibt als eine gute, rechtzeitige schulische Unterweisung.
Drei Jahre leitete Ernst Hümpel die Schule, vier Jahre führte er den Vorsitz im Schulverein, um dann in einem abrupten Entschluß — das Protokollbuch nennt Gesundheitsrücksichten – sein eigenes Werk sich selbst überlassen. Die von ihm erhaltene Photographie aus der Gründungszeit zeigt einen früh gealterten Menschen. Wahr ist, daß er, an einem Herzleiden erkrankt, 1915 oder 1916 eine Kur in Bad Nauheim versuchte.
Im Alter von 50 Jahren ist Ernst Hümpel am 23. Februar 1918 gestorben.
Den Zusammenbruch der Monarchie in Deutschland erlebte der königstreue10), patriotische, gelegentlich etwas heftige Mann nicht mehr. Die Inschrift „Alles für die Jugend und das Vaterland“, die lange Jahre über der Eingangstür zu dem 1912 errichteten Schulgebäude zu sehen war, war sein politisches Vermächtnis. Pastor Hümpel hat sich um Fragen der Kommunalpolitik ebenso gekümmert wie um den Ausbau der Eisenbahnstrecke Bad Bramstedt – Neumünster. Für die Fahrschüler war das ja wichtig. Gern schränkte er im Schleswig -Holsteinischen Sonntagsboten den Raum für Gemeindenachrichten ein, um gegen die „Freisinnigen“ zu Felde zu ziehen oder um Friedrich Dernburgs „Kritik der Nationen“ zu rezensieren. Am ersten Mobilmachungstag im August 1914 sah er seine Pflicht darin, vor dem Roland zu den Bramstedter Bürgern zu sprechen. Während des Krieges unterhielt er mit den Einheitsführern der an der Front stehenden Gemeindemitglieder einen ständigen Briefwechsel. Den Angehörigen der Gefallenen überbrachte er die Todesnachricht.
Die älteren Bramstedter erinnerten sich 1958 noch recht gut ihres Pastors, wie er, selbst von großer Statur, mit auf dem Rücken verschränkten Händen die Straßen durchschritt, gelegentlich begleitet von einem lateinische Vokabeln hersagenden Schüler. Sie erinnerten sich auch, daß der Pastor die Jugend zu Ausflügen einlud, z. B. um die Höhlenbewohner von Lentförden zu besuchen, und daß er – in Fragen der Moral selbst von rigoroser Gesinnung – den jungen Leuten den Kopf gehörig zurechtsetzte.

Ging es Ernst Hümpel um eine sittliche Besserung der Jugend, so erstrebte Ernst Hansen in Flensburg zur gleichen Zeit eine jugendgemäße Rückwendung der Städter zur Natur. Sein eher „freisinniges“ Herz schlug für die Jugendbewegung. Die ganze Familie mußte mitmachen, wenn in seinem Garten – ohne Bier und Zigarren – gefeiert, gesungen und plattdeutsch gesprochen wurde. Noch 1925 stellte er – übrigens im Einvernehmen mit dem Oberschulrat Edert – als Reifeprüfungsthema: „Die deutsche Jugendbewegung, ihre Ziele und ihre Wege“.
Das Protokollbuch des Flensburger Wandervogels für das Jahr 1910 vermerkt:
„Am Morgen des 3. Oktobers, es war an einem Montag, versammelten wir uns, vierzehn Schüler und zwei Lehrer, am Kieler Bahnhof (kurz vor 6 Uhr), um mit dem ersten Zug unsere schon lange geplante Herbstwanderung durch das östliche Holstein anzutreten.11)“ Der eine von den beiden Lehrern, die in den Schulferien mit ihren Schülern loszogen, war Ernst Hansen.
Sehr bald wurde in der Nomenklatur des Wandervogels der „Lehrer“ zum „Führer und Wanderbruder“, die Schüler zu „Wanderburschen“. Wichtigster Grundsatz des Wandervogels: ein absolutes Alkohol- und Nikotinverbot, und das in einer Rum- und Bierstadt wie Flensburg. Ferner: „Gleichheit und Zusammengehörigkeit im Humanen waren wichtiger als hierarchische Autorität“, so Alfred Peters12), einstmals Wanderbursche und später Direktor des Alten Gymnasiums.
Die Wandervogel-Ortsgruppe Flensburg bestand bis zu ihrem Verbot durch die Nationalsozialisten am 17. Juni 1933. Neben der „Ortsgruppe“ gab es den prominent besetzten Eltern- und Freundesrat. Auch dabei: Professor Hansen, den seine Schüler damals „Hannemann“ zu nennen pflegten. Wegen der zahlreichen Einberufungen zum Militär übernahm er 1918 sogar zeitweilig die „Führung“ der Wandervogelgruppe, weil dies gemäß Satzung ein Erwachsener sein mußte.
Der Flensburger Wandervogel, das zeigen die Berichte aus dem Ersten Weltkrieg, war durchaus patriotisch, aber gegen die damalige vormilitärische Ausbildung hatte man etwas. In diesem Sinn bemühte sich Professor Hansen, der im Nebenamt als Sachverständiger an der Marinestation tätig war, bei dem Leiter dieser vormilitärischen Ausbildung um Freistellung der Wandervögel. Man hielt die Exerzierübungen für Jugendliche für etwas albern und dichtete:
„Seht, da kommt die Jugendwehr mit dem Pippel-Pappel-Holzgewehr!“13)
Die eigentliche Frontstellung des Wandervogels richtete sich gegen die konkurrierende „Primanervereinigung“14). Diese Schülergruppe war schon 1896 mit dem Wohlwollen des Direktors Flebbe gegründet worden, eine Art Burschenschaft, die wie der Wandervogel bis 1933 bestand. Die Schulordnung der Oberrealschule gestattete den Primanern „zu gewissen Tageszeiten besonders bestimmte Gaststätten aufzusuchen“. Und der überaus beliebte Dr. Flebbe ließ es sich nicht nehmen, gelegentlich selbst ein Faß Bier zu spendieren. Das war anders als beim Wandervogel.
Mit der Zweiteilung der Oberrealschule verlagerte sich das Biertrinken mehr an die Oberealschule II und Landwirtschaftsschule, die Oberrealschule I blieb eher jugendbewegt.
Nach 1918 stellte sich Professor Hansen in den Dienst der schleswig-holsteinischen Sache: er wurde Mitglied im Deutschen Ausschuß für das Herzogtum Schleswig. Obwohl er als direktoriabel anerkannt war, bewarb er sich nicht wie einige seiner Kollegen um eine Schulleiterstelle, sondern blieb als „Vertreter im Amt“ bei dem Oberstudiendirektor Dr. Wilhelm Lohmann an der Oberrealschule I. Beide ließen sich gleichzeitig 1932 in den Ruhestand versetzen.
Ernst Hinrichs, 1924 Lehrer an der Oberrealschule I, zuletzt Leiter des Gymnasiums in Niebüll, hat mir die Situation wie folgt beschrieben:
Dr. Lohmann sei ein vornehmer Herr gewesen, nationalliberal, häufig in Berlin, Vorsitzender des Schleswig -Holsteinischen Philologenvereins, den Blick fest auf das Bismarckreich gerichtet, Verfechter des Rechtsstaats, Verächter der Nationalsozialisten und Kommunisten. Er starb 1932 kurz nach seiner Pensionierung am Herzschlag, während einer Sitzung der Deutschen Volkspartei. Politisch habe Professor Hansen nicht so gedacht wie Dr. Lohmann, er sei eher liberal gewesen im Sinne Friedrich Naumanns.
Dr. Lohmann habe man gefürchtet, ein „Schulfürst autokratischer Prägung“ (Ernst Hinrichs).
Professor Hansen habe das Vertrauen der Schüler besessen. Hinrichs: musikalisch, humorvoll, lebensnah, realistisch, ein Freund der Schüler und vieler Lehrer.
Was Professor Hansen, der sich in Flensburg immer besonders um die Schüler der Oberstufe bemüht hat, bewogen haben mag, nach seiner Pensionierung an die damals kleine private Zubringeschule in Bad Bramstedt zu gehen, ist aus Flensburger Unterlagen nicht ersichtlich. Vermutlich haben sich seine Erwartungen – er war ja inzwischen auch älter geworden – nicht so ganz erfüllt. Für den Bramstedter Schulverein war Professor Hansen schon deshalb ein Glücksfall, weil das Entgelt für seine Arbeit im wesentlichen durch die Stellung der sowieso vorhandenen Direktorenwohnung beglichen werden konnte. Er besaß das Vertrauen des Provinzialschulkollegiums. Er brachte gut beurteilte Lehrer der preußischen Assessorenwarteliste an die Schule. Schließlich hat er die Bramstedter Privatschule organisatorisch den öffentlichen Schulen angenähert und über die kritische Zeit der Wirtschaftskrise und der ersten nationalsozialistischen Eruptionen hinweggebracht.

1936, als Ernst Hansen die Schule an den Oberstudienrat Dr. Heine aus Neumünster übergab, kehrte er nicht nach Flensburg zurück, sondern bezog eine Wohnung in Blankenese.
Von dort unterhielt er weiterhin mit den Kollegen seiner ehemaligen Schule in Flensburg einen lebhaften Briefwechsel: so z. B. als 1943 ein Luftangriff auf Blankenese erfolgte. Den Neuanfang und die Entwicklung des höheren Schulwesens nach dem Zweiten Weltkrieg hat er durchaus kritisch verfolgt. Lag doch die Hamburger Schulreform unter anderem in den Händen eines ehemaligen Kollegen aus Flensburg: Heinrich Schröder, nach 1945 Oberschulrat. Dieser hatte am Alten Gymnasium in Flensburg 1921 durch das „Imperator-in-Bataviam-effugit-Extemporale“ die immer noch Kaisertreuen erheblich verärgert15). Heinrich Schröder, selbst Kriegsteilnehmer, blieb bis zu seinem frühen Tod ein unerbittlicher Kämpfer gegen die „Dochstoßlegende“ und gegen alles, was „rechts“ war.
Ernst Hansen hat kritisiert, aber dabei nicht personalisiert. Seinem Naturell entsprach es mehr über Reisen und Wanderungen zu berichten, oder über Kunst und Literatur. Ernst Hinrichs: seine Wohnung in Blankenese bis zuletzt ein Wallfahrtsort für seine Flensburger Freunde.

Anmerkungen

1 E. Neumann, H. W. Meyer, Geschichte des Bramstedter Gymnasiums. Bad Bramstedt 1983
2 Die folgenden Angaben zur Person von Pastor Hümpel danke ich den schriftlichen Mitteilungen seines Sohnes, des Dr. med. Jochen Hümpel, vom 18. Januar 1958. Über Professor Hansen berichte ich gemäß Akteneinsicht und „Oral History“.
3 Beiträge zur historischen Statistik Schleswig-Holsteins. Kiel 1967; Erwerbsleben s. S. 81f.; Gemeindegrößen s. S. 17
4 E. Hinrichs, Die Handelsschule und Oberrealschule …. Chronik der Goethe-Schule Flensburg 1971 S. 40 ff.
5 E. Erichsen, H. Sellschopp, Die Allgemeine Schulordnung vom 24. August 1814. Kiel 1964 S. 87
6 Über Borstorf sind mir keine Angaben zugänglich. Als Vergleich sei erlaubt, eine Auswertung der Schulprotokolle der Distriktsschule Hitzhusen bei Bramstedt aus den Jahren 1841 bis 1881 anzuführen:

1) Der Anteil der regelmäßigen Schulgänger im Sommer (bezogen auf die Gesamtzahl der Schulpflichtigen) stieg zwischen 1840/41 und 1880/81 von 7,7% auf etwa 75%. [Zur Gesamtzahl der Schulpflichtigen gehören auch die „von auswärts Dienenden“.]
2) Der Anteil der im Ort schulpflichtigen Kinder, die im Sommer erwerbstätig waren, sank zwischen 1840/41 und 1880/81 von 59% auf 16,6% der Schulpflichtigen überhaupt. Die Protokolle lassen erkennen, wie nach und nach die kleineren Kinder und die Kinder der besser situierten Eltern dem Arbeitsprozeß entzogen und der Schule zugeführt wurden.

7 Karin Knutzen, Prof. Dr. Engelke — moderner Französischunterricht vor über hundert Jahren. Festschrift der Goethe-Schule Flensburg. 1993 S. 210-215
8 W. Weimar, Geschichte des Gymnasiums in Schleswig-Holstein. Rendsburg o. J. S. 76f.
9 H.Ralf, Sozialstruktur und höhere Schule … in: 50 Jahre Jürgen-Fuhlendorf-Schule. 1958 S.27-31
10 Ernst Hümpel sprach eher vom König als vom Kaiser.
11 A. Peters, Wandervogel und Deutsche Freischar in Flensburg … Flensburg 1986 S. 30
12 A. Peters a. a. O. S. 32
13 A. Peters a. a. O. S. 91
14 Georg Hansen, Die Chronik der Prima der Oberrealschule von 1896 bis 1914. Chronik der Goethe-Schule a. a. O. S. 201 ff.
15 Monika Weichert-von Hassel, Gymasium und Politik 1864-1944. Flensburg 1980, S. 146 nennt folgenden Wortlaut für eine Übersetzung aus dem Deutschen ins Lateinische: „Die Soldaten haben sich viel tapferer gezeigt, als jener Mann, der, Deutscher Kaiser genannt, glaubte, beinahe ein Gott zu sein, jetzt aber von allen Menschen verachtet werden muß, weil er feige sein Volk verlassen hat. Dieser Mann hat, hoffend, daß er die ganze Welt erobern werde, um ein zweiter Cäsar zu werden, die besten Söhne Deutschlands hingemordet und sein ganzes Volk unglücklich gemacht.“

Dieser Beitrag wurde unter E - Personen und Persönlichkeiten, M - Schulen Kultur Soziales veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.