Röstermundt: Geheimnisvolle Vergangenheit von Hasenmoor und Fuhlenrüe

aus. heimatkundliches Jahrbuch für den Kreis Segeberg, 1963, S. 45 f

Max Röstermundt, Bad Bramstedt:

Geheimnisvolle Vergangenheit von Hasenmoor und Fuhlenrüe *)

Unsere Leser, die Hasenmoor und Fuhlenrüe mit den vielen größeren und kleineren landwirtschaftlichen Betrieben und den sonstigen Besitzungen mit zum Teil umfangreichen Ländereien an Weiden und Wiesen, Äckern und Wäldern und Mooren kennen und schätzen gelernt haben, werden kaum ahnen, daß sich hinter der Vergangenheit dieser wertvollen Liegenschaften die Lösung eines Rätsels verbirgt, das vielleicht doch einmal betrachtenswert sein könnte. Wir kennen die Begebenheiten, die sich anläßlichder Verpfändung des Amtes Segeberg seit 1665 ergaben. Wir kennen die späteren Bemühungen Brüggemanns, in den Besitz von Hasenmoor und Fuhlenrüe zu gelangen. Wir wissen auch um den Erwerb durch den König und um den Fleiß und um die Erfolge der Einwohner aller früheren und gegenwärtigen Zeiten. Geheimnisvoll ist aber jene Zeit geblieben, aus der wir erfahren möchten, wieso es kam, daß Bramstedt einst seine eigenen umfangreichen Fluren um den Besitz von Hasenmoor und Fuhlenrüe zu vermehren vermochte. Mit Stolz schrieben die Bramstedter schon vor Jahrhunderten und wiederholten es gern und oft, daß ihr Ort nicht nur einer der kleinsten und ältesten und auch einer der berühmtesten, sondern auch einer der reichsten Flecken des ganzen Landes gewesen sei. Ihr Reichtum war ‚offensichtlich der gewaltige Besitz an Liegenschaften gewesen, deren Grenzen im Osten mit den Ostgrenzen von Fuhlenrüe identisch gewesen waren.

Um 1665 befanden sich in Hasenmoor und Fuhlenrüe zwei Schäfereien, und es wohnten dort noch weitere drei Bauern, nämlich Marx Voss, Hans Voss und Hermann Hohn. Aus der Zeit vor 1665 ist uns also, wie schon gesagt bekannt daß beide Teile zum Flecken Bramstedt gehörten, Wann und warum nun beide Teile einst mit den Ländereien Bramstedts vereinigt wurden, ist völlig unbekannt. Schon vor mehr als 100 Jahren wurde im Staatsbürgerlichen Magazin darauf aufmerksam gemacht, daß es mit Hasenmoor und Fuhlenrüe eine besondere Bewandtnis gehabt haben müsse. Es fällt auch auf, daß um 1605 Teile davon zum Kirchspiel Segeberg gehörten, und es fällt gleichfalls auf, daß man Teile dieser Gegend nicht als Bramstedter sondern als Segeberger Heide bezeichnete, obwohl alles zu Bramstedt gehörte. Auffallend ist ferner, daß nach dem Ausscheiden von Hasenmoor und Fuhlenrüe aus der Bramstedter Zugehörigkeit der Flecken Bramstedt sich nicht darum bemühte, im steuerlichen Interesse die Pflugzahl herabgesetzt zu bekommen. Bei jeder sich sonst irgendwie bietenden Gelegenheit unterließ es niemals der Flecken, in der Zahl der Pflüge eine Minderung und eine damit verbundene Ersparnis zu bekommen. Insbesondere ist dazu auf folgendes zu verweisen: Graf v. Königsmark hatte 1665 für den Flecken Bramstedt mit 26 Pflügen 15 575 Taler und für Hasenmoor und Fuhlenrüe weitere 5684 Taler zu bezahlen. Im Verhältnis zum Flecken mit rd. 26 Pflügen und im Verhältnis zu den ebengenannten Geldwerten entfielen auf Hasenmoor und Fuhlenrüe rd. 9 1/2 Pflüge. Es würde sich schon gelohnt haben, für diese ausgeschiedenen Pflüge steuerliche Vorteile herauszuholen. Es müssen deshalb Gründe vorgelegen haben, die dem Flecken von alters her die Inanspruchnahme einer besonderen Bevorzugung gestatteten. Nach einer etwas unsicheren alten Aktennotiz hatten Hasenmoor und Fuhlenrüe den Charakter einer eigenen Domäne oder eines eigenen Lehens. Wir können dies vielleicht so verstehen, daß für irgendwelche Opfer oder sonstige bemerkenswerte Leistungen eine solche Zuwendung an den Flecken Bramstedt von einer Seite erfolgte, die möglicherweise landesherrliche Rechte hatte. Seit 1316 gehörte Bramstedt zum Amt Segeberg. Am 29. August 1317 wurde auf dem Strietkamp in Bramstedt eine Schlacht geschlagen. Bramstedter Bürger haben dabei auf der Seite des Siegers gestanden. daß die Bramstedter zusätzlich Flur- und vielleicht auch Gebäudeschaden gehabt haben, ist anzunehmen. Der hier erfochtene Sieg könnte tatsächlich ein Anlaß gewesen sein, Bramstedt durch eine Überlassung von Hasenmoor und Fuhlenrüe zu belohnen und es zusätzlich dadurch zu bevorzugen, es für alle Zeiten insoweit von allen steuerlichen Belastungen zu befreien. Natürlich kann es sich auch um andere Gelegenheiten und Anlässe gehandelt haben, die aber nicht erkennbar sind. Immerhin bleibt deshalb für Hasenmoor und Fuhlenrüe eine endgültige und sichere Lösung dieses Rätsels zunächst noch offen.


*) Nach dem Inhalt der Akten VII B IX 2 Nr. 34 des Landesarchivs Schl.-H. in Schleswig.

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Röstermundt: Die versunkene Königstafel

aus: heimatkundliches Jahrbuch für den Kreis Segeberg, 1963, S. 44 f

MaxRöstermundt, Bad Bramstedt:

Die versunkene Königstafel

Inmitten einer von Auen und Wiesen und Wald durchzogenen Landschaft liegt einer der ältesten holsteinischen Orte, das heutige Bad Bramstedt, das von einigen Sagen vorgeschichtlicher Zeit zu berichten weiß. An eine jener Sagen mahnt uns der nur noch in schwacher Erinnerung verbliebene Name eines kleinen Flurstücks am Rande der Stadt: Die Königstafel. Die Sage berichtet, daß dort die Tafel eines Königs versunken sei, der das feste Bramstedt belagert habe.

Die versunkene Königstafel, wobei an einen Stein oder an mehrere Steine oder an sonstige Merkmale gedacht werden könnte, läßt uns an jene fernen Zeiten denken, aus denen uns weder Urkunden noch sonstige Aufzeichnungen etwas zu berichten wissen. Dennoch gilt, da Bramstedt die Entstehung seines Namens schon den Zeiten vor den großen Wanderungen verdankt, die Sage von der versunkenen Königstafel wahrscheinlich für einen jener Abschnitte, in denen etwa aus Gründen der Abwehr des sich ausbreitenden Christentums Dänen oder Slawen unser Land mit Feuer und Schwert bedrohten.

Ob uns die Sage nun von einem wirklichen König berichten will oder von einem Platz, der vielleicht nur wegen seiner damaligen natürlichen Anlage den Namen „Königstafel“ erhielt, weiß man nicht. Der Name gibt uns ein Rätsel auf, das mit Sicherheit kaum zu lösen sein wird. Nach wie vor denken wir zuweilen gerne an diese – der Sage nach – versunkene Tafel eines Königs und an ein – der Sage nach – einst befestigt und bedroht gewesenes Bramstedt

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Hoch: Oskar Alexander – Vom Kurhaus ins Konzentrationslager

15.3.2016: Neues zu Oskar Alexander im Hamburger Abendblatt


Oskar Alexander

Vom Kurhaus ins Konzentrationslager
von
Gerhard Hoch

Ich danke Gerhard Hoch für die freundliche Genehmigung, den Text hier veröffentlichen zu dürfen. Das Buch ist im Buchhandel erhältlich.


Inhaltsverzeichnis

Einleitung S.

1. Oskar Alexander – seine Herkunft S.
2. Oskar Alexander – sein Werdegang bis 1919 S.
3. Oskar Alexander – Pächter und Direktor S.
4. Das nationalsozialistische Bad Bramstedt S.
5. Die gleichgeschaltete Rheumaheilstätte S.
6. Oskar Alexander – der Jude S.
7. Oskar Alexander – als Jude verdrängt S.
8. Oskar Alexander – Erfinder der Trockenmoorsole S.
9. Oskar Alexander – Erfinder des Schwingweges S.
10. Oskar Alexander – das Ende S.
11. Oskar Alexander – seine zweite Verdrängung S.

Anlage: Maßnahmen gegen die Juden in Deutschland zwischen 1938 und 1943 (Auswahl) S.
Quellen und Literatur S.
Anmerkungen S.

Oskar Alexander
 


Einleitung

„In Würdigung der Opfer des Faschismus und in Anerkennung der Verdienste eines dieser Opfer um die Stadt Bad Bramstedt haben die Gemeinderäte einstimmig beschlossen, die Straße von der Segeberger Straße ab bis zur Hohenstegener Brücke, soweit sie bebaut ist, als Oskar-Alexander-Straße zu benennen.“
So lautet ein Beschluß der Bad Bramstedter Stadtverordnetenversammlung am 11. November 1947.

Nach Bürgermeister Freudenthals ursprünglicher Vorstellung sollte dieser Name nicht schon ab der Segeberger Straße, sondern erst für den Abschnitt von der Ham– bis zur Hohenstegener Brücke gelten. Erst der Erweiterungsantrag des Gemeinderates Köhnke führte dazu, daß das Straßenschild schon an der belebten Segeberger Straße aufgestellt wurde. Der noch weitergehende Antrag des Gemeinderates Landschoof, dem Straßenschild eine kleine erklärende Tafel mit dem Hinweis auf den Tod des Namengebers in einem Konzentrationslager beizufügen, fand keine Mehrheit.

Mit der Namensverleihung war ausdrücklich beabsichtigt, dem Mann „ein Denkmal zu setzen“. Doch es zeigte sich, daß dieser Zweck keineswegs erreicht wurde, daß die bloße Namensgebung einer Straße noch nicht als „zum Denken anregendes Mal“ wirkt. Stichprobenartige Befragungen unter Ortsansässigen, Patienten der Rheumaklinik und sogar unter Klinik-Angestellten ergaben fast vollständige Unkenntnis bezüglich der vollen Bedeutung dieses Namens.

An zentraler Stelle befindet sich in der Rheumaklinik eine in Holz geschnitzte Gedenktafel:

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„Dem im K.Z. verstorbenen Mitbegründer und 1. Direktor dieses Hauses, Herrn Oskar Alexander zum Gedenken von den Mitgl. d.. Gewerkschaft öffentl. Dienste, Transport u. Verkehr“

Die Tafel wurde geschaffen vom damaligen Küster der Kirchengemeinde, Herman Hartmann, einem gelernten Holzbildhauer.

Oskar Alexandér

Oskar Alexandér

Unweit dieser Tafel hängt ein von Hannie Pego

Oskar Alexanders aus dem Jahre 1948. (2)

Bei der Durchsicht der nach dem Kriege veröffentlichten Broschüren und Aufsätze über die Klinik begegnet man bezüglich des Schicksals Oskar Alexanders einer auffallenden Zurückhaltung, und allzu oft ist da die Rede vom „plötzlichen Ausscheiden“ bedeutender Personen während der Zeit des Dritten Reiches, ohne daß nach Hintergründen gefragt wird. Oder der vor wie nach 1945 amtierende Geschäftsführer Blobel umschreibt die Umstände der Verdrängung Oskar Alexanders als Pächter der Klinik, an der er selber beteiligt gewesen war, so: „Sie zwang, um Schlimmeres zu verhüten, letzten Endes dazu, …. den Pachtvertrag vorzeitig aufzuheben.“ Und für manchen Autor starb Oskar Alexander einfach so „im Lazarett des Konzentrationslagers Oranienburg“.
Zeitgenossen aus dem näheren Umkreis Oskar Alexanders versichern, bisweilen sogar vehement, sein Ausscheiden aus der Anstalt habe keinerlei politische oder gar rassistische Gründe gehabt. Das gibt zu denken, denn die Akten belegen das Gegenteil. Die persönliche Integrität dieser Zeitgenossen vorausgesetzt, haben wir es hier mit einem besonders offenkundigem Fall von Verdrängung zu tun.
Es darf aber nicht sein, daß auf diese Weise Oskar Alexander ein zweites Mal zum Opfer wird. Und es darf auch nicht sein, daß die Öffentlichkeit in Bad Bramstedt darüber hinaus, vor allem die jüngere Generation, in Unkenntnis gelassen wird über Vorgänge, die die Herrschaft des Nationalsozialismus an diesem Ort illustrieren.
Die vorliegende Arbeit möchte die Person Oskar Alexander aus Dunkelheit und Zwielicht ins helle Licht der dokumentierten Tatsachen rücken. Dies wurde durch das großzügige Entgegenkommen und Interesse der Geschäftsleitung der Rheumaklinik und des Stadtarchivs möglich. Auch mehrere ältere Personen haben mit Auskünften und Materialien dazu beigetragen. J.U. Schadendorf war bei der Beschaffung von Bildmaterial u.a. sehr behilflich. Ihnen allen sage ich meinen herzlichen Dank.


1. Oskar Alexander – seine Herkunft

Oskar Alexander wurde am 29. Oktober 1881 in Visselhövede, Kreis Rotenburg, geboren. In einem fünfseitigen Schriftsatz vom 19. Mai 1933 gibt er selber Auskunft über seine Familie und seinen persönlichen Werdegang. Die besonders ausführliche Darstellung seiner Militärzeit, seines Kriegseinsatzes und andere Indizien legen die Vermutung nahe, daß das Schriftstück vorsorglich-empfehlenden Charakter haben sollte, – veranlaßt möglicherweise durch die ersten bedrohlichen Verfolgungsmaßnahmen der NSDAP gegen die Juden im März und April 1933. Vielleicht ließen schon diese Vorgänge den deutschnationalen Mann an seiner eigenen Sicherheit zweifeln.

Oskar Alexander gibt in dem Schriftsatz an, schon sein Urgroßvater sei im Jahre 1750 in Visselhövede geboren, wo sich „noch heute“ sein Grabstein befinde. (Der jüdische Friedhof in Visselhövede besteht heute nicht mehr.) Diese Angabe deckt sich jedoch nicht mit den in Visselhövede vorhandenen amtlichen Unterlagen. (3) Dort fehlt der Name Alexander sowohl in den Einwohnerlisten der Jahre 1758 und 1801, wie auch in den Listen über die an die Franzosen zur napoleonischen Zeit zu zahlenden Kontributionen, zu denen alle Bürger und Nichtbürger herangezogen wurden.

Erstmals erscheint der Name Alexander in einer Eintragung in den örtlichen Kontraktbüchern aus dem Jahre 1831, die den Kauf eines Hauses am Markt durch Jacob Meyer Alexander belegt. 1839 erweiterte dieser seinen Besitz um einen „Fruchtgarten“.

Mit diesem aktenmäßigen Befund sind auch die detaillierten Angaben nicht vereinbar, die Oskar Alexander – „nach mündlicher Überlieferung“ – über seinen Großvater macht: Er habe in Visselhövede eine Fuhrhalterei mit einem Lagerbetrieb (Salzlager) unterhalten. Mit 17 Jahren, etwa 1812, habe er aus Visselhövede fliehen müssen, weil er einen französischen Wachtmeister, der ihn belästigte, niedergeschlagen habe. Auf deutscher Seite habe er bei Waterloo gekämpft. „Ein von ihm erbeuteter Kürassier-Pallasch (schwerer Degen mit Korb, G.H.) wird noch heute in unserer Familie aufbewahrt.“

Solche militärisch-patriotischen Szenen passen gut in Oskars eigene Wertwelt. Hat er sie erfunden, weil sie ihm nach dem Schlimmes verheißenden antijüdischen Boykotten des Jahres 1933 nützlich erschienen oder gab es wirklich eine solche Familientradition, die zurückweisen könnte auf die Zeit vor der Übersiedlung der Familie nach Visselhövede ?

In seinem Lebenslauf weiß Oskar, daß sein Vater Martin 1838 in Visselhövede geboren wurde und daß er Landwirtschaft, Fuhrhalterei und Lagerung von seinem Vater übernommen habe. Außerdem war er Mitbegründer einer Zündholzfabrik, die aber noch zu seiner Lebzeit in Konkurs ging. In dem Zusammenhang mußte er Teile seines Besitzes veräußern.

1872 wurde Martin Alexander zum Bürgermeister gewählt. Bei der Neuwahl 1878 unterlag er seinem Gegenkandidaten. Sein Bildnis blieb in der Bürgermeister-Galerie des Rathauses bis heute hängen. Die Stadt hatte es 1931 von Oskar erbeten und erhalten. (4)

 

Bürgermeister Martin Alexander, Stadtarchiv Visselhövede

Bürgermeister Martin Alexander, Stadtarchiv Visselhövede

Martin Alexander muß unter der wahlberechtigten Bevölkerung über hohes Ansehen verfügt haben. Nur wo kirchliche Belange zur Entscheidung standen, wurde er als Jude ausgeschaltet. So war er kraft Amtes zwar Vorsitzender des Nebenanlagen-Verbandes, nicht aber der Friedhofs-Interessengemeinschaft. (5)

Und wieder weiß Oskar folgende Einzelheit zu berichten: „Ich erinnere mich, daß mein Vater immer mit besonderem Stolz davon gesprochen hat, daß er damals als Bürgermeister von sämtlichen benachbarten Gemeinden dazu auserwählt worden war, dem damaligen Kronprinzen und späteren Kaiser Friedrich III. eine Petition zu überreichen über den Plan eines Straßen- oder Eisenbahnbaues. Mein Vater wurde auch in einer längeren Audienz empfangen; sein Anliegen wurde genehmigt.“ Auch diese Darstellung läßt sich anhand der Unterlagen in Visselhövede nicht verifizieren.

Städtischen Unterlagen zufolge lebte in Visselhövede um diese Zeit noch ein Fräulein Sophie Alexander, die 1873 ihren in den Vereinigten Staaten lebenden Bruder besuchte und 1880 selber nach dorthin übersiedelte. Ab 1890 sind keine Mitglieder der Familie Alexander mehr in Visselhövede nachweisbar.

Anfang Februar 1936, als sich Anfeindungen gegen ihn immer mehr verdichteten, wandte er sich mit einem langen Schreiben an den „Stellvertreter des Führers“, Rudolf Heß, und empfahl sich ihm mit den Hinweisen: „Ich bin von einer Bäuerin erzogen worden und habe bis zu meinem 7. Lebensjahr fast nur plattdeutsch gesprochen.“ Dieser Hinweis spricht für eine sehr weitgehende Integration der Familie in ihre Umgebung. Aber alle derartigen Beteuerungen konnten ihn vor dem Weg in das KZ Sachsenhausen doch nicht bewahren.

Die Toten der Familie wurden auf dem jüdischen Friedhof an der Gartenstraße bestattet. In den 30er Jahren gab es dort noch zwei Grabsteine mit hebräischen Inschriften, die auf eine noch bestehende religiöse Bindung an das Judentum hinweisen. Die beiden Grabsteine waren die letzte Ruhestätte der Eltern Oskars. Auf seinen Namen war der Friedhof eingetragen.


2. Oskar Alexander – Sein Werdegang bis 1919

Oskar absolvierte eine kaufmännische Lehre in einem Hamburger Übersee-Handelshaus. Mit 20 Jahren begab er sich nach Kuba und Mexiko, blieb dort aber nur wenige Jahre.

1905 gründete er in Hamburg eine eigene Firma, die „Hamburger Kunstblumen-Industrie“ mit Sitz Dammtorstraße 5, später Australhaus in der Königstraße 7 und der Fabrik in der Admiralitätsstraße 58.

An seine Kundschaft wandte er sich u.a. mit einem nicht datierten, sehr hübschen Bändchen unter dem Titel „Blumenverse.“ Umschlagestaltung – ein singender Vogel in Blumenkranz und Rankenwerk – sowie die Randleisten im Inneren des Heftes dokumentieren reinsten Jugendstil. Sehr geschickt plazierte er Empfehlungen seiner Produkte zwischen überaus duftige, offensichtlich von ihm selber stammende Verse.

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Er versicherte: “ Ihr (seiner Firma; G.H.) ist es gelungen, natürliche buchsbaumähnliche Blätter durch ein besonderes Verfahren vollständig wetterfest zu machen, wobei diese von ihrer ursprünglichen Natur so wenig einbüßen, daß sie, selbst aus nächster Nähe betrachtet, wie lebendes, frisch sprießendes Blattwerk anmuten. Diese Blätter, mosaikartig miteinander verbunden, bilden eben die sogenannte immergrüne Hecke. Wie reizend sähe es aus, wenn im Winter auf Fensterbänken und Balkons diese Hecken in den mannigfaltigsten Formen grünten! Auch als Spiegeldekoration auf Hausfluren sind sie ein natürlicher und außerordentlich wirkungsvoller Schmuck. Dabei sind sie wie andere Naturbäume einfach mit Wasser zu reinigen. Als große grüne Bäume in Pyramiden- und anderen Formen vor den Eingängen der Cafes, Restaurants, Hotels und anderen Etablissements, werden sie inmitten der farblosen Natur wie echte Frühlingsgrüße wirken.“ (S. 14) Und, wie um den Beweis dafür mitzuliefern, läßt er das Bändchen schließen mit der Darstellung einer Sylvesterfeier im Alsterpavillon – unter Kunstblumen natürlich:

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1913 heiratete er Elisabeth (Lisbeth) Krohmann, Tochter des Hamburger Elblotsen Krohmann, und dessen Ehefrau, einer geborenen Röse, Pastorentochter aus Anklam. Sie starb schon im Jahre 1919. Aus der Ehe ging der Sohn Robert hervor.

Dem „Stellvertreter des Führers“ schrieb er: „Ich bin Nichtarier, aber durchaus im nationalen Sinne erzogen worden.“ Im übrigen: „Meine Frau ist reine Arierin.“

Oskar Alexander gehörte zu jenen Juden, die die jahrhundertelange Ausgrenzung glaubten überkompensieren zu müssen durch besonders betonte nationale Gesinnung und Aktivität. Sie durchzog sein ganzes Leben, leitete manche seiner Entscheidungen und diente ihm während des Dritten Reiches nicht selten als Beweis seiner staatsbürgerlichen Zuverlässigkeit. Doch das nützte ihm in Bad Bramstedt nicht.

Wie für zahllose seiner Zeitgenossen, auch für solche jüdischer Abkunft, bedeutete für ihn der Erste Weltkrieg d a s große, prägende Ereignis seines Lebens. So fehlten ausführliche Aufstellungen seiner Kriegserlebnisse und -auszeichnungen weder in seinem Lebenslauf noch in seinem Schreiben an Rudolf Heß.

Im Herbst 1915 wurde er als Reservist beim Infanterie-Regiment Graf Bose Nr. 31 eingezogen und schon im Mai dem an der Westfront eingesetzten Reserve-Infanterieregiment 240 zugeteilt. Die Kämpfe und Schlachten, an denen er teilgenommen hat, werden, mit offensichtlichem Stolz, in ihrer zeitlichen Abfolge aufgezählt, gefolgt von den ihm verliehenen Kriegsauszeichnungen: Das Frontkämpfer-Abzeichen, das Eiserne Kreuz 2. Klasse, das Hanseatenkreuz und das Abzeichen für einmalige Verwundung.

In dem Lebenslauf von 1933 fehlt die Erwähnung des Frontkämpfer-Abzeichens, denn diese Auszeichnung wurde erst 1934/35 von Hitler gestiftet, um Teilnehmer des ersten Weltkrieges auf Antrag und in feierlicher Form damit zu dekorieren. (6) Diese zuletzt verliehene Auszeichnung nimmt im Schreiben an Rudolf Heß jedoch noch vor dem Eisernen Kreuz den ersten Platz ein und das sicher nicht ohne Berechnung.

Einige Kriegserlebnisse werden in beiden Dokumenten ausführlicher beschrieben. Im Januar 1917 verunglückte er bei Langemarck in Flandern – ein Name mit Signalwirkung. (7) Nach seiner Genesung wurde er in Eschweiler zur Rekrutenausbildung eingesetzt. „Hierzu hatte ich keine Lust; ich meldete mich daher freiwillig wieder zu meinem alten Regiment an die Front.“ Dort kam er rechtzeitig an, um am 15. Februar 1917 einen Sturmangriff auf die Höhe 185 bei Ripont mitzumachen. Am 19. Mai 1917 „wurde ich nach einem voraufgegangenen schweren Handgranatenkampf . . . mit schwarzen und weißen Franzosen durch Volltreffer an Kopf und Arm schwer verwundet.“ Die Erwähnung der „schwarzen Franzosen“, also zum Kriegsdienst für Frankreich gepresste Menschen aus französischen Kolonien, verfehlte in nationalen Kreisen jener Zeit kaum je ihre aufreizende chauvinistische Wirkung.

Der erwähnte Sturm bei Ripont wurde durch ein besonderes Dokument überhöht. In Erwartung des schrecklichen Gemetzels hatte Oskar Alexander den Familienvätern unter seinen Kameraden versprochen, „falls ich diesen Sturm überleben würde, ihn in Form einer Regimentsgeschichte niederzuschreiben.“ Der Erlös aus dieser Schrift sollte dem Regiment zufließen mit der Zweckbestimmung, daraus hinterbliebene Bedürftige des Regiments zu unterstützen. Er belief sich auf 20 000 Goldmark, die bei der Deutschen Bank deponiert wurden.

Das Buch stellte dann aber keine Regimentsgeschichte dar. Ihr Inhalt beschränkte sich auf das im Titel bezeichnete Ereignis:

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Das Buch erschien 1918 im Verlag des Kunstgewerbehauses M. Heimerdinger in Hamburg. Als Herausgeber ist das Reserve-Infantrieregiment 240 angegeben. Gewidmet ist es „seiner Exzellenz dem Kommandierenden General des XXVI. Reservekorps, General der Infantrie Freiherrn von Hügel.“

Die kleine Schrift mit seinen in Verse gefaßten blutigen Episoden und Ergüssen gehört zu dem Schlimmsten, was es an deutschsprachiger Kriegsverharmlosung und -verherrlichung gibt. „Im Andenken an die Gefallenen des Res.Inf.Regiments 249“ setzt der Verfasser einen Vers voran, der die Gefühle unzähliger Rückkehrer aus dem „Großen Krieg“ wiedergibt:

„Mein Regiment, in dessen erz`nen Gliedern
ich schreiten darf, ich möcht‘ in tausend Liedern
besingen dich. In deinem Mutterschoß
blüht rot ein Blümlein: Blume Heldenlos.“

Oskar Alexander, dieser intelligente, feinfühlige und lyrisch gestimmte Mensch, ahnte nicht und begriff wohl auch nie, daß der von ihm besungene „Mutterschoß“ jenes Unheil gebären sollte, das ihn und den größten Teil der deutschen und europäischen Juden verschlingen sollte. (Die Schrift wurde übrigens dem Brief an Rudolf Heß beigefügt.) Um die ganze Schwere dieser Verirrung ermessen zu können, scheint es nützlich, zwei der Gedichte als Kostproben vorzuführen.

Um sich versammelt die Kompanie,
spricht der Führer: Morgen früh
stürmen wir. Ein jeder trappt,
wie er’s gelernt, und die Sache klappt.
Leute, glaubt mir’s, nicht falsche Ehr‘
treibt euch über Wall und Wehr.
Glaubt es mir, unserm General
ist jeder Sturm eine bittere Wahl.
Nicht eitler Ruhm spornt den Siegesrenner.
Glaubt es mir! Und nun, deutsche Männer,
die wir hier heute beisammen stehn,
fest wollen wir uns in die Augen sehn,
und tönt das Kommando: Greift an, greift an!
Sei jeder Soldat und ein ganzer Mann.
Über die Deckung wie Wirbelwind,
merke der Feind, daß wir Deutsche sind!
Unser Kaiser wollte, ihr wißt’s, Kameraden,
den Völkern schenken des Friedens Gnaden.
Hohn war die Antwort, Schimpf war der Dank,
da wurde bleich jedes Deutschen Wang‘,
durch alle Gassen, durch jedes Haus
brauste der Schwur: Wir halten aus!. . . (Seite 9)

Rückkehr

Sturmerprobte Bataillone
ziehen aus der Feuerzone
ihrem alten Lager zu.

Seht den Kommandeur ihr reiten?
Und zur link‘ und rechten Seiten
je ein junger Leutenant.

Mit dem bartlosen Gesichte –
der treibt praktisch Weltgeschichte,
das ist unser Adjutant.

Feldwebel, des Grabens Hüter
und der Kompanie Gebieter,
schreiten ihrem Zug voran.

Und dann kommen, je zu viere,
die Herren Unteroffiziere,
und dahinter Mann für Mann.

Die dem Feind gesalzne Suppen
kochen, deutsche Sturmestruppen,
ehern dröhnt ihr Schritt vorbei . . . (Seite 61)

Und Rudolf Heß sollte auch dies wissen: „In meinem Kriegspaß steht unter Führung: sehr gut. 20.11.1918. Gen.Oberlt.Kolb.“


3. Oskar Alexander – Pächter und Direktor

Nach dem Kriege verkaufte Oskar Alexander seine Kunstblumenfirma für 100 000 Reichsmark. Ende des Jahres 1918 führte ihn sein Weg als Pächter der dortigen Kur-Anlagen nach Bad Bramstedt. Die näheren Umstände sind nicht zu rekonstruieren. (8)

Vor dem Ersten Weltkrieg hatte der Kurbetrieb mit steigender Tendenz floriert, war aber während des Krieges zum völligen Erliegen gekommen. (9) Die Anlagen waren verwahrlost; das Kurhaus fand Oskar Alexander als „einen Trümmerhaufen vor.“ 1918 kaufte ein gewisser Kullack das „Kurhaus Sol- und Moorbad Bad Bramstedt“, zu dem die beiden bis dahin bestehenden Bäder vereinigt worden waren. Der von ihm eingesetzte Geschäftsführer Klitzing ließ das bereits baufällige Haus wegen mangelnder Mittel verwahrlosen. (10) Pächter zunächst für 3 Jahre, dann bis einschließlich 1930, wurde Oskar Alexander. Er schreibt dazu: „Bad Bramstedt selbst war als Bad in Vergessenheit geraten. Selbst im benachbarten Groß-Hamburg kannte es fest niemand mehr. Es bedurfte einer jahrelangen, unermüdlichen, zähen und opferreichen Arbeit, dieses Bad aus seinem Dornröschenschlaf zu erwecken und ihm wieder eine Geltung zu verschaffen, die es einmal vor Jahrhunderten gehabt hatte.“ (11)

Wie opferreich sein Engagement war, erhellt daraus, daß er mit der Pachtverlängerung 1925 sich verpflichtete, neben der Pachtabgabe jährlich 12 000 RM zinslos für Bauarbeiten und Betriebsverbesserungen zu investieren. Tatsächlich gingen seine Aufwendungen noch über diese Summe hinaus und verschlangen fast seinen ganzen Verdienst.

Langsam aber kontinuierlich wurden die Voraussetzungen für eine Wiederbelebung des Kurbetriebes geschaffen. Durch die Inflation wurde das ganze Unternehmen noch einmal in Frage gestellt. Nach der Stabilisierung der Mark begann dann ein ziemlich steiler Aufstieg, der sich an den Patientenzahlen ablesen läßt (12):

1924 130
1925 300
1926 1100
1927 1985
1928 2018
1929 2530
1930 2655.

Dabei ist zu bedenken, daß im Alten Kurhaus nur etwa 105 Patienten untergebracht werden konnten. Daß der Rest sich in der Stadt Quartier besorgen mußte, bedeutete für zahlreiche Einwohner eine erhebliche und relativ sichere Einnahmequelle durch Zimmervermietung, als Reinigungspersonal, für die örtliche Geschäftswelt und Gastronomie, wie auch für den städtischen Haushalt. So ist die Bereitwilligkeit von Banken und Privatpersonen, den Pächter mit Krediten zu unterstützen, leicht verständlich. Von 1925 bis 1930 investierte dieser in die Anlagen 287 535 RM, während die Pacht 192 000 RM ausmachte.

Der sprunghafte Anstieg der Patientenzahl 1926 erklärt sich daraus, daß Alexander 1925 eine Vereinbarung mit den Ortskrankenkassen gelungen war, wonach neben den Privatpatienten nun auch Kassenpatienten aufgenommen werden konnten. Die Aufnahme in den Bäderverband war dann die geschäftsfördernde Folge.

Bei der nun einsetzenden engen Zusammenarbeit mit den Krankenkassen wurde offenbar, daß die alten Anlagen den sanitären und hygienischen Bedingungen nicht mehr entsprachen. Als die Besitzer jedoch eine angemessene Modernisierung der Anlage 1928 ablehnten, schlug Alexander den Bau eines neuen Kurhauses vor, „damit nicht die wertvolle Verbindung mit den Versicherungsträgern der Stadt Bramstedt verloren gehe.“ Weiter heißt es bei Alexander (13): „Es ist mir gelungen, das Vertrauen ihrer Pfleglinge für Bad Bramstedt zu gewinnen – besonders dadurch, daß ich schon damals als erster keinerlei Unterschiede machte hinsichtlich Behandlung und Verpflegung zwischen Privat- und Kassenpatienten.“

Nicht ohne Stolz weist dann der Wahl-Bramstedter auf eine ihm zu verdankende, enorm wichtige Weichenstellung in der Stadtentwicklung hin: „Die Entscheidung, ob dieses Haus (gemeint ist ein neues, leistungsfähiges Kurhaus; G.H.) nach Bad Bramstedt kommen sollte oder nach Lüneburg, hing sozusagen an einem Faden. Lüneburg machte die größten Anstrengungen, die Versicherungsträger für sich zu gewinnen und hatte große Terrainflächen für den Bau des Hauses zur Verfügung gestellt. Ich darf sagen, daß es meiner damaligen Initiative gelungen ist, die Versicherten endgültig für Bad Bramstedt zu gewinnen.“

Der Entscheidung der Versicherungsträger zum Bau eines neuen Großprojektes lag auch die Erfahrung zugrunde, daß die bisher in Bad Bramstedt gehandhabten dezentralen Badekuren schwerwiegende Nachteile hatten. Es fehlte insbesondere an einer genauen ärztlichen Kontrolle über die Durchführung der Kurmaßnahmen, wozu ein stationärer Betrieb weit besser geeignet ist. Mit einem solchen verband sich dann auch die Möglichkeit, Voraussetzungen für eine intensive Rheumaforschung zu schaffen. (14)

Die Krankenkassen fanden bei Bürgermeister Erlenhorst lebhaftes Interesse und große Unterstützung. Nach einem Gutachten von Fachleuten wurde der Platz der jetzigen Rheuma-Heilstätte als geeignet befunden. Die Stadt stellte dieses Waldgelände kostenlos zur Verfügung, wofür ihr ein Gesellschafteranteil von 10 % eingeräumt wurde. Oskar Alexander hatte bereits ein größeres Moorareal bester Qualität für 24 000 RM erworben und dieses zum gleichen Preis an die Stadt weiterverkauft.

Am 02.04.1929 wurde der Gesellschaftsvertrag über die „Rheumaheilstätte Bad Bramstedt GmbH“ abgeschlossen. Ihre Träger waren:

Die Landesversicherungsanstalt der Hansestädte, Lübeck,
die Landesversicherungsanstalt von Schleswig-Holstein,
die Vereinigung von Krankenkassen Groß-Hamburg,
der Landesverband Norden der Ortskrankenkassen,
die Stadt Bad Bramstedt.

Die Reichsversicherungsanstalt hatte eine Beteiligung abgelehnt. Mithin kamen als Patienten nur bei diesen Gesellschaften Versicherte aus den drei Hansestädten (Hamburg, Bremen, Lübeck) und Schleswig-Holstein in Betracht. Die Gesellschaft gründete eine Baukommission unter dem Vorsitz des Präsidenten der LVA der Hansestädte E. Helm, die die Baupläne und Bauarbeiten festsetzte. Vorbereitung und Ausführung der Beschlüsse lag in der Hand des Geschäftsführers der Vereinigung von Krankenkassen Groß-Hamburgs, Lanz, der auch als ehrenamtlicher Geschäftsführer der Gesellschaft eingesetzt wurde. Die büromäßige Arbeit übernahm Herr Rafler. (Helm, Lanz und Rafler wurden aus politischen bzw. rassischen Gründen aus ihren Ämtern entfernt.) (15)

Nach nur 16monatiger Bauzeit konnte am 25. Oktober 1930 die Einweihung des Neubaues stattfinden, während die Inbetriebnahme mit der Aufnahmeder ersten Patienten am 01.02.1931 erfolgte.

In der als besonders eindrucksvoll empfundenen Ansprache des Landrats Graf Rantzau klangen Töne mit, die für das politische Bew ußtsein inkonservativen Kreises der Weimarer Republik charakteristisch waren. Es sei „ein schönes Siegergefühl, das wir in solcher Feierstunde wiedereinmal erleben dürfen.“ (Die letzten Siegergefühle waren ja durch die politischen Veränderungen 1918/19 überdeckt worden.) Angesichts des Neubaues fand er durch dieses „Denkmal eines gläubigen Aufbauwillens“ die Wahrheit des Faust-Wortes bestätigt, daß nur der Freiheit und Leben verdiene, „der täglich sie erobern muß.“

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Oskar Alexander stellte sein großes kaufmännisches Talent und seinen Ideenreichtum alsbald als Direktor in den Dienst des neuen Unternehmens. An besonders wirkungsvollem Platz in unmittelbarer Nähe des Hamburger Hauptbahnhofes richtete er einen großen Werbekiosk ein, der die vielen Passanten aufmerksam machte auf „Das moderne Rheuma- und Frauenbad seit 1681 Bad Bramstedt“, geschmückt mit großem städtischen Wappen und ausgestattet mit zahlreichen Großfotos.

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Außerdem waren mehrere Vertreter in Hamburg und Berlin tätig. Mit der AKN-Eisenbahn handelte er eine günstige Konzession aus: Bade-Fahrkarten nach Bad Bramstedt mit 50 -prozentiger Ermäßigung und einem Solebad frei.

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Aber die Rheumaheilstätte wurde gewissermaßen hineingeboren in eine schwere wirtschaftliche Krise. Der Entschluß zur Gründung fiel in einer Zeit relativ guter Konjunktur. Die kurz danach einsetzende Weltwirtschaftkrise begleitete bereits den Bau.

Möglicherweise hat Oskar Alexander das Kommen der Katastrophe frühzeitig geahnt. Denn noch während der Vorüberlegungen hatte er einen genauen Rentabilitätsplan ausgearbeitet und vorgelegt, auf Grund dessen er glaubte, jedes Bauvorhaben ablehnen zu müssen, dessen Kosten über 1 Million RM hinausgingen. Die Gesellschaften indessen mochten diesen engen Rahmen nicht akzeptieren.

Ob aus dieser Unstimmigkeit die von Alexander in seinem Lebenslauf beklagte Entscheidung des Geschäftsführers herrührt, die ihn von allen Verhandlungen und Planungen ausschloß? Der Ausschluß dieses Mannes, dem die Voraussetzungen für das gesamte Unternehmen zu danken waren, ist doch sehr merkwürdig. Die Begründung, er sei ja kein Gesellschafter, empfand er als fadenscheinigen Vorwand und kränkend. Er schrieb ferner von einem „beständigen Kampf“, den er mit der Geschäftsführung durchzusetzen hatte und der ihn schließlich habe daran denken lassen, seinen Anstellungsvertrag zurückzugeben. Es blieb aber nur bei seiner Ablehnung der ihm angebotenen Pensionsberechtigung, die er als mögliche Einengung seiner kaufmännischen Verantwortlichkeit empfand. Die spätere (1956) eher beiläufige Bemerkung Helms‘: „Schon während des Baues hatte er (O.A.) fortlaufend beratend mitgewirkt“, mag in die beschönigenden Tendenzen der Nachkriegsjahre einzuordnen sein. (16)

Die Planungen waren von einem Kostenvolumen von 1,9 Millionen RM ausgegangen. Der endgültige Kostenanschlag betrug dann schon 2,2 Millionen RM, und das gesamte Baukonto schloß ab mit 2,77 Millionen RM. Es war nicht nur schwer, diese Summe aufzubringen, auch der kaum eröffnete Kurbetrieb stand bald vor dem Bankrott. Als Folge der Wirtschaftskrise ließ auch die Leistungsfähigkeit der Versicherungsträger stark nach und damit, was ausschlaggebend für die Anstalt war, die Zahl der Patienten, denen man einen Kuraufenthalt gewähren konnte.

Bereits das erste Betriebsjahr endete mit einer völligen Verschuldung. Im Februar 1931 hielt der Direktor unbezahlte Baurechnungen über 50 000 RM in der Hand. 140 000 RM, die als Betriebskapital hätten dienen sollen, waren anderweitig verbraucht worden. Allein Oskar Alexanders persönlichem Ansehen als Geschäftsmann war es zuzuschreiben, daß die Bramstedter Sparkasse (Rendant Sievers) einen nichtgesicherten Kredit über 70 000 RM als Betriebskapital einräumte und daß Kaufleute bereit waren, vorübergehend umfangreiche Lieferungen im Werte bis zu 90 000 RM auf Kredit zu tätigen.

Bald wurde offenkundig, daß die Rheumaheilstätte als Regiebetrieb ausschließlich mit Kassenpatienten nicht zu halten sein würde. So vollzog man auf Alexanders Rat die entscheidende Wendung zur Aufnahme auch selbstzahlender Privatpatienten. Ermöglicht wurde dieser rettende Ausweg dadurch, daß mit Ende Mai 1932 die Form des Eigenbetriebes der Gesellschaften aufgegeben und der Betrieb an Oskar Alexander verpachtet wurde – mit Pachtvertrag vom 31.05.1931, wirksam ab 01.06.1932. (17)

Der Vertrag sah einen nach dem Umsatz gestaffelten Pachtzins vor: für die ersten 500 000 RM Umsatz: 15 %, jedoch mindestens 70 000 RM jährlich; für den 500 000 RM übersteigenden Teil: 20 %; für den 600 000 RM übersteigenden Teil: 25 %. Als Umsatz galt die gesamte Vergütung für Verpflegung und Behandlung in der Rheumaheilstätte. Der Vertrag sollte bis Ende des Jahres 1935 laufen. Weiter hieß es: „Erklärt die Gesellschaft nicht 6 Monate vor Ablauf des Pachtvertrages (Ende 1935), daß sie den Betrieb der Heilstätte wieder in eigene Verwaltung übernehmen will, so ist der Pächter berechtigt, das Pachtverhältnis unter den Bedingungen des Vertrages weitere 5 Jahre, also bis Ende 1940, fortzuführen“ (Paragraph 13).

Der neue Pächter leistete sofort kräftigen Anschub. Er baute aus privaten Mitteln das Kurhaus An den Auen, welches ausschließlich für Privatpatienten reserviert war und auch unabhängig von der Rheumaheilstätte verwaltet wurde. (18) 700-800 Patienten nutzten jährlich diese Möglichkeit.

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Die Einwohner der Stadt blieben von diesen Veränderungen nicht unberührt. Viele fürchteten persönliche Einbußen, wenn der größte Teil der Kassenpatienten nun nicht mehr nur Privatquartiere bezogen, sondern in dem großen Neubau Aufnahme fänden. Die politische Radikalisierung der Endzeit der Weimarer Republik sorgte dafür, daß aus dieser Sorge Zündstoff gemacht wurde.

Bürgermeister Erlenhorst hatte versucht, auf die Öffentlichkeit beruhigend einzuwirken, indem er die Erwartung auf unverhältnismäßig viele Kurgäste in der Zukunft nährte. Gestützt auf öffentlich und privat gemachte Zusicherungen, daß sie immer mehr Gäste haben würden, hatte u.a. das Ehepaar E. eine Privatpension eingerichtet, die der tatsächlichen Lage nicht angemessen war. Es kam zu staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und im Sommer 1932 zu einer gerichtlichen Verurteilung des Bürgermeisters. Oskar Alexander, dazu befragt, hatte eidlich versichert, solche überzogenen Erwartungen selber nie gehegt und schon gar nicht vertreten zu haben. (19) Bürgermeister Erlenhorst wurde 1932 abgesetzt. Sein Nachfolger wurde der Nationalsozialist Maas. (20)

Zur selben Zeit wurde die Unsicherheit in Teilen der Bevölkerung politisch kanalisiert. Ende Juni 1932 kam es zu einer „Protestversammlung der Einwohnerschaft.“ (21) Der Versammlungsleiter, Baumeister und NS-Ortsgruppenleiter Büchler (22), erklärte den Leuten, daß die Stadt von einer gewissen Stelle in Hamburg 36 000 RM erhalten habe, „um damit die hiesigen Pensionsbesitzer für ihre durch den Neubau des Kurhauses hervorgerufenen Verdienstausfälle zu entschädigen.“ Er selber habe das zugrundeliegende Originalschreiben gesehen, persönlich mit den zuständigen Stellen verhandelt und dabei erfahren, daß der genannte Betrag wirklich überwiesen worden sei. Es sei aber nie Geld zur Verteilung gelangt.

Nachdem Oskar Alexander dem Bürgermeister versichert hatte, ihm sei über diese Angelegenheit nicht das Geringste bekannt, wurde Büchler vom Ausschuß zur Prüfung städtischer Angelegenheiten aufgefordert, das angeblich von einem Hamburger Bürgerschaftsmitglied stammende Schreiben vorzulegen, andernfalls die Staatsanwaltschaft eingeschaltet werden müsse. Büchler kam der Aufforderung nach. Das Schreiben wurde der Hamburger Polizei zugestellt, und diese ermittelte als dessen Urheber „ein(en) krankhaft(en) Mensch(en), der mit seinen Nerven völlig herunter ist. Einmal weint er, und dann schimpft er gleich hinterher“, zudem sei er mehrfach vorbestraft. Das also war die „zuständige Stelle“, mit der der Ortsgruppenleiter verhandelt haben wollte. Mit dieser Aufhellung scheint die Posse im Sande verlaufen zu sein.

Einem vertraulichen Bericht der Heilstätte aus dem Jahre 1936 zufolge zeigte sich im Jahre 1933, „daß die gewaltige Hypothekenlast von fast 3 Millionen RM und die damit verbundene Zinslast für das Unternehmen nicht tragbar waren.“ Zu dem Vermögensverfall trugen nach dem Urteil O. Alexanders auch die für einen Neubau ganz unverhältnismäßig hohen Reparaturkosten bei. Die Rettung brachte eine Übereinkunft mit den Kapitalgebern: Zinssenkung für die beiden ersten Hypotheken auf 4 % und für die dritten Hypotheken auf 2,2 %, ferner der Verzicht seitens der Versicherungsträger auf die Hälfte ihrer Hypotheken, also auf rund 900 000 RM. (23)

Diese Maßnahme wurde mit dem 02.07.1934 wirksam. Ausdrücklich wurde in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß dem Pächter keine Erleichterungen gewährt worden seien. Dieser hatte im übrigen zur Konsolidierung der Heilstätte durch die Aushandlung eines verbilligten Stromtarifs für den Betrieb beigetragen, vor allem aber durch die auf Grund seiner Werbung erreichte Gewinnung von Privatpatienten. Deren Zahl stieg nun merklich an:

1933 2252 Patienten, davon 791 private (= 35 %),
1934 3578 Patienten, davon 663 private (= 18,5 %),
1935 3654 Patienten, davon 715 private (= 20 %),
1936 ca.4000 Patienten, davon 800 private (= 20 %).

Einen nicht unwesentlichen Werbeeffekt für die Rheumaheilstätte hatte schließlich seine Erfindungen und der Vertrieb der Trockenmoorsole. Über diesen „neuen Entwicklungsabschnitt“ berichteten die „Bramstedter Nachrichten“ erstmals am 05.10.1935.

Nach eigener Darstellung war es O. Alexander und dem Altonaer Handelschemiker Dr. Hugel gelungen, aus der Moorsalzquelle des Alten Kurhauses eine Paste für Hausbadekuren herzustellen. Nach sehr positiv ausgefallenen wissenschaftlichen Analysen konnte an eine Vertriebsstrategie gegangen werden. Es erschienen Annoncen und große Werbeblätter. Anfang 1936 gingen erste Lieferungen nach Hamburg, Schleswig-Holstein, Berlin und Dänemark. (24)

Hier soll eine weitere Posse nicht unerwähnt bleiben. Bürgermeister Utermarck bemängelte in einem Schreiben an das Kurhaus: „In den Prospekten heißt es Bramstedt statt Bad Bramstedt`“. Und weiter müsse das Wahrzeichen der Stadt, der Roland, naturgetreu wiedergegeben werden. „Dies muß in Bezug auf die Kopfbedeckung in Zweifel gezogen werden.“ (25) Er hatte recht: Die Mütze des Roland saß auf dem Prospekt nicht ganz richtig auf dessen Kopf.


4. Das nationalsozialistische Bad Bramstedt

Hier kann und muß nicht die gesamte politische Geschichte der Stadt während des Dritten Reiches und der Weimarer Republik dargestellt werden. Unerläßlich aber sind Streiflichter, die die Mentalität des Ortes charakterisieren und das politische Klima in der Öffentlichkeit nachempfinden lassen. Nur so kann die Tragödie Oskar Alexanders ganz ermessen werden, und nur so, jenseits von Vergessen und Verdrängen, kann dieser Mann wahrhaft gewürdigt werden.

Man muß voraussetzen, daß er als Leiter des bedeutendsten Betriebes in Bad Bramstedt und gewiß mit überdurch schnittlicher Intelligenz begabt nicht nur das Lokalblatt „Bramstedter Nachrichten“ regelmäßig gelesen hat. Er wird das örtliche und überregionale wirtschaftliche und das damit untrennbar verflochtene politische Leben verfolgt haben und sich dabei sicher auch anderer Informationsquellen bedient haben, die ihm ein klares Bild von den politischen Vorgängen und spätestens seit 1929 von dem gewaltigen Anschwellen der nationalsozialistischen Bewegung vermittelt haben. Überdies verlief die politische Agitation auf allen Ebenen schreiend laut und überdeutlich, so daß niemand darüber im Unklaren sein konnte, was etwa nach einem Machtantritt der Nationalsozialisten zu erwarten war.

Wie alle seine Mitbürger, so wußte auch O. Alexander vom Punkt 4 des Parteiprogramms der NSDAP, erlassen bereits 1920, als „unabänderlich“ bekräftigt 1926: „Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksicht auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.“ Und sollte man nur in Bad Bramstedt niemals den Ruf gehört haben „Juda verrecke!“ oder das „Lied“ vom Judenblut, das „vom Messer spritzen“ müsse?

Lauten Widerhall fand der Programmpunkt 4 während der ganzen Zeit der Weimarer Republik auch in Bad Bramstedt. Schon im Herbst 1920 verkündete der spätere Gauleiter Hinrich Lohse in der Stadt, die bürgerlichen Parteien, vor allem die Deutsche Demokratische Partei (DDP), sei „dem Einfluß des internationalen Judentums“ erlegen. (26)

Tatsächlich gab es an der Spitze der DDP hervorragende Politiker jüdischer Herkunft, z.B. den 1922 ermordeten Reichsaußenminister Walter Rathenau. Die Basis dieser Partei aber gebärdete sich (z.B. im Kreis Segeberg) deutlich antisemitisch, um den politisch überaus abträglichen Vorwurf der „Verjudung“ von sich abzuwehren. (27)

Der Bad Bramstedter Arzt Dr. Christian Kühl glaubte mit Anhang rechnen zu können, als er 1925 den „Großdeutschen Orden in der Nordmark Isern Hinnerk“ gründete, um den „Kampf gegen undeutsches Wesen in Öffentlichkeit und Einzelleben“ aufzunehmen. (28)

Der hochangesehene Bauernführer Otto Köhler (Bühnsdorf) rief der Bevölkerung zu, zur Abwendung der allenthalben beschworenen jüdischen Gefahr müsse man praktischen Antisemitismus treiben, indem man sich einige und dadurch die Macht des jüdischen Kapitals breche. (29)

Bad Bramstedt hob sich durch nichts aus dem mentalitätsgeschichtlichen Zusammenhang mit der damaligen Provinz Schleswig-Holstein ab. Die Prädisposition zum Nationalsozialismus war hier wie andernorts gegeben. (30). Ein gebürtiger Bad Bramstedter Hochschullehrer hat das vor einigen Jahren in belletristischer Form zu beschreiben versucht. (31)

Wahlergebnisse reflektieren dieses Klima, sagen aber bei weitem nicht alles aus. (32) Hier die Ergebnisse der Reichstagswahlen (RW) und der Landtagswahlen (LW):

RW 20.05.1928 NS 29 Stimmen, SPD 439 Stimmen,
RW 14.09.1930 NS 512 Stimmen (= 29,7 %), SPD 519 Stimmen,
LW 24.04.1932 NS 1073 Stimmen (= 62,3 %), SPD 398 Stimmen,
RW 31.07.1932 NS 1263 Stimmen (= 73,4 %), SPD 442 Stimmen,
RW 05.03.1933 NS 61,6 % zzgl. Kampffront Schwarz-Weiß-Rot
mit 16,6 %, für die Hitler-Regierung also 78,2 %.

Die Träger und Trägerinnen antidemokratischer und antisemitischer Gesinnung beschränkten sich keineswegs auf das Reservoir der NSDAP und ihrer Wähler, sondern machten auch einen beträchtlichen Teil der Wähler und Mitglieder der bürgerlichen Parteien aus. (33)

Den Zahlen aus der obiger Wahlstatistik ist zu entnehmen, daß sich der enorme Stimmenzuwachs der NSDAP ab 1930 bei relativ gleich bleibendem Wählerpotential der Sozialdemokraten daraus erklärt, daß sich die bisherigen Wähler der bürgerlichen Parteien in Massen Hitler und seiner Partei zuwandten. Diese Bewegung setzte keine plötzliche politische Sinnesänderung bei den Menschen voraus, sondern die Erkenntnis, daß nur der große Führer mit seinen starken Organisationen in der Lage sein würde, die im bürgerlichen Lager dominierenden politischen Vorstellungen zu verwirklichen. (34)

Als Beispiel möge hier der Jungstahlhelmtag Ende August 1925 dienen, zudem sich etwa 900 junge Leute dieser der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) nahestehenden Organisation in der Stadt versammelt hatten. Sie wußten sich einig mit Pastor Wester, der ihnen die Kirche seiner Gemeinde öffnete, die militaristischen Fahnen der Republikfeinde den Altar umrahmen ließ und einen Sondergottesdienst veranstaltete mit Predigt über das, wie er es nannte „Schlachtwort: Kämpfe den guten Kampf des Glaubens“ (1. Brief an Timotheus 6,12). Darauf folgte die Weihe der Bad Bramstedter Stahlhelmfahne. (35)

Eine Ortsgruppe der NSDAP gab es einer Feststellung von Regierungspräsident Abegg an den Landrat Graf Rantzau zufolge spätestens seit 1930.(36) Der SA-Sturm Bad Bramstedt unter Sturmführer Büchler zählte 1932 50 Mitglieder. (37) Am 14.10.1933 erfolgte als drohende Geste Deutschlands Austritt aus dem Völkerbund und der Auszug aus der Genfer Abrüstungskonferenz. Am 12.11.1933 wurde das deutsche Volk in einer Reichstagswahl und Volksabstimmung gefragt: “ Billigst du, deutscher Mann, und du, deutsche Frau, diese Politik deiner Reichsregierung und bist du bereit, sie als den Ausdruck deiner eigenen Auffassung und deines eigenen Wollens zu erkennen und dich feierlich zu ihr zu bekennen?“. 91 % der Wahlberechtigten in der Stadt stimmten mit Ja. Nur 212 Nein-Stimmen wurden gezählt. (38)

Bald nach der Mordaktion in der Röhm-Affäre und dem Tod des Reichspräsidenten von Hindenburg, als Hitler sich selbst zu dessen Nachfolger machte und die Reichswehr auf seine Person vereidigte, wurde das Volk abermals per Stimmzettel gefragt: “ Stimmst du, deutscher Mann, und du, deutsche Frau, der in diesem Gesetz getroffenen Regelung zu ?“ In Bad Bramstedt taten dies 84,7 %, während 13 % es ablehnten und 2.3 % ungültige Stimmen gezählt wurden. (39)

Die Bad Bramstedter NS-Frauenschaft machte sich Gedanken darüber, wer „in Deutschland leben und schaffen, Brot essen und ein Dach über dem Kopf haben “ darf und „wer sich einreihen und Bruder und Schwester zum deutschen Menschen sagen“ darf. Die Antwort fanden die Frauen durch die neue Regierung gegeben: „Für solche, die ihre Pflicht gegenüber dem Vaterland nicht erfüllten, ist kein Platz in Deutschland,“ und beiläufig wurde auf die große Zahl derer hingewiesen, die bereits (im August 1933) aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen wurden. (40) Daß unter denen, die bereits als Emigranten das Land verlassen hatten, viele Juden waren, konnte man in allen Zeitungen lesen. Auch die Existenz von Konzentrationslagern für politische Gegner war der gesamten Bevölkerung bekannt.

Den Zeitungslesern wurden auch Einblick in solche Lager gewährt. Die Bramstedter fanden in ihrer Zeitung am 07.04.1933 ein Bild „Vom Leben in einem Konzentrationslager“:

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Am 10.04.1933 folgte eine weitere Illustration der Ortszeitung vom Lagerleben im KZ Oranienburg, das unter dem späteren Namen Sachsenhausen schreckliche Bedeutung erlangen sollte. In dem Text zu dem Bild las man den zynischen Satz: „Die Häftlinge dürfen sich sportlich betätigen. Häftlinge bei sportlichen Übungen, die ihnen von der Lagerverwaltung gestattet werden.“ Abgebildet ist keine sportliche Übung, sondern die aus den Kasernen berüchtigte Schinderei an der Eskaladierwand:

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Das KZ Oranienburg/Sachsenhausen ist auch der Ort, an dem Oskar Alexander zu Tode gebracht wurde.

Deutlicher wurden die Frauen auf einer unter dem Motto „Blut und Boden“ stehenden Kreistagung der NS-Frauenschaft in Bad Bramstedt. (42) Die Kreisfrauenschaftsführerin, Parteigenossin Sach, wußte „das Große, uns gemeinsam Bindende herauszugreifen. Das soll die, die noch ein deutsches Herz und Liebe zu ihrem Volk haben, zusammenschmieden.“ Und zwar „gegen den gemeinsamen Erbfeind aller Arier.“ Und sie wurde sehr konkret: Es dürfe nicht vorkommen, daß deutsche Frauen und Mädchen in jüdische Geschäfte gehen, weil sie meinen, dort etwas für den halben Preis zu bekommen. „Und wenn der Jude die Ware schenken würde, wir gehören zum deutschen Volksgenossen.“ Ob auch die von einem Juden geleitete Rheumaheilstätte, der so viele „Volksgenossen“ ihre wirtschaftliche Existenz verdankten, mit ins Blickfeld der Frauen geriet? Man weiß es nicht.

Der Segeberger Arzt und Kreisamtsleiter Dr. Bruhn vertiefte den Hass. Er redete vom „rassischen und sittlichen Niedergang des deutschen Volkes“, von der „Verwüstung, welche die jüdische Bastardisierung an unserem Volke angerichtet“ habe und „wie die rassische Zersetzung die arischen Werte in unserem Volkskörper herunterzog.“ Der Mann fand bei den Frauen begeisterte Zustimmung. Die Bevölkerung der Stadt las dies alles in den Bramstedter Nachrichten. Man wüßte gerne, was O. Alexander bei der Beobachtung solcher Vorgänge empfand und wie er darauf reagierte.

Was es schon 1933 bedeutete, „aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen“ zu sein, erklärte Kreisleiter Werner Stiehr auf einer Tagung der Gemeindevorsteher des Kreises Segeberg in Bad Bramstedt im August. Er drohte: „Erfahre ich aus irgendeiner Gemeinde, daß Anordnungen nicht befolgt werden, so wird das als Sabotage angesehen, und der betreffende Gemeindevorsteher wird bestraft werden. Die Art der Strafe wird Ihnen ja bekannt sein. Damit Sie wissen, wie es im Konzentrationslager Kuhlen aussieht, gebe ich Ihnen hiermit die Lagerordnung bekannt . .“ (42)

Auch die evangelische Kirche ordnete Einrichtungen wie die Konzentrationslager in ihr Weltbild ein. Das in hiesiger Gegend stark verbreitete, wöchentlich erscheinende Gemeindeblatt „Pflugschar und Meißel“ empfahl seinen Lesern, angesichts dieser Lager zwar nicht in „hämische Schadenfreude“ oder „rachsüchtige Gesinnung“ zu verfallen, sich aber auch vor „weichlicher Gefühlsduselei“ zu hüten, denn: „Daß da Tausende von deutschen Menschen hinter Stacheldraht gebracht und von ihren Volksgenossen bewacht werden müssen (!), darin wird eine tiefe Not sichtbar. Eine Not, die man nicht belächeln kann. Denn diese Not geht auch uns an. Sie wird zu einer Anklage: Warum duldeten wir diese Verführung und Verhetzung (seitens der Opfer; G.H.), die dann zwangsläufig (!) zur Errichtung von Konzentrationslagern führte?“ (43)

Und selbst die bekennende Kirche in Schleswig-Holstein ermahnte ihre Mitglieder 1935, „Drucksachen aus marxistischer Quelle“, die sich auf die in Konzentrationslagern oder in der Verbannung befindlichen Pastoren bezogen, B „sofort der nächsten Polizeistelle auszuhändigen“, (letzteres in Fettdruck), damit deren Urheber ermittelt werden können. (44)

Als zum 23.07.1933 im ganzen evangelischen Teil Deutschlands zur Neuwahl der inzwischen aufgelösten kirchlichen Körperschaften aufgerufen wurde, sollten die oben angedeuteten Tendenzen Gestalt gewinnen. Als ihren Vertreter schickte die Bad Bramstedter Gemeinde ihren nationalsozialistischen Bürgermeister Hermann Maas als Synodalen nach Rendsburg, wo am 12. September 1933 die Landessynode neue Kirchengesetze zu verabschieden dachte.

Diese Synode verdiente sich mit Recht den Namen „Braune Synode“, denn die auf ihr fast immer einstimmig beschlossenen Gesetze sollten die Kirche in engste Übereinstimmung mit dem NS-Staat bringen. So wurde u.a. ein kirchliches „Ermächtigungsgesetz“ verabschiedet (45) und in fast wörtlicher Anlehnung an das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ bestimmt: Geistlicher oder kirchlicher Beamter darf nur werden, „wer . . . rückhaltlos für den nationalen Staat und die Deutsche Evangelische Kirche eintritt.“ . . . „Wer nicht-arischer Abstammung oder mit einer Person nicht-arischer Abstammung verheiratet ist, darf nicht als Geistlicher oder Beamter . . . berufen werden. Geistliche oder Beamte arischer Abstammung, die mit einer Person nicht-arischer Abstammung die Ehe eingehen, sind zu entlassen.“ (46)

Zur feierlichen Amtseinführung des NS-Reichsbischofs Müller in Berlin vom 21. bis 23. September 1934 entsandte die Kirchengemeinde den Bezirksbauernführer Pg. Griep aus Fuhlendorf, sowie den Organisten Pg. Daniel und die Kirchenrechnungsführerin Pg. Frl. Peters (Kaltenk. Zeitung v. 13.9.1934)

Das Zeitbild von Bad Bramstedt läßt sich durch weitere Einzelheiten ergänzen. Im Sommer 1933 fand man für das Alte Kurhaus eine neue Verwendung. 50 Mann des nationalsozialistischen Freiwilligen Arbeitsdienstes wurden von Ortsgruppenleiter Schlichting begrüßt und in ihr neues Quartier im Alten Kurhaus angewiesen. (47). Die feierliche Eröffnung des Lagers erfolgte wenig später durch den inzwischen zum Kreisfachbearbeiter der Abteilung Arbeitsdienst der NSDAP aufgestiegenen vormaligen Ortsgruppenleiter Büchler. (48) 1935 fand die Umwandlung in den Reichsarbeitsdienst (RAD) und die Verlegung nach Kaltenkirchen statt. (49) Das Alte Kurhaus diente dann als Schule der SA-Standarte, an der diese ihre SA-Anwärter schulte. Am 05.09.1935 vermietete die Stadt das Haus an die Deutsche Arbeitsfront (DAF). (50)

Das nationalsozialistische Bad Bramstedt forderte schon vor der Verdrängung Oskar Alexanders sein Opfer. Eine „Liste ehemaliger politischer Häftlinge, die ab 01.01.1946 noch betreut wurden vom Komitee ehemaliger politischer Häftlinge im Kreis Segeberg“ verzeichnete auch 5 Personen aus Bad Bramstedt mit ihrer jeweiligen Haftzeit.

Nachzutragen bleiben Angaben über den Personenkreis, der die Geschicke der Stadt in jenen Jahren im Sinne des NS-Staates lenkte. Von den Bürgermeistern Erlenhorst und Maas war bereits die Rede. Mit Bürgermeister Maas war schon vor der Machtübergabe an Hitler ein Nationalsozialist an die Spitze der Stadt getreten. Er wurde 1934 vom Preußischen Ministerpräsidenten zum Oberbürgermeister der Stadt Emden berufen. Bei seiner Verabschiedung hinterließ er der Stadt und seinem Nachfolger sein Vermächtnis: Es sei nicht sein Wille, „von hier zu scheiden, sondern der Befehl des neuen Staates, dessen Stärke und Verantwortungsbewußtsein gerade im Führerprinzip zum Ausdruck komme. Diese Forderung, Pflichterfüllung, Gehorsam und Opferbereitschaft macht ihm das Scheiden leichter . . . Halten Sie dem Führer die Treue, stehen Sie geschlossen hinter seiner herrlichen Bewegung . . . Heil!“ (51)

Zum Nachfolger des Bürgermeisters Maas wurde der Nationalsozialist Friedrich Utermarck berufen. Landrat von Mohls Mahnung zur Amtseinführung am 07.12.1934 lautete: „Ihr Ziel als Bürgermeister kann nur sein, eine saubere Verwaltung anzustreben, getreu den Grundsätzen des Führers des nationalsozialistischen Staates.“ Utermarck versicherte, „das einzige, was ich Ihnen verspreche, ist, daß ich als Bürgermeister und Nationalsozialist meine Pflicht tun werde.“ (52) Utermarck war von 1929-1934 kaufmännischer Angestellter der Firma Oetker in Bahrenfeld gewesen. Als Parteimitglied trug er die niedrige Nummer 177 390. 1930-1931 hatte er den SA-Sturm 37/31 geführt, wurde 1933 Sturmführer im Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK), gründete die Ortsgruppe der NSDAP Blankenese und wurde deren Ortsgruppenleiter. Am 01.08.1932 stieg er auf zum Kreisleiter von Altona. Als Bürgermeister von Bad Bramstedt nahm er mehrfach an Lehrgängen für Leibesübungen bei der Wehrmacht teil, die ihm als Wehrmachtsdienst angerechnet wurden. Die Reichsparteitage in Nürnberg besuchte er fleißig, ebenso 1937 die Gauschule Niederheide bei Düsseldorf zwecks Intensivierung seiner NS-Gesinnung. (53)

Die letzten halbwegs freien Kommunalwahlen im März 1933 erbrachten das folgende Ergebnis. Die Nationalsozialisten und die konservative „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ hatten gemeinsam auf einer „Nationalen Einheitsliste“ kandidiert. Es wurden gewählt: Buchhändler Alfred Warnemünde, Klempnermeister Rudolf Kiel, Landwirt Gottlieb Freudenthal, Tierarzt Dr. Heinrich Wilhelmi, Gastwirt Hans Dehn, Landwirt Max Sievers, Gärtner Fritz Obst, Landwirt Otto Köhler, Bauunternehmer Heinrich Horst, Kaufmann Karl Schlichting, Lehrer Otto Schnepel. Die SPD war vertreten durch Zimmermann Friedrich Hinz und Lagerhalter Emil Kröger, die KPD durch den Arbeiter Karl Scheck.

Alle drei Ratmänner entstammen der Nationalen Einheitsliste: Gottlieb Freudenthal, Rechtsanwalt Krumbeck und Landmann Heinrich Rave. Als Kreisrat stellte die NSDAP Bürgermeister Hermann Maas.(54)

Nach der neuen Gemeindeverfassung vom 15.12.1933, die jedes demokratische Verfahren ausschloß, wurden als Berater des mit der alleinigen Führergewalt ausgestatteten Bürgermeisters sogenannte Beigeordnete bestimmt: Kaufmann Karl Schlichting als Erster, Bauer Friedrich Rave als Zweiter Beigeordneter. 1935 erweiterte man das Gremium um den Buchhändler A. Warnemünde. A. Kohfahl und J. Schnoor. (55)

Wenn vom „nationalsozialistischen Bad Bramstedt“ die Rede war, so kann das nicht heißen, daß die Einwohner dieser Stadt von einer Handvoll Hitler-Fanatikern verführt und dann beherrscht worden wäre. Es war vielmehr die sehr große Mehrheit der Bevölkerung, die den Nationalsozialismus entwickelt und in der zumeist begeisterten Gefolgschaft zu Hitler in ihrem Gemeinwesen zur alles gestaltenden Kraft entfaltet hatte. Diesen Tatbestand mit einigen Streiflichtern aufzuhellen, war notwendig, um jenen zu begegnen, die an der Aufrechterhaltung der Vorstellung interessiert sind, hier sei alles nicht so schlimm gewesen. Und im Hinblick auf Oskar Alexander wird man dabei im Auge behalten müssen, daß Nationalsozialismus immer und überall auch Antisemitismus meinte.

In Bad Bramstedt war der Rassenhass durchaus zuhause. Er war mehrere Jahre hindurch wie eine dünne Eisdecke gewesen, auf der dieser um die Stadt hochverdiente Mann sich bewegte, teils mit Sorglosigkeit und Arglosigkeit, teils wohl auch in Sorge und Angst, auch dann, wenn man ihn noch grüßte und Umgang mit ihm pflegte.

Anders als manche Zeitgenossen und Autoren, hat Wolfgang Platte diese besondere Situation deutlich benannt, nämlich daß O. Alexander eben doch „aufgrund seiner jüdischen Abstammung den neuen Machthabern ein Dorn im Auge war. Ein Nicht-Arier an der Spitze einer solchen Einrichtung paßte nicht in das ideologische Konzept der Nationalsozialisten.“ (56) Platte sieht die „neuen Machthaber“ eben nicht vornehmlich im fernen Berlin, sondern auch in den hiesigen „städtischen Gremien.“

Es gibt keinerlei Hinweise darauf, daß O. Alexander sich vor oder nach 1933 innerlich oder äußerlich vom Nationalsozialismus distanziert hätte oder daß er in politische Konflikte geraten wäre. Alles deutet darauf hin, daß er wesentliche Punkte des Nationalsozialismus bejahte, vor deren rüpelhaften Erscheinungsformen und vor allem vor dem Antisemitismus aber Augen, Ohren und Mund verschloß.

Politisch blieb Oskar Alexander auf dem Kurs, der bereits während des Ersten Weltkrieges bei ihm erkennbar wurde, und der schloß die erbitterte Feindschaft gegen die Sozialdemokratie ein. Während die Nationalsozialisten schon 1933 mit Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte begannen, boykottierte O. Alexander seinerseits schon vor

1933 die als Säule der Arbeiterbewegung bewährte Genossenschaft der „Produktion“. In seinem Lebenslauf hob er hervor, daß er die „Produktion` als Lieferantin für Lebensmittel und Kohlelieferung von vornherein ausgeschlossen“ habe, „wodurch ich mir allerdings die Feindschaft der beteiligten Herren zuzog. Diese Feindschaft zog sich wie ein roter Faden durch alle Verhandlungen und spitzte sich immer mehr zu.“ Auch in seinem Schreiben an Rudolf Hess rühmte er: „An mich gestellte Zumutungen, sozialdemokratische Konsumvereine zu Lieferungen hineinzulassen, habe ich stets und mit Erfolg abgelehnt.“ Die zur Verfügung stehenden Akten geben über diese Geschäftsvorgänge im einzelnen keinerlei Auskünfte. Im Zusammenhang mit den weiteren Befunden scheinen seine Beteuerungen aber glaubwürdig und nicht nur Schutzbehauptungen in gefährdeter Situation gewesen zu sein.


5. Die gleichgeschaltete Rheumaheilstätte

Die Rechtsform der Rheumaheilstätte als GmbH brachte es mit sich, daß ihre Leitung in personeller wir auch funktioneller Hinsicht von den Gesellschaftern abhängig war. Diese waren zu 90 % die Versicherungsträger, zu 10 % die Stadt Bad Bramstedt. So war zu erwarten, daß die einschneidenden Veränderungen des Jahres 1933 im Bereich der Gesellschafter auch auf die von Ihnen abhängige Anstalt sich fortsetzen würden.

Die Einführung des Führerprinzips als Strukturmuster des gesamten Dritten Reiches beseitigte die bis dahin bewährte Selbstverwaltung der Versicherungsträger. Statt des kollektiven Vorstands, lag dieVerwaltung nun in der Hand eines Leiters, der von der staatlichen Aufsichtsbehörde ernannt und nur dieser verantwortlich war.

Um aber auch auf dem Gebiet der Sozialversicherung national-sozialistische Politik effektiv durchzusetzen, wurden die entscheidenden Ämter mit linientreuen Personen besetzt. Die auf Provinzebene höchste Aufsichtsperson gegenüber den Versicherungsträgern war kraft Amtes der Landeshauptmann als Leiter der Provinzialverwaltung. Diesen Posten bekleidete seit 1932 Otto Röer, dessen politische Einstellung den Machthabern makellos erschien.

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Von ihm hieß es: „Er war seinem Verhalten nach ein linientreuer Mann.“ (57) Bis Ende 1935 blieb er zunächst vorläufiger, dann bis zu seiner Pensionierung am 1.8.1938 endgültiger Leiter. Röer vor allen anderen zeichnete verantwortlich für die während dieser Zeit durchgeführten Maßnahmen.

Sein Nachfolger wurde der Nationalsozialist Wilhelm Schow.

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Besonders rabiat wurde mit dem seit 1924 als Präsident der LVA der Hansestädte amtierenden E. Helms verfahren. Er war auch der erste Vorsitzende der Rheumaheilstätte Bad Bramstedt GmbH gewesen. Vergeblich versuchte man, ihm Unregelmäßigkeiten nachzuweisen. Doch dann genügte das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 07.04.1933, um den als langjähriges Mitglied der SPD bekannten Mann mit gekürzter Pension zu suspendieren und schließlich ganz zu entlassen. (58)

Sein Nachfolger in der Leitung der LVA wurde Dr. jur. G. Fr. Storck, kommissarisch ab 11.04.1933, endgültig ab Oktober 1933. Er war zuvor Direktor der Lübecker Behörde für Arbeit und Wohlfahrt gewesen. Von ihm heißt es: „Der neuen Lehre hat er sich dann allerdings mit Eifer beflissen, teils wohl aus Überzeugung, teils gedrängt von einigen (wenigen) radikalen Elementen in der Gefolgschaft – nicht eben den besten – nicht zuletzt aber gezogen von dem schwer widerstehbaren Sog eines großen Amtes im Hitler-Staat.“ (59)

Die politische Säuberung blieb nicht auf die Verwaltungsspitze beschränkt. Auch sämtliche Versichertenvertreter in der Selbstverwaltung wurden entfernt und durch Parteigänger der NSDAP ersetzt. Von den Arbeitgebervertretern blieb nur einer im Amt. (60)

Hitlers Machtübernahme hatte aber ihre Schatten vorausgeworfen. Mit wiederholten anonymen Verleumdungsbriefen wurde schon 1932 versucht, drei leitende Persönlichkeiten zu verdrängen. 1933 wurden die Verleumdungen dahingehend konkretisiert, daß die betreffenden sich „kniefällig vor jedem roten Bonzen“ gezeigt hätten und daß ihnen dienstliche Verbindungen zu Sozialdemokraten und Juden nachgewiesen werden könnten. Landeshauptmann Röer bewies bereits bei dieser Gelegenheit seine Einstellung, indem er den drei Angegriffenen seinen Schutz versagt, ihnen statt dessen dringend riet, sich freiwillig beurlauben zu lassen, was diese im April 1933 widerstrebend taten. Ihre Posten wurden mit NS-Mitgliedern besetzt, von denen vermutet wurde, daß eben sie die Urheber der Verleumdungsschreiben gewesen waren. (61)

Wie weit die nationalsozialistische Ideologie im Personal der Rheumaheilstätte Fuß fassen konnte, ist nicht zu rekonstruieren. Daß es auch dort schon vor 1933 Hitler-Anhänger gegeben hat, dürfte sicher sein.

Auf der ersten Gesellschafterversammlung nach der Machtübernahme, am 23.5.1933, geschah der schwerwiegendste Einschnitt durch die Wahl des Dr. Storck zum Vorsitzenden der Rheumaheilstätte GmbH und des Bürgermeisters Maas zu dessen Stellvertreter. Beide waren Nationalsozialisten. Einem Wechsel unterlagen auch die Vertreter der Gesellschaften in der GmbH. Unberührt blieb die Stellung des Vertreters der LVA Schleswig-Holstein, Landesrat Gehlsen. Für die Vereinigung von Krankenkassen Groß-Hamburgs amtieren 1933: Direktor Rix, Senator von Pressentin, Staatsrat Bartholatus; 1934: Staatsrat Parteigenosse (Pg.) Habedank, Gauamtsleiter der Deutschen Arbeitsfront in Hamburg, Direktor Oberheide, Regierungsrat Dr. Neumann, Oberregierungsrat Maaß. Für den Reichsverband der Ortskrankenkassen, Landesverband Norden 1933: kommissarisch Weißenstein als Vertrauensmann der Hamburger Gauleitung, zu dem sich der Vermerk im Protokoll findet, er sei „später gestrandet“, Geschäftsführer Schmidt; 1934: Geschäftsführer Schmidt, Geschäftsführer Langpaap; 1935: Geschäftsführer Behrens, Berlin, Geschäftsführer Langpaap; 1936 wie 1935.

Für die Stadt Bad Bramstedt 1933: Bürgermeister Maas; 1934: nacheinander Bürgermeister Maas, kommissarischer Bürgermeister Schlichting, Bürgermeister Utermarck; 1935 und 1936: Utermarck.

Zum ersten Geschäftsführer wurde Direktor Rix, 1934 Pg. Kohlberg, bestellt, zum zweiten Geschäftsführer Hugo Weißenstein. (62)

Die ärztliche Leitung der Rheumaheilstätte wurde von Dr. Schulz wahrgenommen. Es scheint so, als wären die Kompetenzen zwischen Geschäftsleitung und Chefarzt nicht eindeutig genug voneinander abgegrenzt gewesen. Eine „reibungslose Zusammenarbeit“ scheint sich erst einige Jahre nach der Inbetriebnahme eingespielt zu haben.

Dr. Schulz wurde mit dem 01.09.1933 durch Dr. Stromberger, einem Hamburger Privatdozenten, abgelöst. Eine schwere ärztliche Krise trat ein, als Dr. Stromberger Anfang 1935 „zusammen mit zwei anderen Ärzten plötzlich ausschied.“ (63) Eine besondere Nachfrage in der heutigen Geschäftsleitung (April 1992) ergab, daß sich in den dortigen Akten keinerlei Hinweise auf die Namen und die Motive dieser Ärzte finden ließen. Diese recht ungewöhnliche Sachlage läßt auf eine spätere Aktenreinigung in der Klinikverwaltung schließen und läßt der Vermutung Raum, daß auch hinter diesen Fällen politische oder gar rassistische Gründe wirksam waren. Daß es nur Geldmangel gewesen sein soll, der zur plötzlichen Entblößung der ganzen Heilstätte von Ärzten führte, ist wenig wahrscheinlich. Die Krise konnte beendet werden durch die Einstellung von 5 neuen Ärzten am 01.04.1935 und der Bestellung von Dr. Paulus zum Chefarzt am 04.03.1935.

Um Betrieb und Belegschaft dem einheitlichen politischen Willen der NSDAP möglichst weitgehend zu unterwerfen, etablierte sich in der Heilstätte wie in anderen Unternehmungen die Deutsche Arbeitsfront (DAF). (64) DAF-Ortswalter Parbst wachte über die Betriebe in der Stadt, Vertrauensmann Evers über die Rheumaheilstätte, die nach seiner Bekundung am 01. Mai 1935 „getreu dem Wollen des Führers geschlossen in der Arbeitsfront (zu) marschieren“ habe. (65)

Von Zeit zu Zeit fanden Betriebsappelle statt, so anläßlich des „Tages der nationalen Revolution und des vierjährigen Bestehens des Riesenbaues (04.02.1935) mit Vertretern von Stadt und Partei.“ Parbst begründete diese Appelle damit, daß es nicht mehr vorkommen dürfe, daß Betriebsführer und Gefolgschaft sich gegenseitig das Leben schwer machen oder sich gar feindlich gegenüberstehen, um dann aber einzuräumen, daß es in dieser Hinsicht „hier verhältnismäßig gut und alles in Ordnung“ sei. Auch Bürgermeister Utermarck attestierte gutes Einvernehmen zwischen Gefolgschaft und Betriebsführer, d.h. Oskar Alexander. Wollte man damit nur eine harmonische Fassade nach außen und nach oben aufrichten?

Betriebsführer Alexander hielt danach zwar eine Ansprache; Zeitgenossen wissen jedoch zu berichten, daß sich viele Betriebsangehörige und namhafte Bürger der Stadt weigerten, an dem traditionellen Mai-Aufmarsch teilzunehmen, wenn der Jude Alexander es wagen würde, mitzumarschieren.


6. Oskar Alexander – der Jude

Es ist nicht bekannt, ob im Hause Alexander jüdische Traditionen oder Religion gepflegt wurde. Eine Ärztin, die über viele Jahre eng mit der Familie verbunden war, weiß von keiner jüdischen Religionsausübung zu berichten. Für Oskar selber scheint seine jüdische Abkunft überhaupt keine besondere Bedeutung gehabt zu haben. Ihm wird sie eher als Belastung erschienen sein, derer er sich aber nicht entledigen konnte.

So war es nur konsequent, wenn er auch die letzte formelle Bindung an die Religion seiner Vorfahren kappte. Durch das Standesamt Nr. 2 in Hamburg 36 ließ er seinen Austritt aus der Deutsch-Israelitischen Gemeinde beantragen. Der Austritt erfolgte dann am 16.06.1932 unter der Nummer 454. 1936 erwähnte er in einem Schreiben an die Geschäftsführung, er habe sich der jüdischen Gemeinde niemals verbunden gefühlt, habe auch in deren Kreisen keinerlei Bekannte doch habe er Kontakte zu jüdischen Ärzten gehabt, die er in Bad Bramstedt kennen gelernt habe.

Von symbolhafter Bedeutung in diesem Sinne erscheinen auch die Vorgänge um die Grabstätten seiner Eltern in Visselhövede. Der dortige Bürgermeister Vaupel erinnerte ihn daran, daß auf dem kleinen 107 qm großen jüdischen Friedhof noch zwei Grabsteine mit hebräischen Inschriften vorhanden seien (02.07.1929). Die Stelle mache einen verwahrlosten Eindruck, was dem ordnungsliebenden Magistrat ein Dorn im Auge war. (66) Es kam den dortigen Politikern nicht in den Sinn, daß jüdische Grabstätten eben nicht im deutsch-bürgerlichen Sinn „gepflegt“, sondern nur ehrfurchtsvoll erhalten werden und zwar auf ewig. O. Alexander wurde gefragt, ob er den Friedhof bestehen lassen oder ihn der jüdischen Gemeinde in Verden an der Aller überlassen wolle. Er reagierte zunächst nicht.

Inzwischen gab es Bemühungen seitens der jüdischen Gemeinde in Verden, den Friedhof treuhänderisch der Stadt Visselhövede zu übergeben. Die aber lehnte ab, da der Friedhof „sich noch nicht in einem entsprechenden Zustand befindet.“ Nach einer Drohung mit der Polizeiverordnung die Vorgärten der Stadt betreffend nahm Lehrer Goldschmidt von der jüdischen Gemeinde einige Verbesserungen am Friedhof vor, ohne freilich gegen das jüdische Ruhegebot für ihre Friedhöfe zu verstoßen. Wie nicht anders zu erwarten, erschien den Stadtvätern der kleine Friedhof immer noch als „verkommen.“ Dann verlangte die Stadt von O. Alexander, auf seine Kosten die „Instandsetzungsarbeiten“ durchführen zu lassen, andernfalls man die Kosten zwangsweise einziehen lassen werde. Danach trat mehrere Jahre lang Ruhe ein.

Erst Anfang 1938 griff Visselhövede das alte Anliegen wieder auf: Der Begräbnisplatz an der Gartenstraße wirke „verunstaltend“. Die Gemeindeverwaltung und der Landrat von Rotenburg, von Lossow, stünden auf dem Standpunkt, daß dieser Begräbnisplatz geschlossen und die teilweise verfallenen Grabsteine beseitigt werden müßten, zumal die letzte Bestattung schon vor sehr langer Zeit, wahrscheinlich vor mehr als 30-40 Jahren stattgefunden habe. Die Stadt wünschte die „Angleichung des Platzes an die Umgebung“ und versprach die Übernahme aller damit verbundenen Kosten, bekundete auch ihre Absicht, die Parzelle käuflich zu erwerben.

Oskar Alexander erklärte sich, „wenn auch schweren Herzens, mit Ihrem Beschluß, den Begräbnisplatz zu schließen und die verfallenen Grabsteine zu beseitigen, einverstanden.“ Dann folgte der unterwürfige Satz: “ Bitte ich den Platz der dortigen Gemeindeverwaltung unentgeltlich überlassen zu dürfen. “ Grundbuchamtliche Eintragung und Auflassung erfolgten noch im gleichen Jahr.

Die Situation der Juden in Deutschland hatte sich mit den „Nürnberger Gesetzen“ (18.10.1935) und den Folgegesetzen grundlegend geändert. Zunächst gab es große Schwierigkeiten bei der Beschaffung eines Erbscheines als Voraussetzung für die Übertragung des Grundstückes in Visselhövede. Damit hatte O. Alexander den Bad Bramstedter Rechtsanwalt und Notar Alfred Jensen beauftragt. Dieser hatte schon in seinem Schreiben vom 14.12.1938 die Stadt Visselhövede darauf hingewiesen, daß der Schenkungsvertrag „neuerdings auch der behördlichen Genehmigung bedarf.“ Eine solche wurde seitens der Stadt vom Landrat in Rotenburg beantragt (30.01.1939). In diesem Schreiben ist, anders als noch Jahre zuvor, die Rede von „dem Juden Alexander“. Landrat von Lossow erwiderte (06.02.1939): „Es ist mit den rassischen Grundsätzen des nationalsozialistischen Staates nicht vereinbar, daß Körperschaften des öffentlichen Rechtes und sonstige öffentliche Einrichtungen Schenkungen oder sonstige Zuwendungen von Juden annehmen. Der Herr Reichsminister des Innern hat daher durch Erlaß vom 11. Oktober 1938 angeordnet, daß derartigen Zuwendungen die Genehmigung zu versagen ist. Ich vermag daher Ihren Antrag nicht weiterzuleiten.“ Der Landrat empfahl, das Grundstück doch „gleich dem Dritten zu überlassen.“ Dieser „Dritte“ war der Bäckermeister Georg Becker. Dieser habe, wie die Stadt feststellte, „das Gelände seinerzeit unentgeltlich für den jüdischen Friedhof zur Verfügung gestellt.“

Zu dieser Eigentumsübertragung mußte wiederum die Zustimmung aller an dem Friedhof Erbberechtigten eingeholt werden, und das waren Oskars Bruder Leonhard und die Witwe seines Bruders John. Das zog sich bis in das Jahr 1940 hin. Leonhard Alexander, der damals in der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn untergebracht war, verweigerte seine Zustimmung. Rechtsanwalt Jensen erwog daher, für ihn einen „Gebrechlichkeits-Pfleger“ zu bestellen, an dessen Zustimmung man wohl nicht zweifelte. (67) Auf welche Weise auch immer – die Grundbucheintragung auf G. Becker konnte endlich am 23.01.1941 erfolgen.


7. Oskar Alexander – als Jude aus dem Amt gedrängt

Oskar Alexanders Verdrängung ist kein Einzelschicksal. Maßnahmen dieser Art fanden in allen Teilen Deutschlands statt. Sie kündigten sich bereits an mit groß aufgemachten Pressemeldungen über die Schließung jüdischer Warenhäuser und Geschäfte am, 09.03.1933 und über eine Großdemonstration gegen jüdische Geschäfte in Kiel am 29.03.1933, schließlich mit den reichsweiten Boykotten jüdischer Geschäfte am 01. und 03. April 1933 – angeblich zur Abwehr jüdischer Auslandshetze gegen das nationalsozialistische Deutschland. Die evangelische Gemeindezeitung „Pflugschar und Meißel“ begründete diese Aktion: „Das neue Deutschland muß sich durch eine Flut von Lügen und Verdächtigungen sein Ansehen im Ausland erobern.“ (09.04.1933).

Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 07.04.1933 wurden fast alle „nichtarischen“ Beamten verdrängt. Die evangelische Landessynode übernahm die Verdrängungsvorschriften fast wortgenau für ihre Pastoren und Beamten, freilich um sie später doch wieder aufzuheben. (68) Überdies äußerte das Landeskirchenamt Kiel in Schreiben an alle Gemeinden erhebliche Bedenken gegen den „Eintritt von Juden in die christliche Gemeinde durch Vollzug der Taufe.“ (69) 1935 machte sich das Landeskirchenamt zum Erfüllungsgehilfen des Dritten Reiches, indem es wiederum alle Gemeinden, auch die in Bad Bramstedt, anwies, Taufen von Juden und etwaige Mischehen an eine besondere staatliche Dienststelle zu melden. (70) Mit großem Zeit- und Personalaufwand wurden in den Pastoraten die Ariernachweise erarbeitet und ausgestellt.

Derartige Dienstleistungen und Anweisungen der Kirche haben ganz wesentlich zur weiteren Popularisierung des Antisemitismus und zur Vorbereitung der „Endlösung“ beigetragen.

Am 15. September 1935 steigerte sich die antisemitische Politik in den „Nürnberger Gesetzen“, insbesondere in dem „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“, welches Eheschließungen und Geschlechtsverkehr zwischen Juden und „Staatsbürgern deutschen oder artverwandten Blutes“ unter Strafe stellte, und durch das „Reichsbürger-Gesetz“, wodurch die Juden zu Bürgern minderen Ranges und Rechtes erniedrigt wurden. In der Folgezeit bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges reihten sich mehr als 250 gegen die Juden gerichtete Anordnungen aneinander (Auswahl siehe Anlage 1).

Hervorzuheben ist ferner, daß der Segeberger Landrat Waldemar von Mohl in der Umsetzung der „Nürnberger Gesetze“ besonderen Eifer entwickelte. (71)

Es erscheint notwendig, mit diesem Überblick auf die Allgegenwärtigkeit des Antisemitismus jener Jahre im Lande hinzuweisen. Es war die Erfahrungswelt O. Alexanders in Bad Bramstedt. Es ist nicht klar erkennbar, ob er sich dadurch bedroht fühlte, aber anzunehmen ist, daß ihm gelegentlich Sorge und Angst heimsuchten. Dafür sprechen gewisse Versuche der Überanpassung und der Unterwerfungsbekundung gegenüber dem NS-Machtapparat. Gleichzeitig wird er versucht haben, seine eigenen Empfindungen der Gefährdung in sich herunterzuspielen, wie so viele Juden in ähnlicher Lage es taten, die nicht glauben konnten und wollten, daß ihnen von den Angehörigen des Volkes, dem sie sich zugehörig fühlten und für das sie im Ersten Weltkrieg gekämpft zu haben glaubten, daß ihnen von daher Unheil drohen könnte. Sie hielten leichtsinnigerweise manches für reinen Wortradikalismus. Auch O. Alexander scheint nicht begriffen zu haben, daß er selber mit seiner eigenen deutschnationalen Position zum Sieg des Antisemitismus beigetragen hatte.

Ist es überhaupt begründet, von einer Verdrängung aus dem Amt des Direktors der Rheumaheilstätte auf Grund seiner jüdischen Herkunft zu reden? Es gibt Zeitgenossen, die das nicht wahr haben wollen. Zu ihnen gehört einer der damaligen Ärzte. Nach ihm habe Politik, also auch Antisemitismus, „damals noch keine Rolle gespielt; das kam erst nach den Rassegesetzen.“ Er hat aber übersehen, daß die Nürnberger Rassengesetze schon im November 1935 erlassen worden sind, die Verdrängung O. Alexanders erst im folgenden Jahr geschah. (72)

Richtig ist, daß die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ erst am 12. November 1938 in Kraft trat. Aber dieser Zeitgenosse meinte auch: „Rassenhass gab es in Bad Bramstedt nicht“, und „die innere Einstellung damals hier war durchweg erträglich“, und „ich habe nie ein böses Wort über Oskar Alexander in der Belegschaft gehört.“ Ähnlich äußerte sich auch ein anderer damaliger Angestellter der Anstalt.

Unser Zeitgenosse hatte für die Verdrängung und das spätere Schicksal Alexanders eine andere Erklärung: „Hätte er sich ruhig verhalten, wäre die Gestapo gar nicht auf ihn aufmerksam geworden“, und „Oskar Alexander trat zu viel hervor, und das ist ihm schlecht bekommen“, und „er wollte immer mehr sein, als er wirklich war, hat sich immer vorgedrängt, sonst hätte er noch heute leben können.“ An diesem Punkt folgte im Interview die entlarvende Frage des Zeitgenossen: „Sagen Sie mal: Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?“

In dem vorliegenden Aktenmaterial findet diese Charakterisierung O. Alexanders keine Stütze. Träfe sie zu, hätte sein Verhalten doch mit großer Wahrscheinlichkeit zu schwereren Konflikten geführt, und diese hätten höchstwahrscheinlich wenigstens andeutungsweise in den ausführlichen Sitzungsberichten der Gesellschafter einen Niederschlag gefunden. Die Feststellungen des Zeitgenossen dürften sich am ehesten dadurch erledigen, daß man sie auf dem Hintergrund seiner Bemerkung liest, Oskar Alexander habe sterben müssen, weil er sich „immer vorgedrängt“ habe.

Im folgenden soll versucht werden, jene Vorgänge zu rekonstruieren, die zur Verdrängung O. Alexanders geführt haben. Das kann leider nur recht lückenhaft geschehen, da besonders wichtige Dokumente irgendwann, vermutlich bald nach 1945, aus der Personalakte entfernt wurden und jetzt fehlen. Auch der übrige Aktenbestand der heutigen Rheumaklinik gibt auffallend wenig Material zur Sache her.

Als wichtigste Quelle dient eine als „Vertraulich! Persönlich!“ klassifizierte Stellungnahme des Präsidenten der Versicherungsanstalt der Hansestädte, Dr. Storck, an den Landeshauptmann Röer vom 16. Dezember 1936. Sie bezieht sich auf ein Schreiben Röers vom 1.12.1936 an Dr. Storck, dem ein Schreiben der Gestapo, Staatspolizei für den Regierungsbezirk Schleswig in Kiel vom 20.11., beigefügt war. Dies letztere Schreiben ist nicht erhalten. Daß es sich primär auf O. Alexander bezog, geht aus Dr. Storcks Stellungnahme eindeutig hervor.

Schon auf der Gesellschafterversammlung am 23. Mai 1933 wurde die Frage aufgeworfen, ob der Pachtvertrag mit O. Alexander fortgeführt werden könne. Es wird nicht deutlich, welche Zweifel an einer Fortführung geltend gemacht wurden und wer sie äußerte. Es dürfte aber kaum einem Zweifel unterliegen, daß sie antisemitisch motiviert waren, da irgend etwas anderes gegen ihn nicht vorzulegen schien. Die Überlegungen führten vorerst auch noch zu keinen Veränderungen.

Noch auf der Gesellschafterversammlung am 03. August 1933 wurde beschlossen, von dem Recht des Pachtvertrages (Paragraph 13 Abs. 3), 6 Monate vor Ablauf des Vertrages die Erklärung abgeben zu können, den Betrieb in eigene Verwaltung zu übernehmen, den Pachtvertrag also zu kündigen, keinen Gebrauch zu machen. „Somit lief der Pachtvertrag automatisch bis Ende 1940 weiter“, wie es in der Niederschrift hieß.

Bald darauf trat an der Spitze der GmbH eine bedeutsame personelle Veränderung ein. An die Stelle von Senator von Pressentin trat der Kommissar für die Vereinigung von Krankenkassen Groß-Hamburg, Staatsrat Pg. Habedank, Gauamtsleiter der Deutschen Arbeitsfront in Hamburg. Neuer Geschäftsführer wurde auf Vorschlag von Habedank der Pg. Kohlberg. „Nach dieser Neuordnung stellte der Pächter Alexander den Pachtverlängerungsvertrag vom 25. August 1933 zur Verfügung.“ Darüber fand am 29. Dezember 1933 unter Teilnahme von Habedank, Bürgermeister Maas, Kohlberg und Dr. Storck eine Besprechung statt, deren Niederschrift in der Personalakte fehlt.

O. Alexander erwähnte in seinem Schreiben an Rudolf Heß vom 19.02.1936: „Bei der Machtübernahme stellte sich, obwohl mein Vertrag bis 1935 lief, meine Pacht s o f o r t (Sperrung von G.H.) zur Verfügung, ohne eine Entschädigung zu verlangen.“ Diese Verzichtserklärung scheint als („sofort“) noch vor der oben erwähnten Entschließung über die Verlängerung des Vertrages erfolgt zu sein

Über seine Motive äußerte O. Alexander nichts. Wirtschaftlicher oder finanzieller Natur waren sie wohl kaum. Eine derartige Kapitulation hätte sein bekannter kämpferischer Einsatz für Existenz und Blühen „seiner“ Rheumaheilstätte nicht zugelassen. Näher liegt die Vermutung, daß er seit der Machtübernahme erheblichen antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt gewesen ist, und daß ihm die Tragweite der Machtübernahme durch die Antisemiten mit ihren zu befürchtenden Folgen für die jüdische Bevölkerung schlagartig bewußt geworden war.

Vielleicht ist dieser erste, insbesondere aber der spätere zweite Entschluß O. Alexanders zum Verzicht unter dem Eindruck der Judenboykotte im März und April 1933 erwachsen, bestärkt möglicherweise noch durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ mit seiner Bestimmung zur Eliminierung jüdischer Beamter aus dem öffentlichen Dienst.

In diesem Zusammenhang kann auch sein Verzicht auf Entschädigung als zusätzliche Demutshandlung verstanden werden. Freilich konnte ihm ein solcher Verzicht dadurch etwas leichter fallen, als er die Möglichkeit besaß, „in das Geschäft meines Freundes Einar Juel, Großkaufmann in Kopenhagen, als Teilhaber einzutreten“ – so im Schreiben an Rudolf Heß zu lesen. Die erste Verzichtserklärung war übrigens auch der Gestapo bekannt, denn sie nahm darauf in ihrem Schreiben an Dr. Storck Bezug.

Inzwischen zog sich die Schlinge um O. Alexander immer weiter zu. Am 23. August 1935 berieten die Gesellschafter „in Verfolg der Lage, die durch den von Juden geschürten Boykott gegen Deutschland geschaffen war, über die Obliegenheiten des Pächters Alexander innerhalb des Unternehmens. “ Dabei wurde hinsichtlich der Einweisung von nicht-arischen Patienten in das Neue Kurhaus folgende Regelung getroffen:

1. Sozialversicherte können nur aus medizinischen und disziplinären Gründen und nur vom Chefarzt zurückgewiesen werden. Als medizinische Gründe gelten: „Feststellung eines ansteckenden Befundes oder eines Befundes, für den die ärztlichen Methoden und die Heilmittel des Neuen Kurhauses nicht geeignet sind.“ „Für die Zurückweisung aus disziplinären Gründen ist an sich (!) die Verwaltung, also der Pächter, zuständig.“ In Anbetracht dessen, daß der Pächter selber Jude war, wurde auch diese Befugnis dem Chefarzt übertragen.
2. Privatpatienten. „Es sind Vorkehrungen zu treffen, um die Aufnahme von nicht-arischen Privatpatienten zu verhüten. Das muß mit Mitteln geschehen, die den wirtschaftlichen Belangen unserer GmbH Rechnung tragen. Wilden Aktionen und Belästigungen von Kurgästen ist in schärfster Weise entgegenzutreten. Bei der Ausfüllung des Aufnahmebogens muß an den Aufnahmesuchenden die Frage gestellt werden, ob er Arier ist. Wird die Frage verneint, so ist ihm in taktvoller Weise zu bedeuten, daß er nicht aufgenommen werden kann. Wenn trotz der Bejahung der Frage Anlaß zu Zweifeln gegeben ist, ist der Aufnahmesuchende um Unterlagen zu ersuchen.“

Für entsprechende Verhandlungen mit den Patienten wurde der im Büro des Neuen Kurhauses tätige Herr Maibauer vorgeschlagen. Sollte bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe ein Wechsel notwendig werden, so darf dieser nur im Einvernehmen mit Bürgermeister Utermarck vorgenommen werden. Der Stelleninhaber war also offenbar zugleich ein Kontrollposten des nationalistischen Bürgermeisters. Im übrigen soll, um allen Zweifel auszuschließen, die bei der Aufnahme zu stellende Frage nicht auf „Nicht-Arier“, sondern auf „Jude“ lauten.

Die „wirtschaftlichen Belange“ der Rheumaheilstätte schienen also durch den Verzicht auf jüdische Privatpatienten weniger berührt als durch etwaige, andere Patienten abschreckende und damit geschäftsschädigende rüde Maßnahmen und Vorkommnisse. Die Fassade der Anstalt sollte klinisch sauber bleiben.

Weiter wurde vereinbart: „Hinsichtlich der im Orte in Privatpensionen wohnenden und nur die Badeeinrichtungen des Neuen Kurhauses benutzenden nicht-arischen Patienten ist es Sache der Stadt, geeignete Maßnahmen zu treffen.“ Chefarzt Dr. Paulus bot der Stadt aber seine Dienste als Denunziant an. Er werde „seine Beobachtungen auf nicht-arische Abstammung bei den betreffenden Patienten Bürgermeister Utermarck mitteilen.“

Auf eben dieser Gesellschafterversammlung wurde O. Alexander noch weiter auf diskriminierende Weise entrechtet und entmachtet. Er mußte sein Amt als Betriebsführer an den Geschäftsführer der GmbH, Kassendirektor Hans Blobel, abgeben. An dessen Stelle trat jedoch bald schon Chefarzt Dr. Paulus, da dieser „mit der Gefolgschaft durch Gemeinschaftsarbeit verbunden ist.“ Auch die Behandlung von Beschwerden wurde O. Alexander entzogen und dem Chefarzt übertragen. (Die entsprechende Niederschrift fehlt in der Akte.)

Dieses beschämende Verhalten gegenüber O. Alexander scheint von allen Gesellschaftern getragen zu sein. Insbesondere fehlt jede Andeutung einer noblen Geste von Seiten des Chefarztes Dr. Paulus. Schon an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß Dr. Paulus sich in einer 1956 erschienen Broschüre der Rheumaheilstätte damit brüstet, er habe mit O. Alexander „immer im besten Einvernehmen gestanden.“

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Die Frage einer etwaigen Trennung der GmbH von O. Alexander im Jahre 1936 wurde „nach der rechtlichen und persönlichen Seite geprüft.“ In rechtlicher Hinsicht sahen die Gesellschafter Schwierigkeiten, da der Pächter gegen seine Verpflichtungen nicht verstoßen habe. „Die persönlichen Verhältnisse des Alexander (zu beachten ist die nun gebräuchlich gewordene respektlose Formulierung; G.H.) wurden genau geprüft.“ Gemeint war damit nicht anderes, als die Tatsache seines Judeseins.

Schon auf dieser Sitzung erwies sich, daß Rechtsanwalt Dr. Krumbeck, damals bereits Bürgermeister der Stadt Elmshorn, sich eingehend mit O. Alexander beschäftigt hatte, denn er war in der Lage, einen „eingehenden Bericht über die Person des Alexanders“ abzugeben. Dieser sei, so betonte er, ein „echter Frontsoldat“ und „als Gefreiter mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet.“ Außerdem trage er das Verwundetenabzeichen.

Deutlich ist hier die Analogie zum „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ herauszuhören, wonach Juden, sofern sie Frontsoldaten des Ersten Weltkrieges waren, den Beamtenstatus vorerst behalten konnten. Diese Ausnahmeregelung wollte man, wohl auf rechtskundige Empfehlung, auch auf O. Alexander angewendet wissen. Beachtenswert erscheint auch, daß nach dieser Grundeinstellung, die in Deutschland Tradition hat, die abgeleistete Militärdienstzeit und mehr noch der Fronteinsatz im Krieg den gesellschaftlichen Wert eines Menschen entscheidend erhöht.

Möglicherweise wußte Dr. Krumbeck aber auch von einem Erlaß der Minister für Wirtschaft, Propaganda und Inneres, nach welcher „die Durchführung der Arier-Gesetzgebung Angelegenheit der Reichsregierung und der Behörden ist, und daß der sogenannte Arier-Paragraph in der gewerblichen Wirtschaft keine Anwendung finden soll.“ (73)

Doch die Gesellschafter bekamen am 16. Dezember 1936 nicht nur die mündlichen Ausführungen Dr. Krumbecks zu Gehör. Diese wurden gestützt und wohl auch erweitert durch die „Anlagen 3 und 4“. Und ferner: „Auf die Eigenschaft des Alexander als Jude beziehen sich auch die als Anlagen 5 und 6 beigefügten Schriftstücke.“ Diese sicher sehr aufschlußreichen Dokumente befinden sich ebenfalls nicht mehr bei den Akten. Vermutlich sind sie einer Reinigungs- und Entlastungsaktion maßgeblicher Kreise in der Rheuma-Klinik und /oder der Stadt zum Opfer gefallen.

Nach der Versammlung wurde der gesamte Komplex noch einmal „unter Hinzuziehung des Verwaltungsdirektors Kähler, Landesversicherungsanstalt der Hansestädte, Ehrenzeichen-Träger (=wahrscheinlich Goldenes Parteizeichen der NSDAP; G.H.) durchgesprochen. Auch hierzu fehlen die Anlagen 10-13.

Sogar die Mitbenutzung des Kraftwagens O. Alexanders wurde nun als unzumutbar empfunden. „Um jede auch nur mittelbare Abhängigkeit von Alexander zu vermeiden“, wurde schon im Januar 1935 eine andere Lösung für die Ärzte des Kurhauses gefunden.

Auch auf der Gesellschafterversammlung am 13. Dezember 1935 kam die nicht-arische Abstammung O. Alexanders zur Sprache, diesmal durch den zu dieser Sitzung aus Berlin angereisten Vertreter des Reichsverbandes der Ortskrankenkassen e.V., Herrn Behrens. Dieser Tatbestand, die jüdische Abstammung des Pächters, war für den Direktor des Reichsverbandes, Herrn Obst, der Anlaß gewesen, einen Ausbildungskursus für Krankenkassenleiter in Bad Bramstedt zu verhindern.

Dr. Storck gab dazu erläuternde Erklärungen ab. Er verwies auf die schon im Jahre 1933 erfolgte „eingehende Prüfung“ und auf die demütigende Entrechtung O. Alexanders. Auf Anregung von Herrn Behrens sagte er zu, bei seiner nächsten Anwesenheit in Berlin den Oberregierungsrat Martin eingehend über die Sachlage zu unterrichten.

Inzwischen hatte auch die Arbeitsgemeinschaft der Berufskrankenkassen für kaufmännische Gehilfen und weibliche Angestellte in Hamburg Bedenken gegen eine weitere Verwendung von O. Alexander vorgebracht, (74) wobei auch Minister a.D. Dr. Walter vom Hauptamt für Volkswohlfahrt in Berlin nicht unbeteiligt geblieben war.

Eine weitere Besprechung fand zwischen Dr. Schmidt und dem Treuhänder der Arbeit für den Bezirk Nordmark, Dr. Völtzer, statt, mit dem Ergebnis, daß Völtzer sofort beim Reichsministerium anrief. Von dem dortigen Sachbearbeiter, Ministerialrat Pohl, erhielt er die Auskunft, daß, gemünzt auf O. Alexander, Verträge zu halten seien. Argwöhnisch fragte dieser aber nach, ob es denn in dieser Beziehung Schwierigkeiten gebe und von welcher Seite sie kommen. Man werde gegenüber den Krankenkassen gegebenenfalls sogleich einschreiten. Die Gauleiter seien dafür verantwortlich, „daß der Rechtsboden auf alle Fälle gewahrt wird.“ Eine nicht näher bezeichnete Krankenkasse habe man inzwischen veranlaßt, dem Fortbestand des Pachtvertrages mit O. Alexander doch noch zuzustimmen. Im übrigen sei „das Zusammensein mit Direktor Alexander nur rein dienstlicher Art; er nähme auch alles mit feinem Taktgefühl auf.“

Sodann wurden weitere „vertrauliche Mitteilungen über die Abstammung von Direktor Alexander gemacht, der Frontkämpfer ist und dessen Sohn (Robert; G.H.) im Spätherbst nach eingehender Prüfung durch die zuständigen Instanzen zum einjährigen Militärdienst eingezogen ist.“ (75) (Die Einberufung erfolgte jedoch als Freiwilliger, wie O. Alexander dem Stellvertreter des Führer mitteilte.)

In diesem Zusammenhang meldeten sich unter den Gesellschaftern im Dezember 1935 plötzlich Bedenken, ob es sich bei O. Alexander überhaupt um einen „Volljuden“ handle. Diese Sache sollte nun einer weiteren Prüfung unterzogen werden. Landesrat Gehlsen konnte aber mitteilen, daß Rechtsanwalt Krumbeck bereits 1933 einen Familienstammbaum der Familie Alexander „mitgeteilt habe.“ Vorgelegen hat er den Gesellschaftern anscheinend nicht.

Bürgermeister Utermarck hielt es für eine moralische Pflicht, Direktor Alexander zu helfen, „weil er seinerzeit sein eigenes Kapital in den Betrieb hineingesteckt und damit überhaupt erst den Pachtbetrieb der Rheumaheilstätte in Gang gebracht habe.“

Abschließend versicherte Dr. Storck, daß zwischen den Ärzten und dem Direktor nur dienstliche und geschäftliche, aber keine persönlichen Beziehungen bestehen; auch der Kraftwagen dürfe von ihnen nicht kostenlos benutzt werden. gez. Dr. Storck, gez. Blobel.“

Dann folgte O. Alexanders Brief an den „Stellvertreter des Führers, Herrn Reichsminister Rudolf Hess“ vom 19. Februar 1936. Eingangs teilt er seinem Adressaten den Anlaß seines Schreibens mit: „Es ist mir bekanntgeworden, daß der Vorsitzende der Rheumaheilstätte Bad Bramstedt GmbH . . . Herr Dr. Storck, in der letzten Zeit angegriffen worden ist, weil er mit mir, einem Nicht-Arier, den Pachtvertrag für das Neue Kurhaus in Bad Bramstedt in Holstein, bis 1940 verlängert hat.“ Die Angriffe werden jedoch nicht näher beschrieben.

Er versichert, er selber sei „noch niemals von irgendeiner Seite angegriffen worden.“ Jedoch – „da es mir unerträglich ist, daß ein hoher Beamter als mein Vertragspartner Schwierigkeiten hat, wende ich mich an Sie im Vertrauen auf ihre mehrfach geäußerte Bereitschaft, jeden Deutschen anzuhören.“ Hier treffen wir auf jene im Volk allgemein verbreitete Vorstellung von Rudolf Hess als dem volksnahen Fürsprecher für jedermann an der Seite des so weit entrückten Führers Adolf Hitler. Sehr viele „Volksgenossen“, die sich von mancher Bedrückung und Enttäuschung heimgesucht glaubten, hatten sich in diesem Vertrauen an Hitler biederen Paladin gewandt.

„Jeden Deutschen “ – daß O. Alexander sich hier einzureihen wagt, erscheint nach allen inzwischen bekannten Reden, Maßnahmen und Ausschreitungen gegen Juden recht naiv.

Es folgen dann ein kurzer Abriß seines Lebenslaufes mit besonderer Betonung seines Kriegseinsatzes, sein Engagement für die Rheumaheilstätte und seine entschiedene Gegnerschaft zur Sozialdemokratie. Auch seien die „neuen Herren“ seiner Initiative „in einem ganz anderen Maße gerecht geworden“ als die früheren, weshalb ihm auch die Pachtverlängerung bis 1940 angeboten worden sei.

Ausführlich verbreitet er sich dann über Funktion, Ausstattung und die vielen Vorzüge der Bad Bramstedter Anstalt, vergißt auch nicht den deutlichen Hinweis auf seine besonderen finanziellen Opfer bei diesem großen Werk und auf die in letzter Zeit von ihm geknüpften geschäftlichen Verbindungen mit dem Ausland.

Obgleich er kurz zuvor die demütigenden Maßnahmen gegen sich hatte hinnehmen müssen, beteuert er doch gegenüber Rudolf Hess: „Mein Verhältnis zu der Verpächterin der Rheumaheilstätte . . . ist das denkbar beste und auf gegenseitiges Vertrauen aufgebaut“, Formulierungen, die das ganze Schreiben zu einem Bettelbrief degradieren, der dem stolzen Mann mit dem Eisernen Kreuz und anderen Kriegsauszeichnungen sicher nicht leichtgefallen ist. Aber er will etwas erreichen:

„Leider bin ich heute, nachdem ich restlos mein Vermögen für den Ausbau des Kurhauses geopfert und schwere Schulden gemacht habe, nicht mehr in der Lage, meinen Pachtvertrag einfach zur Verfügung zu stellen, wie ich dieses 1933 noch getan habe.“ Daraus folgt, daß die automatische Verlängerung des Pachtvertrages nachträglich doch in Frage gestellt worden sein muß, was dann auch bald schon zu konkreten Schritten führte.

Erschütternd sind die weiteren Versuche des in die Enge getriebenen Mannes, den Minister in Berlin für sich einzunehmen: „Auf der anderen Seite ist es mir ebenso unmöglich, unter den obwaltenden Umständen weiter zu arbeiten. Der Gedanke, daß ein anderer wegen meiner Unannehmlichkeiten haben könnte, lähmt seit einiger Zeit meine Entschlußkraft, meinen Unternehmungsgeist und meine Arbeitskraft, die ich unversehrt täglich einsetzen muß.“

Er zeigte seine ganze entwürdigte Existenz gewissermaßen als Selbstempfehlung vor. „Ich habe nur die geschäftliche Leitung des Hauses; mit den Patienten komme ich nicht zusammen. Die Ärzte unterstehen nicht mir, sondern der Rheumaheilstätte GmbH Bad Bramstedt. Aus diesem Grunde ist die Betriebsführerschaft unserem Chefarzt, Herrn Dr. Paulus, übertragen worden.“

Dieses Dokument der durch die Verhältnisse in der Anstalt, in der GmbH und in der Stadt erzwungenen Selbstdemütigung endet folgendermaßen: „Ich bitte jetzt, eine klare Entscheidung zu fällen. Wenn die oberste Instanz glaubt, daß ich weiter als Pächter hier tätig sein kann, so ist damit allen Angriffen die Spitze abgebrochen, glaubt aber diese Instanz, daß dieses unter den obwaltenden Verhältnissen nicht möglich sein wird, dann muß ich gehen und es muß eine Liquidation stattfinden. Ich bitte, sich über die in diesem Schreiben niedergelegten Tatsachen hinsichtlich meiner Person wie auch meines Betriebes bei der hiesigen Ortsgruppe der NSDAP und dem Bürgermeister zu erkundigen.

Für Auskunftserteilung gebe ich weiter auf: Herrn Oberbürgermeister Maas, Emden, den früheren Bürgermeister von Bad Bramstedt. Ich bin durchaus bereit, für meine Person die Konsequenzen aus der schwierigen Lage zu ziehen, wenn es auch begreiflich ist, daß es mir schwerfällt, ein Werk zu verlassen, das ich als meine Lebensaufgabe betrachtet und dem ich die besten Jahre meines Lebens gewidmet habe, und das jetzt endlich seiner Vollendung entgegengeht. Ich wäre Ihnen daher ganz außerordentlich dankbar, wenn Sie, sehr verehrter Herr Reichsminister, sich der Mühe unterziehen würden, meine Angaben zu prüfen und im Interesse meines Werkes, meiner Gefolgschaft und meiner Gläubiger eine Entscheidung fällen.“

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Die Dienststelle des Ministers Hess, Reichsleitung der NSDAP in München, schaltete den Reichsärzteführer (Dr. G. Wagner) zur Begutachtung ein. In dessen Auftrag übersandte das Hauptamt für Volksgesundheit am 04. März 1936 das Schreiben O. Alexanders an dessen Vorgesetzten Dr. Storck, versehen mit der Frage: „Treffen die Angabe in dem Schreiben zu?“ In der Sache selbst fand man nichts dagegen einzuwenden, wenn dierein wirtschaftliche (Unterstreichung im Original) Leitung in den Händen von Alexander bleibe, sofern die deutschen Patienten ausschließlich von deutschen Ärzten betreut werden. Dieser Standpunkt entspreche der geltenden Gesetzgebung, nach welcher „dem Nichtarier ohne zwingenden Grund keine wirtschaftlichen (Unterstr.i.Orig.) Schwierigkeiten gemacht werden sollen.“

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Wiederum fehlt in der Personalakte die Anlage 18 mit Dr. Storcks Stellungnahme gegenüber dem Hauptamt für Volksgesundheit. Daß Dr. Storck über dieses Schreiben O. Alexanders verärgert gewesen ist, ergibt sich aus einem Handschreiben O. Alexanders an seinen Vorgesetzten vom 11. März 1936: „Ich bedaure, daß sie sich darüber geärgert haben, daß ich Ihren Namen darin genannt habe und zwar, wie Sie glauben, in mißverständlicher Weise. Es beruhigt mich dagegen, daß Sie anerkennen, daß dieses nicht von mir beabsichtigt gewesen ist. Tatsächlich war ich bei der Abfassung der festen Meinung, daß es sich nur um mich handle; zum Schluß wenigstens konnte hierüber kein Zweifel bestehen. Ich hatte Ihnen vorher nichts von dieser Eingabe gesagt. Allein (Unterstr.i.Orig.) wollte ich die Verantwortung und die Konsequenzen daraus tragen; ich wollte und mußte auf alle Fälle die Klärung einer Lage herbeiführen, die nicht länger für einen aufrechten Mann tragbar war.

Im übrigen bedaure ich es, daß in der letzten Zeit verschiedene Meinungsverschiedenheiten und Mißverständnisse zwischen uns eingetreten sind, die ich nicht gewollt habe. Meine Arbeit ist in den letzten Jahren karg an Freuden, aber reich an Bitternis gewesen. Darum müssen mich solche Trübungen unseres guten Verhältnisses, aus dem mir immer neue Kräfte zugeflossen sind, besonders hart treffen. Heil Hitler. Alexander.“

Aus diesen Zeilen fällt viel Licht auf die wirklichen Gegebenheiten am Ort. Dr. Storck scheint nach Untertanenart starkes Unbehagen bei der Vorstellung empfunden zu haben, im Zusammenhang mit einer Juden-Angelegenheit an höchster Stelle aktenkundig geworden zu sein. O. Alexander schien zu wissen, daß er sich mit seiner Bittschrift der Höhle des Löwen näherte, von wo er mit „Konsequenzen“ zu rechnen habe, die es dann zu „tragen“ gelte.

Was ihm „in den letzten Jahren“ – das heißt doch wohl seit der Machtübernahme 1933 – angetan wurde, und was er „alles mit feinem Taktgefühl“ aufgenommen habe, ist nicht in Einklang zu bringen mit seiner Beteuerung des „denkbar besten“ Verhältnisses zur Verpächterin und des bestehenden gegenseitigen Vertrauens an der Rheumaheilstätte. Hinter diesen unterwürfigen Formulierungen verbirgt sich die tiefe Verletzung dieses „aufrechten Mannes“, melden sich die wirklichen äußeren und inneren Vorgänge, die Bitternis und die ihn hart treffenden „Trübungen“ des Verhältnisses während der letzten Jahre.

Die sich mehr und mehr abzeichnenden Bestrebungen, O. Alexander vollständig zu verdrängen, ließen sich nicht mehr aufhalten. Auf Veranlassung der Stadtsparkasse Bad Bramstedt und des Bürgermeisters Pg. Utermarck wurde der Pachtvertrag Ende 1935 durch den Wirtschaftsprüfer Fock aus Hamburg unter die Lupe genommen. Dessen Bericht ließ die wirtschaftliche Lage des Unternehmens als so ernst erscheinen, daß eine eingehende Prüfung durch die Rechnungsdirektoren der Landesversicherungsanstalten der Hansestädte und Schleswig-Holsteins veranlaßt wurde. (Wieder fehlen die dazu gehörenden Anlagen 19 und 20 mit dem Ergebnis dieser Prüfung.)

Auf Grund des Prüfungsergebnisses wurde dem Pächter auferlegt, ganz bestimmte Sparmaßnahmen durchzuführen – dazu die fehlende Anlage 21 – u.a. die Einführung einer Arztgebühr von 20,- RM und damit eine Erhöhung des Tagessatzes für die Patienten. Darüber hinaus wurde auf der Gesellschafterversammlung am 20. Mai 1936 die Frage der Wirtschaftlichkeit erneut besprochen mit dem Ergebnis „daß die wirtschaftliche Lage des Unternehmens es erforderlich macht, den Pachtvertrag möglichst zum 01. Juni 1936 zu lösen.“

Als entscheidenden Grund dafür befand man, „daß Alexander nach den bisherigen Erfahrungen nicht imstande war, die notwendigen Sparmaßnahmen nachhaltig durchzuführen.“

Als tieferer, „wesentlicher“ Grund wurde aber nachgeschoben, „daß Alexander als Nicht-Arier unberechtigte Forderungen der verschiedensten Art nicht mit Nachdruck behandeln konnte, wie es bei der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens erforderlich gewesen wäre.“ Das heißt: ein „Arier“ mit den gleichen Qualifikationen hätte die objektiv gegebenen Schwierigkeiten sehr wohl bewältigen können. Als unüberwindbar erschienen sie erst dadurch, daß gewisse Geschäftspartner der Rheumaheilstätte absichtlich Schwierigkeiten verursachten, weil sie es mit einem Juden als Partner und Gläubiger zu tun hatten. Anders ausgedrückt: Man setzte Pressionen gegen das Unternehmen ein mit dem Ziel, den unliebsamen Juden untragbar erscheinen zu lassen und damit auszuschalten.

Alles spricht dafür, daß dieser Druck – zumindest auch – von der Stadtsparkasse kam, die ja diese neuerliche Unternehmensprüfung veranlaßt hatte, und von den nationalsozialistisch geführten Versicherungsanstalten, die es ja in der Hand hatten, wie gut oder wie schlecht sie das Haus in Bad Bramstedt mit Patienten belegen wollten.

Den Vorsitz im Vorstand der Stadtsparkasse (heute Kreissparkasse) führte ab 1934 kraft Amtes Bürgermeister Utermarck. Ab 01.08.1934 wurden die Vorstandsmitglieder nicht mehr gewählt, sondern gemäß dem Führerprinzip vom Vorsitzenden, also dem Bürgermeister, ernannt. Am 11.02.1935 wurde der Vorstand mit dem Vorsitzenden von 4 auf 7 Personen erweitert. Der Bürgermeister ernannte 6 Personen, über dessen nationalsozialistische Linientreue kein Zweifel bestehen konnte: August Hornung (Kassenwart der Ortskrankenkasse), Hans Dehn (Gastwirt), Sophus Bornhöft, Friedrich Dibbern (Landwirt), Rudolf Kiel (Klempnermeister) und Alfred Jensen (Rechtsanwalt und Notar). (76)

Der Beschluß zur Auflösung des Pachtvertrages war der Anlaß für O. Alexander, seinen lebenslaufähnlichen Text „Mein Wirken in Bad Bramstedt 1918-1936“ vom 23. Mai 1936 zu verfassen und den Gesellschaftern vorzulegen. Darin sah er die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die keineswegs unüberwindlich waren, vor allem durch drei Faktoren verursacht, von denen keinen er selber zu verantworten hatte:

1. Die Kosten für Reparaturen am Neubau. Diese dürften im Normalfall höchstens 3 – 5 Pfennige pro Kubikmeter ausmachen. Hier beliefen sie sich auf 24 Pfennige.
2. Die von den Versicherungsträgern veranlaßte viel zu große Dimensionierung des Baues, der dann nur schwer mit genügend viel Patienten zu belegen war.
3. Der Ausbau des ärztlichen Apparates und die Erhöhung der Arztgebühren.

Niemand anders hätte diese Schwierigkeiten besser meistern können als O. Alexander mit seinen hervorragend bewährten Qualifikationen und Verbindungen und mit dem Eifer, den er in „sein Lebenswerk“ investiert hatte. Die Unüberwindbarkeit der Schwierigkeiten war vorgeschoben. Mit vollem Recht verwies O. Alexander auf seine, allein von ihm selber betriebene überaus wirksame Werbetätigkeit im In- und Ausland. Zudem ist der Statistik über die aufgenommene Patientenzahl ein eindeutiger Beleg dafür, daß sich die Klinik wirtschaftlich im Aufwind befand: von 1952 Patienten im Jahre 1932 auf 3654 Patienten im Jahre 1935.

Auch Krane stellte 1979 diesen Trend heraus und begründet ihn mit den intensiven Werbeaktivitäten des Direktors, der Zunahme der Patienten und dem Rückgang der Arbeitslosigkeit.

In dem oben erwähnten emsigen Bemühen, einen Abstammungsnachweis von O. Alexander zu erhalten, muß man wohl eine Vorbereitung auf seine Verdrängung erblicken. Die auf der Gesellschaftsversammlung am 23.08.1935 getroffenen antisemitischen Maßnahmen waren auch Gegenstand der Sitzung der städtischen Beigeordneten an demselben Tag. Man darf annehmen, daß auch dabei ähnliche Beschlüsse gefaßt worden sind. (77)

Am 10. Februar 1936 bat Dr. Storck den Geschäftsführer der Rheumaheilstätte, Hans Blobel, den Direktor Alexander aufzufordern, „möglichst bald die notwendigen Urkunden herbeizuschaffen“, um eine Klärung der Abstammungsfrage zu ermöglichen. Eventuell müsse er einen Ahnenforscher damit beauftragen. Diese aufwendige Prozedur konnte nur den Zweck haben, O. Alexander noch weiter zu demütigen und zu entmutigen, denn sie war völlig überflüssig, hatte dieser doch von sich aus bei mehreren Gelegenheiten auf seine „nicht-arische Abstammung“ hingewiesen, u.a. gegenüber Rudolf Hess.

Am 14. Februar 1936 ließ O. Alexander über Blobel den Präsidenten Dr. Storck um eine „Rücksprache in eigener Angelegenheit“ bitten. Er verbinde das mit dem Wunsch, „auch einmal ungestört Zeit dazu zu haben.“ Es ist nicht bekannt, ob ein solches Gespräch stattgefunden hat.

Am darauf folgenden Tag ließ Dr. Storck über Blobel den Direktor zur Eile bei der Beschaffung der geforderten Dokumente mahnen. Am 25. Februar versicherte O. Alexander dem Geschäftsführer Blobel, es sei nicht ganz einfach, die Urkunden zu beschaffen. Sollten seine Bemühungen nicht zum Ziele führen, werde er einen Ahnenforscher engagieren. Und um die ihn bedrängenden Vorgesetzten etwas zu beruhigen, fügte er hinzu, er sei ja schon 1931 aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten und habe so gut wie keinen Kontakt zu jüdischen Menschen unterhalten.

Auch von Seiten der Partei wurde nun Druck ausgeübt. Am 17. Februar 1936 bat Ortsgruppenleiter Schlichting den Präsidenten „in gegebener Veranlassung“ um einen Termin, um die „politische Stellung des Herrn Direktor Alexander“ mit ihm zu klären. Am 28. Februar fand diese Besprechung in Lübeck statt. Mit „politischer Stellung“ kann wohl nur die jüdische Abstammung O. Alexanders gemeint gewesen sein, denn andere, wirklich politische Differenzen sind nie erkennbar gewesen.

Am 18. Februar bemühte sich auch Bürgermeister Utermarck um einen Termin bei Dr. Storck, ohne daß ein solcher jedoch terminiert wurde.

Die Gesellschafter waren sich, belehrt auch durch den Reichsärzteführer, bewußt, daß die Lösung des Pachtvertrages nur im Einvernehmen mit dem Pächter möglich war. Eine einseitige Lösung hätte einen Rechtsstreit zur Folge gehabt, dessen Ausgang zweifelhaft erschien. „Jedenfalls mußte versucht werden, gerade in der Hauptbelegungszeit das Unternehmen vor den Auswirkungen, die ein Rechtsstreit zwischen Verpächter und Pächter haben mußte, zu bewahren.“

Die Bedingungen für die Auflösung des Pachtverhältnisses sahen vor:

1. „Zur Auflösung des Pachtvertrages bis Ende des Jahres eine monatliche Zuwendung von 500,- RM. Ob und wie lange eine Weiterzahlung dieses Betrages danach geleistet werden sollte, wurde einer späteren Beratung vorbehalten, die bis Ende 1936 indessen nicht stattfand.
2. Das O. Alexander gehörende Grundstück mit dem Kurhaus An den Auen ging auf die Rheumaheilstätte über. Auch das gesamte, dem Pächter gehörende Inventar im Neuen Kurhaus wie im Kurhaus An den Auen mit einem Schätzwert von 70.000,- RM wurde von der Gesellschaft „im Verrechnungswege“ übernommen. Ohne dieses Inventar, so stellte Dr. Storck fest, wäre der Betrieb der Rheumaheilstätte nicht weiter zu führen gewesen. Und er fügte hinzu, daß sich das Inventar dank der ganz ungewöhnlich guten Wirtschaft des Direktors „in einem anerkannt mustergültigen Zustand“ befinde.
3. Die Durchführung der Werbung der besonders wichtigen Privatpatienten sollte bis zum Ablauf des Pachtvertrages 1940 in der Hand O. Alexanders bleiben, da dieser den umfangreichen und sehr bewährten Apparat dazu aufgebaut habe. Nur durfte O. Alexander (als Jude) dabei selber nicht „unmittelbar werbend in Erscheinung“ treten. Entscheidend war, daß die Übertragung der Werbung eine erhebliche Kosteneinsparung für das Unternehmen bedeutete. Denn eine Gegenüberstellung der Kosten und des Gewinnes im Werbungsbereich unter Alexander zeigte, „daß seine gesamten Aufwendungen seine Einnahmen . . . vollkommen aufzehren.“
4. Abzuschließen sei ein Vertrag über die „Moorsalzquellpaste“, auf die später einzugehen sein wird, und
5. Über O. Alexanders Erfindung des „Schwingweges“, der ebenfalls später behandelt werden soll.

Abschließend kam Dr. Storck auf den eingangs genannten Bericht der Gestapo zurück, in welchem auf bestimmte Gerüchte hingewiesen wurde, zu dem sich freilich nach Storcks Auffassung die in dem Schreiben genannten Persönlichkeiten selber zu äußern hätten. Weitere Einzelheiten wurden nicht mitgeteilt. Dr. Storck führte dann aber aus: „Was mich anlangt, so erkläre ich, daß ich außerhalb meiner amtlichen Tätigkeit als Vorsitzender der Gesellschafterversammlung keine Beziehungen zu Alexander habe.“ Daraus mag man schließen, daß jene „Gerüchte“ sich auf das Verhältnis Alexander – Storck bezogen haben und das höchstwahrscheinlich mit dem Ziel, Dr. Storck zu einer schnelleren Trennung der Gesellschaft von O. Alexander anzutreiben. Dr. Storck beteuerte dann sehr emphatisch, daß alle seine Maßnahmen allein dem Wohle des Unternehmens und einer guten Gesundheitsfürsorge gedient hätten. Dabei rechtfertigte er nochmals, weil das wohl den Kein der „Gerüchte“ traf, daß es seinerzeit für eine vorzeitige Auflösung des Pachtvertrages keine Rechtsgrundlage gegeben habe und daß der diesbezügliche Beschluß „nach eingehender Prüfung durch Staatsrat Habedank . . . und von Pg. Kohlberg als Geschäftsführer Ende 1933 gebilligt worden“ sei. Dies alles „halte jeder Prüfung stand.“

Man mag fragen, warum O. Alexander auf die für ihn äußerst ungünstige Vertragsauflösung eingegangen ist. Er hatte doch das Recht auf seiner Seite und hätte seine Stellung mit guter Aussicht auf Erfolg auch vor Gericht verteidigen können.

Was ihn daran hinderte, ist den angeführten und zitierten Dokumenten, vor allem aber dem hinter denselben spürbaren drohenden Hintergrund zu entnehmen. Die offenen oder versteckten Anfeindungen sind vermutlich viel gravierender gewesen, als es in den Akten zutage tritt. Und er mußte erwarten, daß sie sich noch erheblich würden steigern können. Dieser zermürbenden, institutionalisierten Entwürdigung vermochte er nicht mehr standzuhalten. Die Verursacher und Hintermänner des Kesseltreibens nahmen in Bad Bramstedt vorweg, was die nationalsozialistische Führung erst zwei Jahre später, nach den Pogromen des 9./10. November 1938 reichsweit verfügte. Die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938“ verfügte: Par. 2 Ein Jude kann vom 1. Januar 1939 ab nicht mehr Betriebsführer im Sinne des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934 sein. Ist ein Jude als leitender Angestellter in einem Wirtschaftsunternehmen tätig, so kann ihm mit einer Frist von sechs Wochen gekündigt werden. Mit Ablauf der Kündigungsfrist erlöschen alle Ansprüche des Dienstverpflichteten aus dem gekündigten Vertrage, insbesondere auch Ansprüche auf Versorgungsbezüge und Abfindungen.

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Die Übertragung der Werbeleitung an O. Alexander war von nur sehr kurzer Dauer. Schon Ende desselben Jahres wurde sie widerrufen. Offenbar hatte sich auch dagegen alsbald Widerspruch erhoben.

In einem Geheimschreiben vom 19. Juli 1937 bezog sich der schleswig-holsteinische Oberpräsident Hinrich Lohse auf die Einsetzung „des Juden Oskar Alexander zum Werbeleiter für das Bad.“ Er beanstandete: „Die Verwendung eines Juden als Werbeleiter für ein deutsches Bad, insbesondere für das vorwiegend aus öffentlichen Mitteln betriebene Bad Bramstedt, ist unmöglich und mit nationalsozialistischen Grundsätzen nicht zu vereinbaren. Ich ersuche deshalb, zu erwirken, daß der Vertrag . . . gelöst wird.“

In einem Briefentwurf Dr. Storcks vom 04. August 1937 als Äußerung zu Lohses Schreiben findet sich der Hinweis, daß die Vereinbarung zur Beschäftigung O. Alexanders als Werbeleiter „bereits seit Ende 1936 außer Kraft sei.“ Es hatte also dem Drängen von höherer Stelle gar nicht bedurft.

Weiter verlangte Lohse Aufklärung darüber, warum Landeshauptmann Röer im August 1933 der Verlängerung des Pachtvertrages zugestimmt und sich nicht für die Annahme des Angebotes Alexanders eingesetzt habe, seinen Vertrag entschädigungslos zur Verfügung zu stellen.

In Storcks Äußerungsentwurf wird dazu entgegnet, nicht Landeshauptmann Röer habe an jener Beschlußfassung teilgenommen, sondern Landesrat Gehlsen als Vertreter der LVA Schleswig-Holstein. Zudem sei der Vorgang damals durch die Pg. Habedank und Kohlberg geprüft und als solide und nicht zu beanstanden befunden worden. Dr. Storck legte seinen Entwurf dem Landeshauptmann Röer vor. Über das weitere Vorgehen ist nichts bekannt.

Wenn O. Alexander von Seiten des Geschäftsführers Blobel offenbar keinerlei Hilfe zu erwarten hatte, so ist das kaum mit dessen Angst vor der Gestapo zu begründen. Dazu bestand bei ihm kein erkennbarer Anlaß. Es war eher seine Dienstfertigkeit im Vollzug nationalsozialistischer Maßnahmen. Hier ein Beispiel aus dem Jahre 1937:

Aus den wenigen hier zitierten Aktenstücken geht anscheinend hervor, daß O. Alexander, solange er noch im Neuen Kurhaus wohnte, eine gewisse Art „Bedienung“ durch die an der Anstalt angestellte Frau Trost in Anspruch nahm. Die Ortsgruppe der NSDAP in Bad Bramstedt nahm daran Anstoß und besann sich auf das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ vom 15. September 1935, dessen Paragraph 3 lautete: „Juden dürfen weibliche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes unter 45 Jahren in Ihrem Haushalt nicht beschäftigen.“ Und Paragraph 12 bestimmte: „Abs. 1. Ein Haushalt ist jüdisch, wenn ein jüdischer Mann Haushaltsvorstand ist oder der Hausgemeinschaft angehört. Abs. 2. Im Haushalt beschäftigt ist, wer im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses in die Hausgemeinschaft aufgenommen ist oder wer mit alltäglichen Haushaltsarbeiten oder mit anderen alltäglichen, mit dem Haushalt in Verbindung stehende Arbeiten beschäftigt ist.“ Es ist leider nicht feststellbar, ob Frau Trost diese Voraussetzungen erfüllte.

Auf der Gesellschafterversammlung am 14. Februar 1937 war, anscheinend durch Bürgermeister Utermarck, auf diesen Sachverhalt hingewiesen worden. Letzterer hatte von einem ganzen „Schriftwechsel“ gesprochen, der in dieser Angelegenheit bei ihm und bei der Ortsgruppe der NSDAP angewachsen sei.

Am 24. Februar 1937 bat Blobel den Bürgermeister schriftlich, dem Landeshauptmann Röer diese Unterlagen zuzuleiten. Utermarck antwortete am 10. März, die fraglichen Vorgänge seien bereits dem Landrat v. Mohl in Bad Segeberg übergeben worden. Dieser habe inzwischen Frau Trost ein entsprechendes Verbot ausgesprochen. Utermarck weiter: „Infolge des baldigen Fortzuges des Direktors Alexander dürfte die Angelegenheit aber erledigt sein.“ Gemeint war der Umzug in ein Haus am Wittrehm. Blobel setzte dann auf Anordnung von Dr. Storck den Landeshauptmann Röer von den Vorgängen in Kenntnis. (10. März 1937).


8. Oskar Alexander – Erfinder der Trockenmoorsole

„Der Jude Alexander ist hier durch häufige Reisen nach Dänemark in den Verdacht der Devisenschiebung oder sonstiger staatsschädigender Betätigungen gekommen“, so beginnt ein Schreiben der Geheimen Staatspolizei Kiel an den Oberpräsidenten der Provinz Schleswig-Holstein, zu Händen von Vizepräsident Dr. Schow vom 20. November 1936. Den Hintergrund zu diesem Argwohn bildet eine ganz besonders verdienstvolle Initiative des Direktors Alexander, von der im Folgenden die Rede sein soll.

Es war ihm nach jahrelangen Versuchen gelungen, gemeinsam mit dem „Handels-Chemiker“ Dr. Hugel, Altona, die im Alten Kurhaus immer noch fließende Moorsalzquelle zur Herstellung einer Paste für Haus-Badekuren zu nutzen.

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Dabei war er von der Vorstellung geleitet, daß deren Produktion zu einem für Bad Bramstedt nicht ganz unwichtigen industriellen Kleinbetrieb ausgebaut werden könnte. Rudolf Hess legte er dar: „Diese Paste hat nach dem Urteil maßgeblicher Kreise eine große Zukunft. Besonders Exportkreise interessierten sich sehr dafür, da es hierdurch möglich geworden sei, in Ländern, wo keine natürlichen Heilmittel bestehen . . . diese altbewährte Moorsole zu baden. Nach den Nordischen Ländern und nach England, wohin ich selbst freundschaftliche Beziehungen habe, hat der Export bereits eingesetzt.“

Mit Recht betonte O. Alexander immer wieder, daß der Versand dieser Paste ins Inland und Ausland stets auch den Namen und das Renommee der hiesigen Rheumaheilstätte verbreiten und damit zur wirtschaftlichen Stabilisierung derselben beitragen würde. Diesen Zwecken dienten auch verschiedene Auslandsreisen, die ihm dann den Verdacht bei der Gestapo einbrachten.

Auf der Gesellschafterversammlung am 13. Dezember 1935 berichtete Direktor Alexander über diese Aktivität, unterstützt durch die positive Stellungnahme von Chefarzt Dr. Paulus. Es kam zu einer Übereinkunft, die durch einen Vertrag fixiert werden sollte: Produktion und Vertrieb der Trockenmoorsole sollte ein Privatunternehmen O. Alexanders bleiben und nicht in die Rheumaheilstätte eingebunden werden. Der Vertrag sollte eine Dauer von 30 bis 35 Jahren haben. Rohstoffe, Betriebsräume und Maschinen stellte die Rheumaheilstätte. Dafür wurde auf Vorschlag von O. Alexander eine Teilung des Gewinnes im Verhältnis 1:1 vereinbart. (Stellvertretender Bürgermeister Schlichting vertrat dabei die Auffassung, daß der Betreiber höchstens auf 20 bis 30 % des Reingewinnes werde verzichten können.)

Ferner wurde Übereinstimmung darin erzielt, daß die Entnahme des Rohstoffes begrenzt werden müsse, daß der Rheumaheilstätte durch die Propaganda für die Paste kein Schaden erwachsen dürfe und daß, um solches zu gewährleisten, sämtliches Propagandamaterial von Dr. Paulus gegengezeichnet werden müsse. Schließlich stand das Ganze unter dem Vorbehalt, daß das Reichswirtschaftsministerium seine Zustimmung erteile.

Dem Interesse des Unternehmens und der Rheumaheilstätte dienten auch mehrere Auslandsreisen, die O. Alexander nach Skandinavien führten. Günstiger Anknüpfungspunkt war seine Jugendfreundschaft mit Einar Juel, einem Großkaufmann in Kopenhagen. Als Folge dieser guten Beziehung wurde Chefarzt Dr. Paulus die Gelegenheit geboten, in Holmenkollen (Norwegen) vor Fachleuten einen Vortrag zu halten und in Dänemark leitende Ärzte großer Heilstätten aufzusuchen.

Große Resonanz fand seine Englandreise im November 1937 (78), die von Juel vorbereitet worden war. „Echtes Interesse brachte ihm die Firmenleitung des pharmazeutischen Konzerns Boots Pure Drug Co.Ltd. in Nottingham entgegen, der allein im Vereinigten Königreich über 1200 eigene Läden verfügte. Dort war man an einer Konzession für den Alleinvertrieb der Trockenmoorsole interessiert, von dem man sich ein bedeutendes Geschäft versprach, denn in England gebe es überhaupt keine Badezusätze dieser Art, und gerade Rheuma sei, als Folge des dortigen Klimas, die am meisten verbreitete Krankheit. (Es scheint, daß der Vertrag nicht zustande gekommen ist.)

Besonders interessiert war O. Alexander auch an Lieferungen nach Österreich, weil er hoffte, damit in den Konkurrenzbereich des tschechischen Heilbades Pystien eindringen zu können.

In diese für das Unternehmen in Bad Bramstedt so vorteilhafte Entwicklung schaltete sich mit dem eingangs zitierten Schreiben die Gestapo ein. Oberpräsident Lohse leitete den Vorgang – immer als „Vertraulich!“ klassifiziert – an den Landeshauptmann Röer weiter (10.12.1936). Dieser übertrug die Erledigung dem Präsidenten Dr. Storck (11.12.1936). Der Inhalt des Schreibens soll nun referiert bzw. wörtlich wiedergegeben werden.

Die Gestapo betrachtete es als „erstaunlichen Sachverhalt“, daß der Jude Alexander Direktor und Pächter einer Anstalt war, deren Gesellschafter u.a. die LVA der Hansestädte in Lübeck und Schleswig-Holstein in Kiel seien. Obwohl Alexander 1933 den Pachtvertrag von sich aus zur Verfügung gestellt habe, sei er bis 1940 verlängert worden und zwar „auf besondere Befürwortung des ehemaligen Bürgermeisters von Bad Bramstedt, jetzigem Oberbürgermeister von Emden, SA-Sturmbannführer Maas.“ Dann heißt es:

„In der Bad Bramstedter Bevölkerung ist diese Maßnahme nicht verstanden worden, zumal die wirtschaftliche Lage des Unternehmens nicht gerade günstig sein soll und ein Jude nicht als die geeignete Person angesehen wird, ein solches mit letzten Endes staatlichen Mitteln betriebenen Unternehmens uneigennützig (!) wieder auf die Höhe zu bringen.“

Als weiterer „erstaunlicher Sachverhalt“ folgt, daß als Ausgleich für die Lösung des Pachtverhältnisses „dem Juden eine monatliche Abfindung von 500,- RM und ihm die gesamte Werbung für die Rheumaheilstätte Bad Bramstedt gegen eine Vergütung von 6 % Umsatz durch Privatpatienten übertragen worden sei. Diese Tatsache hat nicht nur in der Bevölkerung von Bad Bramstedt Aufsehen erregt, sondern ist als solche, zumal in einer Zeit nach Erlaß der Nürnberger Gesetze, zum mindesten außerordentlich befremdlich. Es ist mir unverständlich, wie sich staatliche Organe dazu hergeben können, die gesamte Werbung für ein Bad, das von öffentlich-rechtlichen Körperschaften betrieben wird, einem Juden zu übertragen. Jedenfalls dürfte diese Tatsache nicht gerade den Ruf des Bades besonders heben. Daneben soll dem Juden auch der gesamte Vertrieb eines in Bad Bramstedt hergestellten Heilmittels, der sogenannten ‚Paste Moor‘ übertragen worden sein, wodurch ihm ebenfalls eine überragende wirtschaftliche Stellung innerhalb des Bades eingeräumt worden ist.“

Der Unmut in der Bevölkerung, auf den sich die Gestapo bezog, ist nicht direkt nachweisbar, aber doch sehr wahrscheinlich. Er dürfte durch die Parteiorganisationen geschürt worden sein, deren Vertreter gegenüber O. Alexander nichtsdestoweniger bisweilen eine Maske des Wohlwollens trugen und vielleicht auch, wie Ortsgruppenleiter Schlichting, gelegentlich eine Anwandlung von Mitgefühl empfanden.
Sodann setzte die Gestapo das bekannte und gefürchtete Mittel der versteckten Drohung ein, indem sie verantwortliche Parteifunktionäre ins Zwielicht rückte, um damit gleichzeitig Angst und Agressivität zu wecken:

„In Bad Bramstedt laufen auf Grund dieser Tatsachen Gerüchte, um die davon wissen wollen, daß der Jude Alexander die für diese Verhältnisse verantwortlichen Männer irgendwie in der Hand haben müsse, da man sich anders das Verhalten der verantwortlichen Stellen nicht erklären könne. Der Jude Alexander soll auch mit dem Bürgermeister von Bad Bramstedt, Utermarck, dem Ortsgruppenleiter der NSDAP, Schlichting, dem DAF-Walter Parbst, dem Sparkassenrendanten Sievers und dem jetzigen Oberbürgermeister von Emden, Maas, in freundschaftlichem Verkehr stehen. Die Tatsache, daß Hoheitsträger der Partei und staatliche Verwaltungsträger sich in dieser Form für einen Juden einsetzen, erscheint einer Nachprüfung wert.“ Da in diesem Zusammenhang Parteigenossen und Hoheitsträger der NSDAP genannt seien, werde der Bericht auch der Gauleitung Schleswig-Holstein der NSDAP zugeleitet.

Daß von einem „freundschaftlichen Verkehr“ dieser Personen mit O. Alexander überhaupt keine Rede sein konnte, ergibt sich aus allen verfügbaren Unterlagen. Ihre Verdächtigung war nur ein typisches Beispiel dafür, mit welch arglistigen Manövern nicht nur die Gestapo, sondern auch örtliche Parteigenossen vorgingen, um aus verdeckter Stellung ihre Ziele zu erreichen, aber auch um ihnen persönlich mißliebige „Hoheitsträger“ in Mißkredit zu bringen.

Dr. Storck ließ nun die „verdächtigen“ Auslandsreisen O. Alexanders überprüfen und leitete den von Geschäftsführer Blobel ermittelten Befund an Landeshauptmann Röer weiter:
1. November 1935: Reise nach Kopenhagen und Norwegen zur Einführung der Trockenmoorpaste und um den Besuch von Chefarzt Dr. Paulus dort vorzubereiten. Dr. Paulus erhielt dann die Gelegenheit, in Holmenkollen vor Osloer Ärzten einen Vortrag zu halten. Im Abschluß daran kam es durch Vermittlung von Kaufmann Juel zu einer Begegnung mit leitenden Ärzten einen Vortrag zu halten. Im Anschluß daran kam es durch Vermittlung von Kaufmann Juel zu einer Begegnung mit leitenden Ärzten zweier maßgeblicher dänischer Heilanstalten. Diese Vorträge und Besuche dienten ausdrücklich immer auch der Empfehlung jener Paste.
2. Juni 1936: Reise nach Kopenhagen zu seinem Jugendfreund Einar Juel, über den der Vertrieb der Paste in Dänemark laufen sollte, und zu Verhandlungen wegen des „Schwingweges“, einer weiteren Erfindung O. Alexanders (dazu später).
3. November 1936: Reise nach Kopenhagen auf Veranlassung und auf Kosten des Trabrennvereins Kopenhagen wegen Auswertung des „Schwingweges“ für die dortige Trabrennbahn.

Dr. Storck bestätigte, daß O. Alexander dem Geschäftsführer der Anstalt, Hans Blobel, in allen Fällen von Absicht und Zweckbestimmung seiner Reisen Mitteilung gemacht habe.

Ein Vertrag über die Trockenmoorpaste kam zwar 1937 zustande, doch formell nicht mit O. Alexander, sondern mit dem Chemiker Dr. Hugel. Der Gesellschaft wurde ein Anteil von 25 % am Reingewinn sowie die Kontrolle über Art und Form der Werbung zum Nutzen der Rheumaheilstätte eingeräumt. Damit wurde der früher gefaßte Beschluß, die Gewinnteilung betreffend, revidiert. Auf der Gesellschafterversammlung am 19. August 1938 (79) vertrat Chefarzt Dr. Paulus die Ansicht, man bedürfe heute dieser zusätzlichen Werbung durch O. Alexander nicht mehr und „tue gut, von ihr loszukommen.“

Nach der Verabschiedung der „Verordnung gegen die Unterstützung der Tarnung jüdischer Gewerbebetriebe“ vom 22. April 1938 beschlich Dr. Hugel die Sorge, „seine Abmachungen mit Herrn Alexander, die seinen Vertrag mit der Rheumaheilstätte nach sich gezogen haben, könnten ihm Schwierigkeiten einbringen. Er bat deshalb darum, ihn aus seinen Vertragsverpflichtungen zu entlassen. Dr. Storck entsprach diesem Wunsch, und am 26. April 1938 wurde die einstweilige Fortführung des kleinen Betriebes dem in der Rheumaheilstätte als Buchhalter beschäftigten Herbert Alexander übertragen. (Herbert Alexander war der Sohn Leonhard Alexanders, eines Bruders Oskars.) „Aus verschiedenen Erwägungen“, bei denen vermutlich die Tatsache ausschlaggebend war, daß Herbert „Halbjude“ war, wurde dieser Zustand auch nur als vorübergehend angesehen.

Um künftigen unliebsamen Einwendungen vorzubeugen, schaltete man bei der weiteren Suche nach einem Träger des Moorsalzunternehmens vorsichtshalber gleich den Gau-Wirtschaftsberater in Kiel und andere Parteidienststellen ein. Es fand sich schließlich ein Hamburger Kaufmann, mit dem ein Vertrag zustandekam. Dieser sah seitens der Rheumaheilstätte die einmalige Zahlung eines zinslosen Darlehens von 6000,- RM an den neuen Betreiber vor, die dieser wiederum an O. Alexander zu dessen „endgültigen Abfindung und Ausscheidung“ weiterzureichen hatte. Mit dieser Lösung waren die Parteidienststellen einverstanden.

Wer war dieser neue Vertragspartner ? Das ist der in den 50er Jahren betriebenen „Rückerstattungssache“ zu entnehmen. In einem Schriftsatz des Hamburger Rechtsanwalts Dr. Friedrich Siebeck ist die Rede von einem „langfristigen, seine (= O.A.s; G.H.) künftige Existenz sicherstellenden Vertrag über die Ausnutzung der Moorsalzquelle, der aus Tarnungsgründen zunächst mit Herrn Dr. Hugel, später mit Herrn Arp, dem Schwiegervater des Sohnes des Herrn Oskar Alexander, abgeschlossen wurde.“ (Oskars Sohn Robert war mit einer Tochter des Kaufmanns Richard Arp verheiratet. Der Vater schickte zu einem nicht bekannten Zeitpunkt seinen Sohn Robert außer Landes, nach Kolumbien, weil er nach Aussage einer der Familie eng verbundenen Zeitzeugin um dessen Sicherheit besorgt war.) So scheint es also, daß Richard Arp aus dem Erlös des Moorsalzbetriebes einen Beitrag zum Lebensunterhalt O. Alexanders leistete. Das erwies sich vermutlich schon bald als sehr notwendig, als nach den Novemberpogromen 1938 die sogenannten Juden-Kontributionen erhoben wurden: Jeder Jude deutscher Staatsangehörigkeit und staatenlose Juden hatten 20 % ihres Vermögens abzuliefern. (80)

Als O. Alexander im November ein weiteres mal nach Kopenhagen reisen wollte, um seinen Freund Juel zu besuchen, wurde er in Warnemünde von der Gestapo angehalten und in Haft genommen. Alsbald setzten sich Juel und Arp bei der Gestapo für ihren Freund ein. Arp wandte sich überdies sofort an die LVA in Lübeck. (21.11.1938). In einem Schreiben wies er darauf hin, daß „Herr Alexander politisch einwandfrei dasteht und die Haussuchung negativ verlaufen ist. Ich bitte Sie nun, ebenfalls bei der Gestapo Rostock in diesem Sinne vorstellig zu werden, zumal der Kaufvertrag in Sachen Moorsalzquelle zwischen Herrn Alexander und mir von Schleswig genehmigt wurde und die Anwesenheit des Herrn Alexander zwecks Übernahme unbedingt erforderlich ist.“ Dann: „Die Anschrift des Herrn Alexander ist zur Zeit Alt-Strelitz, Mecklenburg, Landesanstalt, Haus 3, Zimmer 36.“

Dieser Brief trägt die handschriftliche Notiz Blobels: „Herrn Arp . . . habe ich gesagt, daß nichts im Sinne seines Anliegens unternommen werden könne.“ Diese Notiz wirft ein bezeichnendes Licht auf die Person Blobels, der nach 1945 unbehelligt führende Positionen behalten konnte. – Die Haft O. Alexanders war anscheinend von nur kurzer Dauer.


9. Oskar Alexander – Erfinder des Schwingweges

Die besondere Kreativität und die große kaufmännische Tüchtigkeit des Mannes erwies sich auch bei seiner Erfindung des „Schwingweges“ und den Versuchen, ihn wirtschaftlich zu nutzen. (81)

Schon am 16. Juni 1936 berichteten die „Bramstedter Nachrichten“ von der Besichtigung einer „elastischen Gehbahn“ in den Parkanlagen des Neuen Kurhauses, die zur Behebung von Gehbeschwerden und zur Leistungssteigerung von Sportlern geeignet sein solle.

Zur Herstellung eines solchen Schwingweges, wurde auf einer beliebig langen Strecke der Erdboden bis auf 180 cm Tiefe ausgehoben. Diese Grube wurde schichtweise mit Moorerde und Reisig verfüllt, wodurch eine federnde Masse entstand, deren Oberfläche dann durch eine leichte Aufschüttung und Planierung begehbar gemacht wurde.

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Überzeugt von der therapeutischen, sportlichen und letztlich auch wirtschaftlichen Bedeutung seiner Erfindung, nahm O. Alexander in die verschiedensten Richtungen Verbindung auf. So lud er den gerade in Berlin weilenden neunfachen finnischen Olympiasiegers im Langlauf, Nurmi, nach Bad Bramstedt ein (16.08.1936). Zur Besichtigung kam neben dem interessierten Großkaufmann Juel aus Kopenhagen auch der dänische Gymnastiklehrer Niels Bukh. (82) Dieser hatte, einer Notiz O. Alexanders zufolge (29.04.1937), ihn und Dr. Paulus zu einem Gegenbesuch nach Dänemark eingeladen, wo Bukh selber eine ähnliche Anlage entwickelt hatte.

Auf der Gesellschafterversammlung am 05. Oktober 1936 fand die Erfindung Zustimmung. Eine wirtschaftliche Auswertung solle betrieben werden. Dr. Hugel werde sich um Auslandspatente bemühen. Dies wurde am 14.01.1937 bekräftigt, als man erfuhr, Direktor Alexander habe dem Trabrennverein in Dänemark die kostenlose Herstellung eines Schwingweges angeboten. Bald folgte eine nachdrückliche Empfehlung durch das Fachamt Leichtathletik im Deutschen Reichsbund für Leibesübungen (21.01.1937).

Mit der Ankündigung der Patenterteilung, die dann am 03.05.1937 erfolgte (83), verband O. Alexander große Erwartungen und Werbeeffekte für die Rheumaheilstätte: „Auf die Nennung meines Namens als Erfinder lege ich nicht nur keinen Wert, sondern möchte dies nicht einmal; es genügt vollauf, wenn die Erfindung als der Bad Bramstedter Schwingweg` in die Öffentlichkeit dringt“ (14.04.1937).

Eine Einladung seitens der Stadt motivierte ein großes Publikum zur Besichtigung des Schwingweges (07.05.1937). Gezielte Werbung richtete sich insbesondere auf die „Achsenmächte“ Italien und Japan. Sportvereine, z.B. der Eimsbüttler Turnverein, suchten mit einem Schwingweg ihre Sprunggruben, auch solche für den Stabhochsprung, zu verbessern und für die Sportler verletzungsfreier zu machen (08.07.1937).

Nach der Erteilung des englischen Patents wurden enge Kontakte mit dem Internationalen Olympischen Komitee für die Olympischen Spiele 1940 in Tokio aufgenommen (05.08.1937). Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung bekundete gegenüber Dr. Paulus sein Interesse an einem Schwingweg für das Reichssportfeld in Berlin (11.03.1938). Der Auftrag zum Bau wurde dem Technischen Institut der Reichsakademie erteilt, die entsprechenden Unterlagen angefordert (30.03.1938). Im Januar 1940 wurde die Anlage fertiggestellt (23.01.1940).

Oskar Alexander ließ es sich nicht nehmen, die Wirksamkeit seiner Erfindung selber auszuprobieren. Darüber berichtete er Chefarzt Dr. Paulus (30.08.1938). Der Versuch bestand in einem Ritt zu Pferde über 70 Kilometer: Bad Bramstedt – Heidkaten – Heede – Barmstedt – Voßloch – Lutzhorn – Bad Bramstedt; Dauer des Rittes 14 1/2 Stunden, mit Ruhepausen von insgesamt 4 Stunden. Danach sei er müde und steif vom Pferd gestiegen und habe sofort den Schwingweg betreten. Die Fortbewegung sei anfangs etwas schmerzhaft gewesen, habe ihm dann aber bald große Erleichterung und Entspannung verschafft, ohne später Muskelkater verspürt zu haben. Sein Bericht schließt mit der Anregung: „Vielleicht würde dieser von mir durchgeführte Versuch für die Herren von der Heeressportschule, deren Besuch ja in der nächsten Zeit zu erwarten ist, von Interesse sein.“

Besonderes Interesse kann eine Reise O. Alexanders nach England beanspruchen, über die er selber einen ausführlichen Bericht angefertigt hat. (84) Dabei war ein Mr. Smith von dem englischen Konzern Boots Pure Drug Co.Ltd. Nottingham als Vertreiber der Moorsalzquellpaste vermittelnd tätig geworden. Ermöglicht wurde die Reise durch das Britische Kriegsministerium (Oberst Webber).

Man fuhr sofort in die britische Heeressportschule in Aldershot und wurde dort von den beiden Kommandeuren Oberst Owen und Oberst Wand-Tatley und dem Offizierskorps „herzlich empfangen.“ Daß man dort bereits von der Erfindung gehört hatte, veranlaßte O. Alexander zu der Bemerkung: „Ich muß an dieser Stelle sagen, daß bisher noch nirgends der Bad Bramstedter Schwingweg so schnell eine Eroberung gemacht hat, wie hier.“

Die englische Patentschrift wurde in Aldershot verlesen und die Erfindung „als die einfachste Lösung eines seit langem ungelösten Problemes bezeichnet.“ Oberst Wand-Tatley erklärte, „daß sie schon seit Jahren, aber vergeblich, versucht hatten, die Sprunggruben weicher zu gestalten, da immer und immer wieder Verletzungen . . . vorgekommen wären.“ Gerne wird der Erfinder und Kaufmann Alexander gehört haben, „daß in Aldershot jährlich große Wettspiele für Offiziere und Mannschaften stattfinden, zu denen tausende von führenden Sportsleuten sowohl aus Großbritannien, den Kolonien, Dominions, wie auch aus dem übrigen Ausland kommen und daß, wenn hier eine solche Sprunggrube gebaut würde und sich bewährte, woran er bei dem so einfachen Prinzip nicht zweifle, man damit rechnen könnte, daß bald tausende von Sprunggruben in allen Heereslagern Großbritanniens, der Kolonien und Dominions sowie sicher auch im Ausland gebaut werden würden.“ Eine Lizenzvergabe wurde ebenfalls besprochen und deren Bedingungen skizziert.

Aber auch das Abschied-Statement von Oberst Wand-Tatley, das O. Alexander wörtlich wiederzugeben versucht, wird der deutschnational eingestellte Mann gerne weitergegeben haben: „Es ist mir eine besondere Freude, daß diese Erfindung gerade von dem deutschen Sport herkommt, den wir nach den Leistungen seit der letzten Olympiade bewundern. Mit Ihrem Reichssportführer, Herrn Tschammer und Osten, verbindet uns eine enge Freundschaft. Herr v. Tschammer und Osten war erst vor drei Wochen unser Gast, und ich darf sagen, wir haben wundervolle Stunden miteinander verlebt. Einer unserer Herrn, vielleicht auch ich selbst, werden im nächsten Jahr den Besuch von Herrn Tschammer und Osten erwidern, und wenn wir dann über Hamburg kommen sollten, werden wir nicht verfehlen, in Bad Bramstedt Ihren Weg zu besichtigen, weil uns Ihre Erfindung auch für Trainingszwecke als höchst wichtig erscheint . . “

In den Äußerungen des Obersten bestätigte sich, daß die Rechnung der Nationalsozialisten, die diese mit der Ausrichtung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin verbanden, aufgegangen war: Sport als Botschafter des Dritten Reiches zu sein. Und O. Alexander, so dürfen wir vermuten, wird gerade durch diese Erfahrung in England noch bestärkt worden sein in seiner, trotz aller Anfeindungen und Demütigungen ungebrochenen Loyalität zum nationalsozialistischen Deutschland.

Doch auch dieser engagierte Einsatz stand unter der dunklen Wolke einer immer enger werdenden Bedrückung. In London hatte ein Hermann Schwab vom Schwingweg gelesen und bat nun den Bürgermeister Dittmann in Bad Bramstedt um ein Foto von der Anlage. Die Bramstedter Nachrichten berichteten darüber (22.06.1937). Das Schreiben, eine Ansichtspostkarte aus London, kam zu den Akten und wurde mit dem Vermerk versehen: „Vom Landesfremdenverkehrsverband ist mit Schreiben vom 10.05.1937 allgemein gebeten worden, den Redakteur Schwab, Jude und früher SPD-Korrespondent, nicht mit Bildmaterial zu beliefern.“

Ohne Zweifel war auch O. Alexanders Reise nach England von der Gestapo registriert worden. Dabei leistete die Rheumaheilstätte unter ihrem Geschäftsführer Blobel als Zuträger wichtige Hilfe. Im Sommer 1938 hatte Alexander erneut eine Reise nach Dänemark geplant und diese, so darf man annehmen, wie immer gegenüber Blobel angekündigt und begründet. Aus einem Aktenvermerk von Blobel geht hervor: Am 01. September 1938 wurde er von dem neuen Bürgermeister der Stadt, Dittmann, angerufen. Dieser berichtete, er habe von der Gestapo in Kiel erfahren, daß dort noch kein Antrag auf eine Ausreiseerlaubnis nach Dänemark – mit Gültigkeit für zwei Jahre – vorliege. Dieser sei noch beim Landratsamt in Bad Segeberg anhängig, der ihn wiederum der Handelskammer in Lübeck vorgelegt habe mit der Bitte um Stellungnahme. („Wichtig sei die Äußerung der Handelskammer in Lübeck.“) Bürgermeister Dittmann empfahl, sich nach dort zu wenden.

Letzteres geschah von Blobels Seite am 05. September. Bearbeiter in Lübeck war Syndikus Dr. Scheel. Dieser teilte mit, „daß die Handelskammer grundsätzlich bereit sei, die Genehmigung zur Reise nach Dänemark zu erteilen, nur könnte das nicht generell auf die Dauer von zwei Jahren geschehen, sondern nur von Fall zu Fall.“ Die Handelskammer werde sich in diesem Sinne gegenüber dem Landratsamt Bad Segeberg äußern, welches wiederum den Bürgermeister in Bad Bramstedt unterrichten werde.“ Auf Anweisung von Präsident Dr. Storck wurde das Ergebnis des Gespräches zwischen Blobel und Dr. Scheel dem Bürgermeister Dittmann mitgeteilt, jedoch mit der Maßgabe, „die Angelegenheit als streng vertraulich zu behandeln.“

Auf diesem Hintergrund ist es schwer verständlich, was die Akten als letzte Initiative O. Alexanders mehr andeuten als dokumentieren. Der entsprechende Schriftsatz wird hier vollständig wiedergegeben:

„Oskar Alexander Wittrehm
Bad Bramstedt, Holstein 09.09.1941
Herrn Blobel, Altona.
Sehr geehrter Herr Blobel!

Um nicht Herrn Präses Dr. Storck mit diesem Schreiben zu belästigen, erlaube ich mir, es an Sie zu richten mit der Bitte, von dem Inhalt dem Herrn Präsidenten Kenntnis zu geben.
Es wird Herrn Präsidenten vielleicht interessieren, daß das Ministerium für Inneres mich zu einem Bericht über meinen Plan aufgefordert hat. Des ferneren hätte ich Herrn Präsidenten gern von einer Erfindung oder bescheidener ausgedrückt, Anordnung Kenntnis gegeben, die eine Defensiv-Verbesserung für die kämpfende Truppe vorsieht. Vielleicht, daß ich diese über den Herrn Präsidenten weiterleiten darf. Da ich am kommenden Dienstag (den 16.d.M.) sowieso in Altona zu tun habe, werde ich mir erlauben, gegen 11 1/4 Uhr aufs Geratewohl bei Ihnen vorzusprechen und fragen, ob Herr Präsident ein paar Minuten für mich übrig hat.

Ergebenst
Alexander.“

Darauf Blobel: „H. Alexander habe ich mitteilen lassen, daß er am Mittwoch (17.09.1941) gegen 11 1/4 Uhr kommen möge.“
Blobels abschließender Vermerk vom 18.09.: „Die Besprechung mit Herrn Präsidenten Dr. Storck hat am 17. d.M. stattgefunden.“

Dieser Vorgang muß genauer untersucht werden.

Zunächst fällt die betont unterwürfige Ausdrucksweise in dem Schreiben auf und der Umstand, daß der Schreiber es schon nicht mehr wagte, sich unmittelbar an den Präsidenten zu wenden, sondern lieber den Umweg über den Geschäftsführer Blobel wählte.
Oskar Alexander hatte einen „Plan“, den er selber auch als eine „Erfindung“ bezeichnete und die er einer nicht genannten höheren Dienststelle unterbreitete und dies wahrscheinlich mit dem Hinweis auf eine Verwendungsmöglichkeit bei der „kämpfenden Truppe“. Auch für seinen Schwingweg hatte er ja schon eine Verwendungsmöglichkeit im militärischen Bereich gesehen. Diese Erfindung scheint immerhin so bedeutungsvoll gewesen zu sein, daß das Reichsinnenministerium sich herbeiließ, sein Interesse gegenüber dem Juden Alexander zu bekunden und einen Bericht anzufordern.

Dies alles geschah nicht auf einem zeitlosen Hintergrund, sondern im Sommer 1941. Wie alle Deutschen, so stand auch O. Alexander unter dem Eindruck des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941. Die deutschen Armeen waren bereits tief in das Land eingedrungen. Nach den vorausgegangenen Blitzsiegen der Wehrmacht schien jetzt der Triumph deutscher Waffentechnik und deutschen Soldatentums auf neuem Höhenflug. Auch O. Alexanders nationales und militaristisches Herz wird bei den vielen Sondermeldungen des Rundfunks höher geschlagen haben. Millionen von sowjetischen Kriegsgefangenen gerieten in deutsche Hand. Und wie zuvor schon die „polnischen Untermenschen“ oder Frankreichs „farbige Hilfsvölker“, so dienten jetzt in den Wochenschauen der Kinos und auf den Pressefotos die Bilder der erbärmlichen sowjetischen Kriegsgefangenen und jüdischen Ghettobewohner, sorgfältig ausgewählt, als Zerrspiegel, in denen die deutschen Menschen ihre Überlegenheit bestätigt sahen.

Am 10. September 1941 begann die große Kesselschlacht bei Kiew, die den Weg nach Moskau öffnen sollte. O. Alexander wie die meisten Deutschen konnten noch nicht wissen, daß zu diesem „Krieg der Weltanschauungen“ wesentlich die Vernichtungszüge der SS-Einsatzgruppen und -kommandos gegen die jüdische Bevölkerung der eroberten Gebiete gehörten und daß dieser Feldzug die industriemäßige Vernichtung der europäischen Juden einläutete. Möglich gemacht hat dies alles die Führung eben jener „kämpfenden Truppe“, der O. Alexander mit seiner „Erfindung“ dienen wollte.

Zudem – ab 01.09.1941 galt die Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden, das heißt: Während O. Alexander seinen Brief an Blobel schrieb und ihn zum Postkasten trug, mußte er den gelben Judenstern an seinem äußeren Kleidungsstück tragen, der ihn fortan daran erinnerte, einer Gemeinschaft von Menschen anzugehören, der er sich längst nicht mehr zugehörig gefühlt hatte. Der Judenstern brandmarkte ihn nun als Angehörigen einer aus der „Volksgemeinschaft“ ausgestoßenen „Rasse“ – zum Tode bestimmt.


10. Oskar Alexander – Das Ende

Das letzte „Lebenszeichen“ von O. Alexander ist der Vermerk über seinen Besuch bei Dr. Storck am 17. September 1941, den Blobel am Tage darauf notiert hat. Ob er anschließend nach Bad Bramstedt zurückgekehrt ist, läßt sich nicht feststellen.

Unter Zeitzeugen geht das Gerücht, er sei in der Altona-Kaltenkirchener Eisenbahn (AKN) verhaftet worden, als er im Begriff stand, an einer Beerdigung in Hamburg teilzunehmen. Man bringt die Festnahme dann in Verbindung mit dem gegen die Juden verhängten Verbot der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Doch dieses Verbot datiert erst vom 24.04.1942. Authentischer dürfte der Erlebnisbericht des ehemaligen Mithäftlings Emil Büge sein, der im Konzentrationslager Sachsenhausen in der „Politischen Abteilung“ arbeiten mußte. Ihm gelang es, kurze Notizen herauszuschmuggeln, auf deren Grundlage er 1945/46 einen Bericht anfertigte. Darin heißt es: „Oskar Alexander, Nr. 40732, durfte den Wohnort nicht verlassen, eingeliefert, weil er zur Beerdigung des Schwagers gefahren war.“ Diese Kenntnis konnte er entweder von O. Alexander selber oder aus den Unterlagen in der „Politischen Abteilung“ des Lagers haben.

So bleiben Datum und Ort seiner Verhaftung im Dunkeln. Folgt man der Angabe seines Mithäftlings, so bestand der Anlaß zur Verhaftung in der Übertretung des Verbotes, Bad Bramstedt zu verlassen, nicht in der Bahnfahrt als solcher. Das Verbot steht wohl kaum im Zusammenhang mit einer entsprechenden reichsweiten Auflage gegen alle jüdischen Bürger, es muß vielmehr seinen Grund in O. Alexander bzw. in seinen besonderen Verhältnissen haben. Andeutungen von Zeitzeugen weisen in diesem Zusammenhang auf einen in der Rheumaheilstätte beschäftigten Arbeiter als Denunzianten.

Dem Personal der Rheumaheilstätte kann das plötzliche Verschwinden des Mannes nicht verborgen geblieben sein. Der bereits am Anfang von mir ausgiebig zitierte Zeitgenosse antwortete auf meine schriftlich vorgelegten Fragen jeweils schriftlich mit Nichtwissen: „Wann und durch wen erfuhren Sie von O.A.s Einlieferung in ein KZ?“. „Wie reagierte man darauf im Neuen Kurhaus?“. „Wann und wie erfuhren Sie von seinem Tode?“. „Was wußten Sie über die Todesart?“. „“Wie wurde die Nachricht im Neuen Kurhaus aufgenommen?“ Der Zeitgenosse konterte vielmehr: „Zur Frage der Reaktion auf das Schicksal des O.A. gilt das: Haben Sie mal etwas gehört von einer allgemeinen Reaktion der Bevölkerung in einem totalitären Staat? Soweit es einen ähnlichen Fall wie O.A. betraf?“
Dazu ist zu sagen: Ja, Vorkommnisse wie die Verhaftung oder das Verschwinden einer stadtbekannten, vertrauten Persönlichkeit und die Nachricht von dessen Tod waren immer und in allen Bevölkerungskreisen, insbesondere in einer so kleinen Stadt wie Bad Bramstedt, Gesprächsstoff, auch wenn man sich hütete, allzu laut Gedanken dazu zu äußern.

Das Leben Oskar Alexanders endete im Konzentrationslager Sachsenhausen bei Oranienburg. Hier die Todesurkunde der Stadt Oranienburg:

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Diese Urkunde besagt, daß sein Aufenthalt in Sachsenhausen kaum mehr als vier Monate betragen haben kann. Von einer der Haft vorausgegangenen Krankheit ist nichts bekannt. Anzunehmen ist, daß er als gesunder Mann von 60 Jahren hinter dem Lagertor verschwand.

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Der Leser sollte versuchen, sich vorzustellen, was in dem Mann aus Bad Bramstedt vor sich gegangen sein mag, als das Lagertor sich hinter ihm schloß, als man ihm, wie es üblich war, sämtliche Körperhaare abschor, ihn in die rauhe und harte gestreifte Häftlingshose und -jacke steckte, ihm eine Nummer auf den Arm tätowierte, als er, fortan eine Nummer unter tausenden, in einer der großen Baracken verschwand, angeschrien, beleidigt, vielleicht auch geschlagen wurde, als er körperlich und seelisch geschwächt, stundenlang in den Kolonnen zum Appell stehen mußte, als er mit schlechter und geringer Nahrung abgespeist wurde, sein Gesichtskreis durch Stacheldraht, Baracken und Wachtürme begrenzt war, als die brutale Gewalt Regie führte und der Tod tägliche unmittelbare Erfahrung war.

Wem wurde das alles angetan? Einem Mann, der zeitlebens jenen fragwürdigen Stolz auf seine Verdienste an der Front des Ersten Weltkrieges gehegt hatte, der mit all seinen Fähigkeiten und Kräften die Rheumaheilstätte entwickelt, der sich immer auch mit der Stadt Bad Bramstedt engstens verbunden gefühlt hatte, der sich bis zur Selbstpreisgabe Deutschland verschrieben hatte, selbst als die Träger der Staatsgewalt unter dem Beifall der großen Mehrheit des Volkes alle humanen Werte niedertraten und die Arroganz der Herrenmenschen die Normen setzte und die Welt dann abermals in einen Krieg stürzte.

Wird ihm unter diesen Umständen und nach diesen Lebenserfahrungen die Erkenntnis gekommen sein, daß er selber mit seinem konservativ-nationalen Auftreten mitgewirkt hat an dem System, das ihn nun selber verschlungen hatte ? Fand er Kameraden, die ihm halfen, diese harte Analyse durchzustehen ? Oder fiel er einfach in tiefe Resignation, die unter den Existenzbedingungen eines Konzentrationslagers meistens schnell zum Tode führte? Oder drängte sich gar, wie bei zahllosen anderen „säkularisierten“ Juden in ähnlicher Lage das „Sch’ma Israel“ („Höre. Israel!“) in sein Bewußtsein, der Anruf des Gottes seiner Väter und Mütter?

Die Angabe der Todesursache mit „Herzschwäche“ als Folge eines Grundleidens Lungenentzündung (Bronchopneumonie) verdient keine Glaubwürdigkeit. Diagnosen wie diese dienten regelmäßig und tausendfach zur Kaschierung des durch die Lagerbedingungen absichtlich herbeigeführten Todes der Häftlinge. Sie beruhte sicher nicht auf einer seriösen ärztlichen Diagnose, sondern eher auf der Willkür der Lagerführung. Oskar Alexander starb sicher auch nicht, wie nach dem Kriege kolportiert wurde, „im Krankenhaus des Lagers“, sondern bestenfalls im dortigen „Krankenbau“ mit seiner Massenbelegung und fehlender angemessener ärztlicher Betreuung. Ebenso groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß er Opfer eines Gewaltaktes während des Arbeitseinsatzes oder im Lager wurde, wo er zur damaligen Zeit einer unter 10 700 Häftlingen war – die dort völkerrechtswidrig festgehaltenen sowjetischen Kriegsgefangenen nicht mitgezählt. (85)

Sein Leichnam wurde in einem der Krematorien des Lagers verbrannt.

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Die letzte Urkunde Oskar Alexanders entstellt auch noch seinen Namen. Der Vorname „Oskar“ war entfallen; es blieb der Name Israel“, der allen jüdischen Männern von den Machthabern des Dritten Reiches aufgezwungen wurde. Und falsch war schließlich auch die Religionsbezeichnung „mosaisch.“

Es gab von Seiten der Familie Alexander Bemühungen um Auslieferung der Asche des Toten. Tatsächlich kam im April 1942 auf dem Friedhof in Hamburg-Niendorf aus dem „Krematorium Oranienburg“ unter der Registernummer 114.1942 eine Urne an. Ob diese wirklich die Asche Oskar Alexanders enthielt, muß dahingestellt bleiben. Die Eintragung im Friedhofsregister vermerkt: „Israel Alexander, beerdigt 23. Juli 1942“ und den Zusatz „Kriegsgrab KZ.“ Die Urne wurde dort in die Erde eingelassen, wo schon vor Jahrzehnten seine Frau Elisabeth bestattet worden war. Damals gehörte die Grabstätte Richard Arp, später Robert Alexander, der am 21.12.1969 auf sie verzichtete. Daher gibt es heute kein Grab Oskar Alexanders mehr.


11. Oskar Alexander – seine zweite Verdrängung

Oskar Alexander erlebte noch, wie das Neue Kurhaus allmählich in ein Reservelazarett der Wehrmacht umfunktioniert wurde. (86) Das begann schon wenige Tage vor der Entfesselung des Krieges, am 25. August 1939. Im Januar 1942 endete die zivile Funktion des Hauses vollständig. Auch während der britischen Besatzungszeit blieb das Haus zunächst noch Reservelazarett. Am 30. Januar 1946 erfolgte die Umwandlung in ein Flüchtlingskrankenhaus; aber schon am 19.10.1946 konnte die Rheumaheilstätte GmbH das Kurhaus wieder übernehmen und im Frühjahr 1947 erstmals wieder mit Rheumakranken belegen. Danach nahm der gewohnte Kurbetrieb wieder seinen Lauf.

Die Lücke, die O. Alexander mit seiner Verdrängung hinterließ, wurde für wenige Monate durch einen Amtmann Bode geschlossen, danach bis Juli 1945 durch eine nicht namentlich genannte Person. (87) Ihm folgte als Verwaltungsleiter Herbert Alexander, der bereits längere Zeit in der Verwaltung des Hauses tätig gewesen war.

Chefarzt blieb bis 1952 Dr. Paulus. Nach ihm übernahm Dr. Gehlen dieses Amt. Ebenfalls unbeschadet überstand Landesverwaltungsrat Hans Blobel von der LVA der Freien und Hansestadt Hamburg die Katastrophe des Jahres 1945 als Geschäftsführer der Rheumaheilstätte. Ähnliches gilt auch für Max Behrens als Vertreter des Landesverbandes der Ortskrankenkassen Norden und Mitglied der Gesellschafterversammlung. Alle drei Personen waren auf die eine oder andere Weise an der Verdrängung O. Alexanders beteiligt gewesen. Darauf wird später noch ausführlicher zurückzukommen sein.

Wie es scheint, hatte sich der Schleier des Vergessens über das, was man O. Alexander angetan hatte, gebreitet, bis er noch einmal gelüftet wurde durch den Antrag Robert Alexanders, Oskars Sohn, im Jahre 1953 auf Rückerstattung im Sinne der Wiedergutmachung.

Da die Rheumaheilstätte den Antrag zurückwies, wurde bei der Wiedergutmachungskammer des Landgerichtes Kiel ein Rückerstattungsverfahren eröffnet. Robert Alexander lebte in Kolumbien und wurde von einem im Ausland lebenden Anwalt vertreten. Die Rheumaheilstätte ließ ihre Interessen durch den Hamburger Rechtsanwalt Dr. Friedrich Siebeck wahrnehmen. (88)

Das Gericht hatte, gestützt auf das Rückerstattungsgesetz (REG) Artikel 3 Abs. 3 angenommen, daß eine „Übertragung jüdischen Vermögens“ auf einen nicht-jüdischen Eigentümer, die Rheumaheilstätte, stattgefunden habe. Übertragen in diesem Sinne sei O. Alexanders Eigentum an dem Grundstück und Kurhaus An den Auen, sein Recht aus dem Pachtverhältnis und die Regie des Betriebes, der wieder von der GmbH übernommen wurde.

Daraus hatte das Gericht einen Rückerstattungsbetrag von zunächst 50 000 DM berechnet, diesen nach der Anhörung weiterer Zeugen auf 10 000 DM reduziert, um schließlich den Betrag von 22 000 DM zur Grundlage für einen Vergleichsvorschlag zu machen. Diese Summe enthielt auch die für Robert Alexander entstehenden Anwaltskosten von 2000 DM.

Rechtsanwalt Siebeck empfahl seiner Klientin dringend, den Vergleich anzunehmen, da er der Rechtslage entspreche. Eine Ablehnung werde mit Sicherheit zu Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht und notfalls auch vor dem Board of Review führen, einem von der Militärregierung eingesetzten Gerichtshof, und dieser Gerichtshof habe bisher immer und ohne Möglichkeit einer weiteren Revision für den Antragsteller entschieden. Die Rheumaheilstätte würde sich mit einer Zurückweisung des Vergleichs sehr hohe Gerichtskosten einhandeln, vor allem aber eine um ein vielfaches höhere Rückerstattungssumme an Robert Alexander. Dem Anwalt fiel es zunächst nicht schwer, die Rheumaheilstätte zu überzeugen. Entscheidend dürfte die Bestimmung des Gesetzes gewesen sein, daß die Beklagte „unter allen Umständen beweispflichtig dafür (ist), daß ein rückerstattungspflichtiger Tatbestand n i c h t gegeben ist; das Gesetz vermutet das Vorliegen eines rückerstattungspflichtigen Tatbestandes.“

Nun kam es dem Anwalt darauf an, den für die Rheumaheilstätte überaus günstigen Handel möglichst geräuschlos abzuschließen. Es mußte unter allen Umständen verhindert werden, daß Robert Alexander das Verfahren bei einer Ablehnung des Vergleichs vor die Berufungsinstanz bringt.

Die Bad Bramstedter Position war, objektiv besehen, sehr schwach. Trotzdem war es gelungen, die Vergleichssumme derart niedrig zu halten. Wie kam das zustande?

Den Schreiben des Anwaltes ist zu entnehmen, daß die günstige Wendung auf die Aussagen von Hans Blobel und Herbert Alexander zurückzuführen war. Insbesondere Herbert Alexander habe überzeugend dargelegt, „daß tatsächlich die Übertragung der Vermögensstücke nicht aus Verfolgungsgründen rassischer oder politischer Art stattfand, sondern die wirtschaftlichen Verhältnisse waren von erheblicher Bedeutung; O. Alexander fühlte sich nicht unter den Druck der Verfolgung gesetzt.“

Das Gericht ließ diese Aussagen zugunsten der Rheumaheilstätte gelten, und diese konnte ihren Standpunkt noch dadurch erhärten, daß sie auf die Gegenleistung hinwies, die sie O. Alexander erbracht hat: die Übernahme aller auf dem Unternehmen lastenden Verbindlichkeiten und „der langfristige, seine künftige Existenz sicherstellende Vertrag über die Nutzung der Moorsalzquelle, die aus Tarnungsgründen mit Dr. Hugel, später mit Herrn Arp, dem Schwiegervater Roberts, geschlossen“ wurde.

Schließlich betrachtete die Kammer den Beweis für erbracht, daß O. Alexander nicht Opfer einer rassisch oder politisch begründeten Verfolgung gewesen sei. Da die Vertreter der Rheumaheilstätte aber genau wußten, daß sie die Tatbestände entstellt und verfälscht hatten, blieben sie sehr unsicher. Sie wußten, daß das gefürchtete Board of Review die erhobenen Tatbestände anders beurteilen würde. Aus den Schriftsätzen des Anwalts gehen die Schwachpunkte deutlich hervor: O. Alexander war „Volljude“, die wirtschaftliche Verfolgung also überaus naheliegend, und die Aussagen früherer Zeugen, „daß die Juden-Eigenschaft bei der Übertragung des Vermögens doch eine Rolle gespielt hat.“ Das bleibe gefährlich, trotz der günstigen Aussagen Herbert Alexanders. Der Anwalt konnte also nichts besseres empfehlen, als das Vergleichsangebot mit der absolut nichtigen Summe von 22 000 DM unauffällig und still anzunehmen.

Auf die verfälschende Tatsachenbehauptung der beiden Zeugen braucht in diesem Zusammenhang nicht mehr eingegangen zu werden. Sie werden durch die vorausgegangenen Kapitel widerlegt. Was aber hat Herbert Alexander zu solchen Aussagen veranlaßt? Daß er es nicht besser gewußt haben sollte, ist undenkbar. Während seines Onkels Verdrängung inszeniert wurde, war er bereits ein erwachsener Mensch und konnte als Angestellter des Unternehmens die Vorgänge aus relativer Nähe verfolgen. Nach dem Kriege standen ihm als Verwaltungsleiter die gesamten Akten zur Verfügung. Von einem Zerwürfnis mit seinem Onkel und dessen Sohn im Ausland ist nichts bekannt.

Vordergründig mag bei Herbert Alexander die dienstliche Solidarität mit der Rheumaheilstätte, die es ihm zur Pflicht machte, deren Interessen zu vertreten, mitgewirkt haben. Er wird aber in einem schweren Interessen- bzw. Gewissenskonflikt gestanden haben. Sollte er für die Wahrheit zeugen und damit die Rheumaheilstätte doppelt belasten: mit einer höheren Rückerstattungssumme und dem Eingeständnis, daß eben die Rheumaheilstätte und die sie tragende GmbH den hochverdienten Mann aufs schmählichste behandelt und ihm nicht nur jede fürsorgliche Hilfe verweigert, sondern sich zum Helfer und Exekutor der antisemitischen Politik gemacht hatte?

Ich halte es für wahrscheinlich, daß seine Loyalität zur Rheumaheilstätte das Wissen um die Wahrheit erdrückte. Dabei ist das politische Klima jener 50er Jahre in Deutschland insgesamt und in Schleswig-Holstein im besonderen zu berücksichtigen. Es war gekennzeichnet durch die Abwehr von Schuldeinsicht und das Ausweichen vor einer selbstkritischen Wiederbegegnung mit dem Nationalsozialismus und dessen bürgerlichen Wurzeln. Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus galten sehr wenig, stießen eher auf Mißtrauen und Ablehnung und mußten ihre Forderungen sehr oft schwer erkämpfen, während Stützen des NS-Regimes überall im öffentlichen Leben ihre maßgeblichen Positionen behaupten konnten oder wieder erlangten.

Es wäre für Herbert Alexander sehr unpopulär gewesen, in einer Stadt wie Bad Bramstedt unter Hinnahme finanzieller Einbußen für die Rheumaheilstätte vor Gericht zu bezeugen, daß es an diesem Orte eben doch massiven Rassenhaß gegeben und daß dieser ein prominentes Opfer gefordert hatte. Mit der Benennung einer Straße nach diesem Opfer sollte es anscheinend sein Bewenden haben, so darf vermutet werden. In diese Tendenz scheint Herbert Alexander sich eingebunden zu haben, und das wohl um so mehr, als er in der Öffentlichkeit inzwischen ein hohes Ansehen genoß, welches sich in einer ganzen Reihe von Ehrenämtern ausdrückte, von dem eines gewählten Stadtverordneten bis zum Mitglied des Kirchenvorstands der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde. Diese Position galt es zu verteidigen.

Empfand er seine Abkunft von einem jüdischen Vater insgeheim als Makel, den er zu tilgen suchte durch Überanpassung um den Preis der Wahrheit? Fürchtete er vielleicht, daß man ihm seine Eigenschaft als „Halbjude“ könnte spüren lassen, sobald er nicht „spuren“ sollte? Dies sind Erklärungsversuche, die sich alle in den Bereich des Möglichen drängen, ohne eine wirklich Bestätigung zu finden.

Leichter hatte es Geschäftsführer Hans Blobel. Viele der vorhandenen Dokumente tragen seine Unterschrift bzw. sein Zeichen:

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Die Dokumente selbst vermitteln den Eindruck eines Mannes, der sich diensteifrig und unkritisch als Werkzeug des Machtapparates anbot -„Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn“ hatte. Es gibt kein Anzeichen dafür, daß er sich in irgendeiner Weise für O. Alexander eingesetzt, ihn zu schützen versucht hätte. Er funktionierte korrekt in der Ausführung der gegen O. Alexander gerichteten Maßnahmen. Eine Jubiläumsschrift der Rheumaklinik (89) charakterisiert ihn so: „Mit der Herrn Blobel eigenen Tatkraft und seinem Pflichtbewußtsein hat er die Geschäftsführung der Gesellschaft in den langen Jahren geleitet und jede Möglichkeit, dem Unternehmen erfolgreich zu dienen, ausgenutzt.“

Anscheinend hat Blobel selber auch nie selbstkritisch zu seinem Verhältnis zu O. Alexander gestanden. Als wäre er ganz unbeteiligt gewesen, schrieb er 1956 von einer von Jahr zu Jahr größeren wirtschaftlichen Notlage des Pächters, um dann fortzufahren: „Sie zwang, um Schlimmeres zu verhüten, letzten Endes dazu, im gegenseitigen Einvernehmen mit dem 01. Juni 1936 den Pachtvertrag vorzeitig aufzuheben und die Heilstätte von da ab wieder in eigene Regie zu übernehmen. Daß das nur unter zumutbaren Bedingungen für Herrn O. Alexander geschehen konnte und geschehen mußte, war allen Beteiligten trotz der damaligen Verhältnisse selbstverständlich.“ (90)

Ähnlich hatte sich Max Behrens als höherer Funktionär im Dritten Reich bewährt. Er war es gewesen, der auf der Gesellschafterversammlung am 13. Dezember 1935 die nicht-arische Abstammung des Direktor Alexander als erfolgmindernden Tatbestand zur Sprache brachte. Dem noch 1956 als Gesellschafter tätigen Mann wurde in der genannten Festschrift attestiert: „Mit gleicher Aktivität wie vor 25 Jahren nimmt er heute an dem Geschehen innerhalb der Rheumaheilstätte teil.“

Auch Chefarzt Dr. Paulus mochte auf sein Verhalten bei der Verdrängung O. Alexanders nicht eingehen und faßte sich kurz: „Am 01. Juni 1936 endete die Verpachtung der Rheumaheilstätte Bad Bramstedt. Der Pächter und Direktor, Herr Oskar Alexander (es hieß jetzt nicht mehr wie damals einfach nur: Alexander; G.H.), mit dem ich immer im besten Einvernehmen gestanden hatte, schied aus. Bald darauf wurde ich zum Direktor . . . ernannt und die Verwaltung mit der ganzen Belegschaft mir unterstellt.“ (91) Von solchem „besten Einvernehmen“ ist, bezogen auf die entscheidenden Phasen ihres gemeinsamen Weges, in den vorliegenden Dokumenten wenig zu finden, auch keine Andeutung darauf, daß er gegen die antisemitischen Vorwürfe aufgetreten wäre, wohl aber seine Sorge, daß jedwede Beziehung zu dem Juden für die Rheumaheilstätte abträglich sein könnte. (92)

In der 1981 erschienenen Festschrift „300 Jahre Bad Bramstedter Heilquellen“ bietet Horst Zimmermann in seinem Beitrag „Persönlichkeiten, die Bad Bramstedt prägten“ einen auf gut eine Seite begrenzten Abriß der Tätigkeit O. Alexander („Ein Leben für das Kurbad“). Er glaubt, darin feststellen zu dürfen: „Die Verfasser dieser Festschrift bemühten sich mit Erfolg, den Lebensweg Oskar Alexanders aufzuhellen“ (S.72). Das ist eine kühne Behauptung. Alle Verfasser entsprechender Beiträge dieser Festschrift wie auch in den übrigen der Rheumaklinik gewidmeten Publikationen haben allem Anschein nach Akten benutzen können. Aber niemand von ihnen hat zur „Aufhellung“ der Vorgänge um O. Alexander etwas Wesentliches beigetragen.

Man hat den Eindruck, als sei dieser Direktor und Pächter durch irgendwelche Mächte plötzlich entrückt worden. Diese Art geschichtlicher Entstellung ist sehr zu bedauern, da sie einem ganzen Gemeinwesen wie der Stadt Bad Bramstedt und vor allem ihren jüngeren Bürgern, aber auch einer so großen und personalintensiven Anstalt wie der Rheumaklinik mit ihren tausenden von Patienten die Möglichkeit verstellt, einen ganzen wesentlichen Bereich ihrer Geschichte kennenzulernen. Der große Nutzen, der aus einer ehrlichen, vollständigen Begegnung mit der Geschichte erwachsen kann, wird so vertan.

Viele haben Schuld auf sich geladen: die Verantwortlichen der an der GmbH beteiligten Versicherungsanstalten bzw. deren leitende Persönlichkeiten, die Verantwortlichen der Rheumaheilstätte und der Stadt – konkrete Personen mit Namen und Adressen, nicht anonyme Mächte an fernen Schalthebeln waren hier in Bad Bramstedt an unheilvollem Werk. Dies einzugestehen ist nicht angenehm, aber notwendig. Der richtige, wahrhaftige Umgang mit schuldhafter Geschichte trägt zur Stärkung bei – heute und morgen. Darin liegt die Absicht dieses Lebensbildes des Oskar Alexander.


AnlageMaßnahmen gegen die Juden in Deutschland zwischen 1938 und 1943 (Auswahl)

17.08.1938 Zwangsweiser Namenszusatz für Männer: Israel, für Frauen: Sara
05.10.1938 Reisepässe der Juden werden für ungültig erklärt
15.11.1938 Jüdische Kinder werden vom Besuch „deutscher“ Schulen ausgeschlossen
03.12.1938 Entziehung der Führerscheine und Zulassungspapiere für Kraftwagen. Ausschluß der Juden von Theater, Kino, Bädern usw.
08.12.1938 Ausschluß der Juden von den „deutschen“ Hochschulen
21.02.1939 Anmeldepflicht aller Vermögenswerte
01.09.1939 Ausgangssperre für Juden im Sommer nach 21 Uhr, im Winter nach 20 Uhr
29.09.1939 Beschlagnahme der Rundfunkgeräte
06.02.1940 Beschränkung der Zuteilung von Kleidern und Spinnstoffen
04.07.1940 Begrenzung der Einkaufszeit auf 16 bis 17 Uhr
01.09.1941 Ausschluß von Leihbuchhandlungen
01.09.1941 Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden durch den Judenstern
18.12.1941 Schwerbeschädigte Juden erhalten keinen Ausweis mehr
17.02.1942 Ausschluß vom Bezug von Zeitungen usw.
26.03.1942 Kennzeichnung der jüdischen Wohnungen
24.04.1942 Ausschluß von der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel
10.01.1942 Ablieferungspflicht von Pelz- und Wollsachen
15.05.1942 Verbot der Haltens von Haustieren
29.05.1942 Verbot der Inanspruchnahme von Friseuren
11.06.1942 Wegfall des Bezugs von Tabakwaren
19.06.1942 Ablieferung aller optischen Geräte usw.
18.09.1942 Wegfall der Zuteilung von Fleisch, Eiern, Weizenerzeugnissen, Milch, Marmelade usw.


Quellen und Literatur

Ungedruckte Quellen

Rheuma-Klinik:
Personalakte Oskar Alexander

Stadtarchiv:

Niederschriften über die Sitzungen der Beigeordneten. 01.01.1935 – 27.10.1938
Protokollbuch über die Sitzungen der Stadtverordneten und Niederschriften über Ratsherrensitzungen vom 07.08.1928 – 25.01.1938
Städtische Beamte und Angestellte 1924 – 1938
Wohnungsbau
Einzelne Aktenstücke zur Stadtsparkasse.
Personalakten Erlenhorst, Maas und Utermarck
Literatur

Bekenntnisgemeinschaft der evang.-luther. Landeskirche Schleswig-Holsteins, Jg. 1935
Bendixen, Peter. Vaterländische Gesinnung. Bad Bramstedt o.J. (nicht im Buchh. ersch.)
Blobel, Hans. Die Entwicklung der Rheumaheilstätte Bad Bramstedt in den abgelaufenen Jahren; in: 25 Jahren…, S. 27-35
Bluhm, Gerhard. Die Entwicklung der Selbstverwaltung; in: 100 Jahre…, Bd. 1, S. 179-284
Bramstedter Nachrichten, versch. Jahrgänge
Buchheim, Max. Arbeitsmaterial zur Gegenwartkunde. Hannover 1961
Bukh, Niels. Grundgymnastik. 7. Aufl.Leipzig 1927
300 (Dreihundert) Jahre Bad Bramstedter Heilquellen 1681-1981. Bad Segeberg 1981
25 (Fünfundzwanzig) Jahre Rheumaheilstätte (Kurhaus) Bad Bramstedt. Hamburg 1956
Heims, Holger u. Hark Lenze. Bad Bramstedt im Zweiten Weltkrieg. Bad Bramstedt 1982. (Schriftenreihe d. Jürgen-Fuhlendorf-Schule. H. 6.)
Heinacher, Peter. Die Anfänge des Nationalsozialismus im Kreis Segeberg. Bad Bramstedt 1976. (Schriftenreihe d. Jürgen-Fuhlendorf-Schule H.2.)
Helms, E.. Die Entstehungsgeschichte der Rheumaheilstätte Bad Bramstedt; in: 25 Jahr…, S. 11-13
Helms, E.. Die Landesversicherungsanstalt der Hansestädte in Lübeck 1891-1938; in: Zeitschr. f. Lübeckische Geschichte u. Altertumskunde. Bd. 38, 1938
Hoch, Gerhard. Die braune Synode. Bad Bramstedt 1982
ders. Reichsarbeitsdienst in Kaltenkirchen. Abteilung 8/73 „Jürgen-Fuhlendorf“. Kaltenkirchen 1977
ders. Das Scheitern der Demokratie im ländlichen Raum. Das Beispiel der Region Kaltenkirchen/Henstedt-Ulzburg 1870-1933. Kiel 1988
ders. Zwölf wiedergefundene Jahre. Kaltenkirchen unter dem Hakenkreuz. Bad Bramstedt 1980
100 (Hundert) Jahre „Kaiserliche Botschaft“. Eine Chronik. 90 Jahre Landesversicherungsanstalt Freie und Hansestadt Hamburg. Hamburg o.J.
100 (Hundert) Jahre Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein. Bd. 1-3. Lübeck 1990
Jenner, Harald. Konzentrationslager Kuhlen 1933. Rickling 1988
Josenhans, Gerhard. Die Entwicklung der Rheumaheilstätte zur Rheumaklinik 1931-1981; in: 300 Jahre…, S. 26-39 Kaltenkirchener Zeitung, versch. Jahrgänge
Krane, Karl-Wilhelm. Vom Gesundbrunnen zur Rheumaklinik. Bad Bramstedt 1979 (Schriftenr. d. Jürgen-Fuhlendorf-Schule. H.5.)
Landesversicherungsanstalt der Hansestädte; Berichte über die Verwaltung im Jahre 1933-1936
(Die) Landesversicherungsanstalt Freie und Hansestadt Hamburg. Hamburg 1974
Mitteilungsblatt des Deutschen Gemeindetages, Provinzialstelle Hannover, Jg. 1935
Paulus, R.. Bericht über die chefärztliche Tätigkeit vom 04. März 1935 bis 15. April 1952; in 25 Jahre…, S. 15-21
Pflugschar und Meißel. Gemeindeblatt f.d. Kirchspiel Kaltenkirchen. versch. Jahrgänge
Platte, Wolfgang. Geschichte Bramstedts. Bad Bramstedt 1988
Rietzler, Rudolf. „Der Kampf in der Nordmark.“ Das Aufkommen des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein (1919-1928). Neumünster 1982
Rudolph, Gerhard. 300 Jahre Gesundbrunnen im Norden; in: 300 Jahre…, S. 8-25
Saurbier, Bruno. Geschichte der Leibesübungen. 6. Aufl. Frankfurt 1969
Schröder, Tatjana. Die Geschichte der Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein; in: 100 Jahre… Bd. 1, 1990. S. 10-178
Segeberger Kreis- und Tageblatt, Jg. 1938
Sport Brockhaus. 5. Aufl. Mannheim 1985
Sutter, Peter. Der sinkende Petrus. Rickling 1933-1945. Rickling 1986
Wedde, Heinz. Im Ziel verbunden: Den Kranken zu dienen; in: 300 Jahre…, S. 52-65
Zimmermann, Horst. Persönlichkeiten, die Bad Bramstedt prägten; in: 300 Jahre…, S. 66-72.


Anmerkungen

1. Näheres über die Entstehung der Tafel ist nicht zu erfahren.
2. Über die Entstehung des Porträts ist nichts bekannt.
3. Mitteilung aus dem Stadtarchiv Visselhövede.
4. Dort ist er als Jacob Meyer Alexander eingetragen. Möglicherweise
hat er mit der Erteilung des Schutzbriefes für Juden eine
christianisierende Namensänderung vorgenommen.
5. Der Heimatborn. Jg. 1962, H. 12, S. 2
6. G.Hoch. Zwölf wiedergefundene Jahre (künftig abgek. „Zwölf“),
S.146
7. Es handelt sich um die überaus verlustreichen und vergeblichen
Angriffskämpfe im Oktober und November 1914 bei Langemark in
Westflandern. Jahrzehntelang wurde die Legende kolportiert, bei
Langemark seien deutsche Regimenter, die überwiegend aus Studenten
bestanden hätten, mit dem Lied „Deutschland, Deutschland, über
alles“ gegen die feindlichen Stellungen gestürmt. In nationalen
Verbänden, Jugendorganisationen, Schulen und Kirchen wurden mit
Hilfe dieser Legende junge Menschen zu nationalem und militärischem
Fanatismus verführt.
8. Zur Geschichte von Kurhaus und Rheumaklinik siehe: Karl-Wilhelm
Krane. Vom Gesundbrunnen zur Rheumaklinik, u. Gerhard Rudolph.
300 Jahre Gesundbrunnen im Norden.
9. Dazu ein in der Personalakte befindlicher Schriftsatz von O.
Alexander vom 23. Mai 1936 „Mein Wirken in Bad Bramstedt
1918-1936“, künftig abgek.: „Mein Wirken.“
10. Schriftsatz von Ortsgruppenleiter Schlichting vom März 1936.
11. Mein Wirken.
12. Schriftsatz Schlichting.
13. Mein Wirken.
14. Tatjana Schröder. Die Geschichte d. Landesversicherungsanstalt
Schleswig-Holstein, S. 76.
15. E. Helms. Die Entstehungsgeschichte der Rheumaheilstätte Bad
Bramstedt, S. 12.
16. ders., S. 13
17. Hans Blobel. Die Entwicklung der Rheumaheilstätte Bad Bramstedt in
den abgelaufenen 25 Jahren.
18. Krane, a.a.O.,
19. Personalakte Erlenhorst. Erlenhorst war 1926 von der bürgerlichen
Mehrheit gewählt worden. Die Wahl wurde 1932 „wegen irrtümlicher
und arglistiger Täuschung“ mit rückwirkender Kraft angefochten, er
selber seines Amtes enthoben; dazu: Protokoll… und Städtische
Beamte und Angestellte…
20. Personalakte Maas. Maas war seit 1925 Syndikus des
republikfeindlich orientierten Kreishandwerkerbundes Segeberg,
Mitglied der NSDAP seit 01.02.1931. Er führte als Sturmführer den
SA-Reservesturm Bad Bramstedt und stieg später zum
SA-Sturmbannführer auf; dazu: G. Hoch. Das Scheitern der Demokratie
(künftig abgek.: Scheitern), S. 202 u. ders. Zwölf…, S. 64
21. Bramstedter Nachrichten u. Segeberger Kreis- und Tageblatt v.
28.06.1932 u. Personalakte Erlenhorst.
22. Zur Person Büchlers vgl. Peter Heinacher. Die Anfänge des
Nationalsozialismus im Kreis Segeberg, S. 20 f.
23. Landesversicherungsanstalt d. Hansestädte. Bericht über die
Verwaltung i.J. 1934.
24. Bramstedter Nachrichten v. 01.02.1936.
25. Akte Wohnungsbau.
26. Rudolf Rietzler. „Kampf in der Nordmark.“ Neumünster 1982.
27. G. Hoch. Das Scheitern…, S. 114 u. 116 f.
28. Satzungen im Landesarchiv Schleswig, Abt. 320 Segeberg, Nr. 246
29. G. Hoch. Das Scheitern…, S. 171.
30. Rietzler, a.a.O.
31. Peter Bendixen. Vaterländische Gesinnung.
32. Zahlen nach Wolfgang Platte, Heinacher u. Bramstedt Nachrichten.
33. vgl. Rietzler, a.a.O., und G. Hoch, Das Scheitern…
34. G. Hoch, Das Scheitern, S. 177 u. Kaltenkirchener Zeitung v.
01.09.1925.
35. Landesarchiv Schleswig (künftig LAS) 320 Segeberg Nr. 676.
36. LAS 320 Segeberg Nr. 674.
37. LAS Segeberg Nr. 676.
38. G. Hoch, Zwölf…, S. 105.
39. ders., Zwölf…, S. 136.
40. Bramstedter Nachrichten v. 30.08.1933.
41. Bramstedter Nachrichten v. 10.09.1935.
42. Bramstedt Nachrichten v. 04.08.1933; zum KZ Kuhlen siehe Peter
Sutter. Der sinkende Petrus u. Harald Jenner. Konzentrationslager
Kuhlen 1933.
43. Pflugschar und Meißel v. 21.05.1933.
44. Bekenntnisgemeinschaft der evang.-luther. Landeskirche
Schleswig-Holsteins v. 06.06.1935.
45. G. Hoch. Die braune Synode, S. 67 f.
46. ders., Die braune Synode, S. 68 ff.
47. Bramstedter Nachrichten v. 03.08.1933.
48. Bramstedter Nachrichten v. 06.08.1933.
49. G. Hoch, Reichsarbeitsdienst in Kaltenkirchen, S. 18 f.
50. Protokollbuch d. Beschlüsse d. Stadtverordneten u. Niederschriften
über Ratsherrensitzungen v. 07.08.1928-25.01.1938.
51. Bramstedter Nachrichten v. 14.06. u. 02.07.1934.
52. Bramstedter Nachrichten v. 08.12.1934; zu v. Mohls „sauberer
Verwaltung“ gehörte auch die Einweisung von Bürgern in das KZ
Kuhlen; dazu: G. Hoch. Zwölf…, S. 90.
53. Personalakte Utermarck.
54. Protokollbuch…
55. Protokollbuch…
56. Wolfgang Platte, a.a.O., S. 141 f.
57. Hundert Jahre LVA…, S. 83; dort auch die Fotos von Röer und
Schow.
58. E. Helms. Die LVA der Hansestädte in Lübeck 1891-1938, S. 44 ff.
59. Helms. Die LVA…, S. 46
60. Hundert Jahre LVA, S. 83 u. Gerhard Bluhm. Die Entwicklung der
Selbstverwaltung, S. 213.
61. Bluhm, a.a.O., S. 83.
62. Bericht Storck v. 16.12.1936.
63. R. Paulus. Bericht über die chefärztliche Tätigkeit vom 04. März
1935 bis 15. April 1952.
64. Gesetz zur Aufhebung der Gewerkschaften v. 02.05.1933 u. Gesetz
zur Bildung der Deutschen Arbeitsfront v. 10.05.1933.
65. Bramstedter Nachrichten v. 04.02.1935.
66. Rechtsanwalt Vaupel amtierte von 1934 bis 1945 als Bürgermeister in
Visselhövede. 1948 wurde er erneut in dieses Amt gewählt, das er
dann bis 1955 bekleidete.
67. Schreiben von Jensen v. 14.03.1940.
68. G. Hoch. Die braune Synode, S. 68 f.
69. G. Hoch. Zwölf…, S. 78.
70. ebenda, S. 208.
71. ebenda, S. 164.
72. „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ und
das „Reichsbürgergesetz“, beide vom 15.09.1935.
73. Mitteilungsblatt des Deutschen Gemeindetages, Provinzialstelle
Hannover, Nr. 11 v. 05.10.1935; zit. nach Max Buchheim.
74. Schreiben v. 08.11.1935.
75. Die allgemeine Wehrpflicht wurde am 16.03.1935 eingeführt.
76. Dokumente der Stadtsparkasse im Stadtarchiv.
77. Niederschriften über die Sitzungen der Beigeordneten. 07.01.1935-
27.10.1938.
78. Akte Wohnungsbau, darin: O. Alexander vertraulicher Bericht über
meine Englandreise79. Bericht vorliegend in der Akte Wohnungsbau.
80. Dazu das Segeberger Kreis- u. Tageblatt v. 14.11.1938: „Die
feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk und
Reich, die auch vor feigen Mordtaten nicht zurückschreckt,
erfordert entschiedene Abwehr und harte Sühne. Ich bestimme daher
auf Grund der Verordnung zur Durchführung des Vierjahresplanes vom
18. Oktober 1936 (RGB 1. Seite 887) das folgende: Paragraph 1.
Den Juden deutscher Staatsangehörigkeit in ihrer Gesamtheit wird
die Zahlung einer Kontribution von 1 000 000 000 Reichsmark an das
Deutsche Reich auferlegt… gez. Göring, Generalfeldmarschall.“
81. Dazu zahlreiche Dokumente i.d. Akte Wohnungsbau.
82. Niels Bukh. Grundgymnastik, Bruno Saurbier, Geschichte der
Leibesübungen u. Der Sport Brockhaus. Bukh gründete die
Gymnastikhochschule in Ollerup (Insel Fünen). Er betonte statt der
starren, kraftgebenden Haltung schnellkräftige und schwunghafte,
geschmeidige Übungen, denen der Schwingweg sehr entgegenkam.
83. Patentschrift Nr. 645 640 Klasse 30 f Gruppe I A 78694 IX/30 f; Tag
der Bekanntmachung: 13.05.1937.
84. Wohnungsbau K.A. 111 v. 15.11.1937.
85. Gerhard Finn. Sachsenhausen, S. 16; hier wurden auch die Fotos zu
Sachsenhausen entnommen.
86. Krane, a.a.O., S. 20 f; Gerhard Josenhans. Die Entwicklung der
Rheumaheilstätte zur Rheumaklinik; Paulus, a.a.O., S. 16 ff.,
Holger Heims u. Hark Lenze. Bad Bramstedt im Zweiten Weltkrieg.
87. Blobel, a.a.O., S. 28 f.
88. Zur Verfügung stehen leider nur einige Schriftstücke der Anwälte in
der Personalakte O. Alexanders.
89. 25 Jahre…, Zum Geleit.
90. ebenda, S. 28.
91. ebenda, S. 15-21.
92. Gesellschafterversammlung am 14.01.1937.


Gerhard HochGerhard Hoch

Der Autor dieses Buches wurde 1923 in Alveslohe, seinem jetzigen Wohnort, geboren. In nationalsozialistischer Familie und Umgebung aufgewachsen, hat er das Dritte Reich als Hitlerjunge und überzeugter Nationalsozialist erlebt. Nach freiwilliger Teilnahme am Krieg und bis 1948 dauernder Kriegsgefangenschaft begann er das Studium der katholischen Theologie, das er nach zwölf Semestern abschloß. Später wechselte er den Beruf und arbeitete als Bibliothekar an wissenschaftlichen Bibliotheken in Hamburg.
Seine persönliche innere Befreiung vom Nationalsozialismus verband der Autor mit dem intensiven Studium der Zeitgeschichte seiner engeren und weiteren Heimat. Als Früchte dieser Arbeit veröffentlichte er zahlreiche Bücher und Aufsätze, u. a.
Hauptort der Verbannung – Das KZ-Außenkommando Kalten-kirchen – 1981. Zwölf wiedergefundene Jahre – Kaltenkirchen unter dem Hakenkreuz – 1981. Verschleppt zur Sklavenarbeit – Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein – (Hrsg. zus. m. Rolf Schwarz) 2. Aufl. 1988. Das Scheitern der Demokratie im ländlichen Raum – Das Beispiel der Region Kaltenkirchen/Henstedt-Ulzburg 1870-1933. – 1988. Von Auschwitz nach Holstein – Das Schicksal der 1200 jüdischen Häftlinge von Fürstengrube – 1990.
Aufsätze. Kriegsgefangene u, Zwangsarbeiter in Elmshorn, Bilsen 1940-1945 – Ein Dorf und seine Zwangsarbeiter, 1946Die verhinderte Selbstreinigung <Kaltenkirchen). Vom christlichen Umgang mit der Geschichte . Französische Kriegsgefangene
in Hamburg 1941 – 1945. Streit um die Juden in Bramstedt 1740. Klopstock und Lessing auf Gut Kaden.

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Schadendorf: Alt-Bramstedt im Bild Ergänzungen

Schriften zur Bramstedter Vergangenheit II


„Alt-Bramstedt im Bild“

Personen auf den Bildern, Erläuterungen , Ergänzungen
und Korrekturen

von
Jan-Uwe Schadendorf

Bad Bramstedt, 1996


Vorwort:

Nach Erscheinen der ersten Ausgabe meines Buches „Alt-Bramstedt im Bild“ 1978 erhielt ich viele Rückmeldungen und weitere Informationen.

Besonders  fleißig  war die zwischenzeitlich verstorbene Anni Jeronimus, die zusammen mit einigen Bekannten versuchte, möglichst  viele Personen auf den Bildern zu erkennen und namhaft zu machen.
Ihre Angaben bringen zusätzliches Leben in das Buch und so will ich  sie allgemein mit dieser kleinen Schrift bekannt machen.  Prüfen konnte ich die Angaben meist nicht, da mir die meisten Personen auf den Bildern selbst unbekannt  sind – doch habe ich den Eindruck gewinnen können, daß Frau Jeronimus eine sehr gute Personenkenntnis besaß.

Die Auflistung habe ich ferner um einige Angaben erweitert, soweit sie mir wichtig erschienen und außerdem sind  einige Korrekturen eingeflossen, die bei Drucklegung der 1. Ausgabe übersehen wurden (in der 2. Ausgabe sind  die meisten schon berücksichtigt).

So ist diese Schrift für die Besitzer der 1. und 2. Ausgabe  eine schöne Ergänzung hinsichtlich der Personenangaben und für die Besitzer der 1. Ausgabe zusätzlich eine Ergänzung, die sie auf den Stand der 2. Ausgabe bringt.

Man sieht: Dieses Buch lebt und wird durch weitere Informationen immer ein Stück reicher. –  So bin ich auch weiterhin dankbar, wenn mir Hinweise über weitere Details gegeben werden .

Allen  Lesern wünsche ich viel Vergnügen beim Lesen; findet der eine oder andere doch einen seiner Vorfahren  oder gar sich selbst auf den Bildern wieder.

im April 1996

 Jan-Uwe Schadendorf



Buchseite
oben/unten     Position                     Name/n  / Anmerkungen                                                                        sonstiges
 9 Text                       Hinter den Höfen = Rosenstraße
9 Text                       Kaffeegraben = Bach im Butendoor, Höhe Haus Nr. 1
10 unten     am Denkmal       Pensionärinnen von Meyers Pensionat
10 oben      rechts           Hotelbesitzer Peters
11 Text                       Bramstedt als Fürstensitz ist nicht belegt
12 unten     2. von rechts    Alfred Warnemünde
12 unten     3. von rechts    Blievernicht
12 unten     4. von rechts    Julius Struve
13 Text      Ende 1. Absatz   Fischteich lag auf dem Gelände, wo heute der AWO-Kindergarten ist
13 Text      Mitte 2. Absatz  die Anlagen = Herrenholz
13 Text      3. Absatz        Klingberg = heute hinterer Teil Maienbeeck
13 Text      3. Absatz        Lehmberg = heute Maienbaß
14 unten                      Familie Heesch u. Kurgäste
15 Text      2. Absatz        Neumünstersche Chaussee = heute Kieler Straße
15 Text      2. Absatz        höhere Privatschule = heute Grundschule am Bahnhof
15 Text      2. Absatz        Schwanensee = Teich nördl. d. Osteraubogens
16 unten     —               Behnckes wohnten am Schäferberg bevor sie das  Solbad eröffneten;
16 unten     —-             heirateten am 25.11.1910 auf dem Schäferberg.
16 unten     2. Mann v.re.    stehend, ohne Hut: Johannes Behncke
16 unten     4. Frau v.re     sitzend: Anne Behncke
16 unten     Balkon rechts    Wilhelmine Behncke, verehel. Kröger
19 Text      1. Absatz        Hambrücke = Brücke O.-Alexander-Str zum Kurgebiet
19 Text      1. Absatz        Jugendheim = heute, 1996, Gelände Pflegeheim Mees
19 Text      2. Absatz        Friedenseiche steht a.d. Rasendreieck a.d. Bleeck
19 Text      2. Absatz        Doppeleiche = Eiche neben dem Roland
19 Text      2. Absatz        Schlüterscher Gasthof = Rolandseck (Bleeck 2)
20 unten                      Frau Jahncke (Gemeindehausverwalterin) und Kinder fraglich
23 unten     1. Reihe         st. 06. v.l.: Paul Dehn
23 unten     1. Reihe         st. 08. v.l.: Lotti Hümpel
23 unten     1. Reihe         st. 10. v.l.: Käte Hümpel
23 unten     1. Reihe         st. 11. v.l.: Konstanze Struve
23 unten     1. Reihe         st. 12. v.l.: Grete Struve
23 unten     1. Reihe         st. 17. v.l.: Karl Theodor Hümpel
23 unten     1. Reihe         st. 18. v.l.: Hans Joachim Hümpel
23 unten     2. Reihe         st. 02. v.l.: Hans Dehn
23 unten     3. Reihe         st. 02. v.l.: Otto Delfs (Sohn v. Heinrich Delfs
23 unten     3. Reihe         u.Maria geb. Quistorff); früher: Rosenstr. 57; jetzt: Ruhpolding
26 oben                       Paul Jahncke m. Frau u. Schwägerin u.3 Kind.
26 oben                       richtiges Datum: 24.8.1913
29 Text      4. Absatz        älteste Erwähnung des Rolands bezieht sich auf das
29 Text      4. Absatz. Jahr  1532/33;“Gerichtsverhandlung bey dem Roland“
27 unten     auf Pferd re.    v. re. im dunklem Hemd: Otto Liebschner
27 unten     unten re.        in d. Gruppe lks.: Willy Stiller
30 unten     ganz links       Dr. Gühne
32 unten                      Stein in der Rolandsumrandung von 1827
34 unten                      Pensionärinnen v. Schloß, Meyers Kinder (?)
37 oben                       Haus Kirchenbleeck 5, Westseite Kirchenbleeck
37 oben      1. von rechts           Frau Krohn
39 unten                      Im Haus oben Postmeisterwohnung; u.r. Telefonie
39 unten     rechts stehend   Hinrich Hesebeck, im Vord. verm. 1 Tochter
40 oben      sitzend          2. v.r.: Fritz Burmeister
40 oben      stehend          2. v.r.: Gustav Andresen oder Büttner
42 ganz      rechts           Junge rechts vom Esel vermutlich ein Strodhoff – Esel gehört wohl
42 ganz      rechts           ihnen. Auch die Baums hatten einen Esel, – hier kein Baum dabei.
44 unten                      Pensionärinnen (?)
45 oben                       Famile Ramm, Eltern v. Heinrich Ramm
45 unten     links            Hans Böge (Gefängniswärter ?)
46 oben      vorn Mitte       Heinrich Fick u. Frau Dora, Tochter Dora
46 unten     rechts           Zimmermeister Harder
46 unten                      Foto entstand nach 1900; Häuser Bleeck 24-30
47 oben                       Häuser stehen auf der Südseite des Bleecks
47 unten                      richtig: Südseite des Bleecks
53 Text      letzter Absatz   richtiges Datum: 1969
54 unten                      Damen v.d. Schloßpension
56 oben                       in 2. Ausgabe ist historisches Foto zu sehen
62 unten                      Das Haus wich dem Neubau der Sparkasse
62 unten     rechts i.d. Tür  Hans Kniese (?)
63 unten     links            Ramcke (?)
63 unten     Mitte            Hugo Bracker, Vater von Hanna Frick
64 oben      ganz links       Ehel. Pape, Töchter Melitta (re.) u. Frieda
66 unten     Text             richtig: August Huß (nicht Kühl)
66 oben      rechts           Fritz Burmeister mit Fahrrad
68 oben      1. v.l.          Hinrich Büttner
68 oben      2. v.l.          Gustav Andresen
68 oben      3. v.l.          Hinrich Kruse (Schriftsetzer b. Paustian)
68 oben      4. v.l.,         sitz. Louis Baum (Bruder v. Karl Baum)
68 oben      5. v.l.          Hans Jeronimus, mit Bierbecher
68 oben      6. v.l.          Fritz Elwig
68 oben      7. v.l.          Ernst Kiel
68 oben      8. v.l.          Konstanze Struve
68 unten     1. v.l.          Hinrich Büttner
68 unten     2. v.l.          Otto Liebschner, mit Pistole
68 unten     3. v.l.          Hinrich Kruse, a.d. Stuhl stehend
68 unten     4. v.l.          Karl Baum, mit Schwert
68 unten     5. v.l.          Louis Baum, mit Speer
68 unten     6. v.l.          Gustav Andresen
68 unten     7. v.l.          Hans Jeronimus
68 unten     8. v.l.          Ernst Kiel, (halb verdeckt)
68 unten     9. v.l.          Fritz Elwig
70 oben      1. v.l.          Kind Konstanze Struve
70 oben      2. v.l.          Hinrich Büttner
70 oben      3. v.l.          Christine Fehrs
70 oben      4. v.l.          Gustav Andresen
70 oben      5. v.l.          Louis Baum
70 oben      6. v.l.          Ernst Kiel, mit Becher
70 oben      7. v.l.          Hans Jeronimus, mit Becher
70 oben      8. v.l.          Fritz Elwig
70 oben      9. v.l.          Konstanze Struve, Frau
70 oben      10. v.l.         Ida Steckmest
70 oben      11. v.l.         Karl Baum (?)
70 oben      12. v.l.         Kind Grete Struve
72 oben      unten            evtl. nicht 1938, sondern 1949 lt. H. Greve
72 oben      links            Kurt Meyer, als Graf Kielmannsegg
72 oben      Mitte            Johannes Daniel
72 oben      rechts           Anneliese Kamenz
72 unten     1. v.l.          Willi Rave, Butendoor
72 unten     2. v.l.          ?
72 unten     3. v.l.          Karl Koch
72 unten     4. v.l.          Adolf Schümann, Fuhlendorf
72 unten     5. v.l.          Emma Zimmer
72 unten     6. v.l.          Johannes Greve
72 unten     7. v.l.          MaxFick
72 unten     8. v.l.          ?
74 oben                       können Schlüters sein
74 unten                      Im Bramstedter Stellenverzeichnis werden Hans und Anna
74 unten                      Langhinrichs auf der Hufe 1 als Besitzer genannt (zuvor
74 unten                      Kirchspielvogtshufe)
74 unten                      Wahrscheinlich Familientag der Ratjens; sie sind
74 unten                      Verwandschaft zu dem späteren Schlachter Harbeck Haus Landweg 21
78 ganz                       Claus Schlüter links von der Haustür, rechts mit Haube Frau
78 ganz                       Schlüter mit Tochter Grete; bei den Kindern sind wohl Hans u.
78 ganz                       Willy Schl. dabei.
79 oben     rechts am Zaun    Frau Delfs,
79 oben     mitte             3 jg. Mädchen wohnten mit ihrer Mutter (auf der Bank sitzend)
79 oben                       oben im Haus Delfs; sind nach dem 1. WK verzogen; Name: ?.
80 oben                       Haus des MaxWilckens;  Haus Bleeck 21, damals Vater August W.
81 oben                       Haus Landweg 6, Hotel zur Mühle
81 oben                       Frau von Emil Schmidt mit vielen Kindern; sind
81 oben                       später nach Achtern Dieck verzogen.
81 unten                      lks. a.d. Bank Hans Rathje m. Kind auf dem Schoß;
81 unten                      links Frau Rathje und die Kinder.
82 oben                       Ansicht des Kirchenbleecks nach Norden
83 oben      1. v.l.          Elise Möller
83 oben      2. v.l.          ?
83 oben      3. v.l.          Johannes Möller
83 oben      4. v.l.          Grete Möller, Kind
83 oben      5. v.l.          Hans Möller, Sohn
83 oben                       Haus stand vor den heutigen Häusern „Im Winkel“
83 unten     links d. Tonne   mit Bart: Dietrich Wesselmann, dahinter:Frau u. 2
83 unten     m                Töchter; Wesselmanns hatten 4-5 Töchter u. Sohn
83 unten     n                Dietrich, er ist verheiratet mit Helma Hartkopf.
84 unten     rechts           Willy Stiller u.Schwester Paula (verh.: Steiger)
84 unten     2. Frau v.l.     Hanna Horst (verh. Renz); Schwester von Willy und
84 unten     2. Frau v.l..    Heinrich Horst
86 unten     1. v.l.          Dr. Schulz
86 unten     2. v.l.          Paul Harder
86 unten     4. v.l.          Lehrer Schwarz
86 unten     5. v.l.          Otto Schnepel
86 unten     6. v.l.          Otto Liebschner
86 unten     12. v.l.         Jonni Bock
86 unten     15. v.l.         Lehrer Stüben
86 unten     20. v.l.         Otto Kruse, mit Bart
86 unten     22. v.l.         Kurt Meyer
86 unten     23. v.l.         Eduard Peters u. Bruder
86 unten     2. Frau v.l.     Konstanze Struve (?)
86 unten     3. Frau v.l.     Frau (Dr.) Schulz
91 unten                      das sind keine Hiesigen
92 oben                       Vornamen Adolf Burmann; Johann Stammerjohann
93 ganz      links            Blievernicht u. Frau (wo ?)
93 ganz      links            mit modernem Hut: Gustav Andresen
94 oben      2. v.l. sitz.    August Kühl
94 oben      5. v.l. sitz.    Johann Sievers, Maler
94 oben      2. R. 3.v.l.     Willy Stiller
94 oben                       Haus: Kirchenbleeck 15
97 Text      3. Absatz        Aussage: „natürliche Verbindung“ ist zweifelhaft
103 ganz                      Meyer-Söhne Kurt u. Heinz m. Pensionärinnen
104 oben     Mitte            Johann Fülscher
104 unten                     „Holsteinisches Haus“ ist ganz links im Bild
105 unten                     Huß hatte Konfektionsgeschäft u. Gemischtwaren
106 unten    in der Tür       Sophus Wilckens
108 ganz     lks.v.HsNr.13    Christian, Marie u. Martha Kühl –
108 ganz                      die Organistenkinder: vermutlich
108 ganz                      Häuser: Kirchenbleeck 11 – 15
110 oben                      Haus gehörte Johannes Holtorf; es war ganz früher Pastorat,
110 oben                      gehörte der Kirche
110 unten    links vom Haus   Wilhelm u. Hermann Schröder,
110 unten                     Schreibfehler: nicht Sandweg sondern Landweg
111 Text     3. Absatz        G. Müller ist „ehemaliger“ Leiter der VHS
115 Text                      Bartelt Gieseler wird im Bramstedter Stellenverzeichnis 1654
115 Text                      als Inste (Nr. 19) geführt.
117 Text in Ausgabe 2 Absatz 4 Setzfehler: richtiger Text:
Doch es handelte sich nun nicht nur um eine alte Quelle auf der Brunnenwiese am Karkenmoor, sondern um neu entdeckte an der Lentföhrdener Aue, hinter der Hambrücke und auf einer Flur mit dem Namen Holenförd (auch Halenfjörd = Hamvie).

117 Text     4. Absatz        Schreibfehler: richtig Hamvie nicht Hamrie
117 Text     vorl. Absatz     richtig 1879 nicht 1870
118 unten    ganz rechts      Blievernicht ?
120 oben                      Das neue Kurhaus (1930/31) im ehemaligen
120 oben                      „Kaiser-Wilhelm-Wald“ bzw. „Stadtwald“
121 unten                     Das Kurhaus in seiner ursprünglichen Form
122 oben     Mitte            Mann mit Rad ist Boje Paulsen
127 oben                      Schuhmacher Parbst u. Kinder, eine Tochter
127 oben                      ist verh. als Stine Krüger
127 unten                     A-Kathe gehörte Grotrian, sehr beliebtes Ausflugsziel,
127 unten                     auf dem Bild die alten Grotrians.
128 oben     2. v.l.kniend    Karl Baum
128 oben     3. v.l.kniend    Friedrich Hamann
128 oben     1.R. 01. v.l.    Adolf Kröger
128 oben     1.R. 02. v.l.    Julius Struve
128 oben     1.R. 04. v.l.    Wilhelm Jetschat
128 oben     1.R. 06. v.l.    Ernst Kiel
128 oben     1.R. 09. v.l.    Willi Reimers
128 oben     1.R. 11. v.l.    Dirigent Möller, Kaltenkirchen
128 oben     1.R. 13. v.l.    Willi Reimers
128 oben     1.R. 14. v.l.    Marie Rehder/Biehl
128 oben     1.R. 15. v.l.    Johannes Kühl
128 oben     2.R. 06. v.l.    Friedrich Parbst sen.
128 oben     2.R. 07. v.l.    Otto Liebschner
128 oben     2.R. 08. v.l.    Blievernicht
128 oben     2.R. 09. v.l.    Otto Harms
128 oben     2.R. 10. v.l.    Fritz Grafe (?)
128 oben     2.R. 11. v.l.    Biehl a.d. Butendoor, Vater v. Marie Rehder
128 unten    rechts           er alte Schloicka
129 oben                      Eine Aufnahme vom Sängerfest 7.- 9.6.1913 in B.Br.
129 oben                      Katertour der Liedertafel nach dem Sängerfest 1913
129 oben     3. v.l. sitz.    „Old Fründ“ Krüger (?),Vater d. Frau MaxGrage
129 oben     5. v.l. sitz.    Julius Struve, mit dem Bierglas
129 oben     4. v.l. steh.    Hans Jeronimus, mit dem Hering für den Kater
129 oben     5. v.l. steh.    Johannes Kühl, den Kater am Stiel haltend
129 oben     7. v.l. steh.    Fr. Hamann
129 unten    1. v.l. sitz.    Heinrich Paustian
129 unten    1. v.l. steh.    Georg Schloicka
129 unten    4. v.l. steh.    Joh. Sievers
129 unten    8. v.l. steh.    Lehrer Heinrich Horst
134 unten    5. v.l.          Otto Liebschner
134 unten    12. v.l.         Heinrich Leuenhagen
134 unten                     2. Frau von lks. war Kindererzieherin bei Wilckens
134 unten                     die Kinder sind wahrscheinlich Wilckens
135 unten                     war früher Fremdenpension;vorn re.:Grete Struve
137 Text                      Trina mit’n Bart ging zu jedem Konfirmanden zum
137 Text                      Gratulieren und trank Kaffee.
137 Text                      Adolf Schümann machte Bekanntmachungen mit Glocke und
137 Text                      lauter Stimme: „Hüüt middag Klock dree Konzeert op de
137 Text                      Boadeanstalt.“, „Hüüt  morgen Klock tein minderwertig
137 Text                      Rindfleesch bi Büttner in Butendoor“.
137 Text                      Der Nachfolger Schümanns war Claus Sachleben, der noch
137 Text                      im 1. WK sein Amt versah.
137 Text                      Anna Ahrens war Leichenfrau.
137 Text                      Mudder Wulf ging mit Stutenkörben für Bäcker Siems
137 Text                      und Hermann Dose für Bäcker Sieg.
137 Text                      Lise „Schniedersch“, Rosenstraße, lag (oft)
137 Text                      besoffen im Rinnstein.
140 oben     Mitte            mit Bart, Bahnhofsvorsteher Grafe
140 oben     re.              neben Grafe Friedrich Möller ; Kinder Hermann, Fritz und Emmi
140 oben     re.              Grafe
140 unten    5. v.l.         Bahnhofsvorsteher Hermann Grafe
140 unten    19. v.l.         Gottlieb Freudenthal
140 unten    30. v.l.         Dr. med Wulf
140 unten    31. v.l.         Carl Paustian
141 oben                      Fam. Steffens m. Steffens- u. Micheelkindern
142 unten    links            Willy Fuhlendorf
143 ganz     Mitte            Fam. Gau, ca. 1899, Tocht. Henny 1900 geboren.
144 oben     rechts           Frau von Bäcker Kröger
144 unten    links            Schuster Johannsen v.d. Haus, mit Tocht. Rosa
145 unten    links            Mann mit Sommerhut: Rektor Rohwedder
145 unten    Mitte            Mann hinter der Frau neben Umzug: Lehrer Horst
146 unten                     im Karren Karl Baum
147 oben     1. v.l.          Ernst Harm sen.
147 unten    1. v.l.          Otto Harms
147 unten    2. v.l.          Hermann Harms
147 unten    3. v.l.          Sohn v. Otto Harms – Schmalfeld
147 unten    4. v.l.          Hermann Langhinrichs
147 unten    5. v.l.          Johann Langhinrichs
147 unten    6. v.l.          Ruy Prahl
148 unten    Mitte            im Kinderwagen: Paul Liebschner (?) von ihm selbst
152 oben     Mitte            Wilh. u. Martha Asmus m. Erna,Emma,Minna etc
152 oben     Mitte            rechts Johannes Andresen sen. u. Frau Anna (?)
152 oben                      richtig: Johann Hinrich Schadendorf nicht Julius dto 2. Ausg.
154 oben     Mitte            Bürgermeister Freudenthal mit Fahrrad
154 unten    1. v.r.          Frau Mönch geb. Grafe
154 unten    2. v.r.          Stine Bracker geb. Mohr
157 Text     letzter Absatz   Leider wurde diese Rückbesinnung nicht immer
157 Text                      immer durchgehalten, und so wurde es versäumt,
157 Text                      entlang der Holsatenallee die alten Flurnamen in
157 Text                      die Straßenbezeichnungen aufzunehmen.
158 oben                      Familienmitglieder Witt;(Oma,Wwe.,Markus) ?
160 unten                     Apotheker Wuth schrie einmal einer Bramstedterin
160 unten                     hinterher:“Da läuft das 6-Taler-Weib“;
160 unten                     es handelte sich um die Großmutter von …..
160 unten                     richtig: 1844 nicht 1884
164 unten    links            Heimerdinger; Buchhalter, Geschäftsführer Kurhaus
164 unten    rechts           Oskar Alexander
166 oben     3. v.l.          Willy Stiller
166 oben     5. v.l.          MaxKühn
166 oben     6. v.l.          Otto Liebschner
166 unten    Mitte            Schloicka u. Paustian
168 unten    2. v.l.          Hans „Mechlbütel“ (?)
169 oben                      Häuser Butendoor 6 – 2
169 unten                     Häuser Butendoor 3 u. 1
170 unten                     Bild ist in 1. Ausgabe seitenverkehrt
170 unten                     Mitte die alten Siems
173 oben     in der Tür       Friedrich Bornhöft
173 unten    rechts           v.l.:Henny Gau, Frau Gau, Willi, Anni, Ella?
173 unten    Mitte            Hintergrund: Familie Stegemann
174 unten    lks.i.Vord.gr.   Eduard Stammerjohann vom Amtsgericht
175 oben     Mitte            Carl Zarp mit Frau und Kindern
175 unten    2. Haus v.l.     war später Erdmann, dann Hoffmann (Carl; Foto)
176 oben     Mitte links      Willy Stiller (?), m.Stock: Hans Jeronimus ?
177 unten                     Haus Butendoor 11
180 ganz     v.l. unten       Dorothea (verh. Sommerfeld); Sohn Gottlieb;
180 ganz     v.l. steh.       Frau Dorothea Freudenthal, Lieschen (verh. Kiel),
180 ganz     v.l. stehe.      Willy (in Hbg., war blind); Gottlieb sen.;
180 ganz     v.l. stehend     Carl (Uhrmacher); Ernst (im 1. WK gefallen);
182 unten                     Angabe Specht angeblich nicht richtig             hier irrt wohl
182 unten                     Häuser v.l.: Schmidt, J.H. Möller, Kröger         Frau Jeronimus;
182 unten                     Haase, Reimers, Homfeldt (vorm. Haus Kohfahl)    Buch ist richtig
186 oben     2. v.l.          Cäcilie Paustian
186 oben     3. v.l.          Carl Paustian
186 oben     4. v.l.          Paul Behlau (vermutlich)
186 oben     5. v.l.          Hinrich Kruse (vermutlich)
188 oben     1. v.l.          Frieda Hauschildt
188 oben     3. v.l.          Willy Stiller
188 oben     4. v.l.          Emma Horst (verh. Renz)
188 unten    1.R. 1.v.l.      sitzend, Anni Jeronimus ?
188 unten    1.R. 2.v.l.      sitzend, Frieda Hauschildt
188 unten    1.R. 3.v.l.      sitzend: Elsa Zimmer (verh.: Mordhorst)
188 unten    2.R. 1.v.l.      sitzend: Emma Zimmer
188 unten    Mitte            Turnwart: MaxKühn
190 unten                     Pastor Hümpel und Konfirmanden
190 unten                     Es sind Konfirmanden von den Dörfern dabei.
190 unten    links            Pastor E. Hümpel m. Tochter Lieselotte
190 unten    2.R. 2.v.l.      Jürgen Zimmer
190 unten    2.R. 11.v.l.     Hermann Grafe (?)
190 unten    2.R. 4.v.r.      R. Krumlinde
190 unten    2.R. 1.v.r.      H. Horst
190 unten    ?                Johann Thies
190 unten    links vorn       Hund gehörte Pastor Hümpel
192 oben     re. n.d.Wagen    3. mit Bart; Hinrich Bielenberg sen.
196 unten    lks.             neben Harm : Bauer Gülck u. Abdecker Klaus Runge
198 oben     b.d. Tonne       2. v.l.: Hinrich Specht
198 oben     sitzend a.St.    Adolf Kröger
198 oben     1.R. 1.v.l.      Johs. Kühl ?
198 oben     1.R. 3.v.l.      Willi Beck, Chorleiter
198 oben     1.R. 4.v.l.      Schneider Sievers
198 oben     1.R. 5.v.l.      Willi Reimers, Malermeister
198 oben     1.R. 6.v.l.      Sophus Wilckens
198 oben     1.R. 8.v.l.      Marie Wrage
198 oben     2.R. 1.v.l.      Johs. Kühl ?
198 oben     2.R. 5.v.l.      Blievernicht
198 oben     2.R. 7.v.l.      Hans Steffens
198 oben     2.R. 9.v.l.      Hans Jeronimus
198 oben     2.R. 11.v.l.     Otto Liebschner
198 oben     2.R. 13.v.l.     Friedrich Hamann
198 unten    ganz links       Haus Angerstein,
200 oben                      Haus der Hedwig Lühring
200 unten    links sitzend    Ernst Zimmer
202 unten    ganz rechts      Hesebeck (?)
204 oben     1. v.l.          Anna Hamann vom Nachbarhaus
204 oben     2. v.l.          Luise Specht
204 oben     3. v.l.          Heinrich Specht
204 unten    mitte links      Grundstück Runge
204 unten    mitte rechts     ehemals Spechtsches Haus
207 oben     vor der Tür      Berta Stiller (?)
207 oben                      Abbruch erfolgte erst Mitte 20. Jahrhundert
207 unten    1. Frau v.l.     Klara Wrage (Frau v. Johs.)
207 unten    2. Frau v.l.     Emma Wrage (Frau von Willi)
207 unten    am Haus          auf Balkon u. Eingang: Johs. + Wilhelm Wrage
208 ganz     2. v.l.          Gustav Mohn
208 ganz     3. v.l.          König Claus Schlüter
208 ganz     11. v.l.         vorn kniend: Heinrich Fick
208 ganz     12. v.l.         vorn kniend: Willi Rumohr
208 ganz     20. v.l.         Fahnenträger: Adolf Kröger
208 ganz     21. v.l.         Hinrick Lemcke
208 ganz     24. v.l.         Hauptmann Alfred Warnemünde, Säbel hoch
208 ganz     26. v.l.         Hauptmann, Säbel runter,: Julius Struve ?
208 ganz     27. v.l.         Willi Beck
210 unten    rechts vom Cafe  Haus Daniels, dann Waitz, dann Parbst
212 oben                      Gustav Reimers u. Frau Ella geb. Hesebeck
213 unten                     Haus Landweg 2 (heute, 1996, Apotheke)
218 unten    ganz links       Gottlieb Freudenthal, Wehrführer

Ende

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Koch: Tagung 1999 – Johanna Mestorf

übernommen aus homepage: http://www.uni-kiel.de/ufg/mestorf.htm

JOHANNA MESTORF Ausschnitt aus einem Gemälde von Dora Arnd al Raschid.

JOHANNA MESTORF Ausschnitt aus einem Gemälde von Dora Arnd al Raschid.

* 15. April 1828 in Bad Bramstedt
zeitlebens wurde von Johanna Mestorf ihr Tauftag (17. April 1829) als Geburtstag angeführt
+ 20. Juli 1909 in Kiel

Vater: Jacob Heinrich Mestorf (1796 – 1837), Arzt in Rendsburg und Bramstedt
Mutter: Sophia Katrina Georgina Mestorf, geb. Körner (1794 – ?)

Trotz des frühen Todes ihres Vaters und der damit verbundenen Armut der Familie erhielt J. Mestorf eine Ausbildung an der Höheren Töchterschule, Itzehoe. Danach arbeitete sie längere Zeit als Erzieherin bei der Familie des Grafen Piper-Engsoe in Schweden und reiste durch Italien und Frankreich. Ab 1859 war sie als Fremdsprachensekretärin in Hamburg tätig.
Durch die seit 1863 erschienen Übersetzungen der Hauptwerke der skandinavischen Archäologie machte J. Mestorf diese der deutschen Forschung zugänglich. Auch in späteren Jahren fungierte sie als Kontaktperson zwischen den skandinavischen und deutschen Archäologen. Der 1866 erschienene Roman „Wibecke Kruse, eine holsteinische Bauerntochter“ zeugt wie auch ihre volkskundlichen Arbeiten von ihrer tiefempfundenen Heimatverbundenheit.
Ab 1869 gehörte J. Mestorf als freie Mitarbeiterin dem Kieler Museum an. Bei der Umstrukturierung in das „Museum für Vaterländische Alterthümer“ erhielt sie 1873 die neu geschaffene Stelle als Kustodin. 1891 wurde J. Mestorf als erste Frau in Preußen an die Spitze eines staatlichen Museums und Universitätsinstitutes berufen, 1899 zur Professorin (ohne Lehrbefugnis) ernannt. In ihrem letzten Lebensjahrzehnt wurde sie mehrfach geehrt.
Unter J. Mestorfs Ägide wurde der Grundstock für die Erforschung der Vorgeschichte Schleswig-Holsteins gelegt. Die reichen Sammlungen des Archäologischen Landesmuseums in Schloß Gottorf, Schleswig, gehen auf sie zurück. Da sie die Gefahr der unzureichenden Auf-bewahrung von prähistorischen Funden in Privatsammlungen und kleinen Museen erkannte, kämpfte sie für die zentrale Magazinierung, auch um die Zugänglichkeit für wissenschaftliche Forschungen zu gewährleisten. Sie richtete den Fundkatalog aller bekannt gewordenen Funde Schleswig-Holsteins ein, ein bis heute fortgeführtes Archiv. Schon 1877 forderte sie die Ernennung von Vertrauensleuten in den einzelnen Gemeinden, die als Kontaktpersonen zwischen der Bevölkerung und dem Museum dienen sollten, um Bodenfunde vor ihrer unbedachten Zerstörung zu bewahren. Diese Tradition wurde von dem später gegründeten Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein übernommen.

Hauptwerke (Auswahl)
Vorgeschichtliche Alterthümer aus Schleswig-Holstein (Hamburg 1885).
Urnenfriedhöfe in Schleswig-Holstein (Hamburg 1886).
Die Hacksilberfunde im Museum vaterländischer Alterthümer in Kiel. Mitth. des Anthr. Vereins VIII, 1895.
zahlreiche Artikel besonders in: Archiv für Anthropologie

Ehrungen
Kleine Goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft; Silberner Frauenverdienstorden; Schwedische Goldene Medaille;
Ehrenmitglied der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, der Svenska Fornminnesföreningen,
der Finska Fornminnes-föreningen und der Anthropologischen Gesellschaft Wien; Dr. med. h.c. (Kiel 1909)

[Eva-Maria Mertens, Dipl.Prähist., Stralsund]


http://www.uni-kiel.de/ufg/tagungme.htm

Johanna Mestorf – Werk und Wirkung

Internationale Tagung vom 15. bis 17. April 1999
anläßlich ihres 170. Geburtstages, 100. Jahrestag der Verleihung der Professorenwürde und 90. Todestag.
Veranstalter sind das Institut für Ur- und Frühgeschichte und das Seminar für Volkskunde.
Tagungsort ist das Schloß in Bad Bramstedt, Kr. Bad Segeberg.

Das Jahr 1999 ist aus archäologischer und volkskundlicher Sicht ein Johanna-Mestorf-Gedenkjahr. Es gilt ihren 170. (offiziellen) Geburtstag und den 100. Jahrestag ihrer Ernennung zur Professorin zu feiern und ihres 90. Todestages zu gedenken. Diese Ereignisse nehmen das Institut für Ur- und Frühgeschichte und das Seminar für Volkskunde der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel zum Anlass, an diese bedeutende Wissenschaftlerin mit einer dreitägigen Tagung zu erinnern.
In 18 Vorträgen soll die wissenschaftliche Leistung von Johanna Mestorf gewürdigt, der historische Hintergrund ihrer Tätigkeit, die Rezeption ihrer Forschung zu Archäologie und Volkskunde sowie die Situation von Frauen in der Wissenschaft um die Jahrhundertwende beleuchtet werden. Ergänzt wird das Programm durch eine Stadtführung, einen öffentlichen Abendvortrag zu Forschungen über den Ochsenweg und einer halbtägigen Exkursion entlang des Ochsenweges.

Der Tagungsort ist das Schloß in ihrem Geburtsort Bad Bramstedt. Die Tagungssprachen sind deutsch und englisch. Bei Bedarf wird eine kostenlose Kinderbetreuung während der Vorträge angeboten.

Es wird eine Tagungsgebühr von DM 30,- erhoben, die Exkursion kostet nochmals DM 30,-.

Anmeldungen sind bis zum 15. März 1999 an folgende Adresse zu richten:

Institut für Ur- und Frühgeschichte
z. Hd. Julia K. Koch M. A.

Christian-Albrechts-Universität
24098 Kiel

Tel.: 0431/8803173
Fax: 0431/8807300


Vorläufiges Tagungsprogramm

Mittwoch, 14. April
15.30 Uhr Öffnung des Tagungsbüros, voraussichtlich im Schloß in Bad Bramstedt, Kr. Bad Segeberg
16 Uhr Stadtführung mit dem Archivar Herrn Jacobsen, Treffpunkt: vor dem Schloß.

Donnerstag, 15. April
Begrüßung

1. Vortragsblock: Einführung
Dagmar Unverhau, Berlin: Johanna Mestorf. Lebensabschnitte
Ronald Heynowski, Dresden: Archäologie um die Jahrhundertwende
Monika Setzwein, Kiel: Frauenbildung im Kaiserreich

2. Vortragsblock: Forschungen damals
Marc Andresen, Kiel: Johanna Mestorf als Prähistorikerin. Zum Konzept und Bedeutungswert ihrer
archäologischen Forschungen
Ralf Busch, Hamburg: Johanna Mestorfs Wirken im Hamburger Museum für Völkerkunde
Tobias Springer, Nürnberg: Johanna Mestorfs Arbeiten für das Germanische Nationalmuseum
Barbro Johnsen Welinder, Stora Skedvi: Johanna Mestorf and Sweden
Stine Wiell, Haderslev: Johanna Mestorf und die dänische Archäologie

abends: Empfang der Stadt Bad Bramstedt

Freitag, 16. April
3. Vortragsblock: Forschungen bis heute in Archäologie und Volkskunde
Nina Hennig, Kiel: Johanna Mestorf und die Volkskunde
Wijnand van der Sanden, Assen: Johanna Mestorf und die Moorleichenforschung
Johanna Brather, Potsdam: Urnenfriedhöfe Schleswig-Holsteins. Forschungen im Anschluß an die
Tätigkeiten der Johanna Mestorf
Ralf Wiechmann, Hamburg: Wikingerzeitliche Schatzfunde – alte Meinungen, neue Perspektiven

4. Vortragsblock: Forscherinnen um die Jahrhundertwende
Elisabeth Arwill-Nordbladh, Göteborg: Hanna Rydh, eine schwedische Forscherin um die
Jahrhundertwende
Julia K. Koch, Kiel: Käte Rieken, geb. von Preen – eine Schülerin J. Mestorfs
Christine Burckhardt-Seebass, Basel: Frauen forschen im Feld (Frauen in der Volkskunde)
Irma Wehgartner, Würzburg: Spurensuche: Frauen in der Klassischen Archäologie vor dem 1. Weltkrieg

abends: öffentlicher Vortrag
Bernd Zich, Schleswig: „Ochsenweg/Hærvejen“ – Auf den Spuren des bedeutendsten Fernweges der
Cimbrischen Halbinsel

Samstag, 17. April
6. Vortragsblock: Johanna Mestorf und ihre Kollegen
Tove Hjørungdal, Göteborg: Ein Vergleich: Johanna Mestorf und Friedrich Lisch
Christian Andree, Kiel: Rudolf Virchow und Johanna Mestorf

nachmittags:
Exkursion unter der Leitung von B. Zich: Relikte des „Ochsenweges“ diesseits und jenseits der Eider


zur Tagung verteiltes Programm:

Johanna Mestorf. Werk und Wirkung – Programm

Mittwoch, 14. April 1999
15.30-17.00 Öffnung des Tagungsbüros, Standort: Eingangsraum im Schloß
16.00 Stadtführung mit dem Archivar Herrn Manfred Jacobsen,
Treffpunkt: vor dem Schloß

Donnerstag, 15. April 1999
08.00 09.00 Öffnung des Tagungsbüros Begrüßung

Einführung
Diskussonsleitung: Stine Wiell
09.15-10 00 Dagmar Unverhau, Berlin
Johanna Mestorf. Lebensabschnitte
10.00-10.45 Ronald Heynowski, Dresden
Die Situation der Archäologie um die Jahrhundertwende
10.45-11.30 Thomas E. Fischer, Bamberg
Die Anfänge des Frauenstudiums um 1900

11.30-13.00 Mittagspause

Theorie und Praxis
Diskussonsleitung: Ralf Wiechmann
13.00-13.45 Marc Andresen, Kiel

Johanna Mestorf als Prähistorikerin. Zum Konzept und Bedeutungswert ihrer

15 15- 15.45 Tee- und Kaffeepause

Johanna Mestorf und Skandinavien
Diskussonsleitung: Ralf Wiechmann
15.45-16.30 Barbro Johnsen Welinder, Stora Skedvi
Johanna Mestorf. The Link between Swedish and Continental
Archäology in the Golden Age
16.30-17.15 Stine Wiell, Haderslev
Johanna Mestorf und die dänische Archäologie

19.00 Empfang der Stadt Bad Bramstedt im Schloß

Freitag, 16. April 1999

Wirkung bis heute in Archäologie und Volkskunde
Diskussonsleitung: N.N.

09.00-09.45 Nina Hennig, Kiel
Johanna Mestorf und die Volkskunde

09.45-10.30 Wijnand van der Sanden, Assen
Bog Body research since Johanna Mestorf

10.30-10.45 Tee- und Kafteepause

10.45-11.30 Johanna Brather, Potsdam
Urnenfriedhöfe Schleswig-Holsteins. Forschungen im Anschluß an die
Tätigkeiten der Johanna Mestorf

11.30-12.15 Ralf Wiechmann, Hamburg
Wikingerzeitliche Schatzfunde – alte Meinungen, neue Perspektiven

Zeitzeuge Johanna Mestorfs
Diskussonsleitung: Barbro Johnsen Welinder
14.00-14.45 Christian Andree, Kiel
Rudolf Virchow und Johanna Mestorf

14.45-15.15 Tee- und Kaffeepause

Frauen in der Wissenschaft I
Diskussonsleitung: Barbro Johnsen Welinder

15.15-16.00 Julia K. Koch, Preetz
Käthe Rieken, geb. von Preen – eine Kollegin Johanna Mestorfs

16.00-16.45 Irma Wehgartner, Würzburg
Spurensuche; Frauen in der Klassischen Archäologie
vor dem 1. Weltkrieg

Öffentlicher Vortrag im Schloß

19. 30 Bernd Zich, Schleswig
,Ochsenweg/Härvejen‘ – Auf den Spuren des bedeutendsten
Fernweges der Cimbrischen Halbinsel

Samstag, 17. April 1999

Frauen in der Wissenschaft II
Diskussonsleitung: Elisabeth Arwill-Nordbladh

09.30-10.15 Viola Maier, Lübstorf
Die Herzogin von Mecklenburg-Schwerin (1856-1929)

10.15-11.00 Elisabeth Arwill-Nordbladh, Göteborg
Hanna Rydh – eine Forscherin mit vielen Dimensionen

11.00-11.30 Eva-Maria Mertens, Karnin-Friedrichshof
Resümee der Tagung

Exkursion Relikte des „Ochsenweges‘ diesseits und jenseits der Eider unter der Leitung von Bernd Zich, Schleswig

13.00 Abfahrt, Treffpunkt vor dem Schloß, Bad Bramstedt
Stationen; Krogaspe, Brammerau
15.00 Tee- und Kaffeepause im Hotel Conventgarten, Rendsburg
Stationen:,Kropper Busch“, Dannewerk
18.30 Rückkehr Bad Bramstedt


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Schadendorf: 300 Jahre steinerner Roland in Bad Bramstedt

Artikel aus den „Bramstedter Nachrichten“ 1993

300 Jahre steinerner Roland in Bad Bramstedt

Bad Bramstedt. Die Stadt Bad Bramstedt kann in diesem Jahr auf ein historisch bedeutendes Ereignis zurückblicken: Im Jahr 1693 wurde der erste steinerne Roland errichtet, der noch heute auf dem Marktplatz steht. Fast scheint es, daß die Stadt selbst davon kaum Kenntnis nimmt, hat es doch bis jetzt keinen Ansatz zu einer Feierlichkeit aus diesem Anlaß gegeben. Ist dieser Ausdruck einer Nachlässigkeit oder großer Selbstverständlichkeit mit der man Rolandstadt ?

Das alte Bramstedter Stadtbuch – beginnend 1530 – und das Kirchenbuch wissen von jenem Ereignis zu berichten (zitiert nach Max Röstermundt, „Der Roland und seine Welt“, 1952):

Im Stadtbuch  steht geschrieben:

„Anno 1693 ist im Flecken Bramstedt das Rolandtsbild aufs Neuw Von Steinen, welche Bilder vor diesem nur aus Holtz gebauwen gewesen und also bald vergangen, wieder gesetzt. Der Platz worauf er steht auch mit einer Steinern Ringmauer dieses mahl umbgeben. Verbessert-kommt dem Flecken allein zu. Der Rolandt, steinern Bild, Rinckmauer und Wass sonst mehr dazu, hat in allem gekostet 456 M.
Welches Wir mit denen Nachkommen zur Nachricht hiermit eröffnet. Radtmänner sind gewesen zu der Zeit

Jürgen Fuhlendorf
Detlef Voss
Hans Verst
Hans Steckmest.“


Und die Kirchenchronik enthält folgende Nachricht:
„Anno 1654, den 7. April ist der Roland wieder aufgerichtet, so die Kaiserlichen Jungen ihn Anno 1628 abgebrannt. Dieser Roland ist Anno 1693, nachdem er ganz vermodert, umgeweht und ein steinerner den 22. Septbr. an dessen Statt aufgerichtet worden. Es steht darauf im Oktober, allein die Richtung, die sobald man hätte nicht vermutet, ist im September geschehen.“

Wir haben also sogar ein taggenaues Datum für die Errichtung des steinernen Rolandes: der 22. September 1693, vor nunmehr gut 300 Jahren. Gefertigt wurde er aus Oberkirchener Sandstein.

Äußerer Anlaß für die Erneuerung des Standbildes war der Verfall des hölzernen Vorgängers; warum dann aber ein steinerner Nachfolger ?
Die vorhergehenden Ereignisse in Bramstedt (der Freiheitskampf unter Jürgen Fuhlendorf) mögen einen Hinweis geben. Ist nicht der Roland ein Sinnbild für Freiheit, für die Selbständigkeit einer Stadt ? War es den Bramstedtern vielleicht ein besonderes Bedürfnis, in diesem Jahr dieses Sinnbild besonders hoch zu halten und es dem Widersacher im Gutshof genau vor die Nase zu setzen ? Uns bleiben nicht mehr als Vermutungen – ein Stück Wahrheit könnte aber dran sein.
Bezahlt haben die Bramstedter den Roland aber offensichtlich nicht. Nach Röstermundt ist ein entsprechender, zunächst vorgenommener Eintrag in der Jahresrechnung des Fleckens wieder gestrichen worden und fehlt auch in der Addition. War der Roland eine Spende des Landesherrn, vertreten durch das Amt Segeberg oder haben die Bürger selbst dafür gesammelt ? Letzteres scheint unwahrscheinlich, sonst dürfte wohl ein Vermerk im Stadtbuch zu finden sein oder in Jürgen Fuhlendorfs Aufzeichnungen über die damalige Zeit.
Die vorhandenen Nachrichten anläßlich der Errichtung des Steinstandbildes verweisen zugleich auf frühere Rolandstandbilder und so soll das Jubiläumsjahr ein Anlaß sein, einen kleinen Blick in die Geschichte zu werfen.
Ein Datum über die erste Errichtung eines Rolandes in Bramstedt ist urkundlich nicht nachweisbar, so daß man auf Vergleiche und Vermutungen angewiesen ist, um dem wahrscheinlichen Alter auf die Spur kommen will.
Für Hamburg ist das Vorhandensein eines Rolandes um 1340 belegt und für Wedel ist ein Roland schon 1450 erwähnt (lt. Röstermundt).
Für Bad Bramstedt fehlt so ein früher Nachweis. Der bisher älteste bekannte urkundliche Nachweis befindet sich in einer Urkunde aus dem Jahre 1569 in der  eine Gerichtsverhandlung (Ding) in Bramstedt aus ca. 1531/32 erwähnt wird, die „…. bey dem Roland …“ stattgefunden habe (S.-H. Landesarchiv, Abt. 15 Nr. 3103).

Diese Urkunde bestätigt die Vermutungen der Chronisten Harbeck und Röstermundt, daß das Bramstedter Stadtbuch, beginnend in 1530, keine Nachricht über einen Roland in dieser Zeit enthält, weil er schon vorher errichtet worden sei.
Führt man sich vor Augen, daß der Roland als Symbol städtischer Rechte und besonderer Freiheiten (z.B. Bürgerfreiheiten wie in Bremen, Marktgerechtigkeit wie in Wedel) diente, so wirft sein Vorhandensein in dieser Zeit ein Schlaglicht auf die Bedeutung Bramstedts jener Zeit und das Selbstverständnis seiner Bewohner.
Bramstedt, am Ochsenweg gelegen, war ein wichtiger Handels- und Umschlagplatz und seine Bürger scheinen davon gut gelebt zu haben.

Über das tatsächliche Alter des Rolands gibt es nur Vermutungen. Da die meisten Rolande im Hoch- und Spätmittelalter (also etwa ab dem 12. und 13. Jahrhundert) erwähnt werden und die Rolande einer Figur einer romanischen Heldensage (Roland, Feldherr Karls des Großen im Spanienfeldzug)  huldigten, spricht einiges dafür, daß der hiesige Roland zu Ehren eines lokalen Helden, nämlich Gerhard des III. (der Große) zu Rendsburg  errichtet wurde. Dieser war im Jahre 1317 bei der Schlacht auf dem Strietkamp siegreich geblieben.
Diese Vermutung äußert der Chronist Dankwerth in seiner Landesbeschreibung von 1652. Unterstellt man, daß Dankwerth seinerzeit vor Ort recherchiert hat, so scheint er auf keine Zeugen oder Nachrichten gestoßen zu sein, die eine Datierung der Errichtung zuließen. Es schien also seinerzeit in Bramstedt schon völlig in Vergessenheit geraten zu sein, wann der Roland errichtet worden war. Dieses Vergessen ist wohl nur dadurch zu erklären, daß selbst den Ältesten aus Überlieferung eine erstmalige Errichtung nicht mehr bekannt war und mithin sicherlich vor dem 16. Jahrhundert gelegen haben muß.
Doch damit seien die Vermutungen auch abgeschlossen und zurück zu belegbaren Daten:

1531/32 erster Nachweis des Vorhandenseins
1569  Urkunde über die erste Erwähnung
1590  Erwähnung durch H. Rantzau
1628  Roland verbrannt
1654  Errichtung eines neuen (hölzernen Rolandes)
1693  Zusammenbruch des hölzernen Rolandes und
Errichtung des steinernen Rolandes (22.     September fertig)
1748  Renovierung des Standbildes
1814  Zusammenbruch des Standbildes
1827  Wiederherstellung des Standbildes

danach haben mehrfach Umsetzungen, Erneuerung der Ummauerung  und Renovierungen des Standbildes stattgefunden, die in unserer Zeit vielfach von der Fleckensgilde initiert und finanziert wurden.
Sei noch erwähnt, daß der Roland 1878 in das Wappen und Siegel der Stadt Bad Bramstedt  nach einem Entwurf des Kielers Dr. Hans Weißenbach aufgenommen wurde: „Auf schleswig-holsteinischem Nesselblatt den Roland in Silber auf rotem Grunde“ (nach Röstermundt).

Bramstedt hat nach diesen Daten auch „rolandlose Zeiten“ gehabt, so von 1628 bis 1654 und von 1814 bis 1827, jeweils im Gefolge von Kriegen und in schweren Zeiten. Da gab es offenbar andere Sorgen als den Roland wieder zu errichten.

Wie sah der Roland alter Zeiten aus, mag man sich fragen ?
Verschiedene Autoren haben dazu geforscht. Um 1590 wird von der Ähnlichkeit mit dem Roland in Wedel berichtet (ob damit der 1585 errichtete, noch heute stehende, oder dessen Vorgänger gemeint ist, muß offen bleiben).
Der – man würde heute sagen Reiseschriftsteller – A. Trogilli Arnkiel, sah 1666 den 1654 errichteten Holzroland und weiß nach einem Besuch in 1696 zu berichten, daß der neue Roland „an Gestalt fast wie der vorige formieret“ sei.
Dieser Roland wurde im „Holsteinischen Touristen“ von 1837 mit einer Zeichnung abgebildet und ist uns daher noch heute vom Bild her erhalten geblieben.
Diesem Standbild widerfuhr jedoch ein herbes Schicksal als im Winter 1813/14 am Orte Truppen lagerten und ein in der Nähe des Roland errichtetes Strohlager zusammenbrach und das Standbild umstürzen und zerbrechen ließ. In mehrere Teile zerbrochen wurde er vom Kirchspielvogt fast dreizehn Jahre aufbewahrt. Erst Mittel und Initiativen des schleswig-holsteinischen patriotischen Gesellschaft führten zu einer Reparatur und erneuten Errichtung in 1827 unter dem Kirchspielvogt Cirsovius (ein Stein in der Umranden erinnert noch heute an dieses Ereignis).
Durchgeführt wurde die Erneuerung durch den Steinhauer Klimesch aus Altona, der einige Teile ersetzen mußte und so zu einigen äußerlichen Veränderungen kam (z.B. in der Schwerthaltung). Im Ergebnis war es jedoch der steinerne Roland von 1693 in der Uniform eines römischen Kriegers..
Diese Kleidung hat zu verschiedenen Deutungen geführt. Wahrscheinlich scheint jedoch, daß es eine künstlerische Darstellung des legendären Roland von Roncevalles und die Kleidung eine Darstellung der Kriegertracht des 8. Jahrhunderts sein soll- Gewißheit läßt sich darüber nicht erlangen.
Unser ehemaliger Organist und Komponist des Bramstedtliedes hat sich dazu ein Gedicht einfallen lassen (aus Max Röstermundt, a.a.O.):

   Roland und sein Doppelgänger

   In dunkler Geisterstunde,
Wenn alles schläft im Tal,
Gesellt sich zu Freund Roland
Sein Ahn von Ronceval.

   Er winkt ihm mit dem Schwerte,
Er grüßt ihn mit dem Blick,
Doch weder Gruß noch Antwort
Tönt von dem Bild zurück.

   Da steigt der fremde Recke
herab vom Postament:
„Es scheint, als wenn der Olle
Mich gar nicht wieder ´kennt.

   So halt Du weiter Wache
Im grünen Bramautal,
Ich leg mich wieder schlafen
Im fernen Ronceval.“

Ein wenig respektlos geht August Kühl mit unserem Roland um; wie es manche Gildebrüder am Dienstag nach Pfingsten zu weilen auch tun.
Doch zu seinem 300. Geburtstag sollten ihm die Bramstedter den nötigen Respekt zollen.

        Jan-Uwe Schadendorf

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Aner: Johanna Mestorf

Prof. Johanna Mestrf

Prof. Johanna Mestrf

Johanna Mestorf
war Schleswig-Holsteins erste Professorin
und anerkannte Forscherin der Vor und Frühgeschichte.

 

 

Mestorf Geburtshaus

Mestorf Geburtshaus

Geboren wurde sie in Bad Bramsedt in diesem im Jahre 1907 abgebrochenen Haus am Bleeck als Tochter einer Arztfamilie.

Ihre Leistungen waren mehrfach Anlaß für ehrenvolle Erwähnungen und wurden zuletzt 1999 in einer internationalen Tagung in Bad Bramstedt in Erinnerung gerufen.


Im Folgenden ist der Text abgedruckt, der anläßlich der Neuauflage Ihres Buches über Wiebeke Kruse als Einleitung geschrieben wurde.


Johanna Mestorf

Lebensbild einer Forscherin

Am 20. Juli 1959 jährte sich zum 50. Male der Todestag von Johanna Mestorf, der berühmtesten und um die Erforschung der Ur- und Frühgeschichte Schleswig-Holsteins verdienstvollsten Frau unseres Landes. Ihre Wiege stand in dem durch das alte Rolandsbild weithin bekannten Kurbad Bramstedt, wo sie am 17. April 1828 als Tochter des hier tätigen Arztes Dr. med. Mestorf. geboren wurde. Schon als kleines Kind kam sie mit dem Interessenkreis ihres zukünftigen Berufes in Berührung, da ihr Vater ein eifriger und umsichtiger Sammler urgeschichtlicher Funde war. Mit Stolz konnte sie später als Kustos des Kieler Museums, in das die väterliche Sammlung inzwischen gelangt war, darauf hinweisen, Daß ihr Vater bereits im Jahre 1828, also völlig unabhängig von gleichlaufenden Untersuchungen deutscher und dänischer Fachleute, im Vorwort zum Katalog seiner Funde Gedanken geäußert hatte, die auf die Einteilung der Urzeit in die großen, aufeinanderfolgenden Epochen der Stein-, Bronze- und Eisenzeit hinzielten. Diese Erkenntnis zeugt für die scharfsinnige Beobachtungsgabe und rege Anteilnahme des Vaters an der urgeschichtlichen Forschung, für deren Entwicklung gerade der Nachweis des sogenannten Dreiperiodensystems von grundlegender Bedeutung wurde.
Nach dem frühen Tode des Vaters siedelte die Mutter 1837 nach Itzehoe über, wo Johanna mit ihren Geschwistern eine gründliche Schulausbildung genoß. Unvergessen aber blieben ihr die glücklichen Jahre in Bramstedt und die Eindrücke von Land und Leuten jener Gegend. Sie fanden ihren Niederschlag in der Erstlingsarbeit, dem 1866 in Hamburg erschienenen Roman „Wiebeke Kruse“, der in der Zeit Christians IV. spielt und die Schicksale einer holsteinischen Bauerntochter aus dem Dorf Föhrden bei Bramstedt schildert.
Das geistige Erbe des Vaters erhielt tiefgreifende Impulse, als der kaum Zwanzigjährigen als Gast des Grafen Piper ein mehrjähriger Aufenthalt in Schweden vergönnt war. In diesem an uraltem Brauchtum und unverfälschter Volksüberlieferung reichen Lande bot sich der hierfür aufgeschlossenen Johanna vielfältige Gelegenheit, das Volkstum im Alltag wie bei Feiern studieren und vor allem den Äußerungen des Volksglaubens bis zu den Wurzeln in grauer Vorzeit nachspüren zu können. Als die zarte Gesundheit ein längeres Verbleiben in dem rauhen Norden nicht mehr zuließ, kehrte Johanna mit einem großen Schatz an Erlebnissen, Erkenntnissen und Anregungen heim. Sie bestimmten von nun an die Richtung ihrer wissenschaftlichen Studien und lieferten reichlichen Stoff für ihre späteren literarischen Arbeiten, wobei ihr die gründliche Beherrschung der nordischen Sprachen zugute kam. Der herzlichen und förderlichen Freundschaft mit der Familie Piper verdankte Johanna Mestorf noch die Möglichkeit, als Begleiterin von Verwandten des Grafen während mehrerer Jahre in Italien umherzureisen und so ihr bisher einseitig auf den Norden beschränktes Blickfeld wesentlich zu erweitern.
Nach diesen ergiebigen „Wanderjahren“ fand die damals dreißigjährige Johanna bei ihrem Bruder in Hamburg dauernde Aufnahme. Von dem befreundeten Bibliotheksdirektor Prof. Petersen wohlwollend unterstützt, griff sie nun zur Feder, um sich auf den verschiedensten Gebieten der schönen Literatur und der Wissenschaft schriftstellerisch zu betätigen. Sie begann mit der Übersetzung damals sehr anerkannter Werke schwedischer Altertumskundler und verfaßte außer feinsinnigen Erlebnisschilderungen schwedischer Volksfeste eine stattliche Anzahl kleiner Aufsätze vorgeschichtliehen Inhalts; auch in den Fachzeitschriften tauchte ihr Name nun mehrfach auf. Daneben hielt sie Vorträge über nordische Mythologie und nahm sich der nicht unbedeutenden Hamburger Sammlung urgeschichtlicher Funde an. Während des Internationalen Anthropologen-Krongresses 1869 in Kopenhagen nahm sie persönliche Verbindungen zu den führenden Gelehrten ihres Faches auf und erwarb sich schon damals durch ihre fleißige Arbeit den Ruf einer geachteten Forscherin. Der Hamburger Senat brachte seine Anerkennung dadurch zum Ausdruck, daß er sie 1871 als Vertreterin des Hamburger Staates auf den Internationalen Kongreß in Bologna entsandte. Um den Gedankenaustausch mit den Fachkollegen pflegen und immer wieder neue Anregungen empfangen zu können, war Johanna Mestorf überhaupt eine eifrige Besucherin der großen Tagungen; ihre veröffentlichten Berichte, die sich durch Sachlichkeit auszeichneten und gelegentlich auch eigene kritische Bemerkungen enthielten, stellen für die Geschichte unserer Forschung sehr interessante Zeitdokumente dar.
Mit der schleswig-holsteinischen Heimat fühlte sich Johanna Mestorf zeitlebens aufs engste verbunden. Schon als Zwanzigjährige hatte sie sich im Jahre 1848 für die nationale Bewegung eingesetzt und Verbindung mit führenden Persönlichkeiten gesucht und gefunden. Der bereits erwähnte Roman „Wiebeke Kruse“ läßt ein tiefes Heimatgefühl erkennen, und eine große Anzahl ihrer wissenschaftlichen Beiträge war urgeschichtlichen Funden aus unserem Lande gewidmet. Mit dem Kieler Museum, für dessen Belange sie mehrfach eingetreten war, stand sie im regen Verkehr, und so lag es nahe, daß ihr im Jahre 1873, als das Museum der Universität angegliedert und damit in seiner Existenz gesichert war, von dem damaligen Direktor Prof. Dr. Handelmann die neugeschaffene Kustodenstelle angeboten wurde. Ihr Amtsantritt in Kiel war für sie das entscheidendste Ereignis ihres Lebens, konnte sie sich doch von nun an völlig in den gienst der wissenschaftlichen und musealen Tätigkeit stellen. Sie tat es mit der ihr eigenen Zähigkeit, oft bis zur Grenze der Leistungsfähigkeit, die ihrem zarten Körper bemessen war. Neben der Einarbeit in den neuen Aufgabenbereich nahm vor allem der Umzug des Museums in sein neues Heim, die alte Universität in der Kattenstraße, ihre ganze Kraftin Anspruch. Von vornherein setzte sie sich das Ziel, ein dichtes Netz von Pflegern über das Land auszubreiten, und als 1877 unter ihrer Mitwirkung auch in Schleswig-Holstein die Gründung eines Zweigvereines der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft erfolgte, die sich in verdienstvoller Weise der vorgeschichtlichen und volkskundlichen Forschung annahm, hat sie sich bis zu ihrem Tode als erste Schriftführerin und bei der Herausgabe der wissenschaftlich wertvollen Mitteilungen des Vereins mit nie ermattender Schaffensfreude zur Verfügung gestellt.
Durch ihre museale und weiterhin fruchtbare literarische Arbeit erwarb sich Johanna Mestorf als Kustos ein solches Ansehen innerhalb und außerhalb des Landes, daß das Ministerium 1891 nach dem Tode Prof. Handelmanns nicht zögerte, zum erstenmal eine Frau mit der Leitung eines staatlichen Museums und Universitätsinstituts zu betrauen. So außergewöhnlich wie diese Ernennung waren aber auch die Leistungen während ihrer 36jährigen Wirksamkeit in dem ständig wachsenden Museum vaterländischer Altertümer, dessen weit über die Grenzen unseres Vaterlandes hinausgehender Ruf damals begründet wurde. Obwohl sie selbst Bedenken trug, sich persönlich an Ausgrabungen zu beteiligen, so hat sie doch mit Umsicht wichtige Untersuchungen angeregt und gefördert. Ihre besondere Aufmerksamkeit galt zudem der Aufklärung der Bevölkerung, um deren Verständnis und Achtung vor den Hinterlassenschaften der Vergangenheit sie sich eifrig bemühte, sowie der Bewahrung der Gräber und Anlagen, in erster Linie des Danewerks, dessen Sicherstellung über weite Strecken sie noch in den letzten Lebensjahren durchsetzen konnte.
Trotz dieser umfangreichen Verpflichtungen fand Johanna Mestorf Kraft und Zeit zur wissenschaftlichen Arbeit und Publikation. Die ihrem Nachruf von dem Kustos und nachfolgenden Museumsdirektor Dr. Knorr beigegebeneListe ihrer Abhandlungen, Übersetzungen, Buchbesprechungen und Aufsätze vorgeschichtlichen und volkskundlichen Inhalts umfaßt über 180 Titel und legt ein eindrucksvolles Zeugnis ab von der Vielseitigkeit und dem rastlosen Eifer dieser großen Gelehrten. Ihre wissenschaftliche Leistung im einzelnen zu würdigen, ist hier nicht der Ort, wohl aber sollen aus der Fülle ihrer sich über alle Epochen der Vorzeit erstreckenden Untersuchungen einige Arbeiten herausgegriffen werden, um die Bedeutung der Verfasserin für die Vorgeschichtsforschung umreißen zu können. Die erste größere Veröffentlichung (1877), eine „Ansprache an unsere Landsleute“, hatte die „Väterländischen Altertümer Schleswig-Holsteins“ zum Gegenstand und gab einen volkstümlichen Überblick über dendamaligen Stand der Forschung in unserem Lande. Im Jahre 1885 folgte der „Atlas“, einwillkommenes und auch heute noch unentbehrhches Bilderwerk mit Darstellungen der wesentlichen Typen und interessantesten Funde Schleswig-Holsteins von der Steinzeit bis zur Wikingerzeit, und ein Jahr später eine Abhandlung über die eisenzeitlichen Urnenfriedhöfe. Hier wie auch bei den meisten anderen Veröffentlichungen überwiegt das rein beschreibende Element, und als charakteristisch hebt Prof.G. Schwantes in seiner ausführlichen Würdigung der Wirksamkeit Johanna Mestorfshervor, „daß sie sie jedoch nicht oder kaum zu Schlußketten verwendet, die unsere Einsichten in das historische Geschehen hätten vertiefen können. Die übergroße Vorsicht, ja Unsicherheit hat die verehrte Forscherin nie ganz verlassen. Nur in einigen besonderen Fällen hat sie es gewagt, auf Grund neuer Beobachtungen das gültige Schema des Denkens zu durchbrechen“ (Festschrift zum 275jährigen Bestehen der Christian-Albrechts-Universität Kiel, 1940).
Hervorzuheben sind ferner ihre Aufsätze über die „steinzeitlichen Gräber ohne Steinkammern unter Bodenniveau“. Wenn es auch der große dänische Forscher Sophus Müller war, dem später der Nachweis gelang, daß es sich hierbei nichtum Anlagen der Großsteingrableute am Ende ihrer Kulturentwicklung, sondern um die des zur gleichen Zeit im Norden lebenden Einzelgrabvolkes behandelt, so gebührt Johanna Mestorf doch der Verdienst, zuerst den Blick der Forschung auf sie gelenkt zu haben. Außer wertvollen Verzeichnissen bestimmter Fundtypen und -gattungen, wie zum Beispiel der bronzezeitlichen Glasperlen und Hortfunde Schleswig-Holsteins, und neben ausführlichen Fundberichten, wie zum Beispiel über die bekannte mittelsteinzeitliche Siedlung in der Kieler Innenförde bei Ellerbek, hat sie noch eine Anzahl bedeutender Einzeluntersuchungen verfaßt, die unter anderen den mit Sinnbildern geschmückten holsteinischen Plattengürteln aus dem Jahrhundert vor Chr. Geb., den Moorleichen und der Geschichte Haithabus und des Danewerks gewidmet sind. Nicht zu vergessen sind ferner ihre volkskundlichen Studien, die sie auch in Kiel weiterhin betrieb. Deren Spuren begegnen wir mehrfach, wenn es galt, urgeschichtliche Erscheinungen zu deuten, und außerdem verdanken wir der vielseitig interessierten Forscherin treffliche Ausführungen zur Geschichte der Spitzen, über Spiele, Jahresfeste und Sagen und über den bäuerlichen Silberschmuck, dessen Wurzeln sie bis in das frühe Mittelalter zurückverfolgen zu können glaubte, als aus Schmuck, Münzen und Silberbarren bestehende Schätze der Erde anvertraut wurden.
Nicht zuletzt müssen die Verdienste hervorgehoben werden, die sich Johanna Mestorf auf Grund ihrer nordischen Sprachkenntnisse durch eine unermüdliche Übersetzungstätigkeit erwarb. Indem sie die wichtigsten Werke und Aufsätze der damals führenden skandinavischen Prähistoriker durch Übertragung ins Deutsche oder durch ausführliche Besprechung in Zeitschriften der deutschen Urgeschichtsforschung zugänglich machte, hat sie deren Entwicklung in nicht zu unterschätzender Weise mitbestimmen helfen. Besondere Bedeutung erlangte die 1882 erschienene Abhandlung von Ingvald Undset, des Vaters der bekannten norwegischen Schriftstellerin, über „Das erste Auftreten des Eisens in Nordeuropa“ und das Werk „Der Orient und Europa“ von Oskar Montelius, in dem der große schwedische Gelehrte die grundsätzlichen Methoden unseres Faches richtungsweisend dargestellt hat. Die letzte von ihr übersetzte Arbeit, das auch heute noch gültige Standardwerk über „Die altgermanische Tierornamentik“ von B. Salin erschien 1904, der letzte eigene wissenschaftliche Aufsatz, ein Nachtrag zu ihrem Bericht über die Moorleichen, stammt aus dem Jahre 1908. Ein Jahr später nahm der Tod der Einundachtzigjährigen die Feder aus der Hand.
Die Wirksamkeit dieser bedeutenden Persönlichkeit fand in weitesten Kreisen lebhaftes Interesse und gebührende Anerkennung. Mehr aber als viele Worte lassen die erwiesenen Ehrungen ermessen, wie hoch man ihr Werk eingeschätzt hat und auch wie glückhaft erfüllt dieses Forscherleben gewesen ist. Zu ihrem 70. Geburtstag wurde ihr der Titel Professor, fünf Jahre später die Medaille für Kunst und Wissenschaft und zum 80. Geburtstag unter anderem von der medizinischen Fakultät der Universität Kiel der Doktor h. c. verliehen. Und wie weit ihr Ruf über die Grenzen ihres Heimat- und Vaterlandes hinausgedrungen war, zeigt die Ernennung Johanna Mestorfs zum Korrespondierenden Mitglied oder Ehrenmitglied bei 19 wissenschaftlichen Gesellschaften und Vereinen des In- und Auslandes.
„Sie war ein edler Mensch“, schrieb ihr dänischer Kollege Sophus Müller in einem Brief, und ihr Nachfolger in der Leitung des Museums, Dr. Knorr, schloß seinen Nachruf mit den feinsinnigen Worten: „Sie hat, abseits stehend von der lauten modernen Gleichberechtigungsbestrebung der Frauen aus sich heraus ein neues Maß geschaffen für die Beurteilung der Leistungsmöglichkeit ihres Geschlechtes. Sie verstand es, ihre ganze Persönlichkeit da einzusetzen, wo es galt, Großes zu erreichen. Sie war allen ein Muster strengster Pflichterfüllung, voll Liebe für ihr Land und die Eigenart ihrer Landsleute und allen, die ihr nahe standen, der treueste Freund.“ (Mitteilungen des Anthropologischen Vereins in Schleswig-Holstein, Heft 19, 1911).

Auf dem Hamburger Zentralfriedhof Ohlsdorf liegt Johanna Mestorf begraben. Eine schlichte Sandsteinplatte, die nur ihren Namen trägt, deckt das Grab dieser großen Schleswig-Holsteinerin.

Ekkehard Aner

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Mestorf: Wiebeke Kruse eine holsteinische Bauerntochter – Roman

Text des Buches aus dem Nachdruck der Druckerei Paustian aus den 1960er Jahren übernommen


Wiebeke Kruse

eine holsteinische Bauerntochter

Ein Blatt aus der Zeit König Christians IV

von Johanna Mestorf


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(Anmerkung 1999: Personenbild W. Kruse ist nicht authentisch) 


I.

Am Ufer der Bramau, eine Meile westlich vom Marktflecken Bramstedt, liegt das unbedeutende Dörfchen Föhrden; unbedeutend nicht nur hinsichtlich seiner Größe, sondern in jeder Beziehung. Keine Geschichten von dort gelieferten Schlachten zur Zeit der Waldemare, Gerharde oder Adolphe vererben sich auf den Lippen der Burschen von Geschlecht zu Geschlecht; keine Localsagen von versunkenen Schlössern, wo grausame Ritter und Grafen hausten, oder von umgehenden klagenden Burgfräulein, machen die Wangen der Mägde erblassen, wenn sie Abends am Spinnrade um den warmen Ofen beisammen sitzen. Selbst die allgütige Mutter Natur, die so manches holsteinische Dörfchen mit anmuthiger Schönheit begabte, scheint beim Ausstreuen ihrer Gaben, als die Hand diesen Ort berührte, die Finger etwas fester geschlossen zu haben. Wo aber wäre unter dem weiten Himmelszelte ein Fleckchen Erde, das aller Reize baar wäre? Hat doch selbst die braune, öde Haide ihre Poesie. So bietet auch das Dorf Föhrden mit seinen stattlichen Gehöften, seinen saftigen Wiesen, den in der klaren Au sich spiegelnden Baumgruppen manchen Punct, der in der Erinnerung eines empfänglichen Beschauers einen behaglichen Eindruck zurückläßt. So ist es jetzt, so war es vor zweihundert Jahren, dem Zeitpunkte, in welchem die in nachstehenden Blättern aufgezeichneten Ereignisse Statt hatten.

Ein warmer, klarer Junitag beleuchtete mit seinen scheidenden Strahlen ein Stück sonntägliches Stilllebens. Die Männer saßen vor den Häusern auf der Bank oder wandelten gruppenweise durch das Dorf und besprachen was die Kirchgänger neues aus Bramstedt heimgebracht hatten. Die Frauen führten die besuchenden Nachbarinnen in den Kohlhof, beschenkten sie mit Sträußchen von Rauten und Federnelken, versprachen Stecklinge oder Sämereien von neuen Blumen und Gemüsearten oder plauderten über Butter und Eierpreise, während man weiter abwärts das laute Schäkern und Plaudern der Jugend vernahm, die sich mit harmlosem Spiel vergnügte.

Oben im Dorfe saß unter den schattigen Bäumen seines Hofes der Vollhufner Hans Kruse in traulichem Gespräche mit seinem Nachbar Clas Soodt. Die großen silbernen Knöpfe in dem blauen Wammse und an den weiten Kniehosen zeugten von der Wohlhabenheit des Mannes, und die breitschulterige, kräftige Gestalt, das blühende, ehrliche Gesicht, das unter dem runden Filzhute hervorschaute, die kurze Pfeife mit dem Kraute, welches in weniger denn einem Jahrhundert sich so übers Land verbreitet hatte, daß es in keinem Hause fehlen durfte, gaben den Typus eines begüterten holsteinischen Geestbauern, der zufrieden mit sich und der Welt, seine Tage in Ruhe dahinlebt.
Der neben ihm sitzende Freund schien ungleich lebhafterer Natur. Die Augen blitzten unter den buschigen Brauen, und lebhafte Geberden begleiteten seine Rede.

„Wahrschau meine Worte, Hans,“ sprach er eifrig, „wenn der Wallenstein wirklich ein Sterngucker ist – und der Schulmeister schwört darauf, daß er die Geschicke der Menschen am Himmel lesen kann – da wird der Kaiser keinen geschickteren Feldherrn wählen können, denn wenn er das Pfaffenthum nicht mit Gottes Beistand wieder einführen kann, so thut er es mit Hülfe des lebendigen Gottseibeiuns! Die Lutherischen setzen alles daran die reine Lehre zu schirmen; blutige Zeiten werden Noth und Elend aller Art über uns bringen. Wer bürgt uns dafür, daß sie nicht gar unsere Söhne wegschleppen, unsere Höfe plündern und abbrennen und in des Herrn Namen das Land verwüsten als ob ein Fluch darauf läge und….“

„Gemach, gemach, Clas,“ unterbrach Hans den Freund, ,„warum gleich den Schwarzen an die Wand malen! Der Kaiser rührt sich noch gar nicht, und wenn hinter dem Kriege auch wirklich der Plan steckte, die Lutherischen zu vernichten, so können wir, so lange sie unten im Lande das Volk noch satt machen können, hier oben ganz ruhig sein. Der vertriebene Böhmenkönig soll zwar den König Christian in Segeberg hart um Hülfe angegangen sein, aber der wird sich dreimal besinnen, bevor er Land und Leute in Gefahr bringt.“

„Wenn er aber, wie der Schulmeister sagt, dem Bunde der Niedersächsischen beigetreten ist….,“ wandte Glas Soodt ein.

„Ei, nun, wenn es wirklich so schlimm wäre, so wird Gott der Herr doch immer seine gnädige Hand über uns halten. Kein Edelmann kann unsere Söhne unter die Fahne rufen, und wollen sie freiwillig die Picke tragen, so wird ihnen selbst im dichtesten Kugelregen kein Haar gekrümmt, wenn es nicht des Herrn Wille ist.“
„Was ist das?“ fragte Clas Soodt, die Ohren spitzend, als sich in der Nähe ein lautes anhaltendes Peitschenknallen vernehmen ließ.
„Das ist die närrische Wiebeke, die wieder ihre Possen treibt,“ erklärte Hans Kruse, indem ein Lächeln seine Lippen kräuste.

„Einen solchen Lärm kann das Mädchen allein unmöglich machen. Dabei sind mehrere,“ rief Clas Soodt aufstehend.

„Sie ist es auch nicht,“ entgegnete der Vater, „sie mustert nur ihre Recruten. Du weißt ja, daß das Peitschenknallen ihr die liebste Musik ist. Seitdem die Kühe ausgetrieben werden, merkt sie jeden Tag darauf, wer von den Jungen am besten knallt; Sonntags müssen sie noch einmal Probe ablegen und wer dann seine Sache am besten macht, dem giebt sie das Vesperbrot, das sie zu dem Zwecke dem eigenen Munde abspart.“

„Sie hat von klein auf ihre absonderlichen Einfälle gehabt,“ meinte Clas Soodt kopfschüttelnd, und beide Männer gingen, dem Treiben des Mädchens zuzusehen.

Von den vier Kindern: zwei Söhnen und zwei Töchtern, die um Hans Kruse aufwuchsen, stand die Wiebeke seinem Herzen am nächsten. Nicht minder war sie der Liebling von Nachbar Soodt, welcher sein Pathenkind mit zweifachem Interesse aufwachsen sah, indem er den stillen Wunsch hegte, sie eines Tages an der Hand seines ältesten Sohnes auf seinem Hofe als junge Frau einziehen zu sehen. Hans Kruse hatte die Gedanken des Freundes längst errathen, doch war niemals ein Wort darüber unter den Männern gewechselt worden.

Seitwärts vom Hause lag der Brunnen neben einem dicht belaubten, weitästigen Apfelbaume, welcher nach damaligem Brauche bei der Geburt des jetzigen Hofbesitzers gepflanzt war. Unter diesem Baume, von den tiefhängenden Zweigen anmuthig umrahmt, saß auf einem umgestürzten Waschkübel ein junges Mädchen, ein Bild der Gesundheit und ländlicher Frische. Helle Rosen blühten auf den runden festen Wangen, und so ernst die klugen braunen Augen in diesem Augenblicke dreinzuschauen versuchten, gelang es ihnen doch schlecht, den dahinter lachenden Schalk zu verschleiern. Vor ihr standen vier bis sechs kleine Buben aus dem Dorfe und schwenkten die Peitschen in die Luft, daß einem die Ohren gellten, bis die junge Kunstrichterin das Zeichen zum Aufhören gab.

„Komm her, Peter Böge, heute hast Du das Butterbrod verdient,“ sprach sie, einen kleinen etwa zehnjährigen Buben herbeiwinkend und ihm die mit geräucherter Wurst belegte Brodschnitte reichend. Als sie indessen die lüsternen Blicke der anderen Knaben auf die leckere Zukost bemerkte, fügte sie gutmüthig hinzu: „Ihr anderen müßt Euch festere Schnüre an die Peitsche drehen, – den Hanf dazu könnt Ihr von mir holen. Da werdet Ihr Eure Sache bald ebenso geschickt machen, wie Peter Böge, und nächsten Sonntag werde ich das Brod wohl unter Euch theilen müssen.“

„Da will ich mir doch ausbitten, daß Ihr den Heidenlärm anderswo hintragt, als auf meine Hofstelle,“ ließ sich hier des Vollhufners Stimme dicht hinter dem Baume vernehmen. „Ist das ’ne Sitte, so den heiligen Sonntagsfrieden zu stören!“

Die beiden Männer waren ungesehen näher gekommen. Wiebeke’s Wangen färbten sich bei den barschen Worten des Vaters noch höher. Sie erhob sich rasch und grüßte nicht ohne Verlegenheit den Gevatter.

„Ist das ein Sonntagsvergnügen für ein sittiges Mädchen,“ brummte der Vater weiter, „sitzt sie hier und vertreibt die Zeit mit Knabenspielen, statt mit den anderen Mädchen ins Holz zu gehen und Maiblumen zu pflücken! Mädchen, Mädchen, wenn der liebe Gott Dich plötzlich abriefe, da könnten wir es erleben, daß statt der Mädchen mit den Blumensträußen Dir die Buben das Geleite gäben, und statt des Kranzes einen Peitschenstiel auf Deinen Sarg legten!“
„Man soll mit dem Tode nicht spaßen,“ erwiderte der Nachbar. „Vor dem Todtenkranze kommt doch hoffentlich erst die Brautkrone, und wenn ich Deinen Ehrentag erlebe, Wiebe, da soll Dich, wenn Du aus der Kirche heimkommst, ein solches Peitschengeknalle empfangen, daß die Fenster klirren.“
„Das ist ein Wort, Clas-Ohm,“ antwortete Wiebeke lachend, nachdem ein verstohlener Blick auf den Vater sie darüber beruhigt hatte, daß sein Zorn diesmal nicht tiefer, als auf der Zunge steckte, „dafür tanze ich den ersten Tanz mit Euch.“

Die Knaben waren indessen davongeschlichen, bis auf den Preisgekrönten, der sich ins Gras warf, um das Sonntagsbrod ungestört zu verzehren.

Die erhobene Stimme des Hufners hatte die Hausmutter mit den besuchenden Frauen an die Schwelle der Seitenthür gelockt, wo sie das Ende des Gespräches mit angehört hatten.

„Von Wiebe’s Ehrentag haben wir nicht viel Freude zu erwarten“, sagte die Mutter. „Wenn die ihren alten Wittwer heirathet, wird keiner auf ihrer Hochzeit tanzen wollen.“

„Sie hat ihn noch nicht, und die jungen Leute werden wohl aufpassen, wenn’s Zeit ist,“ entgegnete Clas Soodt unwirsch.

„Warum sollte denn Wiebekeeinen Wittwer heirathen?“ fragte die Schulmeisterfrau, die erst seit kurzem im Dorfe wohnte und deshalb noch nicht in alle Familiengeschichten eingeweiht war.

„Das ist ihr von einer Tatersche prophezeit worden, ehe sie noch getauft war“, seufzte Frau Kruse.

„Vor der Taufe? Wie konnte das angehen?“ fragte die Schulmeisterfrau erstaunt.

„Hab‘ ich Dir die Geschichte noch nicht erzählt? Ja – das war seltsam genug. Die Kleine war am Donnerstage geboren und mußte einen Sonntag über liegen, bevor wir mit ihr zur Kirche fahren konnten. Wir thaten natürlich was wir vermochten, um das Kind vor allem Bösen, was in der Luft fährt, zu schirmen. Der Bauer hatte gleich eine Furche um das Haus gepflügt, über die nichts Böses herüber kann; wir hatten Stahl im Bette stecken und ein Kreuz an die Wiege gemalt. Keiner kam herein um das Kind zu sehen, der nicht vor der Thür die Schürze ausschüttelte und erst zum Ofen ging, ehe er an die Wiege trat, und Nacht für Nacht brannten wir Licht und wachten. Am letzten Sonnabend mußten alle zum Heuen nach der Wiese; Anna Stina saß bei mir, da hörten wir mit einem Male eine Kuh, die wir von der Weide in’s Haus genommen hatten, so laut brüllen, daß Anna Stina erschrocken hinauslief. Ich hatte gerade ein bischen geschlafen und war erst durch den Lärm aufgewacht. Anna Stina war keine drei Minuten fort, als die Thür aufging und eine Tatersche hereinkam, mit einem so gelben Gesichte und so pechschwarzen Augen, wie man sie je gesehen hat. Ich schrie vor Angst laut auf.

,Fürchtet Euch nicht, Frauchen,‘ sprach sie gutmüthig. ,Bin ich nicht ein Mensch von Fleisch und Blut wie Ihr selbst, und Mutter von einer Reihe solcher Würmchen, wie Ihr da eins liegen habt! Ich werde Euch ja kein Leid zufügen und bin blos hereingekommen um ein Stückchen Speck zu erbitten, damit ich es mir nicht ohne Euren Verlaub zu nehmen brauche.‘

„Sie sah wirklich ganz sanft und menschlich aus, als sie so sprach; aber als sie an die Wiege trat, rief sie, die Hände zusammenschlagend:,Gottes Wunder, da liegt ja ein gezeichnetes Kind! Das trägt ja einen Stern auf dem Kopfe!‘

„Einen Stern? wiederholte ich. Was bedeutet der? Sie hatte einige schmutzige Kartenblätter aus der Tasche gezogen, warf drei derselben auf die Wiegendecke und sagte nachdenklich:,Es ist ein Mädchen – – sie wird einen alten Wittwer heirathen und durch ihn zu Gelde kommen; aber weite, lange Wege muß sie gehen, bis es so weit kommt.‘

„Schweigt, um Jesu willen schweigt, bat ich. Thut mir dem armen Wurm nichts an! Da kam Anna Stina herein, und die wäre vor Schreck beinahe in die Knie gesunken, als sie das Weib erblickte. – Gieb der Frau ein Stück Speck und ein halbes Dutzend Eier, sagte ich, sie will ihren Kindern gern einen Pfannkuchen backen; etwas Mehl muß sie auch wohl haben.

„Anna Stina ging schweigend mit der Fremden hinaus, die mir noch an der Schwelle ein treuherziges,Gott segne Euch!‘ zurief. Als sie über den Hof ging, warf Anna Stina ihr aber heimlich eine glühende Kohle nach, kleidete das Kind um, räucherte die Stube und die Wiegendecke mit Wachholder, und wir verabredeten, daß wir keinem von dem, was vorgefallen war, erzählen wollten, bevor das Kind getauft sei.“

„Ihr könnt von Glück sagen, daß das gut gegangen ist“, meinte die Schulmeisterfrau, die theilnahmvoll zugehört hatte. „Das Tatervolk bringt selten Heil ins Haus.“

„Es ist nicht so schlimm, wie man glaubt“, versicherte Frau Kruse. „So sehr mich das Weib damals erschreckte, habe ich mich doch später viel weniger vor den Leuten gefürchtet als vorher. Sie haben mir auch niemals Leides angethan“.

Keiner hatte bemerkt, wie gespannt Wiebeke mit halb ‚ geöffnetem Munde und starrem Blicke der Erzählung zuhörte; keiner ahnte, was in dem Mädchen vorging, als sie sich sachte fortschlich bis in den entlegensten Winkel des Gartens, wo sie eines Begebnisses gedachte, das sie seit einem Jahre als Geheimniß für sich bewahrte. Sie war zur Erntezeit mit aufs Feld hinausgeschickt worden und hatte eines Tages, erhitzt und von der Arbeit ermüdet, ein schattiges Ruheplätzchen aufgesucht, wo üppige Brommbeerranken sie an den Rock zerrten und sie gleichsam aufforderten, sich an ihren schwarzglänzenden, saftigen Beeren zu laben. Hingestreckt auf die grüne Matte, hatte sie bereits eine Weile geruht und von den süßen Beeren genascht, als sie es hinter sich in dem Gebüsche rascheln hörte und plötzlich ein fremdes Weib vor sich stehen sah, das jenem umherirrenden Stamme angehörte, welchen die holsteinischen Landleute „Tater“ zu nennen pflegen.

„Wem gehört dies Feld?“ fragte sie.

„Dem Vollhufner Hans Kruse.“

„Bist Du von seinen Leuten?“

„Ich bin seine Tochter.“

„Gelt, da habe ich Dich vielleicht schon früher einmal gesehen,“ sprach das Weib, die schwarzen Augen forschend auf das Mädchen heftend. „’ne schmucke Jungfrau bist Du geworden, obgleich Du nicht mehr den goldenen Stern auf dem Kopfe trägst wie damals; den hat der Priester Dir mit dem Taufwasser abgewaschen: bist ja ein Christenkind. Jetzt reiche mir Deine Hand, damit ich sehe ob ich Dir damals richtig prophezeit habe.“

Wiebeke war durch die Erscheinung überrascht und folgte der Aufforderung nicht ohne ein leises Beben.

„Sieh da, ein eigenes Haus und ein stattliches, großes obendrein!“ rief die Fremde, die Linien in der kleinen derben Hand aufmerksam prüfend. „Einen alten Mann wirst Du heirathen; aber Kind….. was für Wege, helle und dunkle, mußt Du wandeln bis es so weit kommt!“ Dann ließ sie hastig die Hand fahren und sah dem jungen Mädchen ernst ins Gesicht. „Ich will Dir nicht mehr offenbaren“, sprach sie, „nur Eines will ich Dir noch sagen: Schaffe Dir einen festen Sinn; denn zu solchen Wegen, wie sie Dir vorgezeichnet sind, gehört viel Klugheit und große Vorsicht. Die beste Genossin der Klugheit aber ist die Wahrheit. Sprich deshalb, und wenn es Dir noch so schwer wird, immer nur die Wahrheit, und sei fest und treu, wo Du Treue schuldig bist. Sprich nicht von mir, aber gedenke meiner Worte. Vielleicht begegnen wir uns noch einmal wieder im Leben.“

Mit diesen Worten war sie fortgegangen. Wiebeke versuchte nicht sie zurückzuhalten. Sie aß keine Beeren mehr, fühlte keine Ermüdung mehr. Wie im Traume befangen saß sie, bis das Wetzen der Sensen sie in die Gegenwart zurück und wieder an die Arbeit rief. Sie hatte keinem von dieser Begegnung erzählt und da sie eine gesunde Natur, einen kernfrischen Sinn hatte, so dachte sie auch wenig über die seltsame Prophezeiung nach. Nun aber hatte die Erzählung der Mutter die schlummernden Erinnerungen wieder geweckt und Wort für Wort tönte aus der Rede der Zigeunerin in ihr wieder. Weite Wege sollte sie gehen? Wie sollte das geschehen! Sie hatte freilich oftmals von der Mutter gehört, daß man erst anderen dienen müsse, bevor man selbst Knechte und Mägde beaufsichtigen und leiten könne, aber wenn der Vater sie auch bei einem Freunde als Magd verdänge, so würde das doch nicht weitwegs sein. So viel und so lange sie grübelte, wurde es doch nicht klar in ihr, und als endlich die rufende Stimme der Mutter ihre Gedanken abbrach, da seufzte sie wie erleichtert auf und eilte ins Haus. An der Gartenpforte brach sie noch rasch einen blühenden Fliederzweig, den sie dem auf der Diele stehenden Vater lachend an den Hut steckte, und nach wenigen Augenblicken war der Tisch zur Abendmahlzeit geordnet. Die hölzernen Teller und Löffel, das feine Roggenbrod, die frische gelbe Butter und die große dampfende Schüssel mit Milchgrütze, die sie mit sicherer Hand auftrug, deckten den Tisch, um welchen die Hausgenossen sich versammelten und nach kurzem Abendgebete das Mahl begannen. Wiebeke’s Gesicht trug keine Spur von den ernsten Gedanken, die noch vor wenigen Minuten ihr Auge umschleiert hatten, und als die Geschwister und Nachbarkinder sie nach dem Essen zum munteren Spiele einluden, bis der Vater ans Schlafengehen mahnte und die Nacht das ganze Dorf in Schlaf versenkte.

II.

 

„He, Doctor, wohin so eilig? Kommt nur erst einen Augenblick mit in die Apotheke, damit wir erfahren was der Postmeister heute neues aus der Tasche schüttelt. Er maß den Blek mit so langen Schritten, als hätte er Eile, der Bürde los zu werden.“

Es war der Kirchspielvogt von Bramstedt, welcher dem mit flüchtigem Gruße vorübereilenden Fleckensarzte diese Worte zurief.

„Hab‘ jetzt keine Zeit, doch komme ich vielleicht später noch“, antwortete der Doctor im Weitergehen.

„Da laß ich gleich einen „Halben“ für Euch einschenken!“ rief der Kirchspielvogt dem geschäftigen Arzte nach, und trat dann in die Apotheke, wo damals die „Honoratioren“ des Ortes sich jeden Morgen zu versammeln pflegten, um bei einem Magenschnäppschen, dessen Zubereitung ein Geheimniß des Apothekers war, die Landes und Ortsneuigkeiten zu verhandeln. Der kleine Cirkel war im vorigen Jahre in der Person des Postmeisters durch ein neues Element aufgefrischt worden. König Christian IV. hatte nämlich, hauptsächlich im Interesse der Handeltreibenden, im Jahre 1624 eine Postverbindung zwischen Kopenhagen und Hamburg eingerichtet, und da inzwischen der in Bramstedt stationirte Zollcontroleur mit Tode abgegangen war, so wurde der Nachfolger mit der vereinigten Verwaltung des Zoll- und Postamtes betraut. Der Mann hatte lange als Schreiber im Zollamte in Kopenhagen gearbeitet und war nicht allein unerschöpflich an Anecdoten aus der Hauptstadt und dem Privatleben des Königs, er war auch stets derjenige, welcher durch die Boten, die damals die Post und die coursirenden wahren und falschen Gerüchte von Ort zu Ort beförderten, zuerst erfuhr, was es Neues im Lande gebe, was er dann seinen Freunden gewissenhaft mittheilte.

Wir finden ihn auch jetzt neben dem Herrn Pfarrer an einem Tische sitzen, auf welchem der große Tabackkasten, das Kohlenbecken, die Schwefelspäne, die Flasche mit der bitteren Herzstärkung und ein Brett mit Gläsern andeuteten, daß die Herren als tägliche Gäste erwartet wurden.

„So, Postmeister, jetzt fangt noch einmal von vorn wieder an“, rief der eintretende Kirchspielvogt dem Freunde zu, der in der That bereits in vollem Zuge war. „Was giebt’s denn heute? Wirbt der Wallenstein wirklich? Hat Tilly noch keine Prügel bekommen, und sind die hohen Herrschaften in Segeberg bereits versammelt? Wenn wir Euch nicht hätten, da säßen wir hier, wie die Katze im Sacke, und wüßten nichts von dem, was in der Welt passirt.“

„Ihr scherzet, Herr,“ entgegnete der Postmeister lächelnd. „Wenn hier im Orte jemand von dem Stand der Dinge unterrichtet ist, so dürfte es doch vor allem der Magistrat sein, bei welchem die Depeschen und amtlichen Befehle direct einlaufen, während ich nur erfahre, was die vorüberfliegenden Boten aufgeschnappt haben. Daß der Wallenstein wirbt, ist nur allzu wahr, und daß Tilly näher und näher rückt, wissen die Herren so gut, wie ich. In Neumünster erwartet man den König heute von Rendsburg, und in Segeberg war schon gestern kein Unterkommen mehr zu finden, wie mir mein Nachbar Fuhlendorf heute früh erzählte. Man erwartet dort die Herzoge von Braunschweig und Mecklenburg nebst vielen hohen Gesandtschaften und scheint wirklich Se. Majestät mit dem Kreisoberstenamte betrauen zu wollen…“

„Wenn Se. Majestät es annimmt‘, unterbrach der Kirchspielvogt.

„Warum sollte Se. Majestät die Würdenicht annehmen?“ fragte der Pfarrer, der bisher schweigend zugehört. „Als Herzog von Holstein hat er das Recht dazu, und als gottesfürchtiger, frommer und persönlich tapferer Fürst ist er d r Mann, die reine Lehre zu schirmen und den Vertheidigungsmaßregeln den nöthigen Nachdruck zu verleihen.‘

,,Und wenn wir durch diese Maßregeln das Kriegsungeheuer ins eigene Land locken?“ warf der Apotheker dazwischen.

„Ist es denn nicht besser eine kurze Zeit mit den Glaubensbrüdern zu leiden, als daß es der katholischen Kirche gelingt, den Protestantismus zu erdrücken? Ist es nicht besser, unser zeitlich Gut zu verlieren, als das ewige Heil einzubüßen?“

„Sehr wahr, Herr Pastor,“ entgegnete der Apotheker. „Aber wenn nun die Liguisten kämen und Eure Vorräthe an Speck und Mehl und Eiern und Milch aufzehrten, so daß die Frau Pastorin nichts mehr auf den Tisch bringen könnte; wenn sie den Heuboden leer machten, so daß ihr den Pferden das Maul zubinden und Eure Amtswege zu Fuß antreten müßtet, was würdet Ihr dazu sagen?“

Der Pfarrer netzte die Lippen mit dem bitteren Liqueur und blieb die Antwort schuldig.

„Der Herzog von Lüneburg hat wenig Ehre davon, daß er sein Amt niederlegte in einem Augenblicke, wo die Wohlfahrt der niedersächsischen Länder gewissermaßen von dem energischen Auftreten ihres Kreisobersten abhing“, nahm der Postmeister das Wort; denn seitdem der König von Böhmen in der Fürstenversammlung zu Segeberg die protestantischen Höfe anflehte ihm zur Wiedererlangung seiner Länder zu verhelfen, erheischt die Ehre des Kreises die Glaubensbrüder zu unterstützen und für die Gleichberechtigung der Religionsparteien in die Schranken zu treten.“

„Darin liegt noch immer kein Grund für König Christian sich der Sache so heiß anzunehmen und seine Unterthanen in Gefahr zu geben,“ eiferte der Apotheker. „Laßt England und Schweden auch etwas thun. Die Königin von Böhmen ist eine englische Königstochter, und Gustav Adolph steht ihr seit seiner Vermählung mit Maria Eleonora von Brandenburg in verwandschaftlicher Beziehung eben so nahe, wie der König von Dänemark.“

„Sie werden sie auch nicht im Stich lassen“, versetzte der Postmeister. „Will England wegen der Heirathunterhandlungen zwischen dem Kronprinzen und der spanischen Infantin nicht gegen die Katholiken zu Felde ziehen, so wird es Geld schicken, und Gustav Adolph hat seine Hülfe nicht verweigert. Uns kann es ja übrigens nur erwünscht sein, wenn unsere Herzogthümer durch den eigenen Landesherrn geschirmt werden.“

„Was wollt Ihr streiten um Dinge, die doch ohne Euer Gutachten abgeschlossen werden“, rief der Kirchspielvogt. „Krieg und Friede liegen in Gottes Hand. Da weiß ich besseres zu erzählen.“

„Und das wäre?“ fragte der Pfarrer.

„Ein geringes Scherflein zu den Neuigkeiten des Tages, wenn ich mich auch nicht mit dem Postmeister messen kann. Im Gebiete der Möglichkeit, ja der Wahrscheinlichkeit liegt das Ereigniß, daß Se. Majestät unseren Flecken heute noch mit seiner hohen Gegenwart beehrt.“

„Nicht möglich!“ rief es wie aus einem Munde.

„Ich wage nichts zu behaupten“, fuhr der Kirchspielvogt fort. „Doch ist es Tatsache“ – hier streifte ein schelmischer Seitenblick den Postmeister –, „daß Se. Majestät sich gestern zu Itzehoe aufhielt und daß hier am Orte Vorspann und diverse Wagen requirirt sind. Daß man auf dem Schlosse Besuch erwartet, schließe ich daraus, daß das Mörserklimpern und das Kreischen der Bratspieße bis über die Hudau schallt, was ich mit eigenen Ohren vernommen habe.“

„Wahres mag daran sein,“ meinte der Apotheker, den Kopf wiegend. „Nun wird mir auch klar warum die gnädige Frau, die sonst alle Specereien von Hamburg kommen läßt, gestern Abend spät eine ansehnliche Requisition an Zucker, Rosinen, Mandeln und feinen Gewürzen bei meiner Wenigkeit machte.“

„Da hören wir’s; wer wagt jetzt noch zu zweifeln?“ lachte der Kirchspielvogt.

„Aber sollen wir denn keine Vorkehrungen treffen, um…“

„Ich erinnere nochmals daran, daß mir keine officielle Anzeige gemacht worden ist und daß Se. Majestät, in Betracht der ernsten Zeiten, wie ein schlichter Reisender durchs Land zieht und sich überall jede Empfangsfeierlichkeit verbittet,“ erklärte der Kirchspielvogt.

„Aber man müßte doch,…. man könnte doch etwa…,“ fing der Postmeister wieder an.

„Was müßte man? Die Straßen sind gekehrt, gesetzliche Ordnung herrscht bis in den kleinsten Winkel, die Einwohner gehen ihrer Arbeit nach – kurz, der Ort ist in einem Zustande, in dem der Landesherr ihn zu jeder Zeit überraschen mag,“ sprach die Ortsbehörde, nicht ohne Selbstbewußtsein.

„Soll ich meinen König wirklich noch einmal von Angesicht zu Angesicht sehen! sprach der Postmeister bewegt. – – Ein schöner stattlicher Herr ist Christian IV., und so leutselig, daß manche seiner Ober- und Unterbeamten sich ein Beispiel daran nehmen könnten. – – Und mit dieser wichtigen Neuigkeit hält der Mann hier eine ganze halbe Stunde lang hinter dem Berge: ich frage, ist das freundschaftlich, meine Herren?“

Der Kirchspielvogt lachte. „Ich muß fort“, sprach er mit einem Blicke auf die Uhr. „Der Doctor läßt mich wieder mit dem „Halben“ sitzen. Nun, auf die Gesundheit unseres gnädigsten Königs,“ sprach er, das Gläschen an die Lippen führend, und verließ, den Freunden die Hand schüttelnd und die Bezahlung für die genossene Herzstärkung unter den Fuß des Glases schiebend, die Versammlung.

Diejenigen unserer Leser, welche mit den Gebräuchen vergangener Jahrhunderte weniger bekannt sind, dürfen nicht meinen, daß die Apotheke früher einer Wirtsstube gleich stand; aber eben weil in manchen kleineren Städten und Marktflecken ein Local fehlte, wo die Herren sich versammeln und Rede und Antwort tauschen konnten, fanden sie sich an manchen Orten bei dem Apotheker zusammen, welcher den Freunden artig mit Taback und Liqueur aufwartete; eine Aufmerksamkeit, die sich täglich wiederholte und deshalb nicht ohne Vergütung angenommen werden konnte, weshalb die Herren stillschweigend einige Schillinge für genossene Erquickung hinlegten, die nach ihrer Entfernung ebenso stillschweigend von dem Hausherrn eingestrichen wurden. Der Apotheker handelte damals nicht ausschließlich mit Medicamenten, sondern auch mit Colonialwaren und allen feinen Ingredienzien, womit die Hausfrauen das Backwerk und die Brühen reichlich zu würzen pflegten.

Fast um dieselbe Stunde, als die Herren sich nacheinander aus der Apotheke entfernten, bewegte sich auf der Straße, die von Hitzhusen nach Bramstedt führt, ein stattlicher Reiterzug vorwärts.. Die klare Maisonne spiegelte sich in den blanken Waffen, und die hellen Augen, die munteren Gesichter zeigten, daß ein mehrstündiger Ritt in den frischen Morgen den Rittern und Reisigen wohlgethan hatte. An der Spitze des Zuges ritt ein schöner stattlicher Herr, der seine Blicke bald auf die Wiesengründe und Aecker zur Rechten richtete, bald auf den im ersten Blätterschmucke prangenden Buchen ruhen ließ, welche zur Linken den Weg umsäumten. Dieses Gehölz, welches früher den Weg von Hitzhusen nach Bramstedt seiner ganzen Länge nach einfaßte, war Jahrhunderte lang der Stolz und die Zierde der Gegend, die Lust und Freude der Bewohner, bis es vor etwa zwanzig Jahren von schonungsloser Hand der Gewinnsucht eines fern lebenden Besitzers geopfert ward.

Der vornehme Reiter, der mit Wohlbehagen den Duft des jungen Birkenlaubes einzuathmen schien und dessen Auge mit fast andächtigem Blicke an den hohen, glattstämmigen Bäumen hing, war König Christian von Dänemark; ein schöner Herr, wie der Postmeister mit Recht sagte, damals noch im kräftigen Mannesalter. Läge das Leben dieses Fürsten weiter in der Geschichte zurück, so würde man wahrscheinlich erzählen, daß bei seiner Geburt gütige Nornen erschienen seien, die ihn mit allen Vorzügen des Leibes und der Seele begabt hätten. Jetzt berichtet die Geschichte, daß sich unter seinen Pathengeschenken ein vergoldetes Silbergefäß befand, auf dem man eine lateinische Inschrift las, die ihm das Glück Christian’s I., die Leutseligkeit Friedrich’s L, die Gottesfurcht Christian’s III. und die Großmuth Friedrich’s II. anwünschte, und daß dieser fromme Wunsch sich an ihm wirklich erfüllt habe. Seinen practischen, haushälterischen Sinn aber hatte Christian IV. von seiner Mutter geerbt, und noch jetzt zeugen die eigenhändigen Aufzeichnungen in seinen Almanachen davon, daß ihm nichts zu kleinlich schien, um seiner Beachtung werth zusein. Er baute Schiffe, Schlösser und Städte; zu den Kriegsschiffen verfertigte er nicht selten mit eigener Hand das Modell, für die Schlösser kaufte er selbst die zur Ausschmückung erforderlichen Gegenstände, und bei den Städten, die er gründete, ordnete er die Einzelheiten der Anlage, leitete er persönlich den Bau der Festungswerke. – Nicht minder als die Wohlfahrt seiner eigenen Unterthanen, ging ihm die Noth der deutschen Protestanten zu Herzen. Er hatte bereits mehrmals gerüstet, um ihnen Hülfe zu senden, doch hatte die wiederholte Versicherung des Kaisers, daß er die Religionsfreiheit auf keine Weise kränken werde, ihn bisher vermocht, von seinem Vorhaben abzustehen. Jetzt war er, wie wir bereits wissen, auf dem Wege nach Segeberg, um die ihm angetragene Würde eines niedersächsischen Kreisobersten anzunehmen. Wußte er, daß mit dieser Stellung Sorgen und Mühe mancher Art verknüpft waren, so gewann er doch mit derselben einen Einfluß auf die deutschen Angelegenheiten, den er nicht ohne Unruhe in die Hände seines ehrgeizigen Nachbars hätte übergehen sehen. –

Wenden wir jetzt unsere Blicke wieder der Reiterschar zu, welche unterdessen die ersten Häuser von Bramstedt erreicht hatte. Neben dem König ritt der damalige Besitzer des adligen Gutes Bramstedt, Arndt Stedingk; ihnen folgte der Stallmeister des Königs Wenzel Rothkirch, und zwei holsteinische Edelleute, Sigmund Pogwisch und Wolf v. Buchwald; dahinter das Gefolge, die Dienerschaft und die Leibwache des Königs. Christian IV. schien bei heiterster Laune und grüßte freundlich die Leute, welche durch das Pferdegetrampel vor die Thür gelockt wurden. Als er durch das Bekthor und gleich darauf an der Kirche vorüberritt, hielt er sein Roß an, lüftete den Hut und sprach andächtig ein kurzes Gebet; dann ritt er weiter, bis er die Bäckerbrücke erreichte, die schon damals nach dem hart an derselben gelegenen Backhause diesen Namen führte. Dort hielt er abermals sein Pferd an, um der anmuthigen Fernsicht zu genießen, welche den Blick auf den Pfarrhof, nach der Mühle hinüber und auf die Gärten und Baumgruppen am Ufer der Au von der Brücke aus gewährte. Auf einer Waschbrücke, welche im Vordergrunde von einem Garten ins Wasser hinaus gelegt war, stand in der kleidsamen Tracht des Landes, mit hochgeschürztem Rocke, ein junges Mädchen und spülte und klopfte das sauber gewaschene Leinenzeug. Als sie die vornehme Reiterschar über die Brücke ziehen sah, hielt sie verwundert inne und schaute, den Körper leicht nach vorn gebeugt, das Waschholz in der erhobenen Rechten, neugierig auf die Fremden, ohne zu ahnen, daß sie selbst einenmalerischen Ruhepunkt für die Augen der vornehmen Herren bildete. *(historisch, Anm. J.M.)

 „Fürwahr, ein reizendes Bild, die Maid müssen wir näher beschauen“, rief der König munter, worauf Arndt Stedingk das Mädchen herbeirief.

Sei es nun, daß sie den Gutsherrn nicht gleich erkannte und glaubte, die Fremden seien des Weges unkundig, oder daß sie an Gehorsam gewöhnt dem Rufe folgte, genug: die junge Magd hüpfte leichtfüßig über den Zaun, glättete eilends die Röcke, zupfte an der grünen Bandschleife unter dem Kinn, welche das knappe, gestickte Käppchen hielt, und trat dann raschen Schrittes vor die Fremden.

„Wie heißt Du, schönes Kind?“ fragte der König, das blühende, rothwangige Gesicht mit den klugen, nußbraunen Augen wohlgefällig betrachtend.

„Ich heiße Wiebeke Kruse, und mit Verlaub, hoher Herr, wer seid Ihr?

„Wenn ich Dir das sagte, würdest Du mir vielleicht kaum glauben“, lachte der König, seinem Begleiter mit der Hand zu schweigen winkend.

„Bist Du die Tochter aus jenem Hause?“ fragte er weiter.

„Nein, Herr“, antwortete Wiebeke, den Kopf stolz aufrichtend, „hier bin ich Magd, aber auf dem Hofe meines Vaters, des Vollhufners Hans Kruse in Föhrden, bin ich Tochter vom Hause.“

Der König konnte sich ob dieses Patricierstolzes eines Lächelns nicht erwehren. „Warum dient denn die Tochter des begüterten Großbauern in fremdem Hause?“

„Weil mein Vater dafür hält, daß man erst sich in fremden Willen schicken und gehorchen lernen muß, bevor man selbst befiehlt,“ antwortete Wiebeke.

„Das ist brav“, rief der König, durch die freimüthigen, verständigen Antworten der Bauerntochter angenehm überrascht. „Wenn Du aber doch eine Zeit Dich in der Fremde umsehen willst, könntest Du ja auch meiner Gemahlin dienen. Sag‘, hast Du Lust mit mir zu kommen?“

Wer hätte, wenn ihm bei achtzehn Jahren der Eintritt in die Zaubergärten einer fremden Welt geboten wird, abwehrend die Augen davor geschlossen? So klopfte auch Wiebeke’s Herz rascher, als sie mit leuchtenden Augen antwortete:

„Wohl hätte ich Lust, aber ich darf nichts thun, ohne den Willen meines Vaters zu befragen, und ebensowenig darf ich zur Unzeit aus dem Dienste laufen“.

„Davor sei Gott, daß ich Dich hindere, Kindespflicht zu üben,“ sprach mit Ernst Christian IV., bei welchem der Scherz einem wirklichen Interesse an dem verständigen Mädchen zu weichen begann.

„Mit dem Brodherrn der jungen Magd kann Ew. Majestät gleich arrangiren, wenn es Ihr mit der Sache Ernst ist“, sagte Arndt Stedingk, auf den von fern zuschauenden Hofbesitzer weisend und selbigen auf eine beistimmende Kopfbewegung des Königs herbeiwinkend.

„Se. Majestät der König findet Gefallen an Deiner Magd, Jörgen,“ fuhr er fort, als der Landmann herzutrat. „Willst Du sie entlassen, so kann sie in Sr. Majestät Dienst treten.“

Bei dem Namen des Königs zuckte es in Wiebeke’s Augen, die sich starr und unverwandt auf den Landesvater hefteten, während sie die unwillkürlich gefalteten Hände fest ans Herz preßte.

„Mein Haus und mein Gesinde stehen dem Allergnädigsten Könige jederzeit zu Befehl,“ sprach Jörgen Götsche, sich tief verbeugend. „Hans Kruse’s Tochter ist ein braves Mädchen, und Vater und Kind können die Ehre, die ihnen widerfährt, nicht hoch genug schätzen.“

„Das wäre also abgemacht,“ entschied der König. „Wenn nun der Vater einwilligt, so halte Dich bereit, wenn ich binnen drei Tagen wieder über hier komme, mit nach Steinburg zu fahren, wo meine Gemahlin alsbald mit ihrem Haushalte eintreffen wird. – Aber halt!“ rief er, die Börse ziehend und einen Glückstädter Species hervornehmend: „Du hast ja noch kein Gottesgeld bekommen!“

„Man giebt hier zu Lande nur fünf Schillinge Gottesgeld“, sagte Wiebeke, das Geldstück zurückweisend. „Auch darf ich mich nicht festmachen, bevor ich nicht mit dem Vater gesprochen habe“.

„Mädchen, wenn Du so gediegen von Grund aus bist, wie Du scheinst, so darf ich Frau Christine gratuliren,“ rief Christian IV. „Könige dürfen übrigens soviel Gottesgeld geben, wie sie wollen. Sie wissen am besten zu schätzen, wer ihnen treu und redlich dienen will. Auf Wiedersehen“!

Mit diesen Worten setzte er sein Roß in Bewegung, grüßte huldvoll die Einwohner, welche neugierig auf die Straße hinausgetreten waren und der ihnen höchst auffälligen Unterredung von fern zusahen, und lenkte, von Stedingk geleitet, rechts um die Ecke dem Schlosse zu, wo er ein Stündchen rasten und ein Frühmahl einnehmen wollte, bevor er die Reise nach Segeberg fortsetzte.

Wiebeke Kruse war, seitdem wir sie zuerst in Föhrden kennen lernten, um 4 Jahre älter geworden. Der kleine, fest geschlossene Mund und das offene Auge verliehen dem blühenden Gesichte einen Ausdruck festen Charakters, der jedoch durch den heiteren, freundlichen Blick um vieles gemildert ward. Sie diente seit einem Jahre bei dem Hufner Götsche in Bramstedt, und als Hans Kruse seine Tochter bei ihm vermiethete, hatte er ihm eine Ehre damit zu erzeigen geglaubt. Die Eheleute Götsche aber hatte er deshalb von anderen erwählt, weil er sein Lieblingskind dort wohl beaufsichtigt und wohl aufgehoben wußte und es, wenn er Sonntags vor dem Kirchengehen dort einkehrte, jedesmal ein Stündchen sehen und sprechen konnte. Wiebeke war auch eine der flinksten, gewandtesten Mägde, sowohl bei der Feld als Hausarbeit, und von ihrer Brodherrschaft wohlgelitten. Galt es aber am Sonntage mit den Kindern und mit den jungen Leuten zu spielen, da war sie gewiß nicht die letzte, und besonders hatten die kleinen Buben im Hause stets die besten Peitschen, womit sie nach Herzenslust knallten, daß es weit über den Blek schallte, was ihnen schon manche Rüge von den umwohnenden Nachbarn zugezogen hatte.

Sobald die Reiterschar um Fuhlendorf’s Ecke verschwunden war, drängten sich die Bleksleute um Wiebeke, um die Veranlassung, den Gegenstand und den Ausgang ihres Gespräches mit den vornehmen Herren zu vernehmen. Das junge Mädchen war indessen selbst noch viel zu verwirrt, um ordentlich Rede stehen zu können. Das Geldstück des Königs in ihrer Hand zeugte davon, daß ihr nicht geträumt habe, aber die Zukunft lag nicht in den Tinten der Freude vor ihr; sie empfand vielmehr eine leise Furcht, und dennoch hätte sie das gegebene Wort nicht zurücknehmen mögen. Als die Neugierigen genug erfahren hatten, um es weitertragen zu können, zog Frau Götsche ihre Magd mit sich in die Kammer, wohin ihnen der Hausvater alsbald folgte.

Nachdem Wiebeke dem würdigen Ehepaar ausführlich erzählt hatte, wie sich alles zugetragen habe, sagte Jörgen Götsche nachdenklich:

„Das Beste ist, ich ziehe Stiefel an und gehe gleich mit Dir nach Föhrden; da kann Dein Vater selbst den Ausschlag geben.“

Wiebeke zuckte mit den Brauen. Sollte sie jetzt ihr Elternhaus wiedersehen und allen Angehörigen und Bekannten mit eigenem Munde sagen, daß sie sich von ihnen lossagen und in eine andere Welt ziehen wolle? – Sie fühlte, wie schwer ihr dies werden würde, und sprach deshalb nach kurzem Bedenken:

„Besser wäre es, der Vater käme hierher; wenn er dann seine Einwilligung nicht geben will, so braucht es das ganze Dorf ja nicht gleich zu erfahren.“

„Das Mädchen hat recht, Alter. Mach‘ Dich nur allein auf den Weg oder laß Hans Kruse bitten, einmal herzukommen“, rieth die Frau, und so geschah es.

Im Flecken verbreitete sich unterdessen rasch die Kunde von der Anwesenheit des Königs. Alt und Jung eilte nach dem Blek und harrte des Augenblickes, wo der Landesvater, von Stedingkshof kommend, an ihnen vorüber zum Hamthore hinausreiten würde.

Nur Wiebeke nahm an dem Jubel keinen Theil. Sie war wieder still an die Arbeit gegangen; aber so wortkarg und ruhig sie dem Aeußern nach blieb, so lebhaft und stürmisch wogte es in ihr. Sie sehnte sich nach der Ankunft des Vaters, dessen Anblick sie gleichwohl scheute, gleichwie sie den Tag der Abreise herbeiwünschte und doch jede Stunde hätte im Fluge aufhalten mögen. – Wer hätte nicht in seinem Leben ähnliches erfahren!

Das Bramstedter Schloß lag hart an der Straße, die vom Blek über die Hudaubrücke führt, in dem späteren gutsherrschaftlichen Garten, wie die vor einigen Jahren unternommenen Untersuchungen durch Entdeckung der Grundmauer bestätigten. Jenseit der Au stand ein Thorgebäude, dem entsprechend, welches am Blek dem Marktplatze des Fleckens liegt und seit dem Abbruche des verfallenen eigentlichen Schlosses als herrschaftliches Wohngebäude benutzt wird.

Arndt Stedingk hatte seine Gemahlin durch einen Boten von der Ankunft des hohen Gastes unterrichtet und wollte, daß sie erst in der letzten Stunde an die Beamten des Ortes eine Einladung zum Frühstück ergehen lasse. Wir finden daher sämmtliche Herren, die wir vor wenigen Stunden in der Apotheke beisammen fanden, jetzt neben der Gutsherrin in der Vorhalle stehen, allein die erhitzten Gesichter, das unruhige Zupfen an Kragen und Manschetten verrathen, wie schnell sie in die Festkleider gefahren sind.

Nachdem der König sich aus dem Sattel geschwungen und mit Arndt Stedingk das Haus betreten hatte, stellte dieser ihm seine Gemahlin und die anwesenden Herren vor. Christian IV. bot der Dame den Arm.

„Ihr müßt großmüthig verzeihen, edle Frau, wenn ich im bestäubten Reisekleide vor Euch erscheine und den guten Anstand verletze, den ich Damen gegenüber sonst nicht gern außer Acht lasse,“ sprach König Christian artig.

„Ew. Majestät würde mich in große Verlegenheit setzen, wenn Sie Ihrerseits dem Besuche eine Ceremonie beilegte, welche zu beobachten mir unmöglich war, da es mir zu einem würdigen Empfange unseres hohen Gastes an Zeit gebrach. Ich rechne stark auf Ew. Majestät Nachsicht, wenn ich bitte mit einem patriarchalisch einfachen Frühmahle fürlieb zu nehmen.“

„So liebe ich’s“, entgegnete der König, in den Saal tretend, wo eine stattlich gedeckte Tafel mit den Entschuldigungen der Hausfrau im Widerspruch zu stehen schien.

Nachdem der König eine Weile mit den Fleckensbeamten geredet hatte, setzte man sich zu Tische, wo der vornehme Gast eine ungezwungene Unterhaltung anzubahnen wußte. Er erzählte der Frau v. Stedingk, welche zu seiner Linken saß, daß er bereits im Orte eine Magd gemiethet habe, und erklärte hausväterlich, wie er solches keineswegs ohne Vorbedacht gethan, sondern befohlen habe, daß man die dänischen Mägde, welche Frau Christine Munk „) (Christian IV. vermählte sich bekanntlich nach dem Tode der Königin Anna Catharina von Brandenburg mit Christine Munk, einer Tochter des Amtmannes zu Kor sör, Ludwig Munk.) in den deutschen Landen mehr zur Last als zum Nutzen seien, nach Kopenhagen zurückschicke, und daß die Frau Amtmännin zu Steinburg es übernommen habe, ein neues Dienstpersonal zu besorgen. Darauf wandte er sich plötzlich an den Hausherrn mit der Frage, ob man den Erbauer des Bramstedter Schlosses kenne und wie alt man selbiges halte.

„Das habe ich trotz eifriger Nachforschungen nimmer erfragen können,“ antwortete Arndt Stedingk, „doch ist es Thatsache, daß es früher den holsteinischen Grafen gehörte und daß es Residenz des Grafen Johann II. war, welcher letzterer sich hier aufhielt als er gefangen und nach Kiel geführt ward.“

„Ueber die Erbauung des Schlosses weiß ich leider auch nichts zu sagen,“ begann der Pfarrer. „Daß aber der Blek Bramstedt schon zu heidnischen Zeiten ein angesehener Ort gewesen ist, glaube ich mit, ich möchte sagen, historischer Gewißheit behaupten zu können. Wir wissen, daß die Sachsenapostel hier gepredigt haben; dieselben pflegten ihre Vorträge vorzugsweise an solchen Orten zu halten, wo die Heiden sich zu ihren Opferfesten und Thingsversammlungen zahlreich einzufinden pflegten. Daß hier am Orte ein heidnisches Heiligthum und Gerichte bestanden, ist mehr als wahrscheinlich, einmal weil der Ort an der großen Heerstraße von Süden nach Norden liegt, zweitens weil man die christlichen Kirchen meistens an solchen Stellen errichtete, wo bis dahin heidnischer Götzendienst getrieben worden, und dann auch, weil die alten heidnischen Thingstätten nicht selten in christliche Gerichtshöfe umgewandelt wurden. Ein ursprünglich heidnisches Gericht war das noch vor hundert Jahren hier gehaltene Göding up dem Jahrschen Balken. Auch unsere Rolandsäule möchte ich damit in Verbindung bringen.“

„Daß die Rolandbilder dem Neffen und Günstlinge Carl’s des Großen zu Ehren aufgepflanzt wurden, lernten wir bereits auf der Schulbank“, meinte Wolf v. Buchwald, den Pfarrer mit Ueberlegenheit anblickend,

„Allerdings, edler Herr,“ erwiderte der Geistliche mit feinem Lächeln, „doch pflegte mein Lehrer, der gelehrte Dr. Caresius hinzuzufügen, daß die Entscheidung der Frage späteren Jahrhunderten aufgehoben sein dürfte, und ich muß ihm darin beipflichten. Was mich dazu treibt, sie mit dem Gerichtswesen in Verbindung zu bringen, ist die einfache Thatsache, daß die Brabanter Kaufleute, welche über hier nach Norden ziehen, stets auf dem grünen Anger unter der Rolandsäule ihre Contracte schließen und ihre Streitigkeiten schlichten, was die hier anwesenden Bramstedter Herren und jeder Fleckenseingesessene bezeugen können. Daß ein solcher Ort sich zur Gründung einer Kirche eignete und einen christlichen Edelmann zur Anlage einer Burg verlocken mochte, finde ich sehr wahrscheinlich.“

„Die erste Kirche aber soll nicht im Orte, sondern beim Anklever, einem nordöstlich vom Flecken gelegenen Haine, gestanden haben,“ bemerkte der Kirchspielvogt.

„Daß dort eine Capelle gestanden, läßt sich allerdings kaum bestreiten, indem ein umzäunter Platz, auf dem man verschiedene zum Gottesdienste gehörende Geräthe ausgegraben hat, noch heute den Namen Capellenhof führt, und darauf hindeutende Erinnerungen noch im Volksbewußtsein fortleben, erwiderte der Pfarrer. Ob aber diese Kirche die Hauptkirche gewesen ist, wage ich nicht zu entscheiden; sie scheint mir an die Stelle eines Heiligthums erbaut zu sein, das entweder einer heidnischen Göttin geweiht oder von einer Priesterin beschützt war, da abergläubische Leute noch jetzt nicht selten im Anklever eine Frau in weißem Gewande erblickt haben wollen, die auf einem Baume sitzt und spinnt oder wehklagend dort umherirrt. Man hat mich wiederholt aufgefordert, den ruhelosen Geist zu bannen.“

„Eure Muthmaßungen zeugen von Scharfsinn und Ihr habt uns durch Euren Vortrag viel Vergnügen gemacht,“ sprach der König, der den Worten des Geistlichen in der That mit Interesse gelauscht hatte. „Wir müssen beklagen, daß bisher für die Aufzeichnungen der historischen Begebenheiten aller einzelnen Ortschaften so wenig gethan ist. Hoffen wir von der Gegenwart und Zukunft ein Besseres!“

„Ew. Majestät thut jedenfalls alles, um das Interesse der Wissenschaften zu fördern,“ sprach Wolf v. Buchwald, „und die Nachwelt wird König Christian für manches Institut zu danken haben, welches die Cultur und Ausbreitung der Künste und Wissenschaften bezweckt.“

Christian IV., welcher ein taubes Ohr für Schmeicheleien hatte und Wolf v. Buchwald als abgesagten Feind allgemeiner Aufklärung kannte, richtete sein klares Auge mit einem Blicke auf den Sprecher, vor welchem dieser die Lider senkte.

„Wißt Ihr denn auch, schöne Frau,“ sprach er dann, als man ihm gerade eine Schüssel mit marinirtem Aal anbot, „wißt Ihr denn auch, daß ich einstmals dieses schmackhaften Fisches wegen mit Gert Stedingk, dem Oheim Eures Gemahls, unliebsame Briefe gewechselt habe?“ *)( Historisch, Anm. J.M.)

 Frau v. Stedingk verneinte. Ihr Gemahl aber rief von der anderen Seite des Tisches herüber: „Bei Gott, Ew. Majestät vortreffliches Gedächtniß ist nicht umsonst sprichwörtlich geworden, wenn Sie sich jenes Processes erinnert, der meinem Oheim seiner Zeit viel Verdruß bereitet hat.“

„Die Sache hing mit einem anderen Umstande zusammen, welcher auch mir Unbehagen verursachte“, sprach der König offenherzig und fuhr dann, zu seiner Dame gewandt, fort: „Der Proceß entstand wegen der Anlage eines Aalwehrs, und Herr Gert mochte seinem Nachbar hart zu Leibe gegangen sein, weil dieser Schutz bei dem königlichen Amte suchte. Da das Einschreiten des Amtmannes nichts fruchtete, ging die Sache so weit, daß ich einen eigenhändigen Brief an Herrn Gert erließ, um ihn an seine Pflicht und Schuldigkeit zu erinnern. Auch dies Schreiben blieb ein halbes Jahr lang unbeantwortet, bis Herr Gert sich endlich schriftlich mit seiner Abwesenheit entschuldigte, da er eine Reise nach Schweden gemacht habe. In dem Briefe erinnert er daran, daß er auf seinem Gute Gerechtigkeit über Hals und Hand habe und folglich auf seinem Gebiete thun könne, was ihm beliebe. Diese stolzen Aeußerungen meines Landsassen abgerechnet, wußte ich, daß er einer der Gesandten des Herzogs von Holstein gewesen sei, die von Carl IX. von Schweden zu eben dem Reichstage in Linköping eingeladen waren, zu dem meine Räthe nicht zugelassen wurden, indem der König ihnen halbwegs entgegenreiste und sie in Jönköping empfing, allwo sie ihr Anliegen vorbrachten und zur Umkehr nach Dänemark entlassen wurden. Ich war an dem Tage, wo ich das Stedingksche Handschreiben empfing, nicht sehr günstig gegen Euren Ohm gestimmt, obgleich ich es gewohnt bin, daß die Holsteiner so in Privat wie in Landessachen auf ihre Privilegien trotzen.“

„Ew. Majestät ist viel zu gerecht, um darin einen Tadel aussprechen zu wollen“, sprach Sigward v. Pogwisch, ein schöner Mann, der dem Könige mit schwärmerischer Verehrung anhing, freimüthig. „Thut nicht jedes Thier, das seinen Bau angegriffen sieht, was es kann, um denselben zu vertheidigen? Wie sollte da nicht der Mensch, in welchem Rechtsbewußtsein lebt, eine Nation, die zu politischem Selbstbewußtsein gekommen ist, ein Gleiches thun!“

Wenzel Rothkirch ergriff seinen Becher und leerte ihn mit einem beredten Blicke auf den Sprecher. Auf seinem offenen, ehrlichen Gesichte las man den Beifall, den er nicht in Worten auszusprechen wagte.

Arndt Stedingk rückte ungeduldig mit dem Stuhle. Er mochte befürchten, daß das Gespräch eine minder erfreuliche Wendung nehme, und ergriff deshalb den Becher, um auf das Wohl des königlichen Hauses zu trinken, da er bereits zu Anfang des Mahles die Gesundheit des Landesherrn zum Trinkspruch gewählt hatte. Die Gäste verstanden seine Absicht, und die Unterhaltung lief fortan über harmlose Gegenstände, bis der König die Tafel aufhob und bald darauf das Zeichen zum Aufbruch gab.

 Daß er draußen von den versammelten Einwohnern mit lautem Jubel empfangen und bis vor das Thor begleitet wurde, haben wir bereits erwähnt. König Christian ging ernsten Zeiten entgegen, und die heitere Laune, die ihn heute so liebenswürdig gemacht hatte, ward von den Sorgen, welche das drohende Unwetter am politischen Horizonte ihm verursachte, mehr und mehr umhüllt, so daß sie nur selten wieder dauernd hervorbrach.

III.

 

Das Steinburger Schloß, welches gegen Ende des dreißigjährigen Krieges vom Grafen Christian Rantzau abgebrochen und in Glückstadt wieder aufgebaut wurde (nachdem es ihm von Christian IV. zu diesem Zwecke geschenkt worden), war im Jahre 1625 noch eine mit Thürmen, Ringwall und doppeltem Graben versehene, wohlbefestigte Burg. Sie war der Sitz des Steinburger Amtmannes und diente dem Könige Christian IV. bei seinen Reisen in den Herzogthümern oftmals als Aufenthaltsort, weshalb die Prachtwohnung des Schlosses stets zu seinem Empfange bereit stand, und jetzt zur Aufnahme der königlichen Familie, nach damaligen Begriffen von wohnlicher Behaglichkeit, noch besonders ausgeschmückt war.

In einem dieser Prunkgemächer saß in hohem Armstuhle eine noch jugendliche Dame, die Rechte, die ein kostbar gebundenes Psalmbüchlein umschlossen hielt, schlaff herabhängend, die feine Wange an die seidenen Polster gelehnt, die Lider halb geschlossen.

Bei einem Geräusche an der schweren eichenen Thür, welchedas Zimmer von dem Corridor trennte, zuckte sie leicht zusammen, ein wärmerer Farbton belebte flüchtig dasblasse Gesichtund sie erhob sich, um den Eintretenden zu begrüßen. Es war König Christian, welcher mit raschen Schritten sich seiner Gemahlin näherte und ihren Gruß mit einem Kusse auf die Stirn erwiderte.

„Ich kam um Dich zu einem Spaziergange aufzufordern, aber Dein Aussehen nimmt mir den Muth zu einer solchen Einladung,“ sprach er mit bekümmertem Blicke auf ihr blasses, leidendes Gesicht.

„Die kurze Ruhe hat mir wohlgethan,“ erwiderte Christine Munk freundlich, „und wenn Ihr mir noch ein Viertelstündchen vergönnen wollt, so bin ich bereit, Euch zu folgen, wohin es Euch beliebt.“

„Das brauchst Du bei Gott nicht zu betheuern,“ rief König Christian, den Arm um die schlanke Gestalt legend und das feine Köpfchen gerührt an sich drückend. „Mich reut, daß ich Dich schon jetzt reisen ließ, Du hättest Dich in Kopenhagen rascher erholt.“

„Sprech nicht so, mein Gemahl,“ sagte Christine, die Hand, welche ihr zärtlich die Locken aus der Stirn strich, an die Lippen drückend. „Die Sorge um Euch würde die Rückkehr meiner Kräfte mehr beeinträchtigt haben, als die kurzen Tagereisen bei so schöner Jahreszeit.“

„Ich habe mancherlei mit Dir zu reden,“ begann der König nach einer Pause, indem er Frau Christine sanft in den Sessel gleiten ließ und ihr gegenüber Platz nahm. „Hier sind Briefe für Dich von der Königin Sophie. Ihre Majestät schreibt mir, daß es den Kindern wohlgeht und daß unser Söhnlein Friedrich Christian keineswegs so schwach und lebensunfähig ist, wie die Aerzte glaubten, sondern so herrlich gedeiht, wie man es von einem sechswöchigen Kinde erwarten kann. Da wird er hoffentlich noch vor dem Herbste seiner Mama einen Besuch in deutschen Landen machen können.“

Christine Munk bezeugte ihre Teilnahme nur durch ein stilles Lächeln.

„Hier ist ein Schreiben von Frau Anna Lykke,“ fuhr der König fort. „Sie nimmt die Stelle als Hofmeisterin bei den Kindern an, doch kann sie ihr Amt nicht vor September antreten. Jetzt liegt es bei Dir zu entscheiden, ob Du Dich bis dahin ohne sie behelfen kannst, oder ob Friis, der sie uns recommandirte, sich nach einer anderen erkundigen soll“.

„Frau Anna Lykke ist mir so vielfach gerühmt worden, daß ich um ihretwillen schon etwas Geduld üben muß“, erwiderte Christine. „Die Kinder werden diesen Sommer viel im Freien spielen und sind in den Händen der alten Dorthe, ja selbst bei Deiner Holsteinerin wohl aufgehoben.“

„Denkst Du denn die alte Dorthe mit über die Elbe zu nehmen?“

„Gewiß. Sie ist mir treu ergeben und kann das neue Personal in seinen Dienstobliegenheiten unterweisen, da sie sich mit ihrem Rothwälsch sehr wohl verständlich zu machen weiß.“

„Und mit meiner Holsteinerin bist Du zufrieden?“

„Das ist ein merkwürdiges Mädchen,“ rief Christine lebhaft. „Sie hat zwar bäuerische Sitten und eine bäuerische Sprache, aber ein so scharfer Verstand, ein so feines Schicklichkeitsgefühl und eine so strenge Moralität sind mir selten vorgekommen. Auch mit den Kindern weiß sie umzugehen. Die Kleinen wollen sich bei niemandem an ders gedulden, selbst die heftige, herrschsüchtige Anna Catharina wird unter Wiebeke’s Aufsicht weich wie Wachs, ohne daß ein hartes Wort vonnöthen wäre.

„Es war also ein glücklicher Augenblick, in dem ich sie von der Waschbrücke herbeirufen ließ,“ meinte der König lächelnd.

„Ich will nicht vorschnell in Urtheil und Plänen sein,“ begann Christine von neuem, „doch möchte ich, wenn Ew. Gnaden nichts dagegen hat, dies Mädchen in verschiedenen nützlichen Dingen unterweisen lassen und mir eine brauchbare, schätzbare Hofjungfer an ihr erziehen.“

„Auf derlei Sachen versteht Ihr Frauen Euch besser, als ich,“ entgegnete der König. „Meine Einwilligung gebe ich dazu. – Hier halte ich es jedoch nicht länger aus,“ rief er aufstehend und an das Fenster tretend. „Durch diese niedrigen Scharten kann ja der liebe Gottessonnen schein nur tropfenweise hereindringen; die dumpfe Stubenluft kann Dir nimmermehr dienlich sein. Ich werde

dort unter den Kastanien ein Zelt für Dich ausspannen lassen, und dann sollen sie Dich in den warmen Sommertag hinaustragen, wo Du Deine Kinder mit den Vögeln um die Wette zwitschern hören und wie Blumen unter den Blumen spielen sehen kannst.“

Als er sich noch einmal mit fragendem Blicke nach seiner Gemahlin umwandte, nickte diese bejahend und fragte ihrerseits: „Ist es nothwendig, daß ich an der Tafel erscheine?“

„Du weißt, daß ich Dich ungern an meiner Seite vermisse,“ entgegnete der König. „Heute erwarte ich oben drein die Herren von Brandenburg und Weimar, die mit Fuchs aus dem Lager bei Itzehoe herüberkommen und mir von dem Stand der Dinge berichten sollen. Ist alles so weit gediehen, wie ich erwarte, so brechen wir übermorgen auf nach Haseldorf und gehen dort über die Elbe nach Stade zu.“

Christine Munk’s Blicke hafteten noch eine Weile freundlich an der Thür, durch welche ihr königlicher Gemahl verschwunden war, dann öffnete sie langsam das Siegel des erhaltenen Briefes, um zu sehen, was die verwittwete Königin Sophie ihr zu melden habe.

IV.

 

Obwohl wir nicht beabsichtigen auf diesem Blatte der vaterländischen Geschichte zugleich auch ein Bild des niedersächsisch-dänischen Krieges zu entwerfen, dürfen wir doch die kriegerischen Vorgänge jener Zeit nicht gänzlich unberücksichtigt lassen.

Dem Grafen Tilly waren die Truppenbewegungen in Holstein, sowie die Vorgänge in Segeberg, wo König Christian bei der Uebernahme des Kreisoberstenamtes den Besuch mehrerer Fürsten und zahlreiche Gesandtschaften empfing, kein Geheimniß geblieben. Er zog seine Truppen in Norddeutschland zusammen und überrumpelte einen wichtigen Paß an der Weser: die Stadt Höx.– ter, die unter braunschweigischen Schutzstand gehört,e. Zwar entschuldigte er diese Gewaltthat bei dem Haupte der Union damit, daß der Herzog Christian von Braunschweig und der Graf von Mansfeld in’s Clevische eingebrochen seien und sich dort, verschanzt hielten; doch konnte man sich im protestantischen Lager über die wahren Absichten des kaiserlichen Feldherrn nicht länger täuschen, zumal auch Wallenstein mit seinem Heere von Osten her im Anmarsch stand, weshalb man beschloß, der gewaffneten Neutralität mehr Leben zu geben, indem man sich dem liguistischen Heere gerüstet gegenüberstelle und seine Bewegungen in der Nähe beobachte.

Die Armee, reit welcher Christian IV. am 7. Juni bei Haseldorf über die Elbe ging, bestand aus 10,000 Reitern und 15,000 Mann Fußvolk. Außer den Herzogen Ulrich von Braunschweig und Adolph Friedrich und Johann Albrecht von Mecklenburg, welche dem Kreisobersten als „Gehülfen“ beigesellt waren, nennen wir von den Befehlshabern des Heeres: den kriegserfahrenen Philipp Fuchs, einen fränkischen Edelmann, und den Markgrafen Christian Wilhelm von Brandenburg, sammt den vom Könige ernannten Kriegscommissairen Sigward Pogwisch, Wolf v. Buchwald und Marquard Penz, welcher letzterer sich im letzten Schwedenkriege bei der Einnahme von Calmar durch persönliche Tapferkeit rühmlich ausgezeichnet hatte. Viele auserlesene, sowohl dänische, als fremde Officiere boten ihre Dienste an, und auch unter den freien Landessöhnen hatte mancher thatendürstende Jüngling sich freiwillig unter die Fahne gestellt.

Mit dieser stattlichen Heeresmacht zog Christian IV. von Stade über Hoya, Verden und Nienburg nach Stolzenau. Den ersten Grund zu Mißvergnügen fand er auf der Kokammerhaide, wo es sich bei der Musterung der niedersächsischen Truppen herausstellte, daß ihre Stärke unweit geringer sei, als sie von dem Kreise angegeben war. Nachdem er daselbst mehrere Tage gerastet, setzte er seinen Zug weiter fort bis nach Hameln, wo er die Truppen zu beiden Seiten der Weser Lager aufschlagen ließ, selbst aber mit der Hoffahne in der Stadt Quartier nahm.

In dem inneren Cabinette, dem sogenannten Geheimzimmer des Königs, fanden sich die Befehlshaber der vereinigten Truppenkörper versammelt. Der König hatte eben den englischen Gesandten entlassen, welcher ihm, im Auftrage seiner Regierung, ansehnliche Geldsummen zur Verfügung gestellt hatte, als Sold für das für englische Rechnung geworbene Kriegsvolk. So erwünscht diese Subsidien dem Kreisobersten kamen, so war er doch augenscheinlich bei schlechter Laune. Graf Tilly hatte sich nämlich über das Vorrücken der Unionsarmee beschwert, doch war es hauptsächlich die hochfahrende Ausdrucksweise des Generals, welche den König beleidigte. Als er den anwesenden Herren das Tillysche Handschreiben vorlegte, verfehlte es nicht seine Wirkung auf die Versammlung.

„Geruht Ew. Majestät mich mit Beantwortung dieses Schreibens zu beauftragen, so werde ich nicht ermangeln dem General ins Gedächtniß zu rufen, welche Sprache man gegen einen König führt“, rief Ulrich von Braunschweig.

„Ich meine, daß es gar keiner brieflichen Antwort bedarf,“ erklärte Philipp Fuchs. „Der Kaiser ist durch Se. Majestät von den Plänen der Union in Kenntniß gesetzt worden; General Tilly’s Versuch, dem Könige von Dänemark über sein Vorhaben Rechenschaft abzufordern, scheint mir dagegen nur eine Antwort mit dem Degen in der Faust zu verdienen.“

Die anwesenden Herren stimmten dieser Aeußerung bei, nur die von Mecklenburg schauten finster drein und schwiegen. Der König lächelte wohlgefällig; er hatte nämlich die Antwort an Tilly bereits fertig, und zwar ganz nach Fuchs‘ Sinne dem General erklärt, daß er ihn nicht für befugt halte, sein Thun und Lassen zu meistern. Nachdem das Schreiben laut verlesen und mit lebhaftem Beifalle begrüßt war, erhoben sich die Herzoge von Mecklenburg, die noch selbigen Tages heimreisen wollten, um sich bei dem Könige zu verabschieden. Da trat der Stallmeister des Königs ein mit der Meldung, daß eben ein braunschweigischer Landmann die Kunde gebracht habe, daß eine ansehnliche Heeresmacht von Osten her durch braunschweigisches Gebiet ziehe, um sich mit Tilly zu vereinigen, und daß Tilly einen Platz, genannt „Zum Stein“ besetzt habe und gen Hameln vorrücke.

Der König schwieg zu dieser Meldung, ging einige Male mit raschen Schritten im Zimmer auf und ab und blieb dann plötzlich vor einem mit Karten und Papieren bedeckten Tische stehen.

„Wenn wir dem Herren nicht bald ein Bein stellen, so wird er uns in unserem eigenen Lager aufsuchen,“ sprach er, die Hand schwer auf den Tisch fallen lassend. „Läßt er doch wider allen Respect seine Plänkler so dicht vor unserer Nase tanzen, als gelüste es ihn, die Schärfe unserer Schwerter zu prüfen!“

„Besser, man pfeift anderen zum Tanze, als nach anderer Pfeife zu tanzen“, sprach Wolf v. Buchwald halblaut.

„Gottes Tod! „Zum Stein“ sollen sie nicht lange rasten, da werden wir sie mit des Allmächtigen Hülfe bald vertreiben,“ fuhr der König fort.

„Ew. Majestät wolle bedenken, daß Sie durch einen Angriff auf diesen von kaiserlichen Truppen besetzten Ort aus der defensiven Stellung treten würde, die zu beobachten Ew. Majestät dem Kaiser versprochen hat“, bemerkte Johann Albrecht mit offenbarem Mißvergnügen.

„Wenn die Union als angreifende Partei die Feindseligkeiten eröffnet, ladet sie jedenfalls große Verantwortung auf sich,“ ergänzte Adolph Friedrich, der zweite Mecklenburger, bedenklich.

Der König betrachtete seine beiden Vettern mit übel verhaltenem Grimm. Eine tiefe Falte legte sich zwischen seine Brauen, und seine Augen blitzten als er mit starker Stimme rief:

„Die Feindseligkeiten haben begonnen mit dem ersten Tropfen protestantischen Blutes, der von den Kaiserlichen vergossen ward, seitdem sie gewaltsam in den Unionsländern Quartier nehmen und verwüsten, plündern und morden, wo man sich ihnen zur Wehr setzt. Die Kunst des Feldherrn besteht aber darin, bei jedem Unternehmen den rechten Augenblick zu erfassen, und den glaube ich jetzt gekommen.“

Als er bei diesen Worten seinen Blick über die Versammlung fliegen ließ, glättete sich seine Stirn, indem er die ungeduldigen Geberden seiner Getreuen bemerkte, die zusammengedrängt im Fenster standen und den Verhandlungen mit gemischten Empfindungen beigewohnt hatten.

„Die Wahl eines Befehlshabers für das abzusendende Corps würde mir schwer werden“, fuhr der König fort, indem sein Auge gnädig auf Penz und Pogwisch ruhte, „hätte nicht Wolf v. Buchwald, der mir am Musterungstage auf der Kokammerhaide einen nicht unwichtigen Dienst leistete und sich dafür eine Gnade von mir aus bitten sollte, mich um die Gunst ersucht die ersten Truppen wider den Feind führen zu dürfen. Ich löse also mein königliches Versprechen, wenn ich jetzt Dich, Wolf, beauftrage, mit drei Compagnien Fußvolk und zwei Fähn lein Reiterei gegen den Stein vorzurücken. Du sollst Dich bereit halten binnen einer Stunde weitere Ordres zu empfangen.“

Wolf v. Buchwald strahlte vor innerer Freude. „Wenn Gott mir beisteht werde ich Ew. Majestät beweisen, daß ich dieser Gnade werth war,“ sprach er, sich tief vor dem Könige verbeugend, und verließ dann, die übrigen Herren grüßend, das Gemach.

„Für Euch anderen bleibt noch Arbeit genug“, nickte König Christian den schweigsamen Rittern zu, und, sich an seine Vettern wendend: „Jetzt muß ich auch Ew Lieb den glückliche Reise wünschen, weil ich noch mehre Cou riere heute nach Norden zu expediren habe“.

Die Herren von Mecklenburg erhoben sich, grüßten den König, der ihnen treuherzig die Hand schüttelte, mit höfischer Steifheit und schritten der Thür zu, gefolgt vom General Fuchs und den Kriegscommissairen, in deren Blicken Christian IV. las, daß sie seinem Beschlusse ein müthig Beifall schenkten.

Als Penz und Pogwisch miteinander die Treppe hinabstiegen, sahen sie unten in der Halle einen kleinen Buben, bekleidet mit Helm und Küraß von versilberter Pappe und mit einem hölzernen Stoßdegen in der kleinen Faust, mit langen Schritten auf den Hof hinauslaufen.

„Wohin so eilig, Herr Waldemar?“ rief Pogwisch lachend, indem er den Kleinen einholte und am Weitergehen hinderte.

„Wolf sagt, es geht los, und der König hat mir versprochen, daß ich mit soll, wenn es losgeht, und nun muß laufen, daß ich Wolf einhole, ehe er davonreitet,“ rief der Knabe mit glühenden Wangen und bemüht sich von Sigward’s kräftigen Armen freizumachen.

Die Herren, welche dachten, daß der Kleine ohne Erlaubniß reißaus nehme, und ihn deshalb seiner Aufseherin, der alten Dorthe, wieder ausliefern wollten, hatten ihre Freude an dem Knaben, der sich nicht übel zur Wehr setzte und sich wacker durchzuschlagen bemühte, als sie zufällig an einem offenen Fenster des oberen Stockes Frau Christine Munk erblickten, die dem Gebaren ihres vierjährigen Söhnleins lachend zusah. Die Herren grüßten ehrerbietig hinauf und als sie in der Ferne eine Wärterin gewahrten, gaben sie den jungen Helden frei und setzten ihren Weg fort.

„Der Kleine beschämt die Herren von Mecklenburg“, sagte Marquard Penz ingrimmig. „An ihrer zaghaften Unentschlossenheit wird alles scheitern.“

„Sage, an ihrem Eigennutze, an ihrem Neid, an ihrer Uneinigkeit,“ fügte Pogwisch hinzu.

„Der Schwedenkönig hatte Recht, als er seinen Beistand unter der Bedingung zusagte, daß er vor allem freie Hand haben wolle und daß keiner der verbündeten Fürsten gegen sein Wissen und seine Einwilligung mit den Liguisten unterhandle,“ fuhr Penz fort. „Gedenke meiner Worte Sigward, Christian IV. wird Kummer und Undank ernten mit seinem großmüthigen Dazwischentreten. Ich habe bereits manches vernommen, was mir nicht gefällt; ’ne Schande ist es, daß von Tilly besoldete Officiere in unseren Reihen stehen!“

„Die sind nicht so stark, wie der Ast, an dem sie über kurz oder lang baumeln werden,“ entgegnete Pogwisch. „Tilly’s Armee leidet an demselben Schaden: sowohl Officiere, als Gemeine empfangen von uns ihren Sold für geschickte Mittheilungen. Ich weiß dies aus des Königs eigenem Munde.“

„Mag sein,“ brummte Penz. Aber schimpflich ist die Haltung dieser Duodezfürsten. Das Beispiel des Lüneburgers wird mehre nachziehen, und Johann Albrecht von Mecklenburg macht seit seiner zweiten Heirath ein so reformirtes Gesicht, daß er bei der ersten Verwüstung, die sein Land von Seiten der Kaiserlichen trifft, sogleich zu ihrer Fahne schwören wird.“

„Nun, er würde das Schiff nicht retten, wenn er im Sinken wäre,“ lachte Penz. „Ich bin härter im Gedränge gewesen, als wir es jetzt in düsterer Vorahnung sehen, und habe mich dennoch durchgeschlagen. So lange der Arm sehnig und stark und das Herz auf dem rechten Flecke ist, so lange hat es keine Noth, mein Freund. Du hast den König noch nicht im Gefechte gesehen. Er schlägt sich wie ein Kerl und hält, wo die Kugeln am lustigsten pfeifen, seine Haut nicht werthvoller, als die des gemeinen Soldaten. Es ist eine Lust an seiner Seite zu kämpfen. – Doch, wohin gehen wir eigentlich?“

„Ich wollte zu Wolf und ihm, wenn er ausrückt, das Geleite geben,“ erklärte Pogwisch.

 „Topp, ich bin dabei“, entgegnete Penz, „doch muß ich erst in mein Quartier. Ein munterer Ritt wird uns die Mecklenburger Grillen wohl verscheuchen.

V.

 

Die königliche Familie war dem Heere in kurzen Tagereisen auf dem Fuße gefolgt. Der Aufenthalt in der freien, warmen Sommerluft hatte Frau Christine Munk wunderbar gestärkt und ihre anmuthige Schönheit wieder in holder Frische aufblühen lassen. Sie hatte ihren Haushalt auf den Feldfuß gestellt und deshalb ein geringes Gefolge von dienendem Personal. Wiebeke Kruse stieg mit jedem Tage höher in ihrer Gunst. Das Mädchen hatte sich wunderbar rasch in die neuen Verhältnisse zu schicken gewußt. Ihre kräftigen Glieder, ihr practischer Verstand, ihr entschlossener froher Sinn hatten sie sowohl für ihre Gebieterin, als für die königlichen Kinder zu einer unschätzbaren, unentbehrlichen Reisegefährtin gemacht, so daß die offenen Gunstbezeugungen, die dem jungen Mädchen zu Theil wurden, nicht verfehlten, die Eifersucht der alten Dorthe zu erregen. Frau Christine, welcher dies nicht entgangen war, hatte bei ihrer Ankunft im Hauptquartiere Hameln dem Ausbruch der üblen Laune ihrer alten Wärterin dadurch vorzubeugen versucht, daß sie bis zur Ankunft der neuen Hofmeisterin die Kinder undderen Magd unter ihre Aufsicht stellte, wodurch es ihr möglich ward, Wiebeke ganz für ihren Dienst zu verwenden. Was sie eigentlich aus dieser machen wollte, etwa ein Mittelding zwischen Staatsjungfer und Kammerzofe, war ihr selbst nicht klar. Eigentlichen Zofendienst konnte Wiebeke schon deshalb nicht verrichten, weil ihr die Geschicklichkeit dazu fehlte. Frau Christine ließ sie daher einstweilen in verschiedenen weiblichen Fertigkeiten unterrichten und behielt sie meistens in ihrer unmittelbaren Nähe, damit sie in ihrem äußeren Wesen den Schliff der vornehmen Welt sich anzueignen Gelegenheit habe. Diesem Treiben der vornehmen Frau lag mehr als bloße Caprice zu Grunde, nämlich der Wunsch, bei ihrer einstigen Rückkehr nach Dänemark eine treufeste nur ihr anhängende Person zur Seite zu haben, welche den Bestechungen und Ohrenbläsereien von gewisser Seite unzugänglich sei. Wiebeke selbst bekümmerte sich wenig um die Art ihrer Verwendung; sie half, wo sie Hülfe nöthig fand und wo sie helfen konnte. Wenn sie ihre Gebieterin zu den Festen schmücken durfte, welche während der langen Reise hier und dort die Edlen des Landes um die vornehme Frau versammelten, da hatte sie an den kostbaren Geschmeiden und den mit Perlen und blitzenden Steinen gestickten Prachtgewändern eine kindische Freude, und ihre Herrin erschien ihr so blendend schön wie eine Himmelskönigin. Wenn sie durch die Menge der prächtig geschmückten Frauen und stattlichen Ritter in den goldgestickten, eng anliegenden Sammetkleidern, den kurzen spanischen Mänteln und den mit wallenden Federn geschmückten Hüten einherging, da glaubte sie oft in der Zauberwelt der Märchen zu wandeln; aber sie fühlte sich nicht fremd in dieser Welt und wäre ohne Scheu am Arme eines dieser vornehmen Herren in die bunten Reihen getreten. Der plötzliche Uebergang aus der patriarchalisch idyllischen Heimath in die Hofsphäre ließ sie die Kluft, welche diese beiden Puncte der menschlichen Gesellschaft trennt, nicht erkennen. Wäre sie stufenweise zu der Höhe emporgestiegen, würde ihre tactfeste Sicherheit vielleicht einer befangenen, linkischen Schüchternheit gewichen sein. Die Vergangenheit erschien ihr wie ein Traum. Oft trat das Bild des Vaters vor ihre Seele und mahnte sie, die Lehren, die er ihr mit auf den Weg gegeben hatte, eingedenk zu sein. Wenn sie der Unterredung gedachte, welche er, der schlichte Mann, mit dem Könige um ihretwillen gehabt, bevor er sie ziehen ließ, da fühlte sie, wie die Wange heiß und das Auge feucht wurde. Könnte er mich nur einmal hier sehen, dann würde er schon zufrieden sein, sprach sie dann bei sich, ich habe ja Gott vor Augen und im Herzen und suche in allen Stücken brav zu sein und zu bleiben! Mit diesen und ähnlichen Gedanken beruhigte sie sich und gab sie den bestrickenden Eindrücken der wechselnden Gegenwart arglos hin.

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Es war am 20. Juli, als der König Nachmittags an Frau Christine’s Arm in dem hinter seiner Wohnung belegenen Garten lustwandelte und den Spielen der Kinder zusah, welche mit den Schmetterlingen, nach denen sie haschten, von Blume zu Blume eilten, wobei der kleine Waldemar nicht selten über die eigenen Füße fiel. Nur die sechsjährige Eleonore Christine betheiligte sich nicht an der Jagd. Sie stand abwärts vor einem Rosenstrauche und bemühte sich vergeblich eine aufgeblühte rothe Rose zubrechen. Das zarte Händchen bebte mehrmals vor den scharfen Dornen zurück, aber sie hob sich auf die äußersten Fußspitzen und streckte die Arme so hoch sie konnte, bis es ihr nach manchem mißlungenen Versuche gelang, die Rose zu pflücken. Die Eltern hatten ihrem Treiben lächelnd zugesehen; sie hatten bemerkt, wie der herabgebogene Zweig, als die Blume sich plötzlich von ihm trennte, heftig zurückschnellend, den kleinen Finger streifte, aus dem ein purpurrother Tropfen hervorquoll. Mit heißen Wangen kam die Kleine herbeigesprungen und legte, den verwundeten Finger bergend, die Rose in des Königs Hand.

„Warum gabst Du Dir so viele Mühe die schöne Blume zu pflücken? Du hast mir ja schon eine gebracht,“ sagte der König.

„Du gabst sie der Mama; diese sollst Du selbst behalten,“ erwiderte das Kind.

Der König hob sein Töchterchen empor, ergriff die widerstrebende Hand und küßte das blutende Fingerchen. „Schmerzt es?“ fragte er, die Kleine gerührt an sich drückend. Eleonore schüttelte lächelnd das blonde Köpfchen und legte darauf die Arme liebkosend um den Hals des Königs.

Armer Vater! Wenn ein Blick in die Zukunft ihm damals offenbart hätte, wie dieser Lieblingstochter dereinst als Ulfeldt’s unglücklicher Gattin das Herz verbluten würde, wie seine nächsten Nachkommen dies zarte, liebliche Geschöpf maßlosem Jammer Preis geben und diese strahlenden Augensterne einst thränenversiegt in den Höhlen brennen würden!

Aus einem Seitengange der Buchsbaumhecken kam der General Fuchs gegangen, der beim Anblicke der königlichen Familie ehrerbietig stehen blieb. Der König winkte ihm, näher zu treten.

„Was giebt’s, General?“ rief er huldreich. „Der Wolf wird sich, nachdem er die Schafe vertrieben, doch nicht von dem Hunde haben beißen lassen?“

„Davon ist mir zur Stunde nichts bekannt, Majestät“, antwortete der General, „und hoffe ich, daß die roth-weiße Fahne auf den Mauern Zum Stein festes Posto gefaßt hat. Ich komme nur, um Ew. Majestät zu bitten, falls Hochdieselbe heute noch einen Spazierritt machen sollte, den Weg nach dem Norderthore einzuschlagen, wo die aufgeworfene Erdmasse die Ringmauer geborsten hat. Man hat den Wall aufgegraben, um die Mauer, die aus der Linie geschoben wurde, wieder schnurrecht aufzumauern, doch scheint mir die Arbeit nicht rasch genug von Statten zu gehen. Ich darf dies zwar in Gegenwart des Generallieutenants nicht aussprechen, allein ich hoffe, daß Ew. Majestät meine Ansicht billigen und in Höchsteigener Person die Beschleunigung der Arbeit verlangen werde.“

Der König lächelte. Es war nicht das erste Mal, daß Johann Philip die Anordnungen des Markgrafen von Brandenburg nicht gutheißen konnte und, um daraus erwachsenden Schaden zu verhüten, an die Vermittelung des practischen, sachkundigen Königs appellirte.

„Du sollst uns auf diesem Spazierritt begleiten“, antwortete der König, „und wollen wir uns jetzt von Frau Kirstin beurlauben, bis wir uns heute Abend wieder zusammenfinden.“

„Ihr hört, General, daß in diesen Worten eine Einladung liegt, Euch heute Abend wieder von Sr. Majestät im Brettspiele schlagen zu lassen,“ scherzte Frau Christine, als die Herren sich verabschiedeten und sie mit den Kindern im Garten zurückließen.

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Zwei bis drei Stunden waren seit des Königs Entfernung verflossen, die Kinder waren zur Ruhe gebracht und Frau Kirstin saß einsam im Garten, den träumerischen Blick gen Himmel gerichtet, wo leichte Wölkchen, von den Strahlen der untergehenden Sonne mit Rosentinten gefärbt, ruhig durch den klaren Aether schifften. Sie war kaum dem Kindesalter entwachsen, als sie sich dem Könige von Dänemark vermählte, dem sie mit kindlicher Verehrung anhing, und so lau und leidenschaftlos, wie ihr Gefühl für den Gemahl, war auch die Liebe zu ihren Kindern. Ihr Leben glich einem einzigen linden Sommertage, kein Sturm, kein Unwetter hatte ihre Kraft erprobt und gestählt. Die einzigen vorüberziehenden Wolken an ihrem Himmel waren zeitweilige Mißhelligkeiten zwischen ihrem, Gemahle und ihrer Mutter. Frau Ellen Marsvin war eine energische, kluge Frau, die ihre ansehnlichen Güter selbst verwaltete und oftmals mit ihrem königlichen Schwiegersohne in Geldgeschäften stand, bei deren Abwicklung sich allzu leicht kleine Differenzen aufwarfen, die Frau Ellen dann mit der vollen Heftigkeit ihres Charakters auszugleichen suchte. Christine nahm sich diese kleinen Zerwürfnisse indessen nicht sehr zu Herzen, sie faßte das Leben von der sorgenfreien Seite, in der es sich ihr bot. Zufrieden an der Seite eines Gemahls, der sie mit allen Gaben, die das Herz erfreuen, überschüttete, gab sie sich mit dem Frohsinn der Jugend den Festen hin, bei welchen sie als Königin erschien, und sog begierig den Weihrauch ein, der ihrer Schönheit und ihrem Range von allen Seiten gespendet ward. Vielleicht gedachte sie auch jetzt der Huldigungen, welche ihr neuerdings von deutschen Fürsten und Rittern gezollt waren, denn ein feines, fast schelmisches Lächeln schwebte auf ihren Lippen, als sie durch die Stimme der herbeieilenden Wiebeke aus ihren Träumereien aufgeschreckt ward.

„Es muß etwas Großes geschehen sein,“ rief diese athemlos. Es ist ein Rennen, eine Verwirrung im Hofe, die nichts Gutes bedeutet, und eben kommt der General Fuchs durchs Thor gesprengt, als sei er mit Noth dem nachsetzenden Feinde entronnen“.

Frau Christine hatte den Sinn dieser Worte noch kaum erfaßt, als schon der General über den Rasen daherkam.

„Ew. Gnaden wolle nicht zu sehr erschrecken, wenn ich mich zu der Mittheilung genöthigt sehe, daß Se. Majestät von einem Unfalle betroffen worden, der mit Gottes Hülfe keine üblen Folgen haben wird,“ sprach General Fuchs, seine Aufregung vergeblich bekämpfend. „Der König ist mit dem Pferde gestürzt, doch unversehrt geblieben, obgleich er die Besinnung verlor.“

„Wo ist er?“ stammelte Christine, bleich vor Schrecken und den Arm des Generals fassend, als wolle sie von ihm zu dem Könige hingeführt werden: „Erzählt wie es geschah! Sprecht!“ befahl sie mit ungewohnter Heftigkeit.

„Als Se. Majestät, von Wenzel und mir begleitet, fortritt, nahmen wir den Weg durch die Stadt, wo der König in allen Straßen mit lebhaften Acclamationen begrüßt ward. Außerhalb des Thores wurden wir durch die Besichtigung neu angelegter Erdarbeiten aufgehalten, bis wir den Wall hinanritten und uns der schadhaften Stelle in der Mauer langsam näherten. Man hatte den über 20 Fuß hohen Wall abgegraben und, um die Passage nicht zu hemmen, die Lücke mit starken Bohlen belegt, über welche ich heute Vormittag schon mehrmals hingeritten war. Auch der Markgraf, welcher uns vorauf ritt, passirte eben die Stelle. Er schien den mehrfach wiederholten Zuruf des Königs nicht zu hören, weshalb Se. Majestät das Pferd antrieb um den Grafen einzuholen. Sowie aber das Thier das donnerähnliche Getöse vernahm, welches es selbst mit seinen Hufen auf den hohl liegenden Bohlen verursachte, scheute es, bäumte sich, so daß durch das Stampfen und Getrampel die Balken sich verschoben und eine Oeffnung entstehen ließen, durch die Roß und Reiter hinabstürzten. Das Pferd war todt, der König durch wun derbare, gnädige Fügung des Himmels unbeschädigt, aber besinnungslos. Ich eilte, Se. Majestät unter Wenzel’s treu er Obhut zurücklassend, voraus, um Ew. Gnaden von dem Ereignisse in Kenntniß zu setzen, bevor man den König hierher bringt.“

Während der General den Vorgang erzählte, hatte e Frau Kirstin, die sich nur mit Mühe aufrecht zu halten vermochte und sich deshalb auf seinen Arm stützte, durch den Garten ins Haus geführt. Er wünschte sie vor der An kunft des traurigen Convoi in ihre Gemächer zu bringen als man mit der Bahre, auf welcher der scheinbar todte König ruhte, durch das Thor schritt.

Christine Munk riß sich los von ihrem Begleiter und stürzte an der Bahre, die man bei ihrem Anblicke wie auf Commando niedersetzte, auf die Knie. Heiße Thrä nen flossen auf das bleiche Gesicht das mit geschlossenen Lidern dem Tode anheimgefallen schien.

„Tragt ihn hinauf in mein eigen Schlafgemach!“ befahl sie, als der Markgraf sanft die Hand auf ihre Schulte legte und sie bat, den Kranken weiterbringen zu lassen.

Wiebeke Kruse, welche diesen Befehl hörte, eilte vor aus und bereitete das Lager, auf das man den leblosen König bettete, worauf die Aerzte aufs neue Wiederbe lebungsversuche vorzunehmen begannen.

In der Stadt, wie im Lager herrschte die größte Bestürzung. Man fürchtete allgemein, daß der Feind, der dies Unglück bald genug erfahren mußte, dasselbe zu einem Ueberfalle benutzen werde, wobei die persönliche Sicherheit des Königs leicht gefährdet werden konnte.

Kaum waren die Oberbefehlshaber des Heeres in dem Zelte des Generallieutenants zusammengetreten, um über die zu ergreifenden Maßregeln zu berathen, als, wie durch ein unseliges Verhängniß herbeigeführt, ein von Tilly gesandter Trompeter im Lager erschien, mit einem Sohreiben des Generals, in welchem dieser das frühere Begehren, die Kriegsrüstungen einzustellen, wiederholte, dahingegen versicherte, daß er bisher nur nach dem Willen des Kaisers gehandelt habe und nichts wider den Religions- und Landesfrieden zu unternehmen gesonnen sei. In der herrschenden Verwirrung war es nicht möglich, dem Trompeter die verlangte Antwort zu geben. Man begnügte sich, denselben bei Tagesanbruch mit einem Geldgeschenke und mit einem von dem Generallieutenant unterzeichneten Scheine zu entlassen, welcher besagte, daß er das ihm anvertraute Schreiben in die rechten Hände abgeliefert habe. – Mit dem interimistischen Oberbefehl betraute man den Markgrafen von Brandenburg, und wiewohl die Officiere es nicht auszusprechen wagten, waren sie doch sämmtlich froh, daß die Mecklenburger Herren, welche, als dem Kreisobersten beigeordnet, einen höheren Rang bekleideten und deshalb nicht hätten übergangen werden dürfen, am Vormittage gleich nach der oben beschriebenen Sitzung beim Könige abgereist waren.

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Dreimal hatte die Sonne die Nebel der kurzen Sommernacht verscheucht und neue Hoffnung in den bekümmerten Herzen geweckt, ohne daß in dem Zustande des Königs eine Veränderung eingetreten wäre. Seine Augen waren geschlossen, ein schwacher Athem hob die Brust und kein Zeichen verrieth, daß er höre, was um ihn vorging. Frau Kirstin hatte das Lager ihres Gemahls keinen Augenblick verlassen und auch Wiebeke hatte treu mit ihrer Gebieterin gewacht und nebenher für deren Pflege liebevoll gesorgt. In dem Nebenzimmer lösten sich die Aerzte und Hofherren im Dienste ab, und alles flüsterte und trat so leise auf, als hielte man Wache bei einem Todten.

Als Wiebeke am dritten Morgen im Auftrage Frau Christine’s hinunter in den Garten ging und aus der Halle in den Hof trat, hörte sie neben sich den Schrei einer Eule. Wohl wissend, daß dies Thier sich nicht bei lichtem Sonnenschein hören lasse, schaute sie verwundert um sich, als ihr Auge zufällig auf die am Thore postirte Schildwache fiel, einen jungen Burschen mit gelbem Zigeunergesichte, über das eben ein schlaues Lächeln glitt. So wenig furchtsam sie im Grunde war, so beschleunigte sie doch ihre Schritte und sah weder rechts noch links, als sie über den thaufeuchten Rasen nach dem Erdwalle schritt, wo sie eine Erfrischung für ihre Herrin zu finden hoffte. Das mitgebrachte Körbchen war bald gefüllt, und sie erhob sich, um rasch ins Haus zurückzukehren, als sie durch das Hollundergebüsch ein schwarzes Augenpaar gewahrte und gleich darauf ein fremdes Weib, welches ihr den Weg vertrat. Sie erkannte dieselbe Zigeunerin, die ihr schon einmal begegnet war, obschon die Jahre sie gealtert hatten.

„Daß Du hier seiest, wußte ich lange,“ begann die Fremde und ihre Stimme klang so sanft und voll, wie das erste Mal. „Ich habe Dich auf der Reise und hier mehrmals gesehen und sah auch, daß es Dir gut ging. Seit Mittwoch warte ich hier auf eine Gelegenheit, Dich zu sprechen, weil Du dem Könige einen Dienst leisten sollst. Ich bin zwar keine Freundin der gekrönten Herren, aber der Dänenkönig ist ein ganzer Mann und ein freundlicher, menschenliebender obendrein. Ich bin ihm gut, weil er einmal, als er in Norwegen reiste, meinen Vater von einer schimpflichen Strafe errettet hat. Hier hast Du ein Päckchen Kräuter und zwei Steine, deren innere Seiten mit fremdartigen Buchstaben bezeichnet sind. Zwischen diesen Steinen sollst Du Blätter und Stengel quetschen und sie mit ihrem Safte auf die Pulsadern am Handgelenke und auf die Magengrube des Kranken legen; die Steine aber schiebst Du ihm unter den Nacken. Das wird besseren Erfolg haben, als die nichtsnutzen Mittel der studirten Herren.“

„Werden sie aber dulden, daß ich nach Eurer Anweisung handle?“ fragte Wiebeke zaghaft.

„Bah, am Mittwoch würden sie Dich vielleicht fortgejagt haben, aber nachdem sie drei Tage lang vergeblich ihre Köpfe in die Weiche gelegt, werden sie schon fügsamer sein,“ lachte die Fremde. Nach einer kurzen Pause ergriff sie Wiebeke’s Hand und sprach, sie mit fast mütterlichem Wohlgefallen betrachtend:

„Gelt, daß wir uns hier wiedersehen würden, dachten wir nicht. Aber dies ist nur der erste Schritt, und bevor Deine Lebenssonne aufgeht, muß erst ein Unwetter über Dich einbrechen. Die Linien in Deiner Hand liegen so klar, daß kein Irrthum möglich ist. Aber Kind, beherzige meinen Rath: Rede immer die Wahrheit; biete nie die Hand zu unredlichem Thun und sei treu, wo Du Treue schuldig bist. Wiederhole diese Worte, damit ich höre, daß Du sie verstanden.“

So sehr die Fremde ihr imponirte, gehorchte Wiebeke diesem Befehle doch widerstrebend und warf stolz den Kopf zurück, als sie sprach:

„Ich rede immer die Wahrheit; ich biete niemals die Hand zu unrechtem Thun und bin treu, wo ich Treue schuldig bin.“

Die Fremde lächelte und wollte eben noch einmal prüfend in die Hand des jungen Mädchen blicken, als sich wiederum der Eulenschrei hören ließ, und ehe Wiebeke sich dessen versah, war sie verschwunden.

Nicht ohne Verlegenheit begab sich Wiebeke in das Krankenzimmer und erzählte ihrer Gebieterin, was ihr begegnet sei, wobei sie jedoch verschwieg, daß sie das Zigeunerweib schon früher gesehen habe.

Frau Christine wagte nicht, das geheimnißvolle Heilmittel anzuwenden, weil sie in der Fremden ein Werkzeug des Feindes sah und die Kräuter für giftig hielt. Als aber der mit den Aerzten anwesende Pharmaceut betheuerte, daß es durchaus unschädliche Pflanzen seien, und zum Beweise dafür selbst ein Blättchen davon verschluckte, da erlaubte sie, daß man dieselben nach Wiebeke’s Anweisung anwende.

Sei es nun, daß die von den Aerzten angewandten Mittel erst jetzt zur Wirkung kamen, daß die kräftige Natur von selbst zu neuem Leben erwachte oder daß wirklich der frische, kühlende Kräuterumschlag wohltätig wirkte, – wahr ist, daß nach einem Viertelstündchen die Lippen des Königs sich färbten, die Finger sich bewegten und daß er endlich das Auge aufschlug und durch Zeichen zu verstehen gab, daß er höre, was man spreche.

Die Freude, der Jubel in den Räumen, wo eben noch die Sorge mit bleischwerer Hand die Herzen gedrückt hatte, läßt sich nicht beschreiben. Ehe noch der Markgraf mit den übrigen Herren auf die frohe Kur de herbeigeeilt war, hatte der König die Sprache wiedergewonnen, und die Aerzte erklärten die Lebensgefahr für gewichen, obwohl bei der großen Mattigkeit des hohen Kranken die äußerste Ruhe und Vorsicht nothwendig seien.

Man hatte auf diese Crisis in dem Zustande des Königs gewartet, um Tilly den nöthigen Bescheid zu senden. Sigward Pogwisch und Marquard Penz ritten deshalb unverzüglich ins feindliche Lager, um die verspätete Antwort mit der Bestürzung über den Unfall des Königs zu entschuldigen. Sie erklärten, daß der König von Dänemark und der niedersächsische Kreis keineswegs zu den Waffen gegriffen hätten, um Krieg zu führen, sondern lediglich um sich vor ferneren Drangsalen, wie die bereits erlittenen, zu schützen und den Religions- und Landesfrieden zu schirmen. Sie erboten sich im Namen des Königs die Vorschläge anzunehmen, welche Tilly zur Befreiung und zur Sicherheit des Kreises stellen werde, und dasselbe Anerbieten ward im Namen des niedersächsischen Kreises in einem Schreiben wiederholt, welches der Markgraf als fungirender Kreisoberst den beiden Rittern mitgegeben hatte.

Graf Tilly empfing die Herren mit ausgezeichneter Artigkeit. Er drückte unverhohlen seine Bewunderung für den König von Dänemark aus, dessen vorzügliche Eigenschaften er nicht genug rühmen konnte, und erkundigte sich mit vieler Theilnahme nach den näheren Umständen des traurigen Ereignisses. Als man aber danach die obwaltende Frage berührte, spannte er andere Saiten auf und behauptete nochmals, seinerseits nur nach kaiserlichem Befehle gehandelt zu haben, wohingegen die Kriegsrüstungen des niedersächsischen Kreises dem Reichsgesetze und dem schuldigen Gehorsam gegen den Kaiser zuwiderliefen, weshalb er keinen Fußbreit weiche, bevor nicht der Kreis seine Truppen beurlaube, andernfalls aber das Glück der Waffen entscheiden lassen wolle. Mit noch schärferen Ausdrücken beantwortete der kaiserliche Obergeneral das Schreiben der Kreisstände, indem er ihr Verfahren so strafwürdig nannte, daß er sie lediglich der Gnade des Kaisers überantworten könne.

Als die beiden Ritter mit diesem Bescheid ins Hauptquartier zurückkamen, fanden sie dort den Herzog Ulrich von Braunschweig, welcher auf die Nachricht von dem Unglücksfalle gleich nach Hameln geeilt war, um sich in eigener Person nach dem Zustande des Königs zu erkundigen. Mit der Antwort an Tilly erklärte er sich einverstanden, doch hielt er es für nothwendig, durch eine Retirade die Person des Königs, wie auch das Heer sicherer zu stellen, als sie es bei obwaltenden Umständen und mit Bezug auf Tilly’s Antwort hinfort in Hameln waren. Es wurden daher in aller Stille schleunige Vorbereitungen zur Abreise getroffen, und schon am 25. Juli ward der noch bettlägerige König mit aller ersinnlichen Behutsamkeit und Vorsicht spät Abends von Hameln nach Rinteln gebracht.

Bevor man Hameln verließ, ja gleich nachdem der König wieder zum Leben erwacht war, hatte Frau Kirstin Boten ausgesandt, um die Spur der Zigeunerin aufzufinden; allein niemand wollte eine solche gesehen haben, und auch die Schildwache, welche Wiebeke so verdächtig vorgekommen war, schien verschwunden, und niemand konnte Auskunft über den braunen Burschen geben, der offenbar mit der Fremden im Einverständniß gestanden hatte.

Von Rinteln ward der König über Petershagen und Hoya nach Verden geführt, welchen letztgenannten Ort er am 28. Juli erreichte, und erst, nachdem er diese Reise ohne schädliche Folgen überstanden, erklärten die Aerzte, für seine Wiedergenesung bürgen zu können. Nicht wenig trug zu derselben die unerwartete Ankunft des Kronprinzen bei, welcher, nachdem er die Unglückspost aus Hameln durch einen Courier empfangen hatte, noch in derselben Stunde von Kopenhagen abgereist war. Der König fand sich durch dies Liebeszeichen seines Sohnes so angenehm überrascht, daß er sich von Stunde an sichtlich erholte und schon am 7. August zuerst wieder selbst die Losung ausgab. Als er sich den Soldaten zeigte, ward er, besonders von seinen Landestruppen, mit so maßlosem Jubel empfangen, daß ihm helle Thränen in die Augen traten.

Auch in seiner Familie herrschte wieder die Freude, die nur bei Frau Christine dadurch getrübt ward, daß ihre Mutter wiederum die Ungnade des Königs auf sich gezogen hatte, und zwar in so ernster Weise, daß sie keine andere Hülfe zur Beseitigung des Zwistes sah, als daß sie selbst persönlich mit Frau Ellen unterhandle. Als sie deshalb schüchtern dem Könige die Bitte vortrug, den Kronprinzen nach Kopenhagen begleiten zu dürfen, sah dieser in ihrem Begehren nur eine verhehlte Sehnsucht nach den in Kopenhagen zurückgebliebenen jüngsten Kindern und willigte gerührt ein, daß sie die Hinreise im Schutze des Prinzen Christian mache und in Begleitung der neuen Hofmeisterin zurückkomme.

Diese Reise ward am 25. August angetreten. Da Wiebeke der dänischen Sprache unkundig war, begleitete die alte Dorthe ihre Herrin wieder als Kammerfrau, während Elsabe v. Dieden, eine Deutsche von Adel, den königlichen Kindern als Ehrenfräulein beigesellt ward, mit welcher Wiebeke die Aufsicht über Kinder und Wärterinnen theilte.

VI.

Der König hatte schon während der Anwesenheit des Kronprinzen den Oberbefehl wieder in seine Hände genommen, weil Tilly aus dem Rückzuge der Unionsarmee möglichst großen Vortheil zu ziehen suchte. Letzterer hatte sofort Hameln und Minden besetzt und das befestigte Stolzenau genommen und belagerte darauf Nienburg, wo die dänische Besatzung sich tapfer hielt, bis ihr von dem Herzoge von Weimar Verstärkung zugeführt wurde. Christian IV. war zunächst darauf bedacht, Tilly aus dieser Position zu vertreiben. Er ließ Hoya nehmen, entsetzte Nienburg und machte einen Versuch Stolzenau zu überrumpeln, welches jedoch erst im Spätherbst wieder in die Hände der Dänen fiel. Obwohl der könig diese Unternehmungen gern in eigener Person ausführte, sah man ihn doch oft im Hauptquartiere, wo ihm Gesandtschaften der niedersächsischen Höfe und der englischen, französischen und holländischen Regierung aufwarteten.

Wenn er in Verden erschien, war sein erster Weg in die Kinderstube, wo er meistens unerwartet eintrat und sich von allen Einzelheiten in Betreff der Pflege der Kleinen Rechenschaft geben ließ. Von diesen Kindern war Anna Catharina – welche schon in zarter Jugendblüthe, und zwar aus Gram über den Tod ihres Verlobten Franz Rantzow starb – damals 8 Jahre alt. Sophia Elisabeth, die sich später mit einem Penz vermählte, zählte 7, und Eleonore, die nachmalige Gemahlin Ulfeldt’s, 5 Jahre.

Die Kleinen hatten sich über die Abreise der Mutter bald getröstet. Elsabe v. Dieden war gut und nachsichtig mit ihnen und Wiebeke zeigte nie das grämliche Gesicht, welches sie bei der alten Dorthe so sehr fürchteten. Sie hatten die Bauerntochter herzlich lieb, weil sie immer neue Kurzweil zu ersinnen wußte und niemals ermüdete für ihre Unterhaltung zu sorgen. Bald flocht sie ihnen Körbe aus Binsen und Weidenzweigen, die mit Obst oder Backwerk gefüllt wurden, bald wußte sie aus geschälten Binsen zierliche, weiße Kronen zu biegen, die sogar Elsabe v. Dieden als Zimmerschmuck werth hielt, oder sie schnitt Peitschen und Weidenpfeifen für den kleinen Waldemar. Den größten Reiz für die Kinder hatten jedoch die vielen schönen Geschichten, die Wiebeke zu erzählen wußte und die zu hören sie niemals müde wurden.

Am 20. Septbr. kam König Christian von Nienburg zurück, wo die Befreiung der Stadt mit einem Te deum gefeiert worden war. Er beabsichtigte das Hauptquartier dahin zu verlegen, und kam nach Verden, um die Uebersiedelung ins Werk zu setzen.

Als er seiner Gewohnheit nach die Schritte nach der Kinderstube lenkte, vernahm er drinnen lauten Wortwechsel, worin er besonders Anna Catharina’s klangvolle Stimme unterschied.

„Ich lasse mir von niemandem etwas verbieten, als von meiner Mutter“, rief sie heftig, „und Mutter hat gesagt, daß Ihr an mir ein Beispiel nehmen sollt.“

„Dann darfst Du aber auch nicht thun, was Mama verboten hat. Du weißt recht gut, daß wir nach dem Abendbrod nicht mehr hinausgehen dürfen“, wandte Sophia Elisabeth ein.

„Du darfst mich aber nicht hofmeistern! Wiebeke sage Du ihr doch einmal, daß sich das nicht schickt und daß die jüngeren Geschwister sich nach den älteren richten sollen“.

Der König war lauschend an der Thür stehen geblieben, neugierig, wie die Magd den Streit zwischen seinen Töchtern schlichten werde.

„Gewiß sollen die jüngeren Geschwister sich nach den älteren richten, aber dann müssen diese auch stets der Wünsche und Befehle der Eltern eingedenk sein,“ sprach Wiebeke freundlich. „Aber warum wolltet Ihr denn jetzt hinunter in den Garten? Es ist naß im Grase und der Wind weht kalt. Wir können uns hier viel besser vergnügen, bis Jungfer Elsabe heimkommt. Ich weiß eine ganz neue Geschichte; soll ich sie erzählen?“

„Ja, ja!“ riefen einstimmig die Kleinen und umringten die Jungfer so stürmisch, daß sie den Eintritt des Königs nicht bemerkten, bis dieser rief: „Was treiben denn die Kinder und lärmen, wie in einer Bauernschenke?“

Als die Kleinen die wohlbekannte Stimme vernahmen, waren sie keineswegs erschrocken. Mit lautem Jubel stürzten sie zu dem Vater hin, umfaßten seine Knie, ergriffen seine Hände, und jedes wollte zuerst von ihm geliebkost sein.

„Was triebt Ihr denn aber als ich hereintrat?“ wiederholte der König seine Frage.

„Wiebeke wollte gerade eine Geschichte erzählen,“ sagte Eleonore rasch, als fürchtete sie, der Streit der Schwestern möchte noch einmal beginnen. „Wiebe weiß so schöne Geschichten. Bleibt hier und hört mit zu!“ bat sie schmeichelnd und den Vater mit den klaren Kinderaugen flehend anblickend.

„Nun denn, ein Stündchen darf ich Euch wohl schenken,“ antwortete der leicht gerührte Vater. „Laß mich denn eine Deiner hübschen Geschichten hören, Wiebe.“

Er setzte sich nieder, nahm die beiden jüngsten Töchter aufs Knie und schlang den Arm um die sich an ihn schmiegende Anna Catharina. Wiebeke nahm ihnen gegenüber auf einem Schemel Platz. Für den König mußte sie etwas besonderes aus ihrem Gedächtnißschatze hervorholen. Nach kurzem Bedenken begann sie, nicht ohne Verlegenheit:

„Es war einmal ein holsteinischer Graf, der hieß Johann der Einäugige. Er hatte vier Söhne und eine Tochter, die er so lieb hielt, daß er schon bei Lebzeiten all sein Gut unter sie vertheilte. Für diese Liebe ward ihm jedoch schlechter Dank. Sein Gut war nicht so ansehnlich, daß seine Söhne davon standesgemäß leben konnten, weshalb sie ihre Untergebenen durch harte Erpressungen quälten. Diese warfen ihren Haß auf den alten Grafen, welcher sie in so schwere Drangsal gebracht hatte, und als sie einst durch neue Gewaltthätigkeiten seiner Söhne empört waren, überfielen sie Graf Johann, als derselbe seiner Gewohnheit nach sinnend unter den großen Bäumen in seinem Schloßgarten zu Bramstedt saß, und schleppten ihn gefesselt nach Kiel. Alle vier jungen Grafen starben früh und zum Theil gewaltsamen Todes. Graf Adolph wurde im Segeberger Schlosse von Hartwig Reventlow erstochen…“

„Warum das?“ fragte der König, um zu hören, welche der beiden Versionen dieser bekannten Geschichte sich vorzugsweise im Volksmunde erhalten habe.

„Der v. Reventlow soll kein eigentlicher Uebelthäter gewesen sein,“ berichtete Wiebeke. „Man sagt Graf Gert habe ihn zu der Unthat verleitet, weil er das Gut dieser Grafen für sich gewinnen wollte. Deshalb giebt man ihm auch die Schuld an dem Tode des zweiten Grafen, welcher in Kiel von einem neben ihm stehenden Junker aus dem offenen Fenster gestoßen wurde, so daß man ihn todt unten im Burggraben liegen fand. Niclas von Oldesloe und Johann von Bramstedt starben auch früh, und niemand hatte Mitleid mit dem seiner Kinder und seiner Güter beraubten alten Grafen, während Graf Gert immer mehr Freunde gewann. Nur seine Tochter, die mit einem Grafen von Wittenberg vermählt war, härmte sich um den Vater und um die Brüder, besonders um Herrn Adolph,den sie sehr lieb gehalten hatte und dessen Tod von keinem gerächt war. Zu dieser Pflicht erzog sie ihr Söhnlein, und als der junge Günzel alt genug war, um selbst ein Heer gegen den Feind zu führen, da fertigte sie Sendboten nach Holstein ab, welche auskundschaften sollten, ob sie auf die Hülfe gleichgesinnter Ritter und Edlen zählen könne.

Um diese Zeit besuchte Graf Henneken den Grafen Johann in Kiel. Er fand den Alten im Anschauen eines Käfigs versunken, in dem zwei junge Spatzen saßen, die von den Alten, die durch das offene Fenster ein- und ausflogen, gefüttert wurden. „Was treibt Ihr denn da, Herr Vetter?“ fragte Henneken. „Ich lasse mir von den Spatzen erzählen, wie thöricht ich gewesen bin,“ antwortete Johann. „Diese jungen Dinger habe ich selbst aus dem Neste genommen und sehe nun täglich, wie die Alten kommen und sie füttern. Hätte ich statt der Jungen die Alten gefangen, glaubt Ihr die Jungen hätten sich darum gekümmert ob die Alten zu fressen haben oder nicht?“ – Henneken verstand, daß der alte Graf dabei an sich selbst dachte, weil seine Kinder, nachdem sie ihr Erbtheil bekommen, nicht für den Unterhalt des Vaters gesorgt hatten. Das Schicksal des Alten ging ihm zu Herzen, und als bald nach seiner Heimkunft die Boten der Wittenbergerin vor ihm erschienen, da gelobte er ihr Unternehmen zu fördern. Auch Graf Adolph der Jüngere versprach, mit einem Trupp Dithmarscher zur Hülfe zu kommen. Bald darauf brach Günzel bei Hamburg ins Holsteinische ein; doch fiel der erste Zusammenstoß mit dem Feinde so unglücklich für ihn aus, daß die Seinen geschlagen und zerstreut und er selbst gefangen nach Segeberg geführt wurde. Graf Gert brachte aus Hademarschen, Nortorf, Schenefeld, Kellinghusen und Kaltenkirchen eiligst ein Heer zusammen und setzte sich bei Bramstedt fee. Da stieß er mit Adolph zusammen, welcher die Ankunft der Dithmarscher nicht abwarten mochte und kampfbegierig mit einer kleinen Schar auserlesener Streiter auf den viel stärkeren Feind eindrang. Da floß viel Blut; aber so tapfer Adolph mit den Seinen stritt, mußte er doch der Uebermacht weichen. Was nicht um kam, suchte sein Heil in der Flucht. Er selbst hoffte, Bramstedt zu erreichen, mußte aber, vom Feinde verfolgt, dicht vor dem Flecken unter einer Brücke Zuflucht suchen, wo er sich unter den dort wachsenden Seeblättern wohl verbarg. Schon hörte er die Feinde über die Brücke reiten und wäre gerettet gewesen, hätte nicht sein Jagdhund, der winselnd umherrannte, seine Fährte gefunden. Dies bemerkte ein Ritter aus Graf Gert’s Gefolge. „Mir nach, Freunde, ich jage Hochwild!“ rief er und folgte der Spur des Thieres, welches eben seine Freude über den wiedergefundenen Herrn laut werden ließ, als die Feinde das Versteck erreichten, Graf Adolph gefangen nahmen und ihn zu Günzel nach Segeberg brachten. Die Dithmarscher kamen freilich am anderen Tage und schlugen Graf Gert in die Flucht, aber das nützte dem alten Grafen Johann nichts. Er starb bald darauf in Armuth und Gram.

„Der arme, alte Herr“, rief Anna Catharina, welche die Erzählung mit Verständniß angehört hatte. „Warum hieß er denn der Einäugige? Hatte er nur ein Auge?“

„Er hatte das andere durch einen unglücklichen Zufall verloren. Als er einstmals am Weihnachtfeste mit seinen Hof leuten im Kieler Schlosse zu Tische saß und der Wein die Zunge zu lösen begann, wie man wohl sagt, da trieben die Junker viel Kurzweil untereinander. Hauptsächlich hatten sie es auf den Narren abgesehen. Als aber ihre Späße zu derbe wurden, ward dieser zornig und ergriff einen Knochen um ihn einem der Junker an den Kopf zu schleudern. Er zielte ungeschickt, der Knochen flog dem alten Grafen gerade ins Auge und das Auge lief aus. Daher heißt er der Einäugige.“

„Von wem hast Du diese Geschichte gehört, Mädchen?“ fragte der König, als Wiebeke schwieg.

„Ich hörte sie von dem Pfarrer in Bramstedt, welcher sie bei Jörgen Götsche auf der Kindtaufe erzählte.“

„Den Pfarrer zu Bramstedt müssen wir in gnädigem Andenken behalten,“ sprach König Christian halblaut für sich. „Die Herren Pastoren sollten sich ein Beispiel an ihm nehmen, und wenn sie mit den Landleuten verkehren, lieber derartige hübsche Sagen aus der Landesgeschichte erzählen, als daß sie müßiges Dorfgeklatsch anhören oder über Dinge mit ihnen verhandeln, die sie doch nicht verstehen.“

„Jetzt erzähle noch einmal von der alten Frau, die im Kornfelde sitzt und die Kinder holt, welche beim Blumenpflücken das Korn niedertreten,“ bat Eleonore, die an der vorigen Geschichte wenig Gefallen gehabt hatte.

Wiebeke tröstete sie auf ein anderes Mal, als Anna Catharina, die, ein Geräusch von der Straße herauf vernehmend, ans Fenster geeilt war, rief: „Ein Reisewagen! Kommt doch schnell! – Das ist die Mama, die zum Fenster herausguckt, und noch eine Dame!“

„Das ist die Großmama!“ rief Sophia Elisabeth.

Da waren alle Geschichten vergessen. Es war wirklich Frau Christine Munk, die mit ihrer Mutter und Frau Anna Lykke um einige Tage früher ankam, als sie erwartet war.

VII.

Trotz der häufigen Scharmützel, welche zwischen den liguistischen und niedersächsischen Truppen zu Ende des Jahres 1625 und zu Anfang 1626 vorfielen, ließ man von Seiten der Union doch nicht ab, an der Wiederherstellung des Friedens zu arbeiten. Alle billigen Forderungen wurden jedoch von den kaiserlichen Generälen verworfen, das Schwert sollte das Loos der bedrängten Protestanten entscheiden. Diese schöpften neuen Muth aus einem zu Haag geschlossenen Bündnisse, laut welchem der König von Dänemark den Krieg energisch fortführen sollte, unterstützt von den niedersächsischen Fürsten, von denen keiner einen Separatfrieden mit dem Kaiser schließen oder sich seiner Bundespflichten entziehen durfte. England und Holland verpflichteten sich zu einer monatlichen Beisteuer an Geld zur Deckung der Kriegskosten, und die übrigen europäischen Staaten sollten eingeladen werden, diesem Bunde beizutreten.

Diese glänzenden Versprechungen blieben leider unerfüllt. In England, wo nach König Jacob’s Tode Carl I. den Thron bestiegen hatte, waren die Verhältnisse so unglücklich, daß von dort her keine Hülfe zu hoffen war. Die niedersächsischen Fürsten waren lau und wankelmüthig, und bald vernahm König Christian, daß Georg von Lüneburg im Geheimen werbe, um sich den Kaiserlichen anzuschließen. Graf Mansfeld war von Wallenstein geschlagen. Christian von Braunschweig erlag einem hitzigen Fieber. Dieser tapfere, junge Mann, welcher dem ünglücklichen böhmischen Königspaare sein Leben geweiht hatte, war in seiner Kindheit mit dem dänischen Prinzen zusammen erzogen worden und Christian IV. betrauerte ihn wie einen Sohn.

Die Dänen hatten sich bis ins brandenburgische und westphälische Gebiet ausgebreitet, aber dadurch ihre Hauptmacht so sehr geschwächt, daß sie eine entscheidende Schlacht, die Tilly offenbar herbeiführen wollte, zu vermeiden suchten. Christian IV. hatte sein Hauptquartier von Rothenburg nach Wolfenbüttel verlegt. Im August suchte er durch das Eichsfeld und Thüringen einen neuen Weg in die liguistischen Länder, als Tilly Kunde von seinen Plänen erhielt und ihm durch Eilmärsche den Vorsprung abgewann. König Christian zog sich, um einen Zusammenstoß zu vermeiden, ins Braunschweigische zurück; aber Tilly, der inzwischen durch einige Wallenstein‘ sche Regimenter verstärkt war, verfolgte ihn unablässig, bis es nach mehrtägigen Scharmützeln bei Lutter am Baremberge zur Schlacht kam. Die Dänen kämpften mit großer Tapferkeit, und besonders wissen Freund und Feind nicht genug den Muth des Königs zu rühmen, welcher die Seinen dreimal in dem Kampf führte und stets da gesehen wurde, wo es am heißesten herging. Obgleich die Königlichen durch ihre Stellung gegen Sonne und Wind und durch die Bodenbeschaffenheit im Nachtheil waren, schien sich der Sieg doch anfangs auf ihre Seite zu neigen; doch geriethen sie bald durch das Zusammenwirken verschiedener Mißgeschicke in Noth. Die Regimenter Hessen und Solms blieben in einem Moraste; ein anderes geriet in der Hitze des Gefechtes unter die eigenen Kanonen; am schlimmsten wirkte die Treulosigkeit der ausländischen Reiterei, welche, schon lange mißvergnügt, jetzt das Feld räumte und dadurch das Fußvolk blosstellte, welches durch einen Hinterhalt des Herzogs von Lüneburg im Rücken angegriffen, total vernichtet ward. Der Kampf dauerte von 8 Uhr Morgens bis 5 Uhr Nachmittags. Die Walstatt war mit Todten bedeckt; was nicht von dem kaiserlichen Heere niedergehauen war, suchte sich durch die Flucht zu retten. Das Geschütz und ansehnliche Vorräthe von Proviant und Munition fielen in die Hände des Feindes. König Christian, der sich bis zum letzten Augenblicke hielt, mußte sich mit einer kleinen Schar durch einen Trupp feindlicher Reiter durchhauen und erreichte glücklich das Hauptquartier, wohin wir ihm einstweilen vorauseilen wollen.

Wir verließen Frau Christine Munk als sie, mit ihrer Mutter von Kopenhagen in Verden angekommen, sich anschickte, ihrem königlichen Gemahle nach Nienburg zu folgen. König Christian, welcher sich mit Frau Ellen ausgesöhnt hatte, gab ihr zu Ehren glänzende Feste, bei denen die deutschen Edelfrauen an Schönheit und kostbaren Gewändern mit den dänischen wetteiferten, und FrauEllen gefiel sich inmitten des wechselvollen Lebens und des kriegerischen Treibens im Hauptquartiere so gut, daß sie erst, als dasselbe im Monate December nach Rothenburg verlegt wurde, ihre Rückreise nach Dänemark antrat.

Von Rothenburg war die königliche Familie nach Wolfenbüttel übergesiedelt, wo Frau Christine während der Abwesenheit des Königs ihre Tage in einförmiger Stille verlebte. Einen Ersatz fand sie in der Gesellschaft der dänischen Hofmeisterin, einer munteren, lebhaften Frau, die mit geistvollem, heiterem Geplauder die Stunden kürzte und bald einen bedeutenden, aber leider nicht wohltätigen Einfluß auf die hohe Frau zu üben begann. Nur in Betreff Wiebeke’s vermochte sie nichts über Frau Kirstin, und alle ihre Ränke, wie die Bemühungen der alten Dorthe, die junge Holsteinerin in der Gunst der Gebieterin herabzusetzen, scheiterten an dem offenen, treu festen Wesen der neuen Hofjungfer. Es gab Stunden, wo Christine Munk ein leises Mißtrauen gegen ihre Landsmänninnen empfand, wo sie sich in ihrer Einsamkeit nur bei Wiebeke sicher fühlte, wo ihr mütterlicher Instinct gleichsam errieth, daß die Kinder unter Frau Anna Lykke’s Händen nicht wohl aufgehoben seien; doch tadelte sie sich stets über diese inneren Regungen und zeigte sich nach einer Anwandlung solchen Mißtrauens nur desto freundlicher gegen die Hofmeisterin.

Zu Ende des Augustmonats saßen beide Damen einst plaudernd beisammen. Frau Kirstins Augen ruhten sinnend auf einem Strauße von wildem Mohn, dessen klare schöne Tinten sie vergeblich auf dem Papier wiederzugeben suchte. Sie mischte die Farben, schüttelte mißbilligend den Kopf, versuchte aufs neue, retouchirte die Blätter und horchte dabei auf Anna Lykke, welche ihreinige Schriften vorlas, die ihr von dem Kronprinzen Christian gesandt worden und voll Lobes über den heldenmüthigen Kreisobersten waren.

„Wie glücklich seid Ihr, gnädige Frau, einen so allbeliebten und berühmten Gemahl zu besitzen,“ sprach AnnaLykke , nachdem sie ihre Lectüre beendet und eine Weil ein Schweigen verharrt hatte. „Wohin Se. Majestät sich wendet, geht der Ruhm seiner vorzüglichen Eigenschaften vor ihm her, und wo er erscheint, trägt die einnehmende Persönlichkeit dazu bei, das herrlichste Lob neu zu begründen und zu befestigen.“

„Du hast Recht, Anna, Christian IV. wird immerdar ein berühmter Sproß des Oldenburger Stammes bleiben,“ erwiderte Frau Christine. „Er ist aber nicht erst groß und berühmt als Mann geworden, schon als Kind setzte er die Reichsräthe durch seine verständigen Aussprüche in Staunen, und sein Fleiß, seine vielseitige Thätigkeit, seine Gerechtigkeitsliebe und sein menschenfreudiges Herz berechtigten früh zu den schönsten Hoffnungen. Hast Du niemals die Sage gehört, daß ihm als Kind, wenn er reine Wäsche anlegte, Funken aus den Haaren flogen? Ich habe dies aus dem Munde Ihrer Majestät der Königin-Mutter, welche dies nicht glauben wollte, bis sie sich eines Tages selbst davon überzeugte und darin ein Vorzeichen der künftigen Größe ihres Sohnes erblickte.“

„Schade, daß Se. Majestät nicht jünger an Jahren ist, damit Ew. Gnaden ihm mit der inbrünstigen, heißen Liebe anhängen könne, die das Frauenherz so sehr beglückt!“

„Was sprichst Du, Anna! Bin ich meinem Gemahle nicht stets in treuer Liebe zugethan gewesen?“

„Als Ew. Gnaden sich vermählte, war Sie zu jung, um Liebe zu kennen, und an der Seite eines so bejahrten Mannes kommt sie nicht zur Blüthe. Aber hat denn Ew. Gnaden niemals empfunden, daß ein Wort aus gewissem Munde unendlich größeren Reiz haben kann, als Tausende der süßesten Schmeicheleien, daß ein Blick aus gewissem Auge oft tiefere Bedeutung hat, als eine lange Lobrede!“

„Darüber habe ich niemals nachgedacht“, antwortete Frau Christine, die in zarter Jugend gleich so hoch geflogen war, daß sie wohl berechtigt schien, den Weihrauch, den man ihr streute, für den Ausdruck aufrichtiger Verehrung zu halten, aber alle diese Huldigungen mit der kühlen Ruhe aufgenommen hatte, die ihr ganzes Wesen charakterisirte.

„Sollte man wirklich 28 Jahre in dieser Welt leben können, ohne die süßen Freuden und Qualen einer tieferen Neigung kennen zu lernen?“ flüsterte die gefährliche Frau leise bei sich, mit einem forschenden Blicke auf Christine Munk.

„Wenn Du so großen Werth auf Huldigungen legst, da muß es Dir hier recht einsam vorkommen. Du sehnst Dich vielleicht nach dem fröhlichen Kopenhagener Leben zurück?“ fragte Christine.

„O nein, gnädige Frau,“ rief Anna Lykke lebhaft. „Das Leben im Felde behagt mir ungemein, und ich ziehe es dem Hof leben jedenfalls vor. An Festen wird es uns künftigen Winter auch nicht fehlen, und wie viel herrlicher ist es, sich mit den Rittern und Junkern zu unterhalten, die mit Lorbeeren bedeckt aus dem blutigen Tanze mit dem Feinde heimkehren, als die faden Redensarten der Pagen und Hofjunker anzuhören, die keinen anderen Schauplatz ihrer Großthaten kennen, als den glatten Parquetboden bei Hofe.“

Frau Kirstin lächelte. „Ich hoffe, daß wir die Winterquartiere in Westphalen beziehen werden,“ sprach sie, nicht ahnend, wie bald sie aus diesem glücklichen Wahne gerissen werden sollte. „Der König war in seinem letzten Briefe aus Duderstadt voll frohen Muthes, und wenn die Engländer und Franzosen Kunde von den neu errungenen Vortheilen erhalten, so werden sie desto leichter zur Unterstützung bereit sein.“

Die Damen hatten noch eine Weile so fortgeplaudert und sich tiefer und tiefer in die politischen Zeitverhältnisse hineingeredet, als plötzlich die alte Dorthe händeringend eintrat und kaum hörbar die Kunde hervorstieß:

„Se. Majestät ist zurück, – der Feind verfolgt ihn, und alles, alles ist verloren!“

Christine Munk starrte die Alte eine Weile mit stummem Entsetzen an, dann erhob sie sich und wankte an’s Fenster, wo sich ein trauriges Schauspiel darbot. Ein Trupp Reiter, der mit dem Könige gekommen war und eben vom Pferde absaß, bestätigte und vervollständigte den Bericht der Dorthe. Die Pferde waren mit Schaum und Schlamm bedeckt, die Reiter zum Theil ohne Waffen und Sturmhaube, mit bestäubten, zerrissenen Kleidern und so erschöpft, daß einige nicht ohne Hülfe vom Pferde steigen konnten.

„Wo ist der König?“ fragte Christine Munk.

„Se. Majestät zog sich gleich in seine Gemächer zurück und verschloß die Thür,“ sagte die Alte.

„Geh‘ hinauf zu den Kindern, Anna, ich werde Dich rufen lassen, wenn ich Deiner bedarf“, sprach Christine ernst. Auch sie fühlte, gleich dem Könige, das Bedürfniß, allein zu sein. –

Zwei lange Stunden waren vergangen. Christine Munk war angstvoll in ihrem Zimmer auf- und abgewandelt, als sie endlich, von den Qualen der Ungewißheit überwältigt, leise die Thür nach dem Corridor öffnete und, da sie niemand erblickte, bis an die Gemächer ihres Gemahls vorschritt, wo sie schüchtern an die Thür pochte und Einlaß begehrte.

Der König öffnete nicht allein die Thür, er öffnete ihr auch bewegt die Arme, und Christine sank weinend an seine Brust.

„Sprecht, sagt, was ist geschehen!“ schluchzte sie. „Ich vermag das Schlimmste zu hören.“

„Ich habe eine Schlacht verloren, und meine Armee ist theils vernichtet, theils zerstreut,“ sagte der König.

„Kann denn eine verlorene Schlacht einen so tapferen König niederbeugen?“ fragte Christine sanft.

„So fragst Du, weil Du nicht weißt, wie schwer dieser Verlust mich trifft und wie unheilvoll die Folgen werden können.“

Als er sie an einen Sitz geführt und neben ihr Platz genommen hatte, begann er ihr zu erzählen, was wir bereits über die Schlacht wissen.

„Der Lüneburger soll seinen Verrath dereinst vor dem Throne des ewigen Richters verantworten,“ sprach er feierlich und fuhr nach einer Pause fort: „Als ich mit der Reiterei, die sich um mich scharte, mir einen Weg durch den Feind gebahnt hatte, der sich meiner Person zu versichern trachtete, ritten wir über Moräste und zertretene Kornfelder querfeldein. Da stürzte mein todtmüdes Pferd. Der Diener, welcher mein Handpferd bereit hielt, war geblieben. Wenzel Rothkirch, der sich den ganzen Tag in meiner Nähe gehalten hatte, gab mir das seinige und folgte mir eine Strecke Weges zu Fuß, bis wir abermals einen Sumpf passiren mußten, wo er, aufs äußerste erschöpft, zurückblieb. Gebe Gott, daß er zu den Unseren gestoßen und nicht in Feindes Hände gefallen ist! Bleibt er mir erhalten, so werde ich diesen Liebesdienst, den er mir erwiesen, nicht vergessen!“

Nach einer Pause sagte der König seltsam bewegt: „Du erkundigst Dich gar nicht nach unseren braven Freunden,“ und als Christine, von seiner Weichheit ahnungsvoll betroffen, schwieg, fuhr er fort: „Der 27. August hat mich arm gemacht. Penz, der bisher unverwundbar schien, der vor Calmar, wie eine Hüne über alle hervorragend, die Feinde wie die reifen Aehren mähte, seine Freunde rächend, die rechts und links um ihn zu Boden sanken, – Marquard Penz hat nun die deutsche Erde mit seinem Herzblute getränkt! Johann Philipp Fuchs, der edle Franke, der tapfere, kriegserfahrene General, mein treuer zuverlässiger Freund, ist auch nicht mehr. Auch Philipp von Hessen, den jugendlichen Helden, dürfen wir nicht mehr zu den Lebenden zählen. Sigward Pogwisch, der mit Wenzel mir zur Seite blieb und über meine Sicherheit wachte, schlug einen auf mich gezückten Pallasch aus der Hand des eindringenden Feindes, als er, von einer Kugel ins Herz getroffen, zu Boden sank.

„Laßt mich liegen und rettet den König!“ rief er im Sinken, – es war sein letztes Wort, denn als man ihn auf meinen Befehl aus dem Gefechte trug, war er bereits verschieden.“

Hier versagte die Stimme des Königs; ein tiefer Seufzer entrang sich seiner gepreßten Brust. Christine Munk bedeckte das weinende Gesicht mit ihrem Tuche. Sie schlang den Arm um seinen Hals, lehnte den Kopf an seine Schulter, und so saßen sie schweigend eine Weile, als an der Schwelle ein Page erschien, welcher meldete, daB der Rheingraf Ludwig Otto v. Solms um Vortritt bäte.

„Er soll kommen!“ rief der König lebhaft, und als Christine sich entfernen wollte: „Bleibe und höre, was der Graf neues bringt. Ich hoffe, daß die zerstreuten Glieder sich nach und nach hier wieder zusammenfinden, bevor der Feind ihnen den Weg abschneidet.“

Der Eintretende, ein schöner Mann mit dunklen Locken, dunklen, feurigen Augen und edlem Anstande, verbeugte sich tief vor dem Könige und dessen Gemahlin.

„Was bringt Ihr, Herr Graf?“ fragte der König, ihm huldvoll die Hand reichend.

„Wenig mehr als meine eigene, Ew. Majestät treu ergebene Person,“ sprach der Rheingraf ernst. „Meine Braven sind mit dem Hessischen Regimente in jenem unseligen Moraste versunken, der uns vor der Schlacht vor dem feinde trennte. Ein geringes Häuflein entrann mit mir diesem schmählichen Tode, doch hat sich unterwegs eine Anzahl versprengter Reiter zu uns gefunden, so daß ich mit 500 Mann hier eingerückt bin.“

„Ichfreue mich, Euch wohlbehalten wieder zu sehen, und möchte wünschen, daß Eure Meldung der Anfang zu mancher ähnlichen sein möge,“ sprach der König. „Jetzt ruht Euch aus, Herr Graf und macht’s Euch bequem. Die Etiquette ist in Zeiten, wie die jetzige, über Bord geworfen. Meine Hausfrau wird sich freuen, die uns erhaltenen Freunde begrüßen und bewirthen zu können.“

Als Christine Munk dem Grafen ihre Hand zum Gruße reichte und ihr Auge seinem feurigen Blicke begegnete, senkte sie erröthend die Lider und lud ihn, auf einen Armsessel deutend, zum Niedersitzen ein.

Das Gespräch lenkte bald wieder in die einzelnen Begebnisse des Kampfes ein, und der Rheingraf schleuderte ein Anathema auf den abtrünnigen Lüneburger, dessen Bruder als Haupttriebfeder agirt, als man den König von Dänemark um seinen Schutz für Niedersachsen angerufen hatte.

„So Gott will, werden wir eines Tages Revanche für die Affaire bei Lutter nehmen,“ sprach der König. „Das Heer erholt sich rasch, wenn erst die Glieder wieder gesammelt und die Lücken ausgefüllt sind. Aber alle Schätze des katholischen Heeres möchte ich darum geben, könnte ich damit das Leben der Edlen wieder kaufen, die ich vor meinen Augen habe fallen sehen! Penz, Fuchs, Sigward Pogwisch, Philipp von Hessen, – ihr Verlust lastet schwer auf meinem Herzen.“

Frau Kirstin’s Thränen brachen aufs neue hervor. „Wer hätte so Schreckliches ahnen können,“ sprach sie. „Ach, man muß die Braven gekannt haben, um den schmerzlichen Verlust des Königs fassen zu können!“

„Das Leben des Krieges ist ein fortwährendes Ringen mit dem Tode, der für mich alle Schrecken verlöre, wenn ich die Gewißheit hätte, von so schönen Augen beweint zu werden,“ sprach der Rheingraf und abermals ruhten seine brennenden Blicke auf Christine Munk’s lieblichem Antlitze, dem die schmerzliche Erregung ihres Innern einen neuen Reiz verlieh, und abermals mußte sie vor den glühenden Blicken die Lider senken, während ein tiefes Rosenroth ihre Wangen färbte.

„Man hat allseitig den Tod Christian’s von Braunschweig beklagt,“ fuhr er fort, „ich habe ihn beneidet. Er hatte sein Leben seiner schönen unglücklichen Cousine, der entthronten Königin, geweiht. Ihr Handschuh zierte seinen Hut. Für Sie! war das Wort, das man auf seinen Fahnen las, das Zauberwort, mittelst welchem er ohne Geldmittel eine ansehnliche Heeresmacht zu werben wußte. So trug er diese treue, ehrsame Liebe den Augen der Welt zur Schau, lebte, kämpfte, litt und starb für sie, – bei Gott, ein beneidenswerthes Geschick!“

„Hätte ich doch nimmer geglaubt, daß Ihr, Herr Graf, ein solcher Schwärmer wäret,“ lächelte der König.

Frau Kirstin versuchte ebenfalls zu lächeln, aber ihr war beklommen ums Herz, und selbst als sie sich Abends von den Herren verabschiedet und in ihr Schlafgemach zurückgezogen hatte, tönte noch immer das Wort: für sie! in ihren Ohren wieder, mit dem Wohllaute der klangvollen Stimme des Grafen, und auch die seltsamen Augen traten ihr wieder ins Gedächtniß, vor denen sie selbst in der Erinnerung erröthen mußte.

Als sie sich von Wiebeke die Locken auflösen ließ und, zu sehr mit sich selbst beschäftigt, dem jungen Mädchen kteine Aufmerksamkeit geschenkthatte, hörte sie es schwer aufseufzen. „Was fehlt Dir, Kind?“ fragte Christine freundlich.

„Mir fehlt nichts, als daß ich viel Trauriges vernommen habe, ohne zu wissen, ob es wirklich wahr ist“, entgegnete Wiebeke. „Ich stand im Corridor, als der König heimkehrte, und als er an mir vorüberschritt und mir gnädig guten Tag bot, da blickten seine Augen so düster und schmerzvoll, daß es mich weinen machte.“

„Ja wohl ist viel Trauriges geschehen, mein armes Kind,“ sagte Christine wehmüthig. „Ich kann es mir noch gar nicht denken, daß wir die treuen Freunde, die uns von Glückstadt her mit kurzen Unterbrechungen nahe waren, wirklich nimmermehr wiedersehen sollen. Der Krieg ist schrecklich wenn er uns solchergestalt sein grauenhaftes Wesen offenbart, und Du, arme Wiebeke, bereust vielleicht schon, daß Du Frau Ellen’s Anerbieten sie nach Dänemark zu begleiten abgelehnt hast.“

„Nein, nein!“ versetzte Wiebeke schluchzend, „aus eigenem Antriebe verlasse ich Ew. Gnaden nicht.“

„Ich weiß, daß Du mich lieb hältst und hätte Dich auch nicht gern ziehen lassen,“ sagte Frau Kirstin. Geh‘ jetzt schlafen, Kind, wir wissen nicht wie lange wir hier noch in Ruhe bleiben dürfen.“

VIII.

Ah Christian IV, die unheilschweren Folgen seiner Niederlage bei Lutter voraussah, war er sich seiner mißlich en Situation wohl bewußt. Es fehlte an den größeren und kleineren protestantischen Höfen nicht an verkappten Jesuiten, welche Zwietracht zwischen den lutherischen Fürsten zu stiften suchten, vor allem aber die Bande der niedersächsischen Union zu lösen bemüht waren,in den sie die deutschen Herren vor dem geheimen Eroberungsgelüste des Dänen warnten und ihnen in dem entthronten Könige von Böhmen das trostlose Beispiel eines Fürsten vorführten, der durch sein Auflehnen wider den Kaiser sich seines väterlichen Erblandes beraubt sah und als Flüchtling in fremdem Lande umsonst auf bessere Zeiten hoffte. Nach dem Lüneburger sagte sich der Herzog von Braunschweig von dem Bündnisse los; bald danach versicherten die Mecklenburger den Kaiser ihres Gehorsams, und sogar der Herzog von Holstein betheuerte seinem Lehnsherrn, daß er niemals den Krieg gewollt, sondern zum Schutze seiner Glaubensgenossen der Union beigetreten sei; England benutzte gleichfalls die Gelegenheit um seine Hand vollends zurückzuziehen – und so sah sich denn Christian IV. mit seinem Heere allein, von den meisten seiner Bundesgenossen verlassen und bedrängt von dem immer stärker anwachsenden Heere der vereinigten kaiserlichen Feldherren. In allen festen Plätzen starke Garnisonen zurücklassend, zog er sich nach Stade zurück, welches er schleunig befestigen ließ. Zwar hatten sich nach der Schlacht bei Lutter die zersprengten Truppenkörper zahlreich wieder eingefunden, doch erlaubte die Beschaffenheit des Heeres dem Könige nicht mehr angreifend zu Werke zu gehen. Er war nur darauf bedacht dem anrückenden Feinde den Uebergang über die Elbe zu wehren und seine Länder zu schützen. Je schmerzlicher sich Christian IV. von der Treulosigkeit seiner Verbündeten, von der Wortbrüchigkeit des englischen Hofes berührt fand, desto empfänglicher war er für den abermaligen Liebesbeweis seines ältesten Sohnes, der ihm von Dänemark aus 4000 Mann auserlesener Hülfstruppen zuführte.

Auch in Holstein ward gerüstet. Auf einem am 28. November in Rendsburg gehaltenen Landtage hielt der Statthalter, der hochbetagte Gerhard Rantzow, eine eindringliche Rede an die Landstände, in welcher er ihnen die Pflicht ans Herz legte, das eigene Land und die reine Lehre Christi zu schirmen; er selbst wolle der Erste sein, der seine grauen Haare gegen den Feind wage, und alle sollten einmüthig seinem Beispiele folgen.

Der Adel verpflichtete sich in Person zu Felde zu ziehen; Stadt und Land steuerten mit Geld und Mannschaft zur Ausrüstung eines Heeres bei, welches bald zu einer Macht von 2 000 Reitern und l 000 Mann Fußvolk anwuchs und von dem Könige gemustert wurde.

Im Sommer des Jahres 1627 zog sich das Unwetter immer drohender über den Häuptern der Schleswig-Holsteiner zusammen, indem Tilly, Wallenstein und Pappenheim sich nach Norden wandten. König Christian hatte längst eingesehen, daß er einer so großen Uebermacht denUebergang über die Elbe nicht lange würde sperren können, als er während seiner Anwesenheit bei einem zweiten Landtage in Rendsburg plötzlich die Kunde erhielt, daß Tilly seine Entfernung benutzt habe, Luttershausen, einen Paß an der Elbe, zu überrumpeln und, nachdem er Boitzenburg und Lauenburg besetzt, nach Hamburg vorrücke.

Die königliche Familie hielt sich noch in dem neu befestigten Stade auf. Der König hatte bei seiner Abreise nach Rendsburg geäußert, daß er längere Zeit in Holstein verweilen werde, und Frau Christine Munk, die von dem Vordringen der Kaiserlichen nichts wußte, verlebte sorglos Tag auf Tag und erwartete nichts weniger als die Rückkehr ihres Gemahls, als dieser einst mitten in der Nacht vor ihr Lager trat.

„Stehe auf und mache dich reisefertig, „Kind!“ rief er, ihre Hand fassend. „Im Hafen liegt ein segelfertiges Schiff und der Wind ist günstig.“

Christine Munk fuhr schlaftrunken empor. „Reisen? – – wohin? – – weshalb?“ fragte sie.

„Nach Dänemark,“ erwiderte der König. „Tilly ist in Holstein eingefallen. Ich muß eilen um Schleswig zu schützen.“

„Und warum müssen wir reisen?“ fragte Christine. „Gebt Ihr denn alle festen Plätze diesseit der Elbe auf?“

„Das ist das erste Mal, daß Du Dich um kriegerische Operationen kümmerst,“ sprach Christian IV. befremdet. „Hast Du Lust hier zu bleiben, abgeschnitten von Deiner Heimath, schutzlos den Gefahren einer wahrscheinlichen Belagerung ausgesetzt?“

Christine seufzte und griff nach ihren Kleidern.

„Ich gebe Dir drei Stunden Zeit. Was nun nicht rasch eingepackt werden kann, muß nachgeschickt werden.“ Mit diesen Worten verließ der König das Zimmer.

Zurück nach Dänemark! Warum erfüllte dieser Gedanke sie mit Zagen und leisem Grauen? Sie überließ es Wiebeke und der alten Dorthe, das nöthige Gepäck zu besorgen, und ging gleichgültig umher, bis der König kam, um sie an Bord zu begleiten. Als sie aber von den an der Brücke versammelten Herren und Hofleuten Abschied nahm, da brach sie in ein heftiges Weinen aus.Schon war die Brücke eingezogen und das Schiff eine kleine Strecke vom Lande entfernt, als ein hochgewachsener Mann, in einen schwarzen Mantel gehüllt, den Hut tief über die Stirn gezogen, sich durch die am Ufer stehende Menge drängte und einen spähenden Blick auf das Schiff warf. Christine Munk sah ihn, bewegte das Tuch, mit dem sie ihre Augen bedeckte, wie zum Gruße und begann aufs neue zu weinen.

„Das ist ja der Rheingraf,“ rief der König, den Fremden, welcher eben nach dem Schiffe hinüber grüßte, scharf ins Auge fassend. „In Rendsburg sagten mir die Officiere seines Regimentes, er sei nach Braunschweig gereist. Ist er schon länger hier, und hast Du ihn gesehen?“
Christine bedeckte schluchzend das Gesicht und blieb die Antwort schuldig.
„Gelten Deine Thränen dem Abschiede von Deutschland oder dem Unglücke, welches mich in meine eigenen Länder verfolgt?“ fragte der König mit einem Anfluge von Spott. Und als Christine auch diese Frage unbeantwortet ließ, wandte er ihr den Rücken und knüpfte ein Gespräch mit dem Capitain des Schiffes an.

Christine Munk schien seit einiger Zeit dem Könige etwas fremder gegenüberzustehen. Sie kam ihm nicht, wie sonst, mit offenen Armen, mit den offenen, klaren Kinderaugen entgegen, wenn er nach längerer Abwesenheit zu ihr heimkehrte. Scheu und verlegen mied sie seine Nähe, oder sie begrüßte ihn mit einer stürmischen Zärtlichkeit, die ihrer Natur nicht eigen war. Der König war durch Sorgen mancher Art zu sehr beschäftigt, um sich um die Laune seiner Gemahlin zu kümmern. Ihr seltsames Betragen bei der Abfahrt hatte ihn jedoch unangenehm berührt, wie auch Christine ihrerseits sich durch seine Worte verletzt fühlte. Als sie aber nach Verlauf einiger Stunden von der schwankenden Bewegung des Schiffes zu leiden begann und der König mit rührender Sorgfalt für ihre Bequemlichkeit sorgte, da ergriff sie in aufwallender Dankbarkeit seine Hand und preßte sie heftig an ihre Lippen.

Nach einer glücklichen Fahrt näherten sie sich am folgenden Tage unweit Büsums der holsteinischen Küste. Als man nahe genug war die Gegenstände am Ufer unterscheiden zu können, bemerkte man dort ein seltsames Hin- und Herrennen. Hier und da blitzte ein Flintenlauf in der Sonne, und verworrenes Geschrei und laute Drohungen schallten über das stille Wasser.

„Was gilt’s,“ lachte der König, „die Dithmarsen halten unser Schiff für ein feindliches und wollen uns die Landung wehren.“

„Befiehlt Ew. Majestät, daß ich ein Boot ans Land schicke, um sie eines besseren zu belehren?“ fragte der Capitain.

„Ich will selbst mit den Frauen ans Land, da werden sie wohl Freund und Feind unterscheiden,“ versetzte der König und bestieg mit den Frauen die ausgesetzte Schaluppe.

König Christian hatte die Bewegung am Ufer richtig beurtheilt. Als die Strandwache das Kriegsschiff in Sicht bekam, hatte sie dasselbe für ein kaiserliches gehalten und Alarm gemacht, worauf die Bauern aus Büsum und Weslingburen, Männer und Weiber, mit Piken, Schießgewehren, Forken und Knitteln bewaffnet, zusammenliefen um den vermeintlichen Feinden die Landung zu wehren.
Als das Boot anzulegen versuchte, pfiff eine Kugel dicht über die Köpfe der Frauen hin.

„Hoho, Freunde,“ rief der König, einen Pfahl erfassend und sich mit einem Sprunge ans Land schwingend, „solchen Empfang mögt Ihr für andere aufsparen!“

Kaum hatte er den Fuß ans Land gesetzt, als er sich von den Bauern umzingelt sah, die mit hochgeschwungenen Waffen auf ihn eindrangen, und schon hob der Vorderste seinen Knittel zu einem gewaltigen Streiche, als Wiebeke Kruse sich zwischen ihn und den König stürzte und, die Arme gebieterisch emporhebend, mit lauter Stimme rief:

„Schießt nicht, stecht nicht, Freunde! Kennt Ihr denn Euren Landesherrn nicht, der Frau und Kinder in die Heimath zurückführt?“

„Wie könnt Ihr denken, daß der Feind mit Frauen und Kinderhier landen würde?“ rief Christine Munk, welche nebstdem männlichen und weiblichen Gefolge ebenda herzutrat.

Die Bauern sahen die Ankömmlinge und sich einanderverlegen an und warfen die Waffen fort. Christian IV.,welcher sich bei dem Vorgange passiv verhalten hatte, lachte, daß er sich die Seiten halten mußte.

„Bravo, Ihr Dithmarsen“ rief er. „Ihr bewährt den alten Ruf, daß Ihr Euer Land von Feinden rein zuhalten wißt. Manchem Kampfe bin ich glücklich entronnen,“fuhr er, einem Weibe, welches mit einer Forke auf ihn eingedrungen war, freundlich auf die Schulter klopfend,fort „und gerieth nun hier in Gefahr von einer Marsin gespießt zu werden. Wohl hat man mir den Heldenmuth der Dithmarser Frauen gerühmt; fortan kann ich aus eigener Erfahrung davon erzählen. Jetzt gewährt meiner Familie gastlich Obdach und schafft mir Fuhrwerk, daß ich weiterkomme; meine Zeit ist kostbar.“

Die Frauen, welche Christine inzwischen umringt hatten, führten sie nebst ihren Dienerinnen freundlich ins nächste Haus und sorgten für Speise und Trank, während einige von den Männern nach Weslingburen eilten um die stattlichsten Wagen und die schönsten Pferde herbeizuholen. Nach einigen Stunden mahnte der König zum Aufbruch. Die Frauen ließen es sich nicht nehmen den Wagen, in welchem der König und Frau Kirstin fuhren, mit weichen Kissen und gewaltigen Speisekörben zu bepacken, und so fuhr die königliche Familie nach Friedrichstadt und von dort ohne Aufenthalt weiter nach Flensburg.

Dies kleine Abenteuer hatte den Reisenden Stoff zu lebhafter Unterhaltung gegeben. Der König nannte Wiebeke scherzweise seine Lebensretterin; aber Wiebeke verbarg unter ihren munteren Antworten ein wehmüthiges Herz. Sie hatte lange darauf gehofft, von Glückstadt aus ihre alten Eltern besuchen zu dürfen, und mußte nun auf die Freude verzichten und nebenbei die Befürchtung hegen, daß die Ihrigen viel Unbill von dem fremden Kriegsvolke zu dulden haben würden.

In Flensburg erfuhr König Christian, daß Pinneberg sich nach achttägiger Belagerung dem Tilly ergeben habe, und daß auch Wallenstein in Holstein eingerückt sei und unaufhaltsam vordringe.

Christian IV. war zunächst darauf bedacht, die Truppen, die zu seiner Verfügung standen, in Schleswig zusammenzuziehen. Ein niedersächsisches Corps unter dem Befehle des Markgrafen von Durlach schiffte sich in Wismar ein und landete zwischen Oldenburg und Heiligenhafen, um sich mit dem in Rendsburg liegenden Regimente Solms zu vereinigen. Diesen Plan suchte der kaiserliche General Schlick zu vereiteln, indem er den Markgrafen, ehe dieser sein Lager bei Heiligenhafen verschanzt hatte, mit großer Uebermacht angriff und ihn zu einer Schlacht zwang, welche bis an den Abend dauerte. Der Markgraf benutzte die Nacht, um sich in seine Schiffe zurückzuziehen; aber kaum war das schottische Regiment Monroe, welches am meisten gelitten hatte, eingeschifft, als mit Tagesanbruch der Kampf aufs neue entbrannte. Außer der holsteinischen adeligen Reiterfahne und dem Regimente des Herzogs von Weimar wurde das ganze Corps vernichtet; was nicht gefallen war, streckte die Waffen, und nur von einem geringen Häuflein heißt es, daß es sich glücklich durchgeschlagen und Rendsburg erreicht habe. Als der König diese Nachricht in Flensburg erhielt, gab er das Festland verloren und war darauf bedacht, die Inseln zu schützen. Die von Heiligenhafen zu Schiffe angekommenen Truppen wurden nach Fühnen geschickt, wohin sich später auch diejenigen Regimenter begaben, die durch das Holstenland hindurch bis nach Jütland vom Feinde verfolgt waren. Frau Christine Munk war mit ihrem Gefolge von Flensburg gleich weiter nach Dalum auf Fühnen gereist, wohin der König ihr nach einigen Wochen folgte. Dort besuchte sie Frau Ellen Marsvin, die aus Furcht vor dem andringenden Feinde ihre beweglichen Güter von Jütland nach Fühnen hinübergeschafft hatte. Ihr lebhafter Geist und ihre weitverzweigten Geschäftsverbindungen gestatteten ihr nicht, sich bleibend in Dalum niederzulassen, doch kam sie oft von ihrem Gute Kjaerstrup hinüber ins Hauptquartier.

Dort saß sie einst in dem Schlafzimmer ihrer Tochter und sah, nachdem in der Unterredung eine Pause eingetreten war, nachdenklich auf den König, welcher mit verschränkten Armen und gerunzelter Stirn sinnend am Fenster stand.

„Was grübelt mein König?“ fragte sie in ihrer eigenthümlich freimüthigen Weise. „Lassen die Sorgen sichselbst in Gesellschaft der Damen nicht ein Stündchen abschütteln?“

Frau Ellen hatte großen Einfluß auf Christian IV., welcher sie gern in seiner Nähe sah. Auch jetzt trat er zu ihr hin und sagte lächelnd: „Wäre ich Ellen Marsvin, so besäße ich vielleicht die Artigkeit, in liebenswürdiger Gesellschaft alle verdrießlichen Gedanken zu verjagen. Ich dachte eben daran, daß ich eigentlich übermorgen in Kopenhagen sein muß.“ Und um Frau Ellen’s weitere Fragen zu unterbrechen, fuhr er zu seiner Gemahlin gewandt fort: „In Holstein sieht es traurig aus. Tilly ist von seiner Wunde, die er vor Pinneberg erhielt, genesen und hat Elmshorn, Steinburg, Wilder und Rendsburg besetzt, und die beiden Besitzungen, die Du Dir zu eigen wünschtest, Haseldorf und Breitenburg, sind von Wallenstein genommen.“

„Waren sie so schlecht bewacht oder schlecht befestigt?“ fragte Ellen Marsvin.

„Breitenburg war schlecht befestigt und hielt sich dennoch sechs Tage lang gegen eine Macht von 10,000 Mann. Erinnerst Du den Major Dumbar, der in Wolfenbüttel mit verbundenem Kopfe ein zersprengtes Corps einführte? Der Brave lag dort mit vier Compagnien Schotten und einigen Deutschen. Als der Feind Bresche gemacht hatte und den Platz zur Uebergabe aufforderte, antwortete er: „So lange noch Blut in Dumbar’s Hirnschädel ist, liefert er das Haus nicht in Feindes Hand!“ Einige Stunden später ward er von einer Kugel zu Boden gestreckt. Die Officiere wollten nach dem Tode ihres braven Commandanten sich ebenso wenig ergeben und sind fast alle geblieben. Als der Feind endlich über die Gräben kam, schonte er nur Weiber und Kinder; alles übrige wurde niedergemacht, das Schloß geplündert und leider auch die reiche Bibliothek mit ihren vielen kostbaren Handschriften zerstört.“ *)( Sie soll größtentheils nach Hamburg gekommen sein., Anm. J.M.)

 „Habt Ihr diese Nachricht kürzlich erhalten?“ fragte Christine.

„Heute Morgen durch einen Officier aus Glückstadt. Die Festung hält sich tapfer.“

„O, der Krieg ist schrecklich!“ seufzte Christine. „Das ganze schöne Deutschland wird zu Grunde gehen; Ihr glaubt nicht, Mutter, welch ein Elend dort bereits herrscht.“

„Du urtheilst kurzsichtig, mein Kind,“ erwiderte Frau Ellen. „Deutschland geht durch den Krieg nicht zu Grunde. Das Volk ist in gewaltiger Gährung; aber wenn einst alles Unreine und Verdorrte ausgeschieden und niedergeschlagen ist, so wird es geläutert und kräftigen Geistes neu erstehen. Wir erleben dies nicht, aber solchen Gährungsproceß haben viele Nationen durchgemacht; manche ging dabei zu Grunde, aber Deutschland hält aus; das prophezeie ich, obgleich ich den Deutschen nicht hold bin.“

„Vor keinem Gewaltmittel zurückbeben, wenn es zu glorreichem Ziele führt, daran erkenne ich Euch, Frau Schwiegermutter,“ rief der König lächelnd. „An Euch hat die Welt einen Feldherrn verloren, Ellen.“ Nach diesen Worten versank er in neues Grübeln und verließ bald darauf das Zimmer.

„Jetzt sind wir allein“, begann Frau Ellen nach einer Weile, „jetzt sage mir, Kind, wonach ich Dich lange habe fragen wollen: was war es mit Anna Lykke?Wodurch hat sie sich die Ungnade des Königs zugezogen?“

„Das weiß ich nicht“, erwiderte Christine. Ich hoffte etwas von Euch darüber zu erfahren.“

„Ei, Du wirst doch wissen, auf welche Weise die Gouvernante Deiner Kinder aus Deinem Hause entlassen wurde?“

„Was ich weiß, will ich Euch sagen; doch ist es nicht viel. Ich war noch krank und schwach, meine kleinen Zwillingstöchter waren kaum vierzehn Tage alt, als Dorthe eines Morgens zu mir eintrat. An ihren fest zusammengekniffenen Lippen und dem unruhigen Hin- und Hertrippeln merkte ich, daß sie sich gewaltsam zu schweigen zwinge. Nun, was giebt’s? fragte ich. – Weiß Ew. Gnaden schon, daß Frau Lykke verreist ist? – Als ich verneinte und ihr befahl, sich deutlicher zu erklären, vernahm ich, daß man früh Morgens zwei Soldaten mit gezogener Waffe vor Anna Lykke’s Thür postirt habe und daß zwei Officiere in ihre Kammer gegangen seien. Als Dorthe hinein verlangte, wies man sie barsch zurück, doch sah sie durch den Thürspalt, daß Wiebeke drinnen war. Nach einer kleinen Stunde trat Anna Lykke tief verschleiert aus der Kammer und bestieg, von den Officieren begleitet, einen bereitgehaltenen, dichten Wagen und fuhr davon.“

„Fragtest Du denn Wiebeke nicht, wie sie zu Anna Lykke gekommen sei?“

„Allerdings. Sie hatte einen schriftlichen Befehl des Königs erhalten, sich zu der Lykke zu verfügen und bei ihr zu bleiben, bis sie abreise. Sie hatte ihr beim Ankleiden geholfen, hatte die nothwendigsten Kleider für sie gepackt, alles unter Aufsicht der Officiere, welche ihre Kisten und Schränke durchsuchten und alle Papiere und Briefschaften mit sich fortnahmen. Anna Lykke hatte kein Wort gesprochen, selbst dann nicht, als Wiebeke fragte, ob sie keinen Gruß, keinen Auftrag an mich habe.“

Seltsam, seltsam!“ flüsterte Frau Ellen kopfschüttelnd. Hast Du nie den König danach gefragt?“

„Gewiß. Aber er gerieth in Zorn und befahl mir, zu schweigen. Die Kinder wurden einige Tage später zu der Fürstin Nassau-Dietz geschickt.“

„Wart‘ einmal Kind, wer ist die Nassau-Dietz? Ich kann mich unter den vielen deutschen Fürstinnen nicht zurechtfinden.“

„Eine Tochter der Herzogin von Braunschweig, Schwestertochtar des Königs.“

„Ah, nun weiß ich. Ich war gerade in Kopenhagen, als es plötzlich hieß, Anna Lykke sei unter strenger Bewachung in Kronburg angekommen und werde dort in Haft gehalten. Alle fragten, was sie verbrochen – keiner wußte es. Der Kronprinz fuhr gleich nach Nyborg zu der verwittweten Königin. Diese schickte mehrere Couriere an den König ab, und man meint, daß auf ihre Fürsprache die Unglückliche in ein besseres Gefängniß geführt sei. Die Ursache ihrer Einkerkerung blieb allen ein Räthsel. Einige sagten, sie habe sich in die Politik gemischt und den König und den Kronprinzen zu entzweien gesucht; andere beschuldigten sie geheimen Einverständnisses mit dem Feinde; noch andere wußten, sie habeDich zu leichtfertigem Wandel zu verführen gesucht, um Dich zu stürzen und des Königs Gunst sich zuzuwenden,“ – hierbei ruhten Frau Ellen’s Augen forschend auf ihre Tochter, die sich entfärbte und wie ermüdet die Augen schloß.

„Vor dem Herrentage zu Kolding sollte sie ihr Verhör bestehen, doch bewirkte die Königin Sophie, daß sie ihrer Haft entlassen wurde. Sie hat übrigens immer noch Hausarrest und darf ihre Wohnung nur verlassen, um in die Kirche zu fahren.“

Christine enthielt sich jeder Bemerkung über diese Angelegenheit.

„Sehnst Du Dich nicht nach Deinen Töchtern?“ fragte die Mutter nach einer Weile.

„Sie sind ja bei der Fürstin gut aufgehoben,“ versetzte Frau Kirstin gelassen.

Die Erziehung der Kinder war ein Punct, m welchem Mutter und Tochter niemals übereinstimmten, weshalb Frau Ellen auch jetzt diese Frage nicht weiter erörterte, sondern das Gespräch auf andere Gegenstände lenkte.

——————-

Es war mittlerweile Winter geworden. Die kaiserlichen Truppen hatten bis nach Jütland hinauf Winterquartiere genommen. In Jütland hielten sie sich friedlich und hinderten Bürger und Bauern nicht, ihren Geschäften nachzugehen, ja sie förderten den Handelsverkehr durch Reisepässe und sicheres Geleit. In den Herzogthümern ging es weniger ruhig her. In Angeln griffen die Bauern nicht selten zu den Waffen, um die Fremden Sitte und Ordnung zu lehren, wobei hunderte der fremden Soldaten ums Leben kamen. Die Friesen an der Westküste nahmen den Kaiserlichen sogar ein paar mit Proviant und Kriegsbedarf befrachtete Schiffe, bemannten sie mit eigenen Seeleuten und kreuzten damit an der Küste, um dem Feinde fernere Zufuhr abzuschneiden, und es gelang ihnen wirklich, mehre Schiffe aus Bremen und Dünkirchen als Prise aufzubringen.

Im Hauptquartiere zu Dalum mangelte es nicht an Nachrichten aus den Herzogthümern. Man erfuhr, daß die Kaiserlichen sich an der Stör verschanzt hatten, aber von der Glückstädter Besatzung aus dieser Position vertrieben waren. Auch die Affaire bei Bramstedt kannte man, als die Glückstädter am Osterabend dicht vor dem Flecken ein paar kaiserliche Compagnien überfielen und ihnen kostbare Beute abgewannen.

Christian IV. hatte eine sehr natürliche Vorliebe für die von ihm angelegte Festung Glückstadt, weshalb die Nachrichten von den häufigen Ausfällen, womit die Besatzung den Feind unaufhörlich beunruhigte, ihm besondere Freude machten. Als man im Laufe des Sommers gar erfuhr, das Wallenstein der empfindlichen Verlüste wegen, die er während der Belagerung dieses Platzes erlitten, denselben aufzugeben beschloß, da jubelten die Dänen und glaubten Glückstadt für immer gerettet.

Keiner ahnte, daß diese Nachrichten einem armen jungen Frauenherzen schmerzliche Thränen verursachten. Wenn Wiebeke Kruse hörte man habe sich dicht vor Bramstedt geschlagen, so sagte sie sich, daß ihr heimathliches Dorf schwerlich verschont geblieben sei. Erzählte man Crempe sei so sehr von Nahrungsmitteln entblößt gewesen, daß man sich von Ratten genährt habe, bevor man dem Pappenheim die Thore öffnete, – da dachte sie, daß auch ihre Eltern durch übermäßig starke Einquartierung in Noth kommen könnten und daß die vorjährige Ernte gewiß längst aufgezehrt sei. Ihre lebhafte Phantasie malte diese Bilder mit starken Farben, und der Schmerz war desto herber, da sie ihn vor ihrer Umgebung verbarg.

Die Sorge um die Heimath war indessen nicht der alleinige Grund zu Wiebeke’s trüber Stimmung. Die Hauptsache war, daß sie sich weniger gut in ihrem Verhältniß zu ihrer Gebieterin gefiel. Ihr Dienst bei Frau Kirstin trug schon lange nicht mehr den Stempel abgöttischer Verehrung. Der Haushalt war trotz der Entfernung der ältesten Kinder nicht kleiner geworden; außer den in Stade geborenen Zwillingstöchtern war die Familie in Dalum noch um ein Töchterchen vergrößert. Aber alle Bekümmernisse, in der Politik wie in der Familie, alle körperlichen Leiden schienen an Christine Munk spurlos vorüberzugehen: sie war immer nur die schöne, alle bezaubernde Frau, ja, ihre Schönheit schien in Deutschland einen anderen Charakter angenommen zu haben; ihr Auge strahlte von einem Feuer, das man früher nie bei ihr wahrgenommen, ihre Rede athmete Wärme und Leidenschaft, und über ihr Antlitz, über ihr ganzes Wesen war ein Liebreiz ausgegossen, der alle Cavaliere zwang, ihr selbst vor den holden, in zarter Jugendblüthe prangenden dänischen Jungfrauen den Preis der Schönheit zuzusprechen.

In ihre früher so stille, friedliche Häuslichkeit schien indessen ein Geist gefahren, vor dem alle lichten, guten Hausgeister die Flucht ergriffen, und der, wie wir erwähnten, selbst über Wiebeke’s rundes, blühendes Antlitz einen Schatten tiefen Ernstes geworfen hatte.

Unter den Befehlshabern der Truppenkörper, die, vom Feinde nach Jütland hinauf verfolgt, sich nach Fühnen hinüber zum Könige begeben hatten und, seine nächste Umgebung bildend, täglich von ihm zur Tafel gezogen wurden, befand sich, außer dem Herzoge von Weimar, dem tapferen General Monroe, dem französischen General Montgomery und anderen ausgezeichneten Rittern und Edlen, auch der Rheingraf Ludwig Otto v. Solms. Der schöne, beredte Mann mit dem schwärmerischen, leicht entzündeten Herzen war ein gefährlicher Gesellschafter für Christine Munk, die schon längst die Wahrheit der Behauptung Anna Lykke’s erkannt hatte: daß ein Wort von gewissen Lippen, ein Blick aus gewissem Auge tiefere Bedeutung, größeren Werth haben könne, als die süßesten Schmeicheleien einer ganzen Schar von Verehrern. Der Graf war nicht blind für den Eindruck, den er auf Christine’s Herz gemacht hatte. Es schmeichelte ihm, ihr ein wärmeres Interesse eingeflößt zu haben, dessen sich bisher kein anderer rühmen konnte, und er scheute sich nicht ein Gefühl in ihr anzufachen, das eine Quelle von Unglück für sie werden mußte. Christine Munk überließ sich unbefangen dem bestrickenden Zauber seiner Unterhaltung. In seinen Huldigungen sah sie, in Erinnerung seiner eigenen Worte, den Ausdruck einer Liebe, wie Ernst von Braunschweig sie seiner unglücklichen Cousine geweiht und aller Welt zur Schau getragen hatte, ohne darüber getadelt worden zu sein. In den Hof kreisen fehlte es nicht an Spötteleien über das minnig liche Verhältniß. Der König war durch das über seine Länder und Unterthanen eingebrochene Kriegsunglück so tief bekümmert, daß er die Veränderung in dem Wesen seiner Gemahlin nicht beachtete. Er war schon im März nach Laaland aufgebrochen und hatte von dort aus seinen mit Erfolg gekrönten Zug nach Fehmarn unter nommen, wo er die kaiserlichen verjagt und danach seine Reise erst nach Kiel, dann nach Stade fortgesetzt hatte, welches er vergeblich zu entsetzen suchte. Bei seiner Rückkehr fiel ihm jedoch die ritterliche Dienstbeflissen heit des Rheingrafen als unstatthaft auf und er harrte einer passenden Gelegenheit, um den unbequemen Gast zu entfernen.

An einem Vormittage, bald nach der Heimkehr desKönigs, hatte der Rheingraf Frau Christine einen Blumenstrauß gebracht und ein Stündchen in traulichem Geplauder bei ihr verweilt. Christine Munk stickte Blumen von Silber und Gold auf ein rothes Seidenband und lauschte dabei der Rede, die warm und eindringlich von es Grafen Lippen floß. Worüber er sprach, wollen wir nicht ergründen, doch mußten seine Worte ihr tief zu Herzen gehen, denn sie ließ die Arbeit in den Schooß sinken und verdeckte mit der Linken die Augen, aus denen helle Tropfen hervorperlten. Draußen in der Gallerie hörte man rasche, feste Tritte, und gleich darauf wurde in der heftig aufgestoßenen Thür die große kräftige Gestalt des Königs sichtbar.

„Ei, ei, Herr Graf, das konnte ich freilich nicht denken, daß Ihr hier zu finden wäret“, sprach Christian IV., in dem ein gezwungenes Lächeln seine Lippen kräuste. „Der arme Wenzel hat überall nach Euch gesucht und suchenlassen, weil wir Euch einladen wollten, der Musterung der Truppen beizuwohnen, welche morgen mit Jörgen Wind nach Glückstadt abgehen sollen.“

„Mir ward heute früh ein Strauß seltener Blumen angeboten, und da Ihro Gnaden die Blumen liebt, glaubte ich dieselben nirgend besser aufgehoben, als in ihren schönen Händen, weshalb ich sie ihr darzubringen wagte,“sagte der Graf unbefangen.

„Aha!“ äußerte der König, den schönen Cavalier mit scharfem Blicke vom Scheitel bis zur Ferse messend.

„Jetzt aber will ich Ew. Gnaden nicht länger mit meiner Gegenwart lästig fallen,“ fuhr Graf Solms, die gereizte Stimmung des Königs unbeachtet lassend, fort, griff nach seinem Hute von veilchenblauem Sammet, an dem ein kostbarer Rubin die Aufmerksamkeit des Königs erregte, verbeugte sich tief vor dem hohen Paare und schritt stolz zur Thür hinaus.

Christian IV. folgte ihm mit den Augen und wandte sich darauf an seine Gemahlin:

„Wo sind Deine Hofjungfern?“

„Ich weiß es nicht; sie werden wohl gleich erscheinen“, antwortete Christine verlegen.

„Ich wünsche, daß Du fortan keinen Besuch von Cavalieren in meiner Abwesenheit annehmest,“ sprach der König weiter.

„Ihr fordertet mich in Deutschland selbst dazu auf, die Offiziere Eures Heeres artig zu empfangen, mein Gemahl,“ erinnerte Christine schüchtern.

„Wir sind aber jetzt nicht mehr in Deutschland, und auch dort sagte ich niemals, daß Du Deine Frauen bei solchen Besuchen fortschicken solltest. – Wo sind die Kinder?“

„Bei ihren Wärterinnen, wie ich vermuthe.“

„Und diese Vermuthung beruhigt Dich. Ich traf die Zwillinge mit ihren Mägden im Thorwege, wo heute der scharfe Nordost seinen Durchzug hält, und die Kleinste hörte ich im Vorbeigehen so jämmerlich weinen, daß ich hineinging. Ich fand Wiebeke, welche bemüht war, sie zu beschwichtigen, – die Mutter hatte anderes zu thun.“

Christine Munk nahm den Vorwurf schweigend hin, doch erhob sie sich nach einer Weile und verließ das Gemach. Der König ging mit verschränkten Armen und festen Schritten im Zimmer auf und nieder; seine Stirn legte sich in tiefe Falten, ein wiederholtes Zwicken der Augenwinkel verrieth einen inneren Sturm. Er gedachte des kostbaren Steines an dem Barette des Grafen, desgleichen er nur einen kannte, der in seinem eigenen Besitze war. Er griff nach der Stickerei seiner Gemahlin, auf welcher die künstlich verschlungenen Blumenranken ihm den Anfang einer Namenschiffre zu bilden schienen, – und in ihm stieg ein Verdacht auf, der schon früher einmal in ihm wach geworden, aber den sein großmüthiges Herz als entwürdigend sofort zurückstieß. Er verließ das Zimmer, wo ein so peinlicher Argwohn ihm die Brust beengte; doch hatte er dort einen Entschluß gefaßt, der schon in den nächsten Tagen zur Ausführung gebracht wurde: er sandte seine Familie nach Kopenhagen.

Bisher hatte niemand mehr durch die häufigen Besuche des Rheingrafen gelitten, als Wiebeke Kruse. Ihrer Verschwiegenheit gewiß, hatte der schöne Cavalier in ihrer Gegenwart seine Worte nicht ängstlich erwogen, und die Sprache seines glühenden Herzens hatte ihr oft das Blut in die Wangen getrieben. Sie allein hatte gesehen, mit welcher Sorgfalt Frau Kirstin die Blumen frisch zu erhalten suchte, die er zu bringen pflegte, mit welcher Inbrunst sie die langen, feingeschriebenen Briefe an sich preßte, die nicht des Königs Handschrift trugen. Ihr reines Herz sagte ihr, daß ihre Gebieterin einen gefährlichen, sträflichen Weg wandle, und sie hatte tausendfach die Abreise des Grafen herbeigewünscht. Daher betrieb sie die Vorbereitungen zu der nah bevorstehenden Abreise nach Kopenhagen mit frohem Herzen und wollte sich eben mit einbrechender Dämmerung in die Zimmer ihrer Herrin begeben, als sie den Rheingrafen vor sich erblickte, der ein zierlich gefaltetes Briefchen in ihre Hand schob.

„Seid gütig, Wiebeke, gebt Ihrer Gnaden dies Blättchen. Ich werde michdankbar bezeigenfür diesen Dienst,“ bat er freundlich.

Wiebeke öffnete die Finger und ließ das Papier achtlos zu Boden fallen. „Ich biete niemals meine Hand zu unrechtem Thun“, sprach sie streng. „Wenn Ihr meine Gebieterin werth haltet, Herr, so solltet Ihr sie nicht in Gefahr bringen.“

Der Graf sah sie betroffen an.

„Was giebt’s?“ fragte die aus Frau Kirstin’s Schlafgemach tretende Dorthe.

„Ich wünsche einen Brief an die Gräfin Munk überbracht zu haben…“

„Und die Hofjungfer weigert sich ihre Schuldigkeit zu thun,“ ergänzte Dorthe. „Ew. Gnaden muß sich mit solchen Aufträgen nicht an die Jungfer wenden, die viel zu fein ist, um ihre Dienstobliegenheiten jemals kennen zu lernen. Wo ist der Brief?“

Wiebeke bückte sich nicht, um denselben vom Boden aufzunehmen. Sie überließ es dem Grafen und ging davon, während dieser der Alten seine schriftlichen und mündlichen Grüße zur Besorgung anvertraute.

IX.

Es war Winter und auch wieder Frühling geworden, und das Unwetter, welches an dem Horizonte des königlichen Haushaltes aufgestiegen, schien glücklich abgewendet, Dank der Klugheit des Königs, welcher neue Hausgesetze geschrieben und durch sie die Tagesstunden seiner Gemahlin besser ausgefüllt hatte. Er hatte zunächst die ältesten Kinder aus Holland heimkommen lassen und befohlen, daß sie außer den Lehrstunden in der Nähe der Mutter blieben und während seiner Abwesenheit auch mit ihr gemeinschaftlich speisten. Auch den geselligen Umgang seiner Gemahlin hatte er in der Kopenhagener Damenwelt selbst gewählt und für ihre Beschäftigung und Zerstreuung gleich zärtlich gesorgt. Ihre Beziehungen zu dem deutschen Grafen hatte er für eine flüchtige Neigung angesehen und glaubte sie durch eine rechtzeitige Trennung von dieser sentimentalen Anwandlung völlig geheilt zu haben. So schien alles wieder im rechten Geleise fortzugehen, nur bei Wiebeke wollte der harmlose Frohsinn nicht wiederkehren. Es schmerzte sie in tiefster Seele, daß sie sehen mußte, wie der Heiligenschein, der in ihrer Phantasie die schöne Stirn ihrer Gebieterin geschmückt hatte, seinen Glanz verlor, und wie schmählich man den König hinterging, denn nur allzu gut kannte sie die Schriftzüge auf den zahlreichen Briefen, welche an die alte Dorthe abgeliefert wurden und untrügliche Vorboten einer frohen Aufregung bei Frau Kirstin waren.

Christine Munk hatte den Rheingrafen seit ihrer Abreise von Dalum nicht wieder gesehen. Er war dem Könige gefolgt, als dieser bald darauf nach Stralsund ging, welches durch Wallenstein belagert war. Dort war er mit seinen zwei Reiterregimentern ans Land gestiegen und von dem Könige von Dänemark geschieden. Im Laufe des Winters war er im Interesse der bedrängten Protestanten als Sendbote an den schwedischen Hof gegangen, und in derselben Eigenschaft erschien er im Februar 1629 in Kopenhagen, wo er um eine Privataudienz beim Könige nachsuchte und dieselbe erhielt. Christian IV. hatte zwar das rothe Band nicht vergessen, welches der Graf, als er sich in Stralsund von ihm verabschiedete, auf der Brust trug, – dasselbe Band, welches Frau Kirstins Hände in seiner Gegenwart mit Gold- und Silberblumen bestickt hatten; aber er war großmüthig und hatte die Aufwallung der warmen, jugendlichen Herzen, die er längst vergessen wähnte, nachsichtvoll verziehen. Als er daher den Grafen, nachdem dieser seine Botschaft ausgerichtet hatte, fragte, ob er der Gräfin Munk seine Aufwartung zu machen wünsche, und dieser angelegentlich bejahte, führte er ihn selbst in die Gemächer seiner Gemahlin, welche sie in Gesellschaft ihrer Mutter und Kinder antrafen.

Frau Ellen hatte den Grafen Solms schon auf Fühnen kennen gelernt und zum Ueberdruß die Hofgeschichten hören müssen, welche seinen Namen mit dem ihrer Tochter in Verbindung brachten, weshalb sie diese wiederholt zu größerer Vorsicht in ihrem Benehmen gegen den schönen Cavalier ermahnt hatte.

Sie richtete beim Eintritte des Grafen ihr Auge forschend auf Frau Christine, welche durch das unerhoffte Wiedersehen so tief ergriffen ward, daß ihre Erregung auch dem Könige nicht entging und einen Schatten wehmüthigen Ernstes über seine eben noch so freundlichen Züge warf. Als der Graf, nachdem er die Gemahlin des Königs begrüßt hatte, sich Frau Ellen in derselben Absicht näherte schnitt diese seine zierliche Anrede mit den Worten ab:

„Ei, ei, Herr Graf, was führt Euch denn noch einmal nach dem kleinen Dänemark zurück? Ich dächte, das arme Deutschland beschäftigte seine tapferen Söhne so vollauf, daß sie die Ferne darüber vergäßen!“

„Wer einmal so glücklich war, in den schwimmenden Gärten der Ostsee als Gast zu weilen, träumt sich oft dahin zurück, noch lieber aber betritt er sie in der Wirklichkeit wieder,“ antwortete der Graf.

Gereizt durch den bedeutsamen Blick, den der Graf bei diesen Worten auf Frau Kirstin richtete, fuhr Ellen Marsvin fort:

„Es giebt aber Fälle, wo es ehrenhafter ist, die Stätte, wo wir gern weilen, zu meiden.“

Der Rheingraf biß sich in die Lippen und verschluckte die Antwort, als Frau Ellen weiter fragte:

„Wie lange denkt der Herr Graf hier zu bleiben und wohin geht sein Weg von hier?“

„Die Zeit für meinen hiesigen Aufenthalt ist kurz gemessen, doch wird der Weg, den ich von hier aus einschlage, hoffentlich der Pfad zu meinem höchsten Erdenglücke sein. Ihr werdet vielleicht davon hören, edle Frau.“

Jetzt war die Reihe zu verstummen an Ellen Marsvin. Sie fühlte einen Stachel in den Worten des Deutschen und wandte sich ab, um zu Wiebeke zu gehen, die sich mit den Kindern in das äußere Zimmer zurückgezogen hatte.

„Der Rheingraf ist ein interessanter Herr und da er so kurze Zeit hier bleibt, könntest Du mich wohl benachrichtigen, wenn er Ihre Gnaden besucht, damit ich das Vergnügen seiner Unterhaltung theilen kann,“ sprach sie.

„Sehr gern,“ erwiderte Wiebeke, einen hellen freundlichen Blick auf Frau Ellen richtend; „da ich aber bei diesem Besuche zufällig abwesend sein könnte, und weil der Herr Graf nur kurze Zeit hier bleibt, solltet Ihr, gnädige Frau, um ihn nicht zu verfehlen, täglich zu Ihrer Gnaden herüberkommen.“

Ellen Marsvin merkte, das Wiebeke sie verstanden habe, und sagte, ihr die Wange streichelnd: „Du bist ein braves Kind. Wollte Gott, daß die Dorthe von Deiner Art wäre!“ Danach verließ sie mit einem Seufzer das Zimmer.

Der Rheingraf sah Christine Munk während seiner diesmaligen Anwesenheit niemals allein, und selbst als er nach der Abschiedaudienz bei dem Könige sich zu ihr begab, war Ellen Marsvin bei dem letzten Besuche anwesend. Kein Wort, kein Blick, keine Bewegung entging ihrem spähenden Auge, und als sich nach einem Viertelstündchen die Thür hinter dem stattlichen Cavalier schloß, sagte sie leise zu sich selbst: „Der reist so noch nicht fort……“

Dies Wort drängte sich ihr im Laufe des Tages noch mehrmals auf die Lippen, und als es Abend ward und nächtliche Dunkelheit die trüben, ängstlichen Gedanken nährte, da überfiel sie eine qualvolle Unruhe. War der Graf wirklich abgereist? War der König, wie er beabsichtigt hatte, nach Friedrichsburg gefahren? Wie trug Christine die Trennung nach dem flüchtigen Wiedersehen, – warsie allein? – so jagten sich die Gedanken in ihrem lebhaft erregten Innern. Bald stieß sie das Fenster auf und lauschte in die Nacht hinaus, bald ging sie mit raschen Schritten in ihrem Zimmer auf und nieder, bis sie plötzlich einen raschen Entschluß faßte und, sich in ihren Mantel hüllend, allein von dem Flügel, in dem die von ihr bewohnten Zimmer lagen, durch lange Corridore und Treppen der Wohnung ihrer Tochter zuschritt. Sie wollte sie sehen oder doch der treuen Wiebeke einen Wink geben, über sie zu wachen.

Sie fand die Vorzimmer leer und näherte sich dem inneren Cabinette, aus dem ein schwacher Lichtschein hervordrang. Schon wollte sie die schweren Thürvorhänge zurückschlagen, als eine wohlbekannte Stimme ihr Ohr traf, die ihre Schritte an die Schwelle bannte.

„Geht, geht um des Himmels willen! Ich darf Euch nicht anhören!“ ließ sich Christine Munk’s Stimme vernehmen.

„Sprecht nicht so, Christine,“ erwiderte der Rheingraf. „Ihr liebt weder Euren Gemahl, noch dessen Kinder, die doch auch die Euren sind, das habe ich längst errathen. Was fesselt Euch denn hier! Das Gerede der Welt verhallt im Strome der Zeit; ein Entschluß, ein Wort von Euch legt den Grund zu Eurem und meinem Glücke. Der Wind ist günstig, mit Tagesanbruch lichtet das Schiff, welches uns nach Schweden führt, die Anker; von Schweden aus gehen wir nach Deutschland – und die ganze Welt, der Himmel ist unser!“

Christine hatte sich der Liebe, welche bei so gereiften Jahren zum ersten Male sich ihres ganzen Seins bemächtigte, hingegeben, ohne jemals zu fragen, ob sie nicht Unrecht an ihrem Gemahl begehe, und erst jetzt, wo der Geliebte sie aufforderte, mit ihm einem Glücke entgegenzueilen, so süß, wie sie es nie zu träumen gewagt, erst jetzt fühlte sie die Sündhaftigkeit ihrer Neigung, und nie zuvor hatte das treue, liebevolle Antlitz ihres königlichen Gemahls ihr so klar vor Augen gestanden.

„Graf,“ sprach sie mit fester Stimme, „daß ich Euch nicht folgen darf, werdet Ihr bei ruhigem Gemüthe selbst einsehen, denn Ihr seid welterfahrener, als ich. Macht mir darum den Kampf nicht schwer, schützt mich vor mir selbst. Verlaßt mich und ich werde Eurer stets in Liebe gedenken!“

„In schönen Worten giebt sich die Versicherung heißer Liebe allerdings leichter als durch muthvolle That,“ rief der Graf bitter. „Christine, ist es möglich, daß Du in dem Ausdrucke meiner Liebe nichts sahst als die gewöhnliche Huldigung, die man schönen Frauen zu zollen pflegt; war Dein Gefühl kein anderes, als laue Befriedigung weiblicher Eitelkeit: – so verzeihe Dir Gott das Spiel, das Du mit mir getrieben, denn er allein weiß außer Dir und mir, wie schwer Du an der Liebe, die göttlichen Ursprunges ist, gesündigt hast!“

„Nein, bei Gott, Ludwig, ich liebe Dich wahrhaft und treu,“ schluchzte Christine. Gern entsagte ich allem Glanze, allen Ehren, um nur für Dich zu leben, und müßte ich Noth und Armuth mit Dir theilen, wenn ich nicht meinem gütigen Gemahle so schweres Unrecht damit zufügte. Gönne mir Zeit. Ich schicke morgen die Dorthe zu Dir und lasse Dir sagen, zu welcher Stunde Du wiederkommen darfst. Bisher habe ich gedankenlos gehandelt, aber den Schritt, der über mein Lebensglück entscheidet, will ich zum wenigsten nicht unüberlegt thun.“

Ellen Marsvin hatte der Unterredung mit verhaltenem Athem gelauscht. Sie bebte vor der Gefahr, in die ihre Tochter sich stürzte; doch erkannte ihr kluger Sinn, daß mit dem verlangten Aufschub alles gewonnen sei, und ein schwerer Seufzer erleichterte ihr Herz. Derselbe verhallte indessen nicht ungehört. Drinnen erhoben beide horchend den Kopf.

„Wir sind nicht allein,“ flüsterte Christine. „Wie konnte ich Unglückliche nur vergessen, daß hier Wände und Thüren Ohren haben. Geh‘, ich beschwöre Dich, Ludwig, geh‘!“

Als der Graf zögerte, ihre Bitte zu gewähren, kam Frau Ellen ihrer Tochter mit einem absichtlichen Geräusche an den Thürvorhängen zu Hülfe, worauf er durch eine verborgene Thür verschwand und von der alten Dorthe in’s Freie geführt wurde.

Mit bekümmertem Herzen kehrte Ellen Marsvin in ihre Gemächer zurück, entschlossen, ihrer Tochter am nächsten Morgen das Gefahrvolle ihrer Lage vorzustellen und sie auf den Weg des Rechten zurückzuführen.

Als der König am folgenden Morgen von Friedrichsburg zurückkam und mit seinem treuen Freunde Wenzel Rothkirch auf dem Schloßhof stand, kam der kleine Christian Waldemar vergnügt die Treppe herabgesprungen.

„Geh‘ hinauf zu Deiner Mutter und sage ihr, es sei ein wahrer Frühlingstag heute, ich erwarte sie zu einem Spaziergange.

„Die Mama hat mich gerade fortgeschickt. Ich darf nicht hinein,“ antwortete der Kleine.

„Warst Du vielleicht unartig?“

„Nein, sie zankt mit der Großmama, und die weint,“ berichtete der Knabe.

Die Herren lächelten.

„Geh‘ dennoch hinauf. und bitte die Mama, herunterzukommen,“ befahl der König.

Ellen Marsvin war wirklich mit Tagesanbruch zu ihrer Tochter gegangen und hatte ihr den Abgrund,an dem sie stand, mit grellen Farben gezeichnet. Sie hatte ihr bewiesen, daß der Schritt, zu welchem der leichtsinnige Fremde sie verleiten wollte, Schmach über das Land, über den König und ihre Kinder bringen, aber keineswegs zu ihrem eigenen Glücke führen werden, da Pflichtverletzung und Treubruch an ihm hafteten.

Wohl fühlte Christine die Wahrheit der Worte ihrer Mutter, aber sie fand sich durch dieselben gedemüthigt, und, gereizt, daß ihre geheime Unterredung mit dem Freunde nicht ohne Zeugen gewesen sei, hatte sie der Mutter schroff geantwortet, daß sie alt genug sei, um ihre Handlungen selbst zu beurtheilen. Die Botschaft des Königs begrüßte sie daher als ein willkommenes Mittel die Unterredung zu unterbrechen und beeilte sich dem Befehle nachzukommen.

Als Wenzel Rothkirch das hohe Paar verlassen hatte und dieses von dem Schlosse nach dem Zeughause hinüberging, fragte der König: „Warum weinte Deine Mutter? *)( Dieses Gespräch, sowie alles, was sich auf den Rheingrafen bezieht, ist historisch., Anm. J.M.)

„Die Mutter ist thöricht,“ antwortete Christine. „Du weißt, daß sie, Wiebeke ausgenommen, keine Deutschen leiden kann. Bin ich freundlich gegen die deutschen Officiere, so geräth sie außer sich, und auf den Rheingrafen hat sie vollends ihren Haß geworfen, obgleich er ihr keine Veranlassung zu Mißvergnügen giebt.“

„Das muß anders zusammenhängen,“ entgegnete der König. „Hüte Dich, Frau, die Thränen der Eltern rächen sich an den Kindern, und man sah niemals, daß es denen, die ihre Eltern betrübten, lange wohl ging.“

„Warum meine Mutter ausnahmsweise an der Wiebeke Gefallen findet, ist mir auch ein Räthsel,“ begann Frau Kirstin wieder. „Sie hat sich sehr zu ihrem Nachtheile verändert, und die alte Dorthe behauptet, daß sie allein Schuld daran ist, daß die Mädchen sich jetzt so häufig widerspenstig zeigen und sich meinen Befehlen widersetzen.“

„Die Dorthe sollte ihre Zunge hüten und nicht Unschuldige verleumden,“ sprach der König. Wenn die Mägde nicht thun was Du befiehlst, so verlangst Du wahrscheinlich Sachen, die meinem Befehle widersprechen. Du hast während meiner Abwesenheit mehre Paragraphen der Hausordnung umgestoßen getrachtet, wodurch der regelmäßige Gang der übrigen bedroht wurde, und da ist es nicht die Hofjungfer Wiebeke, sondern der Kronprinz Christian, welcher den Mägden befohlen hat nichts zu thun, was meinen ausdrücklichen Geboten zuwider ist.“

Christine erblaßte. Daß ihre Schritte so bewacht seien, hatte sie niemals geahnt. Eine bis dahin ungekannte Bitterkeit, ein eisiger Hauch berührte ihr Herz, und von stundan ging eine Veränderung in ihr vor, die nicht ohne Bedeutung für ihre späteren Lebensschicksale blieb.

Der Vorwurf aus dem Munde des Königs, von welchem Christine Munk sich schwer getroffen fühlte, war bei ihm nur der milde Ausdruck eines herben Kummers gewesen, der seit lange an seinem liebreichen und liebbedürftigen Herzen zehrte. Gleichwie er für die Dauer seines oftmaligen Aufenthaltes bei der Armee den Kronprinzen mit der Leitung der Regierungsgeschäfte betraut hatte, so empfahl er auch Frau Kirstins Haushalt seiner Aufsicht und seinem Schutze. Prinz Christian besaß viele liebens- und schätzenswerthe Eigenschaften, die ihn zum Lieblinge des Volkes gemacht hatten. Er war der Gemahlin seines Vaters herzlich zugethan gewesen, obschon sie ihm weder als Gattin, Mutter, noch Hausfrau die Achtung einflößte, die ihr in ihm einen schätzbaren Freund und Vertheidiger gesichert hätte. Die Unordnungen in Christine’s Haushalt, die Nichtachtung des königlichen Willens und viele andere Dinge konnten dem wachsamen Auge des Prinzen nicht verborgen bleiben. Friede und Freude waren aus der Umgebung dieser Frau gewichen. Seitdem der Rheingraf, der sie noch mehrmals heimlich besucht hatte, im Zorne von ihr geschieden war, fühlte sie sich unsäglich unglücklich. Statt in freudigem Stolze über den über das eigene Ich errungenen Sieg ihr Herz fortan ihrer blühenden Kinderschar zuzuwenden, sah sie in ihnen nur ein Hinderniß ihres Glückes, betrachtete sie sich nur als Märtyrerin ihrer Liebe. Und seitdem sie erfahren, daß ihre Schritte und Handlungen überwacht seien, war der letzte glimmende Funke von Zuneigung zu ihrem Gemahle erloschen, sah sie in allen Dienern nur von dem Könige besoldete Spione. Unzufrieden mit ihren Verhältnissen und mit ihrer Umgebung, bereitete sie letzterer täglich Verdruß und mußte auf die oftmals ungerechten Vorwürfe achtungswidrige Antworten der Mägde anhören, die dann zu neuen Zornausbrüchen Anlaß gaben.

Obgleich der Prinz zu vernünftig und edel war, um dem Könige alle diese kleinlichen Mißhelligkeiten zu hinterbringen, so erfuhr derselbe doch von dem Rentmeister, daß seine Gemahlin wiederholt beträchtliche Summen zur Kleidung für die Fräulein erhalten habe, obschon dieselben nicht einmal ordentlich, viel weniger standesgemäß gekleidet gingen; hörte er doch von anderer Seite, daß die Töchter sich meistens bei den Jungfern und Mägden aufhielten, mit ihnen an einem Tische äßen, während Frau Kirstin mit ihren Freundinnen tafelte; aller anderen Nachrichten nicht zu gedenken, die das Herz des Königs mit Schmerz und Bitterkeit füllten.

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Mehre Wochen waren seit der Abreise des Grafen Solms verstrichen, als der König eines Tages eilfertig bei seiner Gemahlin eintrat mit der Frage: „Wo hast Du die Spitzenkragen, die ich in Deutschland kaufte und Dir in Verwahrung gab?“

„Sie werden mit der feinen Wäsche in dem Behältnisse liegen, welches Ihr mir in Wolfenbüttel einhändigtet,“ antwortete Christine Munk gelassen.

„Ich wünsche sie zu haben.“

„Jetzt?“

„Gleich, in diesem Augenblicke,“ rief der König ungeduldig, und nun erst gewahrte Christine an dem Zwicken der Augen, daß bei ihrem Gemahle ein Sturm im Anzuge sei.

Sie erhob sich, um die Dorthe zu rufen, und wiederholte vor derselben den Befehl des Königs.

„Ew. Gnaden wolle gefälligst erinnern, daß ich mit dem Gepäcke nichts zu thun hatte, darüber kann Wiebeke allein Auskunft geben,“ erklärte die Alte.

„So schicke die Wiebeke zu mir.“

„Wo ist der Kasten mit der feinen Wäsche des Königs, den ich in Stade Deiner Obhut anvertraute?“ fragte Christine die eintretende Hofjungfer.

Wiebeke Kruse richtete einen langen vorwurfsvollen Blick auf die Gräfin Munk, ohne zu antworten.

„Weißt Du nicht, daß Du Deiner Herrin Antwort schuldig bist?“ rief der König, heftig mit dem Fuße stampfend.

Wiebeke verneigte sich mit bejahender Geberde, doch ohne zu antworten. In Christine’s Herz erwachte ein Funken früheren Wohlwollens, denn sie wußte, daß das junge Mädchen ihr zu Liebe schwieg.

„Denk‘ einmal nach, Wiebe,“ sprach sie, „befand sich nicht dieser Kasten bei dem Gepäcke, welches auf der Reise von Büsum nach Flensburg verloren ging?“

„Nein, Ew. Gnaden,“ antwortete Wiebeke leise, aber fest. Christine merkte, daß Wiebeke sie nicht verstehen wollte, und der Unwille gegen die Holsteinerin, den Dorthe endlich in ihr Herz zu pflanzen gewußt hatte, regte sich von neuem.

„Wenn Du das so bestimmt behauptest, mußt Du auch wissen, wo er geblieben ist.“

Wiebeke schwieg.

„Ruf‘ die anderen Mägde!“ befahl der König, seinen Zorn mit Mühe bemeisternd.

Als die Gerufenen eintraten, fragte er selbst: „Wer von Euch kann mir sagen, wo sich der kleine, mit Messing beschlagene Reisekoffer befindet, den Ihr unter Frau Kirstin’s Reisegepäck gesehen haben müßt?“

„Wo derselbe jetzt ist, weiß ich nicht,“ begann eine der Mägde. „Ich sah ihn zuletzt in Dalum, als ich ihn eines Tages zu Ihro Gnaden hineintragen mußte, welche ihn auszupacken begann, als ich aus der Stube ging.“

„Ihro Gnaden wird erinnern, daß ich den Inhalt in die Schränke legen mußte,“ fiel die andere Magd ein. „Ich bewunderte die kostbaren Spitzenkragen, von denen der Rheingraf Tags darauf einen trug.“

Der König wandte sich ab, Christine Munk war kaum ihrer Sinne mächtig.

„Freche Dirnen, schamlose Lügnerinnen!“ rief sie außer sich. „Fort aus meinen Augen, fort aus meinem Dienste! Se. Majestät erfährt jetzt, mit welchem Gesindel ich mich habe abplagen müssen. Geht!“ herrschte sie, als die Mädchen, wie von Schreck gelähmt, stehen blieben und erst als der König sich umwandte und gebieterisch auf die Thür zeigte, verließen sie schluchzend das Zimmer.

Wiebeke allein war zurückgeblieben. Aus ihren sonst so frischen Wangen war alle Farbe gewichen. Stumm und starr ob des Geschehenen vergaß sie sich zurückzuziehen, als der König mit der Frage vor sie hintrat: „Haben die Mägde die Wahrheit gesprochen?“

Wiebeke senkte schweigend die Augen.

„Da seht Ihr, wie hartnäckig sie ist,“ rief Frau Kirstin dazwischen. Allein sie brauchte den König nicht mehr zum Zorn zu reizen, seine Geduld war lange zu Ende, und er schüttelte kraftvoll Wiebeke’s Arm, indem er rief: „Mädchen, vergißt Du, daß Du vor Deinem Könige stehst und daß er Dich strafen kann, wenn Du ihm ungehorsam bist?“

Da kehrte Wiebeke die Besinnung zurück. Weinend stürzte sie in die Knie und bat, die Augen flehend zum Könige erhebend: „Gnade, Majestät, zwingt mich nicht zu einer Antwort, die Ihr nimmermehr vergessen, nimmer verschmerzen würdet!“

„Hört Ihr, sie bittet um Gnade; um Gnade bittet nur, wer sich schuldig fühlt,“ rief Christine Munk.

„Sprich Kind und gestehe, wenn Du in Deinen Dienstobliegenheiten gefehlt hast. Es soll Dir verziehen werden“, sagte der König mit milderem Tone.

Als Wiebeke trotzdem in Schweigen verharrte, fuhr er fort: „So gehe denselben Weg, den eben Deine Genossinnen gingen. Daß ich mich auch in Dir, dem anscheinend so kernbraven Mädchen, getäuscht sehen muß, schmerzt mich. Derartige Erfahrungen machen mich nicht milder gegen meine Unterthanen. Geh‘, Trotzkopf, erzähle daheim, daß Dein König Dich in Ungnade fortgejagt hat!“

Das war zu viel für Wiebeke. Kaum traute sie ihren Ohren; doch belehrte sie ein Blick auf den König und dessen Gemahlin, daß sie von ihnen nichts mehr zu hoffen habe. Sie verneigte sich tief, Thränen entquollen ihren Augen, und sie flüchtete sich verzweiflungsvoll in ihre Kammer.

König Christian ging mit verschränkten Armen auf und nieder. Der Sturm in ihm war noch keineswegs beschwichtigt, ersuchte vielmehrihn gewaltsam zu bekämpfen. Endlich näherte er sich seiner Gemahlin und sprach, sie mit vorwurfsvollem Blicke betrachtend: „Christine, ich habe lange geduldet und geschwiegen, hoffend, Du werdest von der Verirrung Deines Herzens zurückkommen, ohne daß die Welt Zeuge derselben werde. Daß Dein Betragen so thöricht, so offenbar war, daß Deine Mägde sich erdreisten, Dich an die schmachvollen Einzelheiten zu erinnern, das beschimpft nicht allein Dich, sondern auch mich und mein königliches Haus“.

Wiederum ging er einige Male im Zimmer hin und her und fuhr dann, nicht ohne sichtliche Anstrengung, fort: „Ich fragte Dich nach den Spitzen und gedenke dabei der Kleinodien und des Silbergeräthes, welches ich einst Deiner treuen Obhut anvertraute. Willst Du mir gefälligst sagen, wo sich dasselbe befindet?“

„In jenem Schranke,“ flüsterte Christine.

„Habe die Güte ihn zu öffnen.“

Christine ging mit schwankenden Schritten nach dem Schranke und öffnete ihn mit einem Schlüssel, den sie nebst anderen an einem Ringe trug.

Christian IV. verglich die einzelnen Gegenstände mit der vorhandenen Liste und sagte: „Hier fehlen verschiedene Sachen.“

„Ich hoffe, daß Ew. Majestät nicht mich für das Fehlende zur Rechenschaft ziehen wird,“ erwiderte Christine. „Bei dem unstäten Leben, welches wir seit den letzten Jahren führten, kommt manches abhanden, unredliche Dienstboten kann niemand überwachen, und Ihr hattet eben selbst Gelegenheit zu sehen, mit welchem Gesindel ich umgeben gewesen bin.“

„Christine!“ rief Christian IV. streng, „ich hätte aus Deinem Munde eine Fürsprache für die armen Geschöpfe erwartet, die ich im Zorn, vielleicht in ungerechtem Zorn aus dem Dienste jagte und für welche niemand ein gutes Wort einlegen wird, nachdem meine Ungnade sie getroffen. Statt dessen bist Du grausam genug, ihnen eine Anklage nachzuschleudern, die sogar ihre unbescholtene Ehre antastet – das ist herzlos!“

Nach einer Pause fuhr er, unter verschiedenen kostbaren Steinen suchend, fort:

„Ich vermisse den schönen Rubin, der an dem Hosenbandorden saß, welchen Carl Morgan mir in Stade vom Könige von England überbrachte. Er war so selten schön, daß ich nur einmal seinesgleichen sah, nämlich an dem Federhute des Rheingrafen. Hast Du dies niemals bemerkt?“

Christine Munk schüttelte verneinend das Haupt.

„Sonderbar! Ihr Frauen pflegt doch sonst ein scharfes Auge für solche Dinge zu haben. Sahst Du denn auch nicht, daß der Knopf, der den Kragen des Grafen zierte, jenen Kragen, der den von mir gekauften so ähnlich war, eine orientalische Perle umfaßte, die an Größe und Reinheit der meinigen glich, die ich hier vergeblich suche?“

Christine war unfähig, zu antworten.

„Als ich diese Werthsachen in Deine Hände legte, geschah es, um Dir, falls ich plötzlich sterben sollte, ein Capital zu hinterlassen, welches Dir die Sorge für die Erziehung Deiner Kinder erleichtern sollte. Daß Du schon bei meinen Lebzeiten darüber verfügen würdest, fiel mir freilich nicht ein.“

Wieder schwieg der König einige Secunden und fuhr dann weich, fast wehmüthig fort:

„Fünfzehn Jahre lang habe ich Dich treu und warm geliebt, habe Dir für manche schöne Stunde zu danken, habe Deiner menschlichen Schwäche gern verziehen, – aber mit einer pflichtvergessenen und obendrein unwahren, herzlosen Frau vermag ich künftig nicht zu leben. Du wirst fortan Muße haben, über Deine Vergangenheit nachzudenken, und wirst Dir täglich gestehen müssen, daß ich Dich treu und zärtlich im Herzen getragen und daß Du das Band, das uns vereinigte, gewaltsam zerrissen hast!“

Christine Munk war vernichtet auf einen Stuhl gesunken. Das Antlitz mit beiden Händen bedeckend, gewahrte sie nicht den langen, schmerzvollen Blick ihres Gemahls, nicht die Thräne, die in seinen Wimpern zitterte, bevor er die Thür leise hinter sich schloß.

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Es ist eine alte, oft bewährte Erfahrung, daß in der materiellen, wie in der moralischen Welt geringfügige Kleinigkeiten Anlaß zu großartigen Katastrophen geben können. Der oben beschriebene Auftritt bei Christine Munk war durch ein Zerwürfniß zwischen dem Kammerdiener des Königs und der alten Dorthe herbeigeführt worden. Um sich an ihr zu rächen, hatte er den König beim Ankleiden an die schönen deutschen Spitzen erinnert, mit dem Bemerken, daß der Rheingraf eben solche trage, und erst als die Magd ihrer Gebieterin die beschämende Wahrheit sagte, dachte der König auch des Edelsteines, welcher einst seine Aufmerksamkeit und seinen flüchtigen Argwohn geweckt hatte.

Nach einer schlaflosen Nacht erhob sich der König, seiner Gewohnheit nach, zu früher Stunde von seinem Lager und machte um die qualvollen Gedanken abzuschütteln, einen Ritt ins Freie. Mit anbrechendem Tage kehrte er heim und ging eben über den Schloßhof, als er in der Morgendämmerung Frau Ellen Marsvin erkannte, welche eilfertigen Schrittes ihm entgegenkam.

„Was tausend Donnerwetter bringt Euch so früh aus den Federn?“ fragte der König. *)(Dies Gespräch ist, wie noch einige andere nach den eigenhändigen Aufzeichnungen des Königs wiedergegeben., Anm. J.M.)

„Ich wünschte mit Ew. Majestät allein zu sprechen,“ antwortete Frau Ellen.

„Das kann geschehen, hier hört uns niemand,“ versetzte der König.

Als sie darauf im Provianthofe auf- und niedergingen, begann Frau Ellen: „Ew. Majestät hat gestern die deutschen Mägde fortgejagt, und es ziemt mir nicht, zu beurtheilen, ob es recht war, sie so hart zu strafen, weil sie der Wahrheit gemäß die Frage beantworteten, welche Ew. Majestät an sie richtete, besonders da die Hofjungfer auffälligerweise dieselbe Strafe erlitt, weil sie diese Antwort nicht geben wollte.“

Als der König schwieg, fuhr sie fort: „Eine zweite Hofjungfer, wie Wiebeke, bekommt Christine niemals wieder. Wiebeke hat in der letzten Zeit viel von den Launen ihrer Herrin zu leiden gehabt, ohne sich jemals darüber zu beklagen. Sie hat vielmehr treu über sie gewacht, hat ihr treu gedient und ist in jeder Hinsicht ein braves Mädchen, ohne Lug und ohne Falsch. Jetzt sitzt sie in ihrer Kammer und stützt verzweifelt den Kopf, weil sie nicht weiß, wo sie ein Unterkommen suchen soll. Will Ew. Majestät gnädigst erlauben, daß ich sie mit mir nehme?“

„Warum nicht?“ versetzte der König. „Das Mädchen ist frei, hier kann es nicht bleiben und ich kann ihm keinen Dienst suchen.“

Frau Ellen dankte und entfernte sich.

König Christian war mit Frau Ellen’s Vorschlage zufrieden. Er hatte seit gestern mehrmals an Wiebeke’s alten Vater denken müssen, der ihm das Wohl seiner Tochter so dringend ans Herz gelegt hatte. Daß sie an den Unordnungen in seinem Hause Schuld sei, hatte er nie geglaubt, allein ihr hartnäckiges Schweigen hatte ihn gereizt und zu dem harten Spruche verleitet, den er bereute, aber nicht zurücknehmen konnte.

„Ich muß fort von hier!“ sprach er halblaut vor sich hin. „Es geht mir bald wie den alten Vikingen, die nicht unter rußigem Dache schlafen konnten. Draußen bei meinen tapferen Soldaten, oder wenn ich den frischen Seewind über meine Wangen streicheln lasse, wird das kranke Herz schon gesunden!“ Darauf rüstete Christian IV. zu einem neuen Unternehmen wider den noch immer in seinen Ländern hausenden Feind.

X.

Die Elbherzogthümer und das dänische Festland seufzten unter dem eisernen Drucke der Kriegslasten. Bürger und Bauern waren nicht mehr Herr in ihrem Hause, wo mit ihrem Eigenthum fremde Soldaten nach Belieben schalteten. Wohin man sah: rohe Gewaltthätigkeiten, Thränen, Klagen und Jammer aller Art, wozu in einigen Ortschaften obendrein der Mangel an Lebensmitteln fühlbar zu werden begann. Der strenge, finstere Winter war ein passender Rahmen zu diesen Schreckensbildern gewesen; aber nach ihm kam, mit der ganzen Sorglosigkeit der Jugend, der Frühling ins Land. Was kümmerten ihn die zerstampfte Wintersaat, die unbestellt gebliebenen Felder? Auf dem unbesäeten Acker zauberte er Blumen in allen Farben hervor, in die Dornen streute er hellrothe Rosen, ermahnte die Sänger in Bäumen und Hecken zu munterem Gesange und versuchte selbst in die gramerfüllten Gemüther neuen Muth zu lächeln. Wo ist ein Menschenherz so tief gebeugt, daß es dem sonnigen Strahle der Hoffnung unzugänglich wäre! Der Lenz kam vom Süden her ins Land; vom Süden kamen auch die auftauchenden Gerüchte, daß der Kaiser nicht abgeneigt sei mit dem Dänenkönige Frieden zu schließen, wenn dieser sich den gestellten Bedingungen unterwerfen wolle.

Auf den dänischen Inseln grünten und blühten Wald und Flur wie in glücklicher Friedenszeit. In den warmgelegenen Gärten des adligen Gutes Kjaerstrup auf Fühnen hatte der Mai einen Blumenflor entfaltet, den sonst erst der Juni zu bringen pflegte. In den grünen Laubgängen dieses Gartens lustwandelte, in tiefes Sinnen versenkt, eine junge Dame, als am Ende des Steiges ein spanischer Fliederstrauch ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie bog die Blüthenzweige herab und sog begierig den würzigen Duft derselben ein. Auch diese Blumen schienen mit ihren Gedanken in Verbindung zu stehen oder ferne Erinnerungen wachzurufen, denn ihre Blicke hafteten unverwandt auf den blauen Blumensternen, bis sie durch aufquellende Thränen verdunkelt wurden.

Es war Wiebeke Kruse, die wir hier in modischem Kleide als Dame wiederfinden. Frau Ellen hatte vollendet, was ihre Tochter einst begonnen, indem sie Wiebeke als ihre Gesellschafterin in ihr Haus eingeführt, und Wiebeke machte ihrer neuen Stellung Ehre. Der gediegene Kern ihres biederen festen Charakters hatte ihrem äußeren Wesen von je her das Gepräge ruhigen Selbstbewußtseins verliehen. In den vier Jahren, die sie bei der Gräfin Munk verlebt, hatte sie den äußeren Schliff angenommen, so daß ihr tactvolles anspruchsloses Benehmen keinen Verstoß gegen die Sitten der vornehmen Welt machte. Ihre äußere Erscheinung hatte durch diese Umwandlung nicht gewonnen. Ihr Gesicht war vielleicht zu voll und rosig, um auf Schönheit Anspruch machen zu können. Schlug sie aber die klaren, nußbraunen Augen auf, so wurde man durch den Blick so wunderbar gefesselt, daß man die unschönen Züge gar nicht bemerkte. Wer sie beschreiben wollte, wußte sich nur des strahlenden, sprechenden Augenpaares zu erinnern, und vergaß, was ihr sonst an Schönheit mangelte.

Seitdem Wiebeke Kruse sich unter Frau Ellen’s Schutze befand, waren ihre Gedanken oftmals in die Heimath geflogen. Sie sagte sich, daß ihr Vater mit ihrer jetzigen Stellung nicht einverstanden sein würde; sie fühlte sich selbst nicht befriedigt, obgleich die neue Lebensweise ihr sehr wohl zusagte. Frau Ellen, die sich an jenem Unglückstage, der sie von der Gräfin Munk trennte, wie ein rettender Engel ihrer angenommen hatte, schien sich ihrer Gesellschaft so zu freuen, daß Wiebeke nicht den Muth hatte, zu erklären, daß sie einen Wirkungskreis wünsche, der ihren Tag nützlicher ausfülle.

Ellen Marsvin war eine reiche angesehene Frau, die, wie bereits früher erwähnt wurde, die Verwaltung ihrer in Fühnen und Jütland belegenen Güter selbst leitete und schon deshalb zu rastloser Thätigkeit genöthigt war. Der Tag verging ihr mit Audienzen an Inspectoren, Pächter, Gärtner, Waldhüter, Haushälterinnen, Meierinnen u.s.w., mit Promenaden in Wälder, Aecker und Wiesen, in die Kornspeicher, Viehställe und Milchkeller; denn keine Veränderung, keine Verbesserung durfte vorgenommen werden, ohne ihr gemeldet und von ihr sanctionirt worden zu sein. Lieferungen von Naturalien an die Krone, Geldgeschäfte, Viehhandel in großartigem Maßstabe machten ihren Namen in der Geschäftswelt bekannt und berühmt, und dieser Sinn für haushälterische Interessen, verbunden mit ihrer bei Frauen seltenen Geschäftsklugheit und Energie, waren es, welche ihr die Achtung und Freundschaft des Königs gewonnen hatten. Wenn nun Christian IV. die Mutter seiner Gemahlin werth hielt, so erwiderte sie diese Zuneigung mit der innigsten Verehrung seiner Person, mit der wärmsten Bewunderung seines so vielseitig und reich begabten Geistes, seines liebevollen Herzens, und niemals konnte sie ihrer Tochter verzeihen, daß sie dem Manne, der mit Nichtachtung aller Standesvorurtheile sie über alle Frauen des Landes emporgehoben und auf den ehrenvollen Platz an seiner Seite gesetzt, nunmehr so übel vergolten habe.

Ellen Marsvin war in ihrem Arbeitszimmer beschäftigt gewesen ein Schreiben, welches ihr durch einen Courier überbracht worden, zu beantworten, und begab sich, nachdem sie den Boten expedirt hatte, in den Garten, wo sie Wiebeke unter dem Fliederstrauche fand und sie durch einen kräftigen Schlag auf die Schulter ihren Träumereien entriß.

„Was stehst Du hier wie ein mondsüchtiges Jüngferchen und schwatzest mit den Blumen, die Dich doch nicht verstehen,“ scherzte sie. „Ist es die Einförmigkeit des Landlebens, welche Dich so kopfhängerisch macht, so wird die Nachricht, die ich Dir bringe, Dich schon curiren. Wir bekommen Besuch von…, rathe einmal von wem?“

Als Wiebeke fragend zu ihr aufsah, aber durch ein leichtes Kopfschütteln andeutete, daß sie es nicht errathen könne, fuhr Frau Ellen fort: „Sr. Majestät wird nebst Gefolge auf einige Tage mein Gast sein“.

„Der König?“ rief Wiebeke, sich entfärbend.

„Warum erschrickst Du darüber? Macht es Dir nicht Freude, ihn wiederzusehen?“

Als Wiebeke verlegen schwieg, fuhr sie fort: „Nun, ich verstehe Dich schon. Sollte Se. Majestät, was ich jedoch nicht glauben kann, Dir nicht gnädig gesonnen sein, so bleibst Du in Deiner Kammer. König Christian ist ein Brausekopf, ganz wie Ellen Marsvin, aber wenn der jäh auf lodernde Zorn auch für eine Weile die Klarheit unseres Blickes trübt, so sehen wir hinterdrein nur desto schärfer, wo wir Unrecht begangen und durch unsere Heftigkeit gekränkt haben. Jetzt mußt Du mir behülflich sein bei den Vorbereitungen zum Empfange unserer Gäste. Käme der König allein, so würde ich keinen Finger darum rühren; er macht weniger Umstände als wenn mein Bruder Jörgen mit seiner Frau kommt; aber sich, Kind, der Komet hat einen Schweif, und wehe mir, wenn ich den Kammerdiener Sr. Majestät mit dem Diener des Hofmarschalls oder den Leibkutscher und den Reitknecht mit dem Stallknechte in ein Zimmer betten oder an einen Tische setzen würde!“

„Kommt der König denn mit so zahlreichem Gefolge?“ fragte Wiebeke.

„Ich habe Se. Majestät ersucht, dies nach eigener Bequemlichkeit zu bestimmen; das Haus ist ja groß genug. Wennauch die Generäle Holkund Schlamersdorfin Svendborg bleiben, so werden sie doch häufig hierherkommen, so daß wir Zimmer für sie bereit halten müssen. Oberst Oynhausen und der Hofmarschall Rothkirch werden gewiß kommen, denn letzterer folgt, seitdem er nach der Schlacht bei Lutter wohlbehalten wieder in Wolfenbüttel angelangte, dem Könige wie sein Schatten.“

„Und die Truppen, die auf Fühnen zusammengezogen wurden, sollen wirklich nach Schleswig hinüber?“

„Das war vorauszusehen. Als ich hörte, daß die 6000 Mann unter Morgan, die von Schonen abgingen, in Eiderstedt gelandet seien, da dachte ich gleich, daß der König von Osten in Schleswig einfallen und, sich mit Morgan vereinigend, einen Cordon quer über das Land ziehen wolle: da würden die Kaiserlichen in Jütland wie die Maus in der Falle sitzen!“

„Aber wie kann der König auf’s neue die Feindseligkeiten beginnen, da er seine Räthe in Lübeck an den Friedensunterhandlungen Theil nehmen läßt?“

Kind, von der Politik verstehst Du bei aller Deiner Klugheit so gut wie gar nichts. Leuchtet Dir nicht ein, daß das Gelingen eines Manövers, durch welches die kaiserlichen Truppen in Jütland von der Hauptmacht abgeschnitten würden, den Gegenvorstellungen des Königs mehr Nachdruck verleihen, als die weisesten Reden seiner Gesandten?“

Wiebeke nickte zustimmend mit dem Kopfe, und Frau Ellen schickte sich an, ihre belehrenden Auseinandersetzungen weiter auszuspinnen, als sie abermals ins Haus gerufen ward, wohin ihr Wiebeke folgte, um bei den häuslichen Anordnungen hülfreiche Hand zu leisten.

König Christian IV. kam früher als er erwartet war nach Kjaerstrup und zwar, wie Frau Ellen richtig vorhergesagt, in Gesellschaft seines Stallmeisters und Hofmarschalls Wenzel Rothkirch. Nachdem er seine Schwiegermutter begrüßt hatte, zog er sich in seine Gemächer zurück um der Ruhe zu pflegen; doch sah man ihn schon nach einer Stunde mit dem Hofmarschall im Garten lustwandeln und einen Pavillon aufsuchen, den er von seinen früheren Besuchen her erinnerte. Als er auf dem Wege dorthin in eine Kastanienallee einlenkte, erblickte er am Ende derselben eine Dame in himmelblauem Kleide, welche sich, als sie der Herren ansichtig wurde, hinter dem Gebüsche zu verbergen suchte.

„Ei, ei, was hält denn Frau Ellen hier für Nymphen versteckt, die wollen wir nicht ungesehen entwischen lassen!“ rief der König, die Schritte verdoppelnd. Und seine Ueberraschung, sein Erstaunen war nicht gering, als er in der feinen Dame Wiebeke Kruse wiedererkannte. Er reichte ihr freundlich die Hand, die Wiebeke ehrerbietig an ihre Lippen zog, und sprach dann, sie wohlgefällig betrachtend:

„Gelt, Wenzel, in dieser veränderten Gestalt hätten wir die kleine Wiebe, die wir in Bramstedt von der Waschbrücke holten, kaum wiedererkannt!“

„Die Veränderung besteht nur in den feinen Kleidern,“ versetzte Wiebeke mit Würde. „Dem Inneren nach bin ich so wenig verändert, daß ich, wenn es sein müßte, zu jeder Zeit nach der Waschbrücke zurückkehren und dort, wie ich glaube, meinen Platz nützlich ausfüllen könnte.“

„Immer eine schlagende Antwort in Bereitschaft,“ sagte der König lachend. „Wer hätte gedacht, daß wir dies Mädchen aus unserem Haushalte entfernen würden, weil es uns n i c h t antworten wollte!“

Als er merkte, daß Wiebeke sich durch diese Worte schmerzlich berührt fühlte, setzte er, zu Rothkirch gewandt, hinzu: „Geh‘ ein Weilchen hier auf und nieder und warte meiner, ich habe ein Wörtchen mit Wiebeke allein zu reden.“

Nachdem er mit dem jungen Mädchen in den Pavillon getreten war, fragte er:

„Welches Amt verwaltest Du in Frau Ellen’s Hause und welchen Gehalt beziehst Du?“

„Ich verwalte kein Amt, Frau Ellen betrachtet mich nur als Gast, weshalb ich auch keinen Gehalt beziehe, obwohl die gnädige Frau mich mit Wohlthaten überschüttet.“

‚ „Bist Du mit dieser Stellung zufrieden?“

„Wenn es nicht allzu undankbar schiene, würde ich mit Nein! antworten. Das Leben als vornehme Dame gefällt mir so gut, als wäre ich im seidenen Röckchen geboren, und dennoch sagt mir täglich eine Stimme, daß ich nicht im Müßiggange fortleben darf, so lange ich jung und kräftig genug bin, für mich selbst zu sorgen. Ich bin vielleicht zu stolz, um Gnadenbrod zu essen, wenn es auch überzuckert ist und warte nur einer passenden Gelegenheit um Frau Ellen dies zu verkünden.“

„Und nach Deiner Heimath willst Du nicht zurück?“

Wiebeke schüttelte verneinend den Kopf.

„Warum nicht?“

„Ew. Majestät müßte selbst auf dem Lande gelebt haben, um dies zu verstehen. Man hegt dort ein an Verachtung grenzendes Mißtrauen gegen alles Fremde. Ein Aufenthalt im benachbarten Dorfe beeinträchtigt schon das Vertrauen, eine jahrelange Abwesenheit in fremdem Lande aber entfremdet das Dorfskind so sehr, daß man es kaum wieder als solches aufnimmt. Ja, ich möchte behaupten, daß man einen Fehltritt, der unter den Augen des Dorfes begangen wurde, eher vergiebt und vergißt, als daß man einen aus der Fremde Heimkehrenden wieder als zu den Seinen gehörend betrachtet. Käme ich nach Föhrden zurück, so würden die Erwachsenen mir Erlebnisse andichten, von denen ich selbst nichts weiß, die Kinder würden mit Fingern auf mich zeigen, und meine Eltern würden es als einen Schimpf fühlen, daß ihre Tochter in’s Gerede gekommen sei, und lieber würde ich heimathlos umherirren, als unter solchen Verhältnissen in’s Vaterhaus zurückzukehren.“

Der König fühlte, daß sie Recht habe; aber er fühlte auch zugleich, daß sie auf seine Veranlassung die Ihrigen verlassen, daß er sie dadurch der Heimath beraubt habe und folglich verpflichtet sei, für ihre Zukunft zu sorgen.

„Wir sprechen uns noch vor meiner Abreise,“ sagte er, den Pavillon verlassend und zu Frau Ellen tretend, die mit dem Hofmarschall bereits einige Male die Allee auf- und abgeschritten war.

Wiebeke hatte nach dieser Unterredung ihre vorige Heiterkeit wiedergewonnen. Die Zeit bis zur Abreise des Königs waren Festtage für sie. Ihre scharfsinnigen, witzigen Bemerkungen, ihr lebhaftes unbefangenes Geplauder belustigten den König über die Maßen, und Frau Ellen’s geistvolle Unterhaltung erhöhte den Reiz der wenigen Mußestunden, die Christian IV. vergönnt waren.

Bevor König Christian Kjaerstrup verließ, entbot er Wiebeke zu sich. Als sie heiter und unbefangen bei ihm eintrat, betrachtete er sie eine Weile nachdenkend und begann, ihr einen Stuhl anweisend:

„Jetzt sage mir, Wiebeke, weshalb Du mir damals bei der Gräfin Munk nicht antworten wolltest.“

„In meinem Schweigen lag eine für Ihro Gnaden so demüthigende Antwort, daß ich sie unmöglich noch mit Worten bekräftigen konnte, da ich im Gegentheil alles darum gegeben haben würde, um die Mägde der Unwahrheit zeihen zu können.“

„Ist es wahr, daß Frau Kirstin den Rheingrafen zu jeder Tageszeit empfing, ihn in seiner Wohnung besuchte, daß die Leute in den Straßen ob ihres Betragens mit Fingern auf sie wiesen, daß sie mit ihm nach Schweden entfliehen und ihm von meinen…“

„Warum will Ew. Majestät mich zwingen, Einzelheiten zu berichten, die ich nicht einmal alle kenne,“ unterbrach ihn Wiebeke. „Als ich bei der Gräfin Munk in Dienst trat, befahl mir der König ihr treu ergeben zu sein. Gehört nicht zu den Pflichten treuer Diener auch Verschwiegenheit?“

„Wahrlich, Mädchen, Du beschämst Deine ehemalige Gebieterin an Edelmuth,“ rief der König, die Bauerntochter mit Bewunderung betrachtend.

Nach einer Pause fuhr er mit einemAnfluge von Scherz, aber bald in tiefen Ernst übergehend, fort:

„Ich wollte eigentlich eine ganz andere Frage an Dich richten, auf die ich jedoch reinen Bescheid haben will. Bedenke wohl, daß Deine verständigen Antworten Dir meine Gunst gewannen, Dein beharrliches Schweigen dahingegen meinen Mißmuth und Zorn erregten. Jetzt höre mich an! Du sagtest mir, daß Frau Ellen’s Großmuth Dich demüthige, daß Du Dir einen Wirkungskreis schaffen möchtest, in dem Du nützen kannst. Willst Du mir dienen?“

„Ich wüßte nicht, daß Ew. Majestät weiblicher Bedienung bedürfte,“ antwortete Wiebeke befremdet.

„Da muß ich mich also näher erklären. Es ist Dir nicht unbekannt, daß ich Frau Ellen’s Tochter aus herzlicher Liebe zu meiner Gemahlin erhob und so wahrhaftig, wie ich bisher in gottgefälliger Eintracht mit ihr lebte, auch an ihrer Seite mein Leben beschlossen haben würde, hätte nicht Frau Kirstin ihr Herz von mir abgewandt. Wo die Liebe mit dem Vertrauen entfloh, kommt sie nicht wieder, deshalb sind Christine Munk und ich für die Zukunft moralisch und vor Gott geschiedene Leute, wenn ich gleich an ihrer vielen Kinder willen keine weltlich gültige Scheidung beantragen will. Ohne den Umgang einer braven Frau, die mich aufrichtig lieb hält und in deren milden Nähe ich meine wenigen Mußestunden genieße, vermag ich nicht zu leben. Ich sehne mich für den Abend meines Lebens nach einer treuen Hand, die meine faltige Stirn glätte, die mit munterem Geplauder mir die Sorgen verscheuche, in kranken Tagen meiner in Liebe pflege. Sag‘, Wiebeke, willst Du diesen Platz an meiner Seite ausfüllen?“

Ein Wetterstrahl hätte Wiebeke Kruse nicht vernichtender treffen können, als diese urplötzliche, unerwartete Frage. Ihre schönen Augen starrten wie verwirrt auf den König, welcher gerührt sagte:

„Armes Kind, daß ich Dich so erschrecken würde, dachte ich nicht. Hast Du mich denn verstanden?“

„Ew. Majestät will Ihre Gemahlin verstoßen?“ fragte Wiebeke vorwurfsvoll.

„S i e hat m i ch verstoßen, deshalb habe ich fortan nichts mehr mit ihr gemein,“ antwortete der König streng. „Sag‘ jetzt ob Du mich verstanden und schau‘ nicht so wirr und bestürzt drein,“ fügte er sanft hinzu, indem er zu ihr trat und ihr leise die Wange streichelte. Er zwang sie ihn anzublicken und der Blick, den sie auf ihn richtete, drang ihm tief zu Herzen.

„Ich will nicht zu viel verlangen,“ sprach er leise. „Besinne Dich und gieb mir Antwort wenn ich wiederkehre. Leb‘ wohl, mein braves reinherziges Kind!“

Seine Lippen hatten leicht ihre Stirn berührt, er hatte das Zimmer verlassen – er war abgereist. Wiebeke saß noch immer wie erstarrt, und wieder und wieder klangen die Worte in ihrem Ohr, die sie so tief erschüttert hatten.

Frau Ellen merkte Wiebeke’s Veränderung, merkte auch, daß selbige durch die letzte Unterredung mit dem Könige veranlaßt war, doch quälte sie das junge Mädchen nicht mit Fragen, sondern wartete geduldig, bis Wiebeke freiwillig ihr Herz öffnen würde.

Darüber gingen nun freilich Tage hin, und wer weiß, ob sie jemals über sich vermocht hätte ihrer hohen Freudin eine Mittheilung zu machen, die sie um der eigenen Tochter willen empfindlich kränken mußte, hätte diese ihr nicht selbst die Hand dazu geboten.

Als Frau Ellen nämlich bald darauf ein Schreiben von dem Könige erhielt und laut vorlas, wie derselbe sie bat der Wiebeke einen besonderen Gruß zu vermelden und derselben auch ferner ihre mütterliche Gewogenheit zu erhalten, da ward Wiebeke wiederum von der zitternden Aufregung befallen, in der sie sich nach der Abreise des Königs befunden hatte.

„Fasse Dir ein Herz, Wiebe, und sage mir, was Dich drückt“, sprach Ellen freundlich. Vielleicht kann ich Dir helfen oder rathen“.

Wie ein Kind flüchtete Wiebeke sich nach dieser Aufforderung zu ihrer klugen gütigen Freundin, setzte sich auf einen Schemel zu ihren Füßen und begann zu erzählen, was der König zu ihr gesprochen. Als sie die Worte, die so tief in ihre Seele gedrungen waren, jetzt über die eigenen Lippen bringen sollte, ward sie von der Bedeutung derselben so tief erfaßt, daß es ihr schwer ward, vernehmbar zu sprechen.

Frau Ellen wechselte die Farbe und trocknete sich mehrmals die Stirn. Als Wiebeke schwieg, begann sie nach einer Pause:

„Daß es nichts Geringes war, was Dich aus Deiner besonnenen Ruhe brachte, konnte ich schon wissen, aber dies hätte ich doch nimmer gedacht. Die Sache will reiflich erwogen und überlegt sein, ehe man zu einem Entscheid kommen darf, denn solche Dinge redet der König nicht im Scherze. Jetzt wollen wir nicht weiter darüber sprechen, mein Kind, wir habenja noch Zeitbis zur Rückkehr des Königs.“

Gesprochen ward in den nächsten Tagen freilich nicht darüber, aber mit Wiebeke’s Gemütsruhe war es vorbei, und auch Frau Ellen’s Einsilbigkeit, ihr leises Singen, wenn sie allein im Zimmer oder draußen im Garten mit gemessenen Schritten einherging, deuteten an, daß die ganze Lebhaftigkeit ihres Geistes im Innern thätig sei.

Als die beiden Frauen eines Morgens still bei einander saßen, rief Frau Ellen plötzlich:

„Das Ding muß ein Ende nehmen, Wiebe. Du härmst Dich ab, daß Dir die Wangen hohl werden, und ich grüble mich dumm. Auch für mich ist die Sache wichtiger als Du denkst. Nach Jahrhunderten noch wird man erzählen, daß Du Dich in meinem Hause befandst, als der König Dir den Antrag machte, wird man urtheilen, ob ich Dir zum Rechten gerathen oder nicht. Nehme ich Rücksicht auf das Interesse meiner Tochter, so handle ich den Pflichten einer treuen Unterthanin zuwider, was man vielleicht der mütterlichen Liebe verzeihen würde; rathe ich im Interesse des Königs und des Landes, so handle ich, wie es einer loyalen Unterthanin geziemt, aber man wird mich als unnatürliche Mutter ausschreien – und dennoch thue ich das Letztere. An dem Tage, wo Christine, meiner Angst und meiner Thränen spottend, erklärte, sie sei alt genug um ihr Thun und Lassen zu verantworten, schieden sich unsere Wege. Sie vergaß, daß sie als Gemahlin eines Königs höhere Pflichten, größere Verantwortung habe, als andere Frauen, daß ihre Tugenden weiter leuchten und lauter gepriesen, aber auch daß ihre Fehler schärfer getadelt und tiefer ins Gedächtniß gegraben werden als die anderen. Ihre Aufgabe war es, den Tugenden Christian’s IV. die Beständigkeit einzureihen, doch hat sie als sie ihr Herz von ihm abwandte, dieser Aufgabe vergessen. Der König wird nie zu ihr zurückkehren, denn wo der Bruch eines so zarten Verhältnisses durch Thatsachen herbeigeführt wurde, ist an die Wiederherstellung desselben nicht zu denken. Wir müssen also die Angelegenheit von einem anderen Standpunkte aus erfassen. Der König sagt, daß er sein Leben nicht einsam, d. h. nicht ohne die Pflege einer liebenden Frau beschließen kann, – und darin spricht er die Wahrheit. Nun aber erheischt das Wohl des Landes, das Interesse der Gegenwart und der Zukunft, ja der einstmaligen Lebensgeschichte des Königs, daß der Platz an seiner Seite von einer treufesten, pflichtergebenen, warmherzigen Frau eingenommen werde, die den Abend seines Lebens verschönere um seiner selbst willen, nicht aber aus Eitelkeit oder Gewinnsucht. Wenn Du sein Begehren abwiesest, so würde er vielleicht eine Unwürdige zu sich erheben, die Spott und Schande über die glorreiche Vergangenheit Christian’s IV. würfe und eine Schmach für das Land würde. Niemand ist zu einer Lebensgefährtin des Königs passender, als Du. Aber Deine Stellung würde so dornenvoll sein, daß Du nur in Deinem eigenen Bewußtsein, in der dankbaren Zuneigung des Königs und in der Achtung einzelner Freunde spärliche Rosen pflücken würdest. Das bedenke wohl, mein Kind, bevor Du die geforderte Antwort ertheilst.“

Wiebeke hatte Frau Ellen angehört, ohne sie zu unterbrechen. „Mein Vater! – – mein Vater!“ stöhnte sie und verließ nach einer Weile das Zimmer.

XI.

Christian IV. war mittlerweile in Schleswig gelandet und hatte das Schloß Gottorp eingeschlossen, um durch diese Maßregel den Herzog zu zwingen, die kaiserlichen Truppen aus seinem Gebiete zu entfernen. Nachdem ein paar kaiserliche Compagnien, die auf die Nachricht vom Anrücken des dänischen Heeres zum Entsatze des Schlosses herbeieilten, vom General Holk zurückgeschlagen waren, willigte der Herzog ein, dem Verlangen des Königs zu willfahren, worauf dieser die kaum begonnene Belagerung sofort wieder aufhob und sich nach seinem Hauptquartiere zu Ohe zurückzog. An demselben Tage traf aus Lübeck die Botschaft ein, daß der Friede von dem dort tagenden Congresse unterzeichnet sei, und obwohl die noch in Zweifel stehenden Unterschriften Tilly’s und Wallenstein’s erst um vierzehn Tage später erfolgten, wurde die Freudenbotschaft doch im Lager bei Ohe und auf Gottorp bei Kanonendonner und munteren Fanfaren öffentlich verkündet.

Man hat es Christian IV. zum Vorwurfe gemacht, daß er bei dem Friedensschlusse mit dem Kaiser nur seinen eigenen Vortheil im Auge gehabt, zum besten seiner Glaubens und früheren Bundesgenossen aberkein Wörtchen eingelegt habe; doch darf man gerechterweise auch nicht vergessen, daß die abtrünnigen Bundesgenossen keine Schritte thaten, um in diesen Friedenstractat mit eingeschlossen zu werden.

Die Aussicht die lästigen Gäste bald abziehen zu sehen, belebte die Schleswig-Holsteiner mit neuer Hoffnung. Die Luft hallte wieder von Freude und Dankeshymnen, und alles blickte sehnsuchtsvoll einer ruhigen Zeit entgegen.

Eine der Hauptsorgen Christian’s war zunächst, den Abzug der feindlichen Truppen zu überwachen, um seine Unterthanen vor Unbill und etwaigen Uebergriffen der fremden Kriegsvölker möglichst zu schützen. Zu dem Zwecke stellte er seine eigenen Truppen so, daß sie die nach Süden rückenden kaiserlichen Regimenter stets im Auge behielten. Das Hauptquartier blieb noch einstweilen in Angeln, doch hielt der König sich meistens in Holstein auf, wo er die fremden Söldner aus seinem Heere verabschiedete. Erst im December kehrte er bleibend nach Kopenhagen zurück.

Im Herbste hatte er auf einer in Regierungsgeschäften unternommenen Reise auch Fühnen berührt und wiederum auf Kjaerstrup gerastet, wo sein Erscheinen für Wiebeke Kruse von wichtigen Folgen war.

Die junge Holsteinerin war längst zum klaren Verständniß ihrer Lage gekommen und hatte seitdem auch ihre innere Ruhe wiedergewonnen. Sie sagte sich, daß sie einerseits durch eine Verbindung, wie der König und Ellen Marsvin sie im Auge hatten, den Fluch ihres Vaters auf sich laden würde, während es andererseits in ihre Hand gegeben sei, dem Landesvater in Bezug auf sein Privatleben die Achtung seiner Unterthanen zu erhalten. Eine gottgefällige Lösung dieser Frage glaubte sie gefunden zu haben und wartete gelassen der Rückkehr des Königs, um sie seiner Entscheidung anheimzustellen.

Als der König sich mit Wiebeke Kruse in Frau Ellen’s Schreibzimmer allein befand und sie fragte, ob sie die Antwort für ihn fertig habe, erinnerte sie ihn an jenen Tag, als er, unter der großen Linde im Schloßgarten zu Bramstedt sitzend, ihrem Vater Hans Kruse aus Föhrden Gehör schenkte, der ihm die Verantwortung für das Wohlergehen seiner Lieblingstochter so dringend ans Herz legte, daß der König ihm bewegt die Hand gereicht und gelobt hatte Vaters Stelle an ihr zu vertreten und entweder in Dänemark für ihre Zukunft zu sorgen oder sie mit Ehren heimzuschicken. „Was würde Hans Kruse sagen, wenn er hörte, daß der König bei Lebzeiten seiner Gemahlin mich auffordert ihre Rechte, ihre Pflichten zu übernehmen?“ schloß Wiebeke ihre Erklärung.

„Hast Du ausgeredet?“ fragte der König.

„Nein!“

„So sprich weiter!“

„Ew. Majestät betrachtet sich vor den Augen des Höchsten als von der Gräfin Munk rechtmäßig geschieden, obwohl Sie es durch weltliche Gerichte nicht aussprechen lassen will. Wenn nun aus dieser Ursache meine Stellung niemals auf Billigung und Achtung der Welt Anspruch erheben darf, so kann sie doch vor dem Herrn geheiligt sein, indem sie durch die Hand eines seiner Diener auf Erden geweiht wird.“

„Ich verstehe Dich“, versetzte der König. „Und wenn dies nicht geschähe?“

„So würde ich ohne Bedenken zur Waschbrücke zurückkehren und, in dankbarer Erinnerung der Gnade und Huld meines Königs, als ehrliche Magd mein Brod verdienen.“

Der König erhob sich, verließ das Zimmer, und bald darauf sah man seinen Leibkutscher mit einem leeren Wagen vom Hofe fahren, in welchem er nach Verlauf einer Stunde den Ortsgeistlichen zurückbrachte. Der König schloß sich mit dem Pfarrer ein,und als er, nach einer langen Unterredung mit demselben, Wiebeke Kruse hereinrief, da errieth Frau Ellen, was drinnen,der Welt zum ewigen Geheimniß, vorgehe.

Als Wiebeke nach einer Weile an der Hand des Königs vor Ellen Marsvin trat, lag eine feierliche Ruhe auf ihrer Stirn. Sie wußte, daß sie nicht nach weltlich gültigen Formen dem Könige angetraut sei, aber das Opfer welches sie brachte, hatte göttliche Weihe erhalten, und sie betrachtete sich von Stunde an bis zu ihrem letzten Athemzuge als rechtmäßige Gattin Christian’s von Dänemark.

Als der König einige Tage darauf nach Kopenhagen abreiste, wünschte sie ihm zu folgen; doch hielten Christian und Frau Ellen für klüger, daß sie unter dem Schutze der gütigen Freundin auf Kjaerstrup bleibe, bis der König über den künftigen Aufenthalt der Gräfin Munk entschieden und die Einzelheiten ihrer Lebensstellung näher bestimmt habe.

Da wir Christine Munk’s Geschichte nur in so weit berühren, als sie mit der Entwickelung von Wiebeke Kruse’s merkwürdiger Lebensgeschichte verknüpft ist, so wollen wir nur noch anführen, daß der König ihre Mutter zwang, ihr die in Jütland belegenen Güter Boller und Rosenwold abzutreten, welches indessen nicht ohne abermaligen Freundschaftsbruch zwischen Christian IV. und Frau Ellen Marsvin erreicht wurde. Ueber die Versorgung der Kinder Christian’s wurde bereits in einem vorstehenden Capitel gesprochen. Nur über den einzigen am Leben gebliebenen Sohn, den mehrfach genannten Christian Waldemar, wollen wir noch eine kurze Mittheilung beifügen. Derselbe ward von dem deutschen Kaiser in den Grafenstand erhoben und führte den Titel eines Grafen von Schleswig-Holstein, den auch seine Schwestern annahmen, bis ihnen solches von Friedrich III. untersagt wurde. (Christine Munk war, obgleich sie von Zeitgenossen und nachweislich auch von Christian IV. bisweilen als Gräfin titulirt wurde, doch niemals officiell zu diesem Range erhoben worden.) Im Jahre 1643 ward Graf Christian Waldemar nebst einem glänzenden Gefolge nach Rußland gesandt, wo er sich mit der Großfürstin Irene vermählen sollte. Diese Verbindung scheiterte indessen an der Weigerung des Grafen, zur griechischen Kirche überzutreten. Nach dem Tode Christian’s IV. bekannte er sich zur Partei seines Schwagers Corsitz Ulfeldt, wodurch er die Ungnade seines Halbbruders, des regierenden Königs, auf sich zog und in schwedische Dienste trat. Er fand seinen Tod in einer Schlacht gegen die Polen 1656.

XII.

Wir übergehen den Zeitraum von mehreren Jahren als für den eigentlichen Verlauf unserer Erzählung von geringer Bedeutung, obschon derselbe für die Interessen des Landes und des Königs an wichtigen Ereignissen reich genug war. Zunächst brachten die langwierigen Streitigkeiten mit Hamburg dem Könige viel Verdruß. Auch die Landung Gustav Adolph’s auf deutschem Boden, durch welche der Religionskrieg in eine neue Phase trat, blieb nicht ohne Bedeutung für Christian IV. Waren ihm durch den Frieden zu Lübeck gewissermaßen die Hände gebunden, so daß er dem Könige von Schweden weder Geld noch Truppen zu Hülfe senden durfte, so fand er doch für nothwendig, durch Anlage neuer Festungen und Verstärkung der bereits vorhandenen, die Gränzen seines Reiches zu sichern.

Bei diesen von Klugheit und Vorsicht gebotenen Maßregeln stieß er nicht selten auf den Widerstand des Herzogs und des holsteinischen Adels, welche das eigenmächtige Verfahren des Königs in ihrem Lande ungern sahen, aber als zu ihrer eigenen Sicherheit erforderlich, dulden und durch Beiträge an Geld und Mannschaft fördern mußten.

Außer diesen Sorgen, welche den Regenten trafen, ward auch sein Herz als Sohn, Freund und Vater durch mehre Todesopfer in tiefe Betrübniß gebracht. Der erste derartige Schmerz traf ihn durch den Tod seiner Mutter, die er zärtlich geliebt und als Muster der Frauen hochgeehrt hatte. Ein Jahr darauf ward er durch die Todesbotschaft Gustav Adolph’s tief erschüttert, und wenige Wochen später ward ihm die Meldung, daß auch Friedrich von der Pfalz, der Exkönig von Böhmen, sein freudeloses Dasein beschlossen habe. Im Jahre 1663 starb Anna Catharina, die ihm von allen seinen Kindern an Körper und Geist am meisten glich, aus Gram um den plötzlichen Tod ihres Verlobten, und härter noch als dieser Verlust traf ihn die Kunde von dem Ableben seines jüngsten Prinzen, der sich in Deutschland aufhielt und als er während eines Waffenstillstandes längs einer Vorpostenkette ritt, um einen Begleiter Wallenstein’s zu begrüßen, von einem Soldaten erschossen ward.

Alle Sorgen, allen Kummer schüttete König Christian in das treue theilnehmende Herz seiner nunmehrigen Lebensgefährtin, die durch ihren scharfen klaren Verstand, ihre Besonnenheit und ihr warmes Herz zu einer Freundin Christian’s IV wie geschaffen war. Sie beschwichtigte seinen Zorn, sie verscheuchte seine trüben Gedanken, erheiterte ihn durch fröhliches Geplauder und pflegte seiner durch unaufhörliche Strapazen angegriffenen Gesundheit. Sie begleitete ihn auf allen Reisen zu Wasser und zu Lande, theilte manche Gefahr, manche ernste und manche frohe Stunde mit ihm. Im übrigen war Wiebeke Kruse’s Stellung nicht beneidenswerth. Standes- und andere weltliche Vorurtheile verschlossen ihr die Thür der adligen Gesellschaft. Niedrige Schmeichler und Glücksucher wußte sie fernzuhalten, und trotz der offenen Erklärung des Königs glaubten doch die Meisten, daß Wiebeke an Christine Munk’s Verstoßung Schuld sei. Unter den wenigen, welche ihr Achtung und Anerkennung zollten, war der Hofmarschall Wenzel Rothkirch, der sie seit jenem denkwürdigen Tage in Bramstedt beobachtet und schätzen gelernt hatte. Er bezeigte ihr alle Ehrerbietung, die er einer so würdigen Lebensgefährtin seines Königs schuldig zu sein glaubte, und den größten Beweis seiner Hochachtung gab er ihr bei seiner Vermählung mit Christine, der Tochter des Reichsrathes Reetz, indem er sie einlud, die Hochzeitfeier mit ihrer Gegenwart zu verherrlichen.

Eine andere, nicht minder große Freude hatte Wiebeke erfahren, als der König im Maimonat 1631 das adelige Gut Bramstedt von Arndt Stedingk’s Wittwe ankaufte. Von früher Kindheit an hatte sie das Schloß Bramstedt als heimathliches Kleinod anstaunen gelernt, und eben deshalb war ihr der Gedanke, es im Besitze ihres Herren und Königs zu wissen, unendlich werth. Nur Eins trübte diese Freude, nämlich die heimliche Furcht, daß der König ihr dort ihren Aufenthalt anweisen könne für die Zeit, die er bei seinen jährlichen Reisen nach den Herzogthümern in Glückstadt, Kiel oder Rendsburg zubringen mußte. Bis jetzt war sie davon verschont geblieben und auch im Jahre 1633 war der König um Michaelis von Kiel zurück nach Kopenhagen gegangen ohne während seines Sommeraufenthaltes in Holstein seinen neuen Besitz in Augenschein genommen zu haben. Im October siedelte er mit seinem Hofstaate nach Skanderburg über, wo er den ganzen Winter residirte.

An einem Novembertage saß Wiebeke in ihrem Privatgemache vor dem wärmenden Kaminfeuer. Neben ihr spielte Ulrich Christian, ihr dreijähriges Söhnlein; auf den Knien wiegte sie ein halbjähriges Töchterchen, mit dem sie koste und plauderte und an dessen Lachen und Kreischen sie eine kindische Freude hatte. Es geschah nicht bloß dem Könige zu Liebe, daß Wiebeke die Pflege ihrer Kinder eigenhändig besorgte. Sie betrachtete es vielmehr als den größten Vorzug ihrer sorgenfreien Existenz, sich gänzlich ihren Kindern widmen zu können. Ihre sorgenfreie Existenz sagen wir, und doch sind gegen dieselbe Zweifel erhoben worden, indem man der Wiebeke nachsagte, daß sie wenig haushälterisch sei und nie mit der ihr zuständigen Summe ausreiche. Damit verhielt es sich folgendermaßen. Außer freier Bespeisung von der Tafel des Königs erhielt Wiebeke einen Jahresgehalt von 660 dänischen Thalern, wofür sie sich und ihre Kinder und Mägde kleiden und letztere besolden mußte, und wenn auch die genannte Summe für das siebenzehnte Jahrhundert unweit höher anzuschlagen ist, als für das neunzehnte, so darf man auch wiederum nicht vergessen, daß ihre mildthätige Hand sich oft und gern aufthat, und daß es ihr an Gelegenheit dazu niemals fehlte. Klagen über Mangel an Geld kamen nie über ihre Lippen. Verlangte der König bisweilen ein Sümmchen von ihr, so reichte sie ihm lachend die leere Börse, in die er dann ohne Vorwurf einige Goldstücke gleiten ließ, überzeugt, daß sie nur zu wohlthätigen Zwecken zu oft geöffnet worden sei. Auch diesmal war Wiebeke mit geringer Barschaft aus Holstein zurückgekommen. Sie tröstete sich damit, daß der Quartalsschluß nicht mehr fern sei, und vertraute im übrigen Dem, der die Vögel unter dem Himmel nährt und die Lilien auf dem Felde kleidet. Daher vermochte sie auch mit ungetrübtem Frohsinn mit den Kindern zu schäkern, ließ das Töchterlein tanzen und lachte des Söhnleins, welches auf einem Stecken im Zimmer einhertrabte und mit der Peitsche fuchtelte wie ein trunkener Courier, Von Zeit zu Zeit warf sie einen Blick auf die Uhr, denn die Stunde, wo der König morgens zu kommen pflegte, hatte längst geschlagen.

Als der König endlich die Thür öffnete und Wiebeke mit dem Kinde auf dem Arme ihm entgegeneilte, ihn an den Stuhl führte, der längst für ihn zurechtgerückt war, da sah man deutlich, wie wohl und behaglich er sich in ihrer Nähe fühlte.

„Sich‘ mich nur nicht so freundlich an!“ sagte der König, als er sich, nachdem er die Kleinen geliebkost hatte in dem bequemen Sessel niederließ. „Ich bringe Dir eine Nachricht, die Dein klares Auge rasch trüben wird.“

„Ist denn ein Unglück geschehen?“ fragte Wiebeke.

„Das eben nicht“, versetzte der König. „Aber was sagst Du, wenn ich Dir erzähle, daß ich Bramstedt verschenkt habe?“

„Wirklich?“

„Rathe einmal, an wen?“

„O, ich kann es mir denken,“ rief Wiebeke. „Ew. Majestät wird es der jungen Braut Sr. Hoheit des Prinzen Christian verehrt haben, und das macht mich nicht traurig; denn Ew. Majestät darf mir meine Aufrichtigkeit nicht verübeln: zehnmal lieber sehe ich den Besitz in die Hände unseres leutseligen, gnädigen Kronprinzen, als in die Hände des Prinzen Friedrich übergehen.“

Der König lächelte. „Bist Du denn so gewiß, das Rechte errathen zu haben?“ fragte er.

Wiebeke sah ihn unschlüssig an.

„Da muß ich Dir wohl Einsicht in die Schenkungsacte gewähren,“ sprach er, ihr ein gerolltes Pergament überreichend. „Lies mir die Urkunde einmal laut und vernehmlich vor.“

Wiebeke suchte die kleine Elisabeth ruhig zu halten, faßte mit der Rechten das Blatt und begann zu lesen, wie folgt:

„Wir Christian IV., von Gottes Gnaden König zu Dänemarken, Norwegen, der Wenden und Gothen, Herzog zu Schleswig, Holstein, Stormarn und der Dithmarschen, Graf zu Oldenburg und Delmenhorst, thun kund hiermit, daß Wir der Ehrsamen Unserer Lieben Besonderen Wiebeke Kruse…..“ hier stockte sie. Noch einmal begann sie von vorn und fuhr dann mit fliegender, unsicherer Stimme fort: „aus besonderer Gnade Unser zu Bramstedt erblich erkauftes Gut sammt allen Pertinenzien und Zubehörung, selbiges für sich und ihre Erben künftiger Zeit zu nutzen, zu gebrauchen und zu besitzen, auch damit ihrer Gelegenheit nach zu schalten und walten, gnädigst gönnen und zukommen lassen wollen…..“ Weiter vermochte sie nicht zu lesen, die Stimme versagte, die Buchstaben schwammen in einander und der König nahm das Blatt aus ihrer Hand und las bis zum Schlusse den Königsbrief, laut welchem Wiebeke Kruse nicht allein als Herrin des Gutes Bramstedt, nebst dazu gehörigen Aeckern, Wiesen, Weiden und Hölzungen und Unterthanen, sondern auch der im gleichnamigen Flecken belegenen Mühle nebst dazu gehörenden werthvollen Ländereien eingesetzt ward.

Als König Christian geendet hatte, lag Wiebeke zu seinen Füßen. „Nun?“ fragte er mit erheuchelter Gleichgültigkeit.

„Unmöglich, Majestät, so viel Gnade habe ich nicht verdient,“ rief sie zitternd vor Erregung.

„Du hast mehr verdient, armes Kind,“ versetzte der König, sie emporhebend und wieder an ihren Stuhl führend. „Was Dir gebührt, vermag ich Dir leider nicht zu geben. Ein geringer Ersatz, nur ein Zeugniß meiner Liebe ist es, wenn ich Dich vor Mangel an zeitlichen Gütern sichern und, wenn Gott mich aus diesem Leben abrufen sollte, Dich davor geschützt wissen will, das Gnadenbrod meiner Söhne zu essen.“

Wiebeke empfand zu tief, um ihrem Herzen in Worten Luft zu machen. Sie hatte die Hand des Königs inbrünstig an ihre Lippen gepreßt und hielt sie noch fest umschlossen; aus ihren Augen stahl sich dann und wann eine Thräne über die glühende Wange.

„Künftigen Sommer sollst Du als Besitzerin dort Deinen Einzug halten,“ sprach der König. „Als Gutsherrin stehst Du über den Klatschereien Deiner früheren Bekannten, außer der Gemeinschaft, in welche sie Dich nicht als ihresgleichen wieder aufgenommen haben würden, wie Du mir einst selbst erzähltest……“

„Und was sie mir noch an Liebe und Achtung versagen, das sollen sie meinem Sohne schenken,“ rief Wiebeke begeistert, den Kleinen aufs Knie setzend. „Hörst Du, Ulrich, Du sollst als Besitzer von Bramstedt dem Orte neuen Glanz verleihen, Du sollst die Ländereien verbessern, Garten und Gebäude verschönern, sollst Dein Eigenthum schmücken wie eine Braut und das brave Völkchen lieb und werth halten wie Deine Kinder, damit unser Name noch in später Zeit von den Einwohnern gesegnet werde!“

Glückliche Wiebeke! Sie ahnte nicht, daß dem Sohne, dem sie diese Pflichten für die Zukunft auferlegte, ein kurzes Lebensziel gesteckt sei; nicht, daß die Tochter, die neben ihm auf ihren Knien saß, einst zum Besitze kommen und wiederum eine Tochter gewinnen werde, die durch ihre Härte, durch die despotische Grausamkeit ihres Gemahls den Fluch der Unterthanen auf sich laden und so viel Jammer und Elend über die Bramstedter Insassen bringen werde, daß sie noch heutigen Tages an den Folgen kranken.

XIII.

Neun Jahre sind vergangen, seitdem wir die Bramstedter Herren beim Morgenconvivium in der Apotheke besuchten, und tagtäglich hatte man sie seither dieser mit ächt nationaler Zähigkeit anklebenden Gewohnheit folgen sehen. Niemand fehlt in dem Kreise, wenn auch die Zeit ihre Runen mehr oder minder tief auf die glatte Stirn geritzt oder einzelne Fäden ihres Silbergespinstes in die Locken gemischt hat. Die Kriegsjahre haben auf diesem Orte nicht minder schwer gelastet, als auf dem übrigen Lande. Schwere Seufzer, bange Klagen und Vertröstungen auf bessere Zeiten hat man in dem Stübchen des Apothekers ausgetauscht, bis endlich der eintretende Friede die gebeugten Gemüther wieder emporrichtete.

Außer den allgemeinen Bekümmernissen hatten auch manche Localbegebnisse Stoff zu wechselnder Trauer und Freude gegeben. Als Arndt Stedingk mit Tode abging und seine Wittwe bald darauf das Gut zum Verkauf ausbot, sah man mit Zagen und Bangen dem neuen Herrn entgegen, was in einer Periode, wo das zeitliche Wohl der leibeigenen Unterthanen ganz in den Händen des Gebieters lag, sehr natürlich war. Großer Jubel, sowohl bei den Gutsuntergehörigen, als im Flecken, erregte die Kunde, daß König Christian von Dänemark das Gut für sich angekauft habe, an die sich die Hoffnung knüpfte, daß er dasselbe fortan zu seiner Sommerresidenz benutzen werde. Eine alljährliche Anwesenheit des Königs mußte eine Menge anderer vornehmen Gäste herbeiziehen, mußte eine Triebfeder zum Aufblühen des Marktfleckens werden, und schon spannen einige heiße Köpfe – wie sie keiner Gemeinde fehlen – zahllose Projecte: Anlage von Fabriken, Schiffahrt längs der Bramau in die Stör, Häuserbauten, um Wohnungen zu schaffen für die Edelleute und fremden Gäste, die das Hof lager verherrlichen würden, als den hochfliegenden Zukunftsschwärmern plötzlich die Flügel gelähmt wurden. Eine amtliche Bekanntmachung, die in der Sonntagsfrühe an die Kirchenthür genagelt und von der Kanzel gelesen wurde, verkündete den Bramstedtern, daß Christian von Dänemark das adelige Gut mit allem Zubehör seiner lieben getreuen Wiebeke Kruse und deren Erben zum Besitz und Eigenthum überantwortet habe. Damit waren die stolzesten Hoffnungen des Fleckens zertrümmert. Diese Schenkungsacte .schien zu bestätigen, was das Gerücht über das fernere Schicksal der Wiebeke Kruse geflüstert hatte und die ehrsamen Fleckensinsassen betrachteten es als einen Schimpf, daß das Schloß, welches seit undenklichen Zeiten in den Händen der Landesherren und des Adels gewesen war, jetzt in die Hände einer Bauerntochter übergehen, daß das Wohl und Wehe so zahlreicher Familien von den Launen einer ränkesüchtigen Magd abhängen sollte. Ein Glück war es für Wiebeke, daß sie nicht damals gleich einzog: die Erbitterung war zu groß, als daß ihr Demüthigungen mancher Art hätten erspart werden können.

Dies Mißvergnügen begann sich wieder zu regen, als im nächstfolgenden Frühjahre der Kirchspielvogt eines Morgens die Freunde in der Apotheke mit den Worten begrüßte:

„So, Ihr Herren, nun holt nur die Festkleider aus dem Schranke und bürstet den Federhut. In einigen Tagen wird die neue Gutsherrin ihren Einzug halten!“

„Nun, ich denke doch, daß darum kein vernünftiger Mann den Kopf aus der Thür stecken wird,“ meinte der Pfarrer.

„Ich werde zum wenigsten keine Ehrenpforte bauen,“ lachte der Postmeister.

„Darin mögen die Herren thun, wie ihnen beliebt,“ entgegnete der Kirchspielvogt. „Doch will ich als Freund daran erinnern, daß jede Beleidigung, die man Frau Wiebeke anthut, auch den König trifft, und wenn Ihr später auf Eure Suppliken um Ermäßigung der Contribution und sonstiger Lasten abschlägigen Bescheid erhaltet, da würdet Ihr gern, um die Gnade Sr. Majestät wieder zu erlangen, weit größere Opfer bringen, als es bei einem artigen Empfange der neuen Gutsherrin von Euch verlangt wird.“

„Der Kirchspielvogt hat Recht,“ entschied der Apotheker. „Vorgetan und nachbedacht, hat manchem schon groß Leid gebracht.“

„Nicht wahr?“ rief der Kirchspielvogt mit komischem Ernste. „Und wenn die reiche Frau Euch erst kennen lernt, da wird sie alle Specereien, statt aus Hamburg, direct von Euch beziehen, und das wirft mehr ab, als zu einem Festkleide für Frau und Tochter nöthig ist.“

„Ich habe niemals begreifen können, warum man der Frau so viel arges andichten will,“ begann jetzt der Doctor. „Hier hat Wiebeke Kruse keinem Leides gethan, und was sie künftig Gutes oder Böses unter ihren Untergebenen anrichten wird, muß erst die Zeit lehren. Warum sollen aber unsere Frauen und Töchter sich an dem Empfange betheiligen? Mir scheint es genügend, wenn wir uns zur Cour einstellen. Will Frau Wiebe die Damen des Fleckens sehen, so mag sie dieselben einladen.“

„Der letzten Ansicht trete ich bei,“ nickte der Pfarrer. Wenn wir Männer Rücksichten auf Se. Majestät zu nehmen haben, so gilt dies doch nicht für unsere Frauen.“

Nachdem die Herren sich über die Einzelheiten der Empfangsfeierlichkeiten berathen hatten, discutirten sie über die Veranlassung der diesjährigen Reise Christian’s IV., mit der es folgende Bewandtniß hatte.

Die niedersächsischen Fürsten, welche den König von Dänemark während seines deutschen Feldzuges so schmählich verließen, hatten längst eingesehen, daß im kaiserlichen Lager kein Heil für sie zu erwarten sei, weshalb sie sich dem Schwedenkönge anschlossen. Im Anfange des Jahres 1634 hielten die Protestanten in Halberstadt eine Versammlung, wo sie, behufs einer energischen Fortführung des Krieges und um ein rasches vortheilhaftes Ende desselben herbeizuführen, sich sämmtlich zu einer Beisteuer an Geld und Mannschaft verpflichteten, welche die Kräfte vieler Mitglieder des Bundes nahezu überstieg. Zugleich wurden Boten nach Dänemark gesandt, welche Christian IV., der den Kreistag nicht hatte beschicken wollen, überreden sollten, diesem Bündnisse beizutreten. Der König wollte die mit eigener Hand unterzeichneten Friedensbedingungen nicht treulos brechen, und fand größere Ehre darin, einen für seine Glaubensgenossen vorteilhaften Frieden zu vermitteln, wozu er auch ferner die Hand bot, übrigens aber sich neutral zu verhalten wünschte. Obwohl er wußte, daß dieser Beschluß die volle Billigung des Herzogs von Holstein haben würde, berief er doch, ehe er die officielle Antwort absandte, einen Landtag nach Kiel, wo er dem Herzoge und den Landesvertretern die Sache zur Begutachtung vorlegte. Zu diesem Zwecke verließ er schon im April Skanderburg und ging zunächst nach Glückstadt, von wo aus er seinen Geheimsecretair Günther mit Wiebeke und deren Kindern nach Bramstedt sandte und selbst nach Kiel weiterreiste.

Als der Wagen, der sie ihrer Heimat zuführte, dem Flecken näher und näher rollte, pochte ihr Herz in immer rascheren Schlägen. Kein Hochmuth drang in ihren schlichten Sinn, sie scheute sich den alten Bekannten als Gebieterin gegenüber zu treten, und war im Stillen froh, daß sie auf den Hof fahren konnte, ohne den Flecken zu berühren.

„Was ist das?“ rief Günther, als vor dem Torhause jenseit der Hudau ein lautes Peitschenknallen erscholl

„Das ist ein Gruß meiner Bramstedter!“ rief Wiebeke, durch diese Lieblingsmusik ihrer Kinderjahre electrisirt, den Kopf zum Fenster hinaussteckend und dem Kutscher zu halten befehlend. „Dank, Dank, Ihr Burschen!“ rief sie den sich um den Wagen drängenden Burschen zu. „Wenn Ihr, so lange ich hier bleibe, jeden Tag bei Sonnenauf- und untergange vor meinem Stubenfenster knallen wollt, so sollt Ihr nicht unbelohnt bleiben.“

Die Knaben warfen die Mützen in die Luft, schwenkten die Peitschen und ließen mit lautem „Hurrah!“ den Wagen durch das Thor rollen.

Dies Zeichen, daß die Bramstedter sich ihrer alten Liebhaberei und folglich wohl auch ihrer Person erinnerten, befreite sie von aller Scheu vor dem Wiedersehen ihrer früheren Bekannten. Freudetrunken ruhte ihr Auge auf jedem alten Baume, auf allen bekannten Gegenständen, und als sie vor der Freitreppe aus dem Wagen stieg und die Beamten und Fleckensvorsteher zu ihrem Empfange versammelt sah, da fühlte sie es zucken um Kinn und Mund, und ihre Augen schwammen in feuchtem Glanze.

Nachdem der Magistrat seine Bewillkommnungsrede geendet hatte, antwortete Wiebeke – und dies war die erste und einzige Rede, die sie in ihrem Leben und obendrein aus dem Stegreif hielt –:

„Des Herrn Wege sind wunderbar. Weit umher hat er mich geführt, große Gnade hat er mir erwiesen, und als er gewollt, daß ich als Herrin unter Euch trete, da hat sich mein Herz in Demuth vor seinem Willen gebeugt, aus tiefster Seele habe ich ihm gedankt, daß er das Schicksal der Bramstedter, deren ich stets in Liebe gedacht, in. meine Hände legte, habe um Kraft und Einsicht gefleht, daß mein Wirken und Walten den Gutsunterthanen zum Heil gereichen möge, damit man den Tag segne, an welchem der König mich für das Glück so vieler Menschen verantwortlich machte. – Ich bin noch fremd in meinem Hause und kann die Herren heute nicht zu Gast bitten,“ fuhr sie fort, „doch wird hoffentlich im Keller ein Becher Wein vorräthig sein, den wir auf das Wohl Sr. Majestät und des Fleckens miteinander leeren. In den nächsten. Tagen hoffe ich die Herren arthiger bewirthen zu können, und bitte mir dann auch die Ehre aus, die Damen begrüßen zu dürfen. Ich muß alle lieben Bekannten wiedersehen und werde mich bald wieder heimisch unter Euch

fühlen.“

Bei diesen Worten hatte sie die Runde im Kreise gemacht und jedem Einzelnen die Hand geschüttelt. Im Begriff am Arme des Kirchspielvogtes in die Halle zu treten, bemerkte sie hinter den übrigen das treuherzige Gesicht ihres früheren Brodherrn Jörgen Götsche. Froh überrascht eilte sie zu ihm hin, faßte seine beiden Hände und sah ihm so freundlich ins Auge, daß es dem Manne ganz weich ums Herz wurde.

„Wer hätte geahnt, Jörgen, daß ich unter so ganz anderen Verhältnissen wiederkommen würde,“ rief sie bewegt. „Grüße Deine Frau, ich werde sie besuchen; ich muß Euch alle alle wiedersehen,“ wiederholte sie und trat dann als Gebieterin über die Schwelle, über die ihr Fuß sich früher nur selten schüchtern und befangen gewagt hatte.

Als die Herren bald darauf den Hof verließen, gingen sie keineswegs direct nach Hause, gruppenweise sah man sie zusammenstehen, jeder mußte aussprechen wie sehr er durch Wiebeke’s Persönlichkeit bezaubert sei. Alle Bilder, die man von ihr entworfen, erblaßten vor ihrer wirklichen Erscheinung. Sie war weder die plumpe, bäuerische Figur, noch die hochmüthige, kostbar ausstaffirte Zierpuppe. Ihre herzgewinnende Freundlichkeit, ihre fremdartige, wohlklingende Sprache, ihr wunderbar klarer Blick hatten die Anwesenden so eingenommen, sie hatte sich so frei, so natürlich, mit so ruhiger Überlegenheit bewegt, daß man ihre Herkunft, ihre Vergangenheit vergessen haben würde, hätte sie nicht selbst daran erinnert.

Als Wiebeke Kruse am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang durch das bestellte Concert der Bramstedter Kuhhirten geweckt wurde, sprang sie rasch aus dem Bette, stieß das Fenster auf und warf jedem ein Geldstück zu.

„Heute Geld, von morgen an ein Butterbrod für die Mühe,“ rief sie, ihnen freundlich zunickend, und schloß dann, von dem scharfen Nordost eisig angehaucht eilig das Fenster. Nachdem sie sich angekleidet hatte, nahm sie Abschied von dem Geheimsecretair Günther, welcher an demselben Tage in Kiel eintreffen sollte, und stieg dann, ohne Begleitung ihrer Kinder oder Mägde, in den früh bestellten Wagen und fuhr davon.

Durch Jörgen Götsche, den sie nach dem Befinden ihrer Eltern gefragt, hatte sie erfahren, daß man die Mutter vor einem Jahr ins Grab gesenkt, daß der Vater, ein mürrischer Graukopf, seinen Hof an den jetzt verheiratheten ältesten Sohn abgetreten habe, aber im Hause mit fortlebe.

Mit beklommenem Herzen erblickte sie nach einer raschen Fahrt die ersten Häuser des Dorfes Föhrden. Ganz wie an jenem Tage, wo Christian IV. sie der heimathlichen Sphäre entriß, sehnte sie sich nach ihrem Vater, obwohl sie seinen Anblick fürchtete.

In geringer Entfernung von dem väterlichen Gehöfte ließ sie den Kutscher halten und schlüpfte ungesehen durch die Pforte, welche den eingefriedigten Hof von der Landstraße schied.

„Wo ist Hans Kruse?“ fragte sie eine vor dem Hause beschäftigte Magd.

„Er ging eben durch die Seitenthür nach dem Kohlhofe,“ antwortete diese, die fremde Dame verwundert anstarrend.

Wiebeke ging an der Einfahrt vorüber, bog um das Haus, und neben dem Brunnen, unter dem bekannten Apfelbaume, dessen schwellende Blüthenknospen auf einen sommerwarmen Lufthauch warteten, um sich dem Sonnenlichte zu öffnen, traten Vater und Tochter sich gegenüber.

Der Alte stutzte. Beider Augen ruhten, wie gebannt, aufeinander, bis Wiebeke leise fragte: „Kennt Ihr mich nicht wieder, Vater?“

Beim Klange dieser Stimme kehrte Hans Kruse sich hastig um, ging mit verdoppelten Schritten dem Hause zu, die Thür krachend hinter sich zuschlagend. Wiebeke empfand ein stechendes Weh im Herzen. Langsam schritt sie dem Hause zu, wo ihr auf der Diele Bruder und Schwägerin entgegentraten. Nachdem sie dieselben begrüßt hatte und von ihnen in die Stube geführt worden war, fragte sie wieder: „Wo ist der Vater?“

„Er ist in seine Kammer gegangen,“ versetzte der Bruder.

„Geh‘ zu ihm, Hans, sag‘ ihm, daß er mich nicht fortgehen lassen dürfe, ohne mich gehört zu haben. Glaubt er denn, daß ich jemals gewagt hätte, ihm vor die Augen zu treten, wenn ich nicht mit reinem Gewissen den Blick zu ihm aufschlagen dürfte?“

Der junge Mann versuchte die Thür nach der angrenzenden Kammer zu öffnen. „Er ist drinnen,“ sagte er, „und wird jedes Deiner Worte vernommen haben. Geh‘ hinein und rede selbst mit ihm, damit kommst Du am weitesten.“

Wiebeke befolgte diesen Rath und trat zu dem Vater in die Kammer. Als Hans Kruse sie unbeachtet ließ, begann sie:

„Vater, als ich vor neun Jahren Lust verspürte, mich in der Welt umzusehen, fandet Ihr kein Unrecht darin, sonst hättet Ihr Eure Einwilligung nicht dazu gegeben. Wenn ich mich durch meinen Wandel Eurer Liebe unwerth gemacht hätte, so würde ich das Vaterhaus gemieden, nicht aber es sehnsüchtig aufgesucht haben. Hört mich an! So gut wie der liebe Gott die Beichte seiner Kinder vernimmt, so seid auch Ihr schuldig, anzuhören, was ich von der Zeit an, wo ich die Heimath verließ, erfahren habe.“ Hierauf begann sie ihre Erlebnisse ausführlich zu erzählen, bis zu dem Tage ihrer Rückkehr nach Bramstedt.

„Und das nennst Du einen gottgefälligen Lebenswandel?“ hohnlachte Hans Kruse? „Ein Mann, der ein zweites Weib nimmt, ohne von dem ersten gerichtlich geschieden zu sein, ist ein Schurke, und wenn er zehnmal König oder Kaiser wäre! Warum kamst Du nicht nach Hause, als Du bei der Gräfin Munk aus dem Dienste tratst? Müßiggang ist aller Laster Anfang. Hättest Du Dich nicht wie eine Tagediebin mit der dänischen Edelfrau umhergetrieben, so wärest Du niemals in so sündhafte Grillen verfallen. Wäre Hans Kruse’s Fleisch und Blut in Dir lebendig, da hättest Du Dich aufgemacht, und hättest Du von Thür zu Thür Dich bis nach Hause betteln sollen. Mit Freuden würde ich Dir da die Arme geöffnet haben; doch mit dem vornehmen Gesindel, dem Du jetzt angehörest, habe ich nichts zu schaffen.“

Nachdem er eine Weile geschwiegen hatte, trat er ans Fenster, klopfte seine Pfeife aus, stopfte neues Kraut hinein, zündete sie an, – kurz, er that als ob er die Anwesenheit seiner Tochter ganz vergäße.

„Vater,“ sprach Wiebeke endlich, den gesenkten Kopf mit Selbstbewußtsein aufrichtend und dicht vor den Alten hintretend, „ist dies Euer letztes Wort an Eure Tochter, so verzeihe Euch Gott, vor dem Ihr es dereinst verantworten sollt.“

Danach ging sie zu dem Bruder, der sie mit mehr Neugierde als Herzlichkeit aufgenommen hatte, und fragte: „Ist Clas Soodt noch am Leben?“

„Den begruben wir, als die Wallensteiner hier lagen und wir das Haus bis unters Dach voll von fremden Soldaten hatten,“ erwiderte der junge Bauer.

Wiebeke ließ aus ihrem Wagen ein Päckchen holen, aus dem sie Zuckerbrod und Kleidungsstücke als Geschenke an die Schwägerin und deren Kinder austheilte, lud die Verwandten ein, sie in Bramstedt zu besuchen, und verließ dann wehmüthig das väterliche Gehöft, wohl einsehend, daß sie von dem Bruder keine Fürsprache bei dem Vater zu hoffen habe.

Als Wiebeke heimkam und, bevor sie ins Haus trat, noch einen Gang durch den Garten machte, trat ihr an der Au eine Frau entgegen, in der sie nach kurzem Besinnen die Zigeunerin erkannte, die sie seit Hameln nicht wieder gesehen hatte.

„Nicht wahr, edle Frau, meine Prophezeiungen haben sich an Euch erfüllt: durch einen alten Mann seid Ihr endlich zu Gelde gekommen und in den Besitz eines stattlichen Hauses.“

„Ihr habt Recht, Eure Worte haben tiefe Bedeutung gehabt,“ entgegnete Wiebeke. „Jetzt sagt mir, liebe Frau, ob Ihr einen Wunsch habt, den ich erfüllen kann.“

„Einen solchen Wunsch habe ich lange gehegt, und wenn Ihr ihn nicht zu unbescheiden findet, könnt Ihr ihn jetzt auch erfüllen, indem Ihr mir von dem vielen Lande, daß Ihr besitzt, einen Fußbreit gönnen wollt, wo meine vom Wanderleben müden Beine ausruhen können, bis ich dereinst meinen Kopf für immer niederlege.“

„Den sollt Ihr haben,“ versprach Wiebeke. Nur kann ich aus Gründen, die Ihr so gut kennt wie ich, Euch hier nicht beherbergen. Haltet Euch einige Tage in der Nähe des Fleckens auf und kommt dann wieder, um Bescheid zu holen.“

Ehe noch Wiebeke es verhindern konnte, hatte die Fremde den Saum ihres Kleides geküßt und war hinter den Bäumen verschwunden. Noch an demselben Tage ließ sie den Kirchspielvogt zu sich kommen, dem sie die Angelegenheit vortrug Der alte Herr machte ein bedenkliches Gesicht.

„Ihr wißt, gnädige Frau“, begann er, „daß dieser heimathlose Volkstamm überall mit Mißtrauen angesehen wird. Wolltet Ihr nun gleich im Anfange Eurer Herrschaft einem solchen Heidenweibe mitten unter den ehrsamen Fleckensinsassen eine Wohnung anweisen, so würdet Ihr damit sogleich großes Ärgernis geben.“

Dies leuchtete Wiebeke ein. Ihr Versprechen wollte sie indessen nicht zurücknehmen und fragte, das kluge Auge auf den Ortsbeamten richtend, nach kurzem Bedenken: „Glaubt Ihr, daß ich auch dann mit den guten Bramstedtern in Conflict gerathen würde, wenn ich Ihr vor dem Thore ein Häuschen mit Gartenland anwiese?“

„Dazu hätten sie jedenfalls keine Ursache“, entschied der Beamte. „Nur müßten wir uns davor sichern, daß dadurch nicht der Grund zu einer ganzen Zigeunercolonie gelegt würde.“

„Nichts leichter als das“, erwiderte Wiebeke. „Man kann der Frau einfach die Bedingung stellen, daß sie, in so fern sie hier eine Freistätte zu behalten wünscht, von ihrer Sippe nicht mehr als einen zur Zeit und nicht länger als vier bis sechs Wochen beherbergen darf.“

Der Kirchspielvogt hatte im Laufe des Gespräches mehrmals Gelegenheit gehabt, die Klugheit und den Scharfsinn der neuen Gutsherrin zu bewundern, und obschon er als Fleckensbehörde nicht eigentlich mit den gutsherrschaftlichen Geschäften zu thun hatte, versprach er ihr doch, den Bau und die Einrichtung eines zweckmäßigen Häuschens leiten zu wollen.

Als Wiebeke dem Zigeunerweibe in Gegenwart des Kirchspielvogtes ihren Beschluß in Betreff ihrer Ansiedlung kund that, brach dasselbe in heiße Tränen aus.

„Der Gott, zu dem Ihr betet, möge Euch tausendfach vergelten, was Ihr an mir thut“, rief sie schluchzend. „Ihr könnt mir nimmermehr nachfühlen, wie es schmeckt, wenn der unstäte Fuß auf eigenem Grund und Boden ausruhen darf!“

Diese Worte klangen bedeutsamer in Wiebeke’s Herzen wieder, als die Zigeunerin ahnte. „Eines mußt Du mir jedoch geloben“, sagte sie lächelnd. „Du darfst hier weder Wahrsagerkünste, noch Wunderkuren treiben. Wenn die Leute kommen und Krankheit an Menschen und Vieh von Dir geheilt haben wollen oder wenn sie klagen, daß die Kuh keine Milch, die Milch keine Butter bringt, wenn einer sich an seinem Feinde rächen oder ihn sich zum Freunde machen will: so lache sie aus und heiße sie ihr Anliegen zu dem Herrn Pfarrer tragen. Lässest Du Dich ein- oder zweimal zur Hülfe bewegen, so wirst Du bald erleben, daß Dein Häuschen als Hexennest verschrien wird.“

Der Kirchspielvogt stimmte ein, ermahnte die Frau zu Vorsicht und friedfertigem Verkehr, und diese gelobte mit Herz und Mund, des guten Rathes eingedenk zu sein.

So geschah es, daß die Zigeunerin, die Wiebeke Kruse von ihrer Geburt an beobachtet und in Hameln, ihrer Meinung nach, König Christian IV. das Leben erhalten hatte, jetzt durch die Güte beider in Bramstedt einen Zufluchtsort fand, wo sie bis an ihr letztes Stündlein ein ruhiges stilles Leben führte. Das Häuschen vererbte sich von Kind auf Kind, und noch vor einigen Decennien wohnte vor dem Thore eine „Tatersche“ mit ihrer Tochter.

Die wenigen Wochen, welche Wiebeke Kruse in diesem Jahre in Bramstedt verweilte, entschwanden ihr ungemein schnell. Kein Tag verging, an dem sie nicht mit den Einwohnern in Berührung gekommen wäre. Waren die Eltern nicht bei ihr zu Gaste, so kamen die Kinder, oder sie besuchte selbst ohne Ceremonie die einzelnen Familien. Diese Zerstreuungen füllten indessen nur ihre Mußestunden. Die meiste Zeit hatte sie mit dem Gutsinspector oder mit dem Justitiar zu reden, indem ihre Fragen bis in die kleinsten Einzelheiten der Verwaltung drangen. Besonders angelegen ließ sie es sich sein, die Lebensumstände ihrer Untergebenen kennen zu lernen. Wo sie eine Thräne trocknen, einer Noth abhelfen konnte, that sie es mit Freuden, und ihre Sachkenntniß, ihre Großmuth und Menschenliebe als Gutsherrin, ihre bezaubernde Liebenswürdigkeit im Umgange gewannen ihr alle Herzen, so daß man dieselbe Frau, deren Ankunft man mit so wenig Wohlwollen entgegengesehen hatte, mit allgemeinem, aufrichtigem Bedauern scheiden sah.

Am Abend vor ihrer Abreise, als sie die Kinder zu Bette gelegt, den Peitschenvirtuosen ihr Abschiedsgeschenk gereicht hatte und einsam am Fenster saß, einsam mit ihren Gedanken, die durch alle Freude wie eine leise Klage hindurchgeklungen, die ihrem Gesichte einen Zug von Wehmuth verliehen hatten, den selbst das frohe Lächeln nicht verwischen konnte, – da meldete ein Diener, daß zwei Männer um Gehör bäten.

Wiebeke befahl sie hereinzuführen und als sie den Blick neugierig auf die Thür richtete, gewahrte sie Jörgen Götsche, der den alten Hans Kruse sachte ins Zimmer schob. Freudig überrascht, eilte Wiebeke dem Vater entgegen und schlang beide Arme um seinen Hals.

„Ich wußte, daß Ihr mich nicht so reisen lassen würdet“, sagte sie leise.

„Von selbst wäre ich nicht gekommen, wenn Jörgen Götsche mich nicht hergenarrt hätte“, erklärte Hans Kruse trocken.

„Du wirst es mir dereinst danken“, fiel Jörgen Götsche ein, „denn so wärest Du nimmer mit Ruhe in die Grube gefahren, wenn Du nicht Deine brave Tochter gesegnet und Dich mit Ihr ausgesöhnt hättest.“

„An dem Segen eines Bauern ist ihr wenig gelegen“, spöttelte Hans Kruse.

„Versündigt Euch nicht, Vater“, sprach Wiebeke ernst. „Wo ich weilte, habe ich stets die Lehren meines himmlischen und meines irdischen Vaters vor Augen und im Herzen getragen, – oft, sehr oft habe ich sehnsuchtsvoll Eurer gedacht, und noch zu dieser Stunde gilt mir Eure Liebe, Euer Segen höher als die Gnade des Königs.“

„So entsage dem geborgten Glanze und folge mir“, warf der Vater ein.

„Da wäre ich ein undankbares, herzloses Geschöpf; dann erst hättet Ihr Recht, mir Eure Achtung und Liebe zu entziehen. Aber mein Vater sollte mich eines solchen Treuebruches nicht für fähig halten“, entgegnete Wiebeke mit Würde.

„Ich weiß nichts von der vornehmen Welt und es ist möglich, daß die Tugend dort absonderliche Nebenwege wandelt“, versetzte Hans Kruse. „Bist Du glücklich und zufrieden, so will ich Dein Glück nicht stören. Sei brav vor dem Herrn, Wiebe, er sieht Deine innersten Gedanken und kennt alle Deine Werke. Ich bin nur gekommen, damit Du nicht mit Grillen an Deine Heimath zurückdenkest. Jetzt reise mit Gott!“

„Wie weit ich reise, wie lange ich lebe, so bleibe ich doch stets Hans Kruse’s Tochter aus Föhrden, die einen ebenso festen und, walt‘ es Gott, auch einen ebenso biederen frommen Sinn hat, als ihr Vater,“ fügte Wiebeke gerührt hinzu.

Als Hans Kruse nach mehrstündigem Aufenthalte von seiner Tochter Abschied nahm, da sagte zwar Jörgen Götsche kein Wort, aber er wischte sich mehrmals mit dem Rockärmel die Augen aus und schlich sich fort, ohne Wiebeke die Hand gereicht zu haben.

Im Maimonat trat Wiebeke in Begleitung des Königs die Rückreise nach Dänemark an. Nach Mitsommer hielt Christian IV. sich bleibend in Kopenhagen auf, wo die letzten großartigen Vorbereitungen zur Vermählungsfeier des Kronprinzen mit Magdalena Sybilla von Sachsen betrieben wurden. Von diesem im October mit vieler Pracht gefeierten Feste geben nicht allein dänische, sondern auch französische Geschichtsbücher ausführliche Berichte, die wegen der darin enthaltenen Schilderungen derzeit üblicher Sitten und Festbräuche von hohem Interesse sind. Andere noch vorhandene Schriftstücke zeugen noch heute davon, daß Christian IV. die Anordnungen dieser Feier nicht nur ihren Hauptzügen nach entwarf, sondern bis in die kleinsten Einzelheiten selbst bestimmte. Die Costüme und Decorationen der theatralischen Vorstellungen, die Übungen im Ringelrennen und in anderen Turnierspielen, die Tanzstunden der jungen Edelleute zu dem „Ballet“, die Wohnungen für die geladenen Gäste, sowie die Quartiere für die Dienerschaft bei den Bürgern der Stadt. Quantum und Qualität der Speise und des Getränkes, welches täglich für Königs Rechnung verabreicht werden sollte: alles war von ihm vorher bedacht und festgesetzt, damit die Feier sich zu allgemeinem Wohlgefallen und ohne Störung abwickle. Aber Vorsicht und Fürsorge ungeachtet schrillte doch ein Mißton durch die Harmonie der glänzenden Gesellschaft, den man nicht in Einklang zu bringen, noch zu übertönen vermochte. König Christian hatte nämlich die Einladungen zu der Vermählung seines Sohnes auf alle europäischen Höfe ausgedehnt, von denen die meisten sich durch glänzende Gesandtschaften vertreten ließen. Unter diesen Vertretern so vieler gekrönter Häupter entspann sich ein Rangstreit, welcher bald einen so hohen Grad von Erbitterung erreichte, daß der König in Folge dessen am ersten Hochzeittage nicht an der Tafel erschien, daß der spanische Gesandte inmitten der Feiertage unter nichtigem Vorwande nach Deutschland abreiste und der schwedische unter dem Vorgeben, daß die Hoftrauerum Gustav Adolph ihm nicht gestatte öffentlich zu erscheinen, in seinen Gemächern zu speisen verlangte; aller Zänkereien und Sticheleien unter den übrigen nicht zu gedenken. Die Jugend aber und das Volk ließen sich durch diese thörichten Zerwürfnisse in ihrem Vergnügen nicht stören. Die Königssäle, die Marktplätze, wo das Volk bewirthet wurde, die ganze Stadt hallten wieder von der lauten Festfreude aus- und inländischer Gäste, eigener und fremder Unterthanen.

Daß Wiebeke Kruse bei dieser Gelegenheit nicht bei Hofe erscheinen konnte, ist einleuchtend; doch empfing sie in ihrer Wohnung zahlreichen Besuch fremder und einheimischer Gäste, die alle neugierig waren, eine Frau zu sehen, welche die treue Anhänglichkeit des Königs so zu fesseln, einen so wohlthätigen Einfluß auf ihn zu üben verstand. Wiebeke hatte in der Hauptstadt ihre Freunde und ihre Feinde. Zu den erstgenannten gehörte Prinz Christian, der ihr schon manchen Beweis seiner Gewogenheit gegeben hatte und eben die Tugenden an ihr schätzte, welche er bei der Gräfin Munk vermißt hatte. Zu ihren offenbaren Gegnern gehörte Prinz Friedrich, der keine Gelegenheit verabsäumte sie zu kränken und zu demüthigen und sie stets mit schroffer, hoffärtiger Kälte behandelte.

Am Tage vor seiner Vermählung begab sich der Kronprinz in aller Frühe nach Rosenburg, wo Wiebeke sich damals aufhielt.

„Mich verlangt danach, Euch heute einen Beweis meiner Hochschätzung zu geben, Wiebe,“ sprach er, nachdem er sie und die Kinder begrüßt hatte, „deshalb sollt Ihr zuerst aus meiner eigenen Hand eine jener kleinen Erinnerungsmarken empfangen, die man bei solchen Familienfesten, wie ich es morgen begehe, unter seine Freunde zu vertheilen pflegt.‘ Glaubt nicht, daß ich Eure treue Liebe für den König, das Gute, das Ihr in der Stille wirkt, nicht lange nach Verdienst geschätzt habe, daß ich nicht beklage Eurem segensreichen Walten nicht die öffentliche Anerkennung schaffen zu können, die Euch gebührt, – die Hände der Fürsten sind oft fester gebunden, als andere. Auch unser Auge reicht nicht so weit, wie unser gutes Wollen, daher bitte ich Euch, Wiebe, diesen Ring, den ich Euch heute schenke, wohl zu bewahren. Sollte man Euch in späteren Jahren oder bei Abwesenheit des Königs Unrecht thun, bedürft Ihr jemals eines Vertheidigers oder der Hülfe eines Freundes, so sendet mir diesen Ring, und ich gelobe bei meinem fürstlichen Worte, daß Euch sofort Recht, Schutz und Hülfe werden soll. – Betet für mich, Wiebe, betet, daß mir in der jungen Braut, die ich so wenig kenne, eine Lebensgefährtin gegeben werde, gleich meiner Mutter Anna Catharina, so reich an häuslichen Tugenden, so musterhaft als Gattin und Mutter!“ –

Wiebeke betete aus dem Grunde ihres Herzens für das Glück des liebenswürdigen Prinzen, sie bewahrte sorgsam den kostbaren Armring; aber als die Zeit kam, wo sie eines Freundes, eines Beschützers bedurfte, da ruhte Prinz Christian von Dänemark längst in der Gruft seiner Väter.

XIV.

Jahre vergingen. Christian IV. wurde alt und noch immer war es ihm nicht gelungen den Frieden zwischen den streitenden Parteien zu vermitteln und dem armen, verwüsteten Deutschland Ruhe zu schaffen. Das Weihnachtsfest, welches sämmtliche Kinder um den betagten Vater zu versammeln pflegte, sollte im Jahre 1644 auf Friedrichsburg gefeiert werden, wo der König seit dem Herbst residirte. Wiebeke zählte sehnend die Tage bis zur Ankunft ihrer Kinder, denn ihr Sohn Ulrich Christian besuchte seit mehreren Jahren die Schule zu Soröe, und ihre Tochter wurde bei einer adeligen Familie auf dem Lande erzogen. Mit hausmütterlicher Geschäftigkeit ordnete sie die Weihnachtsgaben für Kinder, Freunde und Dienerschaft, als sie eines Tages durch den Eintritt des Königs überrascht wurde, der einen blonden, wohlgenährten Herrn von mittleren Jahren zu ihr führte.

„Ei, ei, Herr Amtmann, was verschafft uns denn mitten im Winter das Vergnügen, Euch hier zu sehen?“ rief Wiebeke, dem Fremden freundlich die Hand zum Gruße reichend.

„Zum Vergnügen verläßt man sein Haus nicht so nahe vor Weihnacht,“ antwortete der König. „Buchwaldt ist auf der Flucht: die Schweden sind ihm auf den Fersen.“

„Wie soll ich das verstehen?“

„Leider im buchstäblichen Sinne,“ berichtete der Amtmann von Segeberg. „Die Schweden sind wie hungrige Wölfe in’s Land gefallen und werden zur Stunde wahrscheinlich in Schleswig sein.“

„Meine armen Bramstedter!“ klagte Wiebeke. „Aber was kann die Schweden zu so feindlicher Demonstration veranlassen?“

„Das arme Deutschland ist so ausgesogen, daß die kriegführenden Parteien weder Mann noch Roß zu sättigen wissen, weshalb der Vortheil in einem gut verproviantirten Lande Winterquartiere zu gewinnen, ihnen höher gilt als der Ruhm einer gewonnenen Schlacht.“

„Die Ursache steckt tiefer,“ berichtigte der König diese Bemerkung Buchwaldt’s. „Wir hätten längst Frieden gehabt, wenn nicht der schwedische Reichskanzler, der hochstrebenden Pläne seines seligen Königs eingedenk, im Zwiespalte und in der Zerrüttung des deutschen Reiches das fördersamste Mittel sähe, festen Fuß diesseit der Ostsee zu fassen. Er weiß, daß wir bei unseren Friedensvermittelungen seine Projecte nicht begünstigen, und suchte schon lange nach einem Vorwande, seine Truppen in unser Gebiet zu schieben.“

„Und was dient ihm jetzt als Vorwand?“ fragte Wiebeke.

„Die Gastfreiheit, welche ich der Wittwe Gustav Adolph’s erzeige, und die Schärfung des Sundzolles. Es ist allerdings wahr, daß Corsitz Ulfeldt die Handhabung der neuen Zollgesetze etwas auf die Spitze getrieben hat, doch würde ich vor dem angemaßten Herrscherton Axel Oxenstierna’s niemals ein Segel reffen.“

„Mir ist niemals genau bekannt geworden, ob die verwittwete Königin von Schweden Ew. Majestät Schutz angerufen hat oder von Hochderselben zu Gast geladen wurde,“ bemerkte Casper v. Buchwaldt.

„Das laßt Euch von Frau Wiebeke erzählen,“ rief der König aufstehend. „Ich muß meine Befehle zur Abreise nach Kopenhagen ertheilen.“

„Der Reichskanzler trat schon bei Lebzeiten Gustav Adolph’s feindselig gegen die Königin auf,“ erzählte Wiebeke. „Nach dem Tode des Königs wurde sein despotisches Verfahren ihr unerträglich, und als er die junge Königin Christine unter kränkendem Vorwande von der Mutter entfernte, da erklärte diese Schweden verlassen zu wollen. Der Reichskanzler widersetzte sich diesem Wunsche auf’s entschiedenste und von der Stunde an ward Maria Eleonora gleich einer Gefangenen bewacht. Nach vielen vergeblichen Versuchen gelang es ihr einen dänischen Schiffer für ihre Pläne zu gewinnen, und so begab sie sich, als sie einst im Schloßparke zu Gripsholm, nur von einer Hofdame begleitet, spazieren ging, wie zum Scherz an Bord der dänischen Schute und verließ als Flüchtling das Land, wo sie vor zwanzig Jahren als Königin eingezogen war.“

„So weit ist mir die Geschichte bekannt,“ fiel Buchwaldt ein, „nur die wahre Veranlassung zu ihrer Landung in Dänemark ist mir niemals klar geworden.“

„Das Fahrzeug, welches sie nach der Pommerschen Küste bringen sollte, wurde durch Sturm nach den dänischen Inseln verschlagen, wo die arme Frau an’s Land stieg und den König um gastfreie Aufnahme bat. Se. Majestät gab nur widerstrebend seine Einwilligung. Wohnung, Haushalt, ja die Kleidung hat sie, weil Schweden und Brandenburg jede Unterstützung verweigerten, von König Christian empfangen, und als dieser neulich seine Zwillingstöchter vermählte und die Wittwe Gustav Adolph’s Mutterstelle bei den Bräuten vertrat, hat sie darüber von Oxenstierna einen kränkenden Verweis erhalten.“

„Wohnt sie noch auf Ibstrup?“ fragte der Amtmann.

„Sie ist jetzt auf Gottorp zum Besuch. Auch sind Aussichten da, daß der Markgraf von Brandenburg ihr endlich in Köslin einen Wohnsitz anweisen wird. – Aber jetzt erzählt mir von meinen Bramstedtern, Herr Amtmann. War der Flecken bei Eurer Durchreise schon von Schweden besetzt?“

„Das könnt Ihr unterwegs besprechen,“ rief der wieder eintretende König dazwischen. Ich reise binnen einer Stunde und vermuthe, daß Du mich begleiten willst, Wiebe. Der Amtmann fährt mit uns nach Kopenhagen.“

Wiebeke nickte bejahend und ging um sich reisefertig zu machen, in ihr Zimmer. Alle Weihnachtfreuden waren für dies Jahr vereitelt.

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Die Beschuldigung, daß die dänischen Gesandten bei dem Friedenscongresse in Osnabrück zum Schaden der Schweden heimlich mit dem Kaiser unterhandelt hätten und die Schärfung des Sundzolles dienten in der That diesem plötzlichen feindlichen Ueberfalle zum Vorwande. „Der Krieg selbst war die Kriegserklärung,“ sagt Schiller in seiner Beschreibung dieses Feldzuges. – General Torstenson war in Mähren, als er aus Stockholm den Befehl erhielt, nach dem Norden aufzubrechen und in Holstein einzurücken. Der kluge Feldherr wußte seine wahre Absicht so geschickt zu maskiren, daß weder Freund noch Feind das wahre Ziel seines Marsches zu errathen vermochte. Zweimal ließ er an verschiedenen Puncten eine Brücke über die Elbe schlagen, ohne den Fluß zu passiren, bis er im December Havelberg erreichte und dort seinen erstaunten Officieren die willkommene mittheilung machte, daß sie den Weihnachtbraten im gelobten Lande Holstein essen würden. Unaufhaltsam drangen die Schweden vor; nur Glückstadt und Crempe hielten sich. Am 18. December befand sich das Hauptquartier schon in Hadersleben. Der Plan der schwedischen Regierung war folgender: Lennart Torstenson sollte, nachdem er das Festland eingenommen, nach den Inseln übergehen und sich dort mit einem von Schonen herüberkommenden zweiten Heere vereinigen. Auf diese Weise würde das ganze dänische Reich in schwedischen Händen und König Christian gezwungen sein, die härtesten Forderungen von Seiten Oxenstierna’s gutzuheißen. Christian IV. errieth diesen Plan. Die schonische Armee ließ sich nicht blicken, und die wiederholten Versuche Torstenson’s, auf Fühnen zu landen, wurden stets vereitelt.

Wir wollen jedoch dem Gange unserer Erzählung nicht vorgreifen.

In Kopenhagen angekommen, berief der 67jährige König sogleich seine Räthe und schilderte mit jugendlichem Feuer die Gefahr des Landes und daß in raschem, einmüthigem Handeln das einzige Mittel zur Rettung liege. Man begann nach Kräften zu rüsten und sich nach fremder Hülfe umzusehen. Der Kaiser ward ersucht ein Hülfscorps zum Entsatze des bedrängten Dänemarks nach dem Norden zu senden; mehre Schiffe gingen in See um das nöthige Kriegsmaterial herbeizuholen, und da der Staatsschatz durch die langjährigen Kriegsrüstungen und kostbaren Bauten erschöpft war, ließ König Christian von dem kostbaren Silbergeräthe zu Friedrichsburg einschmelzen und daraus Geld prägen. Noch im December ging er nach Fühnen, wo er bis Ende Februar blieb, um die Küstenvertheidigung selbst zu betreiben. Im März ließ er die Flotte und für seine eigene Person das Linienschiff „Die Dreifaltigkeit“ ausrüsten, auf welchem auch für Wiebeke Kruse eine besondere Kajüte eingerichtet wurde.

Im April lief die Flotte aus und stieß in der Lister Tiefe auf ein Geschwader, welches Louis de Geer für schwedische Rechnung in Holland ausgerüstet hatte. Der Kampf, welcher sich zwischen den Schiffen entspann und sich am nächsten Tage wiederholte, blieb ohne entscheidenden Vortheil für beide Parteien. Das Schiff des Königs ging zu tief um de Geer verfolgen zu können, der einen holländischen Hafen aufsuchen mußte, um seine beschädigten Schiffe ausbessern zu lassen. König Christian segelte einstweilen nach Kopenhagen um sich zu einer neuen Besprechung auf blauer See mit dem Nachbar vorzubereiten.

Nachdem die Schiffe, welche die Wiederkehr des holländischen Geschwaders hindern sollten, ausgelaufen waren und auch der König wieder unter Segel zu gehen im Begriff stand, sagte er eines Abends zu Wiebeke:
Wenn ich sterben sollte, so wird der Kronprinz an statt meiner dafür sorgen, daß Ulrich und Elisabeth stan desgemäß erzogen und versorgt werden. In seinem Schutze wirst auch Du vor böswilligen Angriffen Dir übelgesinnter Leute sicher sein.“

„Welche Gedanken! Mit so trüben Ahnungen seid Ihr niemals dem Feinde entgegen gegangen, mein König!“

„Einmal muß das erste Mal kommen,“ versetzte Christian IV. mit trübem Lächeln. „Ich wünsche auch, daß Du mich diesmal nicht begleitest, sondern meine Rückkehr hier abwartest. Du hast bei Sylt erfahren, daß die Greuel einer Seeschlacht nicht für Frauennerven taugen. Deine Wange erblaßte und Entsetzen sprach aus Deinen Zügen, wenn auch die Lippe stumm blieb.“

„Einen so grausamen Befehl kann Ew. Majestät nicht im Ernste aussprechen,“ rief Wiebeke. „Tausendfältige Qualen würde ich leiden, müßte ich hier zurückbleiben und meinen Herrn in steter Lebensgefahr wissen. Eure Jahre lang mir gnädig bewahrte Liebe giebt mir das Recht die schweren, wie die frohen Stunden mit Euch zu theilen.“

„So thue, wie Du willst,“ sprach der König gerührt. „Deiner selbst, Deiner Kinder willen durfte ich Dein Leben nicht abermals in Gefahr bringen, aber…. Du hast Recht, wir stehen überall in Gottes Hand.“

Christian IV. kannte keine Furcht. Mit unerschütterlicher Ruhe hatte man ihn im dichten Kugelregen den Gang der Schlacht beobachten oder an der Spitze seiner Getreuen sich in das wildeste Schlachtgetümmel stürzen sehen, wo er sein Leben tausendfältiger Gefahr bloßstellte. „Ihm fehlt zu einem vollkommenen Feldherrn nichts als das Glück,“ hatte Tilly einst über ihn geäußert. Desto mehr beunruhigte es seine Freunde als er diesmal mit düsterer Vorahnung, gleich einem Sterbenden, sein Haus bestellte. Dem Kronprinzen übergab er feierlich Scepter und Krone, ernannte ihn zum Vormund der übrigen Kinder, traf manche Bestimmung in Privatsachen und ließ sich, bevor er an Bord ging, das Abendmahl reichen.

Mit trübem Herzen sah man den geliebten König scheiden, dem noch kurz vor seiner Abfahrt die Kunde gebracht war, daß Fehmarn von den Schweden genommen sei, – ein Verlust, dem er gerade hatte vorbeugen wollen.

Die Flotte, mit welcher König Christian diesmal auslief, bestand aus 9 Schiffen ersten Ranges, aus 20 Schiffen zweiten Ranges und 11 Fregatten und Galeeren. Sie war in drei Geschwader getheilt, von denen das erste unter dem Befehle des Reichsadmirals Jörgen Wind stand, das zweite unter dem Admiral Peter Galt, das dritte unter dem Könige, dem der Viceadmiral Pros Mundt folgte.

Am 30. Juni war die Flotte ausgelaufen, und schon am 1. Juli traf sie zwischen Laaland und Falster mit dem 46 Schiffe starken Feinde zusammen. Der Kampf dauerte zehn Stunden, indem er viermal erneuert wurde. Zuerst sah sich das Admiralschiff umringt und Jörgen Wind ward von einer Kugel am Knie verwundet, woran er nach einigen Tagen starb. Bei dem zweiten Angriffe Flemming’s kämpfte „die Dreifaltigkeit“ lange allein gegen die feindliche Übermacht, weil die anderen Schiffe in Lee lagen und den König nicht nach Gebühr unterstützten. Auch hier sah man Christian IV., wie in der Schlacht bei Sylt, mit gezogener Waffe auf der Schanzbrücke selbst das Commando führen. Die frische Seeluft hatte alle trüben Gedanken längst verscheucht und die Heiterkeit des Königs, sein persönlicher Muth feuerten die Mannschaften zu heldenmüthiger Todesverachtung an.

Da geschah es, daß eine feindliche Kugel den Zündlochdeckel einer Kanone traf, welche der König gerade mit eigener Hand richtete, so daß Holz- und Eisensplitter umherflogen. Die Kugel selbst traf Eiler Ulfeldt, welcher neben dem Könige stand; der Zündlochdeckel zerschmetterte Knuth Ulfeldt’s Arm, und mit diesen beiden stürzte auch Christian IV. zu Boden.

„Der König ist getroffen,“ scholl es wehklagend übers Deck, und dieser Ruf traf auch Wiebeke’s Ohr, welche in qualvoller Angst in ihrer Kajüte den Vorgängen auf dem Verdeck gelauscht hatte. Das Verbot des Königs vergessend, stürzte sie die Treppe hinan und bahnte sich einen Weg über Verwundete und Tote, bis sie den Ort erreichte, wo der König, den über ihm liegenden todten Körper Ulfeldt’s wegstoßend, sich zur Freude der Seinen wieder erhob. Sein von Blut triefendes Gesicht hinderte ihn zu sehen, was um ihn vorging; auch konnte er über die erhaltene Verwundung keine Auskunft geben. Bald genug erkannten die Ärzte, daß das rechte Auge verloren, das linke leicht beschädigt sei und daß ein anderer Splitter ihm zwei Zähne ausgeschlagen habe. Als er die allgemeine Bestürzung wahrnahm, sprach er laut: „Worüber jammert Ihr, Kinder? Habe ich auch eine Schramme bekommen, so hat Gott mir doch das Leben gelassen und Kraft und Muth Euch zur Seite zu stehen, so lange ein Jeder seine Schuldigkeit thut!“ Vor den Augen der Soldaten ließ er sich dann verbinden und blieb auf dem Verdeck, bis ein aufkommender Wind die Schiffe trennte und somit den Streit endigte.

Als Christian IV. allen Pflichten des Königs und Feldherrn genügt hatte und endlich Mensch sein, d. h. sich seinen körperlichen Schmerzen hingeben, seine Wunden pflegen durfte, da sagte er, nachdem Wiebeke, welche nasse Polster auf sein glühendes Gesicht legte, eine Weile stumm an seinem Lager gesessen hatte:

„Weißt Du auch, daß Du heute zum ersten Mal ungehorsam gewesen bist?“

„Ich weiß es,“ antwortete Wiebeke.

„Du glaubtest wohl meine zerschossenen Augen würden Dich nicht sehen und ich würde Deine Anwesenheit gar nicht bemerken?“

„Nein, Majestät,“ versetzte Wiebeke ernst. „Als ich aufs Verdeck eilte, wußte ich nicht wie groß das Unglück sei, von dem wir in der Person unseres Königs betroffen waren. Als ich Euch verwundet und zugleich so groß und standhaft vor mir sah, da hätte keine menschliche Gewalt, selbst nicht der Befehl aus Eurem eigenen Munde mich bewegen können, meinen König zu verlassen.“

„Du glaubst wohl, ich sah nicht, wie der Schreck Deine Züge erstarren machte, so daß Dein Antlitz wie aus Stein gemeißelt schien!“

„Mein König thäte besser nicht mehr zu reden und ein wenig zu schlummern. Wer weiß, wie sehr er morgen seine Kräfte nöthig haben wird.“

„Du bist zum Weibe eines Helden geboren, Wiebe,“ rief König Christian, „und Du verdienst besser, die Krone zu tragen, als manche geborene Fürstin!“

„Der Hofmarschall Rothkirsch sagte einst bei einer ähnlichen Äußerung Ew. Majestät, daß jedes tugendhafte, pflichtergebene Weib eine Krone trage, obwohl dieselbe nur dem allsehenden Gotte wahrnehmbar sei.“

„Der Wenzel ist ein Schwärmer,“ versetzte der König. „Wenn er Dich heute gesehen hätte, wie Du ohne Furcht beim Krachen der Geschütze im Pulverdampfe standest, ohne Klagen zwischen den Verwundeten einherwandeltest, Hülfe und Erquickung spendend, da hätte er Dir vielleicht eine auch dem sterblichen Auge sichtbare Krone gewünscht.“

„Ein besserer Wunsch wäre die Erhaltung Eurer Augen“, versetzte Wiebeke.

„Ich habe ja eins behalten. Und klingt es nicht viel schöner, wenn man in späterer Zeit von Christian IV. erzählt, er habe das Auge in der Schlacht eingebüßt, als wenn man von Johann dem Einäugigen hört, der Hofnarr habe es ihm bei Tische mit einem Knochen ausgeworfen?“

„Ew. Majestät scherzt über das eigene Unglück,“ sagte Wiebeke wehmüthig und ward dann still und einsylbig, um dem König etwas Ruhe zu gönnen; doch dauerte es lange, bis ein sanfter Schlummer seinem erschütterten Körper Ruhe brachte.

Am folgenden Tage ergab es sich, daß das Schiff des Reichsadmirals so stark beschädigt war, daß es mit den Verwundeten nach Kopenhagen zurückgesandt werden mußte. Der König steuerte gleichfalls nordwärts, weil ein Gerücht die Annäherung des holländisch-schwedischen Geschwaders verkündete. Die beiden anderen Abtheilungen der dänischen Flotte sollten unter Peter Galt in der Ostsee kreuzen und den Feind aufsuchen. Da erfuhr man, daß die ganze schwedische Flotte in den Kieler Hafen eingelaufen sei. Christian IV. frohlockte über diese Nachricht, die ihm mit der Vernichtung der schwedischen Flotte gleichbedeutend schien. Er befahl dem Admiral Galt, den Einlauf des Hafens zu sperren und jedem Versuche des Feindes, die Durchfahrt zu erzwingen, mit allen Kräften entgegenzutreten. An den Küsten ließ er die Schanzen besetzen und so oft die Schiffe sich dem Lande näherten, ein heftiges Feuer aus den Batterien auf sie richten. Alle Zufuhr von Proviant war den Schweden abgeschnitten, die obendrein den Tod Claus Flemming’s, ihres beliebten tapfren Admirals, zu beklagen hatten; kurz die ganze Flotte schien unvermeidlich verloren – als sie eines Abends bei einer frischen Kühlte auszulaufen versuchte und, unbelästigt von den Dänen, die offene See gewann.

Christian IV. ward durch diese Nachricht so schmerzlich betroffen, so entrüstet, daß der bejahrte Admiral Peter Galt seine Fahrlässigkeit mit dem Tode büßen mußte. Noch größerer Kummer stand dem König bevor. Als er im Herbste, nachdem er lange an der holsteinischen Küste dem Feinde zum Schaden gekreuzt hatte, von Kopenhagen nach Schonen hinübergegangen war, empfing er dort die Unglücksbotschaft, daß nach der Statt gehabten Vereinigung der holländischen und schwedischen Flotte beide gemeinschaftlich die dänische aufgesucht und zu einem Gefechte gezwungen hatten, welches unglücklich für Dänemark ausgefallen war. Die Schiffe waren theils vernichtet, theils den Schweden in die Hände gefallen. Der Admiral Pros Mundt hatte die Vernichtung der ihm anvertrauten Seemacht nicht überlebt, und so war die dänische Flotte von dem Schicksale getroffen, welches Christian IV. vor wenigen Monden über die schwedische verhängt zu haben gemeint hatte.

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In Holstein hatte die Besatzung von Glückstadt und Crempe häufige Ausfälle gemacht und den Schweden manchen empfindlichen Schaden zugefügt. Auch die Bauern rotteten sich nicht selten in bewaffneten Scharen zusammen, wenn es galt einen feindlichen Transport an Vieh oder Proviant aufzufangen.

So glückte es einem jungen Bauern aus Schmalfeldt, Namens Hans Prunz, welcher in Erfahrung gebracht hatte, daß der schwedische Oberst Slebusch mit 400 Ochsen von Altona über Ulzburg kommen werde, eine befreundete Schar um sich zu sammeln, mit der er sich im Westerwohld in Hinterhalt legte, um dem Feinde aufzulauern. Als derselbe ahnungslos die breite Straße zwischen Ulzburg und Kaltenkirchen daherkam, fielen die Schmalfelder über ihn her, trieben nach kurzem Gefechte den Obersten mit seinen 50 Reitern in die Flucht und führten die erbeuteten Ochsen nebst einer beträchtlichen Menge anderer Waaren und Kostbarkeiten im Triumph nach Kaltenkirchen.

Trotz zahlreicher ähnlicher Scharmützel vermochte man dem Feinde doch keinen fühlbaren Verlust zu verursachen. Der deutsche Kaiser konnte das bedenkliche Anwachsen der schwedischen Macht und die Unterdrückung der Dänen nicht gleichgültig ansehen und sandte deshalb im Juli unter Gallas Befehl ein Heer von 10000 Mann nach Holstein, wo dasselbe erschien, als die schwedische Flotte im Kieler Hafen blockirt lag und Graf Torstenson das Gros seiner Armee in Nordschleswig zusammengezogen hatte. Zu General Gallas stießen die mittlerweile geworbenen dänischen Truppen und der Erzbischof Friedrich von Bremen (der Sohn Christian’s IV.) mit 3000 Mann.

Torstenson, dem durch diese ansehnliche Heeresmacht der Rückzug abgeschnitten war, wandte sich an den in schwedischen Diensten stehenden General Königsmark mit dem Begehren, den kaiserlichen Truppen nachzurücken, um dieselben von Norden und Süden zugleich anzugreifen, und zu fangen oder zu vernichten. Königsmark sah sich aus Mangel an Leuten nicht im Stande diesem Wunsche nachzukommen, sondern verlangte statt dessen daß man ihm einige Regimenter zur Hülfe sende. Lennart Torstenson sah sich auf seine eigene Klugheit angewiesen und, Dank seiner bewundernswerthen Geschicklichkeit und der Achtlosigkeit und Unthätigkeit des kaiserlichen Generalissimus, gelang es ihm sich unbelästigt nach Holstein und bis an die Elbe zurückzuziehen. Erst da setzten die kaiserlichen und dänischen Truppen ihm nach, und die erstgenannten verfolgten ihn bis nach Magdeburg, wodurch die Herzogthümer sich unverhofft von der drückenden Kriegslast befreit sahen. Friede war damit zwar noch nicht; die zurückgebliebenen Schweden richteten noch ein ganzes Jahr lang viel Unheil an; in vielen Gefechten zu Wasser und zu Lande floß das Blut des nach Frieden sich sehnenden Volkes, bis dieser endlich im August 1645 zu Brömsebro geschlossen wurde, wenngleich unter Bedingungen, die für Dänemark sehr hart und schmerzlich waren.

XV

König Christian IV. hatte während seiner langjährigen Regierung wenig Ruhe genossen, und selbst in seinen letzten Regierungsjahren blieb er von Sorgen und Leid mannichfachster Art nicht verschont. Nach dem Frieden von Brömsebro ließ er es sein Hauptstreben sein die tiefen Wunden zu heilen, welche die oft wiederholte Kriegsnoth seinen Landen geschlagen hatte. Er suchte die zerrütteten Finanzen zu bessern und sein Reich durch zwecksmäßige Vertheidigungsanstalten zu Wasser und zu Lande vor einem plötzlichen feindlichen Überfalle zu schützen.

War er schon seit dem letzten Kriege, vielleicht auch durch den Verlust des Auges, merkbar gealtert, so schlug ihm das Jahr 1647 eine Wunde, von welcher er sich nicht wieder erholte. Der Gesundheitszustand des Kronprinzen hatte ihm seit einigen Jahren gerechte Besorgnisse eingeflößt. Nach einem überstandenen schweren Krankenlager blieb derselbe in einem Zustande von Entkräftung, welchen die Ärzte nur durch den Gebrauch eines deutschen Bades heben zu können glaubten. Der Prinz erreichte jedoch den bestimmten Curort nicht mehr, sondern erlag seinen Leiden in einem kleinen Orte unweit Dresdens, wohin der Kurfürst und die Kurfürstin von Sachsen eilten, um ihrer Tochter in den trüben Tagen tröstend zur Seite zu stehen. Die Leiche ward in Dresden mit großer Pracht beigesetzt und im September nach Kopenhagen geführt, wo der König seinen erwählten Nachfolger mit außergewöhnlichen Ehren in der königlichen Gruft zu Rothschildt bestatten ließ.

Von dem Tage an schwanden auch die Kräfte des Königs mehr und mehr. Er fühlte sich nicht im Stande, dem im Januar 1648 in Kiel zusammentretenden Landtage persönlich beizuwohnen, und hielt sich größtentheils zu Friedrichsburg auf. Regierungsgeschäfte und Privatangelegenheiten verschiedenster Art füllten seine Tageszeit aus; seine Erholungsstunden brachte er mit Wiebeke zu, welche immer gleich liebevoll für seine Pflege und Erheiterung sorgte, und bei der auch sein Schmerz über den Tod des Lieblingssohnes innigeres Verständniß gefunden hatte, als bei dessen nächsten Blutsverwandten.

„Laß uns einmal nachdenken, was für Feinde Du haben kannst, Wiebe,“ sprach Christian eines Tages, als er sich nach Entfernung der Hofcavaliere mit ihr allein befand.

Den Namen des nunmehrigen Kronprinzen Friedrich, der sich ihr unwillkürlich aufdrängte, verschweigend, sagte sie: „Die Anhänglichkeit, welche die Töchter der Gräfin Munk mir früher bezeigten, ist zwar seit ihrer Vermählung erkaltet, doch glaube ich nicht, daß sie mir feind sind.“

„Und Ellen Marswin?“

„Frau Ellen hat mir allerdings seit ihrem letzten Proceß mit Ew. Majestät ihre Freundschaft entzogen, doch möchte ich auch sie nicht für meine persönliche Feindin halten; viel eher kann ich die alte Dorthe als solche betrachten.“

„Dann ist es Frau Kirstin, die in Jütland Langeweile verspürt und sich irgend einen Zeitvertreib schaffen will,“ rief der König. „Wie tief und wie lange sie ihren Rheingrafen betrauert hat, *)( der Rheingraf Ludwig Otto v. Solms war im Jahre
 1634 in Deutschland gestorben, Anm. J.M.)  weiß ich nicht. So lange die schwedischen Officiere als ungebetene Gäste in Jütland weilten, hat sie nach Kräften für deren Zerstreuung gesorgt, jetzt muß sie auf neue Kurzweil sinnen.“

„Ich verstehe nicht, warum Ew. Majestät Frau Kirstins Langeweile mit ihrer Feindschaft für mich in Zusammenhang bringen will.“

„Das will ich Dir sagen. Deine Feinde, einerlei, wer und wo sie seien, haben ihre Mußestunden dazu benutzt, eine Anklage auf Dich zu wälzen, welche in den Händen eines bestochenen oder unwissenden Richters schlimm genug für Dich ausfallen könnte.“

„Und wessen klagt man mich an?“

„Nachweislich betriebener Hexenkünste.“

Wiebeke erblaßte. Diese Anschuldigung, die uns heut zu Tage höchstens ein Lächeln abnöthigt, war zu einer Zeit, wo die Hexenprocesse noch an der Tagesordnung waren, sehr ernster Natur, indem sie nicht selten persönlicher Feindschaft als Mittel diente, durch gerichtliche Bestrafung der unschuldig Angeklagten ihrem Rachedurst Befriedigung zu verschaffen.

„Die Anklägerin, ein altes Weib, behauptet mit Zeugen nachweisen zu können, daß Du Dir von einer Hexe ein Zaubermittel verschafft und bei mir angewandt habest, welches meine Liebe von Frau Kirstin ab und Dir zugewandt. Nachdem das Mittel sich wirksam erwiesen, habest Du die Hexe reich belohnt, indem Du ihr in Bramstedt ein Haus geschenkt und festen Wohnort angewiesen.“

„Diese Anschuldigung ist um so verfänglicher, da sie eng mit der Wahrheit zusammenhängt,“ sprach Wiebeke. „Ich erzählte Ew. Majestät einmal, daß mir, als ich noch in den Windeln lag, von einem Zigeunerweibe ein wechselvolles, seltsames Leben prophezeiet worden. Es ist Euch ferner nicht unbekannt geblieben, daß dasselbe Weib mir abermals begegnete, als wir in Hameln mehre Nächte trostlos an Eurem Lager durchwacht hatten, und daß sie mir aus persönlichem Interesse für Ew. Majestät ein Mittel einhändigte, welches Euch ins Bewußtsein zurückrufen werde, und das, nachdem die Ärzte es für unschädlich erklärt hatten, mit Frau Kirstin’s Genehmigung angewandt wurde. Daß es nicht die von meiner Anklägerin angegebene Wirkung auf Ew. Majestät übte, weiß Ew. Majestät ebenso gut, ja besser als ich. Wahr ist es, daß diese Zigeunerin mich bei meinem ersten Besuche in Bramstedt um eine Zufluchtstätte bat, die ich ihr, Dank der Gnade und Großmuth meines Königs, gewähren konnte. Es geschah übrigens mit der Bewilligung des Magistrats; ja, der Kirchspielvogt übernahm, um sich mir gefällig zu erweisen, selbst die Leitung des Baues.

„So kann die einfachste Sache, ja, eine gute That durch böse Zungen zum strafwürdigen Verbrechen gestempelt werden,“ rief der König. Danken wir Gott, mein Kind, daß diese Anfeindung ans Licht trat, so lange meine Augen noch über Dich wachen, so lange meine Hand Dich vor den Anschlägen Deiner Feinde schützen kann. – Du hast Recht, die alte Dorthe ist Dir niemals hold gewesen. Sie war es, welche Christine’s Gunst von Dir abwandte, und noch weniger als die Gewogenheit ihrer Herrin wird sie Dir einen Platz gönnen, auf dem vor Dir Christine Munk so manches Jahr Ehre und Ansehen genossen hatte.“

Auch bei den ferneren Verhören der Alten war der König gegenwärtig, wo es sich denn auch wirklich herausstellte, daß sie das gedungene Werkzeug anderer sei. Auf Wiebeke’s Fürbitte ward nun zwar die Strafe der einfältigen Frau um vieles gemildert; doch ließ der König, welcher die Sache mit großem Ernste behandelte, ein beglaubigtes Protocoll von derselben aufnehmen und fertigte darauf ein eigenhändiges Schreiben nach Boller, in welchem er Frau Christine sammt ihren Verwandten, Freunden und Dienern unter Androhung schärfster Ahndung verbot, jemals wieder einen Versuch zu wagen, unschuldige Menschen vor dem weltlichen Richter anzuschwärzen.

Christian IV. hatte in den letzten Jahren an Schwindel und Verdauungschwäche gelitten und oft halb im Scherze, halb im Ernste geäußert, daß er die Gebrechen des Alters, die Vorboten des Todes zu spüren beginne. Sein rasches, lebhaftes Wesen, seine täglichen Spaziergänge und geistigen Arbeiten täuschten seine Umgebung lange über den Zustand seiner Gesundheit, und erst als im Februar sich eine große Mattigkeit und Schlaflosigkeit zu den anderen Übeln gesellte, ward die Besorgniß der Ärzte geweckt, welche alles aufboten, um das Leben des geliebten Fürsten noch um einige Jahre zu verlängern. Strapazen, Sorgen, Gemüthsbewegung und rastlose Thätigkeit hatten endlich auch diese eisenfeste Gesundheit untergraben, diesem thatenreichen Leben ein Ziel gesetzt.

Der König selbst war sich seines Zustandes sehr wohl bewußt. Am 21. Februar ließ er sich in einem mit acht Pferden bespannten Schlitten von Friedrichsburg nach Rosenburg bringen. Wiebeke Kruse bereitete sich zu dieser Reise mit schwerem Herzen. Sie verließ den alten Herrn nicht mehr; doch als dieser in Rosenburg neu gestärkt schien und sich noch täglich alle einlaufenden Briefe und Bittschriften vorlegen ließ, ja selbige zum Theil selbst beantwortete, da schöpfte sie neue Hoffnung, die sie auch dem Könige einzuflößen suchte.

Der schwache Hoffnungsschimmer verlosch indessen nur allzu rasch. Am 26. Februar fühlte Christian IV. sich so schwach, daß er das Bett nicht verlassen konnte. Eleonore Ulfeldt, die Lieblingstochter, die ihn täglich besucht hatte, erschien am Abend mit ihrem Gemahle und verlangte von Wiebeke, sie möge sich zurückziehen, da sie selbst mit dem Reichshofmeister bei dem Könige wachen wolle.

„Sr. Majestät ist zu sehr an meine Pflege gewöhnt,“ wagte Wiebeke verletzt einzuwenden.

„Ich glaube nicht, daß der König die Hand seiner Tochter minder sanft und liebreich finden wird, als die Deine,“ erwiderte Eleonore.

„Geh‘, liebe Wiebe, Du hast so lange mit und bei mir gewacht, daß Du wohl eine Nacht ungestörten Schlafes nöthig hast,“ sprach der König, ihr freundlich die Wange streichelnd.

Durch den bittenden Blick, durch die sanfte immer noch so klangvolle Stimme bezwungen, vermochte Wiebeke nicht, seinem Wunsche zu widerstreben; doch verließ sie mit tiefem Schmerze das Zimmer, wo sie allein das Recht hatte, zu wachen, und doch dies Recht nicht geltend machen durfte.

Als sie sich nach durchwachter Nacht früh Morgens wieder ins Krankenzimmer begab, sprach der König zu Tochter und Schwiegersohn: „Jetzt mögt Ihr einstweilen gehen und der Ruhe pflegen. Ihr seid es nicht gewohnt, den Schlaf zu entbehren, wie meine arme Wiebe. Ich möchte noch eine Stunde mit ihr allein bleiben. Wenn heute Mittag der Hofprediger kommt, wünsche ich Euch alle um mich versammelt zu sehen.“

Nachdem Corfitz Ulfeldt mit seiner Gemahlin fortgegangen war und die im Nebenzimmer wachenden Ärzte und Hofherren sich dahin zurückgezogen hatten, begann König Christian, Wiebeke’s Hand fassend:

„Ich werde nicht lange mehr bei Dir weilen, mein liebes Kind… Ein Trost bleibt mir, daß für Deine Zukunft gesorgt ist, auch habe ich Dich dem Schutze des künftigen Königs empfohlen. – – – Mein Wunsch ist,“ fuhr er nach einer Pause fort, „daß Du Deinen bleibenden Aufenthalt in Kopenhagen nehmest, bis Deine Kinder ihr eigenes Nest bauen; später wirst Du vielleicht angenehmer in Bramstedt wohnen. An Ulrich Christian wirst Du Freude haben. Er gleicht in vielen Dingen seinem Halbbruder, dem seligen Prinzen Ulrich: er liebt das Kriegshandwerk, er ist tapfer und gut geschult, ein braver, liebenswürdiger Jüngling, der dereinst als ruhmgekrönter Kriegsmann zu Dir heimkehren wird. Elisabeth wird hoffentlich die Tugenden ihrer Mutter erben und an Claus Ahlefeldt’s Hand glücklich durchs Leben gehen. Ihr Verlöbniß soll jedoch erst nach einigen Jahren Statt finden.“

Seitdem Wiebeke Kruse wußte, daß ihr Freund nur noch wenige Stunden unter den Lebenden weilen werde, war sie schweigsam und scheinbar theilnahmlos geworden. Auch jetzt drückte sie stumm des Königs Hand, nur aus ihren Augen sprach unverhohlen der Schmerz, dem ihre Seele fast erlag.

„Du darfst nicht trauern über meinenHingang,“ sprach der König weich. „Wir sehen auch hier die Weisheit und ewige Güte des Herrn, indem er mich abruft, bevor meine Hand zu schwach wird, das Staatsruder zu lenken. Du, meine treue Wiebeke, bist vielleicht die einzige, die nicht mit den übrigen rufen wird: „Der König ist todt, – es lebe der König!“ Für Dich stirbt König Christian, für die übrigen ersteht Friedrich III., auf dem die Hoffnung des Landes, wie des einzelnen Staatsbürgers zuversichtlich ruht. Du wirst mir ein stilles Andenken weihen in dem schönen Bewußtsein, daß Du achtzehn Jahre lang Lust und Leid mit mir getheilt, mein Alter versüßt hast und daß mein letztes Wort, mein letzter Gedanke an Dich ein Dank, ein Segenswunsch war.“ – –

Dies war die letzte trauliche Unterredung, welche König Christian IV. mit Wiebeke Kruse hielt. Bald darauf traten der Reichskanzler, der Reichshofmeister und die Töchter der Gräfin Munk: Eleonore und Hedwig an das Lager des hohen Kranken, und um 1 Uhr erschien auch der Hofprädicant Lauritz Jacobson.

„Hier liege ich wie ein Gefangener des Herrn,“ rief der König ihm entgegen und reichte ihm die Hand zum Gruße.

„Gott pflegt seine Kinder mit Krankheiten und sonstigen Leiden zu behaften, um sie desto näher zu sich zu ziehen,“ sprach der Prediger, „und möchte ich deshalb Ew. Majestät ermahnen, Euren Sinn unablässig dem Herrn zuzuwenden, obschon ich weiß, daß Ihr Gott und Jesum Christum allezeit im Herzen getragen habt.“

„Ne dubites….. zweifelt nicht daran,“ erwiderte der König. Darauf lag er eine Weile still, als schlummere er, und forderte dann den Prediger auf, ihm ferner von‘ der Güte und Barmherzigkeit Gottes zu erzählen. Nach einer längeren Rede, die mit Gebeten der Anwesenden abwechselte, trat Eleonore an das Lager ihres Vaters und fragte, ob er wünsche, daß sie ein geistliches Lied vor ihm sängen. Christian, welcher stets großes Gefallen am Kirchengesange gehabt hatte, bejahte und lauschte mit Vergnügen dem Gesange, den seine Töchter anstimmten und in welchen alle Anwesenden einfielen.

Wiebeke Kruse war eine gottesfürchtige, fromme Christin und fleißige Kirchengängerin, aber dies viele laute Reden, Beten und Singen am Sterbebette verletzte sie. Viel lieber hätte sie ihre Kammer aufgesucht, hätte dort in aller Stille ihr Herz zu Gott erhoben und für den scheidenden Freund gebetet, hätte nicht der Wunsch, ihn anzublicken und so lange wie möglich seine liebe Stimme zu hören, sie in seiner Nähe zurückgehalten. Erst nachdem dem Könige das Abendmahl gereicht worden und alle Anwesenden sich in die Nebengemächer zurückgezogen, verließ sie die Räume, wo sie von keinem vermißt ward.

Wir wollen den Töchtern der Gräfin Munk damit keinen Vorwurf machen. Als Dienerin ihrer Mutter hatten sie Wiebeke Kruse kennen gelernt und lieb gewonnen. Als sie aber erlebten,daß sie an die Stelle der Mutter trat, die von dem Könige verstoßen und in der Blüthe ihrer Jahre nach Jütland verwiesen war, da wandten sie ihre Herzen von ihr ab. Und wenn sie auch später auf den Wunsch des Königs mit ihr verkehrten und ihre Verdienste anerkannten, so gehorchten sie nach ihrer Vermählung doch gern ihren Ehemännern, als dieselben ihnen den Umgang mit Wiebeke als unpassend verboten. Als Wiebeke aber am folgenden Morgen in das Krankenzimmer trat, ein Bild des Schmerzes und der Ergebung in den Willen des Höchsten, da regte sich das Mitgefühl, welches die Frauen, selbst wenn sie sich nicht lieben, so leicht zu einander führt, in Eleonore’s und Hedwig’s Herzen und trieb sie, ihr freundlich entgegenzutreten und tröstenden Zuspruch an sie zu richten. Wiebeke, deren Gedanken einzig und allein bei dem Sterbenden weilten, antwortete zerstreut; aber diese Zerstreutheit erschien als Kälte oder Hochmuth, die Damen wandten sich verletzt ab – es war das letzte Zeichen von Wohlwollen, welches sie Wiebeke Kruse erzeigt hatten.

Von Stunde zu Stunde erwartete man den letzten Seufzer des Königs. Er sprach wenig mehr, doch verlangte er um Mittag noch einmal aus dem Bette. Von den Aerzten und dem Kammerdiener unterstützt, hielt er sich aufrecht und saß eine halbe Stunde in seinem Armstuhle. „Jetzt gilt’s!“ hörte man ihn sagen. Bald danach ward er ohnmächtig und mußte in’s Bett getragen werden. Erst um 5 Uhr schloß er die Augen, ein tiefer Athemzug und Christian IV – war todt.

———————

Tiefe Stille herrschte um den entschlafenen König. Wiebeke saß noch im Gebet versunken in einem Winkel des Zimmers, als der Cabinetssecretair Otto Krag zu ihr trat und leise sprach:

„Der Reichskanzler läßt Euch bitten, Euch in Eure Gemächer zurückzuziehen.“

Wiebeke, die aller Anwesenden vergessen hatte, sah ihn staunend an.

Nach einer Pause, gleichsam als scheue er sich, den grausamen Befehl auszusprechen, fuhr er fort:

„Der Herr Reichskanzler ersucht Euch, kraft eines früheren Befehles des Königs Friedrich III., das Schloß Rosenburg in der Frühe zu verlassen und Euch deshalb nach einer anderen Wohnung umzusehen.“

Wiebeke erhob sich mechanisch, ein eisiger Schauer durchrieselte sie, dann schritt sie mit erhobenem Kopfe langsam aus dem Zimmer, durch die Corridore, bis in ihr eigenes Gemach, wo sie erschöpft in einen Stuhl sank.

Dort saß sie, unzugänglich für allen Zuspruch, ohne Verständniß für alle Fragen, bis man sie am folgenden Tage nach einer in aller Eile gemietheten Wohnung führte.

Man hatte nicht gewartet, bis sie ein Zeichen gebe, daß sie verstehe, was man von ihr forderte, sondern ihren Frauen befohlen, den Umzug binnen gesetzter Frist zu bewerkstelligen, Auch ihren Haushalt hob man auf, entfernte ihre Dienerschaft bis auf eine Kammerjungfer, welche ihr lange Zeit gedient hatte und jetzt erklärte, sich nicht von ihrer Gebieterin trennen zu wollen.

So sah Wiebeke sich verlassen von der Welt, die sich noch gestern vor ihr geneigt hatte, fern von allen Freunden, die ein unglücklicher Zufall alle abwesend sein ließ. Ihr Sohn hatte Neujahr seine erste Reise in’s Ausland angetreten; ihre Tochter wohnte mit den Pflegeeltern auf dem Lande; Günther, der frühere Geheimsecretair, war auf Reisen, und Wenzel Rothkirch wohnte seit Jahren in Korsör.

Nur der Kammerdiener Christian’s IV., welcher der treuen Lebensgefährtin stets die tiefste Verehrung gezollt hatte, suchte sie oftmals in ihrer kleinen Wohnung auf, und immer fand er sie in derselben Weise: in tiefem Trauerkleide, die Hände gefaltet, den Kopf tief auf die Brust gesenkt. Selten kam ein Wort über ihre Lippen, nur ihre immer noch schönen glanzvollen Augen blickten dankbar auf die beiden treuen Wesen, die sie in ihrem Unglücke nicht verlassen hatten.

Nur einmal sah man sie aus dieser Apathie heraustreten, nämlich als Wenzel Rothkirch, welcher zum Leichenbegängniß seines Königs nach Kopenhagen gekommen war, Wiebeke’s Aufenthaltsort erfragt hatte und eines Tages mit seiner Gemahlin bei ihr eintrat. Da strich sie die ergrauten Locken aus der Stirn, da röthete sich die bleiche, eingefallene Wange, da streckte sie beiden mit feuchtem Auge die Hände entgegen.

„Kommt mit uns!“ bat Rothkirch’s Gattin, nachdem sie ein Stündchen miteinander geredet hatten. „Ihr werdet bei uns, durch unsere Pflege gesunden und sollt so viel Ruhe haben, wie Ihr wollt.“

„Ihr liebt ja das Landleben. Die freie schöne Luft wird Euch stärken,“ fügte Wenzel hinzu.

Wiebeke schüttelte langsam den Kopf. „Wenn ich gesunden könnte, so würden diese Worte meiner Freunde ein unfehlbares Heilmittel sein“, sprach sie leise. „Laßt mich hier bleiben, meine Tage sind gezählt. Mit dem Tode des Königs lösten sich die Bande, die mich an’s Leben fesseln; durch den Befehl seines Sohnes, der mir durch Otto Krag überbracht wurde, ward mir eine Wunde geschlagen, die nimmer wieder heilt. – Man wartet auch schon auf meinen Tod. Wöchentlich schickt man wenigstens einmal und erkundigt sich, ab ich noch lebe, was meine treue Jungfer auf den gottlosen Gedanken geleitet hat, man habe mir Gift beigebracht. Aber weshalb sollte Friedrich III. ein so sündhaftes Mittel wählen, sich meiner zu entledigen, da er, um dies zu erreichen, mich ja nur nach Bramstedt zu verweisen brauchte.“

Alle Versuche des liebenswürdigen Ehepaares, Wiebeke zu überreden, sie nach Korsör zu begleiten, blieben fruchtlos, und nach diesem Besuche sank die allzu hart betroffene Frau in ihren vorigen Zustand zurück.

XVI.

Von allen Monaten war der Mai Wiebeke stets der liebste gewesen, weshalb der König ihr von dem ersten bis zu dem letzten Tage dieses Monats täglich frische Blumen gebracht oder, wenn er abwesend war, geschickt hatte. Dessen war sein treuer Kammerdiener eingedenk, als er in Galalivree, mit einem herrlichen Blumenstrauße in der Hand, am ersten Mai früh Morgens an Wiebeke’s Thür pochte.
„Wie steht es drinnen?“ fragte er die Jungfer, als diese ihn einließ.
„Ungewöhnlich gut, heute. Die gnädige Frau ist gesprächig, sie hat etwas Suppe genossen, ihren Stuhl in die Sonne rücken lassen und wünschte nun allein zubleiben.“
„Geh‘ und bitte die gnädige Frau, mir einen Augenblick Gehör zu schenken.“
Die Jungfer ging hinein und meldete, wie gewöhnlich, „den Kammerdiener Sr. Majestät.“ Wiebeke schien sie nicht zu bemerken, ihr Kopf war noch tiefer auf die Brust gesunken, als sonst. „Sie betet,“ flüsterte die treue Magd, als sie behutsam auf den Fußspitzen wieder hinausschlich.
In dem Kammerdiener, der in der halb offenen Thür stehen geblieben war, dämmerte ein anderer Gedanke. Er winkte der Jungfer, ihm zu folgen. Leise näherte er sich der leidenden Frau, schob die duftenden Blumen in ihre gefalteten Hände, – sie waren starr, vom Tode berührt, das Auge gebrochen.
„Ich wußte wohl, daß sie dem hochseligen Herrn bald folgen würde. Sie liebten sich zu innig, um lange getrennt leben zu können,“ sagte der treue Diener, die hervorquellenden Thränen mit der Hand fortwischend und die Todte in stiller Ehrfurcht betrachtend.
Das war die einzige Leichenrede, die der braven, pflichtergebenen Frau gehalten wurde. —–

Als man dem Könige Anzeige von dem erfolgten Ableben der Wiebeke Kruse machte, befahl er dem Kanzler für ihr Begräbniß Sorge zu tragen. Dieser trug es seinem Kammerdiener auf, und so geschah es, daß Wiebeke’s irdische Ueberreste in einen Sarg einfachster Art gelegt, auf einen Arbeitswagen gesetzt und am 6. Mai 1648, Abends, nach dem vor dem Norderthore gelegenen Kirchhofe gefahren und dort beerdigt wurden; an einem Orte, wo keiner seine Angehörigen gebettet wissen möchte.

So belohnte König Friedrich III. eine Frau, welche mit seinem Vater achtzehn Jahre lang, bis an das Ende seiner Tage, Wohl und Weh getheilt hatte und von ihm hochgeschätzt und innig geliebt worden war.
Auf Wiebeke Kruse’s Kinder machte das Ende der Mutter einen schmerzvollen Eindruck. An Ulrich Christian ging die Prophezeiung des Königs in Erfüllung. Nachdem er sieben Jahre in spanischen Diensten gestanden und sich in mancher Schlacht ruhmvoll ausgezeichnet hatte, kehrte er nach Dänemark zurück, ward als Generalmajor nach Schonen gesandt und fand dort, wir auch bald darauf bei der Belagerung von Kopenhagen Gelegenheit sich durch persönliche Tapferkeit und Tüchtigkeit in seinem Berufe auszuzeichnen. Im Jahre 1658 endete er seine kurze, aber glorreiche Laufbahn, tief betrauert von allen, die ihm nahe gestanden hatten.

Sophia Elisabeth vermählte sich mit Claus v. Ahlefeldt, welchen König Christian ihr zum Gemahl bestimmt hatte. Ihr einziges Kind, eine Tochter, vermählt mit dem Baron v. Kielmannsegge, war es, die den Bramstedtern, welche ihre Großmutter so sehr geliebt hatte, schweres Leid zufügte – eine lange, traurige Geschichte, die wir hier nicht näher berühren wollen.

Nach Bramstedt war Wiebeke Kruse nach ihrem ersten Besuche, fast jedes Jahr wieder gekommen, mehrmals in Begleitung des Königs, und der Tag ihrer Ankunft ward stets als Festtag in dem Almanach ihrer Gutsunterthanen bezeichnet, indem sie niemals abreiste, ohne während ihrer Anwesenheit Freude und Frohsinn um sich verbreitet zu haben. Hier schenkte sie das Korn zur Wintersaat, dort eine Kuh; diesem erließ sie die jährlichen Abgaben, jenem schenkte sie das Grundstück zu einem Häuschen: kurz, ihr Andenken war gesegnet, ihre Anwesenheit ein Freudenfest für den Ort. Ganz besonders treu hingen ihr die Schulknaben und Kuhhirten an, die immer reichlich von ihr beschenkt wurden, und selbst wenn sie nicht anwesend war, Morgens und Abends beim Aus- und Eintreiben der Kühe unter ihren Fenstern stehen blieben und so herzhaft mit den langen Peitschen knallten, daß es weithin über den Blek schallte: eine Sitte, die obwohl das Schloß längst verfallen ist, mit ächt nationaler Beharrlichkeit im Festhalten am Altherkömmlichen, trotz aller Klagen der Einwohner, trotz oftmaliger Drohung der Behörde, die Eltern in Geldstrafe zu nehmen oder die Buben ob des Unfuges zu züchtigen – sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat.

Eine Ungerechtigkeit gegen die brave Bauerntochter, die wir beklagen möchten, ist, daß die Härte und Grausamkeit zweier nachfolgenden Gutsherrinnen jetzt auf Wiebeke Kruse übertragen sind, weil sie die einzige ist, deren Namen sich im Gedächtniß der Einwohner erhalten hat. So werden manche Züge von despotischer, herzloser Behandlung des Gesindes, die auf Sophia Amalia v. Kielmannsegge und die Freiherrin v. Grote zurückzuführen sind, der warmherzigen Wiebeke angedichtet. Ja, wie sehr der Name einer historisch bekannten Persönlichkeit den in der Luft schwebenden Mythen und Sagen zum Anhaltspuncte dient, sehen wir daraus, daß „die Frau im Wolkenkleide“, welche früher im Anklever saß und ihre Sonnenfäden spann, den Bramstedtern jetzt als „de ole Wiebeke“ bekannt ist, d. h. den wenigen alten Leuten, die sich noch erinnern, wenn sie als Kind die Kühe hüteten, die alte Wiebeke auf dem Baume sitzen gesehen oder sich doch entsetzlich vor ihrem Erscheinen gefürchtet zu haben. In der jetzigen Generation sterben, wie in anderen Orten, die schönen alten Ueberlieferungen, welche sich länger denn ein Jahrtausend von Eltern auf Kinder vererbten, nach und nach aus.

Man zeigte vor Jahren (als das Gut Bramstedt sich in dem Besitze des gelehrten Professors Meyer, des Biographen Schröder’s befand) im gutsherrschaftlichen Garten einen mit Stachelbeerbüschen umpflanzten Rasen, von welchem es hieß, er sei kellerhohl, und in dem finsteren Raume habe Wiebeke (es soll die Baronin v. Grote gewesen sein) ihre widerspenstigen Mägde und aufsätzigen Leibeigenen eingesperrt. Eine schöne alte Linde an der Au wurde als Wiebeke’s Lieblingsplatz bezeichnet, mit dem Zusatze, daß auch Christian IV. häufig unter derselben gesessen habe. In dem jetzigen Wohnhause, welches früher als Thorgebäude und Magazin benutzt wurde und nur auf der einen Seite zur Aufnahme des königlichen Gefolges wohnlich eingerichtet war, sieht man noch jetzt eine Nische mit der goldenen Namenschiffre Christians IV. geschmückt.

——————

Dies ist alles, was in Bramstedt noch erinnert oder richtiger vor etlichen Jahren noch erinnerte an eine Zeit, über die erst zweihundert Jahre hingeflossen sind, und selbst diese spärlichen Andeutungen sind im Gedächtniß der Einwohner mit anderen Sagen vermischt, die offenbar einer viel früheren Zeit entstammen. Im Interesse der tiefer dringenden Specialgeschichte unseres Landes müssen wir beklagen, daß die geistlichen und weltlichen Behörden, als Vertreter wissenschaftlicher Bildung solcher Ortschaften, welche nachweislich in vergangenen Zeiten weit bekannt und berühmt oder doch von historischer Bedeutung waren, selten darauf bedacht sind, die noch vorhandenen, auf die einstmalige Blüthe hinweisenden Denkmäler zu schützen und zu erhalten, sondern leider oft um eines nichtigen Vortheiles der jetzt lebenden Generation oder gar des einzelnen Menschen willen die Spuren tilgen, die von dem Leben und Wirken vergangener Geschlechter reden, und die nicht selten für den Kunsthistoriker, für den Geschichts- und Alterthumsforscher unschätzbare Kleinode sind.

Wann wird das anders werden!

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Schadendorf: Die Bramstedter Kirche vor der Renovierung 1876

Schriften zur Bramstedter Vergangenheit III


Die Bramstedter Kirche 1876
vor der großen Renovierung
beschrieben vom Organisten
Christian S.F. Quitzau

Die Heilquellen
in
Bramstedter Nachrichten von 1879

aufbereitet von
Jan-Uwe Schadendorf
Bad Bramstedt
1996


Einleitung

Als ich Ende der siebziger Jahre an dem Buch „Alt-Bramstedt im Bild“ arbeitete, sichtete ich das Archiv der Bramstedter Nachrichten – einer schier unerschöpflichen Quelle des Heimatforschers. Schon damals fehlten die Jahrgänge 1879 (der 1. Jahrgang) und die Jahrgänge 1880, 1900, 1901. Ein sehr mißlicher Umstand.

Diesen Verlust bedauerte vor kurzem auch Pastor Rainer Rahlmeier in seinen Ausführungen in der „Bramstedter Bilderbibel“ zu Recht, zumal man aus der Jubiläumsschrift zum 650jährigen Bestehen der Maria-Magdalenen-Kirche wußte, daß im Jahrgang 1879 eine ausführliche Schilderung des Inneren der Kirche vor der damaligen großen Renovierung abgedruckt ist; verfaßt vom damaligen Organist Christian Sibbert Feddersen Quitzau.

Doch das Schicksal hat es diesmal gut gemeint. In Folge der Veröffentlichung des ersten Heftes meiner Schriften zur Bramstedter Vergangenheit bekam ich einen alten Karton mit hunderten handgeschriebener Seiten ins Haus gebracht von einem Dachboden in Bramstedt gerettet von Herrn Schaab.
Beim Sichten der Unterlagen fielen mir umfangreiche Abschriften aus den Bramstedter Nachrichten auf, darunter auch solche aus dem Jahrgang 1879 und zwar die Artikel des Herrn Quitzau.

Diesen Fund stelle ich hiermit für die Öffentlichkeit vor, stellt er doch nicht nur eine verloren geglaubte Rarität, sondern eine hervorragende Ergänzung der Bilderbibel und Kirchengeschichte dar.

Er bringt die Erkenntnis, daß Quitzau noch einige Bilder mehr beschreibt, als 1988-91 restauriert wurden.

Ich  habe im  Text selbst  keine Änderungen  oder  Ergänzungen vorgenommen,  sondern nur durch Kursivschrift  und ……. kennt- lich gemacht,  wenn ich die Handschrift  (eine sehr ausgeschriebene Schrift) ungenau oder gar nicht entziffern konnte.

Mit Fußnoten in Kursivschrift habe ich Querverweise zu anderen Veröffentlichungen zur Kirchengeschichte angefügt, die diesen Text dazu in Bezug bringen und paralleles Lesen ermöglichen.

Ergänzt habe ich die Ausführungen um einige weitere Abschriften aus 1879/80 (zum Gesundbrunnen), um so alle vorgefundenen Notizen aus dem Jahr 1879 der Nachwelt zu erhalten.
Ferner ist zur Kirche ein Artikel aus 1886 wiedergegeben, zum Verständnis des Ablaufes der Renovierung und des damaligen Zeitgeistes.

Ob die Abschriften wörtlich und vollständig sind, kann ich selbstverständlich nicht mehr prüfen. Nach der Seitennummerierung der Abschriften fehlen mehrere Seiten Text; ob diese jedoch auch 1879/80 betreffen, wird wohl ungeklärt bleiben.
Die die Kirche betreffenden Notizen scheinen weitgehend komplett zu sein.

Dennoch ist es eine wahre Freude, endgültig verloren Geglaubtes zumindest teilweise wieder aufgefunden zu haben – und so haben sich auch die Stunden gelohnt, den Text zu entziffern.

im April 1996

Jan-Uwe Schadendorf


Erhaltene Nachrichten aus 1879

In den vorgefundenen Abschriften findet sich folgende Kurzfassung zum Inhalt der Bramstedter Nachrichten 1879:

Propendinum 3. Juli 1879, Bramstedter- Nachrichten – und Intelligenzblatt für Bramstedt, Kaltenkirchen u. Umgegend

Polizeiv…  Wolf

23. Juli 1879: Matthias Heesch hält jetzt das S..wasser von der Quelle so, nur salzhaltiges Wasser fließt in das von ihm erbaute Badehaus.

Kirche: 6., 13., 20., 27., 30. August, 6., 13., 20., 27. September, 4., 18., 25. Oktober und 2. November.
zu Prediger und Organisten: 8., 15. und 26. November.

3. Dec. 1879: Es wird ein Generalverein gegründet. Comite gewählt: Danielsen Schlossermeister, Hamann Maurermeister, Johs. Reimers, Kaufmann, Amtsanwalt Wolf u. Lehrer Reimers.

13. Dec., 17. Dec. 20. Dec.: „Aus der Bramstedter Vergangenheit“ I, II, III (ist fast wörtlich in der Festschrift zum Sängerfest am 21.7.1889 wiedergegeben und somit erhalten geblieben).

20. Dec. 1879 Landwirthschaftlicher Verein an der Bramau, Paustian.

An ausführlichen Abschriften zur Kirche wurden fast alle genannten Daten in der Abschrift vorgefunden, bis auf den 2. und 26. November sowie einen Teil des 15. November, wo der Rest fehlt. Somit kann man im folgenden von einem recht kompletten Inhalt ausgehen.

Um ein Gefühl für den Zeitgeist in der Gründerzeit des letzten Jahrhunderts zu bekommen, sei der Wiedergabe der Aufzeichnungen aus 1879 ein Artikel aus den Bramstedter Nachrichten vom 11.9.1886 vorangestellt, der dies recht plastisch werden läßt.

11. September 1886
Einige kurze Nachrichten über die Kirche und den Thurm in Bramstedt. (Fortsetzung)
Über Kirche und Kirchhof f. w. d. a. mögen noch folgende kurze Notizen Platz finden.
Im Jahre 1876 ist das Innere der Kirche einer durchgreifenden Restauration unterzogen, indem ein neuer Fußboden gelegt, bei welcher Gelegenheit die nach Westen aufsteigende Parthie gänzlich geebnet, und der Haupteingang durch den Thurm gelegt, einige bei dem Altar noch befindliche Gräber mit den wenigen noch vorhandenen Sargschildern und sonstigen Überresten zugeschüttet, die Nachrichten aber darüber dem Pastoratarchiv einverleibt worden sind, ferner ganz neues Gestühl angefertigt, und der Kopfboden mit einer Gipsdecke versehen worden. Wegen dieser Restaurationsarbeiten mußte von Pfingsten 1876 an bis zum Schlusse des Kirchenjahres der öffentliche Gottesdienst im Klassenlokal der Mädchenschule abgehalten werden. Am 1. Adventssonntage den 3. Dezember ist daraus die restaurirte Kirche durch den ersten darin abgehaltenen Gottesdienst gleichsam neu geweiht, und darauf die zweite Feier in derselben am folgenden Sonntage die bis dahin ausgesetzte Erntedankfeier gewesen.
Im Jahre 1880 ist die bisherige Altarwand, enthaltend die 12 Apostel in Holzschnitzarbeit und die Leidensgeschichte des Herrn in 8 Bildern, weggenommen, und ist zunächst als Antiquität aufbewahrt. Statt dessen hat die Gemeinde von dem Maler Hinrich Wrage, z.Zt. in Gremsmühlen wohnhaft, ein neues Altargemälde,  vorstellend die  Auferstehung  Christi,  mit  Untersatz, vorstellend die Einsetzung des heiligen Abendmahls, für den Preis von 3000 Mark anfertigen lassen, wovon etwa die Hälfte durch freiwillige Beiträge, das Übrige durch zinsfreie Darlehen der beiden Bramstedter Sparkassen aufgebracht wurde. Das Bild ist am 8. Sonntage nach Trinitatis den 18. Juli 1880 bei öffentlichem Gottesdienste, indem auch die Predigt darauf Rücksicht genommen, vor der Gemeinde enthüllt und derselben übergeben worden.
Im darauf folgenden Jahre ist auch die Orgel von dem entstellenden, Farbenanstrich befreit, sowie die Brüstungen der Empore in einer dem Altar entsprechenden stilgerechten Weise neu vermalt und vergoldet.
….
Wahrscheinlich müssen wir heute sehr froh sein, daß der Altar in der Kirche seinerzeit nicht als „Antiquität“ verkauft oder anders abhandengekommen ist.
Er wurde erst 40 Jahre später durch Pastor Hümpel wieder vom Kirchenboden geholt und renoviert. Dazu heißt es in den Bramstedter Nachrichten am 28.11.1916 (gekürzt wiedergegeben):

1876 wich der Altar dem Gemälde Wrages bei der inwändigen Erneuerung des Gotteshauses, das ehrwürdige Triptychon landete auf dem Boden. Erst jetzt ist man sich des Wertes dieses Altares wieder bewußt geworden. Pastor Hümpel hat 2000 M für die Wiederherstellung zusammenbekommen. Hoffentlich werde der Altar bald wieder die Kirche zieren.

Soweit zur Einordnung der Renovierung 1876 – 1881; im folgenden Text nun die Schilderungen aus 1879 zum Aussehen der Kirche vor der Renovierung 1876:

 

aus den Bramstedter Nachrichten
(stichwortartige, z.T. wörtliche Abschrift)

6. August 1879
Zuerst wahrscheinlich nur eine Kapelle aus Ansgars Zeiten. Soll gewesen sein auf den Kapellenhöfen. Spuren von alten Grundmauern die bei einer Renovierung 1876 gefunden wurden, werden von Sachkundigen auf ein Alter von ca. 700 Jahren taxiert. Die Kirche muß etwa 1130 – 1164 erbaut worden sein. Die jetzige Kirche ist etwa 50 Fuß breit und 130 Fuß lang. Der Styl ist halbgotisch; Erbauer unbekannt.

13. August 1879
Altarblatt besteht aus drei Tafeln mit 16 Feldern in der oberen und 8 Feldern in der unteren Hälfte. In den 16 Feldern sind die 12 Apostel eine weibliche und 3 gett…. Figuren, letztere 4 in den 4 mittleren Feldern, aus Holz geschnitzt, haut relief, und stark vergoldet aber leider ohne jeglichen künstlerischen Wert. Die untere Hälfte des Altarblatts enthält in 8 Feldern Gemälde auf Holz gemalt.
Im ersten Felde sind der betende Heiland und die 3 schlafenden Jünger dargestellt, im zweiten Felde Petrus haut dem Markus das Ohr ab, im dritten: Christus vor Pilatus; im vierten: Jesu Geißelung, im fünften: Jesus mit der Dornenkrone, im sechsten: der Heiland trägt das Kreuz nach Golgatha, im siebenten: die Kreuzigung des Herrn und im achten: die Grablegung. Über dem eigentl.(ichen) Altarblatte befindet sich ein Aufsatz, auf dem oben der sieggekrönte, aber noch die Dornenkrone tragende Heiland mit der Kreuzesfahne in der Hand steht. 1) Weiter unten , senkrecht unter der oben genannten Figur ist ein bausebackiger Engelskopf auf Holz gemalt, l……icht wie van Dyck. Noch weiter nach unten sieht man Vater und Sohn in den Wolken tronend und den heiligen Geist in Gestalt einer Taube über Ihnen schwebend.  Unter Bilde ist eine  Holzmalerei  in  Gestalt  einer diesem Ellipse mit dem Namen desjenigen, der das Altarblatt der Kirche geschenkt hat. Er heißt Casper Faget. Zwischen  dem Vor- und Zunamen des Gebers ist ein Wappenfeld: 3 weiße Tauben im blauen Felde. Unter dem Wappen liest man: Anno 1625. Zwischen Altar und Altarblatt mehr unter dem letzteren erblickt man eine Holzmalerei, die Einsetzung des heiligen Abendmahls darstellend aus dem Jahr 1625, renoviert 1791. An beiden Seiten dieses Bildes liest man die Einsetzungsworte. Hinter dem Altarblatt ist ein Schrank, in welchem das Kirchenarchiv aufbewahrt wird. Die Lände des Altarblattes beträgt 12 Fuß, die Breite ohne den Aufsatz 4 Fuß. Die alte Kanzel unserer Kirche ist aus Holz gefertigt und mit Schnitzwerk versehen. Die hervorragendsten Figuren (haut relief) an derselben von links nach rechts sind: St. Mattäus, St. Lucas, der Herr Christus, St. Johannes und St. Marcus. Unter diesen befinden sich sechs viereckige Felder mit den Namen der Geber und Geberinnen.
Diese sind: Jürgen Vaget, Marine Vagdes, Kasper Vaget, Madalena Vagdes, Klawes Täetkes und Margareta Täetkens, Müllersche. Die Kanzel stammt wahrscheinlich aus dem Anfang des 17. oder aus den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts, kann aber auch älter sein, wenn wir denken an die Renovation 1680, vielleicht aus dem Jahre 1567. Das Dach der Kanzel ist vielleicht aus späterer Zeit und trägt die Inschrift:
Anno 1680 hat Fr. Christian Schlaff, Kirchspiel Vagdt, diese Kanzel renovieren lassen. Früher ( auch 1879) noch mit Farbe bemalt waren die Figuren.

1) Figur nicht mehr vorhanden, s. Pfeifer/Schulze, 1966, S. 55

20. August 1879
Taufstein ist aus einer der Glockensp..se ähnlichen Composition gegossen. Seine Höhe beträgt 93 cm, die innere Tiefe 57 cm und der innere Durchmesser 69 cm. Das Gewicht desselben mag ca.  bis 800 kg. betragen. Drei gegossene menschliche Figuren tragen den  Taufstein an dem unteren Mantel desselben, das  weiß   lackiert   ist  erblickt   man  fünf erhaben  gegossene, broncierte Figuren, den lehrenden Christus in sitzender Stellung darstellend. Zwischen je 2 Christusfiguren also in 5 Feldern befinden sich 4 hervortretend gegossene Medaillions, im ganzen 20, in jedem Feld dieselben 4. Die 2 oberen enthalten die Attribute der beiden Evangelisten Matthäus und Johannes: den lesenden Engel und den fliegenden Adler; die 2 unteren die Attribute der Evangelisten Marcus & Lucas: den Löwen und die Opferfarren. Außerdem sind noch in dem Mantel 2 nicht zu enträtselnde Figuren zu sehen; vielleicht ein Anker mit einem Arm und der Riß einer Betkapelle. Über diesen Figuren trägt der Mantel den Anfang der in katholischen Ländern üblichen Gebetsformel in gotischer Schrift, nämlich: tue Maria gratia plena Dominus tecum benedi…… …… ist der Meisten des Gottes gekommen. Auf dem Taufstein stehen zwei Taufbecken, ein größeres und in demselben ein kleineres; ersteres hat einen Diameter von 69 cm, beim letzteren beträgt der Durchmesser 47 cm. Auf der inneren Fläche des erstgenannten befindet sich ein gepreßtes Gemälde, den Sündenfall darstellend. Die Schräge innere Wand des kleinen Beckens trägt folgende gestochene Inschrift:
Christian Slaph und Katarina Slaphs. Anno 1663.
(Er vermutet, daß der Taufstein an sich älter ist, denn die innere Tiefe sei so, daß man meinen müsse, er sei gebraucht zu der Zeit, als die Taufe noch im Untertauchen bestand.)
Graf Fr. L. v. Stolberg in der Kirche getauft.

27. August 1879
Unweit der östlichen Wand d…ner Kirche von der ersteren getrennt durch einen Gang, in den der östliche Eingang mündet, steht der Altar. Er ist aus Ziegelsteinen aufgemauert. Die drei Seiten sind in der äußeren Fläche grau marmoriert. Die obere Fläche bildet ein unregelmäßiges Sechseck, die vordere gerillete Seite ist rautenförmig; die Breite beträgt 95 cm, die Länge 210 cm und die Höhe 125 cm. Über dem Altar liegt eine purpurene Decke  aus feinem Tuch,  unten mit  12 cm breiten gelbseidenen Franzen geziert. An der vorderen, herabhängenden Seite der Decke erblickst Du ein stehendes Kreuz mit dem Gottesauge in einem Lorbeerkranze, aus massivem Golddraht gestickt. Im Kranze zu Seiten des Kreuzes steht: Anno 1857. Über der Altardecke siehst Du eine weiße Spitzendecke. Zu dem Altare führen 2 rautenförmig aus geschnitzten Stufen geziert zu beiden Seiten durch ein 126 cm langes und 102 cm breites, auf 12 berundeten Säulen ruhendes Geländer.

30. August 1879
2 Leuchter 50 cm hoch 10-20 kg. schwer. Oben in der Mitte eines Tellers von ca. 55 cm Umkreis ragt eine 11 cm lange Spi.. hervor, auf welche das  Wachslicht gestellt wird. Die Leuchter bestehen aus einer Composition von Messing und andrem Metall. 3 liegende Bären (?) tragen jeden Leuchter. Die Kirche besitzt 3 solche Leuchter, von denen aber nur 2 in Gebrauch sind. Sie stammen aus dem Jahre 1681. Es sind in den unteren Teil des einen Leuchters ff. Worte graviert:
Anno 1601 (rect. 1681) d. 1. Juli ist Lorenz Jessen, Kön. Prov. Verwalter in Glückstadt durch Gebrauch des Wassers von Quartan befreit. Verehrt diese Leuchter zum Gedächtnis.

6. September 1879
Die Kronleuchter, ein größerer und ein kleinerer, hängen an eisernen Ketten in einem von einer Rosette aus Gips umgebenen Haken, der in der Decke festsitzt, und sind aus Messing oder einem ähnlichen Metall verfertigt. Der größere stammt aus dem Jahr 1700. Der kleinere aus dem Jahre 1732. Ich will versuchen d   Der größere: Die eiserne Kette ist mit 5 blechernen, brünierten Kugeln versehen und fest mit einem Haken in einem metallenen Ring des Leuchters. Unter dem Ringe der deutsche Reichsadler auf einer Kugel stehend. Unterhalb der Kugel ein kantiger Ring . In diesem sitzen kreisförmig die gebogenen, mit Tierköpfen  versehenen  Arme,   welche die  10  Leuchterteller  mit den Dellen tragen. Zwischen den Armen 7 mystische Figuren die Posaunen blasend, geschmückt mit einem römischen Helm Sirenen ähnlich. Weiter nach unten eine länglich gedrückte Kugel mit einem hervortretenden Bande geziert und dann wieder ein Ring mit 10 Figuren, wie die oberen 7, aber größer und mit 10 ganz ähnlichen, größeren Leuchterarmen und Tellern. Unter diesem Ring eine Kugel welche weiter nach unten ein Ring folgt, auf dem drei Krieger mit aufrecht gehaltenen Spießen in der rechten Hand die linke in die Seite gestemmt, und 6 …. stehen. Den Beschluß bildet eine 1 Fuß im Durchmesser haltende Kugel, die nach unten mit einer haben Ananasfrucht oder einer halben Weintraube geziert ist. Auf dieser Kugel steht:
Soly Deo Gloria: Gott zur Ehre und der Kirche zur Zierde hat Jürgen Fuhlendorf aus Bramstedt und seine Frau Anna geborene Henniges diese Krone der Kirche Bramstedt verehrt.
Anno 1700.

Der kleine Leuchter: eiserne Kette mit 4 brünierten Kugelgen geschmückt. Unter dem in den Haken fassenden Ring folgt eine Kugel welche einen Adler mit ausgebreiteten Armen trägt. Weiter
unten tritt ein Ring oder Streifen hervor in dessen Kerben 6 gebogene lilienartige Blumen auslaufende Arme stecken darauf wieder eine Kugel, dann ein Reif, aus dem 7 gebogene (der 8te ist abgeschlagen und verloren) Arme hervorragen welche am Ende eine Muschel tragen, auf welcher die Delle steht. Zwischen den Armen stehen auf den Reifen 7 Arnen. Den untersten Teil bildet eine Kugel von einem halben Fuß Durchmesser, unten geziert mit einem Tannenzapfen.
Inschrift der Kugel: Sehl. Marx Lahanns tochter aus Föhren schenkt diese Krone der Kirchen Gott zu Ehren, Worzu Hinrich Stoker und Elsabe Stökers ihre Mutter gebeten. Sie möchten den Tempel Gottes mit der Verehrung betreten.
Anno 1732, 24. Dezember.

13. September 1879
Die oberen Chöre stammen noch aus alter Zeit. Es werden die Felder in denselben beschrieben, die jetzt (1937) nicht mehr vorhanden sind. Äußere Seiten der Brüstungen in Felder geteilt, 1 & 3 sind übertüncht , enthalten wohl bibl Darstellungen. 2. Feld gehört wie 1 & 3 zum sog. Amtmannsstuhl und zeigt eine vergoldete Grafenkrone mit der Jahreszahl 1753. Unter der Grafenkrone ein Monogramm (Stolberg) umgeben von einem Lorbeer- und einem Palmenzweig. 4. Feld Engel, der den Stein von der Grabestür wälzt (Chor gehört Hinrich Thietjen). 5. Feld: Weiber gehen zum Grabe (gehörte Christian F. Thomsen). 6. Feld: Mutter Maria mit dem Auferstandenen (gehörte Frentz Tietgen). 7. bis 9. Feld Gutsherrschaftlicher Kirchenstuhl No. 2 Bilder: Jesus und die Emmausjünger, Heiland erscheint dem Thomas. Jesus erscheint den Jüngern am See Genezareth. 10. – 15. Feld Gutsherschaftl. Kirchenstuhl No. 1. 10. Feld hat Überschrift Unicus est fi axfons Christus, darunter Jesus mit den Samaritern. 11. Feld Überschrift: Plus meriti quam delicti, darunter Arm aus einer Wolke eine Waage haltend, eine Schale mit Kreuz, andere mit Erdkugel, 12. Feld Überschrift: Hic terminus esto, darunter der gestorbene Heiland am Kreuz. 13. Feld Überschrift: Hoc fila ducente, darunter ein schwebender Engel der einem unten stehenden Manne einen Faden reicht. Auf einer Bergspitze das himmlische Jerusalem. 14. Feld Überschrift: Quid dubidet ?, darunter Hand aus einer Wolke reicht einen Brief mit 2 Siegeln auf demselben steht Verbum Dei, auf dem linken Siegel Baptismus auf dem rechten Scäna. 15 . Feld Überschrift: Semper ad suum solem, darunter Sonnenblume, auf die Sonnenstrahlen fallen.
16. Feld blind. 17. – 22. Feld enthalten Rebuse oder Bilderrätsel, welche einer alten Auflage von Arndts wahres Christentum entlehnt sein sollen. 17. Feld Überschrift: Das Mindeste rühret die Erde. darunter Kugel, die auf einer ebenen Fläche ruht. 18. Feld Überschrift: Erhöhet durch den Fall. Darunter fontaine. 19. Feld Überschrift: Durch Kraft von oben. darunter fallen Sonnenstrahlen durch einen Brennspiegel und zünden einen Holzstoß an. 20. Feld Überschrift: Jeden einerley. darunter Palmbaum auf den die Sonnenstrahlen fallen. 21. Feld Überschr.: Eher keine Ruhe. darunter einen Kompaß. 22. Feld Überschrift: Je niedriger desto voller. darunter ein Ährenfeld. 23. Feld verlorenen Sohn. 24. Feld verlorenen Schaf. 25. Feld guter Hirte. 26. Feld Heilung der Aussätzigen. 26. Feld gehörte Hermann Hinrich Hartmann. 27. Feld Jahreszahl 1762 und darunter ungestümes Meer. 28. Feld hat Magdalena Metta Hartmanns malen lassen, Arbeiter im Weinberg. 29. Feld gehörte Jürgen Kruhse, Bild vom Säemann. 30. Bild Jesus der einen Blinden am Wege heilt. gehörte Catrina Kruhse. 31. Feld gehörte Hans Krohn, Verführungsgeschichte. 32. Feld gehörte Abel Krohns, Geschichte vom cananäischen ..eel… 33. Feld gehörte Johann Tiehs, Jesus treibt den Teufel aus. 34. Feld geh. Wiebecke Thiehsen, Speisung der 5.000. 35. Feld Emmausjünger. 36. Feld barmh. Samariter 37. Feld Jesus ißt das Brot im Haus des Obersten des Pharisäers.  Felder/Bilder lt. Bramstedter Bilder Bibel:

 

16.) –  17.) a.a.O., S. 97,  18.) a.a.O., S. 105,  19.) a.a.O., S. 113,  20.) a.a.O., S. 109,  21..) a.a.O., S. 111,  22..) a.a.O., S. 107,  23..) a.a.O., S. 117,  24..) a.a.O., S. 119,  25..) a.a.O., S. 121,  26..) a.a.O., S. 123,  27..) a.a.O., S. 125  28..) a.a.O., S. 127,  29..) a.a.O., S.  129,  30..) a.a.O., S. 131,  31..) a.a.O., S.  133,  32..) a.a.O., S.  135, 33..) a.a.O., S.  137,  34..) a.a.O., S. 139, 35.) fehlt   36.) fehlt  37.) fehlt

 An der Nordseite der Kirche 1. 2. 3. & 4. Chor bildeten den Königl. Kirchspielsvogtkirchenstand. 1. Feld Gabriel erscheint Maria. 2. Feld Maria besucht Elisabeth. 3. Feld Geburt Jesu. 4. Feld Beschneidung. 5. Feld  Weisen aus dem Morgenlande. 6. Feld Darstellung im Tempel. 7. Feld Flucht nach Ägypten. 8. Feld 12j. Jesus im Tempel. 9. Chor muß wohl mal dem adel. Gut gehört haben, denn im Felde eine vergoldete Krone mit einem Monogramm darunter Hochzeit zu Kana. 10. Feld Es soll Johannes heißen 11. Feld Joh. 1., 15.  12. Feld Taufe Jesu.  13. Feld Johannes vor Herodes.  Über dem Altar noch 6 Felder ziemlich verdeckt durch den Altar. a)

a) Bilder-Nr. in der Bramstedter Bilder Bibel:
1.) a.a.O., S. 45,  2.) a.a.O., S 47,  3.) a.a.O., S. 49,  4.) a.a.O., S 51,   5.) a.a.O., S. 53,  6.) a.a.O., S 55, 7.) a.a.O., S. 57,  8.) a.a.O., S 59,  9.) a.a.O., S. 61, 10.) a.a.O., S 63,  11.) a.a.O., S. 65, 12.) a.a.O., S 67, 13.) a.a.O., S. 69;  3 der 6 verdeckten = 71 – 75

 Zwischen Orgel & Kanzel an der Mauer steinerne Gedenktafel 2,75 m hoch, 1 m breit oben Kachelhaube. Inschrift: Zur Erinnerung an die in den Jahren 1848-50 aus der hiesigen Kirchspiels-Gemeinde fürs Vaterland Gefallenen. Darunter Wappen Schleswig-Holsteins mit den Worten Op ewig ungedeelt:
den Namen der Gefallenen.
Am 23. April 1849 gefallen bei Kolding:
1. Claus Wiekhorst aus Hagen, 3. Inf. Bat.
2. Johann Hinr. Kröger aus Bramstedt, 1. Jägercorps,
3. Tim Schmuck aus Bramstedt
4. Conrad Hinr. Pralle aus Armstedt,  6. Inf. Bat.
5. Hans Runge aus Brockstedt, 2. Jägercorps, verwundet
bei Kolding, gestorben im Lazareth

am 5. Juli gefallen bei Friiedericia
1. Tim Stamerjohann aus Bimöhlen, 1. Inf. Bat.
2. Johann Hinr. Rohde aus Bramstedt, 15. Inf. Bat.

am 25. Juli gefallen bei Idstedt:
1. Christian Hube aus Bramstedt, 13. Inf. Bat.
2. Jasper Mölck aus Brockstedt, 3. Jägercorps
3. Heinrich Wendt aus Weide, 5. Jägercorps
4. Johann Heinr. Schemmel aus Bramstedt, 3. Inf. Bat.
darunter verschiedene Kriegsembleme.
darunter steht:
gewidmet von der Bramstedter Kirchspiels-Gemeinde.

27. September 1879
Epitaphium des Gerdt Steding zum Andenken an eine 28 Wochen alte Tochter machen ließ. Es hatte vor Jahren seinen Platz in der Ostwand der Kirche über der Sakristei, war durch eine Gitterwand verdeckt, und hat dann den jetzigen Platz bekommen. Höhe 3,54 m, aus feinem Sandstein. Es ist geziert durch ein sog. Tymganon dessen senkrechte Höhe 37 cm beträgt und dessen schräge Seiten oder fastige 70 cm enthalten. Die Länge des Hauptgesimses beläuft sich auf 120 cm. Die senkrechte Höhe des Dreiecksfeldes beträgt 17 cm. Darauf folgt nach unten der Fries & unter diesen sieht man den Architrav. Darunter eine Nische oder ein Metogen von 76 cm Höhe und 74 cm Breite, welches seitlich durch 2 Anten (?) oder Lisenen abgeschlossen ist. In dieser Nische 2 Wappen, rechts zw. den Wappenhörnern ein Fuchs in sitzender Stellung, die Rute um den rechten Vorderfuß gehoben, geziert mit Palmenzweigen. Darunter ein Visier, von dem 2 Bänder auslaufen, welche das eigentliche Wappenfeld mit dem zwischen den Wappenhörnern genannten Bild halten. Das Wappen links zwischen den Hörnern einen geschlossenen Helm mit 2 Flügeln und Palmenzweigen. 2 Bänder tragen das Wappenfeld, woran ein geschlossener Helm mit 2 mit & vergoldeten Sternen geschmückten Flügeln. Am Grunde der Nische liegt auf Kissen ein ca. 3 cm langes Kind mit gefalteten Händen und Krausen um den Hals. Dem folgen  Valuten geziert mit Löwenmasken  und  Canellüren,  welche das  mittlere  Gesims  tragen, bestehend aus einer unten liegenden Sima, welche durch einen Rundstab mit der Byses oben verbunden ist. An der Sima eine Sphynx welche an Bändern Fruchtbüschel trägt. Darunter Schrifttafel 51 cm hoch 71 cm breit:
Anno 1586 den 29. Marti is gestarwen Christina, des Erentvest Gerdt Stedinges und Elisabeth, siner Huhsfrowen, Eheliche Dochter, Der Godt gnedigh si. Hadt gelevet 28 Woche 3 Dage und Darttein Stunde.
An beiden Seiten der Schrifttafel befinden sich die Pilaster die Veluten tragend und in Tiertatzen endigend, an beiden Seiten mit Canellnien geziert. Der Unterbau ist ein tragendes Gesimse mit jonisierenden Consolen an beiden Seiten. In der Mitte ein Schild mit einem mythischen Kopf.

4. Oktober 1879
Zwei gemalte Glasscheiben in dem ersten Fenster westlich von der Sakristei an der Südseite der Kirche. Farben trotz hohen Alters gut erhalten. Über der linken Scheibe steht: Desse Fenster heft der Ehrbare Kasper Vagedt wedder vorbetern lasen. Godt tho Ehren und disser Karken thom besten. Anno 1620. Unter dieser Überschrift ein Wappenfeld mit zwei weißen Tauben im blauen Feldt (Wappen der Familie Vaget) Darunter: Jürgen Vaget 1567. In der Scheibe rechts ist ein weißes Lamm, welches  die Kreuzfahne trägt. Darunter Marine Vagdes 1567. Höhe der Scheibe 24 cm, Breite 16 cm. Mit diesen Glasmalereien steht ein Legat von 300 M Cou. welches Johann Vagd der Kirche geschenkt hat. Von den Zinsen dieses Legats erhält des jedes m. Pastor zu Fastnacht 4 M. Cour., wofür er eine der beiden Scheiben zu unterhalten hat.
Ölbild an der linken Seite der Kanzel: Portrait des Pastors Detlevus Galenbecius von 1660-1687 Seelsorger. Oben rechts in der Ecke steht: D.G.P.E.B. Natur 1630 (Detlevus Galenbecius Pastor Eclesiä Bramstedtenis) Er trägt in der linken Hand eine Bibel, rechte Hand liegt auf der Brust.
Auf der Bilgenkammer steht noch ein Bild des Pastors Conrad Galenbeck, Sohn von Detlev, von der Zeit schon sehr mitgenommen.
Runde hölzerne Gedenktafel und Medallion. 119 cm Durchmesser. Schwarz angestrichen und mit einem Eichenkranz und einer blauen Schleife geziert. Im Eichenkranz steht: Martin Luther zollen den Tribut der Dankbarkeit seine Verehrer am 31. Oktober 1817. Links von diese Tafel hängt ein Medaillon aus Gips, Luthers Bildnis, eingeschlossen von einem schwarzen, hölzernen Rahmen, in Form einer Ellipse ( große Achse 34, kleine Achse 28 cm). Kosten für diese Gedenktafel & das Medaillon sind durch freundliche Gaben bestritten worden, Ertrag der Sammlung soll 7 – 800 MCour. betragen haben.

18. Oktober 1879
Orgel. Erste Anschaffung beschlossen 29. Mai 1573. Sie hat gekostet in Lohn und Zehrung 147 Mk. 1 F. 4 D. Entschluß bei der Visitation ist gefaßt worden von Probst Johannes Dastius zu Itzehoe, Pastor Nicolaus Winterberg zu Heiligenstedten, Magister Isaak v.d. Burg, Pastor zu Bramstedt, Paul Kayser und Detlef Wolter, Bediente des Herrn Stetthalters Hinrich Ranzau, Kirchspielvogt Jürgen Vagt, ferner die alten und neuen Kirchgeschworenen und noch 8 deputierte Männer aus den Gemeinden – diese Orgel, hat gedient bis in die Zeit des Schwedenkrieges (1657 – 60), ist in den Kriegswirren völlig ruiniert worden.
Nach dieser Zerstörung haben Anno 1667 die Kirchgeschworenen ein Positiv und Orgelwerk von der Glückstädter Stadtkirche ein Werk von 6 Stimmen gekauft. Hierzu ist eine  Anleye gemacht, von  jeder Feuerstätte 2 Mk. 8 Sch. zus. 515 Mark. In Glückstadt war zu bezahlen 360 Mk. Bis alles fertig war, kam die Sache zu stehen auf 510 Mk.
1696 Kontrakt mit Klapmeyer in Crempe. Abgeschlossen von Pastor Conrad Hinrich Galenbeck, Kirchspielvogt Averhoff, Juraten Jürgen Hardebeck, Hinrich Mohr, Johann Bartels, Marx Gripp.
Orgel von 24 Stimmen für 500 Reichsth. Cour.. Gegen eine weitere Vergütung von 250 Mk. Lübsch hat er die Orgel mit einem Rückgasetirn versehen. Sie wird 1701 vollendet.
1843 neue Orgel von Wohlien in Altona. Gemeinde vertreten durch Pastor Gerber, Juraten Hinrich Steckmest, Marx Warnholz, Hans Rathjen, Hinrich Blunck. Reis 4.500 Mk.. Einweihung am 11. Mai 1845.

25. Oktober 1879
Kirchturm soll 147 Fuß hoch sein, achteckige Pyramide mit Schindeln gedeckt.
1688 neue Urscheibe gemacht
1739 Uhrscheibe an der Südseite des Turmes.
Südseite hat ein Schalloch.
1635 neuer Turm. 1647 Gewitter   1648 Erdbeben.
1635 waren Kirchgeschworene Claus Steckmest & Gerdt Wulff aus Bramstedt, Tietke Hardeberg (?) Wiem. & Heinrich Tietken, Hitzhusen.
1678 harter Sturm, Weckler, Hahn und Knopf sind heruntergefallen.
1691 Turmmauer an der Westseite neu.
1701 Turm neu gedeckt und angestrichen.
1731 Turm angestrichen.
1738 Turmmauer an der Westseite neu ausgeführt, wie auch der Turm selbst aufge….ben, mit Holz mehr befestigt und verbunden und anstatt der Beden große Steine unter die Pfäle gebracht.
1833 Reparatur  in Folge eines Blitzstrahls

4 Kirchenglocken
1578 sind zwei Glocken umgegossen.
1595 wieder eine.

Nach Osten Kirchen- oder Betglocke. 1,15 m hoch  1,05 m Durchmesser Inschrift um den Mantel: Casper Vaget Anno 1594. D.H. Johs. Hamerich P., Pavius Neubuhr; darunter: Marquard Mertens + Heinrick Kruse + Heinrick Stamjohann + Clawes Runge. De Kercksworen. Weiter unten 10 cm breite Verzierung. Darunter: Bartolemeus Kockow. Dann ein Medaillon, Gott darstellend, welcher ein Kind auf dem linken Arm trägt und ein Szepter in der rechten hält. Zu den Seiten die Buchstaben: H.M.G.G.T.

In der Mitte große Bed- oder Sturmglocke. 1,35 m hoch  1,27 m Durchmesser, oben eine 28 cm breite Verzierung, in dieser ein 5 cm breiter Rand mit den Worten:
Soli Deo Gloria. Darunter eingeschlossen von 8 Verzierungen, 4 einen Engel und 4 eine Krone darstellend, ff. Namen: D.N. Magnus Crusius, Pastor Eclesiä Bramstedtensis. Johann Hamerich, Marx Westphal, Jasper Stühmer, Carsten Horns, Kirckgesworne.
Darunter Siegel mit dem Bildnis Christi und der Inschrift:
Confessionis evangelicä in commitis Augustaris exhibitaesacra säcularia XXV. Junii. Auf der entgegengesetzten Seite steht: Herr Anthan Günther Hanneken, Königlicher Conferen.. Rath und Ambtmann, Herr Ludwig Ottens, Präpositus in Segeberg, Herr Jochim Christian Wulff, Commissarius und Kirchspiel-Vogt.
Darunter drei in Blei abgedruckte Siegel: erstes Siegel das des dän. Königs Friedr. IV., es hat die Namensziffer mit der Krone, und da die Rundschrift: Dominus mihi adjutor. 2tes Siegel wohl das Kirchensiegel; Umschrift: Salvator mundi, salva nos MDCXLII. Drittes vielleicht das Kirchspielvogtei-Siegel. Weiter unten: Lawrentz Strahlharn me fudit LubecaeAnno 1732.

Dritte Glocke gegen Westen ist die Läuteglocke. Höhe 95 cm d hoch m 85 cm. Mantel ganz schlicht trägt nur den Namen des Gießers und die Jahreszahl: Bartolomäus Kockow 1594.
Vierte Glocke die Schlagglocke, hängt im Schalloch.

8. November 1879
Prediger. 3 Quellen f. schriftliche Aufzeichnung von Heinrich Galenbeck, Prediger zu Br. von 1623 – 1659   2. dünner Quartband begonnen 1752 von Pastor Detlev Chemnitz (1748 – 1773 unter dem Titel Memorabilia quädam ecclesiaeet parichiaeBramstedenis), 3. Heft zu Quartformat unter dem Titel „Auszug aus den vorhandenen alten und neuen Kirchenbüchern“ gesammelt im Jahr 1756 wahrscheinlich von dem derzeitigen Organisten Wilhelm Struve.
Einiges aus diesen Büchern:
Bis zum Jahre 1570 standen 2 Prediger an hiesiger Kirche; der erste hieß bis zum Jahr 1600 „Karkherr“. Der zweite war der Diakonus.
Im Jahre 1570 wurde das Diakonat aufgegeben. Später hieß der Karkherr nur Pastor.
1. Pastor Dn. Johannes v. der Lippe
2. Dn. Hermanus Bartfeld (36 Jahre scheint er Pastor gewesen zu sein) Diaconi zu seiner Zeit: a Friedericus N. ?  weggezogen, und elendiglich wie die Alten berichten, vor Lübeck soll gestorben sein.  b. Johann Wasmohr, so in dem Fastelabendt bei Hinrich Ordes haus von Eggert Bulten erschlagen, und der Täter zu Segeberg geköpfet.
3. Magister Isaak von der Burg  1570-1579; dernach ist er nach der Wilster Marsch zu Brocktorff  vor einem Pastoren gefordert.
4. M. Casparus Ludolphi  1580-85  dernach nach Hamburg vociret
5. Johannes Hamerich  1585 – 1622, war vorher Diaconus zu Segeberg.
6. Henricus Galenbecius  1623 – 1659  eingeführt unter Amtmann Marquard von Pentzen
7. Detlevus Galenbecius  1660 – 1687
8. Conrad Galenbeck  1684 Adjunkt  1687 – 1702
9. Magister Daniel Hartnacius  1702 – 1708
10. Johannes Peter von Kriegbaum  aus Darmstadt  1707 – 1725
11. Johannes Joachim Peper aus Segeberg  1725 – 1729
Er hat ff. auf lateinisch aufgeschrieben:
Seines Eifers wegen in der Wahrheit aus dem Amt vertrieben 1729. Undankbares Vaterland, nicht einmal meine Gebeine sollst Du haben. Es ist wenig, von einem menschlichen Tage gerichtet werden.
12. Magnus Crusius aus Schleswig  1731 – 33
hat ff. auf lateinisch aufgeschrieben:
Darauf (nämlich 1733) berufen zum Pastorat in Rendsburg, wünscht er der Gemeinde Bramstedt alles Gute und den mannigfaltigen göttlichen Segen. Es war aber Crusius zuvor Prediger der dänischen Gesandschaft zu Paris bei Herrn von Wedderkopp, von da wurde er nach Bramstedt, darauf nach Rendsburg zum Pastor in der Garnisonsgemeinde berufen. Hiernach ist er von dem Könige von Großbritannien nach Göttingen zum Professor der Theologie an der dortigen Universität berufen worden, und endlich zum Generalsuperintendenten in Hamburg gemacht, hat er sein Leben beschlossen im Jahr 1753.
13. Johann Georg Messarosch  1733 – 1747
Er hat ff. lateinisch geschrieben:
Auf den Wink Gottes und unter dem Schirm Seiner großen Barmherzigkeit von hier weggesand zu der Gemeinde der Mährischen Brüder wünsche er seinem Nachfolger und seinen geliebten Zuhörern die Gnade des Heilandes und Frieden und Barmherzigkeit in seinem Kranze von ganzer Seele wird auch solches bis in seinen Tod zu wünschen nicht aufhören.
Hierauf folgt in deutscher Sprache noch ff.:
Die Andern deucht es schade, mir aber deucht es Gnade. Unsern Eingang segne Gott, bis Ende des Verses.) Und nachdem eine allergnädigste Königl. Ordre eingetroffen, daß ich alle meine Hab-Seligkeiten hier im Lande lassen und nicht einmal das Reise-Geldt von dem meinigen nehmen soll, so wurden meine meubles den 16. & 17. October allhier öffentlich verauctionnieret, und  ich  davon  nicht  einen  Pfennig  bekommen,   sondern  die meinigen Anverwandten sowohl dieß Geldt als auch mein Capital zu sich genommen, und ich also den 23. October mit Freuden davongegangen. Der Name des Herrn sey gelobet.
Es folgt nun noch eine lat. Eintragung:
Zur Zeit des Herrn Messarosch ward vom König als Katechat eingesetzt Tobias Metzel aus Ungarn. Er hat dieses Amt 6 Jahre hindurch bis 1762 verwaltet, dergestalt jedoch, daß ihm weder von den Eingepfarrten noch von dem Pastor, sondern von dem Köngl. Amtmann Herrn Grafen zu Stollberg, sein Gehalt gezahlt wurde. Er hat sich als einen wahrhaft rechtschaffenen, untadeligen und in seinen Amte  fleißigen Mann bewiesen. Von hier ist er als Pfarramtsadjunct nach Wandsbek berufen worden.

15. November 1879
14. Detlev Chemnitz  1738 – 1772
er hat lat. ff. aufgeschrieben:
Geboren 1720 in Gikau in Holstein-Wagrien, Sohn des Pastors Matthäus Chemnitz, zuerst in Gikau, dann in Schönberg. Nach seiner Rückkehr aus Spanien, wo er bei dem Königl. dänischen Gesandten Herrn Grafen von Dehn das Amt eines Gesandtschaftspredigers in den Jahren 1746, 47 & 48 verwaltet hatte, wurde er vom Könige nach Bramstedt berufen und trat dieses Amt an am 24. Sonntag nach Trinitatis 1738, in welches ihn eingeführt haben der Königl. Amtmann zu Segeberg Herrn Graf zu Stolberg und Herr Pastor Krück in Leezen, als Stellvertreter des Probsten Hein(rich Anton Burchard)

Hier enden die vorhandenden Abschriften zur Kirche aus 1879; es fehlen die weiteren Seiten.

Weitere Literatur zur Kirche:
1. Hans Hinrich Harbeck, Chronik von Bramstedt; Johannesburg 1959
2. Pfeifer/Schulze, 650 Jahre Maria-Magdalenen-Kirche zu Bad Bramstedt, Bad Bramstedt 1966
3. Rainer Rahlmeier, Bramstedter Bilder-Bibel,  Bad Bramstedt 1995

 

Über die Heilquellen

Matthias Heesch entdeckte im Frühjahr 1879 die Quellen und erschloß sie auf Anraten des Bramstedter Arztes Dr. Postel.
22. Juli 1879: 1)
Nachdem der Besitzer der Salzquelle, Herr Zimmermeister Heesch hierselbst, dafür gesorgt hat, daß kein süßes Wasser mehr in die Quelle hineinströmen kann und das Wasser sich in ein Bassin ergießen muß, an welchem er ein Badehaus erbaut hat, in welches das salzhaltige Wasser hineingelassen werden kann, können wir jetzt für wenig Geld Salzbäder nehmen.

30. August 1879
historische Berichte zum Brunnen vermutlich auch von Quitzau:
Die Brunnenkoppel auf dem Kirchenmoor war früher, soweit die Alten wissen im Besitz des alten Jochim Mohr, später gehörte sie dem alten Drittelhufner Dehnkamp darauf wurde sie Eigentum des nach Amerika gegangenen Huusfeldt, und jetzt gehöre sie Bäse. In Dankwerths Chronik aus 1652 steht nichts über die Quellen.
1681 soll die Schwefelquelle nach Schröders Topographie von Holstein zuerst in den Ruf großer Heilkräfte gekommen sein. Auf Mast gehende Schweine sollen die Quelle bloß gewühlt haben. Hirte wurde durch das Trinken vom Fieber geheilt.
1761 wieder berühmt. Dr. Lesser zu Preetz verfaßte eine Abhandlung über den zweckmäßigen Gebrauch des Brunnens. Spalkhawer hat das Wasser auf seine Bestandteile untersucht. Der alte Herr Dr. Lesser wird von dem königl. dänischen privilegierten Buchdrucker für Bramstedt, Herrn G.H. Mahncke, für den anständigsten Arzt gehalten. Mahncke war Redakteur des niederelbischen „Merkur“ und wohnte zur Franzosenzeit als Flüchtling hierselbst und zwar in dem Hause das jetzt Hans Kröger von den Erben des Kätners Kaps gekauft hat. Er verheiratete sich hier in Bramstedt im Jahr 1811 mit der Witwe Anna Hedwig Rohlf geb. Blaurath (Bäckerstochter).
1806 kommt der Brunnen wieder in die Aufnahme. Er war derzeit mit Bohlen eingefriedigt und durch die Bretter auch vor Sonnenstrahlen geschützt. Johann Ott aus Hagen hatte dies Dach hergestellt und war später Aufseher über den Brunnen. Jetzt mußte das Wasser von den Trinkenden bezahlt werden. An der einen Seite der Bohlenwand war eine metallene Röhre durch diese wurde das überflüssige Wasser der Aue zugeführt..
Der Brunnen  .sate damals 17280 Pfund Wasser täglich. An der anderen Seite der Bretterwand ein Hahn zum Auszapfen. Als Auszapfer der als Nachtwächter bekannte alte Hohnschildt. Unweit des Brunnens zwei Badehäuser, jedes enthält eine große Badewanne. Auf der Brunnenkoppel ein Armenblock mit großem eisernen Schloß. 1761 befanden sich 2064 Mark darin. Rund herum standen Bänke und Tische. Eine 1879 noch lebende Witwe diente derzeit im holst(einischen) Haus und erzählt, daß sie mit der Wirtin in 3  Wochen nicht aus den Kleidern gekommen wären, weil alle Betten und Stuben von Fremden besetzt waren. Jeden Morgen kamen 8 junge Mädchen aus Wiemersdorf, um Wasser in großen Kruken nach ihrem Dorfe zu tragen. Nach und nach blieben die Gäste aus. Das Wasser sollte seine Heilkraft verloren haben. Einige gaben dem damals hier wohnenden Apotheker Nordt die Schuld; er habe seiner Apotheke halber das Wasser für gewöhnliches Brunnenwasser erklärt.
1840 soll der Brunnen seine Heilkraft wieder erlangt haben.
Die Quelle auf dem Grund und Boden von Heesch enthält Salz und Eisen und wird von hiesigen Ärzten seruphulösen Kindern und Bleichsüchtigen empfohlen.

den 17. September 1879
über die Quellen von C.W.
1809 nach überall in der Provinz Nachricht über den Brunnen in Bramstedt. In wenigen Wochen Br. voll von Besuchern. Flaute bald ab, weil die Leute nun gedacht haben, für alles hier Heilung zu finden.
1681 Quelle entdeckt, Hirte Gerd Gisler.
1761 wieder in Aufnahme. Heusler in Kiel, damals noch in Segeberg untersucht das Wasser. Er entdeckte 6 verschiedene Quellen, von denen 3 mineralisches, 3 wildes Wasser mineralisch alkalische Bestandteile und Schwefel & Eisen enthalte.

20. September 1879
wieder von C.W.
Die erste schriftliche Nachricht über unsere Quellen fand ich in einer sehr selten gewordenen Schrift ff. Titels: Gründliche Nachrichten wegen des Gesundbrunnens zu Bramstedt, vom 7ten des Geu….  nals im 1681. Jahr zum Druck übergeben durch Christian von Stöcken, der heiligen Schrift Doctor und königl. Probsten des Amtes Segeberg.“ Er führt an, daß über 3000 Menschen seiner Brunnenpredigt beigewohnt hätten.
Man weiß nicht warum die Quelle 1761 plötzlich wieder aus der Vergessenheit hervorging. Amtmann von Arnold  schreibt damals darüber an den Staatsminister von Bernstorff. Der Amtmann findet es wegen des großen Andranges nötig, beim Brunnen ein Plakat anzuschlagen, daß den Besuch regelt.

24. September 1879
wieder C.W.
Unteroffiziere mit einer Wache hatten Aufsicht zu führen. 1761 haben die Altonaer Ärzte Struensee, Cilano und Unzer das Wasser näher untersucht. Heusler hatte gefunden, daß in diesem einen Brunnen auf dem Kirchenmoor sich 6 Quellen vereinigten. Heilerfolge, endlich beglaubigt, haben wir schon an anderer Stelle darunter als Bramstedter hier unter anderen genannt: Pastor Chemnitz & Tochter, Nicolaus Meyer, Drittelhufner Heinrich Ramm; Witwe Abel Boyen; Detlef Rolfs; Jasper Wilkens.

27. September 1879
nochmals C.W.
Woher das Wiederaufleben 1809 weiß man auch nicht. In dieser Zeit  hat man dann in der Nähe einige andere Mineralquellen aufgefunden. Man entdeckte zwei Stahlbrunnen; nicht weit von der Lentföhrdener Aue, da wo sie in die  Bramau mündet (?). Einer hinter der Hambrücke hatte damals 5 springende Quellen, der  andere  unmittelbar  neben  der  Aue  in  niedriger  Gegend bestand aus 3 springenden Quellen, heute sind sie fast ganz versandet.
1809 hat man eine Menge von mineralischen Quellen auf der damals sogenannten Salzwiese untersucht und sie als eisenhaltige Salinen erkannt. Die Salzwiese lag „hinter Halenfiörd“ in der Schmalfelder Aue.
Nun hat Heesch auf seinem Grund Quellen gefunden; sie sollen auch aus bedeutender Tiefe kommen, einige konnten mit einem 14 füßigen Erdbohrer kaum gegründet werden.

19. Dezember 1879: 1)
Unsere Badeanlage fängt schon an sich bemerkbar zu machen. Herr Zimmermeister Heesch, der für seine opfermuthige Thätigkeit alle Anerkennung verdient, ist augenblicklich beschäftigt mit der inneren Einrichtung eines im Frühjahr zu bauenden Pavillions in der Nähe des Gesundbrunnens. Derselbe baut gegenwärtig ein Schwimmbassin, dessen ausgegrabene Erdmassen er zum Theil als Wall um einen Karpfenteich verwendet. Mit dem Eintreten besserer Witterung trifft die nicht unbedeutende Karpfenbrut hier ein. Hiermit macht Herr Heesch ein Anlage, deren Bedeutung für die Badeanstalt nicht unwesentlich ist. Die Einrichtung des in Rede stehenden Karpfenteiches ist der Art, daß eine Rentabilität desselben unzweifelhaft erscheint. Wir wollen nicht versäumen, unserem  thätigen Mitbürger den besten Erfolg zu wünschen.

2. Juli 1880: 1)
Betreffs der Bohrungen auf unserer Badeanstalt können wir unseren Lesern die freudige Nachricht mittheilen, daß heute Abend bei einer Tiefe von 178 Fuß endlich Springwasser erbohrt worden ist. Der Salzgehalt desselben konnte bis jetzt noch nicht festgestellt werden, da daßelbe noch mit dem beim Bohren hineingepumpten Wasser vermischt ist.

6. Juli 1880: 1)
Mit dem heutigen Tage können wir unseren hiesigen, wie aus- wärtigen Lesern die erfreuliche Nachricht machen, daß hier eine Salzquelle entdeckt wurde, die so reichhaltig an Salz ist, daß dieselbe sich voraussichtlich den ersten Rang aller heilkräftigen Bäder Schleswig-Holsteins erringen wird. Eine oberflächliche Untersuchung der Quelle hat ergeben, daß sich in derselben annährend 2 Prozent Salz befinden, und haben unsere Herren Ärzte sich nunmehr über deren heilsame Wirkung günstig ausgesprochen. Möge diese Entdeckung zum Heile und Wohle des Orts gereichen.

13. Juli 1880: 1)
Jetzt, nachdem die langgesuchte Salzquelle gefunden, wird ununterbrochen an der Instandsetzung der Warmbäder gearbeitet. Der Dampfkessel und Leitungen sind bereits angebracht und wird das Bad am 20. Juli eröffnet werden können.

20. Juli 1880: 1)
Es fand die Eröffnung der Badeanstalt statt.

1) entnommen aus Bramstedter Nachrichten vom 16.4.1927

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