Platte: Bad Bramstedt im 20. Jahrhundert

Im Auftrag der Stadt Bad Bramstedt erstellte der seinerzeitige Stadtarchivar, der Gymnasiallehrer Wolfgang Platte, zum 75jährigen Stadtjubiläum Schrift unter dem Titel „Bad Bramstedt im 20. Jahrhundert“, die die Ortsgeschichte von ca. 1910 bis in die 1970er umreißt mit besonderem Schwerpunkt auf die Jahre 1914-45.
Der 2016 amtierende Bürgermeister der Stadt Bad Bramstedt, Hans-Jürgen Kütbach gestattete mir, diese Schrift hier wiederzugeben.
Die der Orginalschrift angehängten Bilder habe ich soweit möglich als pdf-Datei angehängt.
Meine eigenen Anmerkungen/Einschübe zu dem Text sind in [ ] Klammern gesetzt.

Wolfgang Platte

Bad Bramstedt im 20. Jahrhundert

75 Jahre Stadtgeschichte im Spiegel der Akten des Bad Bramstedter

Stadtarchivs und Berichten der Lokalpresse

 1. Auflage 1985

Copyright by Stadt Bad Bramstedt, Bleeck 17, 2357 Bad Bramstedt.
Alle Rechte der Vervielfältigung und Verbreitung einschließlich der Fotokopie und des auszugsweisen Nachdrucks vorbehalten.

Druck: C. H. Wäser. 2360 Bad Segeberg

Inhaltsverzeichnis

1. Vorbemerkung 5
2. Gottlieb Carl Christian FreudenthaI – Wegbereiter des modernen Bramstedts 9
3. Das Jahr 1910 – Geburtsjahr der Stadt Bad Bramstedt 15
4. Die Zeit des I. Weltkrieges 19
5. Bad Bramstedt in der Zeit zwischen den Kriegen 27
5.1. Das Ringen um eine neue politische Ordnung 27
5.2 Die Entwicklung zum modernen Kurbad und Fremdenverkehrsort 32
5.3. Bad Bramstedt unterm Hakenkreuz 37
5.3.1. Voraussetzungen und Anfänge 37
5.3.2. Bad Bramstedt im Zeichen des neuen Deutschland 41
6.  Bad Bramstedt zur Zeit des 2. Weltkrieges 49
7.  Von der Stunde ,,0″ in die achtziger Jahre 57
8. „Die Zeit zeitigt Veränderungen“ – Bad Bramstedt im Spiegel von Bilddokumenten – Reklameanzeigen Bramstedter Firmenaus dem Jahre 1910 69
9. Literaturverzeichnis 104

Vorbemerkung

„Die Zeit zeitigt Veränderung.“ Dieser, Thomas Manns Roman-Epos Der Zauberberg entnommene Satz charakterisiert in eindrucksvoller Weise den Einfluß der als „Zeit“ bezeichneten historischen Abläufe einer übergeordneten räumlichen Dimension auf den untergeordneten Bereich eines Mikrokosmos; z. B. einer Familie, aber auch einer Stadt oder einer Region. Er ist also in besonderem Maße geeignet, einer Darstellung, die sich hauptsächlich mit der geschichtlichen Entwicklung des Mikrokosmos Stadt beschäftigt, vorangestellt zu werden.

75 Jahre, die Zeitspanne also, die seit der Umbenennung des bisherigen Fleckens Bramstedt in Bad Bramstedt verstrichen ist, entspricht etwa der eines Menschenlebens, ist somit also überschau bar. Sie ist aber im gleichen Maße wiederum unüberschaubar, da gerade die Zeit zwischen 1910 und 1985 tiefgreifendere Veränderungen gezeitigt hat, als dies in vorangegangenen Jahrhunderten der Fall war, weil die Einwirkungen der historischen Abläufe weitaus größerer räumlicher Bereiche nachhaltiger geworden sind als dies noch vor einem Jahrhundert der Fall war. Das Netz der Einflüsse, der sogenannten äußeren Geschichte, auf den Ablauf der inneren Fortentwicklung einer Gemeinde oder einer Region ist komplexer und somit unüberschaubarer geworden.

Die Umbenennung des Fleckens Bramstedt in Stadt Bad Bramstedt im Jahre 1910 fällt in eine Zeit, die von der Wirtschafts- und Sozialgeschichte her gesehen den Endpunkt der industriellen Revolution markiert, die gleichsam überleitet in eine Phase historischer Entwicklung, die die Folgen dieser industriellen Revolution zu meistern hat. Mit dem Jahr 1985 haben wir schließlich eine Entwicklungsstufe erreicht, die diese Folgen noch immer nicht gemeistert hat, sich aber schon zum Aufbruch in die mikroelektronische Revolution anschickt. Aber nicht nur die technischen Veränderungen zwischen den Jahren 1910 und 1985 erscheinen revolutionär. Zu nennen sind hier auch im besonderen Maße die veränderten politischen, sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und weltanschaulichen Verhältnisse, die den Verlauf der äußeren Geschichte zwischen 1910 und 1985 kennzeichnen und ihre Wirkungen in der Stadt Bad Bramstedt gezeitigt haben. Zwischen beiden Markierungspunkten der vorliegenden Betrachtung liegen zwei Weltkriege, ein gescheiterter und ein gelungener Versuch demokratischen Neubeginns, mehrfacher wirtschaftlicher Ruin, totalitäre Gewaltherrschaft, Zerstörung und Untergang sowie neuerlicher Wiederaufbau. Aufzuzeigen, welche Spuren die sog. äußere Geschichte, die Schulbuchgeschichte also, in unserer Stadt Bad Bramstedt hinterlassen hat, soll die Hauptaufgabe der vorliegenden Darstellung sein.

Es wird sich dabei, wie auch ein Blick in die ältere Geschichte Bad Bramstedts zeigt, herausstellen, daß es die Bramstedter immer wieder verstanden haben, Entwicklungen und Ereignisse, die von außen auf sie zukamen, die sie weder veranlaßt noch gewünscht hatten, in einem für die Stadt positiven Sinne zu meistern und für eine aktive Ortsentwicklung zu nutzen. Hier kann, stellvertretend für zahlreiche andere Beispiele, auf das Werk des Bramstedters Jürgen Fuhlendorf verwiesen werden. Der alljährlich geübte Brauch der Fleckensgilde, das Wirken dieser wohl prominentesten historischen Persönlichkeit der Bramstedter Geschichte durch den alljährlich stattfindenden Tanz um den Roland immer wieder in Erinnerung zu bringen, ist, bei genauerer Betrachtung der Geschichte Bramstedts, mehr als eine nostalgisch anmutende folkloristische Darbietung: Denn Obwohl das Vermächtnis Jürgen Fuhlendorfs als auch der Symbolcharakter des Roland-Standbildes verbinden sich zu einem für die historische Entwicklung der Stadt charakteristischen Leitmotiv: Steht das Roland-Standbild symbolisch für die landesherrliche Garantie der Freiheit des Handels und der Marktgerechtigkeit sowie der Sicherheit der im Schatten des Roland-Standbildes lebenden, arbeitenden und handelnden Menschen, so steht das historische Vermächtnis Jürgen Fuhlendorfs für die uneigennützige Verteidigung dieser Werte gegenüber äußeren Anfechtungen. Die Wertvorstellungen, die mit beiden Namen Roland – und Jürgen Fuhlendorf – verbunden sind, geben gerade der von so tiefgreifenden Veränderungen geprägten Geschichte des 20. Jahrhunderts Ordnung und Kontinuität.

Die Umwandlung eines Dorfes oder eines Fleckens in eine Stadt vollzieht sich normalerweise in Form einer feierlichen Verleihung von Stadtrechten. Sie stellt somit eine wichtige Gelenkstelle in der Ortsgeschichte dar, steht sie doch sowohl für einen neuen Anfang mit glanzvoller Zukunft als auch für den Abschluß einer weniger glanzvollen politischen Daseinsform.

Der Übergang vom Flecken zur Stadt vollzog sich hier sehr viel nüchterner als dies üblicherweise der Fall ist: Weder gibt es eine offizielle Verleihungsurkunde des Landesherrn, noch fanden besondere Feierlichkeiten statt. Die Ereignisse des Jahres 1910 stellen sich, wie weiter unten zu zeigen sein wird, als ein reiner Verwaltungsvorgang dar. Der für die Ortsgeschichte entscheidende Wendepunkt trat bereits lange vor dem Jahr 1910 ein. Es war der 12. Januar des Jahres 1867, der Tag also, an dem die Schleswig-Holsteiner und somit auch die Bramstedter Preußen wurden. Dieses Ereignis, sowohl von den Schleswig-Holsteinern als auch von den Bramstedtern zunächst nur widerwillig hingenommen, sollte mit dazu beitragen, die Voraussetzungen für die Entwicklung vom Flecken zur Stadt zu schaffen.

Die am 12. Januar 1867 vollzogene Umwandlung der Herzogtümer Schleswig und Holstein in eine preußische Provinz führte insbesondere in der Wirtschaft des Landes und somit auch der ländlichen Kommunen zu tiefreifenden Veränderungen. An die Stelle der zahlreichen wirtschaftlichen Wechselbeziehungen zum Norden (Dänemark) und Westen (England) trat – besonders durch den Anschluß an den Deutschen Zollverein vom 15.11.1867 – die enge Bindung an den deutschen Wirtschaftsbereich. Die Verordnungen des norddeutschen Bundes über die Gewerbefreiheit und Freizügigkeit vom gleichen Jahr schufen den erforderlichen Rahmen für ein dynamisches wirtschaftliches Wachstum, wie es bereits in Mittel- und Westeuropa seit 20 Jahren herrschte. Schleswig-Holstein, insbesondere der südliche Raum, war aus seiner wirtschaftlichen Randlage befreit worden. Die Probleme und Aufgaben, die nunmehr auf den Flecken Bramstedt zukamen, lassen sich wie folgt umreißen:
Ein Blick in die Geschichte Bramstedts im 18. und 19. Jahrhundert zeigt, daß die Erträge der Landwirtschaft zur Sicherung der allgemeinen Ernährung der Bevölkerung nicht ausreichten. Für die ansässige bäuerliche Bevölkerung war daher die Ausübung eines meist handwerklichen Nebenerwerbs notwendig. Ein weiterer wichtiger Erwerbszweig war seit jeher das Krügergewerbe, da sich der Flecken wegen seiner naturgeographisch günstigen Lage schon früh zu einem Verkehrsknotenpunkt entwickelt hatte. Hinzu kommt ein sich wegen des bereits im Jahre 1681 entdeckten Gesundbrunnens stetig fortentwickelnder Fremdenverkehr. Die Wirtschaftstätigkeit Bad Bramstedts war somit auf gute Verkehrsverbindungen angewiesen; nicht nur wegen des Durchgangsverkehrs und der Besucher, sondern weil der Ort wegen seiner Märkte und seines Dienstleistungsangebotes durch das Handwerk auf eine entsprechende Infrastruktur angewiesen war.

Brachte bereits die Trassenführung der in den Jahren 1844/45 errichteten Eisenbahnstrecke Altona/Kiel über Elmshorn und Wrist einen ersten deutlichen Rückschlag für den Flecken Bramstedt, so gingen von der Einbindung Schleswig-Holsteins in den deutschen Wirtschaftsraum schwerwiegendere Gefahren aus. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die nunmehr auch in Schleswig-Holstein fortschreitende Industrialisierung und die damit verbundene Binnenwanderung vom Land in die Stadt. Es galt durch geeignete Maßnahmen – insbesondere junge Leute – von einer möglichen Abwanderung in die stark expandierenden Städte, z. B. Neumünster, Hamburg oder Kiel, abzuhalten. Voraussetzungen mußten geschaffen werden, um die Erwerbsmöglichkeiten in Bramstedt nicht nur zu erhalten und zu sichern, sondern durch Ansiedlung von Gewerbebetrieben unter Ausnutzung der nunmehr auch in Schleswig-Holstein geltenden Gewerbefreiheit auszunutzen. Auch die Verbesserung der schulischen Bildungsmöglichkeiten war eine Aufgabe, die sich in diesem Zusammenhang stellte.

Daß diese Aufgaben im Sinne einer aktiven Ortsentwicklung angepackt und für den Flecken nutzbringend gelöst worden sind, ist in der Hauptsache einem Manne zu verdanken: Gottlieb Karl Christian Freudenthal.

 2. Gottlieb Karl Christian Freudenthal – Wegbereiter des modernen Bramstedts

Am 21. Juni 1879 tritt der im Fleckensbuch als „Goldarbeiter“ bezeichnete Gottlieb Karl Christian Freudenthal sein Amt als Bramstedter Bürgermeister an, das er bis zum 1. Januar des Jahres 1909, knapp 30 Jahre also, bekleiden sollte. Er ist somit der bislang dienstälteste Bürgermeister des Ortes.

Freudenthals Amtsführung ist geprägt durch zahlreiche Maßnahmen, die den Flecken Bramstedt aus der Randstellung, in die er im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geraten war, wieder herausführen. Dabei sollte dem Ort allerdings das Schicksal der Industrialisierung erspart bleiben. Freudenthal setzte vielmehr auf die bisherige Entwicklung Bramstedts und erkannte hier zahlreiche Möglichkeiten die Wirtschaftskraft des Fleckens mit Hilfe der bereits vorhandenen Einrichtungen und ohne tiefgreifende Eingriffe in die bisherige Sozialstruktur zur stärken und den neuen Erfordernissen anzupassen. Daß er dabei, auch aus heutiger Sicht, sehr modern dachte und mehr auf qualitatives als auf quantitatives Wachstum setzte, ergibt sich aus den zahlreichen von ihm getroffenen Maßnahmen.

So gelang es ihm während seiner ersten sechsjährigen Amtsperiode, mehrere hundert Morgen Ödland, das als Folge der Verkoppelung seit der Jahrhundertwende brach lag, für nur fünf Reichsmark vom Fiskus zu erwerben. Zug um Zug wurde es durch sogenannte Tippelbrüder, die sich auf die Weise Kost und Logis bei der Bramstedter „Verpflegungsstation“ abarbeiteten, aufgeforstet. Auf diese Weise entstand der am süd-östlichen Stadtrand gelegene Stadtwald, der zunächst nicht nur eine Verbesserung des Stadtbildes bewirken, sondern auch einen zusätzlichen Anziehungspunkt für die seit der Eröffnung des Matthias-Bades immer zahlreicher werdenden Erholungsgäste darstellen sollte. In den Jahren 1929/31 diente dieses Waldgebiet als Grundlage für die Errichtung der Rheuma-Heilstätte.

Weitaus bedeutender für die Fortentwicklung des Ortes war jedoch Freudenthals Bemühen um den Anschluß Bramstedts an die Kaltenkirchener Bahn, der schließlich im Jahre 1898 erfolgte: Am 20. August des Jahres lief pünktlich um 9.58 Uhr der erste Zug in den Bramstedter Bahnhof ein. Obgleich die Reise von Bramstedt nach Hamburg-Altona mit der Kaltenkirchener Bahn mehr als zwei Stunden beanspruchte und – wie zeitgenössischen Berichten zu entnehmen ist – auch teilweise recht abenteuerlich war, so stellte der Bahnanschluß eine wichtige Verbesserung der örtlichen Infrastruktur dar. Hauptsächlich wurde der Fremden- und Ausflugsverkehr von Hamburg nach Bramstedt gefördert; denn die Tarife waren im Vergleich zu den Fahrpreisen der Reichsbahn ausgesprochen günstig; galten doch von der Streckeneröffnung an bis hinein in die 50er Jahre dieses Jahrhunderts besondere Ermäßigungen für Fahrten von Altona nach Bramstedt. So mußten Kurgäste und deren Besucher lediglich 50 %, Tagesgäste 66 2/3 % des normalen Fahrpreises für eine Rückfahrkarte nach Bramstedt bezahlen. Besonders Eilige konnten sich auch mit dem Fuhrwerk des Gastwirtes Fuhlendorf nach Wrist mit Anschluß an die Reichsbahnstrecke nach Kiel bzw. Hamburg bringen lassen. Auch die Postbeförderung erfolgte auf diesem Wege. Die Beliebtheit dieser Verkehrsverbindung zeigt letztlich die Inbetriebstellung eines Kraftomnibusses auf dieser Strecke am 15.12.1913.

Der weiteren Verbesserung der Wirtschaftskraft – aber auch der Erschließung neuer Finanzquellen für weitere Vorhaben des Fleckens – diente letztlich auch die von FreudenthaI betriebene Neugründung der Flecken Bramstedter Spar- und Leihkasse Aktiengesellschaft vom 18.11.1899. Sie sollte die bislang lediglich auf Vereinsbasis betriebene Spar- und Leihkasse von 1847 zu Bramstedt übernehmen und weiterführen. Dadurch, daß sie in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft sehr viel leistungsfähiger als ihre Vorgängerin war, konnten nunmehr auch größere Investitionsvorhaben der örtlichen Wirtschaft finanziert werden, wobei die Gewinne der Sparkasse dem Flecken als einzigen Aktionär zukamen.

Wichtigstes, mit Mitteln der Fleckenssparkasse finanziertes, öffentliches Investitionsvorhaben vor Ausbruch des ersten Weltkrieges war der im Jahre 1906 abgeschlossene Bau eines E-Werkes. Am 22.9.1906 um 19.30 Uhr betätigte Freudenthals Tochter Elise den Schalthebel und löste so auch in Bramstedt das elektrische Zeitalter aus. Bramstedt war modern geworden.

Das seit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts immer stärker ansteigende Bildungsbedürfnis, insbesondere der bürgerlichen Mittelschichten, ließ die Notwendigkeit einer höheren Schule in Bramstedt immer deutlicher werden. Auch hier geht die Initiative zunächst von Freudenthal aus. Zusammen mit Pastor Dr. Ernst Hümpel und dem Arzt Dr. med. Paul Wulf treibt er die Vorbereitungen zur Gründung eines Vereins für die höhere Privatschule voran. Im Jahre 1908 ist es schließlich soweit: Nach langen organisatorischen Vorarbeiten erfolgt die Vereinsgründung am 2. 2.; der Unterricht wird am 1. Mai in angemieteten Räumen über einer Tischlerei am Landweg aufgenommen. Unterrichtsziel sollte nach den Vorstellungen des Vereins die Vorbereitung der Schüler auf den Besuch einer höheren öffentlichen Lehranstalt sein. Aus dem anfänglichen, räumlichen und inhaltlichen Provisorium ist schließlich nach mehreren Entwicklungsetappen ein voll ausgebautes Gymnasium, das den Namen Jürgen Fuhlendorfs trägt, hervorgegangen.

Das neuzeitliche Gepräge des Fleckens zeigte sich aber nicht nur in den oben beschriebenen Maßnahmen Freudenthals, denn sie hatten hauptsächlich motivierenden und initiierenden Charakter. Wichtiger sind die Veränderungen, die sie in Ortsbild und Charakter zeitigten. Äußere Indikatoren hierfür sind Einwohnerstatistik und kommunale Vermögensverhältnisse einerseits sowie die Entwicklung der privaten Investitionstätigkeit andererseits.

Mit Hilfe der Einwohnerstatistik läßt sich der von äußeren Faktoren bestimmte Entwicklungsverlauf des Ortes plastisch nachzeichnen. Ging die Einwohnerzahl Bramstedts im Zeitraum zwischen 1867 und 1880 u. a. als Folge des in Schleswig-Holstein nunmehr auch spürbaren Binnenwanderungsprozesses kontinuierlich von 2200 auf 1935 zurück, so stabilisierte sich die Entwicklung in den Folgejahren, um dann in der Zeit zwischen 1889 und 1910 rapide auf 2 604 anzusteigen. Die Gefahr, in den Sog der als Folge der Industrialisierung zu beobachtenden Binnenwanderung zu geraten, war somit gebannt. Ein Blick in die Vermögensstatistik des Ortes zeigt eine vergleichbare Entwicklung im Zeitraum zwischen 1867 und 1910. So ist z. B. der Schuldenstand des Jahres 1910 in Höhe von 213 911 Reichsmark, gemessen an vergleichbaren anderen Städten Schleswig-Holsteins, außerordentlich gering. So lassen sich z. B. für die Stadt Nortorf im Jahre 1910 Schulden in Höhe von 343 728 Reichsmark oder Barmstedt mit 532 680 Reichsmark sowie Kellinghusen mit 632 853 Reichsmark nachweisen. Diesem Passivbestand stehen an Aktiva in Bramstedt 310 358 Reichsmark, in KelIinghusen 17 810 Reichsmark, in Nortorf 13 112 Reichsmark gegenüber; für 10 die Stadt Barmstedt werden für das Jahr 1910 keinerlei Aktiva – außer dem Grundvermögen nachgewiesen. Dieses Bild wirtschaftlicher Prosperität in Bramstedt wird ergänzt durch eine ausgesprochene rege private Investitionstätigkeit sowohl auf dem Gebiet von Firmenneugründungen als auch im Bereich der privaten Bautätigkeit. Diese sollte schließlich das Ortsbild am nachhaltigsten verändern.

Werfen wir einen Blick auf das äußere Bild Bramstedts um das Jahr 1895. Prägender Faktor des Ortsbildes sind die zahlreichen Bauernstellen. Die Bauweise der Wohngebäude ist in der Hauptsache eingeschossig mit aufgesetztem Dach, so wie sie sich dem heutigen Betrachter zum Teil noch in der Mühlenstraße präsentiert. Mit dem Abbruch des Hauses des Landmannes Wrage im Jahre 1885 erhält der Kirchenbleeck sein heutiges weiträumiges Aussehen. An die Stelle des landwirtschaftlichen Anwesens tritt nunmehr ein Kaufhaus, das im Jahre 1898 errichtet wird. Es handelt sich dabei um das heutige Amtsgerichtsgebäude, das erste mehrgeschossige Haus am Orte. Ein weiterer, viel bewunderter mehrstöckiger Kaufhausneubau kam im Jahre 1900 hinzu. Es handelt sich dabei um das Haus Maienbeeck Nr. 39, dem heutigen Firmensitz der Firma Julius Schnoor. Beide Baumaßnahmen stehen gewissermaßen symbolisch für eine Entwicklung, die darauf abzielt, die Landwirtschaft als prägendes Merkmal des Ortsbildes zu verdrängen, um dem Ort einen mehr durch Handwerk und Gewerbe geprägten städtischen Charakter zu geben. Ergänzt wird dieser Wandel des Ortsbildes durch Verbesserungen des innerörtlichen Verkehrs. So erforderte der Anschluß Bramstedts an die Kaltenkirchener Bahn (AKN) einen Ausbau des hinteren Teiles des Landweges. Er wird im Jahre 1898 gepflastert und mit Klinkertrottoirs versehen. Straßenschilder sollten vom Jahre 1902 an dem Fremden die Orientierung in Bramstedt erleichtern. Diese Entwicklung, insbesondere auf dem Gebiet der Bautätigkeit, setzt sich in den ersten zehn Jahren des 20. Jahrhunderts rapide fort und wandelt somit nachhaltig das äußere Erscheinungsbild des Fleckens Bramstedt.

Soweit zum Wandel des äußeren Erscheinungsbildes, dem noch vielerlei hinzugefügt werden könnte. Interessanter jedoch erscheint das, was ich als inneren Wandel des Ortes bezeichnen möchte. Hierbei geht es in erster Linie um die Frage, inwieweit inneres und äußeres Erscheinungsbild eine Einheit darstellen. Einen Eindruck vom sogenannten inneren Wandel des Zusammenlebens der Fleckensbewohner sowie ihrer Auseinandersetzungen mit den sich verändernden äußeren Rahmenbedingungen bekommt man, rückblickend, am einfachsten bei einem Blick auf das kulturelle und politische Leben des Ortes, wie es sich in den zahlreichen Vereinen abspielte. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die örtlichen Vereine in der Vergangenheit eine weitgehendere Funktion besaßen, als die gemeinschaftliche Verfolgung gemeinsamer Interessen. Sie waren Stätten der öffentlichen Meinungsbildung und Auseinandersetzung, Märkte für Neuigkeiten und Multiplikatoren von Meinungsbildern. Das Auf und Ab der Vereinsgründungen und Auflösungen spiegelt in mannigfacher Weise die Reaktion der Ortsbewohner auf eine sich verändernde Lebensumwelt dar. War das Vereinswesen in Form der Selbsthilfe und Selbstverwaltungskooperationen der Gilden und der Feuerwehr in Bramstedt ohnehin schon sehr stark ausgebaut, so ist gerade in der Zeit Freudenthals ein rapide zunehmendes Interesse an Betätigung in Vereinen zu beobachten. Der sich schrittweise vollziehende Wandel der Erwerbsstruktur des Fleckens von der landwirtschaftlich-gewerblichen Doppel- zur landwirtschaftlichen oder gewerblichen Einzelexistenz sowie wachsender Wohlstand zogen ein zunehmendes Bedürfnis nach einer sinnvollen Freizeitgestaltung in den unterschiedlichen Vereinen nach sich. Ein weiteres Motiv zur Betätigung im Verein liegt auch in einem wachsenden Interesse an der Lebensumwelt und an der Auseinandersetzung mit ihr, denn es wäre wohl zu kurzsichtig, allein die sportliche oder musische Betätigung als den alleinigen Vereinszweck anzusehen, dienten sie doch dem, was wir heute Gemeinnutz nennen. Wenn gerade in der heutigen Zeit viele Aufgaben, insbesondere der gemeinnützigen Vereinigungen, vom Staat übernommen oder diesem übertragen worden sind, so ist doch zu berücksichtigen, daß die schnell wachsende Bewohnerzahl auf gleicher Fläche für alle veränderte Lebensbedingungen geschaffen hat, die zu einem stärkeren Aufeinanderangewiesensein führte.

Die wohl bedeutendste Neugründung auf dem Gebiet der gemeinnützigen Selbsthilfevereine ist die am 26.5. des Jahres 1878 ins Leben gerufene Freiwillige Feuerwehr. Erster Vorsitzender war Gottlieb Freudenthal, der dieses Amt ununterbrochen bis zum Jahre 1919 ausüben sollte, und somit nicht nur als bislang dienstältester Bürgermeister, sondern auch als dienstältester Feuerwehrhauptmann in die Bramstedter Geschichte eingeht. Die anfänglich nur 16 Mann starke junge Truppe erweitert Mitgliederzahl und Ausrüstung kontinuierlich und entwickelt sich trotz mannigfacher Anfechtungen – zeitweise war ihr Bestand ernsthaft gefährdet zu einer effizienten und modern ausgestatteten Wehr, die aus dem heutigen städtischen Leben gar nicht mehr wegzudenken ist.

Ebenfalls aus dem heutigen städtischen Leben nicht mehr wegzudenken sind zwei Vereine, deren Gründung bereits in die vor Freudenthal’sche Zeit fällt: Der Bramstedter Männerchor von 1858 und die Bramstedter Turnerschaft von 1861. Beide Vereine sollten im Laufe ihrer ebenfalls sehr wechselvollen Geschichte eine bis über die Ortsgrenzen hinausragende Bedeutung erlangen. Besonders zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang der in den Vereinsprotokollen erstmals im Jahre 1886 erwähnte Musikzug der Bramstedter Turnerschaft, der durch seine intensiven Auslandskontakte – insbesondere mit dem skandinavischen Raum – hervortreten sollte. Hatte sich der Männerchor von 1858 zur Zeit FreudenthaIs bereits zu einer kulturellen Institution entwickelt, so verlief die Entwicklung der Bramstedter Turnerschaft um so zögernder. 1861 erstmals gegründet, verschwand sie schon bald aus dem städtischen Leben, um erst im Jahre 1884 erneut gegründet zu werden. Die Gründe hierfür sind im allgemein historischpolitischen Raume zu suchen.

Gesangvereine waren in den ersten Jahren ihrer Geschichte an strengen künstlerischen Prinzipien orientierte exklusive Korporationen, die ausschließlich Komponisten, Dichtern und Sängern offenstanden. Sie gerieten jedoch in der Zeit der Jahrhundertmitte in den Sog nationalstaatlich patriotischen Denkens und verfolgten insbesondere in Schleswig-Holstein das Ziel, das heimatliche Kulturgut vor äußerer Überfremdung zu bewahren. In dieser Funktion wurden sie u. a. auch zu Keimzellen des Kampfes der deutschen Schleswig-Holsteiner gegen Dänemark. Diese Zielrichtung in der Zeit zwischen 1848 und 1864 wendet sich vom Jahre 1867 an gegen den Einbezug Schleswig-Holsteins in den preußischen Staat.

Eine andere Entwicklung zeichnet sich auf dem Gebiet des organisierten Sportes ab. Turnvereine – vor dem Hintergrund der Erniedrigung Preußens unter Napoleon im Jahre 1811 durch Friedrich-Ludwig Jahn ins Leben gerufen wurden, obgleich auch sie als Pflegestätten nationalen Gedankengutes der Zeit vor 1848 anzusehen sind, von den Schleswig-Holsteinern als typisch preußische Einrichtung betrachtet und weitgehend abgelehnt. Die im Jahre 1884 erfolgte Neugründung der Bramstedter Turnerschaft stieß daher zunächst auf nur zögernde Resonanz in der Bevölkerung. Erst die massive Unterstützung des jungen Vereins durch Gottlieb Freudenthal sollte auch hier eine Veränderung bewirken. Anläßlich der Generalversammlung vom 27. Juli 1884 stellte er Turngeräte sowie die aus dem alten Turnverein in den Besitz des Fleckens übergegangene Halle zur Verfügung. Intensive moralische aber auch finanzielle Unterstützung durch den Bürgermeister ließen den Verein stetig wachsen, bereits im Jahre 1890 plante man den Bau einer neuen Halle, der allerdings erst 18 Jahre später. im Jahre 1908, vollendet werden konnte.

Freudenthal reagierte durch seinen spontanen Einsatz für die Turnerschaft in angemessener Form auf die sich wandelnden inneren und äußeren Lebensbedingungen des Fleckens. Zum-einen hatten sich die politischen Verhältnisse als Folge der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 grundlegend geändert: Politisch-ideologisch motivierte Vorbehalte gegenüber dem Sport als Symbol für preußischen Drill wurden als Folge nicht nur aufgegeben. sondern erfuhren insbesondere in Wilhelminischer Zeit eine ausgesprochen positive Umdeutung. Zum anderen führte der zunehmend zu beobachtende Übergang zur landwirtschaftlichen oder gewerblichen Einzelexistenz nicht nur zu einem Mehr an Freizeit. sondern auch zu einem verstärkten Bedürfnis an körperlicher Ertüchtigung. Einen ersten Höhepunkt in der Geschichte von Männerchor und Turnerschaft markiert das Jahr 1908: Der Männerchor begeht im Rahmen eines großen Sängerfestes sein 50jähriges Jubiläum, während die Turnerschaft am 23. August ihre Turnhalle am Bahnhof feierlich einweiht.

Aber auch ein Blick auf die übrige Vereinstätigkeit zeigt ein zunehmendes Interesse der Fleckensbewohner an kultureller, sportlicher oder politischer Betätigung. In diesem Zusammenhang ist besonders der Zeitraum zwischen den Jahren 1903 und 1908 hervorzuheben, in denen eine besonders große Zahl von Vereinsgründungen zu beobachten ist. Hinzuweisen sei auch auf die Gründung eines Bürgervereins, der hauptsächlich kommunalpolitische Interessen verfolgte, auf dessen Initiative hin u. a. auch eine Volksbibliothek im September des Jahres 1904 eingerichtet wurde. Hinzu kamen die Gründung eines Radfahrervereins, eines Herbergsvereins zur Aufnahme umherziehender Gesellen, die Gründung des Krankenhausvereins sowie einer Frauenvereinigung. Der Name Freudenthal taucht dabei in den Vereinsprotokollen immer wieder als aktiver Förderer insbesondere gemeinnütziger Vereinigungen auf.

Es zeigt sich somit, daß nicht nur der äußere Charakter Bramstedts städtische Züge angenommen hat; auch der sogenannte innere Lebensbereich des Fleckens ist reichhaltiger und bunter geworden. Handel und Gewerbe sorgen nicht nur für einen weiteren Ausbau der wirtschaftlichen Mittelpunktfunktion des Fleckens, sondern auch die Tätigkeit der unterschiedlichen Vereine sorgte dafür, daß der Flecken sich auch zu einem wichtigen Kulturzentrum der Region entwickelt. Das Jahr 1909, das Jahr also, in dem Bürgermeister Freudenthal seinen Rücktritt erklärte, stellt einen echten Höhepunkt in der historischen Entwicklung Bramstedts dar, so daß die im Folgejahr vollzogene Umbenennung des Fleckens in Stadt Bad Bramstedt lediglich einen weiteren logischen Entwicklungsschritt darstellen sollte. Der Einsatz Freudenthals für die Belange des Ortes sollte durch seinen Rücktritt noch lange nicht beendet sein, wirkte er praktisch bis zu seinem Lebensende im Jahre 1938 in den verschiedenen Vereinigungen, insbesondere der Feuerwehr, weiter. Das moderne Bramstedt als mittelständisches Gewerbe-, Handels- und Fremdenverkehrszentrum hat durch ihn die entscheidenden Entwicklungsimpulse erhalten.

  3. Das Jahr 1910 – Geburtsjahr der Stadt Bad Bramstedt

Auf drei Ratsversammlungen vom 14. Dezember 1909, am 7. Februar 1910 und am 4. März des gleichen Jahres wird die Verabschiedung eines neuen Ortsstatutes beschlossen, nachdem nunmehr an die Stelle der bisherigen Bezeichnung Gemeinde oder Flecken Bramstedt der Begriff Stadt tritt. Der entsprechende Passus des neuen Ortsstatutes lautet:

„Die Stadt Bad Bramstedt umfaßt sämtliche innerhalb des Stadtbildes belegenen, in der Grundsteuerrolle (Gemeindebezirk Bramstedt Band I und II) aufgeführten Grundstücke, welche begrenzt werden von den Gemarkungen Fuhlendorf, Wiemersdorf, Bimöhlen, Hasenmoor , Schmalfeld, Lentföhrden, Weddelbrook und Hitzhusen.“

Mit seiner Veröffentlichung in den Bramstedter Nachrichten vom 1. April 1910 sollte das neue Ortsstatut Rechtskraft erlangen. Die Geburt der Stadt Bad Bramstedt vollzog sich somit ausgesprochen profan, ohne Festakt mit Reden und Musik, und von der Öffentlichkeit nur am Rande wahrgenommen. Gleichzeitig erlangt ein für die weitere Entwicklung der Stadt Bramstedt sicherlich noch bedeutenderes Dokument seine Rechtskraft. Es handelt sich dabei um eine Urkunde des Regierungspräsidenten der preußischen Provinz Schleswig-Holstein, datiert vom 11.3.1910. Hierin wird der Stadtgemeinde Bramstedt das Recht verliehen, sich fortan Bad Bramstedt nennen zu dürfen. Aber auch hier sind die Hintergründe, die zu diesem Schritt geführt haben, wesentlich profanerer Natur, als dies aus der nicht nur rechtlichen Bedeutung dieses Dokumentes zu schließen wäre. Mit dem für die weitere Fortentwicklung Bramstedts so wichtigen Namenszusatz „Bad“ ist nicht etwa eine ausdrückliche Anerkennung der bisherigen Leistungen der Gemeinde als Kur- und Fremdenverkehrsort verbunden. Die Bezeichnung „Bad“ geht vielmehr auf eine Initiative der Reichspost zurück, die mit diesem Schritt hoffte, in Zukunft Namensverwechslungen mit dem ebenfalls holsteinischen Barmstedt bei der Zustellung von Postsendungen vermeiden zu können. Erst diese Initiative der Reichspost motivierte die Ratsversammlung dazu, im Zusammenhang mit der Umbenennung des Ortes in Bad Bramstedt ebenfalls die Stadtrechte anzustreben. Dieser nüchterne Verwaltungsakt wird dann von der Lokalpresse auch ebenso nüchtern bekanntgegeben:

„Wie wir erfahren, hat das neue Ortsstatut, durch welches u. a. auch die Bezeichnung Stadt eingeführt ist, die Genehmigung erhalten. Desgleichen ist genehmigt worden, daß unsere Stadt künftig die Ortsbezeichnung Bad Bramstedt amtlich führt.“
(Bramstedter Nachrichten vom 19. März 1910)

Wie kann dieser eigentlich sehr ernüchternde rein verwaltungsmäßige Vorgang gedeutet werden? Gehen wir dabei aus von der allgemeinen Definition des Begriffes Stadt, so wie er in der historischen Fachliteratur üblich ist. In seiner allgemeinsten Form beinhaltet der Begriff Stadt lediglich eine vorwiegend durch Handel, Gewerbe, Industrie bestimmte, vom Dorf unterschiedene Großsiedlung. Der Unterschied zum Dorf ergibt sich daraus, daß sich die Handel- und Gewerbetreibenden zur Selbstverwaltung der städtischen Angelegenheiten zusammenschließen. Weitere historische Voraussetzung zur Unterscheidung zwischen Dorf und Stadt ist die infrastrukturelle und kulturelle Mittelpunktfunktion einer solchen Großsiedlung. Legt man diese Definition an die geschichtliche Entwicklung Bramstedts an, so wird deutlich, daß der Ort schon seit dem späten Mittelalter durch die genannten Charakteristika geprägt ist. Davon ausgehend erscheint die bereits im Jahre 1448 durch Adolf VIII. vorgenommene Verleihung der sogenannten Fleckensprivilegien, einzelner städtischer Vorrechte also, eine weitergehende Bedeutung für die Entwicklung des Ortes gehabt zu haben, als die im Jahre 1910 erfolgte Umbenennung in Stadt Bad Bramstedt. Die Voraussetzungen, die einen solchen Schritt rechtfertigten, waren ja, wie die von Gottlieb Karl Christian Freudenthal ergriffenen Maßnahmen zur Weiterentwicklung des Ortes zeigen, bereits vorhanden. Stellte das Wirken Freudenthals eine energische Fortentwicklung einer bereits seit dem Spätmittelalter vorhandenen Entwicklung dar, so ist die amtliche Umbenennung des Ortes in Stadt Bad Bramstedt in der Tat nur ein reiner Verwaltungsakt, der bereits vorhandene Strukturen in eine verfassungsmäßig angemessene Form gebracht hat.

Das sporadische Echo der Presse auf diesen an sich für die Ortsgeschichte außerordentlich bedeutsamen Vorgang zeigt zudem, daß die Umwandlung des Fleckens in eine Stadt und der Namenszusatz Bad letztlich als etwas Selbstverständliches hingenommen worden sind. Überdies zeigt ein Blick in die Protokollbücher der Ratsversammlung im Zeitraum von 1870 bis 1910 bereits häufiger die Bezeichnung Stadt, auch in der Presse taucht häufiger das Adjektiv städtisch im Zusammenhang mit den Selbstverwaltungsorganen des Ortes auf. Diesem Usus wurde insbesondere durch den Sprachgebrauch der seit dem Jahre 1869 in der neuen preußischen Provinz geltenden Städteordnung Vorschub geleistet, sahen doch die Paragraphen 94 und 95 dieser Gemeindeverfassung auch im Zusammenhang mit Flecken die Amtsbezeichnungen Stadtrat oder Stadtverordnete vor. Einziger Unterschied zwischen dieser auf die Fleckensgemeinden zugeschnittenen sogenannten Einfacheren Städteverfassung und der „Vollen Stadtverfassung“ war das Fehlen eines Magistratskollegiums. Die Einfache Städteverfassung sah bei einem entsprechenden Anwachsen der Bevölkerung und somit der notwendigen Zunahme der Verwaltungstätigkeit die Möglichkeit des Übergangs von der Einfachen zur Vollen Stadtverfassung vor. Die Notwendigkeit einer intensiveren Verwaltungstätigkeit geht aus der Vielfalt der im neuen Ortsstatut festgeschriebenen Verwaltungseinrichtungen hervor. Unter anderem werden hier aufgeführt: Eine Finanzkommission, die Schuldeputation, die Bau- und Straßenkommission, die Einquartierungskommission, eine Kommission für Landstraßen, eine Feldwegekommission, eine Kommission zur Schauung der Abzugsgräben, die Gesundheitskommission, Kommission für die gewerbliche Fortbildungsschule. Kommission zur Vertretung im Kollegium des Gesamtarmenverbandes sowie eine Beleuchtungskommission.

Die Verwaltung hat sich somit lediglich den gewachsenen Bedürfnissen des Ortes angepaßt. Nur so ist dieser schmucklose Übergang vom Flecken zur Stadtgemeinde ohne Feierlichkeiten und ohne Verleihungsurkunde zu verstehen. Die Geburtsstunde der Stadt Bad Bramstedt ist jedoch viel früher anzusetzen. Die Voraussetzungen hierzu wurden bereits im späten Mittelalter durch die Verleihung der Fleckensprivilegien durch Herzog Adolf VIII. im Jahre 1448 gelegt. Dieser Schritt ist sicherlich als historisch bedeutsamer anzusehen als der rein verwaltungstechnisch motivierte Übergang zur Stadtgemeinde im Jahre 1910. Schuf die Verleihung der Fleckensprivilegien die verfassungsrechtlichen Grundlagen für die weitere Entwicklung des Ortes als wirtschaftlich bedeutsame Marktgemeinde, so werden durch das neue Ortsstatut des Jahres 1910 lediglich die logischen Konsequenzen aus der Ortsentwicklung der vorangegangenen Jahrzehnte gezogen.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist jedoch der Umstand, daß der Flecken Bramstedt bereits im Jahre 1721 beim damaligen König Christian V. um die Verleihung von Stadtrechten „alleruntertänigst“ nachgesucht hat. Hintergrund dieser vom König abschlägig beschiedenen Initiative ist das als Folge der Fleckensbefreiung (1685) gesteigerte Selbstbewußtsein der Fleckensbewohner gegenüber der Krone. Motiviert wurde das Ansinnen des Fleckens nicht zuletzt durch die Hoffnung auf ein höheres Steueraufkommen, da eine“ Vollstadt“ im Gegensatz zu einer „Minderstadt“ (Flecken) umfangreichere Möglichkeiten zur Steuerschöpfung besaß. Die Ablehnung des Ansinnens des Fleckens durch den König wurde von den Bramstedtern als eine brüske Zurückweisung empfunden, die dazu führte, daß weitere Initiativen in dieser Richtung zukünftig unterblieben.

Ein Blick auf die Entwicklung im Lande zeigt, daß Bramstedt nur eine von vielen Gemeinden ist, die von der Möglichkeit des Übergangs von der sogenannten Einfacheren zur Vollen Stadtverfassung vollzogen haben. Schon im Jahre 1869 wurde für den Flecken Neumünster die Volle Städteordnung und damit das volle Stadtrecht genehmigt. Es folgten 1871 Ottensen, Neumühlen, 1888 Elmshorn, 1896 Heide, 1900 Preetz, 1907 Tönning. 1909 Pinneberg und Kellinghusen sowie im Jahre 1910 Uetersen.

Gemäß den Bestimmungen der preußischen Städteordnung von 1869 war der Erwerb des Bürgerrechts auch in der jungen Stadtgemeinde Bad Bramstedt an einen Zensus gebunden. Dieser wurde im Ortsstatut des Jahres 1910 wie folgt festgelegt:

„Jeder im Vollbesitze der bürgerlichen Ehrenrechte befindliche männliche Angehörige des Deutschen Reiches erwirbt das Bürgerrecht nach Erfüllung des im Passus 1, 2 und 3 des Paragraphen 7 der Städteordnung vom 14. April 1869 aufgeführten Bedingungen, wenn derselbe a) im Gemeindebezirk ein Wohnhaus besitzt, das mindesten mit 2,40 DM jährlich zur Gebäudesteuer veranlagt ist; b) oder ein stehendes Gewerbe selbständig betreibt, für welches Gewerbesteuer gezahlt wird; c) oder zur Staatseinkommenssteuer nach einem Einkommen von mindestens 900,- Mark veranlagt ist.“

Ein Zensus gleicher Höhe wurde von den Stadtgemeinden Augustenburg, Barmstedt, Glückstadt, Heide, Itzehoe, Lauenburg und Rendsburg erhoben, während die Grenze für das Bürgerrecht und damit für das Wahlrecht in Wandsbek bei 1350,- Mark, in Altona, Eckernförde , Flensburg, Kiel und Neumünster bei 1200,-, in Elmshorn, Hadersleben, Hoyer, Kellinghusen, Krempe. Mölln, Oldesloe, Ratzeburg, Segeberg, Sonderburg und Uetersen bei 1050,- Mark steuerpflichtigem Einkommen lag. In anderen Städten und Flecken lag dieser Zensus mit 600 Mark deutlich niedriger. Verglichen mit anderen schleswig-holsteinischen Stadtgemeinden nimmt Bad Bramstedt auch in dieser Hinsicht eine gute Mittellage ein. Diese, aus damaliger Sicht ausgesprochen liberale. aus unserer modernen Perspektive

jedoch an den preußischen Ständestaat erinnernde Stadtverfassung sollte schon bald im Rahmen der politischen Neugestaltung des Deutschen Reiches als Folge des verlorenen 1. Weltkrieges ein neues Gesicht bekommen.

  4. Die Zeit des 1. Weltkrieges

Die strategisch bedeutende Lage Bramstedts hatte im Verlauf der Geschichte bereits mehrfach zu schweren Heimsuchungen des Ortes und seiner Bewohner durch kriegerische Auseinandersetzungen geführt. Hinzuweisen sei hier nur auf die verheerenden Folgen des 30jährigen Krieges bzw. der Befreiungskriege gegen die Vorherrschaft Napoleons. Die Voraussetzungen und somit auch die Folgen des 1. Weltkrieges jedoch waren anders, denn hierbei handelte es sich zweifellos um eine andere Art von Krieg, der seine Spuren auf seine Weise in der Ortsgeschichte hinterlassen sollte.

Schon zum Ausgang des 19. Jahrhunderts zeichnete sich die Gefahr einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den europäischen Großmächten von bisher noch nicht dagewesenem Ausmaße ab, die angesichts der sich zunehmend verschlechternden politischen Großwetterlage zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer unausweichlicher erschien. Geht man von der historischen Entwicklung des Ortes aus, so deutet zunächst wenig auf eine solche Gefahr hin. Das Leben scheint seinen normalen Gang zu gehen, im Spiegel der Heimatpresse schlagen sich die Nachrichten über die zunehmenden politischen Spannungen zwischen den europäischen Großmächten nicht auf die Ereignisse der Lokalgeschichte nieder. Hiervon ausgenommen werden müssen allerdings die Aktivitäten des hiesigen Kriegervereines bzw. die Berichterstattung hierüber. Hier beschäftigt man sich schon sehr frühzeitig und sehr gründlich mit nicht nur der geistigmoralischen Zurüstung insbesondere der Jugend für eine solche kriegerische Auseinandersetzung, sondern auch mit praktischen Vorbereitungen hierfür. So berichten z. B. die Bramstedter Nachrichten vom 27.12. des Jahres 1909 vom ersten Spatenstich für einen Schießstand zur Einübung „des kriegsmäßigen Schießens“ auf dem Schäferberg. Nach der Fertigstellung dieses Schießstandes durch den Kriegerverein wird häufiger von Schieß- bzw. Wehrübungen berichtet, die den Zweck haben, die Jugend für die Erfordernisse des Krieges heranzubilden. Auch in der örtlichen Verwaltung scheint man sich auf einen solchen Ernstfall vorzubereiten. Erstes Indiz hierfür ist eine streng geheime Anordnung des königlichen Landrates in Segeberg vom 6. 4. des Jahres 1912. Hierin wird der Bramstedter Bürgermeister angewiesen, für die Rekrutierung von Boten zum Zwecke der Zustellung einer Mobilmachungsanordnung an die umliegenden Gemeinden Sorge zu tragen. In der Folgezeit ergehen weitere Anordnungen z. B. hinsichtlich der Sicherung der Verkehrs- und Kommunikationsmittel für einen möglichen Mobilmachungsfall. Hierzu zählt nicht nur die Erfassung sämtlicher am Orte vorhandener Kraftfahrzeuge, Pferdefuhrwerke und ähnlicher Transportmittel, sondern auch die von Brieftauben, deren Besitzern bzw. von Brieftaubenschlägen. Auf diese Weise hofft man für einen reibungslosen Kommunikations- und Verkehrsfluß Sorge getragen zu haben. Für den rückblickenden Betrachter erstaunlich ist das Fehlen jeglicher Hinweise auf wirtschaftliche und versorgungstechnische Vorbereitungen für den angenommenen Ernstfall. Die Gründe hierfür scheinen mit Sicherheit in einer allzu optimistischen Einschätzung der Kriegsdauer zu liegen. Auch die Stimmung angesichts des tatsächlichen Kriegsausbruchs ist von einer solchen optimistischen Gelassenheit geprägt. Wiedergegeben wird diese Stimmung in drei zeitgenössischen Quellen, die hier zur Sprache kommen sollen:

I. Bericht der Bramstedter Nachrichten über die Mobilmachung am 4. August 1914:
„Wie überall im Deutschen Vaterland, so steht auch unser Städtchen im Zeichen der Mobilmachung. Der Mobilmachungsbefehl wurde mit großer Ruhe, vielfach mit augenscheinlicher Befriedigung aufgenommen. Trommelwirbel, das Anschlagen der Sturmglocke machten das weltgeschichtliche Ereignis weithin bekannt.“

II. Aus der Predigt von Pastor Dr. Hümpel anläßlich eines Mobilmachungsgottesdienstes am 2.8.1914: „Wie sollen wir uns in dieser ernsten Zeit betragen? – als Leute, die da wissen, daß sie Gottes Kinder sind, denn wir haben erstens keinen knechtischen Geist empfangen, sondern einen männlichen Mut, und zweitens haben wir einen kindlichen Geist empfangen und bitten voll gläubigen Vertrauens: Lieber Vater!“

III. Aus einem Kriegstagebuche von einem jungen Bramstedter Krieger – Veröffentlicht in den Bramstedter Nachrichten Nr. 3986 vom 1. Dezember 1914 –
,,31. Juli:
Es sind unbestimmte Gerüchte in der Luft von einer Mobilmachung und dergleichen. Österreichs Ultimatum an Rußland hat auch bei uns Interesse erregt. Am Nachmittag erzählt uns der Leutnant von dem Erlaß seiner Majestät, den Kriegszustand betreffend.
1. August:
Deutschland hat an das Zarenreich ein Ultimatum gerichtet. Antwort soll bis 12.00 Uhr mittags erfolgen; die Frist wird bis 6.00 Uhr abends verlängert. Um 5.30 Uhr abends erschallt auf der Straße großer Lärm. Bald wissen wir es. Unser Vaterland soll Mobilmachen. Großer Jubel erfüllt die Kaserne.
2. August
Rußland hat die Neutralität gebrochen, indem seine Kosakenhorden unsere Grenzen überschritten. Seine Majestät hat dem Zaren den Krieg erklärt. Wir nehmen die Nachricht mit Ruhe auf. Durch unsere Einkleidung sind wir genug in Anspruch genommen. All die neuen Sachen, die wir erhalten, können wirklich ein Soldatenherz erfreuen. Wenn nur nicht der Tornister so hart drücken wird!
3. August
Zu Hunderten kommen die Reservisten in die Kaserne. Ein buntes Leben entwickelt sich auf dem Kasernenhofe. Mit noch einem Kameraden muß ich dem Kammerunteroffizier helfen die Reservisten einzukleiden. Diese Beschäftigung behalte ich während der nächsten Tage. Bin des Abends zum Umfallen müde; an Krieg denke ich gar nicht.
4. August
Daß auch die Franzosen und Engländer die Kriegsposaunen blasen, ärgert uns. Ha, nun kommen die Wölfe von allen Seiten und wollen unser liebes Vaterland zerfleischen. Ihr wollt den Krieg! Nun, Ihr sollt ihn haben. Schwere Kämpfe stehen uns bevor. Es werden Stimmen laut von einem „zu viel Feinde“, doch sie werden unterdrückt von dem jubelnden Patriotismus, der sich in ganz Deutschland offenbart. Nach Hunderttausenden zählen die Kriegsfreiwilligen. Es gibt keine Parteiunterschiede mehr. Weder Sozialdemokraten noch Elsässer werfen unserem Landesherren vor, daß er leichtsinnig den Weltbrand entfesselt habe. Alle wissen, daß seine Majestät bis zum letzten Augenblick versucht hat, den Frieden aufrecht zu erhalten. Sein Wort: Noch niemals ward ein einig Deutschland bezwungen! Erweckt in uns die Zuversicht: Wir werden siegen!
5. August
Auf meine Bitte hin besuchen mich noch einmal meine Eltern. Meine arme Mutter tut mir leid. Wie sie sich Mühe gibt, ihrem Sohne keine allzu traurige Miene zu zeigen, doch ich sehe scharf. Als dann am Abend der Zug meine Lieben wieder entführt, gibt es auch mir einen Stich ins Herz: Werde ich Euch wiedersehen, liebe Mutter, lieber Vater!
6. August – abends 11.00 Uhr –
Die Abschiedsstunde hat geschlagen, marschbereit stehen wir auf dem Kasernenhofe. Das bekannte Kommando Bataillon Marsch! und unter den Klängen der Regimentsmusik geht’s zum eisernen Tor hinaus. Hinein in den Transport. Daß es nur Viehwagen sind, stört uns wenig.“

Die in diesen TextsteIlen zum Ausdruck gebrachte Grundstimmung, die bestimmt ist von gelassenem Optimismus, jubelndem Patriotismus, aber auch von unterschwelligen dumpfen Gefühlen der Sorge, ist in jenen Tagen überall im Deutschen Reich deutlich geworden und ist sicherlich nicht allein bezeichnend für die Atmosphäre vor Ort. Eine genaue Betrachtung dieser TextsteIlen macht aber auch deutlich, wie schlecht die Bevölkerung, insbesondere auf dem Lande, auf den bevorstehenden Krieg vorbereitet war. Jubel, patriotische Begeisterung und erwartungsvolle Gelassenheit entsprechen einer für die wilhelminische Zeit bezeichnenden emotionalen Haltung, sicherlich ein Ergebnis der Politik des neuen Kurses Wilhelms 11.: Forsches, selbstbewußtes, oft herrisches Denken und Handeln, sowie siegessicherer Optimismus einerseits, aber andererseits auch ein fast schon kindlich naives Vertrauen in das Schalten und Walten der Obrigkeit. Mahnende Stimmen und unterschwellig empfundene aber nur schwer erklärbare Sorgen werden in einer solchen Grundstimmung nur allzu leicht unterdrückt. Es ist müßig zu fragen, ob der Kriegseintritt Frankreichs und Englands, die als Folge des englischen Kriegseintritts verhängte Seeblockade und die sich als Folge der strategischen Fehleinschätzungen entwickelten material- und kräfteverzehrenden Stellungskriege an beiden Fronten wirklich nicht vorhersehbar waren. Verwaltung und Bevölkerung Bad Bramstedts waren, den Nachrichten über ein unschlagbares strategisches Konzept, das auch einen Zweifrontenkrieg in nur kürzester Zeit gewinnbar machen sollte, nur auf eine kurze Kriegsdauer vorbereitet: Außer der Sicherung eines reibungslosen Kommunikations- und Verkehrsflusses waren keine heute noch erkennbaren Kriegsvorbereitungen durch die Verwaltung getroffen worden. So standen die Daheimgebliebenen nicht nur in Bad Bramstedt etwas hilflos vor der neuen Lage. Diese Hilflosigkeit offenbart sich in einem fast kopflosen, aus heutiger Sicht zum Schmunzeln anregenden Aktionismus in den ersten Kriegstagen. Einer Anordnung des Preußischen Innenministeriums zur Bildung von örtlichen Bürgerwehren, die vornehmlich aus Mitgliedern der jeweiligen Krieger-, Turn- und Schützenvereine rekrutiert werden sollten, entsprechend, wurden auch in Bramstedt geeignete Mitglieder, insbesondere der Turnerschaft, der Vogelschützengilde und des Kriegervereines dienstverpflichtet. Da der Erlaß des Innenministeriums den Aufgabenbereich einer solchen Bürgerwehr nur sehr vage mit „Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ definierte, entstand eine gewisse Ratlosigkeit darüber, wie die nunmehr gegründete Bramstedter Bürgerwehr effektiv eingesetzt werden sollte.

Die erste Maßnahme der hauptsächlich aus Mitgliedern des Kriegervereins bestehenden Bürgerwehr war die Absperrung der Ein- und Ausfallstraßen Bad Bramstedts sowie die Kontrolle aller die Stadt betretenden bzw. verlassenden Personen und Fahrzeuge, um den Ort auf diese Weise vor Saboteuren und Spionen zu schützen. Auch in anderen Orten reagierte man in den ersten Kriegstagen ähnlich, wie einem Bericht der Bramstedter Nachrichten vom 10.8.1914 zu entnehmen ist. Da es durch dererlei Aktivitäten der örtlichen Bürgerwehren zu empfindlichen Störungen von Truppenbewegungen und Transporten kam, wurde dieser Erlaß des Innenministers noch im August 1914 auf Veranlassung der Obersten Heeresleitung teilweise zurückgenommen.

Weitere Indizien für eine gewisse Hilflosigkeit der Bevölkerung angesichts des Kriegsausbruchs können auch Zeitungsartikeln entnommen werden, die u. a. auf die Frage eingehen, ob beispielsweise angesichts des Kriegszustandes Zahlungsverpflichtungen gegenüber Handwerkern, Kaufleuten oder Banken noch nachzukommen sei oder nicht.

Da man im gesamten Deutschen Reich mit einem kurzen Kriegsverlauf rechnete, sind wirtschaftliche Vorsorgemaßnahmen im Vorfeld der Mobilmachung bzw. in den ersten Kriegsmonaten praktisch unterblieben, so wie es überhaupt ein Spezifikum des I. Weltkrieges ist, daß er zwar schon lange in der Luft lag, man mit einem tatsächlichen Ausbruch von Feindseligkeiten jedoch nicht unbedingt zu rechnen schien. So verliert der Krieg, nachdem die Euphorie der ersten Tage verrauscht war, auch im Bewußtsein der Bewohner Bad Bramstedts zunehmend an Bedeutung. Die Schauplätze der Kampfhandlungen liegen weit entfernt in Gegenden, die über das Vorstellungsvermögen vieler Zeitgenossen hinausgingen. Da es eine Bildberichterstattung über das Kriegsgeschehen noch nicht gab, gewannen die Ereignisse im Spiegel der Lokalpresse einen weit von der eigenen Lebensrealität entfernt liegenden romanhaften Charakter. Lediglich die ersten Gefallenenmeldungen, die vom 18.9.1914 an regelmäßig und im Laufe der Jahre in immer kürzeren Intervallen eintreffen, erzeugen Betroffenheit; gleichwohl scheint der Alltag in die Stadt zurückzukehren. Eines von vielen Indizien hierfür ist die Wiederaufnahme der aus Anlaß des Kriegsausbruchs eingestellten Omnibusverbindung nach Wrist.

Die Auswirkungen der sich in weit entfernten Regionen vollziehenden kriegerischen Ereignisse für den Ort sollten, wenn man von den vielen tragischen Einzelschicksalen absieht, nicht lange auf sich warten lassen. Sie machen sich der Natur dieses Krieges entsprechend hauptsächlich auf wirtschaftlichem Gebiet bemerkbar. Zwei Bereiche sind hierbei voneinander zu unterscheiden: Die kriegsbedingten direkten Ausfälle von Menschen und Material einerseits und die durch die Verhängung der Seeblockade durch England bedingten Ausfälle an Rohstoffen, Nahrungsmitteln und Rüstungsmaterial andererseits. Die Kriegsfolgen für die Ortsgeschichte sind im Zusammenwirken dieser beiden Faktoren zu sehen. So führen die kriegsbedingten Ausfälle an Steuereinnahmen schon zum Ende des Jahres 1914 zu einer Finanzierungslücke im städtischen Haushalt, die nur durch eine zusätzliche Kreditaufnahme in Höhe von 30 000 Mark gedeckt werden konnte. Die Aufnahme einer entsprechenden Anleihe fiel der Stadtverordneten­versammlung um so leichter, da man mit einem mehrfachen Ausgleich der bislang entstandenen Einnahmeverluste nach einem kurz bevorstehenden siegreichen Kriegsende rechnete. Die hohen kriegsbedingten Ausfälle von Arbeitskräften insbesondere in der Landwirtschaft hoffte man mit Hilfe von Kriegsgefangenen, die von der Jahresmitte 1915 an in dem noch im Bau befindlichen Gefangenenlager bei Lentföhrden einquartiert werden sollten, ausgleichen zu können.

In einem vom königlichen Landrat zu Segeberg angeforderten Bericht „betreffs Einwirkungen des Krieges auf Handel und Gewerbe“ beurteilt Bürgermeister Schmidt die wirtschaftliche Lage der Stadt um die Jahreswende 1914/15 wie folgt:

„Im hiesigen Stadtbezirk ist der Haupterwerbszweig der Einwohner die Landwirtschaft, die bisher unter der Einwirkung des Krieges wenig zu leiden hatte. Auf den Gang der Geschäfte in Handel und Handwerk wirkt der Krieg zum Teil recht hart, so liegt das Maler-, Tischler-, Zimmerer- und Maurerhandwerk seit Beginn des Jahres fast vollständig darnieder, während Sattler, Schneider mit Aufträgen für die Heeresverwaltung genügend versehen sind. Aber auch für die Bauhandwerker gibt es in der nächsten Zeit durch den Bau der Rentengüter in Lentföhrden, die einer hiesigen Firma übertragen sind. genügend Arbeit. Die Geschäfte haben nicht den Umsatz wie in den Vorjahren, doch auch diese konnten bisher ihren Betrieb vollkommen aufrechterhalten, so daß noch keiner der Inhaber in Zahlungsschwierigkeiten gekommen ist.“

Es zeigt sich, daß die Einwirkungen der Kriegsereignisse sich erst zögernd bemerkbar machen. Insofern spiegelt sich der Verlauf des Krieges, dessen Konsequenzen um die Jahreswende 1914/15 insgesamt noch nicht absehbar waren, auch in den Verhältnissen der Stadt wider. Gleichwohl wird in der letzten Ausgabe der Bramstedter Nachrichten des Jahres 1914 die bange Frage erhoben „Wie lange noch?“.

Das für die wirtschaftliche Fortentwicklung vor Ort sicherlich bedeutendste Ereignis des Jahres 1915 ist der am 13.1. begonnene Weiterbau der Altonaer Eisenbahn von Bad Bramstedt nach Neumünster. Initiativen, die die Weiterführung dieser für die Region wichtigen Lebensader in Richtung Neumünster forderten, reichen zwar schon weit in die Vorkriegszeit zurück, die Verwirklichung der im Jahre 1913 endgültig gefaßten Baupläne wurden angesichts des als vorrangig angesehenen Ausbaues der Schnellbahnstrecke Neumünster Altona über Wrist, Elmshorn mehrfach verzögert.

Die Bauarbeiten an der neuen Verkehrsverbindung gingen insbesondere angesichts des Krieges und seiner Folgeerscheinungen ausgesprochen zügig voran. Rückschläge und Verzögerungen gingen dabei weniger auf kriegsbedingte Versorgungsengpässe, etwa bei der Beschaffung der notwendigen Gleisbaumaterialien, als auf widrige Witterungsbedingungen zurück. Hervorzuheben sei, daß bis zum 13. Mai 1916 auch rund 75 Kriegsgefangene bei den Bauarbeiten beschäftigt wurden. Die offizielle Inbetriebnahme der neuen Bahnverbindung fand unter großer Anteilnahme der Bevölkerung am 1.8.1916 statt. Zeitgenössische Berichte über die Eröffnungsfahrt vermitteln ein von den Kriegsereignissen ungetrübtes Bild der Freude und Zuversicht, stellt die neue Verkehrsverbindung doch eine für die Wirtschaft der Region und insbesondere für die Stadt Bad Bramstedt richtungsweisende Investition dar. Der Umstand, daß man trotz der äußeren Umstände ein solches Projekt verwirklichte, ist dabei um so bemerkenswerter. Dennoch werfen die Kriegsereignisse, insbesondere die Auswirkungen der englischen Seeblockade im Jahre 1915, immer größere Schatten auf die Lebensumstände der Stadt. Angesichts der unerwartet langen Dauer der kriegerischen Ereignisse, heißt es in einer streng geheimen Anordnung des Königlichen Landrates zu Segeberg vom 17. Februar des Jahres 1915, sei die zunehmend schwieriger gewordene Versorgung der Bevölkerung durch Erfassungs-, Kontroll- und Bewirtschaftungsmaßnahmen sicherzustellen. Kriegs- bzw. kriegswirtschaftliche Maßnahmen kommen auf die Verwaltung zu. Engpässe und Mangelerscheinungen zeichnen sich auf praktisch allen Gebieten der Wirtschaft ab. Die Nachrichten über einen nicht hinreichenden Bestand an Metallen, Baumaterialien und Brennstoffen aber auch zunehmend an Lebens- und Futtermitteln häufen sich und führen im Laufe der Jahre zu sich überschlagenden Maßnahmen. Hierzu einige Beispiele: Eine sich im Februar 1915 abzeichnende Verknappung von Getreide und Kartoffeln führt zu einem Verbot der Verwendung von Getreide und Kartoffeln als Vieh futter. Die Konsequenz hieraus ist ein durch entsprechende Notschlachtungen hervorgerufenes Überangebot an Rind- und Schweinefleischwaren. Auch der sicherlich wohlgemeinte Ratschlag aus den Bramstedter Nachrichten vom 15.4.1915, dieses Überangebot zur Schaffung von Dauerwaren zu nutzen, konnte eine empfindliche Verknappung an Fleisch, aber auch an Milchprodukten, die ihren Höhepunkt im Sommer 1918 erreichte, nicht verhindern. Ähnliches gilt im Zusammenhang mit dem an das örtliche Bäckerhandwerk gerichteten Verbot, bestimmte Brot- bzw. Kuchensorten herzustellen, oder aber der ernsthaft erörterten Frage, ob die Ziergarten- oder Rasenflächen nicht zum zusätzlichen Anbau von Kartoffeln verwendet werden sollten. Die Versorgungslage wird schließlich durch die Belegung der Kriegsgefangenenlager bei Lentföhrden und Bimöhlen weiter verschärft, obgleich man sich gerade hiervon eine deutliche Entlastung der Landwirtschaft vor Ort erhoffte.

Das sich schon anfänglich abzeichnende Bild der Desorganisation, ja Hilflosigkeit der Verwaltung, scheint sich auf diese Weise weiter zu verstärken. Die Konsequenzen einer mangelnden Vorbereitung von Wirtschaft und Verwaltung auf den Krieg, insbesondere in den Regionen, die von der militärischen Führung nicht einkalkulierten Folge der englischen Seeblockade, der ebenfalls nicht vorhergesehene aber immer stärker steigende Bedarf an Menschen- und Rüstungsmaterial durch die menschen- und materialverzehrenden Stellungskriege insbesondere an der Westfront , die nicht absehbare zeitliche Dauer der kriegerischen Auseinandersetzung überhaupt, und schließlich die unklaren Informationen über die wirkliche militärische Lage sollten die schon im 2. Kriegsjahr deutlich abzeichnenden Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung in bisher noch nicht vorhandenem Maße verstärken.

Der als Folge der Stellungskriege mit großer Heftigkeit zunehmende Ersatzbedarf an Rüstungsmaterialien aller Art führte zu einer ebenso rapide ansteigenden Anforderung von Arbeitskräften durch die nahegelegenen, insbesondere in Quickborn und Hamburg ansässigen Munitions- und Rüstungsbetriebe. Dieser Mehrbedarf konnte jedoch nur durch weibliche Arbeitskräfte gedeckt werden, die durch ihren kriegsbedingten Einsatz der heimischen Wirtschaft ebenso verlorengingen, wie die immer zahlreicher für den Kriegsdienst rekrutierten arbeitsfähigen Männer. Die hierdurch entstandenen Lücken konnten durch den Arbeitseinsatz der in Lentföhrden und Bimöhlen untergebrachten russischen und französischen Kriegsgefangenen nur sehr provisorisch gefüllt werden. Die Anstrengungen der Stadtverwaltung, eine halbwegs gesicherte Versorgung der Zivilbevölkerung sicherzustellen, werden angesichts dieser Lage um so verzweifelter. Der Umstand, daß sich der Bad Bramstedter Bürgermeister am 24. Juni des Jahres 1918 schließlich gezwungen sah, zur Sicherstellung von Viehfutter die Entlaubung aller städtischen Bäume und Knicks durch Bramstedter Schulklassen zur Gewinnung von Laubheu anzuordnen, ist nur eines von vielen Beispielen zur Illustration der verzweifelten Lage vor Ort.

Solche und andere bislang noch nicht dagewesenen Mangelerscheinungen, schwere persönliche und materielle Verluste, treten dem heutigen Betrachter des zeitgenössischen lokalgeschichtlichen Quellenmaterials in einer fast unwirklich erscheinenden Emotionslosigkeit entgegen. Vermißten- und Gefallenenmeldungen, Einschränkungsanordnungen, dringende Aufforderungen zu verstärkter Sparsamkeit und weiterem Verzicht, oder aber Bericht über die angesichts von Minustemperaturen von unter 25°C im Februar 1917 erforderlich gewordene Schließung der höheren Privatschule wegen eines sich dramatisch zuspitzenden Brennstoffmangels, erscheinen sowohl in der Lokalpresse als auch in Verwaltungsakten und Sitzungsprotokollen in der gleichen unterkühlt nüchternen Sprache, die fast schon krampfhaft zu versuchen scheint, sich jeglicher gefühlsmäßiger Kommentierung zu enthalten. Lediglich private Eingaben und Petitionen an Verwaltung und Stadtrat lassen die persönliche Not und Ratlosigkeit der Bewohner angesichts der Kriegslage erahnen, aber auch solche Unterlagen sind vergleichsweise selten. Es entsteht der Eindruck, als haben nicht nur die Bürger, sondern auch die Stadt als Körperschaft ihre jeweiligen Wünsche und Bedürfnisse dem übergeordneten Geschehensablauf untergeordnet.

Eine wichtige Ausnahme in diesem Zusammenhang stellt jedoch die Nachricht über die Beschlagnahme der Orgelpfeifen und Glocken der Bad Bramstedter Kirche vom 16.6.1917 dar. Mit dieser bevorstehenden Maßnahme zur Deckung des Rohstoffbedarfs an Zinn und Bronze scheint eine gewisse Schmerzgrenze erreicht zu sein, denn der Autor des entsprechenden Artikels bettet diese Nachricht in eine für die Berichterstattung der Bramstedter Nachrichten zu dieser Zeit durchaus unüblichen geschichtlichen Betrachtung ein. Die geplante Demontage der Orgelpfeifen zum Anlaß nehmend, verfolgt er die Geschichte der Bramstedter Orgel bis in ihr Entstehungsjahr 1573 zurück. Die Darstellung mündet ein in den Ausruf:

„Wir beklagen den bevorstehenden Eingriff in das Orgelwerk! Wir tragen schwer an der heutigen Kriegsnot, viel schwerer waren die Bedrängnisse der Jahre 1657 bis 1660 für unsere Väter. Laßt uns daher mit Geduld und Gottvertrauen die Last der Gegenwart tragen und mit Freudigkeit in die Zukunft sehen.“

Das vorstehende Zitat nimmt Bezug auf eine ebenfalls durch die Ereignisse der äußeren Geschichte bedingte schwere Heimsuchung des Ortes im 17. Jahrhundert. Die Einmischung des Dänenkönigs Friedrich III. in die Auseinandersetzungen des schwedisch-polnischen Krieges in der Zeit von 1654 bis 1660 führte zwischen den Jahren 1657 und 1660 zu abwechselnden Einquartierungen von schwedischen, polnischen und brandenburgisch-preußischen Truppen im Flecken Bramstedt, die schwere Verwüstungen im Ort und so auch in der Kirche und im besonderen im Orgelwerk der Kirche hinterließen.

Gleichwohl erlitt der Flecken damals ein günstigeres Schicksal als die Städte Itzehoe oder Elmshorn, die von nach Jütland vorrückenden schwedischen Truppen völlig eingeäschert worden sind. Die sachliche Aussage der Zeitungsartikels ist somit durchaus zutreffend: Bei aller Not und allen Entbehrungen vor Ort erscheinen die zu erbringenden Opfer vergleichsweise gering, da die eigentliche Kriegsnot ja nur auf indirektem Wege spürbar wird. Dennoch sollte die symbolische Bedeutung des bevorstehenden Eingriffs in kirchliches Eigentum zu Kriegszwecken keineswegs unterschätzt werden.

Die Demontage der Orgelpfeifen sowie der ersten Glocke erfolgte am 4. Juli 1917. Auch hierüber berichteten die Bramstedter Nachrichten ausführlich, wobei der Wert der beschlagnahmten Gegenstände heruntergespielt wird. Der optimistische Grundtenor des Berichtes, der den Leser auf die neuen Zeiten, die nach siegreich beendetem Krieg ausbrechen und der Kirchengemeinde einen zeitgemäßen Ersatz für die ohnehin schon veralteten Glocken und Orgelpfeifen bringen sollte, einzustimmen versuchte, vermag jedoch den Betrachter unserer Tage nicht voll zu überzeugen.

Sieht man von dieser herausragenden, weil gerade in ihrer Symbolik schmerzhaften Maßnahme ab, so war der Krieg in den vorangegangenen Jahren zu etwas alltäglichem im Leben der Bramstedter Bevölkerung geworden. Die letzten beiden Kriegsjahre 1917 und 18 vergehen dann auch ohne spektakuläre Ereignisse und Übergriffe. Die von der Bevölkerung zu erbringenden Opfer erhöhen sich weiter, Mangelerscheinungen verschärfen sich. Die von der Bevölkerung schließlich erbrachten Opfer menschlich wie materiell sollten sich jedoch als vergeblich erweisen.

Das Resümee, das vor dem Hintergrund der Kriegsereignisse vor Ort zu ziehen ist, bezieht sich hauptsächlich auf kriegswirtschaftliche Aspekte. Die im Vorfeld des Krieges, nach seinem Ausbruch und während seines Verlaufes von der Verwaltung getroffenen Maßnahmen zur Sicherung des Nachschubs für die kämpfende Truppe als auch im besonderen für die Sicherstellung der Versorgung der Zivilbevölkerung getroffenen Maßnahmen haben, wie im vorstehenden Text gezeigt werden sollte, etwas Improvisatorisches, ja man möchte sagen Hilfloses an sich. Es wird reagiert, nicht agiert oder geplant. Die hierbei aufgetretenen Mängel etwa bei der Sicherstellung der Lebensmittel- oder Rohstoffversorgung sind jedoch nicht, wie häufig geschehen, der oder besser den örtlichen Verwaltungen anzulasten. Hier ist vielmehr der militärischen Führung, der die Gesamtwirtschaft in den Kriegsjahren unterstand, die Hauptverantwortung zuzuweisen. Versorgungsengpässe, Verteilungsprobleme und Kommunikationsschwierigkeiten der unterschiedlichen Stellen untereinander lassen sich aktenmäßig leicht bis nach Berlin zurückverfolgen. Die Auswirkungen der im wesentlichen durch Kompetenzstreitigkeiten hervorgerufenen Reibungsverluste jedoch hatten die Provinzstädte, wie etwa Bad Bramstedt, in voller Höhe zu tragen. Anders formuliert: Hätte sich die Umstellung von der Friedens- auf die reine Kriegsproduktion reibungsloser vollzogen, wäre der Warenumschlag nicht im Wirrwarr der Kompetenzen größtenteils hängengeblieben, so hätte dies durchaus kriegsentscheidende Auswirkungen haben können, wie unlängst in einer umfangreichen regionalgeschichtlichen Untersuchung zu diesem Thema dargelegt worden ist. Die berechtigte Enttäuschung über die Sinnlosigkeit der erbrachten Opfer sollte sich schließlich dann auch sehr bald nach dem Bekanntwerden der Niederlage im Zusammenhang mit den Ereignissen des 9.11.1918 in zornige Erbitterung gegenüber der bisherigen militärischen und politischen Führung niederschlagen.

  5. Bad Bramstedt in der Zeit zwischen den Kriegen

5.1. Das Ringen um eine neue politische Ordnung

Während die Bevölkerung Bad Bramstedts die sich tägliche verschlechternde wirtschaftliche Lage mit offensichtlich stoischer Gelassenheit ertrug, kam es bereits im Jahre 1917 vereinzelt zu deutlichen Widerstandsaktionen gegen die bestehenden Verhältnisse, insbesondere in Berlin, aber auch in den großen Industriestädten. So kann u. a. auch ein im Jahre 1917 veränderter Tenor der Kriegspropaganda in der Heimatpresse interpretiert werden: Der Friedensunwille des Feindes mache eine verstärkte Fortsetzung der Kampfhandlungen unter verstärkten Opfern zwingend notwendig. Auf diese Weise sollte die Leidensfähigkeit der Bevölkerung weiter verstärkt werden. Die Hintergründe hierfür sind jedoch vielschichtiger und können an dieser Stelle leider nicht erörtert werden.

Nachdem sich die militärische Lage an der Westfront u. a. als Folge des nunmehr im kriegerischen Geschehen deutlich spürbaren Kriegseintritts der USA im Frühherbst des Jahres 1918 soweit verschlechtert hatte, daß sich die militärische Führung genötigt sah, die Reichsregierung anzuweisen, Waffenstillstandsverhandlungen einzuleiten und hierdurch die Sinnlosigkeit der bisherigen menschlichen und materiellen Opfer schlagartig zur furchtbaren Gewißheit wurden, so mußte dies wie ein Dammbruch wirken. Proteste, Gehorsamsverweigerungen und Aufstände gegen die bisherige militärische und politische Führung waren die Folge. Sie nahmen ihren Anfang mit den Matrosenaufständen in Kiel vom 3. und 4. November 1918. Die Bramstedter Nachrichten berichten in ihrer Ausgabe vom 7.11.1918 erstmals von diesen Aufständen in Kiel, die sich bereits bis auf die Stadt Neumünster ausgeweitet haben. Überall im Lande werden Arbeiter- und Soldatenräte gebildet, die die politische Führung in der Region übernehmen, so auch in Bad Bramstedt, wenn auch mit einer gewissen kurzzeitlichen Verzögerung. Die überall im Lande aufflackernden Unruhen breiten sich nicht gradlinig aus; von Kiel und Neumünster ausgehend erfassen sie zunächst die Bramstedter Nachbargemeinden Bimöhlen und Lentföhrden; sicherlich eine Folge der hier angesiedelten Kriegsgefangenenlager. Am 10.11.1918, einen Tag nach der Abdankung Wilhelms II. also, wird eine Abordnung des Bimöhler Soldatenrates nach Bad Bramstedt entsandt, um auch hier für die Bildung eines solchen Gremiums zu sorgen, vor allem jedoch um zu verhindern, daß Bad Bramstedt zum Zentrum einer Gegenbewegung gegen die neue Ordnung und so zum Ausgangspunkt bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen werden könnte. Diese Befürchtung stützt sich einerseits auf die strategisch bedeutsame Lage Bad Bramstedts in der Mitte Schleswig-Holsteins, andererseits aber auch auf den Umstand, daß die politischen Verhältnisse am Ort auch nach dem plötzlichen Ende des Krieges stabil und ruhig waren. In der Tat: War der Ausbruch der Feindseligkeiten am 1.8.1914 noch Anlaß zu überschäumender Euphorie, wie überall im Reich, so wird die Nachricht vom Kriegsende mit Gelassenheit, teilweise auch mit Ratlosigkeit hingenommen, ein Umstand, der weniger auf Lethargie als auf Besonnenheit schließen läßt, denn schon bald zeichnen sich Bemühungen um eine Neugestaltung der politischen Verhältnisse vor Ort ab. Triebkräfte hierbei waren jedoch weniger die von außerhalb angereisten Vertreter der Arbeiter- und Soldatenräte als die bereits seit dem Jahre 1904 im Bürgerverein für Bramstedt zusammengeschlossenen liberalen bzw. freisinnig orientierten Mitbürger um den Organisten August Kühl, Pastor Paulsen oder den Photographen Struve.

Gleichwohl wurde das Ringen um eine neue politische Ordnung im kommunalen Bereich mit einer ähnlichen Intensität geführt wie auf Reichsebene. Bemerkenswert ist jedoch, daß die nunmehr auch in Bramstedt auflebende politische Auseinandersetzung im Gegensatz zu großstädtischen Regionen nicht zu Ausschreitungen und politischer Radikalisierung führt. Sowohl die Lektüre der Lokalpresse als auch das Studium einschlägiger Sitzungsprotokolle führt zu der Beobachtung, daß trotz fundamentaler Meinungsunterschiede das Streben nach Kompromiß und Konsens im Vordergrund steht. Hierbei zeichnet sich allerdings auch ein hohes Maß an ordnungspolitischer Unsicherheit ab. Sowohl die bürgerlich-liberalen als auch die sozialdemokratisch orientierten Gruppierungen beklagen auf ihren Veranstaltungen mit zunehmender Heftigkeit die zögerliche Haltung der Reichsregierung hinsichtlich der Wiederherstellung der staatlichen Ordnung. Daß die Stadt hierbei ihre ersten politischen Großveranstaltungen erlebt, sei hier nur am Rande erwähnt.

Kernproblem der politischen Auseinandersetzungen in den Gremien der Stadt ist die Frage nach der Gültigkeit des bisherigen Rechtes, d. h. den Bestimmungen der Gemeindeordnung. Die Auseinandersetzungen hierüber entzünden sich immer wieder im Zusammenhang mit der Rechtsstellung der Arbeiter- und Soldatenräte in den politischen Organen der Stadt; so z. B. der Handhabung des Rede- und Stimmrechtes. Hierbei zeichnet sich immer deutlicher eine grundsätzliche politische Problematik ab. Wie auch auf Reichsebene wird die Frage nach den unterschiedlichen Formen der politischen Willensbildung und demokratischen Legitimation auch in den Gremien der Stadt, den zahlreichen Bürgerversammlungen wie auch – und dies ist etwas durchaus Neues – in von den Bramstedter Nachrichten veröffentlichten Leserbriefen kontrovers diskutiert. Zwei grundsätzliche Eckpunkte der Auseinandersetzung sind hierbei zu unterscheiden: Einerseits die von den Arbeiter- und Soldatenräten favorisierte Form der plebiszitären politischen Willensbildung mit Wahlrecht als Klassenprivileg für Lohnempfänger. Auf der anderen Seite das von den liberal-bürgerlichen Kräften vertretene Modell einer repräsentativen Demokratie, die auf der Grundlage einer angemessenen Reform des bisherigen Rechtes erreicht werden soll. Ein erstes vorläufiges Ergebnis dieser politischen Diskussion vor Ort spiegelt sich in den Ergebnissen der Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung vom 19.1.1919 wider. Sozialdemokraten (SPD) und liberal-bürgerliche Gruppierungen (DDP und DVP) liegen bei den Wählerstimmen etwa gleich auf. Die Ergebnisse im einzelnen lauten für Bramstedt: SPD 650 Stimmen, DDP 634 Stimmen, DVP 75 Stimmen, Deutsche Bauernpartei 1 Stimme, DNVP 6 Stimmen. Im Vergleich hierzu das Wahlergebnis auf Landesebene in Prozent: SPD 49,1, DDP 27, DVP 7,8, DNVP 7,7. Von der Tendenz der Wählerstimmen her gesehen handelt es sich hierbei um die Fortsetzung des bisherigen politischen Profils: Der Anteil sozialdemokratischer und liberaler Wählerstimmen war auch in der Zeit zwischen 1871 und 1914 sowohl auf Landes- als auch kommunaler Ebene im Vergleich zum Reichsdurchschnitt überproportional hoch.

Die Kommunalwahlen vom 3. März 1919 brachten solide Mehrheitsverhältnisse in der Bramstedter Stadtverordneten­versammlung. Bei einer Wahlbeteiligung von 80,1 % der wahlberechtigten Bevölkerung fielen auf die SPD 42,5% und auf den Block der bürgerlichen Parteien 58,0% der abgegebenen Stimmen. Somit standen sich 8 sozialdemokratische und 10 bürgerliche Abgeordnete im Stadtverordneten­kollegium gegenüber. Die bürgerliche Mehrheitsfraktion wird dabei an geführt von den Mitbegründern des bereits im Jahre 1904 ins Leben gerufenen Bürgervereins; u. a. dem Fotografen Struve, dem Organisten August Kühl sowie Pastor Paulsen. Dabei ist besonders hervorzuheben, daß der Begriff bürgerlich keineswegs mit konservativ gleichzusetzen ist. Vielmehr versteht sich die bürgerliche Fraktion als Vertreter der Idee des auf dem Repräsentationsprinzip basierenden freiheitlichen Verfassungsstaats. Daß mit dieser Wahl ein völliger politischer Neuanfang gemacht werden sollte, wird durch den von der Lokalpresse besonders hervorgehobenen Umstand verdeutlicht, daß keiner der bisherigen Mandatsträger wiedergewählt worden ist.

Die von dem neu konstituierten Gremium zu bewältigenden Aufgaben sind mannigfach. Immer schärfer wirken sich die Folgen des verlorenen Krieges im alltäglichen Leben aus. Hoffte man noch gegen Ende des Jahres 1918, daß die wirtschaftlichen Einschränkungen als Folge des Kriegsgeschehens sich schrittweise milderten, so wird mit Beginn des Jahres 1919 deutlich, daß sich diese, wenn auch auf anderer Ebene, dramatisch verschärften. Ein Indiz hierfür sind die drastisch steigenden Lebensmittelpreise. So stiegen, um nur eines von vielen Beispielen zu nennen, die Kartoffelpreise innerhalb von nur 2 Monaten um 45%. Ähnliche Preissprünge sind auch bei anderen Nahrungsmitteln und Artikeln des täglichen Bedarfs zu beobachten: Die Inflation zeichnet sich ab. Eine Aussicht auf baldige Besserung besteht nicht. Die Folgen der kriegsbedingten Vernachlässigung der Feldbestellung würden sich nur mühsam und langfristig beseitigen lassen. Hinzu kommt, daß Ende April 1919 erste Einzelheiten des Friedensvertrages von Versailles im Orte bekannt werden. Von der Härte der Vertragsbedingungen schockiert und sich der Unerfüllbarkeit der Reparationsforderungen bewußt, formiert sich am 1. Mai 1919 ein von der sozialdemokratischen Stadtverordneten­fraktion initiierter Protestzug gegen den Gewaltfrieden durch Bad Bramstedt.

Die Zunahme der wirtschaftlichen Not führt gleichzeitig zu einer Steigerung der Gewaltkriminalität vor Ort. Fast in jeder Ausgabe berichten die Bramstedter Nachrichten von Viehdiebstählen, Einbruchsdelikten oder Raubüberfällen in Bad Bramstedt und der näheren Umgebung. Fast immer handelt es sich dabei um Fälle von Notkriminalität: die wirtschaftliche Not läßt moralische Hemmschwellen rapide sinken. Es zeigt sich aber auch, daß der Krieg viele der heimgekehrten Soldaten in ihrer Existenz entwurzelte; vielen dieser Heimkehrer gelingt es nicht, sich wieder in die Friedensgesellschaft einzugliedern, der örtlichen Verwaltung ist es unmöglich, für rasche Abhilfe, etwa durch die Bereitstellung billigen Wohnraumes oder Wiedereingliederungsbeihilfen, zu sorgen. Die rapide Zunahme von Eigentumsdelikten am Orte sowie Berichte von Aufständen und Unruhen in anderen Teilen des Reiches führt im April 1919 zu einer von beiden Stadtverordneten­fraktionen getragenen Initiative zur Gründung einer freiwilligen Bürgerschutzwehr, die für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie den Schutz des Eigentumes im Stadtgebiet Sorge tragen sollte. Am 7. Mai 1919 findet die konstituierende Versammlung der Bürgerwehr unter Vorsitz von Bürgermeister Jensen sowie dem Stadtverordneten Kühl statt. Schon wenige Tage später hatten sich 170 Freiwillige zum Dienst bei der Einwohnerwehr gemeldet. Am 30.5. des Jahres 1919 bewilligt das Stadtverordneten­kollegium schließlich die erforderlichen Haushaltsmittel für die Ausrüstung der Bürgerwehr. Am 24. Juni übersendet der Landrat des Kreises Segeberg der Polizeiverwaltung in 9 Kisten 257 Gewehre sowie 8 Kisten scharfe Munition.

Hierbei handelt es sich allerdings nicht um eine lokale Ausnahmeerscheinung; überall im Reiche nehmen bewaffnete Selbstschutzorganisationen die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie die Sicherung des Eigentums der Mitbürger in die Hand. Innerhalb kürzester Zeit entsteht so eine schlagkräftige paramilitärische Gruppierung, die durch Landes- und Kreisverbände zusammengehalten wird und vom Januar 1920 an sogar eine eigene Zeitschrift unterhält. Die Aktivitäten dieser Bürgerwehren vollziehen sich jedoch ohne Wissen der Siegermächte, die nach Bekanntwerden auf sofortige Auflösung und Entwaffnung dieser paramilitärischen Gruppierungen drängen, da sie hierin einen Bruch der Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages sehen. Bereits im April 1920 verfügt der preußische Minister des Inneren, dem Druck der Ententemächte nachgebend, die unverzügliche Auflösung und Entwaffnung der Bürgerwehr. Mit Ausnahme von Übungseinsätzen ist die Bramstedter Bürgerwehr, den dem Stadtarchiv vorliegenden Unterlagen nach zu urteilen, nicht gegen Kriminelle oder Unruhestifter eingesetzt worden. Allerdings hatte diese Einrichtung auch keinerlei Abschreckungsfunktion hinsichtlich der Alltagskriminalität, die im gleichen Umfang weiterbesteht, bei Eigentums- und Kapitaldelikten sogar noch zunimmt. Sie zeigt aber auch die große Rechtsunsicherheit praktisch aller Schichten der Bevölkerung angesichts der neuen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse.

Eine weitere, sowohl die wirtschaftlichen Folgen des verlorenen Krieges, als auch die mit dem politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Neuaufbau verbundene Rechtsunsicherheit dokumentierende Erscheinung ist die Einführung sogenannten Notgeldes in Bad Bramstedt. Notgeld – so das Lexikon für das Bankwesen – ist ein „aus geringwertigem Stoff (unedlem Metall, Papier, Pappe, Porzellan) gefertigter Geldersatz, zu dem man bei Mangel an Bargeld greift (z. B. in Kriegen)“. Die Geschichte dieses Ersatzgeldes reicht weit zurück ins 15. Jahrhundert: Als die Mauren im Jahre 1482 die spanische Festung Al Hama belagerten, konnte der eingeschlossene Graf von Candilla seine Soldaten aus Geldmangel nicht mehr besolden. Er setzte Wertziffern, Siegel und Unterschrift auf Pappstücke, die nach dem Krieg gegen Münzen eingelöst wurden, – das Notgeld war geboren -. Von da an tauchte es immer wieder im Gefolge von Kriegen auf, bis nach dem 1. Weltkrieg Millionen bunter Scheine Deutschland überschwemmten.

Der als Folge des 1. Weltkriegs immer stärker werdende Mangel an Metallen führt zu einer drastischen Verknappung von Kleinzahlungsmitteln. Am 17. Juni 1920 teilt die Bramstedter Sparkasse der Stadtverwaltung mit, daß der bestehende Mangel an Kleingeld dazu geführt habe, daß sowohl der Sparkasse als auch den örtlichen Geschäften das Wechselgeld ausgehe. Erst nach einem umfangreichen Erfahrungsaustausch mit anderen Gemeinden in Schleswig-Holstein, die bereits Notgeld eingeführt hatten, beschloß die Bramstedter Stadtverordneten­versammlung am 8. November 1920 die Ausgabe von Notgeldscheinen. Entwürfe und Herstellungsangebote wurden angefordert und schließlich einigte man sich auf die Herausgabe von 25- und 50-Pfennig-Scheinen. Die Vorderseite des 50-Pfennig-Scheines zeigt das Roland-Standbild und trägt die von A. Kühl verfaßte Inschrift:

„Uns Roland steiht und kiekt un nöckt.
He seggt: De Welt, de ist verröckt.
Ick mag hier nich mehr länger stahn,
Ick will man leewer rünnergahn.
Ick gah nah Bielenbarg nu aff,
Dar legg ick mi ganz still int Graff
Un slaap dar, bet in Kopp un Hart
De Minschheit wer vernünftig ward.“

Die Rückseite des 50-Pfennig-Scheines trägt die von Bürgermeister Jensen verfaßte Inschrift:

„Düß Schien, de gelt sien föfti Penn.
Doch eenmal hett dat ok en Enn.
Denn kannst du lesen in uns Blatt:
‚De Schiens sünd all nu vör de Katt‘
Denn bring em gau hennah de Kaß,
Du büß sünst an de Kossen faß.“

Beide Inschriften sind vor dem Hintergrund der Zeit zu verstehen, bringen sie doch zum einen Mißmut und Unverständnis mit den Verhältnissen der Zeit – der Roland, Schutzherr des Handels und somit Symbol für Handelsfreiheit- und Gerechtigkeit möchte sich ins Grab zurückziehen, bis die Menschheit geistig und seelisch zur Vernunft gekommen ist andererseits aber auch eine deutliche Warnung hinsichtlich der Vorläufigkeit des neuen Zahlungsmittels zum Ausdruck. Nicht zu übersehen ist der Hinweis: „Dieser Schein verliert seine Geltung 4 Wochen nach öffentlicher Ankündigung in den Bramstedter Nachrichten.“

Auf der Rückseite der 25-Pfennig-Note macht die Stadt Bad Bramstedt Reklame für ihre Heilquellen, ebenfalls in den launigen Versen von August Kühl. In Umlauf gebracht wurden am 7. Dezember 1920 50 000 Scheine a 50 Pfennig und 50 000 Notgeldscheine a 25 Pfennig. Schon bei der Ausgabe des Notgeldes war deutlich, daß der Sammlerwert, der von J. Struve recht ansehnlich gestalteten Scheine größer war, als ihre Kaufkraft. Die immer schneller fortschreitende Inflation der deutschen Währung führte schon bald dazu, daß die Herstellungskosten den Wert der Geldscheine bei weitem überstiegen. Die Verwendungsmöglichkeiten des Notgeldes waren zudem sehr eingeschränkt: Da praktisch jede Gemeinde im Reich eigenes Notgeld der unterschiedlichsten Art herausgab, war der Umlauf auf das jeweilige Stadtgebiet beschränkt, wobei jedoch die Deutsche Reichsbank unter gewissen Voraussetzungen Notgeld in reguläre Zahlungsmittel umtauschte. Durch die Überflutung des Geldmarktes mit solchen geldähnlichen Zahlungsmitteln wurde der Wert der deutschen Währung weiterhin ungünstig beeinflußt. Es verwundert daher nicht sonderlich, daß das im Kreise Segeberg im Umlauf befindliche Notgeld per Anordnung des Landrats zum 31.3.1921 aus dem Verkehr gezogen wurde, hatte es eigentlich nur für Druckereien, die an der Herstellung der Scheine gut verdienten, sowie für Sammler noch einen Wert. Zur Verdeutlichung: Im Jahre 1913 bezahlte man in Bad Bramstedt für das Kilogramm Butter 2,40 Mark, im März 1921 war der Preis auf 60 Mark gestiegen. Die Preise für Rindfleisch stiegen im gleichen Zeitraum von 1,90 auf 28 Mark, 100 kg Kohlen kosteten 1913 3,60 Mark, 1921 68 Mark; der Preis für 100 kg Holz stieg von 2,50 auf 40 Mark. Es wird somit deutlich, daß sich das Problem des Kleingeldmangels von selber erledigt hatte; die Reichsmark war zum Kleingeld geworden. Deutlich wird aber auch, daß die Zeit des Notgeldes zugleich eine Zeit der Not war.

Die für die 20er Jahre dieses Jahrhunderts charakteristischen wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen mit der damit verbunden rechtlichen und politischen Unsicherheit wirken sich auf die Stadt Bad Bramstedt ebenso aus wie auf andere vergleichbare Orte. Dennoch werden in Bad Bramstedt schon sehr frühzeitig die Weichen in Richtung einer lokalen Wende gestellt. Hierbei stehen die Namen zweier Persönlichkeiten im Vordergrund: Oskar Alexander (1881 1942) und Bürgermeister Wilfried Erlenhorst (1890 – 1949). Beide Namen sind eng verknüpft mit dem Auf- und Ausbau der Bramstedter Rheumaheilstätte sowie der Ausweitung des allgemeinen Fremdenverkehrs und schufen auf diese Weise die Grundvoraussetzung für eine der allgemeinen Not, insbesondere während der Inflation und der Weltwirtschaftskrise, entgegengesetzte Entwicklung.

5.2. Die Entwicklung zum modernen Kurbad und Fremdenverkehrsort

In ihrer Ausgabe vom 25.3.1919 berichten die Bramstedter Nachrichten über den Erwerb des alten Kurbades durch den Hamburger Oskar Alexander. Gleichzeitig erscheint eine Anzeige, die die Gründung einer neuen Firma mit dem Namen Sol- und Moorbad durch Oskar Alexander annonciert. Angekündigt werden auch eine Erweiterung sowie eine vollständige Renovierung des Bades. Die Erweiterung bestand zunächst in der organisatorischen Zusammenlegung des als altes Kurbad bezeichneten Matthias-Bades mit dem Behncke‘schen Solbad. Umfangreiche Baumaßnahmen schlossen sich an, die erst mit dem Ende des Jahres 1924 zu einem vorläufigen Abschluß gelangten. In einem Anfang des Jahres 1925 von Oskar Alexander herausgegebenen Werbeprospekt wird der Sanatoriumscharakter des mit nunmehr 140 Betten und 4 Ärzten versehenen Sol- und Moorbades besonders herausgestellt. Zielgruppe sind vornehmlich Hamburger Besucher, weist der Prospekt doch besonders auf die Nähe der Hansestadt hin und spricht in diesem Zusammenhang vom „Bad vor den Toren Hamburgs“. Von besonderer Bedeutung ist der im gleichen Jahr mit der in der Vereinigung von Krankenkassen Groß Hamburg e.V. und im Landesverband Norden des Hauptverbandes Deutscher Krankenkassen zusammengefaßten gesetzlichen Krankenversicherungsträger geschlossene Belegungsvertrag. Versuchte Oskar Alexander auf diese Weise eine ganzjährige Auslastung des Kurbades zu sichern, so gelangte die bestehende Anlage angesichts einer deutlich steigenden Inanspruchnahme der Kureinrichtungen sehr bald an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. So erwuchs schon bald der Gedanke, anstelle der bisherigen Anlage eine neue, den Bedürfnissen der sozialen Versicherungsträger entsprechende Heilstätte insbesondere für Rheumakranke – zu schaffen. Angesichts der bestehenden Kureinrichtungen waren die Dimensionen der ins Auge gefaßten neuen Anlage immens.

Der von Oskar Alexander mit Planung des Bauvorhabens beauftragte Hamburger Architekt Karl Feindt ermittelte einen Investitionsbedarf in Höhe von rd. 2.770.000 Reichsmark. Eine derart dimensionierte Anlage konnte nur in Form einer für diesen Zweck neu zu gründenden Gesellschaft realisiert werden, an der sich die entsprechenden Krankenversicherungsträger ebenso beteiligen sollten wie die Stadt Bad Bramstedt. Bis es am 2. April 1929 endlich zur Gründung der „Rheumaheilstätte Bad Bramstedt GmbH“ kam, waren umfangreiche Vorberatungen notwendig. Sie bezogen sich in der Hauptsache auf Art und Umfang der städtischen Beteiligung an dem geplanten Objekt. Zwar hatte die Stadt Bad Bramstedt schon in den Jahren zuvor angesichts des Wirtschaftspotentials des Fremden- und Kurverkehrs umfangreiche Maßnahmen zur Förderung und Sicherung des Fremdenverkehrs ergriffen, gleichwohl erschien vielen Stadtverordneten die geplante Rheumaheilstätte für die Verhältnisse des Ortes überdimensioniert. Andererseits wurden durch die wesentlich von Bürgermeister Erlenhorst initiierten Maßnahmen wichtige infrastrukturelle Voraussetzungen für ein solches Projekt gesetzt. Zwei solcher Maßnahmen sollen hier besonders in den Vordergrund gestellt werden: hierbei handelt es sich zum einen um die im Jahre 1926 auf Anregung Bürgermeister Erlenhorsts erlassene „Ortssatzung gegen die Verunstaltung von Straßen und Plätzen in der Stadt Bad Bramstedt“; zum anderen um die Bemühungen der Stadt um eine bessere Verkehrsanbindung mit Hamburg. Die neue Ortssatzung stellt die Straßenzüge Landweg, Maienbeeck, Kirchenbleeck, Bleeck, Altonaer Straße, Butendoor. Stadtwald und Kieler Straße unter besonderen Schutz, der u. a. eine Genehmigungspflicht für das Straßenbild nachhaltig verändernde Bau- oder Umbaumaßnahmen vorsieht. Hierzu zählen auch die Anbringung von Reklameschildern, Schaukästen und Plakaten. Eine völlige Veränderungssperre wird für die Kirche, das Schloß, das Gebäude der Realschule und das Rathaus erlassen.

Aus dieser Ortssatzung spricht die Erkenntnis, daß das historisch gewachsene Ortsbild nicht nur hinsichtlich der Lebensqualität der Bewohner schützenswert ist, sondern auch ein nicht unerhebliches Wirtschaftspotential im Zusammenhang mit dem insbesondere seit 1924 stark zunehmenden Fremdenverkehr darstellt. Es beinhaltet zugleich aber auch die Befürchtung, daß das historisch gewachsene Ortsbild durch Großprojekte nachteilig verändert werden könnte. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt wird somit eine Entscheidung für ein mehr qualitativ orientiertes Wachstum des Ortes getroffen.

Um dieses Ortsbild, das, wie Bürgermeister Erlenhorst mehrfach betonte, einen Wert an sich darstellt, möglichst vielen erholung- und ruhesuchenden Menschen zugänglich zu machen, bedurfte es deutlich verbesserter Verkehrsverbindungen, insbesondere mit der Stadt Hamburg. Vor diesem Hintergrund sind die etwa zeitgleich verlaufenden Bemühungen der Stadt um die Schaffung eines Linienbusverkehrs mit Hamburg zu sehen. Ausgangspunkt hierbei ist die auch für unsere Zeit noch zutreffende Feststellung der Unzulänglichkeit der AKN, deren Bau über Bad Bramstedt hinaus bis Neumünster noch wenige Jahre zuvor als ein für das Wirtschaftsleben des Ortes außerordentlich bedeutender Umstand bezeichnet wurde. In einem, im Zusammenhang mit Einsprüchen der AKN gegen die geplante Linienbusverbindung nach Hamburg am 21.5.1927 an den Regierungspräsidenten in Schleswig gerichteten Schreiben Erlenhorsts heißt es hierzu u. a.: „Für eine Fahrt von Bad Bramstedt nach Hamburg Hauptbahnhof, für die auf der Reichsbahn höchstens 1 Stunde gebraucht würde, sind heute 2 1/2 bis 3 Stunden erforderlich. Das ist genau die Zeit, die man vor 250 Jahren benötigte, um von Hamburg nach Bad Bramstedt zu kommen. Auf der Strecke Neumünster Kiel sind die Verhältnisse die gleichen. ( … ) Die Zustände auf der Kaltenkirchener Bahn werden von allen Leuten, die notgedrungen mit der Bahn fahren müssen, einfach als skandalös bezeichnet. ( … ) Die Kaltenkirchener Bahn steht heute noch genauso da, wie zur Zeit ihrer Gründung. Die Personenwagen haben seitdem noch keinen Anstrich erhalten, sie sehen abscheuerregend schmutzig aus. In den meisten Zügen sind keine Toiletten vorhanden. ( … ) Aufreibend und auch aufreizend wird das viele Halten und Rangieren auf der verhältnismäßig kurzen Strecke (17 Stationen bei 45 km) empfunden. ( … ) Verspätungen von 15 bis 30 Minuten sind an der Tagesordnung.“ In einem Resümee, das Erlenhorst zum Schluß dieses Schreibens zieht, wird nochmals auf die für die Stadtgemeinde lebensnotwendige Bedeutung des Fremdenverkehrs hingewiesen. Nach Abschluß des recht komplizierten Genehmigungsverfahrens konnte das Altonaer Busunternehmen Heinrich Prahl am Pfingstsonntag des Jahres 1927 den Linienverkehr zwischen Hamburg-Dammtor und Bad Bramstedt aufnehmen, jedoch mit der Maßgabe, daß lediglich Kurgäste befördert werden durften. Die Einrichtung von Haltestellen zwischen Bramstedt und Hamburg wurde dabei ebenso untersagt wie jegliches Ein- und Aussteigen zwischen beiden Orten. Die Fahrt dauerte genau 1 Stunde und kostete 2,- Mark. Durch diese neue und leistungsfähige Verkehrsverbindung wurde somit eine weitere wichtige Voraussetzung nicht nur für die Fortentwicklung des Fremdenverkehrs, sondern auch für den geplanten weiteren Ausbau der Kuranlagen geschaffen. Weitere Buslinien in die nähere und weitere Umgebung Bramstedts sorgten nicht nur für eine engere Verknüpfung mit den Nachbargemeinden, sondern boten zusätzlich interessante Auswuchsmöglichkeiten für die Kurgäste am Orte.

So bedeutend diese bei den Schritte für die touristische Infrastruktur Bad Bramstedts auch waren und zusätzliche Argumente für den geplanten Bau einer Rheumaheilstätte mit sich brachten, so gingen die Dimensionen der geplanten Maßnahme weit über das Vorstellungsvermögen der damaligen Entscheidungsträger hinaus, denn eine Heilstätte dieser Art war bislang ohne Vorbild. Es ist verständlich, daß die städtischen Gremien zögerten. Befürchtungen, daß der Ort sein bisheriges Gesicht verlieren könne, daß das soziale Gefüge der Stadt durch einen solchermaßen immensen Komplex durcheinandergerate, oder daß hier ein nicht zu kalkulierendes finanzielles Abenteuer bevorstünde, wurden geäußert. Oskar Alexander und Bürgermeister Erlenhorst hingegen waren unermüdliche Fürsprecher dieses Großprojektes. Dabei waren die bei der Verwirklichung in die Stadt gestellten Erwartungen enorm. Die für die Finanzierung der Maßnahme zuständigen Banken und Sozialversicherungsträger verlangten umfangreiche Garantien zur wirtschaftlichen Absicherung des Objektes. Aufgrund eines Antrages der Vereinigung von Krankenkassen Groß Hamburgs e.V. vom 17.12.1928 verpflichtete sich die Stadt Bad Bramstedt nach zähen und langwierigen Beratungen „Auf dem jetzigen städtischen Grundstück beim Stadtwald weder selbst Erholungsheime noch Gaststätten zu bauen, noch deren Bau die Zustimmung zu geben“. Damit wurde der gesamte, seinerzeit durch Bürgermeister Freudenthal für die Stadt erworbene Stadtwald zur ausschließlichen Nutzung durch die Patienten und Kurgäste der Rheumaheilstätte kostenlos zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig erlangte die geplante Rheumaheilstätte eine jegliches privates wie öffentliches Engagement ausschließende MonopolsteIlung. Die Schaffung einer solchen Monopolstellung der geplanten Maßnahme war Grundvoraussetzung für das finanzielle Engagement der Kapitalgeber.

Zusätzlich zu diesen Garantien waren weitere Maßnahmen der Stadt zur Schaffung der für den Bau notwendigen Voraussetzungen erforderlich. Als Kapitaleinlage in die am 2.4.1929 gegründete „Rheumaheilstätte Bad Bramstedt GmbH“ brachte die Stadt das erforderliche Gelände ein. Es handelte sich dabei um das 15 ha große Kerngebiet des Stadtwaldes, das der Rheumaheilstätte nebst den darauf befindlichen Holzbeständen zum Eigentum überlassen wurde. Der Wert des Grundstückes wurde auf 60 000 Reichsmark festgesetzt. Zum Stammkapital der Rheumaheilstätte GmbH leistete die Stadt eine Stammeinlage in Höhe von 10 000 Reichsmark; d. H. 10 %. Das mit dem überlassenen Grundvermögen verbundene Restkapital wurde in Form einer unverzinslichen Goldmarkhypothek in die Gesellschaft eingebracht, mit der Maßgabe, daß sie während des Bestehens der Gesellschaft unkündbar ist. Weitere Starthilfen und Vorleistungen der Stadt waren die Lieferung von Strom zu Sondertarifen durch das städtische Elektrizitätswerk sowie ein durch eine Anleihe finanzierter Zuschuß für den Ausbau der heutigen Oskar-Alexander-Straße in Höhe von 10 000 Reichsmark, womit die nötige Infrastruktur für die neue Anlage geschaffen wurde.

Es ist dem gemeinschaftlichen Engagement Erlenhorsts wie Oskar Alexander zu verdanken, daß die städtischen Gremien in ihrer Bereitschaft, durch derart umfangreiche wirtschaftliche Vorleistungen der Stadt die Voraussetzung für den Bau einer Rheumaheilstätte zu schaffen, über ihren eigenen Schatten sprangen, insbesondere wenn man einen Blick auf den gesamtwirtschaftlichen Hintergrund der gefaßten Entschlüsse wirft:
Zwar wurden nach der Beendigung der Inflation im Jahre 1923 durch den „Dawes-Plan“ sowie durch eine von Reichsaußenminister Gustav Stresemann betriebene Entspannungs- und Friedenspolitik die Voraussetzungen für ein solides wirtschaftliches Wachstum gelegt, dieses gerät jedoch bereits in der 2. Hälfte des Jahres 1927 zunehmend in den Sog einer internationalen Überproduktionskrise. Hiervon war insbesondere die Landwirtschaft, deren Erträge sich durch anhaltende Überproduktion immer weiter verringerten, betroffen. Aber auch die industrielle Produktion ging als Folge der Überproduktion zurück. Der schließlich in die Weltwirtschaftskrise einmündende Teufelskreis von Überproduktion, Ertragsverfall, Betriebsstillegungen und Arbeitslosigkeit zeichnet sich ab. Vor dem Hintergrund einer sich solchermaßen bedrohlich zuspitzenden wirtschaftlichen Krisensituation war die Entscheidung zum Bau einer Rheumaheilstätte nicht nur mutig, sondern auch der richtige Schritt in die richtige Richtung. Das Eröffnungsjahr der Rheumaheilstätte, 1931, ist gleichzeitig das Jahr, in dem das Deutsche Reich von der Weltwirtschaftskrise und ihren Begleiterscheinungen voll erfaßt worden ist. So heißt es in einem Bericht über die Eröffnungsfeierlichkeiten vom 1.2.1931 in den Bramstedter Nachrichten auch zutreffend:

„Es sind schlechte Zeiten, das weiß jeder. Unserer Stadt ist durch das Geschenk der Rheumaheilstätte die Möglichkeit gegeben, die wirtschaftliche Lage wesentlich zu verbessern … Möge jeder bedenken, daß wir in Bramstedt vor dem Anfang einer neuen Entwicklung stehen und daß es auf jeden ankommt, ob wir die uns gebotenen Aussichten ausnutzen wollen oder nicht. Wenn wir jetzt nicht anpacken, dann geht uns vieles verloren, vielleicht alles. „

Der Bau der Rheumaheilstätte war ein Investitionsprogramm, das die Stadt Bad Bramstedt vorerst weitgehend von den Folgen der überall sonst im Land grassierenden Massenarbeitslosigkeit und den damit verbundenen politischen Begleitumständen verschonte. Zwar geriet auch die neu gegründete Gesellschaft bereits im Winter 1931/32 in den Strudel der Weltwirtschaftskrise, aber auch hier sorgte eine vorausschauende und umsichtige Wirtschaftsplanung durch Oskar Alexander dafür, daß auch diese Klippen umschifft werden konnten. Eingedenk der Tatsache, daß es auch in wirtschaftlichen Notzeiten zahlungskräftige Mitbürger gibt, öffnete er die Heilstätte auch selbstzahlenden Privatpatienten, die das Kurangebot in großer Zahl annahmen und so Einnahmeverluste durch die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Sozialversicherungsträger abmilderten.

Die eigentlichen Früchte dieser auf weite Zukunft hin errichteten Heilstätte sollten jedoch die wenig später auch Bad Bramstedt beherrschenden nationalsozialistischen Machthaber ernten. Von besonderer Tragik hierbei ist, daß Oskar Alexander aufgrund seiner jüdischen Abstammung den neuen Machthabern ein Dorn im Auge war. Ein Nicht-Arier an der Spitze einer solchen Einrichtung paßte nicht in das Konzept der Nationalsozialisten. Angesichts des zunehmenden, insbesondere von den städtischen Gremien auf ihn ausgeübten politischen Drucks wendet er sich in einem Schreiben an den Stellvertreter des Führers, Rudolf Hess, und bittet um eine klare Stellungnahme hinsichtlich seiner Eignung zur weiteren Ausübung seiner Tätigkeit als Pächter der Rheumaheilstätte. Ohne falsche Bescheidenheit verweist er dabei auf sein bisheriges Engagement für die Heilstätte und für die Stadt Bad Bramstedt; verweist aber auch auf seine im 1. Weltkrieg erworbenen Verdienste. Gleichwohl wird Oskar Alexander gezwungen, seine Tätigkeit als Pächter der Rheumaheilstätte GmbH zum 31.5.1936 zu beenden. Oskar Alexander starb am 25. Januar 1942 im Konzentrationslager Oranienburg, in das er zwischenzeitlich als Volljude eingeliefert worden war. Er teilt somit das Schicksal vieler seiner Zeitgenossen, deren herausragender und selbstloser Einsatz für Staat und Gesellschaft von der Arroganz des Rassenwahnes der nationalsozialistischen Machthaber mit Füßen getreten worden ist.

Auch die Tätigkeit Bürgermeister Erlenhorsts fand schon sehr viel früher ein unrühmliches Ende. Über einem am 18.5.1931 veröffentlichten Artikel der Kaltenkirchener Nachrichten prangt die Schlagzeile: „Was ist auf dem Bürgermeisteramt los?“ Weiter heißt es: „Wie wir aus Bramstedt hören, hat der Bürgermeister in folge Überlastung einen Nervenzusammenbruch erlitten und krankheitshalber Urlaub genommen ( … ).“ Gleichzeitig ist von vielerlei Gerüchten die Rede, so daß der Artikel dieser Nachricht keinen Glauben schenkt. Am 3.6.1931 steht unter der gleichen Überschrift im gleichen Blatt zu lesen:

„Nachdem durch die Presse die Mitteilung gegangen ist, daß Bürgermeister Erlenhorst bis 14. des Monats beurlaubt ist, kursieren hier die seltsamsten Gerüchte. Die Stadtverordneten sind verschwiegen wie das Grab, hielten aber dieser Tage eine geheime Sitzung ab. Die Gerüchte wollen wissen, daß der Bürgermeister fristlos ohne Pension entlassen ist, also nicht mehr auf seinen Posten zurückkehren wird ( … ).“

In der Tat: Bereits am 19.5.1931 ist Bürgermeister Erlenhorst der Beschluß des Regierungspräsidenten in Schleswig über die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens mit dem Ziel der Entfernung aus dem Amte zugestellt worden. Hierin wird der Vorwurf erhoben, Erlenhorst habe in seinem Lebenslauf wissentlich falsche Angaben über seinen Bildungsweg und die von ihm erworbenen Qualifikationen gemacht, und sich auf diese Weise die Ernennung zum Bürgermeister widerrechtlich erschlichen. Außerdem werden Erlenhorst Unregelmäßigkeiten bei der Vertragsgestaltung mit der Rheumaheilstätte vorgeworfen. Durch die von ihm gemachte wissentlich falsche Aussage, daß die Rheumaheilstätte als Gegenleistung für die unentgeltliche Überlassung des Baugrundstücks durch die Stadt eine Mindestzahl von ganzjährig monatlich 150 Übernachtungen von Kurgästen in Bramstedter Privatquartieren garantiere, habe er überhaupt erst den Beschluß des Stadtverordneten­kollegiums über die Gründung der Rheumaheilstätte herbeigeführt. Außerdem habe Erlenhorst auf die gleiche Weise bei mehreren Betroffenen Fehlinvestitionen in beachtlicher Höhe veranlaßt, da die erhofften Privatgäste ausgeblieben seien. Am 14.7.1931 verfügt der Regierungspräsident in Schleswig die vorläufige Amtsenthebung Erlenhorsts. Das Hauptverfahren zog sich jedoch noch über ein Jahr hin und führte zu einer von allen Seiten heftig kritisierten bürgermeisterlosen Zeit. Wegen der wissentlich gemachten falschen amtlichen Angaben wurde eine Geldstrafe in Höhe von 150 Reichsmark verhängt. Die endgültige Entfernung aus dem Dienst erfolgte jedoch erst im Januar 1934 mit der Begründung, daß Erlenhorsts Ernennung aufgrund der von ihm gemachten falschen Angaben von Anfang an nichtig war.

Der oben geschilderte Sachverhalt könnte in den Bereich der Anekdote verwiesen werden, hätte Erlenhorst nicht, rückblickend gesehen, so hervorragende Arbeit für die Stadt geleistet. Rund 15 Jahre nach der Stadtwerdung Bad Bramstedts wurde offensichtlich bei der Bürgermeisterwahl noch immer mehr dem Charisma eines Bewerbers Vertrauen geschenkt als seinen formalen Qualifikationsmerkmalen. In seiner Vernehmung vor der Disziplinarkammer stellt Erlenhorst diesen Aspekt besonders heraus: „Für Bad Bramstedt, damals ein kleines, unbekanntes Landstädtchen von 2700 Einwohnern, wurde im Herbst 1925 die Stelle eines Bürgermeisters mit dem Gehalte eines gehobenen mittleren Beamten ausgeschrieben. Eine besondere Vorbildung wurde nicht verlangt. Bis dahin hatten dieses Amt nur Volksschüler versehen. Abgesehen von wenigen Ausnahmen wollte die Einwohnerschaft, wie allgemein gesagt wurde, keinen studierten Herren, sondern einen Mann aus dem Volke. Tatsächlich schwankte damals die Waage zwischen meinem Amtsvorgänger Herrn Bürgermeister Jensen und Bürgermeister a. D. Becker, der fast die gleiche persönliche und sachliche Vorbildung hatte wie ich.“ Daß er über ein unerhebliches Charisma verfügte, geht aus nachträglichen zu seiner Amtsführung gemachten Bemerkungen hervor, die ihn als autokratisch regierenden Machtpolitiker charakterisieren. Daß aus dem kleinen „unbekannten Landstädtchen“ ein modernes und über die Landesgrenzen hinaus bekanntes Kurbad wurde, ist im wesentlichen sein Verdienst.

5.3. Bad Bramstedt unterm Hakenkreuz

5.3.1. Voraussetzungen und Anfänge

Der als „Weimarer Republik“ bezeichnete Zeitabschnitt zwischen 1919 und 30. Januar 1933 wird durch zwei revolutionäre Eckpunkte markiert: eine im wesentlichen von den Linksparteien SPD und USPD getragene Revolution gegen die bestehende monarchisch-feudalistische Staatsordnung und einer von den Rechtsparteien DNVP und NSDAP getragenen Gegenrevolution gegen den zwischenzeitlich geschaffenen demokratischen Staat. Getragen wird diese Entwicklung nicht nur von der katastrophalen Wirtschaftslage insbesondere der Jahre 1931 und 32, sondern auch großenteils von einem breit angelegten Prozeß der Desillusionierung der Bevölkerung hinsichtlich der Möglichkeiten der neuen demokratischen Staatsordnung, der sich in auf Reichsebene deutlich zu beobachtenden Entpolitisierungstendenzen der Bevölkerung niederschlägt. Entpolitisierung bedeutet eine zunehmende Gleichgültigkeit der Bevölkerung gegenüber der Politik – heute würde man von Staatsverdrossenheit sprechen -, die sich aus den Wahlergebnissen der Jahre zwischen 1921 und 1933 herauslesen läßt. Zweierlei Aspekte sind dabei zu berücksichtigen: Einerseits eine deutliche Abkehr von den das politische Fundament des Weimarer Staates bildenden linksliberalen Parteien, verbunden mit einem bemerkenswerten Protestwahlverhalten sowie einer zunehmend zu beobachtenden Wahlenthaltung. Angesichts einer Wahlbeteiligung von nur 64 % bei den Kommunalwahlen vom 17.11.1929 sprechen die Bramstedter Nachrichten von einer erschreckenden Wahlmüdigkeit der Bevölkerung, insbesondere des bürgerlichen Lagers. Die allgemeine Verärgerung über die Reichspolitik habe nun auch auf den kommunalen Bereich übergegriffen. In der Tat: Bei den Kommunalwahlen sinkt die Wahlbeteiligung zwischen 1919 und 1929 um rd. 15 %. Ein vergleichbarer Rückgang ist bei den Reichstagswahlen zu beobachten, wobei zumindest im Jahre 1924 die Wahlbeteiligung bei der Kommunalwahl deutlich über der der Reichstags- und der Landtagswahl liegt. Bis zum Jahre 1929 besteht das Bramstedter Stadtverordnetenkollegium aus zwei Fraktionen: Einem Bürgerblock und der SPD. Die knappe Mehrheit des Bürgerblocks im Jahre 1919 wird 5 Jahre später drastisch auf Kosten der SPD ausgebaut: Sie verliert 6 von bisher 8 Mandaten an den Bürgerblock. 11 bürgerlichen Stadtverordneten steht nur noch eine schwache Opposition von zwei Sozialdemokraten gegenüber.

Die starke wachstums- und investitionsbezogene Politik Bürgermeister Erlenhorsts führte zu einer Spaltung des bürgerlichen Lagers. Bei den Kommunalwahlen des Jahres 1929 stellten sich nunmehr zwei bürgerliche Listen zur Wahl: Die Liste „Gemeinwohl“ und die Liste „Mittelstand“. Die unter der Bezeichnung „Mittelstand“ firmierende bürgerliche Wählergemeinschaft wurde vom Handwerkerbund, dem Wirteverein, dem Beamtenverein, dem Handelsverein sowie der Bramstedter Ortsgruppe des Kreisbauernverbandes getragen. Die Gruppe „Gemeinwohl“ setzte sich vornehmlich aus Kleinbauern und Kleinhandwerkern zusammen und forderte ein Ende der bisherigen verschwenderischen Finanzpolitik der Stadt. Ihr Slogan lautete: „Keine weiteren Ausgaben ohne Deckung“ . Sie sah die städtischen Finanzen insbesondere durch das Großprojekt Rheumaklinik bedroht und fürchtete drastische Steuererhöhungen. Hinzu kommt eine weitere Liste mit der Bezeichnung „Freie Arbeiter“. Im Gegensatz zu vergleichbaren Bad Bramstedter Nachbargemeinden stellt sich kein Vertreter der Hitlerbewegung zur Wahl. Das Wahlergebnis führt zu keiner nennenswerten Umstrukturierung, wohl aber zu einer deutlichen Verzettelung der politischen Kräfte: Die SPD gewinnt ein Mandat hinzu, die Grupe „Gemeinwohl“ entsendet drei, der „Mittelstand“ fünf und die den Kommunisten nahestehende Liste „Freie Arbeiter“ zwei Vertreter in das Stadtverordneten­kollegium. Ein deutliches Protestwahlverhalten kann aus diesem Ergebnis nicht herausgelesen werden. Der Tendenz nach entspricht dieses Wahlergebnis dem Resultat der Reichstagswahlen des Jahres 1928. Bei einer Wahlbeteiligung von rd. 68 % erzielte die SPD deutliche Gewinne auf Kosten der Liberalkonservativen Deutschen Volkspartei und der rechtsradikalen Deutsch-Nationalen Volkspartei. Allerdings entfallen auch 29 Stimmen auf die NSDAP sowie 37 Stimmen auf einen völkisch nationalen Block.

Einen wichtigen Gradmesser zur Einschätzung des rechtsradikal orientierten Protestpotentials stellt das Ergebnis des von Hitler (NSDAP) und Hugenberg (DNVP) initiierten Volksbegehrens gegen den Young-Plan vom 22.12.1929 dar. Bei einer Beteiligung von nur rd. 35 % sprechen sich 423 Stimmberechtigte für und 36 gegen das Volksbegehren aus, ein Ergebnis, das auch auf Reichsebene ähnlich liegt und eine empfindliche politische Niederlage für die Initiatoren Hitler und Hugenberg bedeutete.

Die oben genannten Zahlen sowie der aus der geringen Anzahl von Parteiveranstaltungen zu schließende niedrige Präsenzgrad der NSDAP in Bad Bramstedt lassen auf eine zunächst zurückhaltende Aufnahme der Hitlerbewegung durch die örtliche Bevölkerung schließen. Bis zum Jahre 1930 gibt es keinen nationalsozialistischen Ortsverband. Parteiveranstaltungen, die sich bis ins Jahr 1928 zurückverfolgen lassen, werden von der NS-Ortsgruppe Brokstedt organisiert und durchgeführt. Ein Blick auf vergleichbare Bramstedter Nachbargemeinden, z. B. Kellinghusen, Brokstedt oder Kaltenkirchen zeigt, daß Organisationsgrad und Anhängerschaft der NSDAP- dort bereits sehr viel weiter fortgeschritten sind. Somit scheint die Stadt Bad Bramstedt hinsichtlich der Einrichtung von örtlichen Agitationszellen und Unterorganisationen der NSDAP eine Insel im Strom der sich in Schleswig-Holstein immer weiter fortentwickelnden NS-Bewegung zu sein. Diese Beobachtung jedoch ist irreführend. Die Gründung eines eigenständigen NS-Ortverbandes steht am Ende eines präzise durchorganisierten und subtil durchgeführten Agitations- und Infiltrationsprozesses, denn die Aktivitäten der NSDAP beschränken sich nicht auf die klassischen Methoden der Plakat-, Flugblatt- und Veranstaltungswerbung. sondern zielen in sehr starkem Maße auf die systematische Infiltration der örtlichen Kommunikationssysteme und Multiplikatoren ab. In Bad Bramstedt sind dies vor allem die das städtische Leben wesentlich prägenden Vereine: Die Feuerwehr, der Schützenverein, die Turnerschaft und die beiden Männerchöre. Die Werbung für die Ziele der NS-Bewegung konzentriert sich dabei vornehmlich auf die Vereinsvorstände unter bewußter Ausnutzung deren Bekanntheitsgrades und Einflusses auf die Bevölkerung. Dies geschah durch die Abordnung einzelner für geeignet gehaltener Parteigenossen eines bereits bestehenden Ortsverbandes, die, mit konkreten Anweisungen versehen, Kontakte zu Vereinsvorsitzenden aufnehmen oder Vereinsmitgliedschaften übernehmen sollten.

Vergleichsweise spät, am 8.9.1930, kam es schließlich zur Gründung einer Bramstedter Ortsgruppe der NSDAP unter Vorsitz des Baumeisters Henry Büchler. Um dem Leser einen eigenen Eindruck von den Parteiaktivitäten zu geben, soll ein Auszug aus dem Rechenschaftsbericht Büchlers anläßlich der Jahreshauptversammlung der NSDAP vom 8.2.1932 wiedergegeben werden. Er wurde in voller Länge in den Bramstedter Nachrichten vom 10.2.1932 veröffentlicht:

,,( … ) Die Mitgliederzahl konnte sich im Laufe des verflossenen Jahres verfünffachen. 50 Parteigenossen wurden außerdem an die neu gegründeten Ortsgruppen Wiemersdorf, Hitzhusen, Lentföhrden und 6 Parteigenossen an auswärtige Ortsgruppen überwiesen. Der größte Teil aller Mitglieder ist in der SA, SS und SA-Reserve eingereiht. Außerdem konnte innerhalb des Ortsgruppenbereiches ein selbständiger SS-Trupp geschaffen werden. Zur Erleichterung der Geschäftsführung wurde die Ortsgruppe in 4 Sektionen eingeteilt. Die Ortsgruppe veranstaltete in der Stadt sechs, in Wiemersdorf, Lentföhrden, Hitzhusen und Bimöhlen je eine öffentliche Versammlung. Die auf den 10. Oktober festgesetzte Versammlung wurde behördlicherseits mit dem Bemerken „Durch die Abhaltung der öffentlichen Versammlung ist die öffentliche Sicherheit gefährdet; nach Lage der Verhältnisse ist die Polizei nicht in der Lage, wirklichen Schutz zu gewähren“ verboten. Im Laufe des Jahres wurden weitere 12 Mitgliederversammlungen abgehalten sowie ein Konzert und ein SA-Aufmarsch veranstaltet. Die Ortsgruppen Wiemersdorf und Lentföhrden wurden auf Betreiben der hiesigen Gruppe ins Leben gerufen und die einzelnen Funktionäre und Fachwarte in ihre Ämter eingeführt. Insgesamt gelangten im Jahre 1931 annähernd 5000 Flugblätter zur Verteilung. Im Oktober wurde eine Abteilung der Hitlerjugend gegründet. Die Schaffung einer Frauengruppe wurde bereits in Angriff genommen. Neu in ihr Amt eingeführt wurden ein Funkwart, ein Vertrauensmann zur Wahrung der Kriegsopferinteressen und ein Betriebswart für die nationalsozialistische Betriebszellen- Organisation. Die Lebensmittelsammlung für bedürftige Parteigenossen konnte mit einem guten Ergebnis abgeschlossen werden ( … ).“

Es zeigt sich, daß es innerhalb eines guten Jahres gelungen ist, eine straff durchorganisierte Parteiorganisation zu errichten, die auf die totale Erfassung des Ortes und seiner Bürger abzielte. Obgleich die NSDAP nicht in den städtischen Gremien vertreten war, wird deutlich, daß sie insbesondere durch ihre paramilitärischen Unterorganisationen SA und SS die politische Macht schon in den Händen hielt. Bad Bramstedt wurde nunmehr zur Keimzelle der weiteren Ausdehnung des Parteiapparates auf die dörflichen Nachbargemeinden.

Der schlagartig eintretende Siegeszug der NSDAP in Bad Bramstedt schlägt sich auch in den Wahlergebnissen der Jahre 1930 und 32 nieder. Bei einer Wahlbeteiligung von 86,7 % erzielte die NSDAP bei den Reichstagswahlen vom 14.9.1930 in Bramstedt mit einem Stimmenanteil von 29,7 % einen herausragenden Wahlerfolg. Dennoch nimmt sie nur die 2. Rangstelle nach den Sozialdemokraten (30,1 %) ein. Völlig abgeschlagen sind die DNVP mit 2,78 %, aber auch die Kommunisten mit 5,1 % der abgegebenen Stimmen. Dieses Ergebnis entspricht im wesentlichen dem Landestrend (SPD 29,8 %, NSDAP 27,0 %).

Der eigentliche, dammbruchartige Durchbruch der NSDAP vollzieht sich bei den Reichstagswahlen vom 24.4. des Jahres 1932. Hier gelingt es der Hitlerpartei, ihren Stimmenanteil mehr als zu verdoppeln. Sie erreicht mit 62,3 % ihr zweitbestes Wahlergebnis. Dieser Stimmenanteil liegt deutlich über dem Landesdurchschnitt von 51,0%. Der Höhepunkt der Popularität der NS-Bewegung beim Wahlvolk ist schließlich mit den Juli-Wahlen des gleichen Jahres erreicht. Mit einem Stimmenanteil von 73,4 % erreichen die Nationalsozialisten in Bad Bramstedt ein Ergebnis, das deutlich über dem Landes- wie auch dem Reichsdurchschnitt liegt. Diese allesamt auf Kosten der bürgerlichen Parteien erzielten Wahlsiege müssen im Zusammenhang mit der perfekt aufgebauten örtlichen Parteiorganisation gesehen werden. Aber diese Erklärung reicht für den erdrutschartigen, ja schon revolutionär zu nennenden Stimmungswandel in der Bramstedter Bevölkerung nicht aus. Die von Gerhard Hoch in seiner Darstellung der Geschichte Kaltenkirchens unter dem Hakenkreuz vorgetragene These von einer schleichenden Entpolitisierung und Radikalisierung der Bevölkerung in der Zeit zwischen 1921 und 1933 trifft für die Stadt Bad Bramstedt mit Sicherheit nicht zu. Wahrscheinlicher ist, daß die vielfach genannte katastrophale Wirtschaftslage und die damit verbundene Verbitterung der Bevölkerung als auslösender Faktor anzusehen ist. Hinzu kommt die im Zusammenhang mit der Amtsenthebung Erlenhorsts stehende führungslose Zeit der Stadt Bad Bramstedt. Die Nationalsozialisten finden somit eine Art von Machtvakuum vor und nutzen, wie vielerorts auch, die Schwäche der vorhandenen politischen Kräfte für ihre Zwecke aus. In seinen Anmerkungen zu Adolf Hitler stellt Sebastian Haffner in eindrucksvoller Weise dar, wie es der Hitler-Bewegung immer wieder gelungen ist, das bereits Fallende zu stürzen, um sich auf diese Weise an die Stelle der bisherigen Ordnung zu setzen. Diese Beobachtung Haffners wird auch durch die Ereignisse in Bad Bramstedt verifiziert.

Der im Jahre 1929 in Angriff genommene und im Frühjahr des Jahres 1931 abgeschlossene Bau der Rheumaheilstätte hatte für einen bescheidenen Wohlstand in der Bevölkerung Bad Bramstedts gesorgt, denn das gewaltige Investitionsvolumen zog eine Reihe von Folgeinvestitionen nach sich, von denen in der Hauptsache ortsansässige Handwerksbetriebe profitierten. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise trafen die Stadt somit erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung. Fangen die Meldungen über Zwangsversteigerungen und Zusammenbrüche insbesondere landwirtschaftlicher und handwerklicher Betriebe im Kreis Segeberg bereits im Jahre 1927 an sich zu verdichten, so tauchen Berichte über Zahlungsunfähigkeit und Zwangsmaßnahmen in Bad Bramstedt erst vereinzelt im Jahre 1930 und dann deutlich vermehrt in den Jahren 1931 und 32 auf. Art und Umfang der jeweiligen Pfändungsmasse lassen darauf schließen, daß eine große Anzahl insbesondere kleinbürgerlicher Haushalte von massiven wirtschaftlichen Schwierigkeiten betroffen waren. Der Betrieb der Rheumaheilstätte sorgte, da auch sie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war, nicht für den erhofften und so dringend benötigten Kapitalzufluß. Die nationalsozialistische Klientel ist somit auch in Bad Bramstedt vornehmlich im Bereich des kleinbürgerlichen Lagers zu suchen.

In einer bereits im Jahre 1935 unter dem Titel Zur Psychologie des Faschismus erstmals erschienenen Darstellung Henry Löwenfeld über die psychologischen Antriebskräfte angesichts der dammbruchartigen Hinwendung insbesondere der bürgerlichen Schichten zum Nationalsozialismus heißt es dann auch zutreffend:

„Die Verlorenheit des einzelnen gegenüber der Übermacht des Schicksals, daß ihn zum Spielball anonymer wirtschaftlicher Kräfte machte, die Ohnmacht des Menschen gegenüber der Maschine – all das hat neben den materiellen auch die seelischen Grundlagen der Existenz zusammenbrechen lassen. In solchen Zeiten wirtschaftlicher Katastrophen tritt leicht die Wendung zu Irrationalem ein. Die Enttäuschung an der Realität, die Verzweiflung an der Möglichkeit realer Befriedigungen führt zur Flucht aus der Realität.“

Die Flucht aus der Realität fand auf den zahlreichen Parteiveranstaltungen statt. Eine geschickt arrangierte Mischung von Musik, Redeeinlagen und dem gemeinsamen Gesang patriotischer Lieder führte in der Tat zu einer eigentümlichen Atmosphäre: „Alles“, so beschreiben die Bramstedter Nachrichten einen SA-Aufmarsch vom 6.7.1932,,, verlief ohne Störung. Stramm und ruhig, ihrer Kraft bewußt und ihres Sieges gewiß, so war das Auftreten der Leute.“ Die Ereignisse des 30. 1. 1933 zeigen, daß aus der Realitätsflucht schließlich eine neue Realität geworden ist.

5.3.2. Bad Bramstedt im Zeichen des „Neuen Deutschland“

Es waren hauptsächlich äußere, auf das alltägliche Leben im Orte einwirkende Ereignisse, die äußere Geschichte also, die die Suche nach einer neuen politischen Ordnung, zu der sich die Bramstedter 1919 anschickten, schließlich in die Nationalsozialistische Diktatur einmünden ließen. Die zunehmenden Erfolge der Nationalsozialistischen Bewegung vor Ort stellten sich zunächst nur zögernd ein, die zunehmende wirtschaftliche Not führte jedoch schnell zu einer bei rund 80 % der örtlichen Bevölkerung liegenden nationalsozialistischen Anhängerschaft. Es war ein subtiler und wenig spektakulärer Wandel, der sich nicht nur innerhalb der Bevölkerung, sondern auch innerhalb der städtischen Entscheidungsgremien vollzog. Erinnern wir uns: Bei den Kommunalwahlen des Jahres 1929 gab es weder nationalsozialistische Bewerber, noch nationalsozialistische Wählerstimmen, somit waren – oberflächlich gesehen bis zum Jahre 1933 keine Nationalsozialisten in den städtischen Entscheidungsgremien vertreten. Es erscheint daher eine realistische Einschätzung zu sein, wenn die Bramstedter Nachrichten am 4.2.1933 von einem überalterten Gemeindegremium sprechen. Eine genauere Betrachtung der Hintergründe führt jedoch sehr schnell zu einem anderen Ergebnis. Die nationalsozialistische Machtübernahme hatte sich in der Stadtverordneten­versammlung bereits schrittweise in der Zeit zwischen 1931 und 1932 in Form von Parteieintritten der den mittelständischen und bürgerlichen Wählerlisten zugehörigen Stadtverordneten vollzogen.

Im Oktober 1932 bestand die bürgerlich-mittelständische Mehrheitsfraktion ausschließlich aus Nationalsozialisten. Es verwundert daher nicht, daß sich die gleichen Bewerber, die 1929 noch für die mittelständische Wählerliste kandidierten, bei den für den 12.3.1933 angesetzten Kommunalwahlen für die nationale Einheitsliste zur Wahl stellten. Außer dieser nationalsozialistischen Wählerliste kandidierten lediglich noch Bewerber der SPD und KPD. Das bürgerliche Lager war somit vollständig in der nationalsozialistischen Einheitsliste aufgegangen. Das Ergebnis dieser Kommunalwahlen entspricht von der personellen Zusammensetzung des neuen Stadtverordneten­kollegiums her gesehen praktisch demjenigen des Jahres 1929. Anstelle der bisherigen bürgerlichen Fraktion zogen 11 Nationalsozialisten in die Stadtverordneten­versammlung ein, die nunmehr auch als nationalsozialistische Vertreter ihre politische Legitimation vom Wähler erhalten hatten. Neu hinzu kam ein kommunistischer Vertreter. Allerdings konnten weder die bei den sozialdemokratischen noch der kommunistische Stadtverordnete ihre Mandate ausüben. In einer verwaltungsinternen Verfügung ordnete der Erlenhorst Nachfolger, Bürgermeister Maaß, an, daß die nichtnationalsozialistischen Stadtverordneten nicht zu den Sitzungen zu laden bzw. am Betreten des Sitzungssaales zu hindern seien. Der kommunistische Vertreter wurde wenige Tage nach der Wahl verhaftet. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Die beiden SPD-Vertreter werden in den Protokollen der nachfolgenden Stadtverordneten­sitzungen als unentschuldigt fehlend aufgeführt und schließlich im Mai 1933 aufgrund der Nicht-Wahrnehmung ihrer Mandate aus dem Stadtverordneten­kollegium ausgeschlossen.

Insgesamt entfielen bei diesen letzten praktisch freien Wahlen bei einer Wahlbeteiligung von 82,5 % 80,48 % der abgegebenen Stimmen auf die nationale Einheitsliste, 14,4 % auf die SPD und 7,52 % auf die KPD. Das Ergebnis entspricht somit tendenziell den Resultaten der Reichstags- und Landtagswahlen, die am Sonntag zuvor abgehalten worden sind. Bemerkenswert sind die äußeren Umstände dieser beiden Wahlen: Überall, auch an öffentlichen Gebäuden und in den Wahllokalen selbst waren Hakenkreuzfahnen angebracht. Vor den Wahllokalen postierten Schutzwachen von SA und SS, die einen ordnungsgemäßen Verlauf der Wahlen sicherstellen sollten. Allerdings deuten diese Vorkehrungen nicht auf einen freiheitlich durchgeführten Wahlakt hin. Im Gegensatz zu anderen benachbarten Orten bleibt es in Bad Bramstedt an beiden Wahltagen ruhig, während es am 12.3. in Kellinghusen und Quickborn zu blutigen Zusammenstößen zwischen SA und SS sowie Angehörigen des kommunistischen Rot-FrontKämpferbundes kommt, in deren Verlauf an beiden Orten Todesopfer unter den Angehörigen des Rot-Front-Kämpferbundes zu verzeichnen sind.

Die sowohl auf Landes- als auch auf Reichsebene zum Teil sehr blutigen Auseinandersetzungen der NS-Kampftruppen SA und SS mit dem jeweiligen politischen Gegner erreichen auch Bad Bramstedt, wenn auch teilweise nur mittelbar. So berichten die Bramstedter Nachrichten mehrfach unter der Überschrift „Grober Unfug“ über Schmierereien bzw. eingeworfene Fensterscheiben an nicht näher definierten Gebäuden und Geschäften. Es liegt nahe, daß es sich hierbei um die Geschäfte bzw. Wohnhäuser jüdischer Mitbürger gehandelt haben mag. Spektakulärer jedoch ist die Ermordung des Erlenhorst Verteidigers Rechtsanwalts Dr. Spiegel in Kiel am 12.3.1933 durch Angehörige der SA. In Zeitungsberichten hierüber ist zwar – wie auch in Berichten über anderweitige gewaltsame Übergriffe – von der mißbräuchlichen Verwendung von SA-Uniformen durch die Täter die Rede, was jedoch als rein propagandistisch zu verstehende Schutzbehauptung aufzufassen ist, wie u. a. Lawrence D. Stokes am Beispiel Eutins in seiner Darstellung Kleinstadt im Nationalsozialismus überzeugend nachweist. Mit der Ermordung des Erlenhorst Verteidigers Dr. Spiegel wenige Tage vor dem Hauptverfahren vor der Disziplinarkammer des preußischen Verwaltungsgerichtes in Schleswig sollte offensichtlich Einfluß auf den Gang der Verhandlung gegen Erlenhorst genommen und gleichzeitig ein unliebsamer politischer Gegner beseitigt werden. [Stadtarchivar Jacobsen gab mir dazu 2010 die abweichende Information: „Als gegen ihn wegen falscher Reisekostenabrechnungen und arglistiger Täuschung (falsche Angaben im Lebenslauf) ermittelt wurde, nahm er sich zunächst die Kieler Rechtsanwälte Wilhelm Spiegel und Dr. Beyersdorf. Die Rechtsanwälte der Satdt Bad Bramstedt teilten der Stadt am 25.Oktober 1932 mit, das die Vollmacht der beiden Kieler Rechtsanwälte erloschen seien. Im März 1933 vertritt Rechtsanwalt Springe‐Altona Erlenhorst vor Gericht“.]

Der Prozeß der nationalsozialistischen Machtergreifung und der nachfolgenden Phase der NS-Herrschaftssicherung durch Gleichschaltung ist auch in Bad Bramstedt als langfristige und subtil verlaufene Entwicklung zu verstehen, deren Wurzeln nicht nur in die Zeit der Weimarer Republik und die damit verbundene politische Neuorientierung verfolgt werden können. Als ein wichtiger Kontinuitätsträger in diesem Zusammenhang ist sicherlich der auch in der Zeit zwischen 1919 und 1933 sehr aktive Bramstedter Kriegerverein, der seine Tätigkeit nach Ende des l. Weltkrieges vornehmlich auf die politische Agitation legt, anzusehen. Ziele der oft recht polemisch vorgetragenen politischen Äußerungen des Kriegervereins sind unter anderem die Abstimmungsergebnisse des Volksentscheides im Zusammenhang mit der Rückführung Nord-Schleswigs an das Königreich Dänemark, dem Versailler Friedensvertrag, der Außen- und Versöhnungspolitik Stresemanns. So ist es nicht verwunderlich, wenn die Fahnen des Kriegervereins auch von Anfang an bei den nationalsozialistischen Parteiveranstaltungen und Umzügen zu sehen sind. Die während der Zeit zwischen 1919 und 1933 herrschende allgemeine ordnungspolitische Unsicherheit läßt schließlich die p eher als unpolitisch zu bezeichnende bürgerliche Mittelschicht sowie das Kleinbürgertum auf ihrer Suche nach politischem Halt bei den Nationalsozialisten landen. Nur so kann letztlich die relative Kontinuität bei der personellen Zusammensetzung der wichtigen städtischen Entscheidungsgremien, die auch über das (j) Ende des 2. Weltkrieges hinaus zu beobachten ist, erklärt werden. Auch die bereits geschilderte verstärkte Einflußnahme von NS-Mitgliedern anderer Ortsverbände auf die wichtigen örtlichen Vereine verfehlt ihre Wirkung nicht. So steht auch die Bramstedter Turnerschaft bei ihrem Frühjahrs Schau-Turnen am 19.3.1933 nach den Worten ihres 1. Vorsitzenden nicht nur geschlossen wie ein Mann hinter dem Führer, sondern hat auch die vorangegangenen 14 Jahre als eine Zeit unsäglicher Schmach empfunden. Die Auflösung der örtlichen Organisation der B.T. und ihre Einverleibung in die Hierarchie des NS-Staates im Zuge der Gleichschaltung war somit lediglich eine reine Formsache.

Auch die Heimatpresse bekommt zunehmend einen anderen Stil. Die Berichterstattung der NS-Veranstaltungen wird emotional engagierter. Zusätzlich sind verstärkt ideologisch motivierte Leitartikel zu finden, so etwa zum Thema „Das Wesen der deutschen Fraulichkeit“.

Symbolischer Höhepunkt der NS-Machtübernahme schließlich sind die Feierlichkeiten anläßlich der Reichstagseröffnung vom 22.3.1933. In der Berichterstattung der Bramstedter Nachrichten lautet es hierüber:

„Alle waren gekommen, um die Stunden, mit denen ein neues und freies Deutschland beginnt, mitzuerleben ( … ) Neben den Kämpfern der braunen Sturmkolonnen, die Frontsoldaten des alten Deutschlands neben den traditionellen Fahnen des Kriegervereins, die Uniformen jener Männer, deren Wahlspruch und Tätigkeit im Dienst der Nächstenliebe liegt. Neben dem Handwerker der Bauer, neben dem Arbeiter der Faust die Arbeiter der Stirn. Eine Volksgemeinschaft, in der auch kein Verband, kein Verein fehlte, der auf dem Boden der Vaterlandsliebe steht ( … )“

Zu Füßen des Rolandstandbildes wurde im Anschluß an diesen sicherlich sehr eindrucksvollen Umzug eine Feierstunde abgehalten, in deren Verlauf der Festredner, ein Bramstedter Lehrer, unter Verwendung des sattsam bekannten nationalsozialistischen Vokabulars mit der Verfassung von Weimar und den für sie verantwortlichen Novemberverbrechern abrechnete obgleich die NS-Machtergreifung durch diese freiheitliche Verfassung erst ermöglicht worden ist. Als besonders zynisch muß dem heutigen Betrachter die Absingung des Chorals „Ein‘ feste Burg ist unser Gott“ im Verlauf dieser Feier in Verbindung mit dem „Horst-Wessel-Lied“ erscheinen. Die sehr engagiert vorgetragene Festrede hat bei einigen vornehmlich jugendlichen Teilnehmern einen derart tiefen Eindruck hinterlassen, daß diese noch in der gleichen Nacht das an der Straße „Unter der Lieth“ aufgestellte Friedrich-Ebert-Denkmal zerstörten.

Strukturen und Verlauf der NS-Machtübernahme in Bad Bramstedt sind, wenn auch zeitlich etwas verschoben, identisch mit der Entwicklung in anderen Städten, wie von L. D. Stokes überzeugend dargestellt wird. Ein Unterschied jedoch stellt sich bei der Untersuchung des dunkelsten Kapitels der NS-Herrschaft ein: Der Verfolgung der jüdischen Mitbürger. Wie überall sonst in Deutschland, erscheinen in den letzten Märztagen des Jahres 1933 Aufrufe zu einem allgemeinen Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte. Symbolisch unterstrichen werden sollte dieser Boykottaufruf durch einen auf den 1.4.1933 festgesetzten Aktionstag. Der 1. Stadtrat Bad Bramstedts forderte die örtliche Bevölkerung dementsprechend am 31.3. wie folgt zur Teilnahme an der Boykottaktion auf:

„Kein Deutscher kauft noch bei einem Juden oder läßt sich von ihm oder seinen Hintermännern Waren anbieten. Deutsche, meidet jüdische Ärzte, Rechtsanwälte und jene geistigen Erzeugnisse, die von Juden verfaßt und in den Handel gebracht wurden. An die Bevölkerung der Stadt Bad Bramstedt ergeht die Aufforderung, jedem jüdischen Händler und Hausierer die Tür zu weisen und nicht in den jüdischen Geschäften und Warenhäusern der benachbarten Großstädte zu kaufen. Deckt Euren Bedarf am Orte. Ihr unterstützt damit den heimischen Handwerker und Kaufmann – die heimische Geschäftswelt“.

Aus diesem Aufruf kann geschlossen werden, daß es in der Stadt Bad Bramstedt keine jüdischen Geschäfte gab, die von der Boykott-Aktion getroffen werden sollten. Die nur noch sehr unvollständig vorhandenen Akten der STAPO – Dienststelle Bad Bramstedt sprechen von einem zahlenmäßig geringen Anteil jüdischer Mitbürger in der Bevölkerung, der hauptsächlich im Bereich der Rheuma-Heilstätte zu finden sei. In der Tat: Der Pächter- und Verwaltungsdirektor der Rheuma-Heilstätte, Oskar Alexander, war einer der wohl prominentesten jüdischen Mitbürger Bad Bramstedts. Daß er, wie bereits weiter oben näher dargestellt, bis zum Jahre 1936 in seiner Position verharren konnte, läßt darauf schließen, daß er trotz seiner jüdischen Abstammung anfänglich über einen außerordentlichen Rückhalt sowohl in der Bevölkerung Bad Bramstedts als auch bei den Gesellschaftern der Rheuma-Heilstätte verfügte. Der auf ihn seitens der Stadtvertretung schließlich ausgeübte politische Druck, der zu seiner erzwungenen Aufgabe der Leitung der Heilstätte führte, geht auf entsprechende Anweisungen der Segeberger Kreisleitung der NSDAP zurück. Dies ist sicherlich ein Indiz dafür, daß der größte Teil der Bramstedter Nationalsozialisten nicht dem Bereich der ideologisch fanatisierten Aktivisten, sondern eher der großen Gruppe der weitgehend unpolitischen Weisungsempfänger zuzuordnen ist. Eine Reihe von Umbesetzungen innerhalb des medizinischen Personals, die kurzfristig im Frühjahr 1933 vorgenommen worden sind – so z. B. die plötzliche Ablösung des bisherigen Chefarztes der Rheuma-Heilstätte, Dr. Schultz, durch einen Hamburger Balneologen, spricht für den Umstand, daß die Zurückdrängung und Verfolgung jüdischer Mitbürger in zunächst weniger öffentlich wahrnehmbaren Positionen vorgenommen worden ist. Eine Beobachtung, die durch die Studie Stokes Kleinstadt und Nationalsozialismus am Beispiel Eutins bestätigt wird.

Andere, den jüdischen Bevölkerungsteil betreffende Verfügungen der Verwaltung (so z. B. die Umsetzung der „Nürnberger Gesetze“ in entsprechende Verwaltungsvorschriften, das Verbot etwa der Benutzung des neuerrichteten Waldbades durch Juden, oder gar die Kennzeichnungspflicht von Juden durch den Judenstern), entsprechen den auf Reichsebene erlassenen Verwaltungsvorschriften im Wortlaut. Über deren Umsetzung, über Verhaftungen oder Deportationen liegen weder in den Akten des Stadtarchivs, noch in den Veröffentlichungen der Heimatpresse Hinweise vor. Im Rahmen ihrer Berichterstattung über die „Reichskristallnacht“ (9. bis 10. November 1938) stellen die Bramstedter Nachrichten fest, daß es im Orte zu keinerlei Demonstrationen gekommen sei, da die Stadt inzwischen judenfrei ist. Lediglich in Bad Segeberg sei es zu Aktionen gegen den letzten jüdischen Geschäftsinhaber im Kreis, den Kaufhausbesitzer Baruch gekommen, der daraufhin mit seiner Familie die Flucht ergriffen habe. Somit, so die Bramstedter Nachrichten, sei auch der Kreis Segeberg praktisch judenfrei.

Die eigentliche Stadtentwicklung im „Zeichen des Neuen Deutschlands“ ist frei von spektakulären Ereignissen. Während der Zeit der NS-Herrschaft hatte die Stadt Bad Bramstedt drei Bürgermeister: Den kommissarischen Bürgermeister und Erlenhorst-Nachfolger Hermann Maaß in der Zeit vom 30. 9.1932 bis zum 2.7.1934; Friedrich Utermarck in der Zeit vom 17.12.1934 bis zum 19.10. 1937 sowie in der Zeit vom 1. 1. 1938 bis zum Kriegsende 1945 Bürgermeister Dittmann. Die Lebensläufe aller drei Ortsbürgermeister entsprechen in modellhafter Weise dem idealtypischen Karriereweg innerhalb des NS-Machtapparats. Mit Ausnahme des letzten Bürgermeisters, Dittmann, der seinen Dienst in den Jahren von 1938 bis 1945 versah, war das Bramstedter Rathaus nur eine weitere, vorläufige Station innerhalb der jeweiligen nationalsozialistischen Karriere. So z. B. war der kommissarische Bürgermeister Maaß vor seiner Berufung nach Bad Bramstedt SA-Führer in Hamburg, und wurde, wie es heißt, gegen seinen Willen am 1.7.1934 zum Oberbürgermeister der Stadt Emden ernannt. Bürgermeister Utermarck wird im Oktober 1937 plötzlich und unerwartet in eine nicht näher genannte höhere Parteidienststelle nach Altona berufen. Beide Bürgermeister entstammten einem eher als kleinbürgerlich zu bezeichnenden Milieu. Beide hatten vor ihrer Berufung zum Bürgermeister Funktionsstellen innerhalb der Parteihierarchie inne. Da es sich in beiden Fällen um vergleichsweise junge Bürgermeister handelte, ist davon auszugehen, daß ihre Amtsführung in Bad Bramstedt eine erste politische Bewährungsprobe darstellte.

Die Hauptaufgabe aller drei Bürgermeister bestand in der Weiterleitung bzw. Umsetzung von Anordnungen der NS-Kreisleitung. Aufgrund einer im Jahre 1935 neu erlassenen Städteordnung war der eigentlich verantwortliche und weisungsbefugte politische Funktionsträger einer Stadt der jeweilige Ortsgruppenführer der NSDAP, der seine Direktiven ebenfalls von der nächst höheren Charge der Parteihierarchie erhielt. Die hierdurch zwangsläufig entstehenden Kompetenzüberschneidungen waren beabsichtigt und dienten einer effektiveren Kontrolle der jeweiligen Funktionsträger.

Das aufgrund der neuen Städteordnung nur noch acht Mitglieder umfassende Stadtverordneten­kollegium wurde zum reinen Akklamationsorgan für die Anordnungen und Verfügungen der Partei. Die Protokolle der Stadtverordneten­sitzungen jener Zeit weisen daher auch keinerlei Spuren eines politischen Meinungsbildungsprozesses im Rahmen kontroverser Debatten auf, sondern lauten während der zwölf Jahre nationalsozialistischer Diktatur stereotyp: „Die Stadtverordneten nehmen zur Kenntnis und stimmen zu“. Lediglich ein einziges Zeugnis eines kontrovers geführten Meinungsbildungsprozesses läßt sich aus den Protokollen entnehmen. Hierbei handelt es sich um einen Vorgang vom 29.5.1942, der die Überführung der Bramstedter Stadtsparkasse auf die Kreissparkasse Segeberg zum Inhalt hat. Erstmals werden seitens einiger gewerbetreibender Stadtvertreter Bedenken hinsichtlich möglicher Nachteile einer solchen Zentralisierung der Sparkassen für die örtliche Geschäftswelt vorgetragen. Außerdem werde durch einen solchen Schritt die Bedeutung Bad Bramstedts als Dienstleistungszentrum in Frage gestellt. Es zeigt sich somit, daß ein solcher, offensichtlich an die Substanz des Ortes gehender bzw. die eigenen Interessen berührender Schritt auch unter den gegebenen politischen Umständen durchaus Widerspruch seitens der Stadtvertreter hervorrufen kann. Aber auch hier wird schließlich der Wille der Stadtvertreter durch den kategorischen Imperativ des Parteiwillens ersetzt: Der Hinweis, daß der Herr Kreisleiter die Umwandlung der Bramstedter Stadtsparkasse in eine Hauptfiliale der Segeberger Kreissparkasse ausdrücklich wünsche, führt zu dem dann entsprechend einstimmig gefaßten Beschluß.

Unter ihrer nationalsozialistischen Führung bietet die Stadt Bad Bramstedt bis weit in den 2. Weltkrieg hinein das Bild einer beschaulichen und friedlichen Idylle. Der in den Jahren nach 1933 aufkommende bescheidene Wohlstand der Stadt läßt offensichtlich auch die letzten Zweifler an der neuen Ära verstummen. Motor dieses Wohlstandes ist in erster Linie die Rheumaheilstätte, die nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten, die u. a. auch im Bereich der neuen politischen Ordnung zu suchen sind, etwa ab dem Jahre 1935 einen steilen Aufstieg nimmt, der sich auf die gesamte Stadt auswirkt. Zwischen der Heilstätte, der Stadt und privaten Vermietern kommt es zu einer intensiven und fruchtbaren Zusammenarbeit. So werden ab dem Jahre 1936 Pauschalkuren mit Pensionen in der Stadt angeboten: Sie umfassen 28 Tage Vollpension mit oder ohne Moorbäder, einschließlich medizinischer Behandlung durch die Ärzte des Kurhauses. Die Belegung der Rheumaheilstätte erreicht im Jahr 1938 mit 5 091 Patienten, darunter 824 Selbstzahlern, ihren Höhepunkt. Von den in diesem Jahr zu verzeichnenden 146 998 Übernachtungen entfallen allein 16 448 auf das örtliche private Beherbergungsgewerbe. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der vergleichsweise hohe Anteil ausländischer Gäste mit 1 067 Übernachtungen. Dies ist sicherlich ein Indiz für die internationale Reputation der Heilstätte. Die im gleichen Jahr erfolgte Zuerkennung der Gemeinnützigkeit der Rheumaheilstätte brachte jedoch einen erheblichen finanziellen Einbruch für die Stadt entfielen doch durch die damit verbundene Steuerbefreiung rund 15 000 Reichsmark Steuereinnahmen, die durch eine entsprechende Anhebung der Bürgersteuer ausgeglichen werden mußten.

Eine zusätzliche bedeutende Einnahmequelle für das örtliche Gewerbe waren die vom Jahr 1934 an regelmäßig sonntags stattfindenden KdF (Kraft durch Freude) -Ausflüge aus den umliegenden Großstädten, insbesondere Hamburg, Neumünster und Kiel. Bis zum 25.8.1939 steuerten an jedem Sonntag Reisebusse die Stadt Bad Bramstedt an, die KdF-Ausflügler wurden in den Bramstedter Gaststätten für einen Pauschalpreis von 6,50 Reichsmark mit einem Mittagessen sowie Kaffee und Kuchen satt, verpflegt; „im Kaisersaal“ fanden Variete und Tanzveranstaltungen statt, die am Bleeck gelegenen Geschäfte hatten auch sonntags geöffnet und boten ihre Waren an. Einen zusätzlichen Impuls sollte die Fremdenverkehrsentwicklung durch das im Jahre 1935 errichtete Waldbad erhalten.

Dennoch fallen einige deutliche Schatten auf dieses friedliche und idyllische Bild. Es sind dies die auch in Bad Bramstedt nicht zu übersehenden Kriegsvorbereitungen des NS-Regimes. Zwei Aspekte sollen hierbei besonders herausgestellt werden:

Da sich die umliegende Moor- und heile Landschaft nach Meinung von Bürgermeister Maaß hervorragend zur Durchführung von paramilitärischen Übungen eignete, wurde bereits im Mai des Jahres 1933 der Erwerb des alten Kurhauses durch die Stadt beschlossen, um dieses dann durch den Reichsarbeitsdienst zu einem HJ-Lager ausbauen zu lassen. Dieses Lager sollte in erster Linie der gefechtsmäßigen Ausbildung der Hitlerjugend dienen ein erster Schritt in Richtung auf die theoretisch-psychologisch wie praktisch-militärische Vorbildung der Jugend auf einen kommenden Krieg. Daß dieser Krieg alle bisher gekannten Formen übertreffen und die Zivilbevölkerung in einem bislang unvorstellbaren Maße erfassen würde, wird angesichts der vom Jahre 1934 an regelmäßig abgehaltenen Luftschutzübungen deutlich. Bereits im Sommer des Jahres 1933 wurde eine Ortsgruppe des nationalsozialistisch geprägten Reichsluftschutzbundes (RLB) in Bad Bramstedt gegründet, die bereits nach wenigen Wochen ihres Bestehens 200 Mitglieder aufwies. Die Aufgaben des Reichsluftschutzbundes bestanden neben der Unterweisung und Vorbereitung der Bevölkerung auf mögliche Luftangriffe feindlicher Mächte auch in einer zusätzlichen Erfassung und Einbindung der Bürger in den totalitären Staat. Die erste große Luftschutzübung in Bad Bramstedt fand am 15.3.1934 statt und bestand in einer halbstündigen Verdunkelungsübung, die durch Beauftragte des RLB, der SA und SS überwacht wurde. Verdunkelungsmaterial mußte von den jeweiligen Wohnungsinhabern selbst beschafft werden. Beschränkte man sich bei den ersten Übungen im Falle einer fehlerhaften Verdunkelung noch auf Ermahnungen, so folgten bald empfindliche Geldstrafen. Im Frühjahr 1935 entstand beim alten Kurhaus ein Lehrgangsgebäude des Reichsluftschutzbundes, in dem regelmäßige Schulungen für Angehörige der Hitler-Jugend, des Bundes Deutscher Mädchen sowie der Amtsträger der Stadt abgehalten wurden. Im Herbst 1938 schulte der Reichsluftschutzbund jeweils zwei Tage lang an verschiedenen Stellen der Stadt etwa 16 Hausgemeinschaften. Auf diese Weise wurde nach und nach die gesamte Einwohnerschaft auf einen möglichen Ernstfall vorbereitet. Zeitungsberichte über die Aktivitäten des RLB waren begleitet vom dringenden Appell, dieser Organisation umgehend beizutreten. Ihr Aufbau entsprach im wesentlichen der NS-Parteihierarchie: An der Spitze der RLB-Ortsgruppe stand der Ortsgruppenleiter, ihm folgten Luftschutzuntergruppenführer, die im Butendoor, auf dem Kirchenbleeck, auf dem Bleeck, in der Altonaer- und in der Kieler- bzw. Rosenstraße wohnten und in dem jeweiligen Stadtbezirk für den Luftschutz verantwortlich waren. Ihnen nachgeordnet waren 36 Blockwarte und ebenso viele Stellvertreter, die für durchschnittlich vier Häuser zuständig waren; es folgten die Hausluftschutzwarte, denen die Hausfeuerwehr für die einzelnen Gebäude unterstand. Besetzt wurden diese Positionen durch den Ortsgruppenleiter der NSDAP, der die entsprechenden Personen persönlich auswählte. Rechtsgrundlage hierfür war die erste Durchführungsverordnung zum Luftschutzgesetz vom 4. Mai 1937, nachdem der Ortsgruppenleiter jedermann ohne vorherige Befragung mit einer Funktion im Reichsluftschutzbund betrauen konnte. Eine mögliche Verweigerung wurde mit einer Geldstrafe geahndet. Aufgaben der Amtsträger des RLB waren zwar in erster Linie die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Verdunkelung, die Kontrolle der Luftschutzräume sowie die Sorge für ein ordnungsgemäßes Aufsuchen der Luftschutzräume; gleichzeitig bot diese Tätigkeit aber auch eine zusätzliche Möglichkeit der lückenlosen Überwachung der jeweiligen Mitbürger, insbesondere derjenigen, die sich bislang der totalen Erfassung und Einbindung in den Staatsapparat durch Beitritt in die entsprechenden Parteiorganisationen versagt hatten.

Nicht nur auf diese Weise vorgewarnt und vorbereitet ging die Bad Bramstedter Bevölkerung am 1.9.1939 ruhig und gelassen, wie es in den Bad Bramstedter Nachrichten hieß in den 2. Weltkrieg.

  6. Bad Bramstedt zur Zeit des 2. Weltkrieges

Anders als beim Ausbruch des 1. Weltkrieges wurde die Nachricht vom Beginn der Feindseligkeiten gegen Polen am 1.9.1939 weitgehend mit Zurückhaltung und Skepsis aufgenommen. Nur so ist der lapidare Hinweis der Bramstedter Nachrichten vom 2.9. zu verstehen, daß die Bramstedter Bevölkerung die Nachricht vom Angriff auf Polen mit „Gelassenheit und Besonnenheit“ aufgenommen habe. Über spontane Äußerungen der Begeisterung, wie sie die Nachrichten vom Beginn der Feindseligkeiten des 1. Weltkriegs begleiteten, liegen keinerlei Hinweise und Berichte vor. Wahrscheinlich ist, daß weite Teile der Bevölkerung von einem dumpfen Gefühl der Unsicherheit und Furcht erfaßt waren, wie aus einigen persönlichen rückblickenden Äußerungen älterer Bramstedter Mitbürger zu entnehmen ist. Diese Gefühlslage entspricht im Großen und Ganzen der schriftlich überlieferten emotionalen Resonanz der Bevölkerung auf den Kriegsbeginn im gesamten deutschen Reich.

Die verwaltungsmäßige, technische und propagandistische Vorbereitung der örtlichen Bevölkerung auf den bevorstehenden Krieg, die die vorangegangenen 6 Jahre NS-Herrschaft charakterisierten, waren offensichtlich so weit fortgeschritten, daß auch die Bramstedter, von wenigen kriegsbegeisterten Aktivisten abgesehen, in einer dumpfen, willenlosen Schicksalsergebenheit in die herannahenden Kriegsereignisse hineingingen, lagen doch die Erwartungen hinsichtlich dessen, was der Zivilbevölkerung in diesem Krieg bevorstand, weit über dem normalen Vorstellungsbereich.

Von einzelnen, im Zusammenhang mit dem Kriegsausbruch stehenden Verwaltungsanordnungen, wie etwa dem allabendlichen Verdunkelungszwang abgesehen, greifen die Ereignisse des 2. Weltkrieges zunächst nur sehr zögernd in das Alltagsgeschehen der Stadt Bad Bramstedt ein.

Ein Blick auf die Belegungsstatistik der Rheumaheilstätte für das Jahr 1939 weist einen drastischen Rückgang der Kurgäste ab dem Monat September aus – ein Indiz für die plötzliche Abreise von Gästen aufgrund des Kriegsausbruchs sowie einer folglich restriktiver gehandhabten Verordnungspraxis. Einem vor Kriegsausbruch zwischen der Rheumaheilstätte und der Heeresleitung geschlossenen Vertrag zur Folge sollten die gesamten Einrichtungen des Kurhauses im Falle eines bewaffneten Konfliktes der Wehrmacht als Reservelazarett zur Verfügung gestellt werden. Im Bedarfsfall sollte die Heilstätte innerhalb von 3 Tagen geräumt werden, um verwundeten Soldaten Platz zu machen. Es ist verständlich, daß nach dem nunmehr erfolgten Kriegsausbruch aufgrund dieser Regelung Unsicherheit unter dem Personal und den Kurgästen herrschte, die zum plötzlichen Abbruch begonnener Behandlungsmaßnahmen bzw. zur Ablehnung neuer Patienten führte.

Seit dem 1. September wird, wie bei allen Reservelazaretten üblich, eine Schreibstube der Wehrmacht auf dem Gelände der Rheumaheilstätte eingerichtet. Gleichzeitig nehmen ein Militärarzt sowie ein für die ebenfalls neu eingerichtete Wehrmachtsapotheke zuständiger Staatsapotheker ihre Arbeit im Kurhaus auf. Der Anteil der in der Rheumaheilstätte Bad Bramstedt eingelieferten verwundeten Wehrmachtsangehörigen bleibt in den ersten Kriegsmonaten gering und beschränkt sich hauptsächlich auf weniger schwer Verletzte.

Die Belegungsstatistik der Rheumaheilstätte für die Jahre 1939 bis 1945 spiegelt den allgemeinen Verlauf des 2. Weltkrieges deutlich wider. Ein, die angesichts des Kriegsausbruchs herrschende allgemeine Unsicherheit dokumentierender Rückgang der Auslastung des Kurhauses durch Versicherte und Privatpatienten schwächt sich noch im Jahre 1939 deutlich ab. Die Anzahl der Kurgäste steigt in den folgenden Jahren wieder deutlich an und erreicht im Jahre 1941 mit insgesamt 4 035 Patienten den Stand von 1936. Gleichzeitig steigt jedoch auch der Anteil der verwundeten Soldaten von 81 im Jahre 1939 auf 804 im Jahre 1941; im Jahr 1940 lag die Anzahl der Wehrmachtsangehörigen mit 860 sogar noch etwas höher. Dies waren die weniger verlustreichen Jahre des Weltkrieges, die durch die siegreichen „Blitzkriege“ gegen Polen, Norwegen, Westeuropa und den Balkan gekennzeichnet sind. Der Wendepunkt kam dann im Winter 1941142, dem ersten Winter des Rußland-Feldzuges, als das gesamte Kurhaus innerhalb weniger Wochen von allen Rheumapatienten geräumt und mit verwundeten Wehrmachtsangehörigen belegt werden mußte. Ab dem 1.2.1942 ist die gesamte Kuranlage mit verwundeten Wehrsoldaten belegt. 1942 sind es 2715, 1943 3 454, 1944 3 500 Kriegsverwundete; im Jahre 1945 erreicht diese Zahl mit 4 230 ihren Höhepunkt. Die hier vorgetragenen Zahlen beziehen sich auf den jeweiligen Jahresdurchschnitt. Dabei muß berücksichtigt werden, daß die Rheumaheilstätte, die auf eine Kapazität von rund 600 Patienten ausgelegt war, gegen Kriegsende mit rund 1 200 Patienten hoffnungslos überbelegt war. Verwundete wurden teilweise auf den Fluren, im Speisesaal, sogar in Moorbadewannen untergebracht; entsprechend hoch war die Sterberate. Verschärft wurde diese Situation zusätzlich durch die vom Beginn des Jahres 1945 an ebenfalls in der Rheumaheilstätte untergebrachten Flüchtlinge aus den von der vorrückenden Roten Armee bedrohten bzw. besetzten deutschen Ostgebieten.

Den Bramstedter Bürgern stand das Kurhaus vom Jahr 1942 an grundsätzlich nicht zur Verfügung, ja es wurde alles getan, um den Bramstedtern einen Einblick in die dort herrschenden Verhältnisse zu verwehren. Verwundetentransporte trafen grundsätzlich zur Nachtzeit ein. Das Personal, bestehend aus rund 20 Ärzten und 30 Krankenschwestern bzw. -pflegern sowie 15 für die Instandhaltung der Gebäude und Gerätschaften zuständige Handwerker, wurde grundsätzlich nicht aus der ortsansässigen Bevölkerung rekrutiert, sondern von der Wehrmacht aus praktisch allen Teilen des Reiches nach Bad Bramstedt beordert. Kontakte des Personals zur örtlichen Bevölkerung wurden nicht nur durch die hohe Arbeitsintensität in der Rheumaheilstätte erschwert. Wie überall sonst im Reich sollten durch eine weitgehende Abriegelung der Lazarette von der umgebenden Außenwelt die schrecklichen Folgen des Kriegsgeschehens kaschiert werden. Lediglich vereinzelte Unterhaltungsabende durch die Ortsgruppen der HJ und des Bundes Deutscher Mädchen und gelegentliche Auftritte des Bramstedter Kirchenchores im Reservelazarett der Rheumaheilstätte führten zu einer Aufweichung der ansonsten strengen Abschirmung des Lazaretts von der Außenwelt. Wie auch bereits angesichts des I. Weltkrieges kam das seit jeher rege örtliche Vereins leben als Folge des Kriegsausbruchs vom 1. September 1939 und der damit verbundenen Einberufung immer größerer Teile der männlichen Bevölkerung praktisch zum Erliegen. So ruhte z.B. während des Krieges die Tätigkeit der Fleckensgilde von 1688 weitgehend; gleiches galt für die Vogelschützengilde von 1695 sowie die traditionellen Feste und Feiern, etwa das Gildefest und den Tanz um den Roland. Auch die beiden Männerchöre „Liedertafel“ und „Eintracht“ mußten ihre Vereinstätigkeit als Folge der Einberufung des überwiegenden Teiles ihrer Mitglieder einstellen. Dadurch ging das auch unter dem NS-Regime bislang sehr bunte und differenzierte kulturelle Leben des Ortes nunmehr fast voll in die Trägerschaft der staatlichen Organe über. Wie unter anderem aus einer Weisung des Vorsitzenden des „Deutschen Gemeindetages“ und Leiters des „Hauptamtes für Kommunalpolitik“ der NSDAP, nach der auch mittlere und kleinere Städte nicht auf die „Kunst des Theaters und der Musik“ verzichten sollten, hervorgeht, maß die staatliche Führung gerade während des Krieges dem kulturellen Leben außerordentliche Bedeutung zu. Die Bevölkerung sollte durch eine möglichst große Dichte kultureller Veranstaltungen vom Kriegsgeschehen abgelenkt und vor allem mit einer positiv-optimistischen Grundstimmung versehen werden. Auf diese Weise wollte man die Widerstandskraft und den Durchhaltewillen der daheimgebliebenen Zivilbevölkerung stärken. In Bad Bramstedt konnte die örtliche Verwaltung in diesem Zusammenhang auf eine reiche Erfahrung zurückgreifen, hatten doch schon in den Jahren zuvor zahlreiche in Zusammenarbeit mit der Kreisgruppe der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ organisierte Veranstaltungen stattgefunden. Waren diese bislang in erster Linie für auswärtige Besucher und Kurgäste gedacht, so richteten sie sich nunmehr an die örtliche Bevölkerung. Die erste Theaterveranstaltung der KdF-Gemeinschaft während des Krieges fand am 2.12.1939 im „Kaisersaal“ statt. Die niederdeutsche Bühne Neumünster führte das Lustspiel De Döschmaschin auf. Ähnliche Veranstaltungen wiederholten sich regelmäßig bis zum Herbst des Jahres 1943. Danach fand nur noch eine einzige Theaterveranstaltung vor Kriegsende am 12.4.1944 statt. Auch hier spiegelt sich das immer stärker in alle Lebensbereiche eingreifende Kriegsgeschehen wider.

Die schweren Luftangriffe auf die Stadt Hamburg im Juli und August des Jahres 1943 führten dazu, daß ein großer Teil der obdachlos gewordenen dortigen Bevölkerung unter anderem auch nach Bad Bramstedt umgesiedelt wurde. Hauptsächlich für diesen Personenkreis fanden im „Kaisersaal“ mehrere Gastspiele Hamburger Künstler statt. Die genannten Veranstaltungen trafen ebenso wie die Vorstellungen der beiden örtlichen Lichtspieltheater, den „Roland-Lichtspielen“ im „Kaisersaal“ und den „Kurlichtspielen am Schlüskamp“ auf ein nachhaltiges Interesse der örtlichen Bevölkerung. Dieses Interesse lediglich mit den niedrigen Eintrittspreisen oder dem Fehlen der heutigen elektronischen Unterhaltungsmedien zu begründen, wäre jedoch zu vordergründig. Vielmehr waren Auswahl und Regie der Darbietungen psychologisch so geschickt, daß über den unterhaltenden Charakter der Abende hinaus z. B. durch Schunkel- und gemeinsame Gesangseinlagen ein wärmendes Gefühl von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit aufgebaut wurde, das fast wie eine Droge auf die Besucher wirken, und sie so vom eigentlichen Kriegsgeschehen ablenken sollte ein Element totalitären Staates im totalen Krieg.

Zentrum eines tatsächlichen und – unter Berücksichtigung der gegebenen politischen Umstände – von den staatlichen und parteilichen Gremien weitgehend unbeeinflußten kulturellen Lebens in der Vorkriegs- wie auch der eigentlichen Kriegszeit war die Maria-Magdalenen-Kirche. Initiatoren und Durchführende von Musikveranstaltungen von außerordentlichem Niveau waren die Bramstedter Kantorei sowie der Organist J. Daniel. Unterstützt von Gesangssolisten aus Kiel und Neumünster sowie einem Neumünsteraner Kammerorchester führte die Bramstedter Kantorei u. a. unter Leitung ihres Organisten J. Daniel ein großes Jubiläumskonzert angesichts der 150. Wiederkehr des Todestages Wolfgang Amadeus Mozarts am 7.12.1941 auf. Eine weitere, den Erwartungsrahmen an ländliches Kulturschaffen sprengende und weit über die Grenzen Bad Bramstedts hinaus beachtete Aufführung eines geistlichen Werkes fand am Karfreitag des Jahres 1941 in der Maria-Magdalenen-Kirche statt. Zur Aufführung gelangte das im 15. Jahrhundert entstandene geistliche Spiel Die Bordesholmer Marienklage eine Rarität geistlicher dramatischer Kunst. Beachtung weit über die Grenzen Bad Bramstedts hinaus fand ebenfalls die Aufführung von Joseph Haydns Oratorium Die Schöpfung vor verwundeten Soldaten im Reservelazarett im Kurhaus. Musikalisch unterstützt wurde die Bramstedter Kantorei hierbei durch ein Musikkorps der Luftwaffe. Ihre ideologische Referenz an den NS-Staat leistete die Bramstedter Kantorei anläßlich ihres 20jährigen Bestehens in Form einer Aufführung des sogenannten Freiheitsoratoriums Der Feldherr, einer der NS-ideologiegemäßen Umdichtung des Händelsehen Oratoriums Judas Makkabäus im April 1944. Mit diesem Stück gastierten die Bramstedter mit großem Erfolg auch in Kellinghusen und Kaltenkirchen. Die Aufführung eines solchen politisch motivierten Werkes, dessen Ziel allein in der Verherrlichung des Eroberungskrieges lag, war der Preis nicht nur für ein von politischer Einflußnahme weitgehend freies künstlerisches Schaffen, sondern auch für die zum Teil recht beachtliche materielle und logistische Unterstützung durch die örtlichen politischen Funktionsträger: Zum Beispiel der unbürokratischen Stellung von Transportmitteln, zusätzlichen Bezugscheinen für Heizungsmaterial für die Kirche und ähnliches.

Überhaupt war das kulturelle Engagement von Stadtverwaltung und Stadtvertretung, verglichen mit Friedenszeiten, beachtlich. So trafen auch die Bemühungen des damaligen Leiters der Jürgen-Fuhlendorf-Schule, Dr. Heine, hinsichtlich der Gründung einer Bramstedter Ortsgruppe der schleswig-holsteinischen Universitätsgesellschaft auf wohlwollende Unterstützung durch die Stadt. Schon Jahre zuvor hatte eine kleine Gemeinde allgemein-wissenschaftlich interessierter Mitbürger regelmäßig die Veranstaltungen der Neumünsteraner Ortsgruppe besucht. Die als Folge des Kriegsgeschehens schwieriger gewordenen Verkehrsverbindungen ließen diesen Interessentenkreis schließlich im Jahre 1942 zur Selbsthilfe greifen: Am 10. Dezember 1942 wurde die hiesige Ortsgruppe der schleswig-holsteinischen Universitätsgesellschaft gegründet. Das Thema des Eröffnungsvortrages paßt in den allgemeinen politischen Kontext der Zeit: Ein Kieler Professor referierte über die „Ethischen Grundlagen Japans und den Sieg der Erneuerungsbewegung“ . Die Stadt Bad Bramstedt unterstützte die dem „Deutschen Volksbildungswerk“ unterstehende Gesellschaft mit einer jährlichen Zahlung in Höhe von 200 Reichsmark. Bis zum Kriegsende fanden 20 gut besuchte Vortragsveranstaltungen der Universitätsgesellschaft zu unterschiedlichen Themenkreisen teilweise im „Kaisersaal“, teilweise in der Jürgen-Fuhlendorf-Schule statt. Aus den im Stadtarchiv vorliegenden Vortragsankündigungen ist zu entnehmen, daß, von der Eröffnungsveranstaltung abgesehen, keinerlei Vorträge zu ideologischen Themenbereichen gehalten worden sind.

Die Stadt Bad Bramstedt scheint somit mit ihrem reichen kulturellen Leben auch in den Kriegsjahren das Bild einer friedlichen Idylle abzugeben. Aber dieser Eindruck täuscht, stellt er doch nur einen sicherlich bedeutenden Teilaspekt des alltäglichen Lebens während des 2. Weltkrieges dar. Die Förderung jeglicher geeigneter Ablenkungsfaktoren vom eigentlichen Geschehen war politische Methode. Der Eindruck einer friedlichen Idylle war geplant. Nur auf diese Weise konnte das Regime den Durchhaltewillen der Bevölkerung schüren und weitere Opfer verlangen, denn die gerade unter den herrschenden Umständen erbrachten Leistungen führten ebenso zu einem Zusammengehörigkeits- und Identitätsgefühl der Bramstedter wie das gemeinsame Erlebnis der Teilnahme an einer gelungenen Veranstaltung. In ihrer Berichterstattung über die geschilderten kulturellen Ereignisse verwenden die Bramstedter Nachrichten dementsprechend immer wieder den Einleitungssatz „Zu einem allen Teilnehmern unvergeßlichen Erlebnis gestaltete sich . . .“.

Zu einem für alle Betroffenen unvergeßlichen Erlebnis gestaltete sich unter anderem einer der Hauptaspekte des vom Hitler-Regime zum totalen Krieg apostrophierten 2. Weltkriegs: Der Luftkrieg. Er gehörte zu den am meisten gefürchteten Erscheinungsformen moderner Kriegsführung, wurden doch auf diese Weise vom eigentlichen Kriegsgeschehen nicht betroffene Gebiete in die Feindseligkeiten einbezogen, gefährdete er doch direkt Hab und Gut, Leib und Leben der Zivilbevölkerung.

Zwischen zwei Erscheinungsformen des Luftkrieges ist zu unterscheiden: Bomberoffensiven gegen Industrieanlagen und Wohnobjekte mit dem Ziel der Demoralisierung der Zivilbevölkerung sowie der Zerschlagung der Wirtschaftskraft des Feindes einerseits und, besonders in der Endphase des 2. Weltkrieges sehr häufig, Tieffliegerangriffe auf bewegliche Objekte zur Unterbindung von feindlichen Truppenbewegungen und Materialtransporten andererseits. Bei den Folgeerscheinungen dieser Form des totalen Krieges ist weiterhin zwischen unmittelbaren und mittelbaren Einwirkungen zu unterscheiden. Als unmittelbare Folgen des Luftkrieges sind hierbei der Verlust von Menschenleben, Wohnraum und Produktionsstätten; als mittelbare Folgeerscheinungen die als Reaktion auf Luftoffensiven durchgeführten Umsiedlungsmaßnahmen von gefährdeten Produktionsstätten sowie obdachlos gewordenen Menschen zu bezeichnen.

Wie die bereits angesprochenen intensiven Luftschutzvorbereitungen zeigen, gingen die Machthaber des Dritten Reiches von Anfang an nicht nur von der Wahrscheinlichkeit eines Krieges, sondern auch von der Möglichkeit breit angelegter Luftoffensiven gegen zivile Ziele aus. Wenn auch der oberste Chef der Luftwaffe wie auch des Luftschutzes, Hermann Göring, die Gefahr von Luftangriffen immer wieder herunterzuspielen versuchte und „Meier heißen wollte“, wenn es einem feindlichen Flugzeug gelänge, deutsches Territorium zu erreichen, so sprechen die getroffenen Vorbereitungen eine andere Sprache. Zug um Zug sollten schließlich insbesondere die deutschen Großstädte im Phosphorregen der englischen, später auch der amerikanischen Bombergeschwader verglühen.

Auch die Stadt Bad Bramstedt sollte die Folgen dieser Erscheinungsform totaler Kriegsführung in mehrfacher Hinsicht zu spüren bekommen. Zusätzlich zu den bisher getroffenen umfangreichen Luftschutzvorkehrungen wurde zu Kriegsbeginn eine örtliche Luftschutzwache eingerichtet. Ihre Aufgabe bestand in der Beobachtung feindlicher Luftbewegungen und der entsprechenden Information der Wehrmacht. Eine zweite Luftschutzwache wurde ab November 1940 speziell für das Reservelazarett im Kurhaus aufgestellt. Beide Wachen bestanden aus 40 Personen. Im weiteren Verlauf des Krieges wurden hierbei, um den immer stärker steigenden Bedarf an Frontsoldaten decken zu können, verstärkt Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren herangezogen; ab dem Frühjahr 1944 wurden sogar Kinder vom 10. Lebensjahr an luftschutzdienstverpflichtet – ein weiteres Indiz für die verzweifelte Lage der kämpfenden Truppe. Theoretisch gesehen war die Bevölkerung Bad Bramstedts für den Ernstfall perfekt vorbereitet. In Informationsschriften des Reichsluftschutzbundes sowie der Stadtverwaltung wurde auf die einzelnen Bombentypen, deren Wirkungsweise sowie das Verhalten bei Luftangriffen, beim Auffinden von sogenannten Blindgängern, alliierten Flugblättern oder abgestürzten Flugzeugen hingewiesen. Jeder Abwurf war sofort der Ortspolizei zu melden, insbesondere wenn es sich dabei um Blindgänger handelte, die entschärft werden mußten. Bei Beschädigung oder Zerstörung von Gebäuden konnte ein Bergungstrupp der Wehrmacht angefordert werden.

Die ersten Bomben auf Bad Bramstedter Stadtgebiet fielen am 16.11.1940 gegen 6.45 Uhr unweit der 3 km östlich der Stadt gelegenen Bauernsiedlung Clashorn. Es handelte sich dabei um lediglich zwei englische Sprengbomben, die unmittelbar neben der Reichsstraße 206 (heute B 206) niedergingen, ohne jedoch irgendwelche Schäden anzurichten. Offensichtlich handelte es sich hierbei um einen Notabwurf. Solche Abwürfe wurden in und um Bad Bramstedt häufiger registriert. Sie standen meistens im Zusammenhang mit Angriffen auf Hamburg und wurden in der Regel von beschädigten oder wegen Treibstoffmangels zur Umkehr gezwungenen Flugzeugen getätigt. Ein solcher Notabwurf führte schließlich in der Nacht vom 26. auf den 27. Juli 1942 um 1.15 Uhr zu einem Volltreffer, der 10 Todesopfer und 19 Verletzte forderte sowie 11 Gebäude im Bereich Bleeck / Mühlenstraße ganz oder teilweise zerstörte. An 50 weiteren Gebäuden wurden leichte bis mittlere Beschädigungen, meistens Glasbruchschäden, festgestellt. Obgleich das abwerfende Flugzeug einem größeren Bombergeschwader angehörte, das Bad Bramstedt in der fraglichen Nacht in der Zeit zwischen 23.00 bis 1.00 Uhr von Westen kommend mit dem Ziel Hamburg überflog, war kein Luftalarm ausgelöst worden. Trotz der umfangreichen Luftschutzvorkehrungen traf dieser Abwurf die Zivilbevölkerung somit unvorbereitet. Nur so erklärt sich letztlich die hohe Zahl von Todesopfern und Verletzten. Einer Anordnung des Segeberger Landrats zur Folge waren die gemeldeten Schäden unverzüglich zu beseitigen. An den bereits am 28.7. eingeleiteten Aufräumungsarbeiten waren außer 75 Bramstedter Bürgern, die sich freiwillig gemeldet hatten, die Feuerwehr, die Marine- und Kraftfahrausbildungsabteilung aus Heidkaten sowie einige in der näheren Umgebung untergebrachte Kriegsgefangene beteiligt. Als Folge des Angriffs wurden insgesamt 100 Personen obdachlos, die vorübergehend in anderen Wohnungen einquartiert wurden. Möbel und Hausrat der Betroffenen wurden, wenn sie nicht mitgenommen werden konnten, in der Turnhalle untergebracht.

Die Ereignisse dieser Katastrophennacht sollten sich in Bad Bramstedt nicht wiederholen. Zwar wurden vereinzelt in den Jahren 1942, 44 und 45 feindliche Bombenabwürfe registriert, die jedoch keine nennenswerten Schäden anrichteten. So blieb die Stadt Bad Bramstedt wie auch die meisten anderen deutschen Kleinstädte von den unmittelbaren Folgen des Luftkrieges weitgehend verschont. Die verheerenden Zerstörungen in den umliegenden Großstädten, insbesondere Hamburg, führte ab dem Sommer 1943 zu umfangreichen Einquartierungen evakuierter Bombengeschädigter in Bad Bramstedt. Eine derartige Entwicklung erwartend, hatte die Verwaltung mit entsprechenden Rechtsvorschriften über die Wohnraumerfassung und Bewirtschaftung bereits vorgearbeitet. In Bad Bramstedt wird am 1.5.1943 eine Verwaltungsanordnung zur Erfassung und Bewirtschaftung des vorhandenen Wohnraumes in Kraft gesetzt. Jeder Wohnungsinhaber hatte nach dieser auf den Bestimmungen des „Reichsleistungsgesetzes“ vom 1.9.1939 fußenden Verordnung innerhalb von 7 Tagen präzise Angaben über den von ihm genutzten Wohnraum zu machen. Die Zweckentfremdung vorhandener Wohnungen zog eine an das Reich zu leistende Entschädigungsforderung in Höhe von 10 000 Reichsmark nach sich. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, daß auch die NSDAP und ihre Unterorganisationen am Orte aufgefordert wurden, von ihnen genutzte und zu Wohnzwecken geeignete Räume gegebenenfalls frei zu machen.

Die vom 24.6.1943 in einem größeren Umfang nach Bad Bramstedt umgesiedelten Bombengeschädigten wurden nach einem bestimmten Schlüssel auf die einzelnen Wohnungen verteilt, dabei wurden jedem erwachsenen Hausbewohner rund 10 qm Wohnraum zu eigenen Nutzung zugesprochen. In der Anfangszeit trafen diese Maßnahmen der Wohnraumbewirtschaftung großenteils auf Verständnis und Zustimmung in der Bevölkerung. Man war gern bereit, für einen begrenzten Zeitraum enger zusammenzurücken. Die anfangs selbstlos praktizierte Solidarität mit den Bombenopfern verringerte sich jedoch angesichts der nicht abreißenden Zuwanderungswelle, die Verwaltung und Bewohner der Stadt vor fast unlösbare Probleme stellte. So mußte die Stadtverwaltung im Sommer 1944 die Räumung von Keller- und Bodenräumen zur Aufnahme weiterer Evakuierter verfügen. Das Stadtgebiet Bad Bramstedts durfte von Ortsfremden nur noch gegen Vorlage einer Aufenthaltsgenehmigung, die lediglich zu einem Tagesbesuch berechtigte, aufgesucht werden. Immer häufiger mußten aber auch Polizei und Gerichte eingreifen. Die Stellung weiteren Wohnraums zu Einquartierungszwecken konnte oft nur durch Anwendung von Polizeigewalt erzwungen werden. Oft kam es auch zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Einquartierten und ihren Wohnungsgebern, die dann Polizei. Anwälte und Gerichte beschäftigten. Konnte die Versorgung der örtlichen Bevölkerung mit Lebensmitteln in der Zeit zwischen 1939 und Anfang 1943 den Umständen gemäß als weitgehend gesichert angesehen werden, so kam es zum Sommer 1943 als Folge des Umsiedlungsprozesses zu ersten deutlichen Verknappungserscheinungen insbesondere bei Fleischprodukten. Die örtlichen Verwaltungen erwiesen sich bei der Umleitung von Warenlieferungen in zunehmendem Maße überfordert. Hinzu kamen die kriegsbedingten Verluste von Lebensmitteln bzw. Lebensmitteltransporten.

Die große Anzahl zugewanderter Menschen stellte auch die Luftschutzorganisation vor neue Aufgaben: Im August 1943 wurde, auch vor dem Hintergrund der schweren Angriffe auf die Stadt Hamburg, ein Katastrophenschutzplan für das Stadtgebiet aufgestellt. Verbandsmaterial und Medikamente wurden an verschiedenen sicheren Stellen in der Stadt deponiert, die Turnhalle als Obdachlosensammelstelle hergerichtet. Es fällt in diesem Zusammenhang auf, daß Verletzte nur in äußersten Notfällen in das Reservelazarett im Kurhaus eingeliefert werden durften. In der Regel sollte unter allen Umständen auf die benachbarten Zivilkrankenhäuser in Neumünster und Kaltenkirchen zurückgegriffen werden. Die Gründe für diese Anordnung sind nicht nur im Zusammenhang mit der bereits erwähnten Überbelegung des Reservelazaretts im Kurhaus zu sehen. Es sollte vielmehr vermieden werden, daß durch unfreiwillige Kontakte zwischen verwundeten Soldaten und Zivilisten Informationen über das tatsächliche Kriegsgeschehen in die Zivilbevölkerung gelangten.

Daß die Verwaltung die Kriegslage jedoch realistisch einzuschätzen schien, wird u. a. in einer Anordnung des Oberpräsidenten von Schleswig-Holstein vom 15.3.1944 hinsichtlich der Sicherung von Archivalien und Kunstgegenständen vor Kriegseinwirkungen deutlich. Als unersetzlich eingestufte Kunstwerke und Archivalien sollten dieser Anordnung zur Folge zentral erfaßt, um dann in einem nicht näher genannten stillgelegten Salzbergwerk 200 m untertage ausgelagert zu werden. In diesem Zusammenhang richtete Bürgermeister Dittmann am 4. Juli 1944 unter anderem an die Vorsitzenden der Fleckensgilde, der Vogelschützengilde und der Männerchöre sowie andere Mitbürger, in deren Händen entsprechende Materialien vermutet wurden, die Aufforderung zur Einreichung für die Stadtgeschichte wertvoller und unersetzlicher Dokumente. Hierzu gehören unter anderem das Gildebuch der Fleckensgilde, ein altes Protokollbuch der früheren Schuhmacher-Innung sowie das Fleckensbuch. Die genannten Dokumente überdauerten neben anderen Archivalien der Stadt das Kriegsgeschehen im Geldschrank der Stadtkasse und einem eigens zu diesem Zwecke angemieteten Banktresor.

Zu den immer noch aus Neumünster und Hamburg in Richtung Bramstedt drängenden Bombenopfern gesellen sich vom Jahresbeginn 1945 an in immer stärkerem Maße Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten, die vom Januar 1945 an vor der nunmehr auf deutschem Gebiet vorrückenden Roten Armee aus ihrer Heimat geflohen sind. Bis zum 16.4.1945 werden in Bad Bramstedt 200 zusätzliche Flüchtlingsfamilien vornehmlich aus Ostpreußen, aber teilweise auch aus Danzig und Stettin, registriert. Viele dieser Familien gelangten im Rahmen der von der Kriegsmarine durchgeführten großangelegten Evakuierungsaktion aus den von der Roten Armee bedrohten Ostgebieten über See nach Schleswig-Holstein und wurden von der Provinzialverwaltung auf die noch unversehrt gebliebenen Städte verteilt. Bis zum 16.4.1945 scheint der Zuzug von Flüchtlingen nach Bad Bramstedt von der örtlichen Verwaltung halbwegs ordnungsgemäß abgewickelt worden zu sein, da mit diesem Datum die Aufzeichnungen hierüber enden. Zur Verdeutlichung ein Blick auf die Einwohnerstatistik Bad Bramstedts: Im Jahre 1939 hatte die Stadt 3312 Einwohner, im Jahre 1945 hatte sich diese Zahl mit 6425 fast verdoppelt. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen wird deutlich, vor welchen Schwierigkeiten die Verwaltung angesichts des bevorstehenden Zusammenbruchs, aber auch noch nach Kriegsende stand. Die Kriegseinwirkungen waren für die Stadt Bad Bramstedt somit hauptsächlich mittelbarer Natur. Ihre Folgen jedoch sollten das äußere Bild der Stadt nachhaltig verändern.

  7. Von der Stunde ,,0″ in die 80er Jahre

Es ist sicherlich ungewöhnlich, wenn ein Zeitraum von gut 40 Jahren, verglichen mit den in den vorangegangenen Kapiteln dargestellten Zeitabschnitten, in nur einem Kapitel abgehandelt werden soIl. Die Gründe, die für ein solches Verfahren sprechen, sind jedoch mannigfach. Die Zäsuren im Entwicklungsverlauf der Bramstedter Geschichte sind großenteils von den Einwirkungen der sogenannten äußeren Geschichte vorgegeben. Das Gesicht des Ortes wandelte sich entsprechend diesen äußeren Geschehensablaufen. Unter Berücksichtigung dieses Aspekts ergibt sich für die Zeit vom Jahrhundertbeginn bis zum Jahr 1945 eine Reihe historischer Taktintervalle; die Zeit von 1945 bis hinein ins Jahr 1985 stellt jedoch, auf den Ort bezogen, eine einheitliche historische Sequenz dar, die lediglich von einer Reihe von Einschnitten untergliedert wird. Sie ist geprägt durch den Zusammenbruch des Deutschen Reiches und den damit auf die Gemeinde zukommenden Folgen, eine Phase der Reorganisation und Neuorientierung zwischen 1945 und 1950 sowie eine durch drei Schlüsselereignisse geprägte kontinuierliche Fortentwicklung in die 80er Jahre hinein. Motoren der Entwicklung Bad Bramstedts von der Stunde 0 bis in die 80er Jahre sind die durch den 2. Weltkrieg und seine Folgen entstandenen örtlichen Verhältnisse sowie der seit der Amtszeit Gottlieb Freudenthals sich kontinuierlich weiterentwickelnde Charakter Bad Bramstedts als Fremdenverkehrsort, Kurbad und Dienstleistungszentrum. 1m Zusammenwirken dieser beiden Triebkräfte liegt die Dynamik der Nachkriegsentwicklung Bad Bramstedts.

Blicken wir zunächst noch einmal zurück auf die Tage und Stunden des Untergangs. Sowohl der täglich wachsende Zustrom von Flüchtlingen in die Stadt, die trotz schärfster Strafandrohung über die zunehmend aussichtslose Lage an der deutschen Ostfront zu berichten wissen, als auch die anderen äußerlich wahrnehmbaren Zeichen des Untergangs deuten ab der zweiten Jahreshälfte 1944 die unausweichliche Niederlage an.

Von der erfolgreichen Landung der Alliierten in der Normandie am 6.6.1944 an übernahm die englische und amerikanische Luftwaffe die nahezu vollständige Kontrolle über den deutschen Luftraum. Alles was sich bewegte, konnte zu jeder Tageszeit von Tieffliegern, deren Ziel, wie bereits erwähnt, in der Unterbindung von Truppen- und Materialbewegungen lag, angegriffen werden. Zur Abwehr solcher Angriffe sollte auch die Stadt Bad Bramstedt, wie aus einem geheimen Schreiben des Flakkommandos Neumünster hervorgeht, ein Zwillingsmaschinengewehr erhalten, das seinen Bestimmungsort jedoch nicht mehr erreichte.

Eine Flugabwehrstation befand sich mit Sicherheit am südlichen Ortsausgang von Wiemersdorf, der am 24.4.1945 sogar ein Abschuß gelang. Der erste Tieffliegerangriff auf Bad Bramstedt erfolgte am 22.2.1945 und forderte ein Todesopfer, zwei Verletzte und richtete nicht unerheblichen Sachschaden an. Vier Tage später, am 26. Februar 1945, waren ein Omnibus der Firma Prahl sowie ein Wehrmachts-Lkw Ziele eines neuerlichen Tieffliegerangriffs, der mehrere Verletzte forderte. Bei zwei weiteren Tieffliegerangriffen am 15.4. und 26.4.1945 verloren 18 Menschen, darunter 15 Soldaten, ihr Leben. Als eine Dokumentation verzweifelter Ohnmacht muß in diesem Zusammenhang eine Anordnung an die Ortspolizei gewertet werden, nach der notfalls mit der Dienstpistole auf Tiefflieger geschossen werden sollte.

War die lokale Berichterstattung der Bramstedter Nachrichten ohnehin während der Kriegsjahre zunehmend zugunsten einer umfangreichen Kriegsberichterstattung zurückgedrängt worden, so endet diese mit Beginn des Jahres 1945 praktisch vollkommen. Lediglich Hinweise auf die örtlichen Verdunkelungszeiten sowie Angaben über die jeweiligen Warenzuteilungen prägen den auf nur noch eine Spalte zurückgegangenen Lokalteil. Vom 19.4. an umfassen die jeweiligen Ausgaben der Bramstedter Nachrichten nur noch eine Seite, am 3.5.1945 stellen die B.N. ihr Erscheinen ganz ein. Erst das Jahr 1949 sollte den Bramstedtern ihre Heimatzeitung zurückgeben.

Der Begriff „Stunde 0“ wird nicht nur durch das Nichtmehrvorhandensein der Heimatpresse, sondern auch durch das Fehlen des die letzten Tage des 2. Weltkrieges darstellenden Aktenmaterials symbolisch dokumentiert. Große Mengen der nur teilweise aus den jeweiligen Ordnern herausgetrennten Papiere lassen darauf schließen, daß sich die Tätigkeit der Verwaltung in den letzten Tagen des „Tausendjährigen Reiches“ auf die Vernichtung der dazugehörigen, offenbar als belastend empfundenen Dokumente beschränkte. Dem äußeren Anschein der noch vorhandenen Teile der entsprechenden Akten nach zu urteilen, muß dies panikartig überstürzt geschehen sein.

Dem Vorrücken britischer Panzerverbände in Schleswig-Holstein Anfang Mai 1945 nach zu urteilen, kann davon ausgegangen werden, daß die Stadt Bad Bramstedt zwischen dem 2. und 4. 5. unter britische Besatzung geriet. Eine genaue Dokumentation dieses Vorgangs sowie der unmittelbar darauffolgenden Vorgänge ist leider nicht möglich. Die aktenmäßige Überlieferung der Nachkriegsgeschichte setzt erst mit dem 23.5.1945 ein. Zwischenzeitlich war Bad Bramstedt einem britischen Stadtkommandanten unterstellt worden. Der bisher amtierende Bürgermeister Dittmann war von der Militärregierung seines Amtes enthoben, seine Stelle hatte kommissarisch der bisherige Erste Stadtrat Alfred Warnemünde auf Anweisung der britischen Stadtkommandantur eingenommen. Stunde 0 in Bad Bramstedt bedeutete in diesem Zusammenhang eine Übergangszeit, die Ernennung eines amtierenden Stadtrats zum kommissarischen Bürgermeister deutet dabei auf gewisse, aus sachlichen Gründen von der Militärregierung durchaus erwünschte Kontinuität hin. Angesichts der bestehenden Verhältnisse war eine solche personelle Kontinuität durchaus erforderlich, verfügte AIfred Warnemünde nicht nur über ein auf 16jähriger Tätigkeit in der Stadtvertretung basierendes Sachwissen, sondern auch über den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung, um die anstehenden Entscheidungen der Militärregierung um- und durchzusetzen.

Der ungebrochene Zustrom von Flüchtlingen und die Notwendigkeit der Unterbringung der englischen Besatzungstruppe sollten die Stadt und ihre Verwaltung vor eine weitere schwere Belastungsprobe stellen. Hinzu kommen die sich drastisch verschärfende Versorgungslage einerseits und die als Folge der Überbelegung der Stadt und ihrer Einrichtung zunehmende Seuchengefahr andererseits. Verschärft wird diese Seuchengefahr dadurch, daß das Reservelazarett im Kurhaus von Beginn des Jahres 1945 zunehmend als „Influx“-Station, d. h. zur Bekämpfung von Infektionen und Seuchen unter den Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten, verwendet werden mußte. Vom 15.4.1945 an wird der Mangel an Medikamenten, insbesondere für Infektionskrankheiten, von der Leitung des Reservelazaretts als katastrophal bezeichnet.

Die Zeit der britischen Besatzung Bad Bramstedts läßt sich in drei Phasen untergliedern. Die Anfangszeit ist geprägt durch eine direkte und systematische Diskriminierung der deutschen ortsansässigen Bevölkerung, die sich während der zweiten Jahreshälfte 1945 vorsichtig lockert und dann überleitet in einen Selbstreinigungs- und Demokratisierungsprozeß, der zur Grundlage einer Reorganisation des öffentlichen Lebens wird; ein Vorgang, der den Verlauf sowohl der britischen, aber auch der amerikanischen Besatzung Deutschlands insgesamt charakterisiert.

Im Zuge der direkten und systematischen Diskriminierung der deutschen Bevölkerung werden den Bramstedtern zahlreiche Beschränkungen auferlegt. Hierzu gehören eine allgemeine nächtliche Ausgangssperre, ein Ablieferungszwang fahrbereiter Zivilfahrzeuge, eine drastische Einschränkung der Lebensmittelzuweisungen sowie des ohnehin schon außerordentlich knappen Wohnraumes zugunsten der Besatzungstruppen. Eine Reihe von Wohnungen im Bereich Bleeck / Butendoor war von den Bewohnern kurzfristig zu räumen und britischen Offizieren samt Inventar zu überlassen. Auf dem Bleeck wurde eine Offiziers messe eingerichtet, deren Umgebung von keinem Deutschen betreten werden durfte. Das Waldbad stand anfangs ausschließlich, ab Juli 1945 überwiegend nur britischen Soldaten offen, der Aufenthalt in der näheren Umgebung des Bades stand unter Strafe. Hiervon waren insbesondere spielende Kinder betroffen, Prügel für die die Beschränkung mißachtenden Kinder sowie Geldstrafen für deren Eltern sollten den Besatzern ein ungestörtes Badevergnügen garantieren. Trotz einer allgemeinen Grußpflicht Angehörige der Besatzungstruppen waren grundsätzlich zuerst zu grüßen bestand ein allgemeines Kontaktverbot zwischen Deutschen und Briten. Petitionen und Eingaben an die Militärregierung mußten über den Ortsbürgermeister eingereicht werden. Überliefert sind in diesem Zusammenhang einige Fälle, die die verzweifelte Not der Bevölkerung einerseits und eine gewisse Hilflosigkeit einzelner britischer Offiziere im Umgang mit dieser Not andererseits dokumentieren. Es handelt sich dabei um mehrere Fälle von Bettelei in der näheren Umgebung der Offiziersmesse auf dem Bleeck. Als einige Offiziere dabei beobachtet werden, wie sie bettelnden Frauen und Kindern Lebensmittel und Süßigkeiten zustecken, schreitet die Militärpolizei sofort ein. Aus den Akten geht hervor, daß die betreffenden Offiziere vor ein Kriegsgericht in Segeberg gestellt, die betroffenen Familien mit dem Entzug ihrer Lebensmittelkarten für eine Woche bestraft wurden. Das Mißtrauen, das hinter diesen drastischen Maßnahmen steht, ist offensichtlich groß. Geschürt wurde es zum einen durch die als Folge der Befreiung der Konzentrationslager offenkundIich gewordenen Greueltaten des NS-Terrors. Zum anderen aber auch durch Nachrichten über Feindseligkeiten der deutschen Bevölkerung gegenüber den Besatzern sowie einer unterschwellig betriebenen propagandistischen Agitation gegen die Militärregierung, die Falschmeldungen über Massaker an Deutschen o. ä. verbreitete. Auf dieses Mißtrauen zurückzuführen ist u. a. auch die Anordnung vom 7.7.1945, daß sämtliche Wohnhäuser mit von der Straße aus gut lesbaren Namensschildern sämtlicher Bewohner zu versehen seien, um auf diese Weise die Bevölkerung einer effektiveren Kontrolle zu unterziehen. In diese Phase der Diskriminierung und des Mißtrauens fallen auch die ersten Erfassungsaktionen unzerstörter Produktionsanlagen und Maschinen, Batterien, Reifen und Motoren zum Zwecke der späteren Ablieferung bzw. Demontage.

Die herrschende wirtschaftliche Not der Bevölkerung konnte auch nicht durch ein Angebot Bürgermeister Warnemündes, Hausrat und Wertgegenstände durch die Stadt aufkaufen bzw. beleihen zu lassen, gemildert werden. Eine gewisse, wenn auch nur geringfügige Entlastung trat für die Stadt am 1.8.1945 durch eine erste Umsiedlungsaktion Evakuierter und Flüchtlinge ein. 185 Personen wurden in die Gebiete Hannover, Braunschweig und Westfalen-Lippe umquartiert.

Eine gleichfalls in den ersten Augustwochen durchgeführte Einwohner- und Wohnraumerfassung weist mit einem Bestand von 6425 Einwohnern im Vergleich zur Volkszählung von 1939 (3 312) nahezu eine Verdoppelung auf. Diese 6425 Menschen mußten sich 1 163 Wohnungen teilen. das heißt: Auf eine Wohnung kamen im Durchschnitt 5,5 Personen, während sich diese Zahl im Jahre 1939 noch auf 2,85 belief, denn von einer Ausnahme abgesehen, ist neuer Wohnraum während der Kriegsjahre nicht geschaffen worden.

Es war ein wichtiges Ergebnis des Kriegsverlaufs und -endes, daß die Abrechnung mit dem Nationalsozialismus, seinen Verbrechen und den daran Schuldigen, also auch mit der großen Masse der Parteimitglieder aller Art, zunächst nicht durch die Deutschen selbst. sondern – in West und Ost – durch die alliierten Siegermächte erfolgte. Danach wurden zunächst alle erwachsenen Deutschen in öffentlicher sowie gehobener Stellung mittels eines umfangreichen Fragebogens auf ihre Mitgliedschaft in den NS-Organisationen überprüft. Noch durch die alliierten Dienststellen wurden summarische Konsequenzen gezogen, bei bestimmten Mitgliedschaften oder Dienstgraden (Partei, SA, HJ usw.) erfolgte mindestens eine Entlassung, Treuhandverwaltung in der Wirtschaft oder eine andere Form des Berufsverbotes. In anderen Fällen (politischer Leiter. Räte aller Art, verbrecherische Organisationen wie SS, SD usw.) kam es zu längerer Lagerhaft, bei nachgewiesener Schuld zu örtlichen Kriegsverbrecherprozessen. Ziel dieser Maßnahmen war die „Entnazifizierung“ (Übersetzung aus dem englischen Denazification) des öffentlichen und privaten Lebens in Deutschland. Später wurden dann diese ersten summarischen Maßnahmen durch sogenannte Spruchkammern. in letzter Instanz durch einen Landesausschuß überprüft. Dabei konnte jeder versuchen, durch Zeugenaussagen oder schriftliche Bestätigungen Unverdächtiger (sogenannte Persilscheine) seine Unschuld zu beweisen. Diese von Deutschen, meist NS-Gegnern oder mindestens Unbeteiligten besetzten Spruchkammern nahmen dann die Einstufungen in die Kategorien drei bis fünf bzw. „nicht betroffen“ vor. Es bedeutete die Kategorie „eins“ Kriegsverbrecher, die Kategorie „zwei“ Hauptschuldige, die Kategorie „drei“ Schuldige, die Kategorie“ vier“ weniger Schuldige, die Kategorie „fünf“ Mitläufer und nicht Betroffene bzw. ab Jahrgang 1922 Amnestierte. Für die letzten drei Gruppen wurden die Maßnahmen bzw. die Berufsverbote rückgängig gemacht. Der Betreffende war – nach dem damaligen Sprachgebrauch entnazifiziert, das heißt: Kein Nazi mehr.

Auch in Bad Bramstedt kam es aufgrund des geschilderten Entnazifizierungsprozesses zu einer Reihe von Amtsenthebungen im Bereich von Stadtverwaltung und Stadtvertretung sowie einigen Internierungen. Im Endergebnis lautete die Einstufung der Betroffenen in den schwerwiegendsten Fällen (Bürgermeister Dittmann sowie der bisherige büroleitende Beamte der Stadtverwaltung) als „Weniger schuldig“. Auf alle übrigen Funktionsträger entfiel das Urteil „Mitläufer“. Hauptsächlich im Ausgang dieses Verfahrens liegt der Umstand, daß ein großer Teil derjenigen Namen, die während der Zeit zwischen 1933 und 45 auf der Liste der örtlichen Funktionsträger verzeichnet waren, auch in den Gremien der Nachkriegszeit auftaucht. Berücksichtigt man die Tatsache, daß die Mandate teilweise seit dem Jahre 1929 ausgeübt wurden, so ist dies ein bemerkenswertes Zeichen politischer Kontinuität. Zu berücksichtigen sind jedoch die jeweiligen äußeren Einwirkungen, die Veränderungen im politischen Bewußtsein der Betroffenen hervorriefen. Zu berücksichtigen ist sicherlich aber auch das gut gemeinte Engagement der Funktionsträger für den Ort auch in Zeiten der Bedrängnis, denn gerade in solchen Zeiten erwiesen sich personelle wie sachliche Kontinuität und Kompetenz als durchaus positive Triebkräfte der Ortsentwicklung.

Ein besonderer Fall der „Vergangenheitsbewältigung“ sollte die städtischen Gremien jedoch erst am 30.10.1947 befassen. Die an diesem Tage stattfindende Sitzung des Gemeinderats wird vom kommissarischen Bürgermeister Karl Freudenthal, der Alfred Warnemünde inzwischen in seinem Amt abgelöst hatte, mit einer posthumen Ehrung des durch die Nationalsozialisten ermordeten Oskar Alexander eröffnet. Er stellt den Antrag, den im KZ ermordeten Gründer der Rheumaheilstätte durch eine Straßenbenennung zu ehren. Freudenthal begründet seinen Antrag mit den folgenden Worten:

„Am 16. September des Jahres wurde der Kreistag zu einer Sitzung berufen, der eine Feierstunde zu Ehren der Opfer des Naziregimes vorausging. Dieses gab mir die Anregung, heute des Mannes zu gedenken, der in Bad Bramstedt reichlich 20 Jahre lebte, der Bramstedt mit seinen Auen und Wiesen, mit seiner Heidelandschaft, dem Eichen- und Birkenkranz am Wiesenrande so sehr liebte, dem wir in erster Linie den Bau des neuen Kurhauses verdanken. Ich meine Herrn Oskar Alexander. Es war ihm nur kurze Zeit vergönnt, sein Lebenswerk unter seiner persönlichen Leitung unter großen finanziellen Schwierigkeiten, die ihn fast sein ganzes Vermögen kosteten, doch aufblühen zu sehen. Aber der Dank dafür blieb aus. Am 31. Mai 1936 mußte er aus rassischen Gründen ausscheiden. Er lebte hier weiter sehr zurückgezogen, zuerst noch in guten und später in immer bescheideneren Verhältnissen. Dann lief Anfang November 1941 durch Bad Bramstedt die Kunde, die allseitiges Erschrecken und Bestürzung hervorrief. Oskar Alexander war von der GESTAPO verhaftet worden. Allgemeine Entrüstung, aber keiner konnte helfen. Nach sehr kurzer Zeit kam seine Asche. Es war ein sehr krasser Fall des Naziregimes, einen Mann, der seine ganze Kraft eingesetzt hatte, um minderbemittelten Kranken zu helfen, nicht aus Eigennutz, sondern aus ideellen Gründen, auf die schändlichste Weise umzubringen. Noch wissen wir nicht, welche Gründe zu seiner Ermordung geführt haben, auch nicht, wer ihn den Henkern ausgeliefert hat. Aber ich meine, Bad Bramstedt ist es ihm schuldig, sich seiner zu erinnern, ihm in irgendeiner Form ein Denkmal zu setzen. Ich möchte in diesem Zusammenhang vorschlagen, den Weg von der Hambrücke bis zur Hohenstegener Brücke „Oskar-Alexander-Weg“ zu benennen.“

Es muß erlaubt sein, aus heutiger Sicht zu fragen, warum erst eine Feierstunde des Kreistages zu Ehren der Opfer des NS-Regimes die Anregung dazu abgab, dem prominentesten Opfer des NS-Terrors in Bad Bramstedt ein ehrendes Andenken zu setzen. Vieles mag dafür sprechen, daß man es anfangs nicht wagte, sich an jene Tage zurückzuerinnern bzw. die Vielzahl der zu bewältigenden Alltagsprobleme, insbesondere angesichts der herrschenden Not, den Blick auf die unmittelbare Vergangenheit verstellte. Der Gemeinderat beschloß die beantragte Umbenennung einstimmig, jedoch mit der Modifikation, daß die Bezeichnung Oskar-Alexander-Straße lauten und den Straßenzug bis zur Einmündung in die heutige B 206 umfassen sollte.

Diese Ereignisse fallen bereits in die Phase des Selbstreinigungsprozesses, der überleitet in den Prozeß der Reorganisation des öffentlichen Lebens. Das ursprüngliche Mißtrauen der Besatzungsmacht war durch einen schrittweisen Vertrauenszuwachs ersetzt worden. Eingeleitet wurde diese Entwicklung durch erste Lockerungen der anfangs erlassenen Beschränkungen. Ein mehr als nur symbolischer Schritt auf diesem Wege war die Einladung der gesamten Bramstedter Bevölkerung zu einem von englischen Offizieren ausgerichteten Tanzvergnügen am 9. August 1945.

Auch das kulturelle Leben der Stadt kommt langsam wieder in Gang. Es sind dabei nicht nur die jeweiligen örtlichen Vereine, die sich mit Genehmigung der Militärregierung wieder zu formieren beginnen. Vielmehr kommt es in den Jahren 1946 bis 48 verstärkt zu Veranstaltungen mit auswärtigen Künstlern, insbesondere aus den umliegenden Großstädten, deren Auftrittsmöglichkeiten durch die schweren Zerstörungen erheblich eingeschränkt sind. Als erste Theaterveranstaltung der Nachkriegszeit findet am 25.2.1946 eine Aufführung von Avery Hopward’s Komödie Der Mustergatte durch die schleswig-holsteinische Schauspielbühne im „Kaisersaal“ statt, am 10. Mai führt das Travemünder Operettentheater Franz Lehars Der Graf von Luxemburg in Bad Bramstedt auf, am 6.2.1946 ist die Hamburger Varieteshow Der Spiegel zu sehen, am 27.4.1946 treten die Hamburger Rundfunkkomiker Jan und Hein in Bad Bramstedt auf. Es sind dies nur einige Beispiele für ein reiches und buntes kulturelles Leben, das jene Tage der Not begleitete, das sich jedoch ab dem Jahr 1949 wieder in die Großstädte zurückzuziehen beginnt.

Hauptproblem nicht nur während der Reorganisations- und Aufbauphase nach dem 2. Weltkrieg bleibt die Integration der großen Zahl der Heimatvertriebenen in der Stadt. Vordringlich sind hierbei die Bereitstellung geeigneten Wohnraums sowie die Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten. Das letztere Problem sollte sich angesichts des gewaltigen Arbeitskräftemangels in der Zeit des Wiederaufbaus nach der Währungsreform 1948 in absehbarer Zeit als lösbar erweisen. Der Wohnungsmangel jedoch bleibt der politische „Dauerbrenner“ bis hinein in die späten 60er Jahre. Hierzu wieder ein kurzer Blick auf die Statistik: Zwar geht die Einwohnerzahl in der Zeit von 1945 (6 425) und 1950 (6 298) leicht zurück, gleichzeitig stagniert jedoch der Wohnungsbau. Im genannten Zeitraum können lediglich zwei Wohnungen in Bad Bramstedt neu fertiggestellt werden, erst die Währungsreform 1948 gibt die notwendigen Impulse zu einer expansiven Bautätigkeit am Ort. Allein in der Zeit zwischen 1948 und 1962 werden 689 Wohnungen neu errichtet, davon 511 im Bereich des sozialen Wohnungsbaues. Gleichzeitig steigt jedoch auch die Einwohnerzahl auf rund 6 500. Gerade auf dem in der Nachkriegszeit besonders wichtigen Gebiet des Wohnungsbaues spiegeln sich die Einwirkungen der äußeren Geschichte wider. Trotz der Wohnungsprobleme am Ort muß dabei die in den Großstädten notwendige und vorrangig betriebene Beseitigung der Bombenschäden mit berücksichtigt werden.

Ebenso bedeutend – nicht nur für die Nachkriegsentwicklung der Stadt Bad Bramstedt – ist die Schaffung neuer rechtlicher, politischer und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Die Konstituierung eines eigenständigen Landes Schleswig-Holstein durch die Einberufung eines Provinziallandtages durch die englische Besatzungsmacht am 7.2.1946, die Währungsreform vom 20.6.1948 sowie die Verabschiedung des Grundgesetzes am 23.5.1949 (vom Schleswig-holsteinischen Landtag am 20.6.1949 mit 6 Gegenstimmen angenommen) sowie eine neue Gemeindeordnung aus dem Jahr 1950 sollten diese notwendigen Rahmenbedingungen für die Lösung der Kernprobleme der Ortsentwicklung schaffen. Dieser Reorganisationsprozeß, der in Bad Bramstedt durch die kommissarische Amtsführung der Bürgermeister Warnemünde, Freudenthal und Neumann geprägt ist, findet sein Ende mit der Wahl des ersten hauptamtlichen Nachkriegsbürgermeisters Heinrich Gebhardt am 23.6.1950.

Mit dem gebürtigen Itzehoer Heinrich Gebhardt übernimmt ein Mann die Leitung der Geschicke der Stadt Bad Bramstedt, der die Nachkriegsentwicklung des Ortes bis in die heutige Zeit hinein entscheidend zu prägen wußte und der nach 14jähriger Amtszeit als der nach Gottlieb Freudenthal zweitdienstälteste Bürgermeister in die Geschichte der Stadt eingehen sollte. Auch hinsichtlich der von ihm für die Stadt erbrachten außerordentlichen Leistungen ist er in der Reihe der bisherigen Bramstedter Bürgermeister an zweiter Stelle nach Gottlieb Freudenthal einzuordnen. In seiner Antrittsrede vor der Stadtverordneten­versammlung am 23.6.1950 betont der parteilose Heinrich Gebhardt, daß ihm dieses schwere Amt zu einer außerordentlich schweren Zeit zugefallen sei, und er daher nicht wisse, ob er die in ihn gesetzten, Erwartungen überhaupt erfüllen könne. Diese von einer äußeren Bescheidenheit gekennzeichnete Rede macht, obgleich sie keinerlei programmatische Aspekte enthält, deutlich, daß mit Heinrich Gebhardt ein Mann in das Amt des ersten Bramstedter Nachkriegsbürgermeisters gewählt worden ist, der vorbehaltlos bereit war, seine eigene Person in die Waagschale des öffentlichen Interesses zu werfen, und der sich dabei mit zahlreichen Widerständen und Feindseligkeiten konfrontiert sehen sollte. Gerade dadurch, daß er, wie er sagte, bewußt keinerlei Versprechungen machen wollte, um später nicht enttäuschen zu müssen, wirkte er überzeugend. Nachdem er im Jahre 1964 in den Ruhestand getreten war, befand sich das äußere Erscheinungsbild der Stadt Bad Bramstedt inmitten eines Wandlungsprozesses, der direkt überleitete in das Bild, das wir als heutige Bürger von dieser Stadt haben.

Der mit dem Jahre 1950 zu Ende gegangene Reorganisationsprozeß des öffentlichen Lebens bot eine Vielzahl von Chancen, brachte aber auch ebenso viele Gefahren mit sich. Überall, so auch in Bad Bramstedt, mußten die Weichen für die Zukunft neu gestellt werden. Das sich mit der zunehmenden Distanz zu den Ereignissen des 2. Weltkrieges bzw. der Zeit des „Dritten Reiches“ zunehmend einstellende Entsetzen über die Folgeerscheinungen jener Zeit führte in vielen Fällen dazu, daß Bindungen an Tradition und Geschichte zugunsten eines rein zukunftsbezogenen Lebens aufgegeben wurden. Forciert wurde dieser Prozeß durch eine als Folge der englischen und amerikanischen Besatzung Deutschlands geförderte Übernahme amerikanischer Wertvorstellungen. In letzter Konsequenz führte diese Entwicklung zu einer radikalen Umgestaltung des äußeren Erscheinungsbildes vieler, insbesondere bombengeschädigter Städte; die noch vom Krieg verschont gebliebene historisch gewachsene Bausubstanz vieler Orte wurde im Zuge dieser Neugestaltung beseitigt und durch moderne Zweckbauten ersetzt. Auf wirtschaftlichem Gebiet wurden traditionelle, mittelständisch geprägte Produktions- und Gewerbestrukturen mehr und mehr durch Massenproduktion und Massenvermarktung verdrängt. Ein selbst kühnste Erwartungen übertreffender Prozeß quantitativen Wachstums setzte ein. Es muß in diesem Zusammenhang die Frage gestellt werden, ob die materiellen Kriegsfolgen in so kurzer Zeit hätten beseitigt werden können, wenn dieser Wachstumsprozeß ausgeblieben wäre.

Auch die Stadt Bad Bramstedt steht angesichts noch nicht absehbarer Lösungsmöglichkeiten hinsichtlich der Unterbringung und Beschäftigung von rund 3200 zusätzlichen Einwohnern vor der Alternative eines qualitativ oder mehr quantitativ orientierten Wachstums. Die Amtsführung Heinrich Gebhardts setzte trotz mannigfachen Widerstandes, gerade aus dem Bereich der Stadtvertretung, aber auch seitens der Landespolitik, konsequent auf einen qualitativen Wachstumsprozeß unter bewußter Anknüpfung an die traditionell gewachsenen Erwerbsstrukturen des Ortes. Diese in erster Linie auf den Säulen „Fremdenverkehr“, „Handwerk und Gewerbe“ und“ Verwaltungsdienstleistungen“ beruhenden Erwerbsstrukturen wurden unter seiner Amtsführung systematisch ausgebaut. Drei für die Nachkriegsentwicklung Bad Bramstedts bedeutsame Aspekte sind in diesem Zusammenhang zu nennen: Die systematische Verbesserung der Infrastruktur durch den Ausbau der bestehenden Verkehrsverbindungen, die Ansiedlung des Bundesgrenzschutzes sowie der systematische Ausbau der bestehenden Fremdenverkehrseinrichtungen.

Unermüdlich führte Gebhardt dabei die Werbetrommel für die Belange der Stadt. Er setzte dabei in erster Linie auf private Initiativen, die er nicht nur in seinen zahlreichen Reden und Presseverlautbarungen zu motivieren versuchte. Während seiner Amtszeit sah die Stadt Bad Bramstedt eine bislang noch nicht dagewesene Anzahl offizieller Gäste. Unermüdlich lud Gebhardt Landes- und Bundespolitiker zu Besuchen der Stadt ein und machte diese ebenso unermüdlich mit den Problemen, aber auch den Entwicklungschancen des Ortes vertraut. Auf diese Weise gelang es ihm, insbesondere für private Investitionsvorhaben, umfangreiche öffentliche Mittel einzuwerben. Schwerpunkt der von Gebhardt auf diese Weise nicht nur ideell, sondern auch materiell geförderten Investitionen sind neben dem Wohnungsbau der Aus- bzw. Neubau von Hotelanlagen. Zum Ablauf der zweiten Wahlperiode der Stadtverordneten­versammlung kann Gebhardt am 6.10.1959 nach einer Dekade gerade auf diesem Gebiet ein beachtliches Resümee ziehen:

,,( … )Wenn ich die aufgrund Ihrer Beschlüsse erfolgten Leistungen der Stadt genannt habe, so möchte ich auch die Leistungen der Bürger und Bürgerinnen unserer Stadt erwähnen. Unter den vielen Bauten der riesigen Betriebe nenne ich a) den Bau der Genossenschaftsmeierei, b) den Neubau des Kaufhauses Bornhöft, c) die Erweiterungsbauten der Firma Nortex, die, weil sie in unserer Kleinstadt nicht mehr genügend Arbeitskräfte erhalten kann, neben den Zweigstellen in Kaltenkirchen und Bad Segeberg jetzt in Itzehoe einen Zweigbetrieb eingerichtet und in Neumünster eine große Werkhalle in Auftrag gegeben hat, e) Geschäftshäuser Schöltzel, Haack im Maienbeeck und Roth Am Bleeck, d) Apothekenneubau von Professor Neuwald Am Bleeck, f) der Bau des Kurhotels Gutsmann, g) die Erweiterungsbauten der Gaststätten Tanneneck und Birkengrund neben den zahlreichen Bauten zur Erweiterung und Verbesserung von Hotels und Gaststätten in der Stadt (Hotel zur Post, Kaisersaal, Rasthaus, Hotel Freese, Café Zarp, Im Winkel usw.). Von besonderer Bedeutung sind die in den letzten Jahren erfolgten Erweiterungs- und Neubauten der Rheumaheilstätte wie Kursaalgebäude, Verwaltungsgebäude, Bewegungsbad, Werkstattgebäude, Ärztewohnungen.“

Die Übernachtungszahlen sind in der Zeit zwischen 1950 und 59 unter anderem als Folge dieser genannten Investitionen von 126 081 (1950) auf 371 396 gestiegen, haben sich somit beinahe verdreifacht. Erhebliche Sorgen bereiten in diesem Zusammenhang die schon seit langem erschöpfte Kapazität der Bundesstraße 4, deren Bauzustand insbesondere südlich von Bad Bramstedt als schlichtweg katastrophal bezeichnet werden mußte, so wie die bereits im Jahre 1958 bekanntgewordenen Pläne der Landesregierungen Hamburgs und Schleswig-Holsteins hinsichtlich des Baus eines wie es heißt „Düsenflughafens für Überschallflugzeuge“ , der die Bezeichnung Hamburg-Holstenfeld tragen sollte, in der Nähe Kaltenkirchens. Beide Aspekte, so fürchtet Gebhardt, würden einem weiteren Anstieg der Übernachtungszahlen entgegenstehen. Gerade im Hinblick auf den schon in der Planung befindlichen Großflughafen bei Kaltenkirchen wird die eindeutige Präferenz eines qualitativen Wachstums deutlich: Bei einer Verwirklichung eines solchen Projektes würde, so Gebhardt in einer Rede am 1.3.1962, die bisherige Funktion Bad Bramstedts als zentrales Dienstleistungszentrum, Fremdenverkehrsort und attraktives Wohngebiet für die in den umliegenden Großstädten berufstätigen Menschen in Frage gestellt.

Der für die Nachkriegsgeschichte des Ortes sicherlich bedeutendste Schritt ist die Ansiedlung des Grenzschutzkommandos Küste und der Grenzschutzverwaltung Küste in Bad Bramstedt. Die Initiative hierzu geht von Heinrich Gebhardt aus. Mit Schreiben vom 12.4.1957 wendet er sich ohne direkt erkennbaren Anlaß an das Bundesinnenministerium und bittet, die Stadt Bad Bramstedt im Rahmen der Neuplanungen des Bundesgrenzschutzes bei der Unterbringung von Einheiten, Stäben oder Einrichtungen zu berücksichtigen. Ein hinhaltendes Antwortschreiben des Bundesinnenministers vom 4.5. des gleichen Jahres nimmt Gebhardt zum Anlaß, persönlich in Bonn vorzusprechen, um die Vorteile Bad Bramstedts als Garnisonsstandort zu erläutern. Gebhardts Initiative muß bei den Verantwortlichen Eindruck hinterlassen haben, denn bereits im Februar 1958 beginnen die eigentlichen Vorverhandlungen, in einem Erlaß vom 12.3.1958 schließlich ordnet der Bundesminister des Inneren an, alle Planungen bei der Wiederaufstellung des Grenzschutzkommandos Küste auf den Standort Bad Bramstedt abzustellen.

Nachdrückliche Unterstützung fanden die Bemühungen der Stadt durch das Landesplanungsamt Schleswig-Holstein, das sich insbesondere aus strukturellen Gründen für Bad Bramstedt als Grenzschutzstandort aussprach. Neben der zentralen verkehrstechnisch günstigen Lage im Einsatzraum des GSK-Küste bot die Stadt Bad Bramstedt insbesondere durch umfangreiche Vorleistungen günstige Voraussetzungen für die Durchführung der erforderlichen Baumaßnahmen, insbesondere durch das Vorhandensein geeigneter Ländereien. War ursprünglich der Ankauf des Marstallgebäudes sowie des umliegenden Geländes zur Unterbringung des BGS vorgesehen, so einigte man sich bald auf das Gelände auf dem Raaberg. Insbesondere Bürgermeister Gebhardt sprach sich nachdrücklich gegen die Verwendung des Marstallgebäudes als Dienstgebäude des BGS aus, hatte er doch bereits konkrete Pläne über eine zukünftige Verwendung des Schlosses als zentrales Kulturzentrum der Stadt.

Im Jahre 1960 wurde mit dem Bau begonnen, und am 30. Juni 1964 war es dann soweit: Grenzschutzkommando, Grenzschutzverwaltung und Fernmeldehundertschaft Küste bezogen ihre neuen Unterkünfte in Bad Bramstedt. Die Kur- und Rolandstadt war zum Standort von Bundesmittelbehörden geworden und erhielt damit einen Rang, der in dieser Art nur Großstädten wie Hannover, Kassel, München und Bonn zukommt. In einem Rückblick auf die 7jährige Vorbereitungszeit dieses Ereignisses zog Gebhardt in seiner Ansprache anläßlich der Empfangsfeierlichkeiten am 30.6.1964 das folgende Resümee:

„Wir sind glücklich, den Bundesgrenzschutz in den Mauern unserer Stadt begrüßen zu dürfen. Der Bundesgrenzschutz ist für einen Kurort wie Bad Bramstedt, der abgesehen von einer Bäckerkompanie während des 2. Weltkrieges nie zuvor Garnison gewesen ist, etwas Besonderes. Ich bin davon überzeugt, daß sich die Einheit gut in den Kurort einfügen wird.“

Daß sich diese, am Ende seiner Amtszeit geäußerte Erwartung bewahrheiten sollte, geht aus einer Bilanz hervor, die Bürgermeister Heinz Wedde 14 Jahre später, am 12.3.1978, zieht. Vor dem Hintergrund einer sich nunmehr verschärfenden Lage am deutschen Arbeitsmarkt weist er dabei besonders auf die durch die Ansiedlung des BGS hervorgerufenen wirtschaftlichen Impulse hin. Neben den 370 zusätzlich geschaffenen Dauerarbeitsplätzen ist dies vor allem die Bedeutung des Bundesgrenzschutzes als Auftraggeber für örtliche Handwerker und Betriebe im Bereich des Bewirtschaftungs-, Renovierungs, Unterhaltungs- und täglichen Verpflegungsaufwandes. „Man übertreibt nicht“, so Heinz Wedde, „wenn man sagt, daß auf den BGS jährlich mehrere Mio. DM Umsatz im engeren Bereich der Stadt zurückgehen.“ Dabei entfielen vor allem rd. 20 Mio. DM auf den Bausektor. Die Stadt erhielt zusätzlich vom BGS Finanzhilfen von 300 000 DM für kommunale Folgemaßnahmen, die der Schaffung einer modernen Infrastruktur dienten und wesentlicher Bestandteil des modernen Bramstedts sind.

Es zeigt sich somit erneut, daß der persönliche Einsatz einer Bürgermeisterpersönlichkeit entscheidende Impulse für die Fortentwicklung des Ortes gesetzt hat, erbitternden Widerständen seitens der Stadtvertreter als auch aus der Bürgerschaft zum Trotz. Heinrich Gebhardt ist somit einzureihen in die Reihe der herausragenden Figuren der Bramstedter Geschichte, die bis auf die Person Jürgen Fuhlendorfs zurückverfolgt werden kann.

In den Größenverhältnissen des Jahres 1939 hätte die Stadt Bad Bramstedt die mit der Ansiedlung des BGS verbundenen Aufgaben allerdings nicht bewältigen können, stellte doch die Versorgung der BGS-DienststelIen, deren Mitarbeiter und Familien besondere Anforderungen an die wirtschaftliche Infrastruktur des Ortes. So sollte sich das kriegsbedingte Wachstum der Einwohnerzahl letztendlich als Aktivum der Nachkriegsentwicklung der Kur- und Rolandstadt erweisen.

Die kriegsbedingt in die Stadt aufgenommenen Zuwanderer sollten sich ebenso wie die erst in späteren Jahren zugezogenen Heimatvertriebenen auch in anderer Hinsicht als Aktivposten in der NachkriegsbiIanz des Ortes erweisen, setzten sie doch u. a. auch durch zahlreiche neue Ideen und eine bewundernswerte Risikobereitschaft nachhaltige Akzente für das kulturelle Leben der Stadt. Beispielhaft hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die weit über die Grenzen Bad Bramstedts hinaus beachteten Theater- und Musikveranstaltungen der letzten Jahre, so z. B. die Aufführung von Werken wie Carl Maria v. Webers Der Freischütz, W. A. Mozarts Die Zauberflöte oder Engelbert Humperdings Märchenoper Hänsel und Gretel durch Schüler und Lehrer der Jürgen-Fuhlendorf-Schule sowie interessierte Mitbürger in den Jahren 1975-1984. Diese durch ein beachtenswertes Engagement einzelner ermöglichten kulturellen Höhepunkte reihen sich ein in die bereits vorhandene reichhaltige Tradition des örtlichen Kulturlebens, verleihen ihm gleichzeitig aber auch ein Niveau, das mit den herkömmlichen Maßstäben provinziellen Kunstschaffens nicht gemessen werden kann.

Ohne den kriegsbedingten Anstieg der Bevölkerung wäre eine solche Entwicklung kaum vorstellbar gewesen; ebensowenig wie der erst in den letzten Jahren zum Abschluß gekommene Ausbau der örtlichen Infrastruktur. Auch bis in die Zeit der Stadtwerdung Bad Bramstedts zurückreichende Pläne, wie z. B. der schon im Jahre 1912 projektierte Bau einer zentralen Wasserver- und -entsorgung, konnten erst als Folge des in der Nachkriegszeit sprunghaft angestiegenen Bevölkerungswachstums und dem damit verbundenen zusätzlichen Wirtschaftspotential verwirklicht werden. Aber nicht nur statistisch-wirtschaftlich gesehen sorgte der Bevölkerungsanstieg für eine kontinuierliche Fortentwicklung der bereits unter Gottlieb Freudenthal eingeleiteten Geschichte des „Modernen Bramstedts“. Die im Vergleich mit Nachbarorten relativ harmonisch verlaufene Nachkriegsentwicklung wurde letztlich dadurch ermöglicht, daß eine große Anzahl qualifizierter Neubürger vorbehaltlos bereit war, sich voll für die Belange des öffentlichen Lebens der Stadt in die Waagschale zu werfen.

Gleichwohl bleibt festzustellen, daß der Prozeß der Weichenstellung für die Zukunft mit dem Ende der Amtszeit Heinrich Gebhardts zu einem vorläufigen Abschluß gekommen ist. Symbolisch dokumentiert wird dies durch den feierlichen Einzug des BGS in Bad Bramstedt am letzten Tag seiner Amtszeit, dem 30.6.1964.

Die Fortentwicklung des Ortes sollte sich in der Folgezeit auf der Grundlage des bisher Erreichten vollziehen. So wuchs die Einwohnerzahl Bad Bramstedts kontinuierlich und erreichte im Jahr 1977 mit 9 805 Einwohnern ihren bisherigen Höhepunkt. Ein offizieller Schlußpunkt unter die im Jahre 1910 eingeleitete Entwicklung der Stadt Bad Bramstedt wird am 28.9. des Jahres 1977 durch die Anerkennung Bad Bramstedts als Heilbad durch den Sozialminister des Landes Schleswig-Holstein gesetzt. Wie im Jahr 1910 waren verwaltungstechnische Fragen maßgebend: Die formelle Anerkennung Bad Bramstedts als Heilbad erfolgte, wie der damalige Bürgermeister Heinz Wedde ausdrücklich betonte, aus „abgaberechtlichen Gründen“.

Der stürmische Wachstumsprozeß der Stadt Bad Bramstedt in der Zeit nach 1945 hat sich spürbar verlangsamt. Gleichzeitig ist – auf lokaler wie auf gesamtgesellschaftlicher Ebene – ein deutlicher Umdenkungsprozeß zu erkennen. Das stürmische quantitative Wachstum der Vergangenheit mit all seinen negativen Begleiterscheinungen soll übergeleitet werden in eine Phase soliden qualitativen Wachstums. Dieser Umdenkungsprozeß ist auch in der Entwicklung des äußeren Ortsbildes nachvollziehbar: Neben die Wachstumseuphorie der 50er, 60er und frühen 70er Jahre symbolisierenden Großbauten , die das Ortsbild nachhaltig veränderten, treten zunehmend Neubauten, die an Baustrukturen früherer Jahre erinnern. Hat sich das Ortsbild der Stadt Bad Bramstedt in 75 Jahren nachhaltig verändert, so sind die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen weitgehend gleichgeblieben, denn an der geopolitischen Funktion der Stadt als Verkehrsknotenpunkt, Kur- und Erholungsort und zentrales Dienstleistungszentrum für das benachbarte Umland hat sich nicht viel verändert. Allerdings wurden in den Jahren vor 1910 unter der Amtsführung des damaligen Bürgermeisters Freudenthal die Weichen für die Neuzeit auf der Grundlage der vorgefundenen Rahmenbedingungen richtig gestellt. Den Nachfolgern Freudenthals ist es zu verdanken, daß der einmal eingeschlagene Kurs beibehalten wurde, so daß die Zeit Veränderungen gezeitigt, jedoch keine tiefgreifenden Narben in der Stadtgeschichte hinterlassen hat.

8. Die Zeit zeitigt Veränderungen (Bilderteil)

 9. Literaturverzeichnis

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    20. Jan-Uwe Schadendorf, Alt Bramstedt im Bild, (Bad Bramstedt: 1978)
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