Schulze: Neue Feststellungen zur Baugeschichte der Maria-Magdalenen-Kirche zu Bad Bramstedt

aus. heimatkundliches Jahrbuch für den Kreis Segeberg, 1964, S. 17 ff
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Walter Schulze, Bad Bramstedt:

Neue Feststellungen zur Baugeschichte
der Maria-Magdalenen-Kirche zu Rad Bramstedt

Die sich über den Lauf der Jahre 1961/62 hinziehenden Renovierungsarbeiten an und in dem alten Gotteshaus haben Gelegenheit zu eingehender Einsichtnahme in baugeschichtlicher Beziehung geboten, wie sie ähnlich anläßlich der Renovierung im Jahre 1876 zu verzeichnen waren. In der im Jahre 1879 veröffentlichten Artikelfolge „Die Kirche zu Bramstedt“ berührt C.S.F. Quitzau kurz diese Feststellungen 1), die heute zum Teil bestätigt worden sind und die bedeutend ergänzt werden können. R. HAUPT 2) sowie H. H. HARBECK 3) haben bezüglich seiner kirchenbaulichen Feststellungen C.S.F. Quitzau ohne weitere eigene Hinzufügungen übernommen. Nicht auf Grund dieser Tatsache soll im folgenden über Feststellungen der jüngsten Zeit berichtet werden, sondern weil diese neueren Einblicke in grundsätzlicher Beziehung das – Bild dieses Kirchenbaues im Laufe der Vergangenheit – verändern, und zwar, da eng miteinander in Verbindung stehend, die äußere Gestalt der Kirche sowie deren sakraler Raum. Darüber hinaus werden Einblicke gewährt, die kunst und kirchengeschichtlich gesehen von Interesse sind und die überdies ein besonderes Licht auf die Mentalität des den mittelholsteinischen Raum bevölkernden Menschenschlages während Mittelalter und Beginn der Neuzeit werfen; denn wie R. HAMANN 4) sehr treffend interpretiert, wird in der Kunst Stil erreicht durch einen unmittelbaren Lebensgehalt, der sich seine – die nur ihm eigene – Form schafft.

Bei der Renovierung 1961/62 handelte es sich um den Abbruch des baufälligen Südportal-Anbaues, dessen Neubau sowie um eine vollständige Erneuerung des Kirchenbodens.

wsabb01x Aus Gründen der kontinuierlichen Darstellung sollen als erstes der Komplex „Kirchenboden“, später die damit im Zusammenhang stehenden Faktoren des Komplexes „Südportal“ Erläuterung finden.

Der innere, rechteckige Raum dieser einschiffigen Hallenkirche ist in der heutigen Form (seit 1876) in 6 m Höhe durch eine einfache Gipsdecke horizontal geschlossen. Erst im Jahre 1955 konnte durch die mit der Restaurierung des Kircheninnenraumes verbundenen einheitlichen und harmonischen Farbgebung der Leere und der rationalen Sachlichkeit der Decke ein wirksames Gegengewicht entgegengesetzt werden, so daß heute der sakrale Raum wieder eine befriedigende – weil geschlossene – Wirkung aufweist.

Vor allem die Wirkung des sakralen Raumes gemeinhin ist von der architektonischen Durchgestaltung und der Oberflächenstruktur seines deckenmäßigen Abschlusses in hohem Maße abhängig. Dieser Grundsatz hatte im Laufe der vergangenen Jahrhunderte bei diesbezüglicher Gestaltung Pate gestanden: Der auch v o r 1876 vorhanden gewesene horizontale Deckenabschluß wurde durch eine mit reicher Bemalung gefaßte Bohlendecke gebildet, die rechtwinklig über 22 den Kircheninnenraum in jeweils 1,30m Abstand überquerenden, ca. 10 m langen und ca. 400 qcm starken Eichenholzträgern angebracht war; wa r, denn gerade die gefaßte Bohlendecke, die gleichzeitig die Bodenbretterlage des „Kirchenbodens“ abgab, mußte 1961/1962 infolge starker und stärkster Verfallschäden unbedingt erneuert werden.

Die jetzige Gipsdecke ist auf Schalbrettern verputzt, die an den unteren Seiten der erwähnten Eichenholzträger angebracht worden sind. Die Träger waren also gleichsam eingekleidet von oben durch die alte Bohlendecke und von unten durch die jetzige Gipsdecke. Die Bemalung der Bohlendecke war also dem Auge nicht mehr sichtbar, das Wissen darum verlorengegangen. Nach der Kirchenchronik 5) wurde im Jahre 1577 die Kirche mit „niger“ Decke versehen. Wenn auch Teilstücke der Bohlendecke mittelalterlichen Ursprungs vorgefunden worden sind (so im Rahmen der Vierungs-Bildfelder dl – d3 der Abb. 1) und kleinere seitliche Hinzufügungen im Zusammenhang mit dem 1635/36 5) erfolgten Wiederaufbau des West-Turmes vorliegen, so kann mit Sicherheit auf Grund erwähnter Kirchenbuchangaben sowie durch heutige Konstatierung eines katastrophalen strukturellen Zustandes des hier verbauten Holzes, auf ein Alter der Bohlendecke von fast 400 Jahren geschlossen werden.

Die hier zu Verwendung gekommenen Bohlen aus den Hölzern der heimischen Stieleiche (Quercus pedunculata), der nordeuropäischen Waldkiefer (Pinus silvestris) und der Lärche (Larix decidua) – unterseitig durch Bemalung gefaßt –, waren oberseitig andauerndem, jahrhundertelangem Einfluß von Feuchtigkeit und Kühle durch das nie dicht schließende Kirchendach hindurch, ausgesetzt gewesen. Der hieraus resultierende beträchtliche Holzabbau durch fäulnisverursachende Pilze und zusätzlich durch überaus erheblichen Schädlingsbefall (Gewöhnlicher Pochkäfer, Anobium punctatum) 6) muß schon um 1876 zu einer nicht mehr zu behebenden vielfältigen Lockerung und Aufhebung des seitlichen Bohlenabschlusses geführt haben.

Hier soll unterdes nicht beurteilt werden, ob der vom Standpunkt des Verfassers unglücklich gewählte Ausweg einer an der Unterseite der Trägerbalken angebrachten Gipsdecke der einzig mögliche gewesen war oder ob eine Erhaltung der alten Bohlendecke jedenfalls zum Teil und eine Ergänzung derselben durchzuführen gewesen wäre; jedenfalls stand im Jahre 1961 fest, daß eine Belassung aus baulichen Sicherheitserwägungen nicht mehr möglich war.

Der erwähnte Abbau durch holzzerstörende Pilze und die ganz erhebliche Auflockerung der Holzstruktur durch Anobienbefall ließen eine mehr oder minder ausgeprägte schwammartige Beschaffenheit zurück (Abb. 2), die nur unterseitig eine durch Bemalung gefaßte, sehr dünne Schicht fast vollständig erhalten zeigte. Selbstredend war daher die unversehrte Herauslösung der festvernagelten Bohlendecke (wenn schon, dann nur in Fragmenten möglich) äußerst schwierig, zeitraubend und in praxi eigentlich unmöglich. Hieraus resultierende Folgerung: Eine Konservierung der gesamten Bohlendecke nach erfolgter Herauslösung konnte, wenn überhaupt wünschenswert, nicht vorgenommen werden. Die Sicherung verschiedener, hinsichtlich der Fassung interessanter Deckenfragmente dagegen konnte, zum Teil unter Anwendung der farbphotographischen Reproduktionstechnik, in günstigen Fällen am Objekt in Anwendung einer chemisch-konservierenden Behandlung erzielt werden. Die letztgenannte Maßnahme auf chemisch-konservierendem Sektor war leider nur in den Fällen der in der Grundrißzeichnung (Abb. 1) dargestellten Bildfelder d4, d5, d6, el und e2 (Abb. 12, 13, 14, 15 und 16) zu bewerkstelligen gewesen, da nur diese Objekte in struktureller Hinsicht einen leidlichen Zusammenhang aufwiesen, der wiederum Voraussetzung für die konservierende Behandlung war. Durch Anwendung eines speziellen Härtungsmittels auf Harz-Basis konnte durch den Verfasser eine hervorragende Verfestigung und Konservierung dieser Fragmente erreicht werden, die danach zur weiteren denkmalpflegerischen Erhaltung zur Verfügung stehen.

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Abb. 2: Holzabbau durch zerstörende Pilze und Anobienbefall, unbehandelt. Rückseite des Tondo e2 (Ausschnitt)

Leider war in den Fällen der Bildfelder al, a2, bl, cl, c2, c3, dl, d2 und d3 der Grundrißzeichnung (Abb. 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 und 11) eine chemische Konservierung aus verschiedenen Gründen – die zum Teil im fehlenden organischen Zusammenhang der Bildträger, zum andern in diffiziler Beschaffenheit und Verhaltensweise bei der Bemalung zur Anwendung gekommener Farbstoffe zu suchen waren – unmöglich, so daß nur die photographische Reproduktion der zu diesem Zwecke nur lose zusammengefügten Bildfelder in vertikaler Aufsicht möglich war. Der Leser möge die mangelnde Deutlichkeit der betreffenden Reproduktionen nachsehen; sie ist begründet durch den zum Teil sehr schlechten Erhaltungszustand der auf sogenannter umkehrbarer Leimbasis gebundenen Pigmentfarben sowie durch die Folgen des bei den Reproduktionsarbeiten einsetzenden Regens, der die Farbfassung im wahren Sinne des Wortes „unter der Hand verlaufen“ ließ. Der Verfasser ist der Ansicht, daß dieser Übelstand durch die Tatsache, daß man überhaupt in den Besitz entsprechender Abbildungen gelangen konnte, weitgehend wettgemacht ist.wsabb10xwsabb03x

Die Frage der zeitlichen Entstehung der vorgefundenen und hier zur Erklärung stehenden Bildfelder, im kunstgeschichtlichen Sprachgebrauch als Tondi [Tondo = italien. „rund“] zu bezeichnen – hier durch die Abb. 3 bis 16 (entsprechend den Tondi a1 bis e2 der Grundrißzeichnung – Lageplan – Abb. 1) wiedergegeben –, weist in den Zeitraum zwischen Ende der Reformationszeit und Beginn der Aufklärung, in die Epoche zwischen Spätrenaissance bzw. Manierismus und Klassizismus, die als Barock bezeichnet wird und etwa zwischen 1600 und 1780 zu datieren ist.

Die Tondi a1 und a2 (Abb. 3 und 4) in Gouachemalerei [Gouachemalerei = Malerei mittels umkehrbarer (löslicher) Leime gebundener Deckfarben-pigmente, sogenannte Wasser- oder Deckfarbenmalerei] gefaßt, zeitlich zu datieren etwa 1. Viertel 17. Jahrh., bezüglich des verbindenden, stilisierten Rankenornamentes formal stark anklingend an die bereits kraftvoll bewegten Formen des barocken Aufsatzes (1625), den der gotische Flügelaltar (14. Jahrh.) des Gotteshauses statt des sonst üblichen Gespreng’s trägt, fanden in dem Rankenornament des in gleicher Technik gefaßten Tondo b1 (Abb. 5) hinsichtlich der schwellenden Formen ausdrucksmäßig eine Steigerung, die zum umfassenden Haupterlebnis des Barock, dem Erlebnis des R a u m e s 8) hinführte. Die Stilelemente des letztgenannten Tondo’s verweisen seine Entstehung in die Phase des so genannten Hoch-Barock um ca. 1680; in diese Kategorie gehören ebenfalls die Tondi c1, c2 und c3 (Abb. 6, 7 und 8), die maltechnisch jedoch durch Anwendung des Kasein [Kasein = durch Grubenkalk aufgeschlossener Milchleim ] eine Ausweitung der bisher geübten Gouache malerei verzeichneten.

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Abb. 16: Tondo e2 (1733). Tondo-Rückseite s. Abb. 2

Wenn auch bei der Kaseintechnik eine Beschränkung auf die kalkunempfindlichen Pigmente verbunden war, ist jedoch der unlösliche und langsam auftrocknende Farbauftrag gegenüber der Gouachemalerei ein Vorteil gewesen, der in besserer Kontrastierung der bildlichen Wirkung auch in den Fällen der Tondi c1, c2 und c3 klar zum Ausdruck kam.

Die geschilderte, unübersehbare Steigerung zu einer umfassenden Form des Raumerlebnisses fand eine sichtbare Ernüchterung bezüglich der verbindenden Ornamentik, sie wich einer Mäßigung. Bei der Gestaltung der Tondi d1 bis e2, nachweislich im Jahre 1733 5) 3) in Tempera [Temperamalerei in sogenannter „fett auf mager-Technik“, mit der typischen harten Tempera-ödation, die außerordentlich fest auf dem Untergrund haftet] 6) gemalt, klingen formell klassizistische Züge des Rokoko, der Endphase des Barock, durch. Die schwellende Form wich den Ausdrücken von Klarheit, Ruhe und Maß; es fand eine Verwandlung in das flächengebundene Ornament des Rocaille statt. Farblich zum Ausdruck kommend in der Umwandlung vorher vorzugsweise zur Anwendung gekommener, dynamischer Rottöne in kühlere, festere Farben, wie hier in kräftig leuchtende Blau-Nuancen.

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Abb. 8: Tondo C3 (um 1680)

Vor dem zu unternehmenden Versuch einer Behandlung der mit den bildlichen Darstellungen innerhalb der Tondi -Umrahmungen im Zusammenhang stehenden Fragen, soll hinsichtlich des verbindenden Ranken- bzw. maßwerkähnlichen Ornamenten-Werks die zunächst unübersichtliche Situation in den Fragen der räumlichen Anlage (Abb. 1) sowie der zeitlichen Entstehung zusammenfassend herausgestellt werden:

Fassungen bis zur Höhe des Deckenbalkens 6 1733,
in Höhe der Deckenbalken 6 – 9 um etwa 1680,
der Deckenbalken 9 – 11 1733,
der Deckenbalken 15/16 und 17/18 um 1625
und der Deckenbalken 19/20 um etwa 1680.

Nach Abschluß des folgenden Klärungsversuchs in Fragen der künstlerischen Konzeption soll an die vorstehende Darstellung einer vorerst unübersichtlich erscheinenden Gesamtanlage, verbindend angeschlossen werden.

Wenn vorerst der Verfasser die stilkritische Betrachtung auf die Bildteile der Tondi lenkt, so darf er schon anfangs darauf hinweisen, daß hier im kunstgeschichtlichen Sinne eklatant.e Ergebnisse nicht zu erwarten sind. Der heutige Betrachter vermag dem offensichtlichen Manierismus dieser naturalistisch-idealisierenden Darstellungen nur schwerlich Geschmack abgewinnen; er mag sich als Mensch eines hochtechnisierten Zeitalters dieser aus rührender Einfalt und gläubiger Überzeugung geschaffenen, emblematischen Darstellungen haushoch überlegen fühlen.

Nichtsdestoweniger bedürfen diese bildhistorischen Zeugnisse einer eingehenden Betrachtung schon deshalb, weil auch sie die Kriterien einer unbestreitbaren Tatsache sind: Träger des Barock im norddeutschen

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Abb. 17: Emblematische Darstellung aus dem „Politischen Schatzkästlein von Daniel Meißner 1623/1631″

Raum waren vor allem die ländlichen Gemeinden 8). Dieses mit der Position einer überaus umfassend empfindenden Darstellung des Raumes, auch für die deckenmäßige Fassung dieses Gotteshauses zutreffend und damit für den hier geschaffenen ,,Rural-Barock“; der Negation einer manieristischen Darstellung, die ästhetisch nicht immer befriedigen mag, dazu die Fakten der Feststellung H. Th. MUSPERS hinsichtlich der Gotischen Malerei von „… dem etwas zum Breiten, Kollektiven neigenden niederdeutschen Schaffen, das ständig in Gefahr war sich zu wiederholen. Die Themen, die Aufgaben waren allzu oft die gleichen und führten mehr als in anderen Landschaften zu einer gewissen Monotonie“ 9), die durchaus auch für die Malerei des norddeutschen Barock’s zutreffend sind.

Nicht zu übersehen ist hinsichtlich der emblematischen Natur der Darstellungen eine bestechende Ähnlichkeit mit den Abbildungen der während der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts weitverbreiteten, sogenannten Emblembüchern „… einer Kunstform, die durch Vereinigung von Wort und Bild, durch sinnliches Darstellen unsinnlicher Begriffe, als ein in sich geschlossenes allegorisches Gebilde erscheint“10). Man vergleiche die Allegorien der „Hand Gottes“ in den Darstellungen der Tondi d4, e1 und e2 (Abb. 12, 15 und 16) mit der dem „Politischen Schatzkästlein von Daniel Meißner, Verlag Eberhard Kieser, Frankfurt 1623/1631″ entnommenen, den Ort Eutin betreffenden Darstellung (Abb. 17) [Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Karl-Wachholtz-Verlages Neumünster]11). Beide Formen der Darstellungen, die der Emblembücher sowie die der Bramstedter Fassungen, können in der ihrer Basis zugrunde liegenden Konzeption den Einfluß ARNDT’scher Mystifikation nicht verleugnen. Der aus dem Anhaltischen stammende Johannes ARNDT, im Rahmen seiner „Bücher vom Wahren Christentum“ oft anlehnend an die frommen Mystiker der katholischen Kirche12), gehört noch nicht zu den „Aufklärern“. Seine gelehrte Abhandlung „Ikonographia“, im Jahre 1596 der Herzogin Anna zu Sachsen/Jülich dediziert, muß jedoch als bedeutender Beitrag zur Klärung in Fragen des auch nach der Reformation anstehenden Bilderstreites angesehen werden:

„Die Bilder, so ihren Ursprung auß der Natur nehmen, haben einen recht artigen und fürtrefflichen Brauch und Nutz in geistlichen und weltlichen Händeln, darauff so wisset, daß die Natur ihrem Schöpffer nachahme…

…Weil nun die Natur sich so gewaltig auß Gottes Ordnung durch Bilder offenbahret, so ist es nicht allein nicht unrecht oder gottloß, solche Bilder zu haben, sondern es ist eine große Gottlosigkeit und Unwissenheit, dieselbe verwerffen un verachten.“13)

ARNDT, als Hauptvertreter der erbaulichen Schriftstellerei, hat sich lange im Bewußtsein der ländlichen Bevölkerung Norddeutschlands gehalten, diese Tatsache läßt sich bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts hinein verfolgen12).Den Feststellungen Quitzau2) und HAUPT3) hinsichtlich der auf ARNDT beruhenden Konzeption ist also beizupflichten.

Die Betrachtung der Deckenfassung mit der schon erwähnten, ins Auge fallenden, zunächst unübersichtlich erscheinenden Gesamtanlage, läßt zusammen mit möglich gewesener Einblicknahme in Deckenbalken- und Dachstuhl -Konstruktion den Nachweis früheren Vorhandenseins von V i e r u n g und z w e i t e m Turm zu.

Die Rekonstruktion der Deckenfassung (Abb. 1) in Höhe der Balkenlagen 5 – 10 gibt auf einen Blick zu erkennen, daß die F u ß p u n kt e der Tondi den Seiten eines durch die Deckenbalken gebildeten Q u a d r a t e s zugewendet sind. Es ist also die Konstatierung einer z e n t r a 1 e n Komposition, ein „auf diesen Punkt“ aufmerksam machender, durch richtungweisende Anlage der Deckenfassung zum Ausdruck kommender, hinführender Moment zu verzeichnen.

Die in der Deckenbalkenkonstruktion bis zu den Quadratseiten laufenden Balken 7 und 8 sind im Quadratinnern nachträglich ergänzt worden (Abb. 18). Es handelt sich hierbei um Nadelholz oh n e Bemalung im Gegensatz zur gefaßten Eiche des alten Balkenwerks (Abb. 19). Hieraus sowie aus der Tatsache, daß die Bohlenlage des Quadratinnern ebenfalls u n bemalt war, läßt sich mit Sicherheit folgender Schluß leiten: Ursprünglich war innerhalb des Balkenquadrates ein Deckenabschluß n i c h t vorhanden. Die Tatsache, daß auch die Dachstuhlkonstruktion auf der Basis dieses Quadrates nach oben in den Gesamt-Dachstuhl bis kurz unterhalb Firsthöhe hineinführend, aufgerichtet ist (Abb. 20), läßt schon daraus die Vermutung zu, daß hier der Platz eines zweiten Turmes gewesen sein muß. Eines zweiten Turmes, der mit Sicherheit einmal dagewesen ist, der u.a. im Kirchenbuch unter den Ausgaben des Jahres 1578 Erwähnung mit der Eintragung findet

 

„Vor de Karken desülwe ny tho decken, dat Kinderhus tho maken …
Vor de beiden Torme, den kleenen nye tho bauen und den groten uttobetern …“5)

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Abb. 18: Kirchenboden/Deckenbalken-Quadrat. Seitenbalken Südseite und Ergänzungen der Querbalken 7 und 8

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Abb. 19: Kirchenboden/Deckenbalken-Quadrat. Im Vordergrund gefaßter, durchlaufender Querbalken 9, in der Bildmitte ungefaßte Ergänzungen 8 und 7 (links) mit den alten gefaßten Ralken 8 und 7 (rechts)

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Abb. 20: Kirchenboden/Deckenbalken-Quadrat mit entsprechender Dachstuhl-Konstruktion (Teilansicht) ersichtlich

 

Nach HARBECK3) „1595 wieder „tholage“, weil die kirche mit weiteren zwei Glocken ausgestattet werden sollte; es waren ja zwei Türme vorhanden.“ Der durch HARBECK aufgeworfene Fragenkomplex „zweiter Turm, Beinhaus, Kinderhaus“ gerät unversehens in helles Licht.

Die hier zu führende Argumentation findet außer durch bauliche Funde eine sichere Stütze in dem dänischen Mathematikprofessor Marcus JORDANUS, der als Urheber der ersten Spezialkarte Schleswig-Holsteins gilt; durch eine Pest 1550 oder 1553 arbeitslos, hatte er Dänemark und die Herzogtümer kartographisch aufgenommen und 1559 eine Karte stechen lassen14) [Abb. s. Jahrbuch 1962]. WEGEMANN’s Feststellungen „Alle – Orte – sind durch Aufrißansichten wiedergegeben, so daß man oft den Eindruck gewinnt, als ob der Zeichner mehr als ein bloßes Symbol damit gegeben hat.14) finden Ergänzung durch P. KÄRST, der diese Karte als ein Dokument künstlerischer Sorgfalt und Gestaltungskraft bezeichnet, der die offensichtliche Individualität ihres Urhebers und ebenfalls mehr als symbolhafte Darstellung erkennt, der von Burgen und Kirchen in vielfältiger Darstellung spricht 15) [s. Jahrbuch 1962 Seite 74]. Die Karte JORDANUS zeigt in der Darstellung „Bramsted“ eine Kirche mit z w e i Türmen, einem großen West-Turm und einem kleinen Turm in der Mitte des Kirchenschiffs (Abb. 21). Die Karte soll zum Abschluß nochmals Gegenstand einer mehr abweichenden, jedoch für die Ortsgeschichte wichtigen Betrachtung sein.

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Abb. 21: Karte JORDANUS 1559 Ausschnitt „Bramsted“: Kirche mit zwei Türmen

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Abb. 24: Altes Siegel der Kirchengemeinde

Eng mit dem Vorhandensein eines zweiten Turmes, den wir uns als Dachreiter vorzustellen haben – mit Sicherheit vorhanden gewesen während des 16. Jahrhunderts –, muß der Komplex „seitliche Anbauten“ betrachtet werden. QUITZAU’s Angabe „ursprünglich ist sie eine Kreuzkirche gewesen“1), die auch HARBECK führt3), dürfen wohl als vag bezeichnet werden, wenn auch das äußere Mauerwerk des Kirchenschiffs in Höhe der Balkenlagen des Deckenbalken -Quadrates noch heute sicher Zeugnis von früher vorhanden gewesenen Anbauten und in späterer Zeit ausgefüllten Bruchlücken zeigt (Abb. 22, 23). Hier werden sich kleinere Anbauten befunden haben, mit großer Wahrscheinlichkeit an der Nordseite; mit Sicherheit an der Südseite, was der Abdruck des alten Kirchens i e g e l s beweist (Abb. 24). Die alten seitlichen Anbauten befanden sich n i c h t in Höhe des jetzigen Süd-Anbaues, sondern ihre Lage war identisch mit den noch heute erkenntlichen Mauerauffüllungen sowie des Deckenbalken-Quadrates (Abb. 1). In Höhe des jetzigen Süd -Anbaues hatte sich dagegen ein separater, außen befindlicher Treppenaufgang zur inneren Empore befunden. Die hierhin führende Tür ist noch heute vorhanden (Abb. 25), der Rundbogen der Türöffnung war durch die erste Ausführung des Anbaues zum Teil übermauert gewesen.

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Abb. 22: Kirchenschiffmauer Nordseite. Mauerauffüllungen am linken Bildrand ersichtlich Abb. 23: Kirchenschiffmauer Südseite. Mauerauffüllungen am rechten Bildrand ersichtlich

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Abb. 25: Kirchenschiffmauer Südseite. Zustand nach Abbruch des Südportal-Anbaues 1961, obere Türöffnung mittelalterlicher Zugang zur Empore

Es steht dringend die Klärung der Frage an, ob die hier im Zusammenhang mit den seitlichen – sicherlich in räumlicher Verbindung mit dem Kirchenschiff geschaffenen – Anbauten und dem darüber befindlichen

zweiten Turm mit wahrscheinlich offenem Dachstuhl sich zeigende Vierung eine Bedeutung in liturgischer Hinsicht besessen hat? Feststellungen in dieser Beziehung dürften Einblicke bringen, die eine in absehbarer Zeit vorgesehene Renovierung des Fußbodens innerhalb der Kirche bieten wird. Obwohl solchen Erkenntnissen nicht vorgegriffen werden soll, kann heute bereits auf die bevorzugte Stellung der Vierung im Rahmen des sakralen Raumes während Mittelalter und um Beginn der Neuzeit – durch die vorliegende raumkompositorische Anordnung der Decken – T o n d i zentralliturgische Orientierung aufzeigend – hingewiesen werden. Abgesehen davon, daß Grund zu der Annahme bestehen mag, man dürfe aus dem romanischen Ursprung dieses Kirchenbaues2) die frühe Anlage einer Vierung mit durch einen Dachreiter angedeuteten Vierungsturm sowieso herleiten, muß jedoch heute die bisher großzügig bejahte Frage „Kreuzkirche?“, eventuell nur als Folgerung aus der gedanklichen Fortführung einer solchen oder ähnlichen Annahme, als voreilig angesehen werden.

Bei der Erörterung dieses Komplexes dürfte abschließend erwähnenswert sein, daß QUITZAU’s Angaben über im Jahre 1876 vorgefundene 600 – 700 Jahre alte Grundmauer-Spuren an der Westseite der Kirche1), die auch HAUPT als „uralte Grundmauer-Reste“ bezeichnet2), als auch für die Südseite zutreffend zu bestätigen sind. Anläßlich Umgestaltung des Süd -Anbaues konnten Untersuchungen hierüber angestellt werden. Der für die hier ca. 1,20 m starke kompakte Ziegelsteinmauer aus mächtigen Granitfindlingen gemauerte Grund trat klar ersichtlich zutage (Abb. 26).

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Abb. 26: Kirchenschiffmauer Südseite. Zustand nach Abbruch des Südportal-Anbaues 1961, freigelegte Grundmauer aus Oranitfindlingen

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Abb. 27: Turm, innen. Kapitäl des geschnitzten Eichenholzpfeilers aus der Gründungszeit des Gotteshauses, im 17. Jahrh. als Abbruchholz verbaut

Wenn bisher und auch heutzutage baugeschichtliche oder kunstkritische Klärungsversuche, die relativ „unbedeutende Kriterien“ (wenn hier solche Relation überhaupt je zutreffend sein kann! D. Verf.) beinhalten, kaum Aufmerksamkeit erregen noch Interesse erwecken, so sollte doch im Grundsätzlichen nicht übersehen werden, daß der „bäuerliche“ Mensch – durch Tagereisen von der „kunstübenden“ Metropole entfernt gewesen – um die Verwirklichung s e i n e r „Raumideen“ aus dem „Raumgefühl“ s e i n e r Zeit fortlaufend bemüht war. Dieses so umfassend und tief, wie es heute kaum für denkbar erachtet werden mag. So bekräftigt gerade diese Tatsache mehr als Worte ein an vergessener, unzugänglicher Stelle der inneren Turmkonstruktion um den Anfang des 17. Jahrhunderts als Abbruchholz verbauter Eichenholzpfeiler, gestaltet als Schnitzwerk von klassischem Ebenmaß und archaischer Schönheit (Abb. 27). daß es sich hierbei um den mutmaßlich letzten Zeugen handelt, der hinweist auf die künstlerische Kraft und Reife des gestalteten Sakral-Raumes dieses ehrwürdigen Gotteshauses während seiner Gründungszeit, darf als höchstwahrscheinlich gelten.

Abschließend möge dem Verfasser im Zusammenhang mit der Betrachtung „Karte JORDANUS“ noch die Feststellung gestattet sein, daß auch in ortsgeschichtlicher Hinsicht hier überraschende Momente zutage treten. Die Karte JORDANUS beweist eindeutig, daß Bramstedt zum Zeitpunkt ihrer Schaffung, also 1550 oder 1553, bereits einen R o l a n d besessen hatte. Wie der durch einen phototechnischen Kunstgriff in seinen Konturen zum Teil zurückgehaltene, jedoch unverfälschte, Kartenausschnitt

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Abb. 28: Ausschnitt Karte JORDANUS 1559 „Bramsted“ mit hervortretender Darstellung der Rolandsäule

mit der Aufrißzeichnung „Bramsted“ nunmehr deutlich zeigt (Abb. 28), handelt es sich neben anderem zweifelsohne um die Darstellung einer Rolandfigur, hinsichtlich Schwert- und Schildhaltung ähnlich dem Roland des alten Wedeler Wappens [Abb, s. Jahrbuch 1958 Seite 39]. Die älteste schriftliche Erwähnung des Rolands zu Bramstedt durch H. RANTZAU 1590 dürfte somit durch JORDANUS Wiedergabe um 37 bis 40 Jahre vorverlegt sein.

Die seit 1952 durch M. RÖSTERMUNDT 16) mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad entwickelte Theorie über die Bramstedter Rolande v o r 1590″) [s. Jahrbuch 1958, Seiten 39 – 40] könnte – wo sie sich mit der Frage der zeitlichen Aufstellung befaßt – als bedeutend gestützt und – sofern sie Art und Aussehen der Rolande betrifft – als gesichert betrachtet werden.

 


Quellenangabe:
1) Bramstedter Nachrichten, Jahrg. 1879: Quitzau, C. S. F., Die Kirche zu Bramstedt
2) Haupt, R., Die Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Schleswig-Holstein, Heide/H.
3) Harbeck, H. H., Chronik von Bramstedt, Hamburg 1959
4) Hamann, R., Geschichte der Kunst, Berlin 1932 5)
5) Archiv der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Bad Bramstedt
6) Desowag-Chemie, Düsseldorf, Dr. R. Wahls, Gutachten vom .4.04.1962
7) Bei dieser Gelegenheit habe ich mich für mir gegebene wertvolle Hinweise zur Durchführung meiner Arbeiten durch Überlassung des Vortrages – Dr. R. Wahls, Desowag-Chemie, Düsseldorf Die Xylamon-Holzschutztechnik im Dienste der Erhaltung europäischer Holzkunstschätze, London 1955 – zu bedanken
8) Lützeler, H., Bildwörterbuch der Kunst, Bonn 1961
9) Musper, H. Th., Gotische Malerei nördlich der Alpen (Abschnitt Lübeck), Köln 1961
10) Klose, O. und Martius, L., Ortsansichten und Stadtpläne der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, Neumünster 1962 – Teil I
11) dto. dto., – Teil II (Bildband)
12) Preuschen, E., Kirchengeschichte, Reutlingen 1908
13)Arndt, Johs., Sonderbahre Schriften / Der Vierdte Theil, Ikonographia; Gründlicher und Christlicher Bericht von Bildern, Ihren Ursprung, rechten Gebrauch und Mißbrauch etc., IX. Capitel, Frankfurt 1688
14) Die Heimat, Monatsschrift des Vereins zur Pflege der Natur- und Landeskunde in Schleswig-Holstein pp., Januar 1923, 33. Jahrg., Nr. 1: Wegemann, Kiel, Die älteste Karte von Schleswig-Holstein
15) Heimatkundliches Jahrbuch für den Kreis Segeberg 1962: Kärst, P., Unsere Heimat im Kartenbild vergangener Zeiten, Teil 1
16) Röstermundt, M., Der Roland und seine Welt, Neumünster 1952
17) Heimatkundliches Jahrbuch für den Kreis Segeberg 1958: Röstermundt, M., Bad Bramstedt – Der Roland und seine Ahnen / Roland der Ochsenmärkte


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