Matthee: Elitenbildung in der Kommunalpolitik

Elitenbildung in der kommunalen Politik

Eine Untersuchung
über die Zirkulation der politischen Führungsgruppen
am Beispiel des Kreises Segeberg

Dissertation
zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät
der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

vorgelegt von
Ulrich Matthée
Kiel 1967

Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Prof. Dr. Dr. Ulrich Matthée (http://www.matthee.org) steht hier der gesamte Text (große Datei, 10 MB) der Dissertation zur Verfügung.
Der Auszug für Bad Bramstedt ist zudem im ff. wiedergegeben.


Auszug: S. 87 ff

Die städtischen Eliten
5. Bad Bramstedt

Weniger deutlich, und nur in Ansätzen klar erkennbar, zeichnet sich die Hegemonie einzelner Familien in Bad Bramstedt ab. Dort hat der starke Bevölkerungszuwachs seit 1945 zu einer Umschichtung der Eliten geführt, die über die unmittelbare Nachkriegs­phase hinaus das Monopol der alten Familien erschütterte. Die traditionell führenden kaufmännischen und großbäuerlichen Gruppen wurden in zunehmendem Maße von konkurrierenden, meist neubürgerlichen Bevölkerungsschichten bedrängt, die sich in der SPD, dem früheren BHE sowie als Minderheit in der CDU sammelten. Trotzdem wurden die etablierten Eliten nie vollständig eliminiert, vielmehr erfuhren sie während der letzten Jahre parallel mit dem Rückgang des BHE eine Renaissance ihrer Herrschaft. Im Gegensatz zu den bäuerlichen Gemeinden gelang die Rückkehr zum traditionellen Herrschaftsgefüge in Bad Bramstedt weniger vollständig und erst erheblich später als 1951.[ 31]
Ihren institutionellen Rückhalt finden die alten Familien im der sog. „Vogelgilde“, einem exklusiven Schützenverein mit strengem Aufnahmereglement, dem die alten Oberschichten der Stadt angehören. Seine Vorstandschaft rekrutiert sich aus den angesehensten Familien der Stadt, und zwar aus den Bornhöfts und den Warnemündes [32], ferner gehören die Familien Thomsen, Wrage, Schnoor, Kohl, Haack, Harm , Dehn und Mohr als weitere prominente Mitglieder dem Verein an. Unter ihnen können die Bornhöfts als die politisch Einflußreichsten gelten, obwohl sie keine herausgehobenen politischen Funktionen wahrnehmen. Bornhöft sen. konnte es sich sogar leisten, das ihm mehrfach angebotene Amt des Bürgervorstehers auszuschlagen. [33]

Überhaupt fällt bei den städtischen Eliten die geringere Überschneidung von politisch-gesellschaftlicher Macht und politischen Institutionen auf.
Die von Bornhöft angeführte „Fraktion“ der führenden Familien in der Stadtverordneten­versammlung geht quer durch die beiden bürgerlichen Parteien und umfaßt mindestens acht von 20 Abgeordneten (Sitzverteilung nach den Wahlen vom März 1966: CDU – 10, FDP – 4, SPD – 5, BHE – 1). [34]

Neben Bornhöft sen. und jun. tritt der Schwiegersohn Schnoor jun., ferner der ehemalige FDP -Kreistagsabgeordnete Thomsen, ein Schwager des Bürgermeisters der Nachbargemeinde Hitzhusen und Amtsvorstehers des Amtes Bad Bramstedt-Land, G. Freudenthal, und Schwiegersohn des langjährigen Bramstedter Bürgermeisters Freudenthal. Der Gruppe gehören außerdem der Kreistagsabgeordnete und, Stadtrat Wrage und dessen Verwandter Harm an. Ferner Warnemünde, ein Sohn des ehemaligen Bürgermeisters und Kreisausschußmitgliedes und schließlich der Kreistagsabgeordnete und 1. Stadtrat Haack an. In den weiteren Kreis dieser sog. Gruppe Bornhöft treten zwei Neubürger ein, und zwar der Bürgervorsteher Schnack (a) und der CDU-Ortsverbands­vorsitzende und 4. Stadtrat Schmidt.(b)
Mit zwei Ausnahmen, den mit Bornhöft verwandten Kohls und den Dehns, sind alle führenden Kaufmannsfamilien in dieser Gruppe vertreten, wobei das Fehlen der Dehns ein Generationsproblem darstellt, da der im Kreistag und im Stadtparlament führende Dehn sen. vor einigen Jahren verstarb. [35](c)
Innerhalb der Gruppe Bornhöft fällt eine gewisse Differenzierung zwischen den allgemeinen politischen Funktionen und der reinen Parteiarbeit auf, wobei letzterer die Neubürger zuzuordnen sind.
Die starke Kohäsion der Führungsgruppe resultiert neben der verwandtschaftlichen Verflechtung nicht zuletzt aus einer Abwehrsituation innerhalb eines schnell wachsenden Gemeinwesens.
Der Herrschaftsanspruch der alten Eliten wird hier nicht so bedingungslos anerkannt wie in den Bauerndörfern. Für die Familienherrschaft bedeutet das eine Entkleidung ihrer Legitimität. Im Unterschied zu den rein bäuerlichen Eliten wird das Beharrungsvermögen hier nicht so sehr durch die Kontinuität der Ämter sichtbar, sondern findet seinen Ausdruck vielmehr in einer flexiblen Politik der alten Familien. Diese lassen vorüber­gehend auch andere Schichten zumindestens nominell an der Herrschaft partizipieren, die Ämter werden häufiger umbesetzt, wenngleich das Schwergewicht der politischen Macht sich dadurch nicht verlagert. Das erschwert eine exakte Analyse der Familienherrschaft von den Institutionen her. Trotzdem wird aus dem Gesagten deutlich, daß Familienherr­schaft auch in Städten wirksam werden kann.
Ihre etwas zwielichtige Stellung im städtischen Bereich ergibt sich auch aus dem Umstand, daß die städtischen Eliten nicht nur auf die Erhaltung der konventionellen Sozialstruktur um der überlieferten Lebensweise bedacht sind, sondern darüber hinaus auch unter dem Einfluß raumordnerischer und anderer politischer Gesichtspunkte massive wirtschaftliche Interessen gegenüber ihren Kommunen vertreten.


[31] Von 1952 bis 1955 stellte der BHE den Bürgervorsteher, der politische Durchbruch der alten Eliten gelang erst bei den Wahlen von 1962 und 1966
[32] Nach Angaben des Stadtverordneten und Bürgervorstehers a.D. Lieck
[33] Nach Angaben Lieck
[34] Nach Angaben Lieck
[35] Angaben der Verwandschaftsverhältnisse durch Lieck


soweit Matthée
Anmerkungen aus der Nachschau:
(a) Schnacks Schwiegersohn, Peter Glöer, zog 1970 in die Stadtverordnetenversammlung für die CDU ein.
Nach Schnack rückte der Neubürger und Rektor der Realschule Friedmund Wieland in die Stadtverordnetenversammlung ein und stieg zum Bürgervorsteher auf.
(b) Kurt Schmidt wurde nach der Kommunalwahl 1970 von der Gruppe Bornhöft aus den Ämtern des Ortsverbandsvorsitzenden und Magistratsmitgliedes gedrängt, nachdem er führende Positionen für sich beanspruchen wollte.
(c) Anmerkung Hansmann gelöscht 16.1.2016, da unzutreffend

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