Heinacher: Die Anfänge des Nationalsozialismus im Kreis Segeberg

Abdruck mit freundlicher Zustimmung von Herrn Dr. Ulrich March

PETER HEINACHER

DIE ANFÄNGE DES NATIONALSOZIALISMUS IM KREIS SEGEBERG

SCHRIFTENREIHE
DER JÜRGEN-FUHLENDORF-SCHULE
Herausgegeben von H. F. Benthe und U. March
HEFT 2
Bad Bramstedt 1976
Herstellung: Druckerei und Verlag H. Sönksen, Plön

Das hiermit vorgelegte Heft 2 der Schriftenreihe der Jürgen-Fuhlendorf-Schule, in deren Rahmen vor allem überdurchschnittliche Schülerarbeiten, aber auch wissenschaftliche Veröffentlichungen von Lehrern erscheinen sollen, enthält die regionalgeschichtlich bedeutsamen Teile einer zur Abiturprüfung im Frühjahr 1975 eingereichten Facharbeit. Die Untersuchung ist hervorgegangen aus einem Leistungskurs Gemeinschaftskunde, der von September 1972 bis Mai 1975 unter der Leitung von Herrn Studiendirektor Meyer an der Jürgen-Fuhlendorf-Schule stattfand. Die Drucklegung erfolgte mit dankenswerter Unterstützung des Kreises Segeberg, der Stadt Bad Bramstedt, der Universitätsgesellschaft und des Fördervereins der JFS; für die Unterstützung des Heftes 1 („Die Bevölkerungsstruktur Bad Bramstedts“) haben wir außer den seinerzeit genannten Mäzenen noch der Firma Emil Dittmer, Neumünster/Großenaspe, der Kreissparkasse Segeberg, der Vereins- und Westbank sowie der Volksbank jeweils Zweigstelle Bad Bramstedt zu danken.
Es versteht sich von selbst, daß die vorliegende Arbeit keine Auseinandersetzung mit dem politischen System und der Ideologie des Nationalsozialismus darstellt. Sie ist vielmehr als sachlich und zeitlich begrenzter, aber quellenmäßig fundierter Beitrag zur regionalen Parteiengeschichte zu sehen ein kleines Steinchen im bunten Mosaik der modernen landesgeschichtlichen Forschung

Professor Dr. H. F. B e n t h e
Vorsitzender des Schulelternbeirats

Dr. Ulrich March
Oberstudiendirektor


Inhalt

Voraussetzungen und erste Ansätze der NS-Bewegung in Schleswig-Holstein S. 7
Stützpunktbildung und erste Propagandatätigkeit im Kreis Segeberg S. 10
Ausbau der Organisation und Steigerung der Aktivität …. S. 12
Die NSDAP als stärkste Partei des Kreises Segeberg …. S. 15
Quellenanhang (ausgewählte Pressedokumente) S. 19
Literaturverzeichnis S. 24

1. Voraussetzungen und erste Ansätze der NS-Bewegung in Schleswig-Holstein

Obwohl Schleswig-Holstein zwischen 1871 und 1914 stets einen bemerkenswert hohen Anteil linksliberaler und sozialdemokratischer Wählerstimmen aufwies und bei den letzten Reichstagswahlen vor dem Ersten Weltkrieg nach Sachsen den höchsten Prozentsatz linksoppositioneller Stimmen von allen deutschen Wahlbezirken erreichte, wurde die Provinz seit dem Frühjahr 1929 innerhalb weniger Monate zu einer Hochburg der nationalsozialistischen Bewegung; am 31. Juli 1932 stimmten 51 Prozent der Schleswig-Holsteiner für die Liste der NSDAP, die damit erstmals in einem Wahlbezirk des Reiches die absolute Mehrheit erzielte. Die Abwendung breiter Wählerschichten von den liberalen und demokratischen Gruppierungen, die nach dem Weltkrieg als die Weimarer Parteien der Mitte in Erscheinung treten 1), der Aufstieg der radikalen Flügelparteien, die Verschärfung der innenpolitischen Gegensätze und insbesondere die grundlegende politische Neuorientierung der ländlichen Bevölkerung lassen sich in Schleswig-Holstein deutlicher beobachten als in den meisten anderen Gebieten Deutschlands.
Wenngleich die NSDAP bereits seit den Reichstagswahlen des Jahres 1924 in Schleswig-Holstein Stimmen erhielt, kam es erst 1926 in Altona, Kiel und Neumünster zur Bildung kleinerer Parteigruppen. Ende 1926 übernahm der Altonaer Bankbeamte Hinrich Lohse, der zuvor als Landesgeschäftsführer und Redner der Deutschvölkischen Partei hervorgetreten war, den Aufbau der NSDAP in der Provinz. 1927 wurde eine provisorische Gaugeschäftsstelle in Ahrensburg eingerichtet. Lohse, der aus dem Dorf Mühlenbarbek bei Kellinghusen (Kreis Steinburg) stammte, wandte sich in seiner Propaganda von Anfang an vor allem an das Bauerntum. Es gelang ihm in seinem Heimatbezirk auf der Steinburger Geest, und zwar im Bereich des Lockstedter Lagers (nordöstlich Itzehoe), Ende 1927 einige Ortsgruppen und kleinere SA-Abteilungen zu formieren. Das Lockstedter Lager, bis 1918 Truppenübungsplatz (unter anderem wurden hier die ersten finnischen Einheiten ausgebildet), war nach dem Krieg eine Siedlungsgemeinde ehemaliger Freikorpskämpfer geworden und seit 1920 stets ein Zentrum völkischer Verbände und rechtsextremer Gruppen gewesen.
Die weitere Entwicklung der Partei muß dann im Zusammenhang mit der Agrarkrise gesehen werden 2), die in der Schlußphase der Weimarer Republik in weiten Teilen des Reiches zu beobachten ist und die sich in Schleswig -Holstein besonders heftig auswirkte. Nicht nur die im Vergleich zur Vorkriegszeit erheblich drückendere Zinsenlast, sondern auch die gestiegenen Lohnkosten und Sozialabgaben hatten sich für die Landwirtschaft bereits seit Jahren als nachteilig erwiesen. Mit dem Stocken des industriellen Aufschwungs in der zweiten Hälfte des Jahres 1927 fielen die Preise für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse; hinzu kamen gerade damals als Folge langer Regenperioden ungewöhnlich schlechte Ernteerträge.
Erste Anzeichen für das Einsetzen der Agrarkrise waren die zunehmenden Zwangsversteigerungen landwirtschaftlicher Grundstücke. In den Jahren 1926 und 1928 stand Schleswig-Holstein hinsichtlich der Zahl der zwangsversteigerten Grundstücke an der Spitze der westlichen Provinzen Preußens. Es fällt auf, daß im Kreis Segeberg die ersten Betriebe erst im Jahre 1927 zwangsversteigert wurden, während in vielen Kreisen Schleswig-Holsteins die ersten Zwangsversteigerungen bereits 1925 erfolgten 3). Aufschlußreich ist ferner die Tatsache, daß der Kreis Dithmarschen, in dem die NSDAP zuerst festen Fuß zu fassen vermochte, in fast allen Jahren die Tabelle der Zwangsversteigerungen anführte. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß nicht nur die bäuerliche Bevölkerung, sondern in großem Umfang auch die von der Landwirtschaft abhängigen Händler und Handwerker durch die krisenhafte Entwicklung betroffen waren. Ab Oktober 1927 war die Unruhe unter der bäuerlichen Bevölkerung Schleswig-Holsteins besonders groß. In der ganzen Provinz wurden Protestkundgebungen veranstaltet; in den berufsständischen Vertretungen „Bauernverein“, „Kleinbauernverband“ und „Landbund“ kam es zu erregten Debatten.
Zum 28. Januar 1928 rief der Büsumer Hofbesitzer Johannsen zu großen Protestkundgebungen in allen Kreisstädten des Landes auf. 140 000 Anhänger der „Landvolkbewegung“ brachen auf. In Husum, Niebüll, Rendsburg, Schleswig, Flensburg, Eckernförde, Neumünster, Plön, Segeberg, Oldesloe, Ratzeburg, Itzehoe und anderen Orten sprachen auf 20 Veranstaltungen Berufskollegen zu ihnen und griffen teilweise nicht nur die Wirtschaftspolitik der Regierung, sondern das ganze „Weimarer System“ scharf an.
Mit dem Marsch der 140 000 wurde eine zunächst noch nicht politisch organisierte Bewegung im Landvolk eingeleitet, die die Auflösungserscheinungen in den bisherigen berufsständischen Organisationen vorantrieb. Ferner wurden eine zunehmende Radikalisierung und die politische Heimatlosigkeit der ländlichen Bevölkerung offenkundig. Anfang 1929 veranstaltete die Landvolkbewegung in Schleswig-Holstein mit kleinen Gruppen aus Handwerk, Handel und Gewerbe und einzelnen Arbeitern an verschiedenen Orten Protestkundgebungen; offen wurde zum Widerstand aufgerufen.
Die Behörden reagierten schnell. Wegen Aufrufs zum Steuerboykott und des Versuchs der Ausschaltung der legalen Selbstverwaltungsorgane wurden sofort die öffentlichen Versammlungen der „Nothilfe“ ebenso wie die der NSDAP und KPD verboten.
Von Anfang an versuchte die NSDAP, die durch die Agrarkrise eingetretene wirtschaftlich-politische Situation für ihre Ziele zu nutzen. Die Mitgliederzahl in der Provinz stieg von etwa 800 am 1. 1. 1928 auf fast 2000 im Mai und 4000 am Jahresende; besonders in den Hauptunruheherden der Westküste wurde die Partei aktiv und gründete eine Reihe von Ortsgruppen.

Am 14.10.1928 sprach Hitler erstmals in Schleswig-Holstein vor 10 000 Zuhörern auf dem Heider Marktplatz. Der entscheidende Durchbruch – besonders in Dithmarschen – gelang der NSDAP nach der „Blutnacht von Wöhrden“. Bei einer NS-Versammlung war es dort zu einer Schlägerei mit Kommunisten gekommen, bei der zwei junge SA -Männer getötet wurden. Sieben Personen wurden schwer, 23 leicht verletzt. Trotz des bestehenden Versammlungs- und Uniformverbots nutzte die Partei die Beerdigungsfeiern in St. Annen und Albersdorf zu einer politischen Demonstration aus. Hitler und Gauleiter Lohse sprachen an den Gräbern und griffen dabei nicht nur die Kommunisten, sondern auch die Repräsentanten des Weimarer Staates scharf an 4).
Das Erscheinen Hitlers und der Parteispitze blieb nicht ohne Wirkung; die NS-Bewegung hatte deutlich an Popularität gewonnen. In der Hochburg Albersdorf stieg die Mitgliederzahl in drei Tagen von etwa 220 auf über 300, während in Schleswig-Holstein innerhalb einer Woche lediglich ein Zuwachs von gut 500 Mitgliedern zu verzeichnen war (damalige Mitgliederzahl in Schleswig-Holstein: 8000 5).

2. Stützpunktbildung und erste Propagandatätigkeit im Kreis Segeberg

Der weitere Aufstieg der Partei ist im Zusammenhang mit den Ereignissen im Reich zu sehen. Bei der Aktion gegen den Young-Plan danach sollte Deutschland jährlich durchschnittlich 2,2 Milliarden Goldmark auf die Dauer von 59 Jahren an die Siegerstaaten zahlen war die NSDAP mit großem Propagandaaufwand an die Öffentlichkeit getreten. Der Erfolg blieb nicht aus. Ein bedeutender Anstieg der NSDAP-Stimmen bei den Landtagswahlen in Baden und Thüringen war die Folge. Erstmalig war die Partei in den Landtagen vertreten; in Thüringen wurde sie an der Regierung beteiligt. Im Stadtrat von Coburg erhielten die Nationalsozialisten sogar die absolute Mehrheit.
Mit dem Einsetzen der Weltwirtschaftskrise im Herbst 1929 vergrößerte sich die Zahl der Unzufriedenen um Millionen; die Arbeitslosenziffern stiegen ständig. Aber nicht nur die Arbeitslosen waren die Leidtragenden der Wirtschaftskrise, sondern auch die vielen Kurzarbeiter und die von den Brüningschen Notverordnungen Betroffenen . Gerade auch in der ländlichen Bevölkerung wuchs die Unzufriedenheit mit der Regierung und dem gesamten politischen System.
Bei den Wahlen zum Reichstag und zum Preußischen Landtag am 20.5.1928 wurden im Wahlkreis 13 (Schleswig -Holstein) 31 814 bzw. 30 046 Stimmen für die NS-Bewegung abgegeben, davon nur 365 im Kreis Segeberg. Der Anteil der nationalsozialistischen Wähler im Kreisgebiet betrug damit lediglich 1,8 Prozent und lag deutlich unter dem schleswig-holsteinischen Durchschnitt (4 Prozent) und auch unter dem Reichsdurchschnitt (2,6 Prozent). Die Bevölkerung des Kreises Segeberg verhält sich also zunächst ausgesprochen ablehnend gegenüber den Parolen der NSDAP.
Einen Tag nach der Wahl berichtet das Segeberger Kreis- und Tageblatt, daß innerhalb der Parteien gewisse Verschiebungen eingetreten seien. Die Sozialdemokraten hätten im Kreis nur 100 Stimmen hinzugewonnen, wesentlich weniger als im Reichsdurchschnitt. Der Rückgang der Deutsch-nationalen Volkspartei sei auch im Kreis zu erkennen. Erhebliche Einbußen hätte auch die Deutsche Demokratische Partei erlitten. Weiter wurde gemeldet, daß die „Völkischen“ einige hundert Stimmen gewonnen hätten; während 1924 die „Nationalsozialistische Freiheitsbewegung“ es auf insgesamt 395 Stimmen gebracht habe, habe diesmal die NSDAP allein 365 Stimmen erhalten 6).
Trotzdem muß man feststellen, daß die nationalsozialistische Bewegung zu diesem Zeitpunkt im Kreis Segeberg (1,8 Prozent) noch keine politische Rolle spielte. Das ist insofern bemerkenswert, als die Partei in Norder-dithmarschen (17,7 Prozent), in Süderdithmarschen (17,2 Prozent) und in Steinburg (10,2 Prozent) die Zehn-Prozent-Grenze übersprang 7). Das Wirken der NSDAP machte sich vorerst nur im westlichen Teil des Kreises Segeberg bemerkbar. Bereits 1928 war es hier zu Gruppenbildungen der nationalsozialistischen Bewegung gekommen. Besonders aktiv waren die Anhänger der NSDAP in Alveslohe. Durch die Initiative des Lehrers Bluhm konnte die Partei in diesem Ort bereits bei der Reichstagswahl am 20. 5. 1928 51 Stimmen gewinnen; sie lag damit nur um eine Stimme hinter der SPD. Wenn auch die Deutschnationale Volkspartei (192 Stimmen) und die Deutsche Volkspartei (132 Stimmen) erheblich besser abschnitten, so war der Stimmenanteil der NSDAP in der kleinen Gemeinde beachtenswert und im Kreisgebiet herausragend. Bluhm bekam dann Schwierigkeiten mit seiner Schulbehörde und trat in den Hintergrund . An seiner Stelle übernahm der damals noch sehr junge Sohn des Mühlenbesitzers Dieckmann, Hans Dieckmann, die Leitung der Propagandatätigkeit. Dieser warb bald auch in den umliegenden Orten weitere Anhänger der Partei. Es ist deutlich zu erkennen, wie die Aktivität der Partei im Kreis Steinburg über die Kreisgrenze nach Osten ausstrahlt. Zwei in der Parteiarbeit führende Personen werden zu der Zeit und später immer wieder genannt: der bereits erwähnte Lohse aus Mühlenbarbek und Struwe , ein Milchkontrolleur aus Fitzbek. Aufgrund seines Berufes kam der letztere oft in den westlichen Teil des Kreises Segeberg und trug durch seine Beziehungen zu den Bauern zu einer Ausweitung des Nationalsozialismus bei.
Weitere Stützpunkte im Kreisgebiet konnte die Partei dann in Föhrden-Barl, Struvenborn und Kaltenkirchen einrichten. In Kaltenkirchen und Umgebung war es Fritz Koch, Struvenhütten, der mit großem Eifer für die Bewegung warb. Sein politisches Wirken spiegelte sich im Landtagswahlergebnis vom 17.11.1929 wider: 101 Wähler stimmten in Kaltenkirchen für die NSDAP.
Im Kreis Segeberg erwies sich offensichtlich das Fehlen einer eigenen Organisation als nachteilig für die Parteiarbeit; die erste NSDAP-Ortsgruppe des Kreises wurde erst am 27.8.1929 in Bad Segeberg gegründet, und zwar im Anschluß an eine öffentliche Versammlung der NSDAP im Hotel Germania, die am 24.8. und 26.8.1929 per Inserat im Segeberger Kreis- und Tageblatt angekündigt war. Die gleiche Zeitung berichtet in ihrer Ausgabe vom 28.8. über die Gründung der Ortsgruppe. Bei dieser Veranstaltung stieß ein junger Mann zur Partei, der schon bald maßgeblichen Einfluß auf die weitere Entwicklung nehmen sollte: der spätere Kreisleiter Stiehr . Herr Stiehr schildert seine erste Begegnung mit der NSDAP wie folgt: Er kam 1926 als junger Getreidekaufmann der Firma Severin nach Bad Segeberg. Bis zu dem Zeitpunkt hatte er sich politisch noch nicht betätigt; er war damals 24 Jahre alt. Am 27.8.1929 beabsichtigte er, an einer angekündigten öffentlichen Versammlung der NSDAP teilzunehmen. Er kannte weder die Ziele der Partei, noch wußte er, wer als Redner auftreten würde. Vor dem Versammlungslokal sah er erstmalig zwei SA-Männer in einer für ihn damals eigenartigen Uniform. Er hatte den Eindruck, so führte er aus, als seien es „Schießbudenfiguren“. Besonders die Kopfbedeckung gefiel ihm nicht; sie hatte etwas Österreichisches an sich.
Von der Rede des späteren Gauleiters Wagner war er dann so begeistert, daß er im Anschluß an die Versammlung mit einigen weiteren Zuhörern die genaue Zahl konnte er nicht nennen der Partei beitrat. Die Gründung der Ortsgruppe wurde sofort beschlossen.

3. Ausbau der Organisation und Steigerung der Aktivität

Nun wurde die Bewegung auch in anderen Orten des Kreisgebietes aktiv. Das geschah vielfach in der Weise, daß Ortsgruppen aus den Nachbarkreisen im Kreis Segeberg tätig wurden, um die hier noch recht schwache Organisation auszubauen. So fand um ein Beispiel zu nennen am 14.9.1929 in Leezen eine öffentliche Versammlung statt, die von der Ortsgruppe Bargteheide veranstaltet wurde. Aber nicht nur in Versammlungen, sondern auch durch mündliche Propaganda der eingetragenen Mitglieder wurde für die Bewegung geworben.
Herr Stiehr berichtet, daß er aufgrund seines Berufes als Getreidekaufmann diese mündliche Propaganda mit Erfolg durchführen konnte. Er war täglich unterwegs und kannte die damalige Notlage der Bauern besonders gut. Durch seinen Beruf hatte er im Kreisgebiet viele meist jüngere Freunde, die sich sofort für die Ziele der Bewegung begeisterten. Sie alle glaubten, nur durch einen Systemwechsel aus der wirtschaftlichen Notlage herauszukommen.
Diese propagandistische Tätigkeit blieb nicht ohne Ergebnis: Bei der Landtagswahl am 17.11.1929 gaben im Kreis Segeberg 1857 Wähler ihre Stimme der NSDAP. Das entspricht einem Stimmenanteil von 9,8 Prozent eine beträchtliche Steigerung gegenüber der Reichstagswahl von 1928 (1,8 Prozent) 8).
Mit immer größerem Erfolg setzte die NSDAP nun im Kreisgebiet ihre Werbeveranstaltungen fort. Immer häufiger auftretende Anzeigen und Berichte im Segeberger Kreis- und Tageblatt spiegeln die Aktivität der Partei wider. Vielfach wurden an einem Abend Veranstaltungen an mehreren Orten durchgeführt.
Die bereits bestehenden Ortsgruppen warben ständig im Kreisgebiet für die Partei und schufen durch öffentliche Veranstaltungen die Voraussetzungen für die Gründung neuer Ortsgruppen. Folgendes Zitat aus der schon mehrfach erwähnten Kreiszeitung vom 30. 1. 1930 darf als Beweis angeführt werden:
„Die Ortsgruppe Bad Segeberg der NSDAP hielt wiederum eine gut besuchte Versammlung ab. Nachdem der Ortsgruppenleiter Stiehr, Bad Segeberg, in kurzen Worten das Programm der NSDAP geschildert, Fragen beantwortet und Zweifel zerstreut hatte, traten sämtliche Anwesenden der Partei bei. Wakendorf II hat nunmehr eine eigene Ortsgruppe.“ Am 12.2.1930 wurde in der Zeitung folgender Bericht über eine Veranstaltung mit dem Karlsruher Landtagsabgeordneten Lenz veröffentlicht: „Die Ortsgruppe Quickborn der NSDAP hielt in Grabbes Gasthof eine sehr gut besuchte öffentliche Versammlung ab. Es waren etwa 190 Personen anwesend. Eine große Zahl Mitglieder konnte aufgenommen werden; ebenso wurde eine größere Kampfspende gesammelt.“ Wenn auch keine amtlichen Unterlagen über die Zeitpunkte der Orts-gruppengründungen vorliegen, so kann anhand der Zeitungsberichte und Wahlergebnisse doch einwandfrei festgestellt werden, daß die entscheidende Ausbauphase das Jahr 1930 ist. Das geht auch aus den Tagebuchaufzeichnungen des ehemaligen Kreisleiters und aus seinen heutigen Erläuterungen der damaligen Vorgänge hervor.
Ihm standen vorerst keine finanziellen und materiellen Mittel zur Durchführung seiner Aufgaben zur Verfügung. Dieser Mangel wurde jedoch durch das persönliche Engagement der Parteigenossen ausgeglichen. Die gesamte Freizeit wurde für die politische Arbeit geopfert, der ganze Kreis „bearbeitet“. Als Beförderungsmittel standen nur Fahrräder zur Verfügung. Immer wieder heißt es in den Tagebuchaufzeichnungen Stiehrs: „Antreten zur Abfahrt . . . Uhr, Werbezettel kleben in . . . , Wahlversammlung . . . , Ortsgruppengründung, . . . Mitglieder, Kampfspendeneinnahme . . . RM.“
Im Mai 1930, also vier Monate vor der Reichstagswahl, wurde Stiehr zum kommissarischen, am 1.9.1930 zum hauptamtlichen Kreisleiter ernannt, während die Leitung der Ortsgruppe Bad Segeberg von Gubitz übernommen wurde. Unermüdlich setzte Stiehr nun im gesamten Kreisgebiet seine Arbeit fort. Soweit es möglich war, warb er Feuerwehrführer, Schützenkönige, Meierei- und Mühlenbesitzer, Lehrer usw. für die Partei, Persönlichkeiten also, die in dem jeweiligen Ort und in der Umgebung bekannt waren, Einfluß hatten und auch das Vertrauen der Bevölkerung besaßen.
Für Führungsaufgaben in der SA gewann er häufig Soldaten des Ersten Weltkrieges, die höhere Dienstgrade erreicht oder Tapferkeitsauszeichnungen erworben hatten. Noch heute meint er, daß er durch diese gezielte Auswahl die ersten Erfolge verzeichnen konnte. Bei der Reichstagswahl am 14.9.1930 entfielen im Kreis Segeberg von 23 467 gültigen Stimmen 9540 (40,6 Prozent) auf die NSDAP 9). Die Zeitungen des Kreises berichteten ausführlich über dieses Wahlergebnis. Allgemein wurde festgestellt, daß die große Überraschung der Erfolg der NSDAP sei. Die meisten Stimmen konnte diese Partei aus dem Lager der. Deutschnationalen Volkspartei gewinnen. Auch die KPD hatte einen nicht unerheblichen Stimmenzuwachs zu verzeichnen.
Bei den Wahlen am 14.9.1930 wurden im Reich 18,3 Prozent aller Stimmen für die NSDAP abgegeben, die mit 107 Sitzen zweitstärkste Fraktion des Reichstags wurde. Schleswig-Holstein hatte mit 27,0 Prozent den höchsten NSDAP -Anteil aller deutschen Provinzen (8,7 Prozent über dem Reichsdurchschnitt). Der Kreis Segeberg lag sogar mit 40,6 Prozent um 22,3 Prozent über dem Reichsdurchschnitt. Der Wahlsieg der NSDAP vom 14.9.1930 bedeutete auch in der Mitgliederbewegung eine Wende. Ende 1930 gab die Partei die Zahl der von ihr ausgegebenen Mitgliedsnummern mit 389 000 an, während die Mitgliederzahl 1928 nur 100 717 betragen hatte 10). Die Mitgliederzahlen der NSDAP in Schleswig-Holstein lagen am 1.12.1929 bei 10 400. Am 1.3..1930 waren 12 200, am 1.9.1930 über 14 000 Mitglieder in der Provinz gemeldet 11).
Im Vergleich zu den Vorkommnissen in den übrigen Teilen der Provinz bzw. im Reich scheint der „Kampf um die Macht“ im Kreis Segeberg ohne Gewalttätigkeiten verlaufen zu sein. Beim Studium der bisher genannten Zeitungen wurden keine Berichte über blutige Zwischenfälle innerhalb des Kreisgebietes gefunden. Diese Feststellung kann auch mit folgendem Auszug aus einem Bericht des Segeberger Kreis- und Tageblattes vom 11.4.1932 zur Reichspräsidentenwahl („Nach der Schlacht“) untermauert werden: „Im. übrigen ist der gestrige Tag in Bad Segeberg selbst und im Kreise ruhig verlaufen. Leider ist das nicht überall der Fall gewesen.“ Schon nach dem ersten Wahlgang zur Präsidentenwahl hatte es in der Ausgabe vom 14.3. geheißen: „Leider ist es nicht überall so ruhig abgegangen wie hier.“
Herr Stiehr bestätigte diese Feststellung ebenfalls. Überhaupt, so meinte er, hätten ihm die politischen Gegner die „Arbeit“ sehr leicht gemacht. Im Vergleich zu ihm und seinen „Mitstreitern“ seien die „anderen“ doch recht inaktiv gewesen. Die Tatsache, daß die Anzeigen der NSDAP in den Zeitungen bei weitem überwogen, dürfte diese Aussage bestätigen. Bedingt durch die immer häufiger durchgeführten Werbe- und Wahlveranstaltungen wurde dann auch mit dem Anwachsen und Bekanntwerden der nationalsozialistischen Bewegung im Kreisgebiet immer ausführlicher berichtet. Wenn auch die Auflagen der Lokalzeitungen noch nicht besonders groß waren, so erhielt doch eine beträchtliche Anzahl von Lesern Kenntnis von den Zielen der Partei.
Bei der Beurteilung der Entwicklung der nationalsozialistischen Bewegung im Kreis Segeberg sollte die relative Objektivität der Presseberichterstattung besonders hervorgehoben werden. So fand sich in den Bramstedter Nachrichten vom 9.5.1928 folgender Hinweis: „Der Wahlkampf nimmt oft recht scharfe Formen an. Die volle Verantwortung für den Inhalt von Flugblättern und Anzeigen in unserer Zeitung übernimmt die betreffende Partei selbst, nicht wir. Unsere Leserschaft setzt sich aus allen Schichten und Parteien zusammen. Wir haben daher das Betreben, politisch neutral zu bleiben. Fühlt sich eine Partei zu sehr durch ein Flugblatt oder Anzeige angegriffen, so steht ihr frei, ebenfalls im Anzeigenteil oder durch Flugblatt eine Entgegnung zu veröffentlichen. Unsere Zeitung steht allen Parteien, ob rechts oder links, offen. Wir setzen allerdings voraus, daß die Veröffentlichungen nicht gegen die guten Sitten verstoßen.“
Nach den Berichten von Herrn Stiehr wurde er vom Gau des öfteren dazu angehalten, auch das Sprachrohr der Partei, die „Schleswig-Holsteinische Zeitung“, für Anzeigen und Berichte zu berücksichtigen und Abonnentenwerbung zu betreiben. Das habe er aber immer abgelehnt, da diese Zeitung im Kreis kaum bekannt war und er ein gutes Verhältnis zu den vorhandenen Zeitungen anstrebte.
Herr Stiehr bestätigte wiederholt, daß er für Werbemaßnahmen finanziell von keiner Seite unterstützt worden sei. Er habe damals sein Gehalt, soweit er es nicht persönlich gebraucht habe, der Partei zur Verfügung, gestellt.

4. Die NSDAP als stärkste Partei des Kreises Segeberg

Das Jahr 1931 stand dann im Kreis Segeberg wie überall im Zeichen der Mitgliederwerbung und Straffung der Organisation. Aus der Berichterstattung und dem Anzeigenteil des Segeberger Kreis- und Tageblattes und der Bramstedter Nachrichten läßt sich auf eine anhaltende, lebhafte Aktivität der NSDAP im gesamten Kreisgebiet schließen. Hier wie anderswo versuchte man damals auch, in berufsständischen Organisationen besonders in denen der Bauern Einfluß zu gewinnen. So sprach bei einer Kundgebung des systemfeindlichen Landbundes als einziger Vertreter einer Partei der NS-Kreisleiter Stiehr. In der Verbandszeitung des Landbundes (Jahrgang 1931, Nr. 42) heißt es dazu:
„Er (Stiehr) betonte die Notwendigkeit, daß jeder einzelne (im Kampf gegen das System) sich hinter seinen Führer stelle und Vertrauen zu ihm habe. Denn es sei nicht möglich, daß jeder über den letzten Schritt informiert werde. Persönliche Streitigkeiten zwischen den Organisationen oder Führern hätten in dieser Schicksalsstunde auszuscheiden. Alles müsse unter eine große Idee gestellt werden. Der Bauernverein (d. h. die offizielle berufsständische Vertretung d. Verf.) müsse zu Boden geschlagen werden. Wer heute nicht für uns ist, ist gegen uns , und wer gegen uns ist, wird kaputtgeschlagen. Heil!“ 12)
Die radikale Tonart der NS-Propaganda wird also auch im Kreis Segeberg überdeutlich.
Die zahlreichen Wahlen des Jahres 1932 zeigen dann, daß die NSDAP ihre Stellung noch weiter ausgebaut hatte und vollends zur führenden politischen Kraft geworden war 13). Bei den Reichspräsidentenwahlen unterlag zwar Hitler in beiden Wahlgängen (13.3. und 10.4.) Hindenburg, erhielt jedoch in der Provinz Schleswig-Holstein bereits die Mehrheit der Stimmen (10.4.: Hitler 466 312, Hindenburg 415 814 Stimmen). Wiederum weicht das Wahlergebnis im Kreis Segeberg stark vom Reichs- und auch vom Provinzdurchschnitt ab: Hitler erhielt hier im zweiten Wahlgang 17 329, Hindenburg nur 9306 Stimmen, während der kommunistische Kandidat Thälmann ganze 686 Stimmen auf sich vereinigen konnte. Die dominierende Stellung der NSDAP konnte fortan gerade in Schleswig-Holstein nicht mehr in Frage gestellt werden. Vor allem in der ländlichen Bevölkerung hatte die Partei nicht zuletzt aufgrund mangelnder Initiative der Parteien der Mitte und der gemäßigten Rechten festen Fuß gefaßt. Im Kreis Segeberg vermochten die Nationalsozialisten ihre ohnehin starke Position bei den folgenden Wahlen noch weiter zu festigen. Bei der Landtagswahl am 24. 4. 1932 erreichte die Partei einen Stimmenanteil von 64,9 Prozent gegenüber 40,6 Prozent bei der Reichstagswahl vom 14. 9. 1930. Am 31. 7. 1932 schließlich bei der vorletzten Reichstagswahl der Weimarer Republik errang die NSDAP die Zweidrittelmehrheit: 19 265 Wähler 67,4 Prozent gaben ihre Stimme der Hitlerpartei; in den ländlichen Gemeinden unter 2000 Einwohnern wurden vielfach fast 80 Prozent der Stimmen erreicht. Der Kreis Segeberg lag damit deutlich über dem Provinzdurchschnitt in Schleswig-Holstein kam die NSDAP auf 51 Prozent und noch deutlicher über dem Reichsdurchschnitt (38,4 Prozent).
Bei der Reichstagswahl am 6.11.1932 wirkte sich auch im Kreis Segeberg der im ganzen Reich spürbare Rückschlag für die Nationalsozialisten aus. Nur 62,6 Prozent der Wähler stimmten für die Partei, während in Schleswig-Holstein der Stimmenanteil von 51 Prozent auf 45,7 Prozent zurückging (Reichsdurchschnitt 33,1 Prozent).
Im Kreis Segeberg gewann die SPD, die am 31. 7. Stimmen eingebüßt hatte, wieder geringfügig hinzu, während die Kommunisten ihr bereits sehr gutes Ergebnis vom 31.7.1932 nochmals um 889 Stimmen übertrafen und somit einen beachtlichen Erfolg verzeichnen konnten 14). Dieses Ergebnis der Kommunisten entsprach dem Stimmenanteil im Reichsdurchschnitt.
Die Frage, wer die NSDAP an die Macht gebracht hat, ist oft gestellt worden. Die häufig geäußerte Ansicht, die Arbeitslosen (zuletzt ca. 6 Millionen) hätten Hitler zu seinen Wahlsiegen verholfen, trifft zumindest für unseren Raum nicht zu. Gerade hier in Schleswig-Holstein und das gilt auch für den Kreis Segeberg war es vor allem die unter der Agrarkrise leidende landwirtschaftliche Bevölkerung, die sich von der NSDAP Hilfe versprach. Aber auch die Inhaber handwerklicher Klein- und Mittelbetriebe, die Angestellten und Beamten sowie die kleinen selbständigen Kaufleute waren in der wirtschaftlichen Krisensituation der beginnenden dreißiger Jahre in zunehmendem Maße bereit, den Nationalsozialisten ihre Stimme zu geben, während ein Großteil der Arbeitslosen eher zur Unterstützung der Kommunisten neigte.

Heinacher_Tabelle1

Heinacher_Tabelle2

Heinacher_Tabelle3

Tabellen in html.

5. Quellenanhang (ausgewählte Pressedokumente)

I. Aus der Inseratenwerbung der NSDAP

Öffentliche Versammlung in Bad Segeberg
Dienstag, den 27. August, abends 8 Uhr im Hotel Germania.
Redner: der bekannte Reichstagsabgeordnete Wagner, Bochum.
Thema: Die große politische Pleite!
Freie Aussprache! Eintritt: 50 Pfg.
Juden Zutritt verboten!
Volksgenossen, erscheint in Massen!
Nationalsoz. Dt. Arbeiterpartei (Hitlerbewegung).
(Segeberger Kreis- und Tageblatt vom 24. 8. 1929)

Öffentliche Versammlung in Leezen
Möllers Gasthaus „Stadt Hamburg“ am Sonnabend, dem 14. September 29, abends 8 Uhr.
Es spricht: Pg. Schöne, Lockstedter Lager,
über Nationalsozialismus, Young-Plan, Kommunalwahlen.
Schaffendes Deutschland, Arbeiter der Faust und der Stirn, Landarbeiter, Bauer, Gewerbetreibender, Mittelständler, einerlei ob Freund oder Gegner unserer Bewegung, kommt, bringt Bekannte mit, nehmt Stellung zu unseren Ausführungen.
Freie Aussprache. Unkostenbeitrag 20 Pfg.
Nat.Soz.D.A.P. Ortsgruppe Bargteheide.
(Segeberger Kreis- und Tageblatt vom 14. 9. 1929)

Die Geburt eines strammen Nationalsozialisten zeigen hocherfreut und dankbar an …
(Bad Bramstedter Nachrichten vom 8. 9. 1930)

Kräftige junge Leute (Nationalsozialisten), mit Landarbeiten vertraut, suchen per sofort oder 1. November Stellung in Landwirtschaft.
Angebote an: W. Stiehr, Bad Segeberg, Wickelstraße 1.
(Segeberger Kreis- und Tageblatt vom 24. 10. 1930)

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei – Ortsgruppe Bad Segeberg
Öffentliche Versammlung am Sonnabend, dem 17. Januar 1931, 20.15 Uhr,
Bad Segeberg, Hotel „Germania“.
Es spricht der Gauleiter von Mecklenburg:
Landarbeiter Friedrich Hildebrandt, M.d.R. und M.d.L.
(Segeberger Kreis- und Tageblatt vom 16. 1. 1931)

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei – Ortsgruppe Bad Segeberg
Öffentliche Versammlungen
19. November, 8 Uhr abends: Wakendorf I, Gastwirtschaft Hinrich Sellmer,
20.November, 8 Uhr abends: Kl.-Rönnau, Gastwirtschaft Hugo Prahl,
21. November, 8 Uhr abends: Kükels, Gastwirtschaft Adolf Härder,
22. November, 8 Uhr abends: Wahlstedt, Gastwirtschaft Georg Greve.
Es spricht: Landwirt Gerecke, Zarpen.
(Segeberger Kreis- und Tageblatt vom 18. 11. 1930)

Am Sonntag, dem 27. November, findet im Kaisersaal, Bad Bramstedt, für den Westen des Kreises Segeberg eine N.S.-Filmvorführung statt.
Vorgeführt werden: der erste N.S.-Großfilm „Hitlers Flug über Deutschland“ ein imposantes Werk vom Siegesflug Adolf Hitlers durch Deutschlands Gaue, der große N.S.-Ton- und Sprechfilm Deutschlands „Jugend marschiert“ ein Film vom Reichstreffen der N.S.-Jugend-bewegung in Potsdam. Adolf Hitler und der Reichsjugendführer Baldur v. Schirach sprechen in großer programmatischer Rede.
Beginn der Vorführungen: Nachm. 3.30 Uhr abends 8.15 Uhr.
Eintritt: 60 Pf. für Erwerbslose (mit Ausweis) 30 Pf.
Der Überschuß ist zum Besten der N.S.-Winterhilfe bestimmt.
Nach der Abendvorführung: Deutscher Tanz. Eintritt 20 Pf.
(Bramstedter Nachrichten vom 23. 11. 1932)

II. Presseberichte über Parteiveranstaltungen

Militärkonzert

Zu einer eindrucksvollen Kundgebung des nationalsozialistischen Gedankens gestaltete sich das am Sonnabend von der Gau-SA.-Kapelle veranstaltete Militär-Konzert, dem ein Platzkonzert im Bleeck. voranging. In der Vortragsfolge waren anerkannte Meister Suppe, Flotow, Doni-zetti, Zeller, Strauß mit ihren Schöpfungen vertreten. Daneben nahm die Marschmusik selbstverständlich einen ziemlich breiten Raum ein. Alle Nummern ernteten reichen Beifall, und die nimmermüde Kapelle dankte durch Einlegen zahlreicher Zugaben. Wenn am meisten unsere alten, ewig schönen Militärmärsche bejubelt wurden, wenn am Schlusse unser „Schleswig-Holstein, meerumschlungen“ und „Deutschland, Deutschland, über alles“ sowie das Horst-Wessel-Lied durch den Saal brausten, so zeugte das von Kampfstimmung. Und Kampfstimmung atmete die Begrüßung durch den Ortsgruppenführer Henry Büchler, die mit der Mahnung schloß: „Denkt an den Kampf, glaubt an den Sieg!“ Vom Kampfe redete auch der Pg. Gereke-Zarpen, der eine Musikpause dazu benutzte, um den Anwesenden den Ernst der Zeit vor Augen zu führen und sie mit eindringlichen Worten aufforderte, nicht nachzulassen in dem Ringen mit den bösen Mächten, die unser Volk ins Verderben gebracht haben …
(Bad Bramstedter Nachrichten vom 2. 3. 1931)

Die Ortsgruppe Bad Bramstedt der N.S.D.A.P. hielt im Sängerheim ihre Jahreshauptversammlung ab. Ortsgruppenführer Pg. Büchler eröffnete die Versammlung mit begrüßenden Worten und erstattete den Jahresbericht , aus dem folgendes hervorzuheben ist. Die Mitgliederzahl konnte sich im Laufe des verflossenen Jahres verfünffachen. 50 Pg. wurden außerdem an die neu gegründeten Ortsgruppen Wiemersdorf, Hitzhusen, Lentföhrden und 6 Pg. an auswärtige Ortsgruppen überwiesen. Der größte Teil aller Mitglieder ist in der SA., SS. und SA. -Reserve eingereiht. Außerdem konnte innerhalb des Ortsgruppenbereiches ein selbständiger SS.-Trupp geschaffen werden. Zur Erleichterung der Geschäftsführung wurde die Ortsgruppe in 4 Sektionen eingeteilt. Die Ortsgruppe veranstaltete in der Stadt 6, in Wiemersdorf, Lentföhrden, Hizhusen und Bimöhlen je eine öffentliche Versammlung. Die auf den 10. Oktober festgesetzte Versammlung wurde behördlicherseits mit dem Bemerken „durch die Abhaltung der öffentlichen Versammlung ist die öffentliche Sicherheit gefährdet; nach Lage der Verhältnisse ist die Polizei nicht in der Lage, wirklichen Schutz zu gewähren“ verboten. Im Laufe des Jahres wurden weitere 12 Mitgliederversammlungen abgehalten sowie ein Konzert und ein SA.-Aufmarsch veranstaltet. Die Ortsgruppen Wiemersdorf und Lentföhrden wurden auf Betreiben der hiesigen Gruppe ins Leben gerufen und die einzelnen Funktionäre und Fachwarte in ihre Ämter eingeführt. Insgesamt gelangten im Jahre 1931 annähernd 5000 Flugblätter zur Verteilung. Im Oktober wurde eine Abteilung der Hitler-Jugend gegründet. Die Schaffung einer Frauengruppe wurde bereits in Angriff genommen. Neu in ihr Amt eingeführt wurden ein Funkwart, ein Vertrauensmann zur Wahrung der Kriegsopfer-Interessen und ein Betriebswart für die nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation. Die Lebensmittelsammlung für bedürftige Pg. konnte mit einem guten Ergebnis abgeschlossen werden. Abschließend seines Berichtes dankte der Ortsgruppenleiter seinen Mitarbeitern für die geleistete Arbeit und brachte die Hoffnung zum Ausdruck, daß auch in Zukunft, wie bisher, weitergearbeitet werde zum Wohle des kommenden dritten deutschen Reiches. Der Kassenwart erstattete darauf den Rechnungsbericht und gab eine Übersicht über die finanziellen Verhältnisse des verflossenen Jahres. Der Ortsgruppenleiter verlas und erläuterte die neuen Eingänge und machte bekannt, daß in Zukunft die Mitgliederversammlungen regelmäßig jeden zweiten Dienstag des Monats stattfinden. Dann befaßte sich der Versammlungsleiter mit politischen Tagesfragen und nahm insbesondere Stellung zur bevorstehenden Reichspräsidentenwahl. Die NSDAP lehne die Einzeichnung in die Hindenburgliste ab. Die Person des greisen Feldmarschalls sei auch für die NSDAP unantastbar; in politischer Hinsicht müsse sich jedoch die Partei ein eigenes Urteil bilden. Nachdem der Punkt „Verschiedenes“ erledigt war, schloß der Ortsgruppenleiter mit dem Appell, jetzt in letzter Stunde vor dem Sieg nicht kampfmüde zu werden und die letzten Kräfte für die Erreichung des Zieles, das dritte deutsche Reich aufzubauen, einzusetzen, die gut besuchte Versammlung mit dem gemeinsam gesungenen Horst-Wessel-Lied.
(Bad Bramstedter Nachrichten vom 10. 2. 1932)

Die Nationalsozialistische Jugendbewegung Bezirk 13 im Gau Schleswig-Holstein veranstaltet am kommenden Sonntag zum ersten Mal in unserer Stadt im Kaisersaal einen Werbeabend. Die Festfolge ist geschickt und abwechselungsreich zusammengestellt, so daß der Abend zu einem großen Erfolg für die Mitwirkenden und für die Bewegung werden dürfte. Für den musikalischen Teil wurde die bekannte Rugesche Kapelle gewonnen, die in voller Besetzung spielen wird. In bunter Reihenfolge werden mit. Vorträgen, Volksliedern, Volkstänzen, Rezitationen und Stellung lebender Bilder die Stunden ausgefüllt werden. Der Leiter der Nationalsozialistischen Jugendbewegung des Gaues Schleswig-Holstein, Lothar Lange, wird grundlegend über Zweck, Aufbau und Ziel der Jugendbewegung sprechen. In einem Theaterstück „Krisenstüer“ wird sich die heutige Zeit wiederspiegeln. Die Veranstaltung dient der Werbung im Rahmen des Reichsjugend-Werbemonats der N.S.-Jugendbewegung.Nationalsozialisten und Freunde der Bewegung, kommt geschlossen, und zeigt damit, daß ihr auch für die Jugendbewegung ein warmes Herz habt. Nach dem offiziellen Teil wird der Saal dem deutschen Tanz freigegeben. Der Unkostenbeitrag wurde ebenso wie das Eintrittsgeld zum Tanz sehr niedrig bemessen. Von Pg. wird 20 Pfg. und von Lehrlingen kein Eintrittsgeld erhoben. (S. Anz.)
(Bad Bramstedter Nachrichten vom 23. 6. 1932)

SA.-Aufmarsch

Der Sonntag stand hier unter dem Zeichen des Hakenkreuzes. Die SA.-Formationen der Standarte 163 veranstalteten einen Aufmarsch. Bald nach Mittag sammelten sich die Braunhemden am Nordausgange der Stadt, und bald nach 2 Uhr setzte sich der stattliche Zug in Bewegung. Durch die Straßen des nördlichen Stadtteiles ging es unter flotter Marschmusik nach Hitzhusen, wo kurze Rast gemacht wurde, um einen erfrischenden Trunk wohlschmeckender Buttermilch entgegenzunehmen. Dann marschierte man weiter über Weddelbrooker Damm durch die Glückstädter Straße, Sommerland, Altonaer Straße, Butendoor zum Bleeck, wo die Gruppen dicht an dicht nebeneinander aufmarschierten. Da sah man erst, wie groß die Zahl der Teilnehmer war, denn in weitem Umkreise standen sie Mann an Mann, drängte sich Kopf an Kopf. Mit denen, die zum Wettschießen zum Rolandschützenplatz hinaufmarschiert waren, sollen es 1800 Mann gewesen sein. Im Bleeck hielt der hiesige Ortsgruppenführer, Baumeister Büchler, eine kurze, kernige Ansprache. Der Aufmarsch, so führte er aus, möge alle daran gemahnen, daß der 31. Juli, der Tag der Reichstagswahl, nicht mehr fern sei. Jeder müsse daran denken, was an diesem Tage auf dem Spiele stehe. Wenn nicht das Chaos über Deutschland hereinbrechen solle, dann müßten die Nationalsozialisten alsdann zur Macht gelangen. Es gehe um die Parole: Nationalsozialismus oder Bolschewismus. Wer letzteren nicht wolle, müsse die Liste der NSDAP wählen. Wer seine Stimme einer der bürgerlichen Mittelparteien gebe, der werfe sie nutzlos fort, denn diese Parteien würden verschwinden. Überall im Lande, besonders in den größeren Städten, herrsche schon heute der versteckte Bürgerkrieg. Er werde zum offenen Krieg aufflammen, wenn der 31. Juli den Nationalsozialisten nicht den Sieg bringe. Freiheit und Würde hätten nach der Revolution die Machthaber dem Volke versprochen, statt dessen werde jetzt die Hungerpeitsche über die Massen geschwungen. Da heiße es kämpfen und immer wieder kämpfen, auch wenn der Tod drohe. Mit einem Heil auf die SA schloß er. Dann nahm noch der Standartenführer Hansen das Wort. Auch er wies auf den Ernst der Zeit hin und ermahnte alle, am Wahltage ihre vaterländische Pflicht zu tun. Ein dreifaches „Sieg Hitler“, dem das Horst-Wessel-Lied folgte, bildete den Schluß. Damit war der offizielle Teil erledigt, ein Platzkonzert hielt die Menge noch eine Stunde zusammen, aber ein großer Teil der auswärtigen Gäste machte sich bald auf den Heimweg, während die hier Verbleibenden sich am Abend im Kaisersaal zu Konzert und Tanz zusammenfanden. Alles verlief ohne Störung. Stramm und ruhig, ihrer Kraft bewußt und ihres Sieges gewiß, so war das Auftreten der Leute.
(Bad Bramstedter Nachrichten vom 6. 7. 1932)

Wahlversammlungen der NSDAP im Kreise Segeberg

Im Kreise Segeberg veranstaltet die NSDAP bis zum 6. November rund 40 öffentliche Wahlversammlungen. Mit einer großen Kundgebung am Sonntag, 30. Oktober, in Bad Segeberg wird neben zwei Rednern Prinz August Wilhelm sprechen. Die Kundgebung, zu der man eine große Anzahl Besucher erwartet, wird in drei Sälen durchgeführt werden. Gauleiter Meyer-Quade spricht am 11. Oktober in Kaltenkirchen. Für die öffentlichen Versammlungen in Bad Bramstedt und Rickling wurde der Reichstagsabgeordnete Bruno Stahmer, Altona, gewonnen. Er wird am 28. d. M. in Bad Bramstedt und am darauffolgenden Tage in Rickling sprechen. Reichstagsabgeordneter Matthiesen, Auhof, wurde für Alves-lohe und Bornhöved gewonnen. Der im Kreis Segeberg bekannte Gauredner Pötter, Kükels, wurde für 22 Versammlungen in verschiedenen Orten des Kreises verpflichtet. Auf weiteren 8 Versammlungen sprechen Architekt Triebel, Eckernförde, Arbeiter Tregner, Preetz, und M.d.L. Torstensen, Elmshorn. Von den durch die Auflösung des Kreises Bordesholm an die Kreisleitung Segeberg angegliederten Orten sind den Ortsgruppen Brokenlande, Wittorf, Klein-Kummerfeld, Boostedt, Gadeland und Großenaspe öffentliche Wahlversammlungen zugeteilt worden.
(Bad Bramstedter Nachrichten vom 3. 10. 1932)

Literaturverzeichnis
A. Quellen
Adolf Hitler, Mein Kampf, München 1940
Theodor Heuss, Erinnerungen 1905 – 1933, Tübingen 1963
Presse in Fesseln, hrsg. v. Verlag „Archiv und Kartei“, Berlin 1947
Segeberger Kreis- und Tageblatt, Jahrgänge 1919 – 1933
Bramstedter Nachrichten, Jahrgänge 1919 – 1933
Tagebuchaufzeichnungen des ehemaligen Kreisleiters Stiehr
Hinzu kommen mündliche Angaben noch lebender Personen über lokale oder regionale Vorgänge in den Jahren der ausgehenden Weimarer Republik.

B. Darstellungen
P. Aley Jugendliteratur im Dritten Reich, Gütersloh 1967
Bracher/Sauer/Schulz Die nationalsozialistische Machtergreifung, Köln und Opladen 1960
E. K. Bramsted Goebbels und die nationalsozialistische Propaganda, East Laming/Michigan 1965
E. Deuerlein Der Aufstieg der NSDAP 1919 – 1933, Düsseldorf 1968
J. L. Fest Das Gesicht des Dritten Reiches, München 1963
H. J. Gamm Führung und Verführung, München 1964
R. Heberle Landbevölkerung und Nationalsozialismus, Stuttgart 1963
K. Kaiser Braunschweiger Presse und Nationalsozialismus, Braunschweig 1970
E. Kern Adolf Hitler und seine Bewegung, Göttingen 1970
W. Klose Hitler und sein Staat, Tübingen 1970
Leber/von Moltke Für und Wider, Berlin 1961
W. Münzenberg Propaganda als Waffe, Basel 1937
K. Salier Die Rassenlehre des Nationalsozialismus in Wissenschaft und Propaganda, Darmstadt 1961
E. Schön Die Entstehung des Nationalsozialismus in Hessen, Meisenheim 1972
W. Shirer Aufstieg und Fall des 3. Reiches, Köln 1961
G. Stoltenberg Politische Strömungen im schleswig-holsteinischen Landvolk 1918 – 1933, Düsseldorf 1962
K. Vondung Magie und Manipulation, Göttingen 1971
O. Zierer Das Bild unserer Zeit, München, Innsbruck, Basel 1958

Fußnoten:
1) Vgl. dazu Tabelle I, S. 17
2) Vgl. zum folgenden allgemein R. Heberle, Landbevölkerung und Nationalsozialismus, Stuttgart 1963, und vor allem G. Stoltenberg,
Politische Strömungen im schleswig-holsteinischen Landvolk 1918 bis 1933, Düsseldorf 1962.
3) R. Heberle, a. a. O., S. 124.
4) G. Stoltenberg, a. a. O., S. 148.
5) G. Stoltenberg, a. a. O., S. 148.
6) Segeberger Kreis- und Tageblatt vom 21. 5. 1928.
7) G. Stoltenberg, a. a. O., S. 145.
8) Segeberger Kreis- und Tageblatt vom 18. 11. 1929. 12
9) Vgl. Tabelle III, S. 18.
10) E. Deuerlein, Der Aufstieg der NSDAP 19191933, Düsseldorf 1968, S. 345.
11) G. Stoltenberg, a. a. O., S. 163.
12) G. Stoltenberg, a. a. O., S. 176.
13) Vgl. Tabelle III, S. 18.
14) Segeberger Kreis- und Tageblatt vom 7. 11. 1932

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