Der Schleswig-Holsteinische Landtag beauftragte die Universität Flensburg (Uwe Danker) mit einer Untersuchung „Folgestudie: Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der personellen
und strukturellen Kontinuität nach 1945 in der schleswig-holsteinischen
Legislative und Exekutive“
Diese wurde im Mai 2021 dem Landtag vorgelegt (Drucksache 19/2953 / Zeitungsbericht ). Darin ist auch das Beispiel des Anwaltes Heinz-Rudolf Piepgras, der sich Ende der 1920er in Bad Bramstedt niederließ.
Nach dem Krieg konnte er in den Staatsdienst und an herausragender Stelle zurückkehren und war offenbar auch an der Deckung von Kriegsverbrechern beteiligt. (.s.u. Heyde / Sawade)
Dazu heißt es in der Untersuchung:
Heinz-Rudolf Piepgras wurde am 17. Februar 1902 in Neumünster geboren und studierte in Kiel und Freiburg bis 1924 Rechtswissenschaften.408 Seinen Vorbereitungsdienst absolvierte er beim Oberlandesgericht Kiel, arbeitete dann als selbständiger Rechtsanwalt 1928 bis 1936 in Neumünster und Bad Bramstedt. Über seine politische Orientierung in der Weimarer Republik ist nichts bekannt, einer Partei gehörte Piepgras nach eigenen Angaben nicht an.
1933 wurde der Jurist Mitglied der NSDAP und SA, ab 1936 im Rang eines Scharführers. Im
November 1936 trat Piepgras in den Staatsdienst ein, wirkte bis 1938 im Reichsarbeitsministerium, danach ein Jahr beim Arbeitsamt in Heide. Mit seinem Wechsel 1939 in das Reichsprotektorat Prag wurde Piepgras zum „Besatzungsakteur“. Bis 1942 leitete er hier die Arbeitsämter Pardubitz und Kladur, bis im Rahmen einer Abordnung die Versetzung in das Ostministerium nach Reval (Estland) erfolgte, wo der Jurist als Referent für den „Arbeitseinsatz“ beim Generalkommissariat wirkte. In dieser Stellung verantwortete Piepgras unter anderem den „Arbeitseinsatz“ estnischer Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen. Im Oktober 1944 trat er als Leiter des Arbeitsamtes Litzmannstadt
seine letzte Stellung bis zum Kriegsende an.
Wir ordnen Piepgras aufgrund seiner Besatzungstätigkeit als „in seinem Handeln ausgewiesenen Nationalsozialisten“409 der Grundorientierung „exponiert / nationalsozialistisch“ und hier dem Typen „Besatzungsakteur“ zu.
Piepgras flüchtete 1945 nach Schleswig-Holstein. Hier entließ ihn die Britische Militärregierung aus dem öffentlichen Dienst. Sechs Jahre schlug er sich als Musiker und Gelegenheitsarbeiter durch. Da er einen „Sonderausweis für Kulturschaffende“ benötigte, beantragte Piepgras die Entnazifizierung, erhielt – ausdrücklich nicht für die Tätigkeit als Rechtsanwalt – die Überprüfung und Eingruppierung in Kategorie IV, „Mitläufer“. Zwei Jahre
später erfolgte die Umwandlung in Kategorie V, „entlastet“. Im Zuge des Entnazifizierungsverfahrens gab Piepgras in, wie wir meinen, „abwehrender Distanzierung“410 an, schon 1932 zum Eintritt in die Partei gedrängt worden zu sein. Damals sei er, trotz finanzieller Schwierigkeiten, standhaft geblieben. Nach 1933 habe er sich dem Druck in einer Kleinstadt wie Bad Bramstedt nicht mehr entziehen können. Der Eintritt in die SA sei erfolgt, weil der Leiter der Ortsgruppe ihn ohne Zugehörigkeit zu einer Gliederung nicht in die NSDAP habe aufnehmen wollen.
Im Dezember 1949 lehnte das Landesarbeitsamt seine Wiederverwendung ab. Piepgras wurde in den Wartestand, im November 1951 sogar kurzzeitig in den Ruhestand versetzt, die zweijährige Frist war abgelaufen. Etwa zum gleichen Zeitpunkt erreichte Piepgras eine Anstellung beim Landesversorgungsamt als Vorsitzender eines Beschwerdeausschusses.
Am 18. Mai 1953 wechselte er zum Oberversicherungsamt – später Landessozialgericht – Schleswig. Am 1. August 1956 erfolgte die Ernennung zum Senatspräsidenten. In dieser Funktion wurde Piepgras 1959 zum Fall Heye / Sawade befragt. Er gab an, nur einmal in dienstlicher Beziehung zu dem Gutachter gestanden zu haben. In seiner Dienststelle sei zwar gerüchteweise bekannt gewesen, dass der Mediziner unter falschem Namen lebte, im Fokus hätten aber eher Beschwerden über säumige Gutachten gestanden. Der Untersuchungsausschuss glaubte dem ehemaligen „Besatzungsakteur“: Von der wahren Identität Heydes wollte Piepgras nichts gewusst haben.411
408 Piepgras, Heinz-Rudolf, geb. am 17.02.1902, U.-Gruppe: Landessozialgericht, Beruf: Richter, GO: exponiert nationalsozialistisch, Typ: Besatzungsakteur_in, Pol. Orient. WR: Unklar/keine Infos/zu jung, Bruch 1945: Behinderung im Fortkommen, Quellendichte: Befriedigend.
Personennachweise: LASH Abt. 786/Nr. 203; BArch R 3001/70787; BArch R 9361-VIII Kartei/15610109; LASH Abt. 460.21/Nr. 163; BStU MfS AP 839/65; BArch R Neuer Bestand/ZD I 3414; BArch B 162/5106.
409 Vgl. Legende der Datenbank im Anhang, S. L14f.
410 Vgl. Legende der Datenbank im Anhang, S. L33.
411 Vgl. Godau-Schüttke: Heyde/Sawade-Affäre (Anm. 49), S. 171.
Ergänzung:
UNIVERSITÄTSARCHIV DER ALBERT-LUDWIGS-UNIVERSITÄT FREIBURG I.BR.
Bestand 0110 Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1863-1989
Nr. 332
Signatur: 144
Provenienz: Rechts- und Staatswiss. Fak.
Umfang: 1 Bd.
Laufzeit: 1925-1926
Titel: Dissertation von Heinz-Rudolf Piepgras: „Das Ordnungsstrafrecht“
Piepgras übernimmt 1930 die Kanzlei des verstorbenen Rechtsanwalts Rademacher (Maienbeeck 19)