March: Bramstedt im Früh- und Hochmittelalter – Forschungsprobleme und Hypothesen

aus dem Heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg, 1999 S. 38 ff

Dr. Ulrich March, Bad Bramstedt

Bramstedt im Früh- und Hochmittelalter –

Forschungsprobleme und Hypothesen

     Die ältesten Nachrichten zur Bramstedter Ortsgeschichte stammen alle erst aus dem späten Mittelalter und sind überdies wenig aussagekräftig. Wahrscheinlich im Jahre 1274 berichtet der Rat von Hamburg dem von Lübeck über ein – ergebnisloses — Treffen mit dem holsteinischen Grafen Adolf III., das „in dem Dorf Bramstedt“ („in villa Bramstede“) stattgefunden habe; es handelt sich um die erste Erwähnung des Ortsnamens überhaupt. In der Urkunde zur Landesteilung des Jahre 1316 wird auch über „dhat kerspel tho bramzstede“ verfügt, ohne daß nähere Einzelheiten genannt werden. 1322 verpfändet Graf Gerhard dem Kloster Itzehoe Einkünfte von Höfen „in unserem Dorf Bramsted“. 1344 beurkunden die Grafen Heinrich und Klaus die von ihnen mit der Hamburger Probstei getroffene Vereinbarung über die Patronatsrechte der Kirchen in Rendsburg und Bramstedt. Aus dem Jahr 1347 schließlich ist eine Liste der Einkünfte der Hamburger Probstei überliefert; das Kirchspiel Bramstedt hat jährlich 24 Mark zu entrichten und liegt damit im mittleren Bereich.
Angesichts dieses Befundes erscheint es auf den ersten Blick völlig unmöglich, einigermaßen gesicherte Angaben zur Bramstedter Ortsgeschichte des Hochmittelalters (800-1250 n. Chr.) oder gar des Frühmittelalters (500-800 n. Chr.) zu machen. Die landesgeschichtliche Forschung hat jedoch in den letzten fünfzig Jahren Methoden entwickelt, die es mitunter gestatten, auch dort weiterzukommen, wo die schriftlichen Quellen versagen. Im folgenden soll versucht werden, unter Heranziehung von Erkenntnissen der historischen Geographie, der Ortsnamenskunde und der Patrozinienforschung gewisse Grundzüge der ältesten Bramstedter Ortsgeschichte aufzuzeigen, auch wenn dabei naturgemäß manches hypothetisch bleiben muß.

     Die historische Ortsnamensforschung ist nach dem weitgehend gescheiterten Versuch, bestimmte Ortsnamen mit Stammesgebieten oder Siedlungsregionen in Zusammenhang zu bringen, schon seit langem dazu übergegangen, Ortsnamensformen auf Zeitepochen zu beziehen. Dabei stellte sich heraus, daß sich bestimmte Ortsnamensformen zu bestimmten Zeiten so stark häufen, daß sie als typisch für die betreffende Epoche angesehen werden können. Auch die Ortsnamensgebung ist von der Mode abhängig, ähnlich wie die Wahl der Vornamen, wenn auch nicht mit so schnellem Wechsel.
Typisch für die hochmittelalterliche Ausbau- und Rodungsepoche sind beispielsweise die auf -hagen oder -rade (im südelbischen Deutschland auch -rode, -reuth, -reit) endenden Ortsnamen, während etwa das Ortsnamenssuffix -wiek auf eine ältere Siedlungsepoche verweist. Die älteste für Nordelbingen überhaupt faßbare Ortsnamensschicht sind die -dorp-, -stede- und -feld-Orte sowie kurze, einsilbige Ortsnamensformen (z. B. Wrist, Puls). Die meisten Orte dieser Namensgruppe sind bereits im frühen Mittelalter entstanden oder mitunter vielleicht sogar noch älter.
Trägt man alle Orte mit der Endung -dorp/dorf, -stede/stedt und -feld und alle Orte mit einsilbigem Namen in eine Landkarte ein, so ergibt sich eine starke Konzentration in drei Regionen, und zwar werden flächendeckend der Holstengau, der Dithmarschengau und der Stormarngau erfaßt, während die dazwischen liegenden breiten Ödmarkenzonen, die erst später besiedelt worden sind, ausgespart bleiben. Mit Hilfe der Ortsnamensforschung ist es also möglich, die nordelbische Gaugliederung auf das frühe Mittelalter zurückzuführen, obwohl die älteste schriftliche Nachricht darüber erst aus dem 11. Jahrhundert stammt (Adam, Hamburgische Kirchengeschichte).
Was das genaue Alter der Orte dieser frühesten Namensperiode angeht, so ist die sprachwissenschaftliche Forschung bisher zu keinen sicheren Ergebnissen gekommen. Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht liegt ein Zusammenhang mit der Entstehung der nordelbischen Gaustruktur nahe.
Auch dieser Vorgang läßt sich nicht genau datieren. Die Gaustruktur dürfte jedoch spätestens bei der Konsolidierung der Siedlungsverhältnisse im Nordseeraum um die Mitte des Jahrtausends entstanden sein, also nach dem Abflauen der Wanderungsbewegungen, die mit der Besiedlung Englands durch Angeln, Sachsen und Jüten ihren Höhepunkt erreichen (um 450).
Die Orte, bei denen aus verschiedenen Gründen ein sehr hohes Alter zu vermuten ist oder die als erste in der schriftlichen Überlieferung auftreten, tragen allesamt Namen, die zur ältesten Ortsnamensschicht zu rechnen sind. Zu nennen wären etwa die in der „Visio-Godescalci“, einer Quelle des 12. Jahrhunderts, auftretenden Hauptorte des nördlichen und des östlichen Viertels des Holstengaues, Jevenstedt und Nortorf, ferner die bereits bei Adam genannten Gauhauptorte Schenefeld (für den Holstengau) und Meldorf (für den Dithmarschengau). Da Bramstedt dieser ältesten Ortsnamensschicht zuzurechnen ist und, wie sich durch viele weitere Beispiele zeigen ließe, in dem entsprechenden Verbreitungsgebiet liegt, bestehen keine Bedenken, auch für diesen Ort ein hohes Alter anzunehmen. Bramstedt ist nach dem ortsnamenskundlichen Befund jedenfalls lange vor der Jahrtausendwende, wohl im zweiten Drittel des ersten nachchristlichen Jahrtausends gegründet worden.

       Was die politischen und sozialen Verhältnisse des Ortes Bramstedt angeht, so ist man bis zum Ende des Hochmittelalters ganz und danach noch weitgehend auf Analogieschlüsse angewiesen, d. h. man geht davon aus, daß sich die politischsozialen Strukturen hier in gleicher Weise oder ähnlich entwickelt haben wie in anderen Orten, über die wir besser informiert sind. Das politische Leben spielt sich im Früh- und Hochmittelalter zwischen Nordsee, Eider und Elbe auf drei Ebenen ab: auf der Dorfebene, der Ebene des Gauviertels (später des Kirchspiels) und der Gauebene. Zentrales Verfassungsinstitut ist auf allen drei Ebenen ein Gremium, dem alle freien Männer angehören und das neben politischen und administrativen auch gerichtliche Aufgaben wahrnimmt (Dorfding, Lot- bzw. Kirchspielsding, Goding). Damit ist recht wahrscheinlich, daß in Bramstedt vor der 1999 vollzogenen Auflösung des Amtsgerichts rund anderthalb Jahrtausende lang Recht gesprochen worden ist.
An welcher Stelle in frühester Zeit das Bramstedter Dorfding zusammengetreten ist, wissen wir nicht. Nachdem der Ort Kirchdorf geworden ist, dürfte das Kirchspielsding – wie auch sonst üblich – unter freiem Himmel in der Nähe der Kirche zusammengetreten sein, denn Politik, Recht und Kult gehörten damals noch eng zusammen. Die zugehörige Richtstätte (Galgenberg) ist möglicherweise im oberen Teil des Düsternhoop zu lokalisieren. Zwar haben wir Nachrichten, die eine solche Vermutung nahelegen, erst aus sehr viel späterer Zeit, aber gerade im Bereich des Rechts- und Gerichtswesens ist häufig eine erstaunliche Kontinuität zu beobachten.
Angelegenheiten von überörtlicher Bedeutung werden auf dem Lotding verhandelt, der Versammlung aller Freien eines Gauviertels. Da Bramstedt zum Südviertel des Holstengaus gehört, ist das Lotding von Kellinghusen zuständig. Es dürfte im Bereich der Cyriakuskirche zusammengetreten sein, vielleicht auch schon in vorchristlicher Zeit, denn die ältesten Kirchen werden mit einiger Regelmäßigkeit an den früheren heidnischen Kultstätten errichtet. Mit der Errichtung weiterer Kirchspiele verringert sich die Bedeutung des Kellinghusener Lotdings, dessen Befugnisse nun auf das jeweilige Kirchspielsding übergehen. Bis zur Erbauung der Maria-Magdalenen-Kirche dürfte jedoch Bramstedt nach Kellinghusen hin orientiert gewesen sein, und zwar in politischer, gerichtlicher und kirchlicher Hinsicht.
Die wichtigsten Entscheidungen werden auf dem Goding getroffen, das bis zur Errichtung der schauenburgischen Landesherrschaft, also bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts, die oberste politisch-juristische Instanz überhaupt darstellt und dem zweifellos über viele Jahrhunderte hinweg auch die Bramstedter Freien angehört haben. Das Goding des Holstengaues tritt in der Regel in dem Gauhauptort Schenefeld, häufiger auch auf dem Jahrschen Balken nördlich Itzehoe, gelegentlich an anderen Orten zusammen. Vorsitzender ist der Overbode, der im Hochmittelalter einer in Arpsdorf bei Neumünster ansässigen Großbauernsippe entstammt und auch Befehlshaber des Gauaufgebots ist. Gerade die militärischen Entscheidungen des Goding dürften für Bramstedt von besonderer Bedeutung gewesen sein, denn der Ort liegt – wie auch Neumünster, Kaltenkirchen oder Arpsdorf selbst – nicht weit von der slawischen Siedlungsgrenze, dem „limes Saxonicus“, entfernt und wird daher jahrhundertelang immer wieder von Slaweneinfällen bedroht.

       Über die wirtschaftlich-sozialen Verhältnisse Bramstedts erfahren wir Einzelheiten erst um die Wende zur Neuzeit. Natürlich ist es unzulässig, die zu diesem Zeitpunkt zutage tretende Sozialverfassung einfach in das frühe Mittelalter zurückzuprojizieren. Aus der späteren Flurverfassung läßt sich aber doch wohl immerhin so viel entnehmen, daß Bramstedt zu keinem Zeitpunkt ein typisches Bauerndorf gewesen ist. Dafür ist die Anzahl der Vollhufner-Stellen zu gering, die der Leute mit geringem Grundbesitz viel zu hoch (13 Vollhufner, 57 Teilhufner, darunter 35 Kätner; s. H. H. Harbeck, Chronik von Bramstedt, Hamburg 1959, S. 179). Da Flurverfassung und Besitzstrukturen eines Ortes in der Regel sehr große Kontinuität aufweisen, ist für die frühe Zeit kaum mit grundlegend anderen Verhältnissen zu rechnen. Der Ort ist nicht durch das Großbauerntum, sondern durch Kleinbauern, Nebenerwerbslandwirtschaft und Dienstleistungen geprägt.
Eine solche Ortsstruktur ist keineswegs ungewöhnlich. Auch Jevenstedt ist kein reines Bauerndorf, erst recht nicht Nortorf und Schenefeld und schon gar nicht Kellinghusen, wo es keinen einzigen Bauernhof gibt. So stark denkt man später in agrarischen Kategorien, daß sich die Kellinghusener ihre besondere Flurverfassung nur damit erklären können, daß die Bauern der Nachbardörfer ihnen Land und Vieh geraubt haben. In Wirklichkeit erklärt sich die besondere Struktur der vier genannten Ortschaften durch den Umstand, daß sie alle von vornherein zentralörtliche Bedeutung gehabt haben, als Hauptorte der vier holsatischen Gauviertel, als Kirchorte der vier Urkirchspiele. Auch in einer landwirtschaftlich geprägten Welt waren Handwerk und Handel vonnöten, und wo hätten diese Dienstleistungsbedürfnisse besser befriedigt werden können als an den Orten, wo die Menschen ohnehin zusammenkamen?
Wieso ergab sich aber nun die Notwendigkeit derartiger Dienstleistungen für das Dorf Bramstedt, das erst als Mittelpunkt eines großen Kirchspiels, also nach Erbauung der Maria-Magdalenen-Kirche, zentralörtliche Funktionen wahrnimmt? Der Grund dürfte darin zu suchen sein, daß seit der Bronzezeit eine der bedeutendsten Nord-Süd-Verbindungen des Kontinents, der Ochsenweg, den Ort durchquert, zumal die hier notwendige Überwindung der Osterau-Furt in vielen Fällen Anlaß für Rast und Ruhepause gewesen sein mag. Die auch in frühesten Zeiten notwendige Versorgung der Reisenden bot beste Voraussetzungen für Handwerk und Handel, etwa für Schuhmacher, Schneider, Vieh- und Futterhändler, und auch das Krügergewerbe dürfte in Bramstedt auf eine sehr lange Tradition zurückblicken. Im ganzen gesehen dürfte es vor über tausend Jahren nicht wesentlich anders gewesen sein als heute: Der Ort lebte von Handel, Handwerk und Gastronomie, nur daß die landwirtschaftliche Komponente noch wesentlich stärker ausgeprägt war als heute.
Einen erheblichen Entwicklungssprung – vergleichbar mit der späteren Fleckenserhebung und der Erteilung der Stadtrechte – macht das Dorf Bramstedt, als es zum Kirchspielsort und damit zum politischen und religiösen Zentrum eines rund anderthalb Dutzend Dörfer umfassenden Gebiets erhoben wird. Doch wann ist die Maria-Magdalenen-Kirche erbaut worden?
Die ältere lokalgeschichtliche Forschung war bemüht, die Kirchengründung möglichst weit zurückzuverlegen; man nahm an, daß bereits zur Zeit Karls des Großen, spätestens aber in ottonischer Zeit am Ort eine Kirche bestanden habe. Derartige Vorstellungen, die mitunter auch heute noch in kirchlichen Broschüren und Publikationen zum Ausdruck kommen, sind ganz irrig. In Wirklichkeit hat es neben der Kirche in Heiligenstedten, wo besondere Bedingungen vorliegen, zwischen Eider, Elbe und Nordsee jahrhundertelang nur drei Kirchen gegeben, nämlich die Gaukirchen für den Stormarngau in Hamburg, für den Dithmarschengau in Meldorf und für den Holstengau in Schenefeld. Noch im Jahre 1074 bezeichnet Adam von Bremen die Schenefelder Kirche als die Kirche der Holsaten. Bis in spätsalische, ja in staufische Zeit hinein ist damit Nordelbingen das einzige Gebiet des Heiligen Römischen Reiches, das nicht als christlich bezeichnet werden kann, da bei einer so schmalen organisatorischen Grundlage die volle Christianisierung des Gebietes undenkbar erscheint.
Als im Jahr 1127 der Pfarrer Vizelin nach Neumünster berufen wird, damit er von dort aus die Slawenmission in Ostholstein in Gang bringe, muß er feststellen, daß das Ausgangsgebiet im Osten des Holstengaus, also der Raum Nortorf-Neumünster — Bramstedt — Kaltenkirchen, noch nicht christianisiert ist. Helmold von Bosau, der eine Generation später seine Slawenchronik schreibt, berichtet, daß die Holsten damals lediglich dem Namen nach Christen waren und daß bei ihnen „vielfältige Verirrungen“ herrschten, da sie an heidnischen Hain- und Quellenkulten festhielten. Unter diesen Voraussetzungen kann von einem christlichen Leben in Bramstedt bis ins 12. Jahrhundert hinein keine Rede sein.
Was den Ausbau der nordelbischen Kirchenorganisation angeht, ist erst durch die Dissertation von Karl-Heinz Gaasch über die mittelalterliche Pfarrorganisation in Dithmarschen, Holstein und Stormarn, abgedruckt im Band 77 der Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-holsteinische Geschichte, Licht in das Dunkel gebracht worden. Gaasch unterscheidet zwei Ausbauphasen, nämlich das 12. und das 13. Jahrhundert. Dazwischen liegt, ohne daß dies bei Gaasch zum Ausdruck kommt, die Dänenzeit zwischen 1201 und 1227, die wegen der politischen Unsicherheit und der Kriegsgefahr aufgrund der Entschlossenheit der Schauenburger, die verlorene Grafschaft zurückzuerobern, nicht gerade zu Kirchenneubauten einlud. Übrigens hat es dann zwischen dem 13. und dem 19./20. Jahrhundert kaum mehr Kirchenneubauten in Holstein gegeben.
Zunächst dürften, wie spätere landeskundliche Forschungen nahelegen, die vier „Urkirchspiele“ entstanden sein, d. h. nach Schenefeld werden auch in Jevenstedt, Nortorf und Kellinghusen Pfarrkirchen errichtet, die für das jeweilige Gauviertel zuständig sind. Noch im Laufe des 12. Jahrhunderts entstehen dann weitere Kirchen in Itzehoe, Breitenberg, Neumünster und Hohenwestedt; dadurch verringert sich zwar die Größe der einzelnen Sprengel, doch weisen die Pfarrbezirke immer noch riesige Dimensionen auf. Nicht ganz eindeutig ist die Lage im Südosten des Holstengaues, denn die hier später anzutreffenden Kirchspiele Bramstedt und Kaltenkirchen sind beide erst zu Beginn des 14. Jahrhunderts bezeugt. Gaasch meint, daß die Kirche von Kaltenkirchen die ältere ist: „Für die im südostholsteinischen Raum zwischen den Parochien Kaltenkirchen und Neumünster liegende Kirche in Bramstedt, die urkundlich zuerst im Jahre 1314 nachweisbar ist, lassen sich für eine frühere Datierung nicht die gleichen entscheidenden Gründe vorbringen wie im Falle Kaltenkirchen. Bramstedt liegt nicht so zentral wie Kaltenkirchen in dem um 1200 anscheinend kirchenlosen Gebiet. Die Ausdehnung des Bramstedter Sprengels bleibt um einiges hinter derjenigen der alten, gut bezeugten Kirchen zurück. In der Größenordnung wurde er viel eher zu den Parochien der zweiten Gründungsperiode passen“ (Zeitschrift der Gesellschaft für schleswig-holsteinische Geschichte 77, Seite 42).
Der Meinung von Gaasch ist zuzustimmen. Trägt man die um 1200 bestehenden Kirchen in eine Karte des Holstengaues ein, so zeigt sich, daß sie einigermaßen gleichmäßig über das Gaugebiet verteilt sind, sieht man einmal von dem kaum besiedelten Nordosten und dem dichter besiedelten Störtal ab. Wäre die Bramstedter Kirche vor der Kaltenkirchener gegründet worden, so wäre der gesamte Südosten des Gaugebietes ausgespart geblieben. Den Bewohnern Bramstedts und der umliegenden Dörfer ist – je nach geographischer Lage – der Weg nach Kellinghusen, Neumünster oder Kaltenkirchen eher zuzumuten als etwa den Leuten aus Henstedt der Weg nach Kellinghusen oder Bramstedt. Überdies weist die Kirche von Kaltenkirchen mit ihrem Feldstein-Mauerwerk an der Nordseite des Turmes ältere baugeschichtliche Elemente auf als die Maria-Magdalenen-Kirche.
Mit Recht weist damit Gaasch die Bramstedter Kirchengründung der zweiten Ausbauperiode, also dem 13. Jahrhundert zu. Er macht ferner darauf aufmerksam, daß nach der eingangs zitierten Urkunde von 1344 die Patronatsrechte über die Maria-Magdalenen-Kirche von Bad Bramstedt in gräflichen Händen waren, daß also sehr wahrscheinlich das schauenburgische Haus bei der Kirchengründung beteiligt ist: „Daher ist aller Wahrscheinlichkeit nach die Kirchengründung auf einen holsteinischen Grafen zurückzuführen, auf welchen aber, das können wir nicht entscheiden“ (S. 43).
Wir können es sehr wohl entscheiden! Am Maria-Magdalenen-Tag des Jahres 1227, dem Tag der Schlacht von Bornhöved, schien der Sieg zunächst dem Dänenkönig Waldemar zuzufallen. In dieser kritischen Phase der Auseinandersetzung warf sich Graf Adolf IV von Schauenburg, der Führer der verbündeten norddeutschen Fürsten, auf die Knie und flehte die heilige Maria-Magdalena an, ihm doch noch den Sieg zu verleihen; für diesen Fall gelobte er den Eintritt in das Kieler Kloster.
Nicht nur der Landesherr, sondern das gesamte Land war der Heiligen nach dem doch noch erfochtenen Sieg unendlich dankbar. Symptomatisch ist beispielsweise die Gründung des Maria-Magdalenen-Klosters in Hamburg durch Graf Adolf IV, in das er 1239 selbst als Mönch eintritt. Im Lübecker Burgkloster werden noch gegen Ende des Mittelalters am Maria-Magdalenen-Tag Dankmessen für den Sieg bei Bornhöved gelesen. Was liegt näher als die Annahme, daß angesichts dieser Stimmungslage Graf Adolf IV an einem Ort, wo das schauenburgische Haus nachweislich seit langem Einfluß ausübt, zur Gründung einer Kirche schreitet, die der Heiligen gewidmet ist, der er seinen Sieg von Bornhöved verdankt? Das Patrozinium Maria Magdalena trägt damit zur Datierung des Bramstedter Kirchenbaus bei: Er dürfte mit einiger Sicherheit nach 1227, jedoch auch nicht wesentlich später erfolgt sein.

Zum Schluß seien die wichtigsten der hier vorgetragenen Thesen noch einmal zusammengefaßt:
1. Bramstedt wird im zweiten Drittel des ersten Jahrtausends gegründet.
2. Die Einwohner des Ortes leben von Anfang an nicht nur von der Landwirtschaft, sondern auch von Handel, Handwerk und Gastronomie.
3. Die Maria-Magdalenen-Kirche ist in den Jahren nach 1227 erbaut worden.
Alle drei Aussagen sind mit dieser Eindeutigkeit noch nie getroffen worden – kein Wunder, da die schriftlichen Quellen in dieser Hinsicht nichts hergeben. Zugegebenermaßen handelt es sich um Hypothesen, also keineswegs um gesicherte Erkenntnisse, aber auch nicht um völlig willkürliche Annahmen. Über ihre Tragfähigkeit wird die weitere ortsgeschichtliche Forschung entscheiden.

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