Curt Zimmermann: F. L. W. MEYER

Originaldissertation lagert in der:
Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle (Saale)

Reproduziert, gescannt und bearbeitet von Jan-Uwe Schadendorf, Bad Bramstedt (Holstein), 2005

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F. L. W. MEYER

SEIN LEBEN UND SEINE SCHRIFTSTELLERISCHE WIRKSAMKEIT.

EIN
BEITRAG ZUR LITERATURGESCHICHTE DES XVIII. UND XIX. JAHRHUNDERTS.

INAUGURAL-DISSERTATION

ZUR
ERLANGUNG DER DOCTORWÜRDE
VON DER
HOHEN PHILOSOPHISCHEN FACULTÄT
DER VEREINIGTEN FRIEDRICHS-UNIVERSITÄT
HALLE-WITTENBERG

VORGELEGT
von
CURT ZIMMERMANN
AUS BERBISDORF BEI HIRSCHBERG I. SCHL.
__________

HALLE a. S.
DRUCK VON EHRHARDT KARRAS.
1890.

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HERRN RITTERGUTSBESITZER

JULIUS HIRCHE,

SERCHA BEI GÖRLITZ I. SCHL. IN
DANKBARER VEREHRUNG GEWIDMET
VOM

                                                VERFASSER.

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Einleitende Vorbemerkungen.

Was über das Leben des Mannes, mit dem sich die folgenden Blätter beschäftigen sollen, veröffentlicht worden ist, beschränkt sich im wesentlichen auf den Abriss, welchen Elise Campe zugleich mit dem Briefwechsel F. L. W. Meyers mit Bürger, Forster, Göckingk, Gotter, Herder, Heyne, Schröder u. A. unter dem Titel „Zur Erinnerung an F. L. W. Meyer1), den Biographen Schröder’s“, Braunschweig 1847 (2 Theile) herausgegeben hat. –

Wenn nun in vorliegender Abhandlung aufs neue ein Ueberblick über M.’s Leben und im Anschluss daran eine Charakteristik seiner Werke gegeben wird, so geschieht dies deshalb, weil es bei Benutzung des heut vorliegenden Brief- und Documentenmaterials möglich ist, ein abgeschlossneres und vollständigeres Lebensbild zu entfalten, als es damals geschaffen werden konnte. – Wir begegnen in F. L. W. Meyer einer reichbegabten

1) Das Buch erschien anonym. – Von kürzeren Biographien in Sammelwerken verdienen hier noch Erwähnung:
Joh. Steph. Pütters „Versuch einer academ. Gelehrtengeschichte von der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen“. Göttingen 1765 und 1820; Bd. II, 192; III, 205
Hamberger-Meusel „Das gelehrte Deutschland“. Lemgo 1797; Bd, V, 205 f.
K. Gödeke „Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung“. Hannover 1859; Bd. II, 707.
Koberstein-Bartsch „Grundriss der Geschichte d. deutsch. National-litteratur.“ Leipzig 1873; Bd. IV, 194 Anm.
Jos. Kürschner in der „Allgem. Deutschen Biographie“ (herausg. unter Redaction von v. Liliencron u. Wegele); I.eipz. 1875, Bd. XXI, 573.
Ein (unvollständiges) Verzeichnis der Schriften M.’s findet sich an zerstreuten Stellen bei J. S. Ersch „Handbuch der deutsch. Litteratur seit der Mitte des XVIII. Jahrh.“ I. Aufl. Leipz. 1813; II. ebenda 1827.

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und liebenswürdigen Persönlichkeit, die in der letzten Hälfte des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts im Verkehr stand mit den bedeutendsten Repräsentanten der deutschen Dichtkunst und im geistigen Austausch mit diesen Männern regen Antheil an der litterarischen Bewegung ihrer Zeit nahm. Der ästhetische Werth seiner Schriften – dies sei im voraus bemerkt – ist freilich gering, historisch betrachtet aber werden sie für uns von Wichtigkeit, wenn wir sie mit den gleichzeitigen Erscheinungen verwandter Gattung in Zusammenhang bringen.

So darf unsre Darstellung, indem sie das Gedächtnis an einen Mann erneuert, der in dem halben Jahrhundert, seitdem sich die Erde über seinem Grabe geschlossen hat, vorzeitig dem Geschick verfallen ist, bei der Nachwelt in Vergessenheit zu gerathen, vielleicht den Anspruch erheben, einen Beitrag zur Kenntnis der litter. Zustände seiner Zeit zu bieten.

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Ich gebe hier eine Zusammenstellung der von mir benutzten Briefe, welche in neuerdings erschienenen Sammlungen enthalten sind, und die als periodisch fliessende Quellen neben den von Elise Campe mitgetheilten für meine Arbeit die Grundlage gebildet haben:

I. „Von und an Herder“, Briefe aus Herder’s Nachlass. Herausg. von II, Düntzer und G. Herder. Leipzig 1861. (vgl. II. Bd., 239 – 264.)

II. „Briefe von und an G. A. Bürger“. Herausg. von A. Strodtmann. Berlin 1874. (vgl. II. Bd. 361 – 371; III. 210 – 213. 222; IV. 6. 30 – 32. 52 – 59. 225 – 230).

III. „Caroline.“ Briefe an ihre Geschwister, etc. Herausg. von
G. Waitz. Leipzig 1871 (S. 24 – 152. 158. 196. 236. 313).
„Caroline und ihre Freunde.‘ Mittheilungen aus Briefen von
G. Waitz. Leipz. 1882 (S. 19 – 20).

IV. „Dreihundert Briefe aus zwei Jahrhunderten“. Herausg. von
K. v. Holtei. Hannover 1872 (Bd. I, 146 f.).

V. Das Manuscript eines noch nicht veröffentlichten Briefes M.’s an C. A. Böttiger. (Königl. Bibliothek zu Dresden. – Sign. Me 125. Nr. 59.)



Erster Theil.

Jugendjahre bis zum Abschlusse der Studien in Göttingen.
1758 – 1779.

Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer erblickte das Licht der Welt zu Harburg am 26. Januar 17581) als zehntes Kind des Postmeisters Henrich Meyer und dessen Ehefrau Charlotte, geb. Wismer. Nicht lange nach der Geburt des Knaben wurde der Vater als Oberpostmeister bei der hannoverschen Regierung in Hamburg angestellt und hier wurden ihm noch zwei Söhne, Friedrich Albrecht und David geboren, von denen der ältere, Albrecht, späterhin als Arzt eine geachtete Stellung einnahm, der jüngere aber ebenso wie die vor Wilhelm gebornen Kinder des Ehepaars in früher Jugend verstarb. Ueber die Familienverhältnisse sowie die erste Jugendzeit und Geistesentwicklung Wilhelms ist nur wenig bekannt. Die Eltern forderten den lebhaften Knaben soweit es in ihrer Macht lag. An seiner Mutter, die erst kurz vor 1800 gestorben ist, hing Wilhelm stets mit rührender Liebe, ihr sanftes Gemüth und tiefes Empfinden scheint sich auf den Sohn vererbt zu haben. Von dem Vater, der wohlhabend genug war, um die Kosten einer sorgfältigen Erziehung seiner wenigen, am Leben gebliebenen Kinder bequem zu bestreiten, wird erzählt2), daß er ungemein belesen war und vielseitiges Interesse für litterarische Dinge bekundete. Die grosse, gewerbreiche, lebhaft bewegte Stadt, in der Henrich Meyer seit

1) Nach den herrschenden Angaben soll M. am 28. Januar 1759 zu Harburg oder Hamburg geboren sein. Die richtige Bestimmung des Geburts-Tages und -Ortes ergiebt sich ans dem Kirchenbuche der evangel. Gemeinde zu Harburg, Jahrgang 1758 sowie aus dem Todtenregister der evangel.-luther. Gemeinde Bramstedt in Holstein, Kreis Segeberg, pro anno 1840 (Nr. 61).
2) Elise Campe a. a. O. S. 8 f.

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seiner Versetzung von Harburg dauernd seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte, war damals durch wissenschaftliche Cultur wie keine andre im Norden Deutschlands ausgezeichnet, sie vermochte auch den weitgehendsten Wunsch nach geistiger Anregung zu befriedigen. Als Lessing sich gegen Ende der sechziger Jahre in Hamburg aufhielt, um die dortige Bühne zu einem deutschen Nationaltheater umzubilden, welches andern zum Muster dienen sollte, trat der alte Meyer, wie Elise Campe berichtet, in ein näheres, persönliches Verhältnis zu dem grossen Dichter1) und Kritiker. Wenngleich dem heranwachsenden, gut beanlagten Knaben vorerst noch das Verständnis dafür fehlte, des Vaters Neigungen zu theilen, so darf man doch vermuthen daß die ersten Anregungen, welche ihm im Elternhause zuflossen, auf Entwicklung und Richtung seiner geistigen Anlagen nicht ohne Einfluss gewesen sind.

Nach des Vaters Ableben, der etwa 1772 gestorben sein muß, gehörte Wilhelm zwei Jahre lang dem Hamburger Johanneum als Schüler an, darnach sollte er – so war es schon bei Lebzeiten seines Vaters bestimmt worden – noch ein Jahr lang vor dem Abgange zur Universität das Pädagogium zu Ilfeld besuchen. Indessen zwang ihn eine schwere Krankheit, welche ihn auf dem Wege dahin befiel, zu seiner Mutter zurückzukehren und nach glücklich überstandener Gefahr sich in ihrer Nähe auf dem akademischen Gymnasium in Hamburg für die gelehrten Studien vorzubereiten.

Ueber die folgenden Jahre, die Zeit seines Aufenthaltes auf der Universität Göttingen, zu deren Studierenden er seit 1775 gehörte, sind wir ebenfalls mangelhaft unterrichtet. Nur soviel steht fest, daß M. bemüht war, eine gewisse allgemeine Bildung des Geistes zu gewinnen und daß ihn neben seinem eigentlichen Fachstudium, der Jurisprudenz, vornehmlich die Beschäftigung mit neueren Sprachen und zwar zunächst der französischen und englischen, seit 1778 auch der spanischen2) fesselte. – An der Hochschule, welche der junge Student besuchte, concentrirte sich

1) Vgl. F. Schröter und R. Thiele. „Lessings Hamb. Dramaturgie.“ Halle 1877. S. XXIII.
2) J. A. Dieze wurde hierin sein Lehrer.

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die gelehrte Bildung jener Zeit unbestreitbar in ihrer vollkommensten Form. In der Rechtswissenschaft, die in hohlem Formalismus erstarrt war, machte sich damals ein neuer, belebender Geist geltend, indem man anfing dazu fortzuschreiten, die philosophische Methode der Forschung aus andern Wissenschaften auf die Jurisprudenz zu übertragen und das deutsche Recht, abgetrennt vom römischen, als selbständige Disciplin zu behandeln. J. Steph. Pütter, M.’s Lehrer1) im Staatsrecht, hatte bereits versucht ein gemeines deutsches Privatrecht zu schaffen. Zu Chr. Gottlob Heyne, der im Anschluss an Winckelmann den Werth der ästhetischen Beurtheilung der erhaltenen Litteraturwerke des klassischen Alterthums betonte, erhielt M. gleich nach seiner Ankunft in Göttingen Zutritt. – An äusseren Mitteln zur Bereicherung seiner Kenntnisse, und zwar zunächst zu Studien in der neueren Litteratur, boten die Bücherschätze der Universitätsbibliothek das ausgiebigste Material; die Bibliothek war unter Heynes Aufsicht und auf seinen Betrieb in den letzten Decennien mit den neusten Erscheinungen der einheimischen und ausserdeutschen Litteratur derartig ausgestattet worden, daß sie mehr als jede andre Bibliothek den Forderungen der Zeit entsprach.

M., der von Hause aus grosse Vorliebe für das Theater hegte und durch die Ackermannsche Truppe in Hamburg tiefe und nachhaltige Eindrücke von der Schauspielkunst empfangen hatte, machte sich daran, in Göttingen die Werke der beliebtesten französischen und englischen Comödiendichter zu studieren; hierbei wurde Gotter auf ihn aufmerksam2) und dieser interessirte sich bald lebhaft für den jungen Mann. Friedrich Wilhelm Gotter, der zu der herzoglichen Hofbühne in Gotha, wo

1) In Pütters „Selbstbiographie“, Göttingen 1798, S. 658 ist M. als Mitglied eines von P. seit Mich. 77 bis Mich. 78 geleiteten Praktikums „Anleitung zur Jurist. Praxis“ aufgeführt; welche Vorlesungen er sonst noch gehört hat, liess sich nicht feststellen.
2) Es ist möglich, daß F. L. Schröder das Seinige dazu beigetragen hat, die beiden ihm bekannten Männer einander zu nähern. In den Briefen Schröders an Gotter aus den Jahren 1777 und 1778 (herausg. von B. Litzmann, Hamburg n. Leipzig 1887) findet sich allerdings keine dahin zielende Andeutung, aber aus Gotters Briefen an M. (vgl. z. Erg. I, 119 ff.) wird dies wenigstens wahrscheinlich.

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sich nicht ohne sein Zuthun der Geschmack am französischen Schauspiel am längsten unter den Bühnen Deutschlands erhielt, als Theaterdichter rege Beziehungen hatte, lud den jungen Studenten häufig zu sich und leitete seine dramatischen Versuche1). M. liess sich von dem um 12 Jahre älteren Freunde gelegentlich Verbesserungen an Theaterstücken aus dem Repertoire der Gothaer Bühne übertragen und schickte ihm eigene Uebersetzungen französischer Comödien zur Beurtheilung ein. Bei Besuchen in Gotha vermittelte Gotter seine Bekanntschaft mit Schauspielern von Ruf, wie Joh. David Beil, Heinrich Beck, vor allem mit Eckhof und Iffland. Eckhof starb erst am 16. Juni 1778 als Theaterdirektor in Gotha und M. hatte somit noch Gelegenheit dessen fein durchdachtes Spiel zu bewundern; mit Iffland2) behielt er auch während der folgenden Jahre Fühlung. – In Gotha nahm, wie auch anderwärts in Deutschland, seit 1775 das Singspiel einen hohen Aufschwung, und Gotter Latte im Verein mit Heinr. Aug. Ottokar Reichard, die volksthümliche Entwicklung der aus Frankreich importirten heiteren Operette begünstigend, zahlreiche Stücke des Marmontel, Hondly und andrer französischer Librettisten übertragen. Die meisten dieser Singspiele waren bereits in Frankreich von M. Gretry3) in Musik gesetzt, andere componirte der durch seine ausdrucksvollen Melodramen berühmte herzogl. Kapellmeister G. Benda4) in Gotha. Auch M. beschäftigte sich mit diesem Gegenstande und lieferte zwei Singspiele, von denen nur das eine unter dem Titel „Das Blendwerk oder die abgeredete Zauberei“, eine Bearbeitung von Marmontel’s „Fausse magie“, im Druck erschienen ist5). In Göttingen gehörte M. einer Privatgesellschaft an, welche dann

1) Briefe Gotters aus den Jahren 1778 – 86. Z. Erg. I, 119 – 140; K. v. Holtei a. a. O. I 146.
2) Iffland „Ueber meine theatral. Laufbahn.“ (Deutsche Litteraturdenkmale des XVIII. und XIX. Jahrhunderts.) Heilbr. 1880. S. XV.
3) Andre Modeste Gretry (1741 – 1813), geh. Rath des Bischofs von Lüttich, lebte damals in Paris.
4) Georg Benda 1721 -1795
5) Im „Theater der Ausländer“, herausg. von O. Reichard. 1778. I. Bd. Selbständig erschien es dann (Gotha 1780. Vgl. dazu den Theaterkalender auf das Jahr 1778, Gotha bei W. Ettinger S. 260.

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und wann ein Schau- oder Lustspiel zur Aufführung brachte; hier hatte er Gelegenheit sein eignes schauspielerisches Talent zu erproben und seine litterarischen Neigungen in den Dienst dieser Liebhaberbühne zu stellen. Aus den Jahren 1777 und 79 ist uns je ein für diese Gesellschaft von Dilettanten gedichteter Prolog1) erhalten, von denen der erste, der vor einer Aufführung des „Julius von Tarent“‚ gesprochen worden ist, Gotters Verdienst um die deutsche Bühne mit überschwänglichem Lobe preist. Man sieht daraus, welche Ton angebende Rolle der Verfasser der „Marianne“ in den für dramatische Litteratur empfänglichen Kreisen damals spielte und wie sehr auch M. unter dem Einflusse dieser Persönlichkeit stand.

Die Tage des Göttinger Dichterbundes waren nicht lange vorüber, als M. nach Göttingen kam, aber die Mitglieder desselben hatten sich schon in alle Winde zerstreut. Nur Bürger, der mit dem Dichterkreise nahe verbunden gewesen war, lebte noch dort und M. trat zu ihm in freundschaftliche Berührung. Bürger lernte in M. einen Menschen von guten Anlagen schätzen und bewog ihn, sich als Mitarbeiter an dem Musenalmanach , den Bürger seit 1779 herausgab, zu betheiligen. Bereitwillig ging M. darauf ein und lieferte seitdem regelmässig Beiträge. Bei Abfassung der ersten Gedichte, welche er für den Almanach spendete, mag die Abhängigkeit von Bürger wohl eine recht bedeutende gewesen sein, wenigstens erwähnt Bürger in einem Handschreiben an Boie vom 20. September 17792), daß die von M. eingesandten Stücke zur Hälfte ihm angehören. Als M. Göttingen verliess, empfahl Bürger ihn angelegentlich an Boie, indem er ihm einen Begleitbrief 3) mit auf den Weg gab. Interessant für die Kenntnis von M.’s äusserer Erscheinung ist die Beschreibung seiner Person, wie sie in diesem Passeport von Bürger in humorvoller Weise entworfen wird. Wir lassen deshalb deren Anfang hier im Wortlaut folgen: „Vorzeiger dieses, Wilhelm Meyer aus Haarburg, mittler Statur, rosenrötlichen Angesichts, heller Flachshaare, lächelnder Geberde, histrionischer Inclination, der Rechte Beflissener, der Poesie Dilettant, etwas

1) Theaterkalender auf das Jahr 1778, S. VII f. und 1779, S. XV f.
2) Strodtmann a. a. O. Bd. 11, 361.
3) ebenda S. 364.

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windigen Wesen, einen Stroh Bas redend, ist gesonnen von Göttingen ab über Hannover nach Hamburg, nach absolvirten Quadriennio academico, heimzureisen“ – – – .


Zweiter Theil.

Wanderjahre. – Meyer als Bibliothekar in Göttingen. –
Reisen nach England, Italien, Frankreich.
1779 – 1791.

Nach dem Abgange von der Universität zu Michaelis 1779 sah sich M. nach einer gesicherten Anstellung um. Allein die Ungunst äussrer Verhältnisse und sein eigener unruhiger Geist, in dem sich die verschiedenartigsten Pläne kreuzten, liessen ihn diese vorläufig nicht finden. Am günstigsten schienen ihm die Träume einer weitreichenden, seinen Fähigkeiten entsprechenden Thätigkeit in der Annahme eines Gesandtschaftspostens verwirklicht werden zu können, wobei ihm, wie er erwartete, seine ausgedehnte Sprachenkenntnis zu Statten kommen sollte, und er strebte deshalb darnach, einen Zugang zur diplomatischen Laufbahn zu finden. Der Versuch misslang, und M. nahm dafür vorübergehend ein Engagement1) als Secretair eines angesehenen Privatmannes in Petersburg an. Die kaum übernommene Verpflichtung löste sich jedoch sehr bald, weil jener Privatmann im Duelle fiel. Nach seiner Rückkehr aus Russland wurde ihm darauf das Amt eines Privatsecretairs am Hofe Friedrichs II. angetragen und M. siedelte zur Uebernahme dieser Stellung nach Berlin über. Weil man es aber lediglich darauf abgesehen hatte, die geselligen Talente des jungen, weltmännisch gebildeten Mannes dazu zu missbrauchen, um durch ihn die Stimmung der vornehmen Welt beobachten zu lassen, zog er sich schnell wieder von da zurück, weil er einen solchen Beruf für unverträglich mit Ehre und Gewissen hielt. Endlich betraute ihn im Jahre 1783 der Freiherr von der Horst, dem er empfohlen worden war, mit einer privaten Mission nach Wien2). Von der Horst

1) z. Erg. I, 10 f.
2) z. Erg. I, 63 – 97, 136 – 138.

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hatte seit 1766 in Preussen das Amt eines Staats- und Finanzministers bekleidet1), im Jahre 1774 aber seinen Abschied genommen und sich auf seine Güter zurückgezogen. Doch auch dort war der ehemalige Minister den Interessen des öffentlichen Lebens zugewandt geblieben, da der König nach wie vor grosse Achtung für ihn zu hegen fortfuhr und ihn oft au seinen Hof berief. Damit eröffnete sich dem Freiherrn die Aussicht, bei gelegener Zeit in seinem Vaterlande von neuem zu Bedeutung gelangen zu können. Die politische Constellation begünstigte im Jahre 1783 seine ehrgeizigen Pläne: damals war es der russischen Staatskunst gelungen, durch eine Verbrüderung mit Oesterreich sich in die Angelegenheiten des deutschen Reiches zu mischen, und da Kaiser Joseph II. im Streben nach Vermehrung seiner Macht zugleich mit England sympathisirte, erschien die bestehende Ordnung der Dinge für den preussischen Staat gefährdet. Von der Horst bediente sich der Gewandtheit und Beobachtungsgabe M.’s, um sich an Ort und Stelle über die Vorgänge in den massgebenden Kreisen Wiens unterrichten zu lassen. Die Geschicklichkeit2), mit der sich M. des ihm gewordenen Auftrages entledigte, läßt seine Befähigung für das diplomatische Fach zu Tage treten, indessen blieb die erstrebte Beförderung aus, weil sich die Verhältnisse friedlich entwickelten und von der Horst in stiller Zurückgezogenheit verharren mußte.

Mochte jene Thätigkeit, welche M. in Wien entfaltet hatte, immerhin zu den früheren Enttäuschungen neue hinzufügen, ganz ohne Nutzen ist sie doch nicht geblieben, insofern sie ihm den Blick für die grossen Verhältnisse des Lebens in Staat und Gesellschaft schärfte. Und noch einen andern, direkten Gewinn brachte ihm der Wiener Aufenthalt ein, indem er sich hier aufs innigste mit F. L. Schröder befreundete, der im April 1781 nach Wien übergesiedelt war.

1) Chr. W. von Dohm „Denkwürdigkeiten meiner Zeit“. Lemgo-Hannover. IV. Bd. 124. 1819.
2) Vgl. den z. Erg, I, 91 – 94 abgedruckten rapport général und die darin enthaltenen Informationen über Heeresverfassung, Gesinnung des Kaisers und seiner Minister etc.

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Wien bildete zu Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts einen geistigen Mittel- und Brennpunkt für deutsche Kunst- und Wissenschaft: von Dichtern und Schriftstellern harten sich von Ayrenhoff, Alxinger, Sonnenfels u. a. diese Stadt zum Aufenthalte ausersehen; die Musik stand in hoher Blüthe, denn schon strahlte Mozarts glänzendes Gestirn im Aufgange neben dem Haydns, und das neue Nationaltheater gedieh sichtlich unter der Fürsorge Joseph II. und seines Ministers Kaunitz. – Schrödern hatte M. im neunten Lebensjahre zum erstenmale auf der Hamburger Bühne agiren gesehen, später war er, als Schröder noch in der Eigenschaft eines Direktors und Prinzipals der Ackermannschen Gesellschaft zu Hamburg vorstand, in persönliche Beziehung zu dem um 16 Jahre älteren Künstler getreten, jetzt schlossen sich beide in herzlicher Zuneigung aneinander, und erst der Tod Schröders machte diesem Bunde ein Ende.1)

Kein Wunder, daß Schröders geniale Künstlernatur einen so folgereichen Einfluss auf M. ausübte! Bedeutet doch die Zeit, in der Schröder in Hamburg und Wien wirkte, eine Glanzperiode des deutschen Theaters; in seiner Umgebung befand sich eine Auswahl hochbegabter Künstler und Künstlerinnen, welche sich unter den Augen des Meisters herangebildet hatten. Unter Schröders sichrer Führung studirte M. mit eifrigem Bemühen die Bedürfnisse des Theaters und verschaffte sich eine eingehende Bühnenkenntnis. Galt Ms. Bewunderung auch zunächst und vornehmlich dem Künstler, der durch seine harmonisch ausgebildete Persönlichkeit und sein Streben, den vielgeschmähten Stand des Schauspielers zu Ehren zu bringen, sich allgemeine Achtung erworben hatte, so lernte er doch bald im Zusammenleben mit ihm auch den Menschen schätzen, und beide nahmen an einander aufrichtigen Antheil. Schon im Jahre 1783 nennt Schröder den Freund „den Einzigen, dem sein Herz offen ist“2) und bemüht

1) Für die Geschichte der deutschen Schauspielkunst ist es ein Verlust, daß von dem regen Briefwechsel, der zwischen Schröder und M. bestanden hat, verhältnismässig nur ein spärlicher Rest erhalten ist. Vgl. zur Correspondenz beider  z. Erg. I, 98. 230 – 238, 269 – 276. II, 92 – 118, 122 – 147; ausserdem die in M.’s Schröder-Biographie verarbeiteten Briefe.
2) Brief vom 26. März 1783. z. Erg. I, 99.

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sich den unruhig hin und her Tastenden, auf dessen Jugend fort und fort die Sorge und Mühe um die Nothdurft des Lebens lastete, dauernd für die Zwecke der Bühne zu fesseln, ohne daß ihm dies jedoch gelang. Das Unglück wollte es, daß die Unsicherheit der Lebensstellung M.’s noch dadurch vermehrt wurde, daß seine Mutter ein Drittheil ihres Besitzes, die Ersparnis aus bessrer Zeit, durch die Unredlichkeit eines Freundes der Familie verlor. Um sich die Mittel für seine Subsistenz zu verschaffen, übernahm M. gegen Ende des Jahres 1783 das Amt eines Auditors bei dem Justizcollegium in Stade. Allein von Anfang an fühlte er hier Unbehagen , und sein Freund Gotter, der im voraus ahnte, welche Opfer die Berufsgeschäfte, die seiner dort warteten, von ihm fordern, welche Kasteiungen sie ihm auferlegen würden, beurtheilte ihn richtig, indem er ihn einer „gehorsamen Tochter“ verglich, „die sich ins Joch der Ehe schmiegt, um eine Versorgung zu haben.“1) Für die Unzufriedenheit, die M. in der neuen Laufbahn empfand, entschädigte ihn anfangs die Nachbarschaft von Hamburg, wo er häufig alte Bekannte und Verwandte wiedersah, aber nach und nach wurde ihm die Bürde des Amtes unerträglich, und die Sehnsucht nach einer erfrischenderen Thätigkeit und einiger Muße für seine Lieblingsbeschäftigungen erfüllte sein Herz. In dieser Noth kamen ihm die Göttinger Freunde zu Hülfe: man trachtete darnach, ihm zu einer seinem Naturell angemessneren Lebensstellung zu verhelfen, und als nun nach dem Abgange des Prof. Dieze2) die Stelle eines Bibliothekars an der Göttinger Bibliothek erledigt war, erhielt M. durch Heynes Vermittlung dieses Amt. Heynes Wahl fiel auf M., weil er dessen Vertrautheit mit den neueren Sprachen kannte und erwarten durfte, M. würde Diezes Thätigkeit am besten ersetzen.3)

M. verliess Stade mit leichtem Herzen; wenn auch mancherlei Pläne, denen er bis vor kurzem noch ein Vorrecht zu-

1) Brief vom 24. Sept. 1783.  z. Erg. I, 139.
2) Joh. Andr. Dieze, geb. 1729 zu Leipzig, 1764 – 1784 Professor in Göttingen, 1785 gest. in Mainz. Vgl. Pütter „academ. Gelehrtengeschichte“ II, 228.
3) Brief Heynes an Herder vom 24. Mai 1786. Vgl. „Von und an Herder“ II, 202.

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gesprochen hatte, der Aussicht auf ein gesichertes Einkommen zu Liebe zurückgesetzt werden mußten. Seit Juli 1786 erhielt M. nach der Ankunft1) der 3 jüngsten Söhne König Georgs III. von England einen Zuwachs von Geschäften, indem man ihm die Unterweisung der Prinzen in der deutschen Sprache übertrug. Wahrscheinlich ist M. in Göttingen zugleich als Docent thätig gewesen, wenigstens findet sich im Lectionskatalog für das Sommerhalbjahr 1787 und das folgende Winterhalbjahr2) die Ankündigung, Prof. Meyer3) werde die wichtigsten Kapitel der neueren Gelehrtenhistorie erläutern.

Hatte M. früher schon häufig Reisen nach den verschiedensten Theilen Deutschlands unternommen, so fühlte er jetzt erst recht ein dringendes Bedürfnis dazu, sich, so oft es die Zeit erlaubte, von den mechanischen Arbeiten auf der Bibliothek durch Reisen zu erholen, schöne Natur zu gemessen und im Verkehr mit geistesverwandten Männern litterarische Tagesfragen zu erörtern und Büchertitel und -repositorien zeitweise zu vergessen. So unternahm er gegen Ende Mai 1786 eine längere Reise nach dem Rhein, auf der er in Frankfurt a. M., Heidelberg und Mannheim theils alte Freunde wie Iffland, Beil, Bock an letztgenanntem Orte aufsuchte, theils neue Bekanntschaft schloss. In Frankfurt sah er Göthes Mutter, in Hanau verkehrte er mit Sömmering, in Darmstadt traf er mit Schleiermacher und Lichtenberg zusammen4). – Eine neue Reise, die im folgenden Jahre vom 26. Mai – 28. Juni dauerte, führte ihn über Frankfurt, Coblenz, Cöln nach den Niederlanden bis Lüttich und Brüssel. Bei der Rückkehr bildete Weimar beidemale den Endpunkt seiner Reise und hier verweilte er am liebsten und längsten: durfte er sich doch zu den vertrautesten Günstlingen der Herzogin Amalia rechnen, und Einsiedel, Bode, Musäus sowie Herder freuten sich stets seines Erscheinen in ihrer Mitte.

Mit Herder war M. zum erstenmale im Juni 1786 persönlich zusammengetroffen und zwar hatte ihn Hofrath Heyne auf seinen

1) Pütter’s „Selbstbiographie“. S. 778 f.
2) Gött. Anzeigen 1787. 5. und 156. Stück.
3) Einen anderen Professor gleichen Namens gab es damals nicht, welcher daßelbe Fach im Lehrkörper der Universität vertreten hätte.
4) Genaueres über diese und die folgende Reise ist z. Erg. I, 159 ff. zu finden.

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besonderen Wunsch empfohlen.1) Die einmal angebahnte Vereinigung beider erhielt dadurch festeren Bestand, daß Herder bei Abfassung seiner kritischen, poetischen und theologischen Arbeiten häufig die Schätze der Göttinger Bibliothek in Anspruch nahm, wobei M. ihm für Beschattung der nachgesuchten Materialien hilfreiche Hand zu bieten im Stande war. Daneben unterstützte er den Dichter, da Herders Bestrebungen für Erweckung des geschichtlich Eigenthümlichen in der Poesie ihn mit Bewunderung erfüllten, bei dessen Sammlungen von Volksliedern, er empfahl ihm Lieder, die das Volk in Marokko singt2), suchte nach Bruchstücken der Ossianischen Lieder u. dergl. mehr. Was M. bei Herder besonders hochschätzte, war die glückliche Verbindung de» Philosophen, Dichter und Aesthetikers in einer Person, die er in dieser eigenartigen Mischung und gegenseitigen Durchdringung bei keinem seiner Vorgänger und Zeitgenossen wiederfand; „Herder war“ – so urtheilt M. im spätem Leben über den längst Entschlafenen – „wie jeder grosse Geist nur einmal in der Welt, und wir würden Unersetzliches zu verlieren glauben, wenn ihn die Natur nach einem andern Stempel ausgeprägt hätte.“ 3)

Persönliche Vorzüge, Gewandtheit im Verkehr, eröffneten M.’n auch in Göttingen zu der schöngeistigen Welt, die ihn dort umgab, leicht den Zutritt. Zwischen ihm und Bürger bildete die Theilnahme am Musenalmanach ein äusseres Band: in wechselseitigem Ideenaustausch kam es dabei unter den Freunden zu freimüthigen Rathschlägen über eigene Produkte wie auch über die aufzunehmenden Sachen ans der Feder der übrigen Mitarbeiter, und Bürger führte M.’n, dessen Name noch wenig oder gar nicht bekannt war, beim Publikum ein. Heinr. Pröhle4) wird weder Bürgern noch auch Meyern gerecht, wenn er annimmt, Bürger habe sich gerade diesem Vertrauten seines Herzens gegenüber in seiner

1) H. Düntzer a. a. O. II, 202. – Zu dem von Düntzer mitgetheilten Briefwechsel zwischen Herder und M. treten die z. Erg. I. 165 – 179, 288 – 291; II, 8 – 10 veröffentlichten Briefe Herders als Ergänzung hinzu.
2) Vgl. den Brief vom 19. November 1786
3) „Krit. Blätter der Börsenhalle“. Hamb. 1831 Nr. 57. S .242
4) H. Pröhle „Gottfr. Aug. Bürger, sein Leben und seine Dichtungen“. Leipzig 1856. S. 73.

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völligen Natürlichkeit gezeigt, und M. habe in den derben, burschikosen, oft auch rücksichtslosen und verletzenden Ton eingestimmt, den jener allerdings im persönlichen Zusammensein und in Briefen anzuschlagen liebte. Bürger hat auch vor den andern Göttingern Freunden keine „Maske“ vors Gesicht genommen, sich im Verkehr mit ihnen nicht nur „als den abstrakten Dichter und Schwärmer‘ gezeigt, und M. fühlte sich zuweilen durch seine „lästerlichen“ Reden verletzt und mußte alle Erinnerung ehemaliger Freundschaft sich ins Gedächtnis rufen, um ihm auf gewisse Briefe zu antworten1). – Die Schwächen, welche M. in dem Leben des Dichters wahrnahm, fand er auch in seinen lyrischen Produkten wieder; in einem Briefe an Heyne2) charakterisirt er die 1789 erschienenen Bürgerschen Gedichte folgendermassen: „Popularität, die keine Grazie zuläßt, tönende Worte für gemeinen Sinn, Stolz, der das Verdienst seinem Richter aufdringen will , und vor allem die häufige Wiederkehr der beleidigenden Forderung, daß eine Gottheit, wie wir uns die christliche denken, sich um alltägliche Liebeshistorien und Küsse kümmern und verwenden sollte, Vermischung der Sprache und des Tones, Dehnung, Mangel an Empfindung und Verstösse gegen die Anständigkeit, berauben den Dichter beinah der vorzüglichsten Eigenschaften, um derentwillen er Achtung verdient.“ Diese Beurtheilung mag immerhin zu scharf und übertrieben genannt werden, sie erklärt doch zur Genüge, woran M. am meisten bei dem Dichter der „Leonore“ Anstoss nahm und weshalb er sich, trotz Bürgers wiederholtem Drängen, die Recension seiner Gedichte für die Göttinger Anzeigen zu verfassen, nicht dazu verstand, seinem Wunsche zu willfahren.

In den Tagen, als der poetische Liebeshandel Bürgers mit Elise Hahn3) anhub, der einen für Bürger so überaus prosaisch-traurigen Ausgang nahm, befand sich M. auf Reisen in Italien.

1) Man vgl. hier besonders den Brief vom 14. April 1789 (Strodtmann a. a. O. III, 222 f.).
2) Düntzer „Von und an Herder“ II, 255,
3) Ebeling „G. A. Bürger und Elise, Hahn“. Leipzig 1868. – „G. A. B.’s dritte Heirathsgeschichte; aus einem eigenhändigen Briefe desselben mitgetheilt von Wd. in L.“ im „Allg. Litter. Anzeiger“. 1799. Seite 1516 f.

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Von Tatter1) über den Vorgang benachrichtigt, verfasste M. eine „Warnung“2), die in scherzhaftem Gewande bittern Ernst enthielt und Bürgern vor einem unüberlegten Schritte bewahren sollte. Bürger dichtete darauf eine Palinodie ‚Antwort an Frau Menschenschreck‘, überhörte des Freundes Mahnung und machte das Schwabenmädchen im Herbst 1790 zu seiner Gattin. Allein M. hatte recht gesehen, ‚die Schatten seiner seeligen Frauen rächten sich‘ – wie eine Zeitgenossin schrieb – ‚bitter in der Lebendigen‘ – Elise Hahn war eine Ehebrecherin und Vagantin, schon im Febr 1792 erfolgte der richterliche Ausspruch der Ehescheidung und Bürger war an Geist, Leib und Vermögen zu Grunde gerichtet.

Im Hause des Hofrath Heyne, wo der Bibliothekar stets ein gern gesehener Gast war, wurde M. im Jahre 1785 auch mit G. Forster3) befreundet, der bald darauf nach seiner Verbindung mit Heynes ältester Tochter Therese als Professor der Natur-. Wissenschaften nach Wilna ging. Wichtiger als die Bekanntschaft mit Forster und Therese sind M.’s Beziehungen zu der Tochter des Göttinger Orientalisten Joh. David Michaelis, Caroline, die er schon vor ihrer Vermählung4) mit Dr. Böhmer in Clausthal, der bereits 1788 starb, in der Gotterschen und Heyneschen Familie öfter gesehen hatte. Caroline Michaelis5) hatte in. ihrer Jugend eine ausgezeichnete Bildung und gelehrte Erziehung, hei der sie sogar in die klassischen Sprachen eingeweiht worden war, empfangen. Der Eindruck, welchen sie auf M. ausübte, muß ein tiefer gewesen sein; zwar hatte ihre Erscheinung, so angenehm die edlen Züge, die schlanke, zartgebaute Gestalt auch waren, nichts Blendendes, aber aus den grossen Augen des

1) Vgl. über ihn z. Erg. I, 311. – G. Waitz „Caroline“ S. 46.
2) Im Gött. Musen-Almanach 1791. S. 116 f. zugleich mit der ,Antwort’ veröffentlicht. – Strodtmann a. a. O. IV, 52 f.
3) z. Erg. I, 180 f.
4) im Juni 1784.
5) R. Haym „Ein deutsches Frauenleben aus der Zeit unserer Litteraturblüthe“. Preuss. Jahrbücher XXVIII, 457 ff. – Derselbe „Die romantische Schule“. Berlin 1870. S. 164 und 871. – G. Waitz „Caroline“. Leipzig 1871 sowie „Caroline und ihre Freunde“, ebenda 1882. Wilhelm Scherer „Geschichte der deutschen Litteratur“. Berlin 1884 S. 618.

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‚kleinen, lieben Mädchens‘ – wie Tatter sie schwärmerisch nennt – blickte eine Tiefe des Gemüths, ein durchdringend scharfer Verstand, vermischt mit Witz, liebenswürdiger Bosheit und neckischer Heiterkeit samt einem Reichthum der Phantasie hervor, daß sie die Herzen aller derer, welche der Zufall in ihre Nähe führte, in Fesseln schlug. M. hat wohl, soviel läßt sich aus den vorhandenen1) Documenten entnehmen, nach Böhmers Tode lange Zeit Hoffnung auf eine Verbindung mit Caroline gehegt. Aus der Offenheit, mit der Caroline sich ihm bei all ihrem Thun entdeckt, mit der sie über die intimsten Beziehungen der Gesellschaft in den Göttinger, Gothaer und Weimarer Kreisen sich ausspricht, kann man schliessen, daß sie ihm wohl kaum noch etwas zu verschweigen gehabt hat, das einem Geheimnisse ähnlich sah, und daß bei M. die Achtung, die er ursprünglich für sie empfunden hatte, allmählich einer stillen, aber tiefen Neigung Platz machte. Aus ihren Briefen erhält man die beste Schilderung der Charaktereigenthümlichkeiten M.’s, Caroline kennt genau sein Wünschen und Hoffen, seine geistigen Vorzüge wie seine moralischen Schwächen und fürchtet die Gefahr, der sich der Freund mit seinem unruhigen Sinn und rastlosen Umherirren aussetzt. Aber dies war es gerade, worin ihre beiden Naturen, die keineswegs so gleichgestimmt waren, wie sie meinte, sich begegneten; auch ihr war eine entschiedene, „instinktmässige Neigung2) zur Unabhängigkeit“ als Erbgut verliehen und wurde ihr gefährlicher als dem Manne, dessen wechselvolle Lebensführung sie oft und gern mit der ihrigen in Parallele stellte. Die drückende Lage, in der sie nach dem Tode des Gatten sich befand, die Unruhe der sie umgebenden Welt, wurden ihrem unbefangenen Sinn verderblich: sie überschritt die Grenzen,

1) Es sind nur die Briefe Carolinen» erhalten. – In dem vom 20. Februar 1794 datirten Briefe ist von einem M.’schen Werke „Die Erlösung“ die Rede, welche Carol. zum Entzücken schön geschrieben nennt. (G. Waitz bemerkt hierzu in einer Anmerkung (S. 137), ihm sei dies Gedicht oder Buch M.’s nicht bekannt. Zur Ergänzung dieser Anmerkung diene deshalb, daß Carolinens Worte sich auf eine im Februarheft der „Annalen des Theaters“ für 1793, Berlin (S. 97 – 131) enthaltene allegorische Erzählung, die M.n zum Verf. hatte, beziehen.
2) Vgl. Waitz „Caroline“. S. 124.

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welche dem Weibe gezogen sind, indem sie sich 1792 nach Mainz zu G. Forster begab und an dessen Bestrebungen für Ausbreitung der französischen Freiheitsideen in Mainz betheiligte, wobei sie sich in ihrem Verhalten gegenüber Forster, Therese und Huber so stellte, daß ihr Auftreten zu den ärgsten Deutungen Anlaß gab. Allgemein wurde sie bei ihrer Rückkehr als Abenteurerin betrachtet und ihr Schuld gegeben, Forsters Unglück, der, seines ehelichen und häuslichen Glückes von einer liebeleeren Gattin beraubt, in Paris 1794 gestorben war, mit verschuldet zu haben. Obwohl M. den Enthusiasmus für die französische Revolution ganz und gar nicht getheilt hatte, nahm er sich der Unglücklichen, die sich im Vaterlande wie eine Ausgestossene vorkam, doch an und versuchte ihre erschütterte Stellung zu befestigen. Wie weit seine Bemühungen in dieser Hinsicht gegangen sein mögen, ist nicht mehr zu entscheiden; wir erfahren aus den Briefen nur noch, daß es, trotz aller Schonung, die M. ihr und ihrem Geschlechte angedeihen Hess, nicht mehr zu dem ehemaligen Einvernehmen kam, so oft Caroline auch ihre Rechtfertigung versuchte. Verlassen von ihren Freunden, geschmäht und verdächtigt von ihren Feinden, suchte und fand sie Hülfe bei A. W. Schlegel (Sommer 1793). Aber auch jetzt noch hält sie mit Hartnäckigkeit daran fest, sich bei einer persönlichen Zusammenkunft über ihr Verhalten mit M. zu verständigen1) und bei ihm, „der eine ernste Sache ernst behandeln werde“, die Verdächtigungen zu zerstreuen, die man ihm über ihre Person ins Ohr geflüstert habe. In der That kam es gegen Ende 1793 zu einer mündlichen Aussprache beider, nachdem sie 5 volle Jahre einander nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gesehen hatten. – Trotz offenbarer Erkaltung in ihren Beziehungen setzte sich der Briefwechsel noch bis 1794 fort; seitdem Caroline jedoch ihre Verbindung mit W. Schlegel eingegangen war, scheint er erloschen zu sein.

Mit dem Jahre 1788 erreichte M.’s Aufenthalt in Göttingen sein Ende. 3 Jahre lang hatte er hier als Custos an der Bibliothek gewirkt, als ihn ein unwiderstehliches Verlangen nach der früheren Ungebundenheit ergriff. Das spiessbürgerliche Treiben

1) Vgl. Brief vom 9. December 1793.

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der Göttinger Gesellschaft, der steife und hohle Pedantismus1) der gelehrten Kreise, vor allem aber die geplagte Stellung als Bibliotheksbeamter verleideten ihm auf die Dauer das Leben in Göttingen. Schnell entschlossen, die drückenden Fesseln abzuschütteln, kehrte er der Stadt den Rücken mit dem festen Vorsatz, nie mehr dahin zurückzugehen.

M. wandte sich, um seine erschütterte Gesundheit auf Reisen zu kräftigen und um sich in einem andern Lande ein Glück zu suchen, welches ihm ein widerwärtiges Geschick in Deutschland zu versagen schien, nach England. Nach kurzem Aufenthalte in Hamburg kam er am 25. Aug. 1788 in London an. Sein Augenmerk war hier darauf gerichtet, keine Seite des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens unbeachtet zu lassen: er wandte der Beredsamkeit im Parlament, vor Gericht und auf der Kanzel seine Aufmerksamkeit zu, besuchte die grösseren Bibliotheken des Landes und lebte im Verkehr mit Männern von der verschiedensten Richtung in Staat und Kirche. Die Empfehlungen, welche er von Heyne mitgenommen hatte, seine ausgedehnten Kenntnisse der Geschichte und politischen Verhältnisse Englands, eine vollständige Beherrschung der Sprache des Landes vermittelten den Zutritt zu berühmten Personen2). So beehrte ihn Edmund Burke in seinem Hause zu Beaconsfield mit herzlicher Zuneigung, durch ihn kam er in Berührung mit Thomas Payne3), dem eifrigen Verfechter der Volksrechte Nordamerikas; in Edinburgh machte er die Bekanntschaft Adam Smith’s und des Schauspielers John Kemble. Bei Gelegenheit seines Verweilens in Windsor empfing ihn der regierende König Georg III. mit Gemahlin in besonderer Audienz, wobei M. über die Verhältnisse der Göttinger Universität und die Fortschritte der daselbst studirenden Königssöhne Bericht erstattete. In London besuchte M.

1) Ueber die damaligen Göttinger Gesellschaftszustände vgl. man „Briefe eines Reisenden über Göttingen“ in der „Litteratur- u. Theaterzeitung“. Berlin 1784. I. Theil. S. 164 f.
2) Vgl. die Aufzeichnungen aus dem von M. in England geführten Tagebuche z. Erg. I, 238 – 269.
3) Es ist derselbe P., der am 15. Jan. 1793 vor dem französischen Nationalconvente im Namen seiner amerikanischen Brüder gegen die Vollziehung des Todeurtheils an Ludwig Capet Protest einlegte.

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allabendlich eins der grossen Theater zu Conventgarden, Haymarket oder das Theater Drurylane; neben dem erwähnten Kemble war es ihm vergönnt, hier Mrs. Siddons, die vielgefeierte Tragödin, und Mrs. Jordan, „die entzückende Muse des Lustspiels“ zu bewundern1).

Wegen des Ausbruchs der französischen Revolution lenkte M. nicht, wie es ursprünglich in seiner Absicht gelegen hatte, die Schritte nach Frankreich, sondern begab sich von London aus, das er am 10. October 1789 verliess, direkt nach Italien. Unterwegs gönnte er sich nur in Mannheim etliche Tage Rast und genoss dabei vorzugsweise den Umgang mit dem Kammerpräsidenten von Dalberg sowie den Schauspielern Iffland und Beck. –

Nachdem M. hesperischen Boden betreten hatte, überliess er sich mit aller ihm zu Gebote stehenden Frische und Freude den Genüssen, welche Natur und Kunst ihm in Italien darboten2). Nicht mit den Augen des Gelehrten, Antiquars, Künstlers oder Dichters wollte der Pilger in Italien Umschau halten, sondern „mit den Augen des Volkes“3) suchte er sich den Eindrücken der unsterblichen Meisterwerke hinzugeben, welche Meissel und Pinsel der Raphaele, Tiziane, Angelos auf den Beschauer ausüben. Geniessend und doch zugleich lernend trachtete er darnach, den Geist der verschiedenen Künste lebendig zu erfassen und sich in dem Lande ihrer Geburt das Verständnis der Dichter, eines Dante, Petrarca, Ariost, Tasso zu vervollständigen. In Rom traf er eine grosse Anzahl Deutscher: Zoega, Einsiedel, Reichardt u. a. lebten gerade dort; unter allen schloss M. sich damals am engsten an den Maler Müller4) an. Während der 16 Monate, die M. in Italien weilte, unternahm er im Mai 1790

1) Welches Ergebnis M. selbst aus seiner Reise nach England gezogen hat, erhellt aus seinem Briefe an Herder vom 7. October 1789, vgl. Düntzer a. a. O. II, 252.
2) Vgl. die Auszüge aus dem in Italien geführten Tagebuche z. Erg. I, 291 – 296.
3) Brief an Heyne vom 31. October 1789 aus Benedictbeuern; bei Düntzer, a. a. O. II, 254.
4) M. bewirkte dessen Wiederauftreten im Gött. Musen-Almanach. Vgl. B. Seuffert „Maler Müller-. Berlin 1877. S. 47.

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einen Ausflug nach Basel und Zürich, ging von da über Turin, Pisa nach Florenz, besuchte hier die Laurentianische Bibliothek und besichtigte eingehend die Kunstschätze der Stadt. Nach zweimonatlichem Verweilen in Rom machte er noch einen Abstecher nach dem Süden und kam bis Neapel, wo er mit Hackert und Tischbein in Verbindung trat.

Am 2. Mai 1791 überschritt M. die Alpen, um sich vor Antritt seiner Rückreise noch vorübergehend in Frankreich aufzuhalten; seine Route führte ihn geradenwegs über Lyon nach Paris1). Allein wegen der Unruhe, welche im Lande herrschte, wurde ihm das Leben in Frankreich rasch verleidet. Am Besuche der Theater fand er zwar grosses Wohlgefallen, besonders Talmas vortreffliches Spiel in den Rollen Heinrichs VIII. und des Cid entzückte ihn, aber trotzdem ergriff er bald wieder den Wanderstab und reiste, Paris am 30. Juli verlassend, über Mannheim nach Hamburg zu seinem Freunde Schröder, der ihn am 11. September 1791 mit offenen Armen empfing.

Bei der Auswahl seines Aufenthaltsortes schwankte M. zwischen Hamburg und Berlin. Schröder hätte ihn gern dauernd in seine Nähe gezogen, und auch Heyne, in dessen Auftrage M. diejenigen Erscheinungen aus der italienischen Litteratur, welche der Bibliothek in Göttingen fehlten, nach eigener Erwägung ausgewählt und besorgt hatte, versprach ihm brieflich die alte Stellung mit derselben Besoldung wie früher zu verschaffen, aber M. schlug jedes Anerbieten aus, er entschied sich für Berlin, in der Hoffnung, daß ihm die Musen dort den Tisch decken würden.

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Von hier aus blicken wir zurück auf M.’s schriftstellerische Wirksamkeit. Bereits als Schüler des Hamburger Johanneums hat er seine Mußestunden zu kleinen Theaterarbeiten benutzt. Diese Thätigkeit fürs Lustspielfach erstreckt sich zunächst über einen Zeitraum von 20 Jahren. Er hat, soviel uns bekannt ist, bis zum Jahre 1793 9 Lustspiele2), meist Ueber-

1) z. Erg. I, 296 – 300.
2) Abgesehen von den Comödien, die er im Verein mit Schröder verfasst hat.

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setzungen oder Bearbeitungen französischer und englischer Bühnenstücke geschrieben, ferner 2 Schauspiele, 2 Operetten und 1 Nachspiel. Da M. in seinem späteren Zusammenleben mit Schröder von neuem rege Thätigkeit für die Bühne entfaltete, werden wir an anderer Stelle auf den künstlerischen Werth, Tendenz und Charakter seiner Leistungen auf dramatischem Gebiete zurückzukommen haben.

Daneben entstand seit dem Jahre 1779 eine Menge lyrischer Gedichte1), welche Bürger grösstentheils in seinen Mus.-Alm. aufnahm; 1792 hat dann M. selbst unter dem Titel „Spiele des Verstandes und Witzes“ eine Sammlung2) veranstaltet, alles übrige ist in Zeitungen und Almanachen zerstreut, da eine zweite

1) Nicht zugänglich war mir der „Wienerische Musen-Almanach“ auf 1783 und 1784 (ed. H. Ratschky), in welchem gleichfalls Gedichte von M. veröffentlicht worden sind.
2) In Berlin erschienen. – In einem tabellarischen Ueberblicke führen wir die Gedichte auf, die in den „Spielen“ entweder gar keine Aufnahme gefunden haben oder dort in völlig veränderter Gestalt erschienen sind:

Gött. Musen-Almanach 1780.
„Antwort auf das Billet-doux eines Dichters“ S. 93 (unterzeichnet mit „Pine“). – „An Bianka, bei einer Beerdigung“ S. 97 und „Der kleine Vogel“ = „Spiele“ S. 13 und 185.

Musen-Almanach 1786.
„Der Tadel“ S. 50. – „Vorwort.“ „Spiele“ S. l. „Laidion“ S. 92.

Musen-Almanach1787.
„Elegie“ S. 167. – „Der Namenstag“ S. 174. – „Berichtigung des Homer“ S. 185.

Musen-Almanach 1788.
„Die Warnung“ S. 20 = „Verlorne Müh“. „Spiele“ S. 28. „Rechtfertigung“ S. 85 = „Genügsamkeit“. „Spiele“ S. 194. „Liebesbanden“. S. 93 = „Im Thal“. Sp. S. 41. – „Der Frühlingstochter“. S. 133. – „Evangelium“. S. 158.

Musen-Almanach 1790.
„Bacchidion an Apollonius“, S.21 = „Spiele“ S. 56. – „Der Traum“ S. 120 = „Spiele“ S. 59.

Musen-Almanach 1791.
„Vergangenheit“ S. 129 = „Der erste Trieb“ Spiele. S. 31.

Die während der Jahre 1780 – 87 gespendeten Beiträge für den Musen-Almanach tragen die Chiffre Gu., von 1788 an sind sie mit voller Namensunterschrift versehen.

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Sammlung von Gedichten durch ihn selbst unterdrückt wurde. In den frühesten Gedichten, die um 1780 abgefasst sind, ist der Einfluss Bürgers und der ihm verwandten Dichter unverkennbar, M. theilt mit ihnen das Streben nach Glätte der Form, Anmuth des sprachlichen Ausdrucks und nach witzigen, feingefühlten Anspielungen, aber die Härten des Stils, der häufig vortretende Mangel an logischem Zusammenhang der den Gedichten zu Grunde liegenden Ideen, das Streben, die fehlende Tiefe des Inhalts durch äusseren Schmuck, pomphafte Wendungen und dergl. zu verdecken, vor allem aber die absichtliche Dunkelheit im Gedankengange1) verrathen deutlich den Abstand, der ihn von jenen Vorbildern getrennt hält. Deshalb erscheinen auch noch in späteren Jahren gerade die Gedichte, zu denen keine direkten Vorlagen benutzt worden sind, vorzüglich sämtliche Gelegenheitsgedichte, ungemein trocken, gekünstelt, platt und von Reflexion erdrückt; bei manchen kann man sich des Gedankens kaum erwehren, daß dem Autor ihre Abfassung recht sauer geworden ist. Und wenn er einzelne auch öfter überarbeitet und sorgfältig gefeilt hat, läßt sich die neue Form doch gewöhnlich immer noch nicht als Besserung bezeichnen. Auch die Sinngedichte2) sind ohne poetischen Werth, da sie nur zahmen Witz, Spott über alltägliche und unbedeutende Dinge enthalten. Am glücklichsten ist er entschieden noch in der Uebertragung einzelner lyrischer Gedichte3) des spanischen Anakreontikers Estevan Manuel de Villegas, einzelner italienischer Rondeaus4) und

1) Bezeichnend hierfür sind seine eigenen Worte (vgl. Brief an Bürger, London 14. April 1789): „Ich weiss wohl, daß der ganze Werth meiner Verse nicht in dem, was ich sage, sondern in dem besteht, was ich verschweige; diese – von den Franzosen erborgte Feinheit giebt meinen alltäglichen Gedanken oft ein einziges Ansehen, vertilgt aber nicht selten den Ausdruck einer Empfindung, die doch ursprünglich da war, und macht meine Sprache ausheimisch, meinen Gedankengang unterbrochen und meinen Willen unverständlich“.
2) Vgl. „Spiele“ S. 84. 92 – 101. Vgl. auch „Gedichte von Schofeschreck, Menschenschreck und Frau“, Anhang zu Bürgers Gedichten. Germanien (Delmenhorst)1808.
3) „Spiele“ S. 18. 185. Beide sind den „Amatorias“ des Manuel de Villegas (1595 – 1626) entnommen.
4) Vgl. z. B. Gött M.-A. 1791. S. 164. 1795. S. 190.

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ganz besonders in der Bearbeitung von Volksliedern. Hier offenbart sich lyrischer Schwung und ein gewisses Mass seelenvoller Empfindung, die Verse sind meist fliessend und wohlklingend. Gedichte wie ‚das Venezianische Schifferlied‘, ‚die Blüthen des Waldes‘, ‚das Lied vom Martin Grau‘1) verrathen ein vielversprechendes Talent und lassen erkennen, daß M. in dieser Gattung aus dem Verkehr mit Herder sowie von dessen genialer Fähigkeit, sich den Genius der Dichtungen fremder Völker zu eigen zu machen und ihre poetischen Erzeugnisse dem Geschmacke seiner Nation anzupassen, reichen Vortheil gewonnen hat, wenn auch seine freien Bearbeitungen noch lange nicht an die Herderschen hinanreichen. Neben dem Interesse, welches M. an ausländischen Dichtungen nahm, ging ihm auch der Sinn für unsere ältere Litteratur auf: im Jahre 1788 beschäftigte ihn z.B. Flemming2) sehr angelegentlich, und zur selben Zeit verfasste er Uebersetzungen von Liedern3) deutscher Minnesinger, die ihm recht gut gelungen sind.

M. hat von seinem dichterischen Können keine sehr hohe Meinung gehabt; selbst das Lob, welches ihm Männer wie Bürger, Boie, Heyne, Schiller zollten, machte ihn nicht übermüthig, da ihm die Grenzen seiner Befähigung am besten bekannt waren. Herders Bitte, eine spanische Authologie herausgeben, gab ihm Veranlassung zu folgendem Selbstbekenntnis: „Ich leide grossen Mangel an einer Menge von Kenntnissen, die zu solchen Illustrationen gehören, werde täglich mehr inne, wie eingeschränkt meine Sprachkunde ist, und begehe sogar Verstösse gegen die deutsche Sprache, die ich endlich Zeit und Gelegenheit genug gehabt hätte zu erlernen. Dazu warum soll ich der 1001te Schriftsteller werden? Es ist genug, daß ich recensire, welches mir oft viel längere Zeit kostet, als dem Autor sein Buch‘.4)

Und bei dieser seiner Recensententhätigkeit, welche ihn neben den übrigen Geschäften in Göttingen vorzugsweise in An-

1) Vgl. „Spiele“ S. 186. 179. 181.
2) Vgl. „Spiele“ S. 65 – 72.
3) „Spiele“ S. 134 – 139. Die Originale sind zu finden bei Heinr. von der Hagen „Minnesinger“ Leipzig 1838, I. Th. 1. 13b. 14b. 112a. Die IV. Strophe in dem „Maienlied“ nach Kristan von Hamle ist von M. erst hinzugedichtet.
4) Düntzer a. a. O. II. S. 247.

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spruch nahm, müssen wir noch in wenig verweilen. Von schriftstellerischen Arbeiten, die M. seit 1782 für die Bertramsche „Litteratur- und Theaterzeitung“1) und für das „Journal von und für Deutschland“2) geliefert hatte, dürfen wir absehen, da diese Journale nur einige unbedeutende Anzeigen über erschienene Theaterstücke und Uebersichten über die schöne Litteratur brachten. Von grössrer Wichtigkeit wurde seine Beteiligung an den „Göttinger Anzeigen von gelehrten Sachen“ seit Frühjahr 1785. Während die „Allgemeine deutsche Bibliothek“ nur solche Schriften vor ihr Forum zog, die in Deutschland selbst verlegt wurden, gaben die Gött. Anzeigen Nachrichten von den Fortschritten der Litteraturen und Wissenschaften aller gebildeten Nationen. Meyern fiel die Aufgabe zu, für das kritische Institut in Gött. gerade die schöne Litteratur in den Bereich seiner Beurtheilung zu ziehen und „das weisse Stäbchen in der Hand den Müssigen am Markt die Gemälde der Meister zu erklären.“ M. verwahrte sich zwar ausdrücklich3) dagegen, daß die von ihm eingesandten Stücke Recensionen im eigentlichen Sinne des Wortes seien, er nennt sie nur Bücheranzeigen und betrachtet sie als Gespräche mit abwesenden Freunden, dazu bestimmt, ihrer Meinung zu begegnen. Indessen bieten viele unter den gelieferten Artikeln doch etwas mehr als blosse Anzeigen; ja, man kann dreist behaupten, daß wir mit dem Auftreten M.’s in den Gött. Anzeigen zum ersten Male einer eigenthümlichen, scharf ausgeprägten Manier zu kritisieren begegnen, die sich als ein gewaltiger Fortschritt von der farblosen Besprechung literarischer Erzeugnisse, wie sie von Vorgängern geübt worden war und wie sie noch geübt wurde, abhebt. Die Zahl der während der Jahre 1785 – 88 von M. abgefassten Recensionen und Ankündigungen ist eine beträchtliche, im II. Bande für 1787 lassen sich deren allein 17 konstatiren.4) Unter allen Recensionen verdient diejenige5), welche M. beim Erscheinen

1) 1782 – 84.
2) Ellrich 1784 f. Herausg. von Günther v. Göckingk.
3) Brief an Herder vom 8. Juli 1787, bei Düntzer a. a. O. II, 243.
4) Diese Angabe ist auf Grund des der Gött. Universitätsbibliothek angehörenden Exemplars, in welches die Namen der Verfasser nachträglich eingetragen worden sind, gemacht worden.
5) III. Bd. 170. Stück, vom 25. October 1787.

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Von Göthes Werken1) geliefert hat, die meiste Beachtung. Ein neurer Litterarhistoriker2) ertheilt ihr folgendes wohl begründete Lob: ,,M. spricht über Göthe wie ein feinsinniger Mann, der in die eigenthümliche Dichternatur Göthes einen tiefern Einblick gethan hat, und weiss, worin wahre poetische Schönheit besteht.“ Bekannt ist, daß Herder3) in jener Recension „alles so fein gefühlt und gesagt fand“, daß er nicht umhin konnte , sie sogleich in einer Abschrift an Göthe nach Rom zu schicken. – Bisher pflegte man bei dergl. Recensionen in den Gött. Anzeigen gewöhnlich nur im allgemeinen ein Lob oder einen Tadel auszusprechen und liess dann in der Regel einen möglichst umfangreichen Auszug folgen; der Fortschritt der M.schen Kritik liegt darin, daß er von dieser einseitig referirenden Methode zu einer sachlichen Beurtheilung des Inhaltes überging, und daß seine Besprechungen sich nicht in unbedeutende Einzelheiten verlieren, sondern, von der traditionellen Schablone sich entfernend, auf Erfassung der characteristischen Eigenheiten bei den besprochenen Werken gerichtet sind. Daher haben denn auch schon zur Zeit ihres Erscheinens Recensionen wie die des Alxingerschen Rittergedichtes „Doolin von Mainz“4) oder von Heinses „Ardinghello“5) in den für Litteratur empfänglichen Kreisen gerechtes Aufsehen erregt. Die letztere nennt Herder z. B. .,so vielseitig, wahr und treffend, daß er sich keine bessere denken konnte und daß sie ihm unter dem gelehrten Kram toter Papierblumen wie lebendige Gewächse der Natur vorkamen.“6) Man wird in dieser Behauptung nicht eine blosse Floskel erblicken, wenn man die M.schen Recensionen den entsprechenden Wieland’schen im „Teutschen Merkur“ gegenüberhält. Ohne zu wissen, von wem die in Rede stehenden Recensionen herrühren, muß auch Oppermann in dem

1) „Göthes Schriften“ Bd. I -IV. 1787.
2) Koberstein-Bartsch „Grundriss“, IV. Bd. S. 278. Leipz. 1873.
3) z. Erg. I, 171. – Oppermann „Die Gött. gelehrten Anzeigen“ Hannover 1844, S. 119, schrieb die Recension A. W. Schlegeln zu, ,,der hier als Kritiker seine ersten Flügelschläge gethan habe.“ Dagegen hat Eduard Böcking in seiner „Vorrede zu den vermischten und krit. Schriften A. W. Schlegels“ Leipzig 1846, Bd. VII, S. XVII dies bereits als Irrthum nachgewiesen.
4) Anzeigen vom 6. August 1787. Bd. II: Stück 125. S. 1250.
5) ebenda S. 1252.
6) z. Erg. I. 172.

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Buche „die Göttinger gelehrten Anzeigen während einer 100jährigen Wirksamkeit“ S. 151 den M.’schen Beurtheilungen, soweit sie Romane betreffen, einen Vorzug einräumen. Die Göttinger – erklärt er a. a. O. – seien eigentlich nie zum Bewusstsein über die verschiedenartigen Richtungen, welche der Roman in den 70er Jahren erstrebte, gekommen, man habe vielmehr den humoristischen, praktisch-theologischen, sinnlich-epicuräischen Roman über ein und denselben Leisten, nämlich den der frommen und guten Gesinnung, welche im Leser erzeugt werde, beurtheilt. Dagegen trete in den 80 er Jahren ein von diesem engherzigen Kleben an einer beschränkten Moral verschiedener Geist hervor, der sich z. B. bei der Anzeige von Heinse’s Ardinghello“ offenbare.

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Dritter Theil.

M. in Berlin. – Journalistische Thätigkeit.
1791 – 1796.

M. hatte sich Berlin zum Wohnsitze auserkoren, weil dieses damals ohne Widerrede den Brennpunkt aller geistigen, namentlich der ästhetisch-litterarischen Bestrebungen in Deutschland bildete. Nachdem er auf Reisen durch fremde Länder seinem nach Abwechslung verlangenden Geiste erfrischende Nahrung‘ zugeführt hatte, konnte er – wie denn seine Natur von Jugend auf durch äussere Einflüsse beherrscht wurde – jetzt eine gesteigerte litterarische Thätigkeit entfalten, um das Gewonnene auch praktisch zu verwerthen.

Die folgende Periode seines Lebens kennzeichnet sich deutlich durch den Umstand, daß M. zu ernster schriftstellerischer Arbeit übergeht in der mit Bewusstsein verfolgten Absicht, sich von dem Ertrage der Schriftstellerei den Lebensunterhalt zu erwerben. – Jedes Amt, zu dem ein eigentlicher Gelehrter erforderlich war, zurückweisend, trat er in der Hauptstadt Deutschlands dem .Schwarme von Schriftstellern zweiten Ranges bei, an denen Berlin ohnedies reichlich gesegnet war. Wir begegnen ihm

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hier in der Gesellschaft von Reichardt, Rambach, Jenisch, Veit Weber, Cramer, und wie die der seichten Aufklärung dienstbaren Geister sonst noch heissen mögen. Mit schnell bereiter Feder machte er sich an Arbeiten der verschiedensten – und schon liier sei es gesagt – der gewöhnlichsten Art: Uebersetzungen von Romanen, Novellen, kleinen Erzählungen, Reisebeschreibungen und Lustspielen beschäftigen ihn neben der Abfassung von Recensionen und solchen Gegenständen, die der schnell vergänglichen Tagespublicistik angehören. Ueber der Menge der Geschäfte schwindet hier zum ersten Male sein Hang zur Grübelei und seine Unentschlossenheit, was auf seine geistige Stimmung einen entschieden vorteilhaften Einfluss ausübt.

Bereits während der Jahre 1779 – 83 hatte M. mehrere grössere und kleinere Romane1) verfasst, die ohne Ausnahme im Geschmacke der zu jener Zeit beliebten „contes plaisants“, Feenmärchen, Ritter-, Räuber- und Geistergeschichten geschrieben, der flachsten Unterhaltungslektüre angehören und von abenteuerlichen Erdichtungen und ungeheuerlichen Uebertreibungen ultra finem et modum angefüllt sind. – Seit 1791 mehrten sich nun die Produkte dieses Schlages. Für die „Gallerie von romantischen Gemälden, Arabesken, Grotesken und Calots“2) lieferte M.

1) Dazu gehören, wenn wir von den romanartigen Erzählungen dieser Gattung in der „Olla Potrida“ (Berlin 1779 – 84) und in Bertrams „Litteratur- und Theaterzeitung“ absehen:
I. „Teufel Amor“, nach Cazotte’s „Diable amoureux“ im III. – V. Bd. der „Bibl. der Romane“. Berlin 1779 – 80. II. Aufl. Riga-Leipzig 1785. Später noch einmal in vollständiger Uebersetzung unter dem Titel „Biondetta“, Berlin 1792 erschienen.
II. „Graf v. Gabalis, oder Gespräche über die verborgenen Wissenschaften.“ Aus dem Französischen 1782. [Verfasser war Villars, .,l’abbé de Montfaucon“, der in seinen „Entretiens du comte de Gabalis“ Enthüllungen zur magischen Bewältigung der Natur und des Geisterreichs im Geschmacke der Rosenkreuzer gegeben hat.]
III. „Das Verderben des Landmanns, oder die Gefahren der Stadt“ nach „le paysan perverti“ des Rétif de la Bretonne. Bibl. der Romane, Bd. X – XIII. Riga 1783 – 1785. [Bekanntlich bildet dieser Roman die Quelle zu Tieck’s, William Lovell‘, vgl. R. Haym „Die romantische Schule“ Seite 41.]
2) Berlin 1792. [Herausgeber war W. Ch. S. Mylius.] Vgl. die Recension in der „Allgem. Litteraturzeitung“ Januarheft 1792.

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zwei Uebersetzungen zu derselben Zeit, in der er Walpole’s „The Castle of Otranto“1) a Gothic Story, ins Deutsche übertrug.2)

Die aufgezählten Uebersetzungen sind im allgemeinen geschickt verfasst und entbehren nicht des Schwunges, den sie im Original haben; was die Wahl der zu Grunde liegenden Stoffe anlangt, so können wir darin nur Zeugen einer verwilderten Geschmacksrichtung erkennen, in der mau Gefallen fand an den wunderlichsten Ritter-, Spuk- und Geistergeschichten und an einer Gattung von Familienromanen, in denen neben Thaten hochherziger und edler Gesinnung solche des Lasters und sittlicher Verworfenheit so dargestellt werden, daß man bei der düstern Seite des Lebens am meisten verweilt. Romanschriftsteller wie die, denen M. folgt, z. B. Cazotte, Rétif de la Bretonne, Claude Henri Fusée de Vaisenon etc. deuten gewöhnlich im Eingange zu ihren Erzählungen auf deren moralischen Zweck pathetisch hin, scheuen sich aber in der Darstellung nicht, das Obscöne in die verführerischeste Form zu kleiden und das Laster in verwegenster Natürlichkeit vorzuführen. Da aber das Niedrige und Gemeine nirgends der Gestaltung einer reinen sittlichen Idee zur Folie dient, erscheinen ihre Darstellungen sittlich und künstlerisch gleich abstossend. Und wenn Producte der geschilderten Art auch mehrfache Auflagen erlebt haben, so ist dies blos ein Beweis dafür, wie sehr sie dem Bedürfnis eines Unterhaltung suchenden Publikums, das gerade an ausländischen Romanen das grösste Wohlgefallen fand, entgegengekommen sind.

H. Hettner3) und im Anschluss an ihn Koberstein-Bartsch4)

1) Dieser Roman voll nervenerschüttender Scenen erschien erst 1794 in Berlin, zugleich mit einem Abdruck des Originals. – Göthe, der durch Caroline Böhmer mit diesem Romane bekannt gemacht wurde, schrieb die darauf bezüglichen, unter die „Weissagungen des Bakis“ aufgenommenen Verse (Archiv für neuere Litteratur V, 415). – Vgl. auch Lessing „Hamb. Dramat.“ 23. Stück.
2) 1793 folgte „Der Verräther“, Berlin und Braunschweig, 2 Bde. Er enthält eine Bearbeitung des frivolen Diderot’schen Jugendwerkes „Les bijoux indiscrets“ mit eigenen Zusätzen und vielen Veränderungen M.’s. – Vgl. Lessing „Hamb. Dramaturgie“. 84. Stück. – H. Hettner „Geschichte der franz. Litteratur im XVIII. Jahrb.“. Braunschweig 1865. S. 334.
3) „Wilhelm Heinse“ in Westermann’s ill. Monatsheften. December 1866. S. 255.
4) „Grundriss.“ Leipz. 73. IV, 194, Anm. 78.

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haben unserm M. auch den Roman „Fiormona1), oder Briefe aus Italien“, Berlin 17942), zugewiesen. Diese Annahme läßt sich schwerlich aufrecht erhalten; denn abgesehen davon, daß hiermit schon die Form des Romans, die von M.’s Darstellungsweise völlig abweicht, im Widerspruch steht, finden sich in der Vorrede zu , ,Fiormona“ auch mehrere historisch-biographische Anhaltspunkte, die man mit dem, was über M. bekannt ist, nicht in Uebereinstimmung bringen kann. Dort (vgl. S. I und II) erzählt nämlich der Verfasser, er habe in den Jahren 1785 und 86 in G. studirt. Unter „G.“ ist aber zweifellos Göttingen zu verstehen, wie sich was dem Fortgange der Erzählung, in der von den „blühenden Ufern der Leine“3) gesprochen wird, ergiebt. M. dagegen hat nachweislich von 1775 – 79 als Student dort gelebt und sich nicht, wie der Verfasser in der Vorrede angiebt, mit Vorliebe den alten Sprachen gewidmet, sondern gerade das Studium der neueren Sprachen gepflegt. Daß ausserdem „F. II. Jacobi (Sömmerings Leben von R. Wagner, Leipzig 1844, I, S. 49) den Roman noch für ein Werk Heinse’s gehalten haben soll“, war mir aus der angezogenen Stelle nicht ersichtlich 4).

In Gedichten, die nach 1793 entstanden5), hat M. seine früheren Leistungen nur selten überboten, oft kaum wieder zu

1) Vgl. die Recension in der „Allg. deutsch. Bibl.“ 1795. Bd. XIX II. Th S. 331 [von Schatz geschrieben].
2) Neuerdings in 5. Ausg. unter dem veränderten Titel „Italiens Liebesleben“. Berlin 1869, von Fr. Rückert aufgelegt.
3) Vgl. z. B. Seite 95.
4) Wer eigentlich als Urheber des Romans zu betrachten ist, war mir nicht möglich zu entscheiden. – Sollte er etwa von dem Vielschreiber Gottl. Heinr. Heinse aus Gera herrühren, und der Gleichklang des Namens Veranlassung gegeben haben, daß man ihn überhaupt eine Zeit lang dem W. Heinse zuschreiben konnte?
5) Vgl. Göttinger Musen-Almanach 1794:
S. 66 Gluth und Nacht. – 78 Gleichheit. – 96 Stossseufzer einer Jacobinerin. – 98 Sehnsucht. – 114 Einziges noch übriges Bruchstück des alten Rolandgesanges. – 119 Tirana. – 128 Als Prinz Heinrich von Preussen sich die Rockschösse vor dem Kamine verbrannt hatte. -130 Ludwig XVI. – 137 Der grosse Condé in Chantilly. – 142 Ergebung. – 164 Nur Einer.
Gött. Musen-Almanach 1795
S. 104 Inesillas Vergangenheit und Zukunft. – l29 Süsse Ge-

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erreichen vermocht. Seit 1796 finden wir M.’s Namen auch in dem Schiller’schen Musenalmanache1); Schiller äusserte sich über die gespendeten Beiträge sehr beifällig2), ermahnte den Dichter „sich durch das elende Recensenten-Gesumse einiger Bureaus in Deutschland, wo die Impotenz äusserst grimmige Urtheile fälle3), nicht irre machen zu lassen“ und übertrug ihm im Jahre 1795 die Correctur des Musenalmanachs, die bisher von W. von Humboldt besorgt worden war. Zur Uebernahme dieses Geschäftes kam es aber nicht, weil M. unmittelbar darauf während seiner Theilnahme am „Archiv der Zeit und ihres Geschmackes“ in den Streit verwickelt wurde, der beim Erscheinen der Göthe-Schiller’schen Xenien ausbrach. M. hatte sich seit 1792 erst als Mitarbeiter an der in Berlin erscheinenden „Deutschen Monatsschrift“ und 1794 – 95 an den „Friedenspräliminarien“4) betheiligt, dann aber im Jahre 1795 in Gemeinschaft mit F. E. Rambach eine eigene Monatsschrift „Berlinisches Archiv der Zeit und ihres Geschmackes“5) herausgegeben. – Wenn man diejenigen Stücke dieser Zeitschrift, welche M.’s Feder entstammen, mit dessen früheren Recensionen in den „Gött. Anzeigen“ zusammenhält, muß es auf den ersten Blick unverständlich scheinen, wie ein und derselbe Mann sich in so verschiedener Weise schriftstellerisch bethätigen konnte. Dort eine Reihe trefflicher Abhandlungen, die, in parteilosem Tone und in prägnanter Kürze abgefasst, sämtlich Verständnis für wahre Poesie und die Eigenart dichterischer Individualitäten verrathen, hier dagegen das

walt. – 145 Traum um Traum. – 190 Der Stutzer an der Krücke. -208 Dem Ungetreuen. – 228 Die Unsichtbaren des heiligen Waldes.
1) Musen-Alm. für das Jahr 1796. Herausgegeben von Schiller, Neustrelitz:
S. 123 Die Boten. – 131 – 133 Biondina. – 156 Der Weltgeist. -170 Phantasie [nach Shakespeare „Merchant of Venise‘. act III, scene 2].
Musen-Alm. für 1797. Herausg. von Schiller, Tübingen. S. 63 Königin Kobold.
2) Vgl. z. Erg. II, 10, 11.
3) Mit Bezug auf die ungünstige Besprechung der M.’schen Gedichtsammlung „Spiele“ etc. in der „Allg. deutsch. Bibl.“.
4) Redigirt von L. F. Huber.
5) R. Haym „Die romant. Schule“. S. .59 f. – Koberstein-Bartsch „Grundriss“ IV. S. 652 Anm. 63.

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fadeste und abgeschmackteste Raisonnement über Stoffe gleichen oder mindestens verwandten Inhalts, vorgetragen in schwerfälliger Breite und mit kühner Anmassung. Eine Erklärung für diese Erscheinung läßt sich nur darin suchen, daß M.’s Urtheil seit seiner Göttinger Zeit an Selbständigkeit oder Reife nicht zugenommen hat, daß er sich vielmehr in Berlin der Stimmung und Denkweise seiner Collegen aus dem Lager der Aufklärung in deren Gesellschaft er arbeitete, anschmiegte. M. hatte in dieser Monatsschrift das Gebiet erwählt, welches sich mit den schönen Wissenschaften in ihrem weitesten Umfange befassen sollte; die hierbei in Frage kommenden Beiträge enthalten Betrachtungen allgemeiner Natur über das Lesenswürdigste in der neusten Litteratur, die dazu dienen, den Nachweis zu führen, welchen Gewinn oder Nachtheil „Wahrheit und Aufklärung durch die Bemühungen der Forscher auf Verstand und Herz des gebildeten Lesers auszuüben im Stande sind“. Der allgemeine Zweck aber, der mit der Herausgabe der Monatsschrift verbunden wurde, war der, Beiträge zur synchronistischen Darstellung der Staatsbegebenheiten, Litteratur, Kunst, Mode, Sprache, Unterhaltung, überhaupt zu allem zu liefern, was einer Zeit ihr specifisches Gepräge aufdrückt. Im einleitenden Vorwort zum ersten Jahrgange, betitelt „Rechenschaft über den Zweck und die Bedeutung dieser Zeitschrift“ erklären die Begründer derselben mit Nachdruck die überwiegende Stimme des Publikums zur obersten Richterin, „Wahrheit und Bescheidenheit soll ihnen die Feder führen, die Vermuthung soll sich nie zur Gewissheit aufwerfen, und weder Schwärmerei den Werth einer Kleinigkeit erhöhen noch untheilnehmende Kälte einen der Menschheit wichtigen Gegenstand verachten oder vernachlässigen.“ Wenn man nur Wort gehalten hätte! Aber M., der Verfasser der Vorrede, verletzte gleich in seinen ersten Aufsätzen1) das Princip der Mässigung und Billigkeit aufs gröbste, indem er sich in stolzer Vornehmthuerei über die damaligen Vertreter der deutschen Litteratur zu Gericht setzte, und, ohne die Spreu vom Weizen zu scheiden, gerade die mittelmässigsten Leistungen seiner Zeit-

1) „Flüchtiger Anblick der deutschen Litteratur.“ 1795. S. 46 – 57. 137 – 150. 237 – 248. 360 – 372.

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genossen mit Lobe überschüttete. Göthe, den M.’s Klage „über die Armseligkeit der Deutschen an vortrefflichen prosaischen Werken“1) in Harnisch gebracht hatte, antwortete mit dem Aufsatze „Litterarischer Sanscüllotismus“2), um „die verworrenen Prätensionen eines Thersiten, der gegen eine ehrwürdige Gesellschaft aufstehe, die keineswegs verlange, daß man ihre Bemühungen unbedingt bewundere“, zurückzuweisen. Die scharfe und gerechte Zurückweisung verfehlte nicht ihre Wirkung, denn M. liess eine in demüthigem Tone gehaltene Replik3) in das Archiv einrücken, von der Göthe sagte: „der gezüchtigte Thersit krümmt sich, wie ich höre, erbärmlich, bittet ab und fleht nur daß man ihn leben lasse“.4)

Gegen Weihnachten desselben Jahres war Göthe auf den Gedanken gekommen, ähnlich den Xenien Martials auf die deutschen Zeitschriften Epigramm5) zu machen. Nichts war natürlicher, als daß Göthe auch gegen die Archivare seine Pfeile entsandte. Das erste Epigramm, welches aus dieser Veranlassung entstand,

A. d. Z. 6)

„Unglückselge Zeit, wenn einst aus diesem Archiv dich
Schätzet die Nachwelt, wie kommst du ihr so bettelhaft vor!“

ist Manuscript geblieben, statt dessen wurde in den Musen-Alm. für 17977) folgendes Xenion aufgenommen:

„Auf dem Umschlag sieht man die Charitinnen, doch leider
Kehrt uns Aglaja den Theil, den ich nicht nennen darf, zu.“

Das Strafgericht, welches von Weimar und Jena ans gegen das gesamte litterarische Treiben der Zeit ergangen war, er-

1) Vgl. Februar- und Märzheft 1795.
2) „Horen“, Jahrgang 1795. Tübingen. S. 50 – 56.
3) „Berichtigung eines auffallenden Mißverständnisses in d. Horen“, im Septemberheft des Archivs für 1705.
4) Brief an Schiller vom 14. .September 1795. Vgl. Briefwechsel zwischen Schiller und Göthe in den Jahren 1794 – 1805. III. Ausgabe. Stuttgart 1870. I, S. 91. – H. Düntzer „Schiller und Göthe“. Stuttgart 1859. S. 84.
5) Eduard Boas „Schiller und Göthe im Xenienkampf“. Stuttgart-Tübingen 1851. S. 139.
6) Abgedruckt bei Düntzer „Göthes Werke“ (Hempel’s Ausgabe) III. Theil. S. 237.
 7) ebenda S. 237.

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weckte eine ungeheure Fluth polemischer Schriften, die durch Rücksichtslosigkeit und durch Gemeinheit der Angriffe vielfach das Uebel verschlimmerten. In den „Gegengeschenken an die Sudelköche in Jena und Weimar, von einigen dankbaren Gästen“1) fühlten sich die Herausgeber verpflichtet auch für das „Archiv der Zeit“ Partei zu ergreifen, und es erfolgte eine ungemein cynische Antwort auf das Göthesche Xenion. Das Distichon, welches man den Archivaren selbst in den Mund gelegt hatte, erregte M.’s Unwillen im höchsten Grade und er verwahrte sich in der Monatsschrift ganz entschieden dagegen, daß die Archivare jemals eine derartige „Grobheit“ äussern würden, „so etwas sei man höchstens so unglücklich zu denken.“ Mit völligem Stillschweigen konnten freilich auch die Archivare den Hohn nicht hinnehmen; M. selbst lieferte die Recension2) der neusten Musenalmanache, war aber klug genug, in dem Abschnitte, der sich gegen die Xenien und ihre Urheber richtete, mit Mässigung gegen deren Verfahren, „Schriftsteller und Werke, welche das Publikum achte, im Urtheile der Zeitgenossen lächerlich zu machen“, Protest zu erheben. Bei der Aufzählung von beleidigenden Ausfällen gegen einzelne Personen übernimmt er auch die Verteidigung für Caroline Böhmer, welche die Xeniendichter in dem Distichon „an Madame ** und ihre Schwestern“ (Nr. 273) eine Sibylle genannt hatten, die bald Parze sein und mit ihren Schwestern grässlich als Furie aufhören müsse. Wir glauben dies zur Ergänzung des oben geschilderten Verhältnisses zwischen M. und Caroline hier hervorheben zu dürfen, weil daraus hervorgeht, daß die Beziehungen beider zu einander nicht mit einem Zerwürfniss geschlossen haben, sonst hätte M. wohl nicht öffentlich die Geschmähte in Schutz genommen. – Als Verfasser der Xenien nannte M. im Archive Vulpius; hierin mag immerhin, wie Boas behauptet, ein „hämischer“ Angriff auf Göthe enthalten sein, „für dessen Schwager Vulpius schon damals galt“, man darf aber auch nicht vergessen, daß der Archivar, der sich sonst grundsätzlich jeder Beleidigung enthält, hier in seiner Erbitterung die Gegner mit einer Münze bedient, welche sie ihm gleich-

1) Von Manso und Dyk herausgegeben.
2) „Archiv“ 1797. Bd. I, 30 – 46.

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falls verabreicht hatten. Im Mai 1797 liess M., kurz ehe er die Redaction der Zeitschrift für immer niederlegte, noch einen Artikel1) „Die Xenien, Bruchstück eines Briefes. Audiatur et altera pars!“ aufnehmen, worin den unheilgebärenden Xenien als Antwort einige M.’sche Sinngedichte entgegengestellt werden, in denen man vergebens Witz von jener zündenden Kraft sucht, wie er sich allenthalben in den Xenien vorfindet. Nach den Tagen des Xenienkampfes war das gute Einvernehmen zwischen Schiller und M. für immer zerstört, wo etwa in Briefen Schillers noch von M. die Rede ist, nennt er ihn spöttisch „den Poeten“.

Als im Jahre 1796 M.’s jüngerer Bruder, der Arzt und Naturforscher Fr. Albrecht Meyer gestorben war, kaufte M., um sein durch die übernommene Erbschaft vergrössertes Vermögen sicher zu stellen, eine kleine Besitzung zu Bramstedt in Holstein, die früher im Besitze der Familie Stolberg gewesen war.

Mit der Entfernung von Berlin geht abermals ein Abschnitt seines Lebens zu Ende. – Wie es dem Jünglinge nicht gelungen war, unter Benutzung seiner natürlichen Begabung sich im Berufsleben eine Stellung zu erringen, von wo aus er, Schritt für Schritt vorwärts strebend, ein sichres Ziel erreicht hätte, ebenso erging es ihm in seinen Mannesjahren mit der Thätigkeit als Schriftsteller, der er sich nach und nach ausschliesslich widmete. Auch hier kam es nicht zu einer organisch fortschreitenden Entwicklung seiner Fähigkeiten; seinem Talente fehlte es an Ernst, Vertiefung und Concentrirung der Arbeitskraft, deshalb hat er nirgends einen nennenswerthen Erfolg inmitten der Bestrebungen seiner Zeit erreicht, obgleich er sich auf verschiedenen Gebieten der Litteratur versuchte.

___________

Vierter Theil.

Meyer in Bramstedt. – Verkehr mit Schröder. –
Letzte Lebensjahre.
1797-1840.

M.’s ferneres Leben bewegt sich nach seiner Uebersiedlung nach Bramstedt in gleichem Gleise; der begründete Wohlstand hielt materielle Sorgen von ihm fern und gewährte ihm die

1) Maiheft 1767 S. 419 – 413.

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Möglichkeit, in Studien historischen, naturwissenschaftlichen und philosophischen Inhalts Befriedigung zu suchen. In der Stille und Zurückgezogenheit des Landlebens trat nur dann eine Unterbrechung ein, wenn M. seine Freunde in dem leicht erreichbaren Hamburg aufsuchte oder diese bei sich sah. Der Bund der Ergänzung , den M. einst mit Schröder geschlossen hatte, erlebte um die Wende des Jahrhunderts, als beide einander auch örtlich wieder nahe gerückt waren, durch brieflichen und mündlichen Verkehr eine zweite Jugend. Eine Unterbrechung von längerer Dauer hatte ihre Verbindung zwar nie erlitten, ja, in Zeiten, wo M.’s Interessen der Bühne in besonderem Grade zugewandt waren, wie z. B. bei seinem Aufenthalte in England und Italien, ist die Correspondenz zwischen beiden auch eine äusserst lebhafte gewesen. Jetzt traten die Freunde von neuem in regen Gedankenaustausch und förderten einander bei wissenschaftlichen Untersuchungen im edlen Wettstreit ihrer Kräfte. – Schröder hatte die Direction des Hamburger Theaters 1798 aufgegeben und sich bei Beginn dieses Jahres auf sein Gut Rellingen bei Hamburg zurückgezogen, um den Lebensabend hier entfernt vom Treiben der Welt zuzubringen. Die nächste Veranlassung zu gemeinsamer Wirksamkeit bot die Beschäftigung Schröders mit der Geschichte des Ordens der Freimaurer. Die Anregung hierzu war von Herder ausgegangen, der im Jahre 1799 bei einem Besuche des Künstlers in Weimar diesem seine Forschungen und Resultate über Entstehung und Entwicklungsgeschichte des Ordens, für welche er in der Dresdener Bibliothek wichtige Quellen entdeckt zu haben glaubte, mitgetheilt hatte. Nach Herders Tode setzte Schröder1) die angefangenen Untersuchungen fort und wurde dabei von M. unterstützt. Bei diesen Arbeiten, welche sie bis ins Jahr 1807 hinein eifrig betrieben, wurden die verschiedenartigsten Werke durchstöbert, ihre Leetüre begann bei Beda Venerabilis und den alten Kirchenvätern und erstreckte sich bis zu den neuesten historischen und philosophischen Wer-

1) Schröder war im Jahre 1744 durch Bode in Hamburg dem Freimaurerorden zugeführt worden, seit 1787 bekleidete er daselbst das Amt eines Meisters vom Stuhl bei der Loge Emanuel, 1799 wurde er zum Grossmeister der Provinzialloge für Niedersachsen und 1814 zum Grossmeister der Hamburger Loge gewählt.

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ken1). Beide kamen zu dem Resultate, daß die Freimaurerei ursprünglich keine Fortpflanzung religiöser Ideen zu ihrem Zwecke gehabt habe, sondern aus einer Verbrüderung von Handwerkern hervorgegangen sei, die wie Gilden auch sonst den Schutz der Kirche genossen hätten. Damit richteten sie sich polemisch gegen die gleichzeitig entstandene Geschichte der Freimaurerei2) des Prof. Kessler3), der ihre Entstehung in die graue Vorzeit verlegte und behauptete, sie habe sich durch die Verbrüderung der Templer fortgepflanzt und mit den Rosenkreuzern verbunden. Nachdem Schröder die Geschichte des Freimaurerordens zu Ende gebracht hatte, widmete er sich vom Anfange des Jahres 1807 an wieder ganz der Beschäftigung mit dem Theater und gewann auch seinen Freund, der seit 1793 sich nicht mehr mit derartigen Arbeiten befasst hatte, zur Theilnahme an der Bearbeitung von Bühnenstücken. Bei der Beurtheilung von M.’s Schau- und Lustspielen4) haben wir uns auf den Standpunkt der

1) z. Erg. II, – 47 f.
2) Als Manuscript gedruckt.
3) 1798 – 1800 neben Rambach Redakteur des Archivs der Zeit.
4) Im folgenden geben wir eine zusammenhängende Uebersicht über M.’s Stücke. Die Anordnung geschieht nach den Jahren der ersten Drucke:

1773 „Die drei Gascogner“ nach einem Daucourt’schen Lustspiel; zugleich mit dem folgenden in den „Neuen Unterhaltungen“ Hamburg 1773, I. Theil veröffentlicht.

—-  „Der Arzt zum Spass“, Lustsp. nach Fielding. (Später unter dem Titel „Der Arzt wider Willen“ ersch.)

1777 „Das Blendwerk oder die abgeredete Zauberei“, Singsp. Nach Marmontel.

1779 „Viel Licht, starker Schatten“, Lustsp. in 3 Acten (scheint Manuscript geblieben zu sein; vgl. dazu Gothaer Theaterkalender 1779. S. 123).

1781 „Der seltne Freier“ in 3 Acten, Lustsp. nach Gernevalde’s „Monsieur de St. Charles, ou l’homme comme il y en a peu“. Wien und 1782 Berlin.

—- „Treue und Undank“ Schausp. in 3 Acten nach Dodd’s „Galic gratitude or the Frenchman in India“ und La Font „Naufrage de Crispin“. Wien. [Eine Parodie zu Plümicke’s Lanassa!]

1782 „Die Reue vor der Hochzeit“. Singsp. in 1 Aufz.

—- „Imogen.“ Schausp. in 5 Acten nach Shakespeare. Wien. [Eine Bearbeitung von Shakespeare’s Cymbeline! Vgl. Rud. Genée „Ge-

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naturalistischen, volkstümlichen Manier, wie sie durch Schröder und seine Schule repräsentirt wird, zu stellen . Es sind Bilder

 schichte der Shakspeare’schen Dramen in Deutschland“. Leipzig 1870. S. 278 f.]

1783 verfasste M. in Gemeinschaft mit Schröder „Die väterliche Rache“, Lustsp. in 4 Acten nach Congreve’s „live for love“ Wien.

—- „Kronau und Albertine“ (oder „Weiler und Luise“ betitelt). Schauspiel in 4 Acten nach Monvel’s Clémentine et Desormes“. Wien.

1784 „Die Heirath durch ein Wochenblatt“. Lustsp. in 3 Acten nach Boursaults „Mercure galant.“ Wien. (Vgl. besonders Ludw. Tieck „Schröders dramatische Werke“, Vorrede S. V.)

 Selbständig wurde dann von M. wieder verfasst:

1783 „Der Autor“, Lustsp. in 3 Acten nach Foote’s ,autor‘. Wien (in 2. Auflage unter dem Titel „Der Schriftsteller“, Berlin 1793 erschienen).

—-  „Der Versuch-‚ nach Marivaux’s „épreuve“ Lustspiel in 1 Acte (in 2. veränderter Aufl. „Die Prüfung“ betitelt, Berlin 1793).

—- „Jeder fege vor seiner Thür“, Nachsp. in 1 Aufz. Berlin.

1788 „Der Tempel der Wahrheit“, Vorsp. in 1 Acte. Berlin 1788 (abgedruckt in den „Annalen des Theaters“ 1788 I, S. 14.)

1790 „Die Uebereilung“, Lustsp. in 1 Acte nach Murphy’s „old maid“. (Vgl. Schröders’s „Sammlung von Schauspielen für’s Hamburgsche Theater“ I. Nr. IV S. 1 – 48. Schleswig-Wismar.)

 Alles Uebrige ist in 2 Sammlungen erschienen, die M. selbst veranstaltet hat, nämlich:

1793 „Beiträge der vaterländischen Bühne gewidmet“. Berlin. Neben den beiden schon erwähnten Lustspielen „Die Prüfung“ und „Der Schriftsteller“, die hier zum zweiten Male erschienen, waren hinzugekommen :

 1. Der Schutzgeist“ S. 8 – 196, Lustsp. in 3 Acten, bei dem einige Motive dem Calderon’schen „peor esta que estaba“ entstammten,
und
2. „Wie gewonnen so zerronnen“ (S. 197 – 256) in 2 Acten; nach einer Dumaniant’schen Posse.

1818 „Schauspiele“, Altona, und zwar enthielt diese Sammlung 5 Stücke:
1 „Spiel bringt Gefahr“, Lustsp. in 5 Acten nach einer Novelle der Königin Margarethe v. Navarra, die durch J. Shirley, Ch. Johnson und Garrick in England dramatisirt worden war.
2. „Vertrauen“, Schausp. in 1 Acte (wahrscheinlich ohne Vorlage entstanden).
3. „Der Glückswechsel“, Lustspiel in 1 Act nach Cumberland’s „natural fou“.
4. „Der Verstorbene“, Lustspiel in 1 Akt.
5. „Der Abend des Morgenländers“, Schauspiel in 5 Acten.

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aus dem alltäglichen, bürgerlichen Kleinleben, wie es jedem Zuschauer aus eigenster Erfahrung bekannt war, welche in den M.’schen Lustspielen, die sich überwiegend als Bearbeitungen englischer und französischer Comödien aus dem 17. und 18. Jahrhundert characterisiren, dargeboten werden. – Schröder hatte zuerst – und dies ist neben seinen Leistungen als Schauspieler sein Hauptverdienst – durch eine geschickte Auswahl fremder, besonders englischer Stücke die deutsche Schaubühne bereichert, dadurch die Verbreitung der Lärm- und Prunkstücke beschränkt und zugleich der Einführung unserer klassischen Dramen die Bahn geebnet. In der Technik des Dramas war er allen Schauspieldichtern, welche in seine Fusstapfen traten, einem Jünger, Bode, Meissner, F. L. Schmid, F. L. W. Meyer u. s. w. bei weitem überlegen, er überragte alle an Reichthum der Erfindung in der Ausarbeitung wirkungsvoller Situationen und Skizzirung der Charaktere. M. bedurfte mehr denn jeder andre unter den aus Schröder’s Schule hervorgegangenen Theaterdichtern der Anlehnung an fremde Muster, um bei dem Mangel an eigenem schöpferischen Vermögen seinen Ideenkreis zu erweitern. Damit soll nicht gesagt sein, das3 M. ein sklavischer Nachahmer fremder Vorbilder gewesen sei, im Gegentheil, er schaltet mit den importirten Stoffen meist recht frei und benutzt nur, was ihm an den Stücken gerade brauchbar scheint, aber in gewissen Aeusserlichkeiten und Kunstgriffen schliesst er sich eng an die Vorlagen an und verfällt – wie es Nachahmern zu ergehen pflegt – dabei in den Fehler, sich eine gewisse Routine und handwerksmäßige Fertigkeit in der Composition, der Zeichnung der Charaktere und der Sprache anzueignen. Die Handlung ist, wenige Ausnahmen abgerechnet, meist recht dürftig angelegt, irgend eine an und für sich wenig interessirende Heirathsgeschichte bildet gewöhnlich die Grundlage derselben und wird durch Personenverwechslung, Unterschiebung von Briefen, durch wunderbare Entdeckung von Dokumenten, und ähnliche Motive in Fluss gebracht, um ergötzliche Situationen vorzubereiten und wirkungsvolle Katastrophen herbeizuführen. Die Charaktere kehren z. Th. typisch wieder, vor allem das intriguirende Kammermädchen, der scheinbar einfältige, in Wahrheit aber sehr schlaue Bediente, sind Figuren, denen wir in den Lustspielen immer wieder

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begegnen. Auf die Art und Weise, wie M. die Bedienten als untergeordnete Mitspieler verwendet, thut er sich noch besonders viel zu gut, sie sollen gegen die Hauptpersonen contrastiren, um „durch ihre Naivetät die Würde jener in ein helleres Licht zu setzen. Selbst die Ungeduld, die der Zuschauer empfinde, wenn die niedrigen Spässchen untergeordneter Personen eine Entwicklung verschieben, nach der ihn verlange, erhöhe vielleicht seine Theilnahme“1). Kein Wunder, wenn man sich bei Figuren wie Lisette, Taps, Heinrich etc. unwillkürlich an die Kammermädchen und Bedienten der Comödien Weisse’s oder des jungen Lessing erinnert . – Bildete für Schröder bei der Conception der Stücke die Wirkung aufs Publikum sein berechnetes Ziel, so stellte sich M. zu dessen Ortheile mit Hartnäckigkeit in eine gewisse Opposition, weil er der Geschmacksfähigkeit des Publikums wenig Gutes zutraute2). Wie in seinen Gedichten dem Leser, so muthet er hier dem Zuschauer bei der Reproduction des von ihm Geschaffenen zuviel zu – — „wenn der Seele des Zuschauers“‚ – erklärt er selbst3) – „gar nichts zu thun übrig bleibt, so versinkt sie in eine gewisse Leere, die an Langeweile grenzt. Einige dunkle Stellen müssen durchaus die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die erst etwas entrüstet und endlich versöhnt wird.“ Daher mag es denn auch kommen, daß es den dargestellten Charakteren in M.’s Theaterstücken in der Kegel an fest bestimmten Umrissen fehlt, daß die Handlung sich ins Weite verliert, und gerade solche Situationen, die ergötzlich wirken sollen, nicht gehörig durchgebildet sind. Trotz alledem aber haben sich mehrere von M.’s Lustspielen als beliebte Stücke Jahre lang auf grösseren Bühnen in Ansehen erhalten. „Der seltene Freier“ z. B., unstreitig das beste unter seinen Lustspielen, welches durch muntere Leichtigkeit in der Führung des Dialogs hervorragt, ist nachweislich von 1781 – 91 in Wien, München, Berlin, Hamburg, Weimar, Gotha, Mannheim, Riga ein gern gesehenes Conversationsstück gewesen und hat z. B. im Jahre 1782 in Berlin 11 Aufführungen erlebt 4).

1) „Beiträge der vaterl. Bühne gewidmet“. Vorrede S. 7.
2) Brief vom 2. Februar 1807 an Schröder. Abgedr. bei Holtei a. a. O. S. 179.
3) z. Erg. II, 98.
4) Vgl. die Angaben in Theaterkalendern sowie den „Annalen des Theaters“.

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Das einzige grössere Originalstück, welches M. verfasst hat dessen Ausarbeitung ihn im Jahre 1809 beschäftigte, ist das Schauspiel „Der Abend des Morgenländers“, oder, wie der Titel ursprünglich lautete, „Die Grenzen der Eigenmacht“. Die Quelle aus welcher M. den Stoff schöpfte, ist Eduard Gibbon’s „history of the decline and fall of the roman empire“1). – Der Inhalt des Schauspiels, welches eine Episode aus der Zeit des Untergangs des christlichen Kaiserthums in Constantinopel behandelt, ist folgender: Theodor Kautakuzen, ein junger Grieche, wird bei der Eroberung Constantinopels durch Mohammed verwundet und von den Osmanen gefangen genommen. Als nun der Grosswesir Khalil merkt, daß Theodor der Sohn eines Griechen ist, der ihm vor 30 Jahren bei Belagerung der Stadt unter Morad das Leben gerettet hat, beschliesst er, an dem Sohne die Wohlthaten, welche der Vater ihm erwiesen hat, zu vergelten. Deshalb pflegt er ihn heimlich und verhilft ihm nach der Genesung samt seiner Braut zur Rettung. Durch Verläumder aus Mohammeds Umgebung wird seine That dem Grossherrn hinterbracht, wobei diese behaupten, der Grosswesir trachte Mohammed nach dem Leben und beabsichtige der gestürzten Kaiserfamilie wieder auf den Thron zu verhelfen. Khalil sieht sich entdeckt und nimmt, um nicht in die Hände des Despoten zu fallen, Gift. Das Stück sollte nach M.’s Plane2) eine Charakterschilderung, kein Intriguenstück sein, „weshalb die Handlung den Charakteren untergeordnet wird, um diesen Gelegenheit zu geben, sich zu entwickeln“. Die dargestellten Charaktere sind aber mit zu wenig individuellen Zügen ausgestattet: in Mohammed und Khalil treten offenbar Repräsentanten zweier entgegengesetzter Principien einander gegenüber, dort der ehrgeizige Eroberer, der nicht zufrieden mit dem Besitze Constantinopels, seine Macht in schrankenloser Willkür auszudehnen sucht, hier der Wohlthäter der Menschen, der Vater der Unglücklichen, der vorurtheilsfrei sich zum „Diener jenes Hundes allgemeiner Menschenliebe bekennt, der die Herzen vereint, wo die Köpfe sich trennen“. Das Verhältnis, in welches M. die Gegenspieler zu einander stellt, ist jedoch un-

1) London 1776 – 88. – Namentlich kommt cap. LXVIII hier in Betracht
2) Vgl. z. Erg. II, 105.

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genügend motivirt, denn Khalil, der im Dienste einer gerechten Sache fallen sollte, indem er sich gegen Eigennutz, Eitelkeit und Willkür eines Despoten auflehnt, erscheint nur als Opfer falscher Beschuldigungen und nimmt Gift, um sich der Bestrafung durch Mohammed für die durchgesetzte Befreiung der Griechen zu entziehen. Die Scene des Schlusses, in der Khalil sich von dem auf ihm lastenden Verdachte reinigt und freiwillig den Tod erwählt, macht deshalb einen matten Eindruck, da die tragische Sühne den Unschuldigen trifft. Das Stück theilt daneben die Fehler aller übrigen M.’schen dramatischen Producte: es ist überladen mit Reflexionen und schwerverständlichen Anspielungen auf entlegene Zeitverhältnisse und fremde Sitten. Schröder brachte es infolgedessen gar nicht zur Aufführung, obwohl M. es um ein Dritttheil abkürzte. – All dies beweist aber zur Genüge, daß auch die dramatische Dichtungsgattung das Fach nicht gewesen ist, in dem M. sich auszuzeichnen vermochte.

Im Sommer 1810 raffte sich M. zu einer grösseren Heise durch Deutschland auf, als es sich darum handelte, für die Hamburger Bühne, deren Leitung Schröder im Jahre 1811 noch einmal übernahm, geeignete Künstler anzuwerben. Man sieht daraus, welches Vertrauen Schröder auf das Urtheil seines Freundes setzte, wo es darauf ankam, über Werth und Unwerth schauspielerischer Talente zu entscheiden. M. erfüllte gern seine Bitte , indem er zu diesem Zwecke von Mai bis August 1810 eine Reise unternahm, auf der er alle grösseren Bühnen aufsuchte. Da diese Reise bis nach Süddeutschland ausgedehnt werden mußte, hatte er Gelegenheit an vielen Orten alte Bekannte, welche der Tod noch nicht hinweggerafft hatte, wiederzusehen.

Es war den Freunden vorbehalten, noch Zeugen der grossen Umwälzungen von Europa zu Beginn dieses Jahrhunderts zu sein und ihre Ruhe dabei vielfach gestört zu sehen. Auch M.’s kleines Anwesen im Holsteinischen wurde von den Schrecknissen des Krieges1) nicht verschont, Einquartierungen und Kriegscontributionen lasteten hart auf den Bewohnern des Landes und M.’s stilles Haus war zuweilen einem Gasthofe ähnlich, in dem der Wirth Mühe hatte, eine Stube für sich zu retten. In dem

1) z. Erg. II, 127.

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ganzen nordwestlichen Deutschland waren durch Einverleibung in das französische Kaiserreich1) alle Verhältnisse in Besitz, Handel und Verkehr umgestaltet worden; die Unsicherheit im Lande erreichte oft einen so hohen Grad, daß M. von Hamburg völlig abgeschnitten war. Hatte ihn der Nationalcharakter der Franzosen schon früher mit Hass erfüllt, so steigerte sich seine Erbitterung gegen Frankreich zur Zeit der Fremdherrschaft noch mehr. Gegen Ende des Jahres 1815 schrieb er an Schröder: „Die französische Geschichte hat seit mehr als einem Jahrtausend keinen guten Anfang genommen und ist daher keines guten Endes fähig. – – Giebt es ein künftiges Leben, so wünsch‘ ich es auf einem Stern zuzubringen, wo keine Franzosen sind“2). Die Befreiung kam, und beide fühlten sich hoch beglückt, als das Vaterland nach ruhmreichen Waffenthaten, vom Drucke des Napoleonischen Kolosses befreit, aufathmete. Aber bereits im Jahre 1815 wurde Schröder von einer schweren Krankheit befallen, von welcher er nicht mehr genas, am 3. September 1816 machte der Tod seinen Leiden ein Ende.

Nach Schröders Ableben zog M. sich immer mehr in die Einsamkeit zurück, und körperliche Leiden, in deren Gefolge sich allmählich ein Anflug von Hypochondrie einstellte, machten ihm in der Folgezeit die Last der Jahre fühlbar. In den nächsten 3 Jahren, die auf Schröder’s Tod folgten, war er ausschliesslich damit beschäftigt, seinem Freunde ein biographisches Denkmal3) zu setzen. Jos. Kürschner4) ist der Meinung, daß die in neuerer Zeit mehrfach ausgesprochene Behauptung, M. habe uns in seinem Werke über Schröder eine Selbstbiographie des Künstlers vorenthalten und in der Darstellung aufgehen lassen, viel Wahrscheinliches für sich habe. Thatsächlich verhält es sich mit den Quellen zur Biographie folgendennassen: M. fand im Nachlasse Schröders einen im Jahre 1807 angefangenen, z. Th. während Schröder’s damaligem Badeaufenthalte in Nenndorf ge-

1) Seit dem 2. Januar 1811 befand sich Davoust in Hamburg, der zum Generalgouverneur der 3 hanseatischen Departements bestellt war.
2) z. Erg. II, 137 f.
3) „Friedrich Ludwig Schröder. Beitrag zur Kunde des Menschen und des Künstlers.“ II Theile. Hamburg 1819. 2. Aufl. ecenda 1823.
4) „Allg. deutsche Biographie.“ Bd. XXI. 573.

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schriebenen „Mangelhaften Versuch“, in welchem Schröder die Begebenheiten seiner Jugend dargestellt hatte1). Dieser Entwurf reichte aber nicht bis in die Zeiten seiner ausgereiften Kunst. Daneben wurden von M. die Briefe Schröders benutzt, von denen er aus seiner Correspondenz mit dem Freunde noch einen grossen Theil besass. In der mir vorliegenden Ausgabe von 1823 sind diese Materialien, die M. zum Nachtheil der biographischen Form einfach in loser, chronologischer Folge in die Darstellung eingereiht hat, sogar äusserlich durch den Druck sichtbar gemacht. Auch liegt kein Grund vor, M.’s eigene Angaben über diesen Punkt in Frage zu ziehen; M. erklärt in der Vorrede (S. 8): „Mir ziemt keine Aussage als die, wofür ich ihn (den Freund) zum Zeugen und Richter auffordern möchte“. – Wäre das aber nicht eine grobe Verletzung der Wahrheit, wenn er neben dem Entwurfe aus des Freundes Hand, den er selbst als Quelle anführt, noch eine irgendwo aufgefundene Selbstbiographie Schröder’s verarbeitet hätte, um damit den Werth seiner Darstellung zu vergrössern?

Die Biographie selbst giebt keine abgerundete Erzählung, und ist, was ihre Form anlangt, nicht besonders geschickt verfasst. Sie enthält im Grunde genommen nur eine Materialiensammlung für den Lebenslauf und Bildungsgang des Künstlers2), Aufzählungen über aufgeführte Theaterstücke3), über Bestand und Veränderungen des Theaterpersonals und dergl. mehr. Ihr bleibender Werft aber liegt in den tiefsinnigen Bemerkungen über die Schauspielkunst im Allgemeinen und in Urtheilen über einzelne Schauspieler von Verdienst, wenn auch nicht geleugnet weiden darf, daß er in einseitiger Parteinahme für seinen Hel-

1) Man vgl. besonders den Brief Schröders vom 16. December 1814, abgedruckt im zweiten Theile der Biographie, S. 331.
2) Die Schilderung ist nicht lückenlos, es fehlt z. B. die Erwähnung des wichtigen Preisausschreibens, welches Schröder als Vorsteher der Ackermann’schen Gesellschaft am 28. Februar 1775 erlassen hat.
3) Auch diese sind weder vollständig noch zuverlässig angefertigt und ohne Prüfung mit den Aufzählungen in Lessing’s Hamburgischer Dramaturgie, (Albrechts) „Neuer Hamb. Dramaturgie“ 1791 f.. den „Annalen des Theaters“ Hamburg 1793 und ähnlichen Sammlungen kaum zu verwerthen.

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den jenen nicht immer volle Gerechtigkeit bei Spendung von Lob und Tadel widerfahren läßt.

Von grösseren Arbeiten1) war diese Biographie M. letztes Werk, das er der Oeffentlichkeit übergab. Seine Thätigkeit für kritische Institute2) läßt sich allerdings noch bis ins Jahr 1833 verfolgen und hier zeigt sich seine vorwaltend kritische und reflektirende Richtung bei der Behandlung litterarischer Stoffe wiederholt im vorteilhaftesten Lichte. Aufsätze, wie „Die Erinnerungen an Fr. Maximilian Klinger“3) oder die „Recension zu Bürger’s ästhetischen Schriften“4) in den „Kritischen Blätter“ der Börsenhalle“ beweisen, daß er sich noch im Greisenalter einer seltenen Frische des Geistes zu erfreuen gehabt hat.

Die Freuden des Familienlebens waren M. versagt, Ersatz suchte und fand er dafür in der Beschäftigung mit Wissenschaft, Kunst und Litteratur, daneben im Umgange mit einem gewählten Kreise von Freunden. Im Jahre 1832 wurde er von einem Schlaganfall betroffen, von dem er sich noch einmal erholte; gegen das Jahr 1840 hin mehrten sich seine rheumatischen Leiden und am 1. September 1840 wurde er durch einen sanften Tod abberufen.

1) Nach Rassmann „Lexikon deutscher pseudonymer Schriftsteller“, Leipzig 1830, soll M. noch in den Jahren 1819 ff. Beiträge für Winfrieds „Nordischen Musenalmanach“ geliefert haben. – Dieses Buch war mir aber nicht erreichbar.
2) Vgl. „Litterarisches Conversationsblatt“ Leipzig 1823 f. – M.  schrieb unter der Chiffre ,126′, wie sich daraus ergiebt, daß die philosophische Abhandlung M.’s „Beruhigung des Unwissenden“, die z. Erg. II, 286 – 306 abgedr. ist, hier unter dieser Chiffre zuerst erschienen ist.
Für die „kritischen Blätter der Börsenhalle“, die von Ch. F. Wurm redigirt wurden, arbeitete M. von 1830 – 1833 unter der Chiffre, Fr. (= Farmer.)
3) Vgl. Jahrg. 1830. S. 217 f.  4) vgl. Jahrg. 1832 S. 239 f.

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V I T A.

Natus sum Carolus Fridericus Conradus Zimmermann in Silesiae vico, cui nomen est Berbisdorf a. d. XV. Cal. Mart. anno huius saeculi LXIII, patre Ottone, matre Agnesi e gente Posselt, quos parentes praematura morte multis abhinc annis mihi ereptos lugeo. – Fidem profiteor evangelicam. – Litterarum rudimentis imbutus gymnasium Gorlicense adii, ubi per XII annos versatus sum. Maturitatis testimonium anno LXXXIV adeptus universitates Halensem Lipsiensem frequentans per V annos studium collocavi in doctrinis philosophicis, theologicis, litterariis et versatus sum in scholis illustrium virorum Lipsiensium: Fricke, König, Luthardt, Ryssel, Zarncke, Halensium: Beyschlag, Burdach, Dittenberger, Droysen, Erdmann, Gering, Gosche (H), Grafe, Haym, Hering, Hiller, Jacobi (H), Keil, Köstlin, Müller, Riehm(H), Schlottmann(H), Sievers, Stumpf. Uphues, Vaihinger, Zacher(H). Praeterea aut seminariis aut exercitationibus benignitate professorum: Beyschlag, Jacobi(H), Keil, Sievers, Stumpf, admissus interfui.

Quibus viris clarissimis et illustrissimis cum omnibus gratiam me debere confiteor, tum gratias ago quam maximas viro doctissimo Prof. Dr. R. Haym, qui has meas quaestiones egregia benevolentia adjuvit.

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