Kühl: Johanna Mestorf und Bad Bramstedt

In den Bramstedter Nachrichten des Jahre 1938 findet sich folgender Beitrag August Kühls. Foto und [  ] sind meine Zufügungen:

Johanna Mestorff und Bad Bramstedt.

Mestorf Geburtshaus

Mestorf Geburtshaus, zwischen Bleeck 1 und Bleeck 3 bzw. heutiger Straßenraum Mühlenstraße

Vor 100 Jahren starb hier der praktische Arzt Dr. Jakob Heinrich Mestorff, der seit 1822 in unserm Orte ansässig war. Er war verheiratet mit einer geborenen Körner aus Rendsburg, einer Verwandten des Dichters Theodor Körner, der im Kampfe gegen den ersten Napoleon sein Leben hingab. Das vierte Kind aus dieser Ehe war Johanna. Sie wurde geboren in einem zum Holsteinischen Hause gehörenden, zwischen diesem und der Mühle gelegenen Nebengebäude, das vor vielleicht 40 Jahren abgebrochen wurde. Ihr Geburtstag ist der 17. April 1828. Später zogen ihre Eltern in das im Kirchenbleeck liegende Haus von Dr. Johannssen [Kirchenbleeck 9]. In diesem Hause ist der Vater im Jahre 1837, erst 41 Jahre alt, gestorben. Begraben liegt er auf dem Kirchhof bei der Kirche. Man findet den schlichten Grabstein unmittelbar neben dem Steig, der vom Haupteingang der Kirche zum Pastorat führt. Bald nach dem Tode des. Ernährers zog die Witwe mit ihren Kindern nach Itzehoe. Johanna, damals 9 Jahre alt, besuchte mit ihren Geschwistern die dortigen Schulen und eignete sich eine gründliche Bildung an. 1849 kam sie nach Schweden. Vier Jahre lebte sie dort in der Familie eines Grafen Piper. Lebhaften Geistes, wie sie war, beschäftigte sie sich eifrig mit der Volkskunde ihres Gastlandes. Besonders vertiefte sie sich in die Schriften, die sich mit Schwedens Vorgeschichte befaßten. Da sie auf die Länge das rauhe nordische Klima nicht vertrug, kehrte sie 1853 wieder in ihre Heimat zurück. Nach kurzem Aufenthalt bei ihrer Mutter hielt sie sich mehrere Jahre mit Verwandten der Piperschen Familie in Italien auf. Dann nahm sie dauernden Aufenthalt bei ihrem in Hamburg weilenden Bruder.

Sie entfaltete nun eine rege literarische Tätigkeit, übersetzte zahlreiche nordische Werke, besonders solche, die sich mit der ältesten Vorzeit beschäftigten und schrieb außerdem eigene Artikel für Fachzeitungen über Volkskunde und verwandte Gebiete. 1866 erschien von ihr der zu einem großen Teil in Bramstedt spielende Roman „Wiebeke Kruse“, der leider schon seit Jahren vergriffen ist. Bald wurde sie als Altertumsforscherin in weiten Kreisen bekannt und geschätzt. 1873 wurde sie zum Kustos des Museums vaterländischer Altertümer in Kiel berufen, 1891 wurde sie Direktor dieses Museums und damit die erste Frau in Europa, der man ein solches Amt übertrug. In Anerkennung ihrer Leistungen in diesem Amte wurde sie zu ihrem 70. Geburtstage zum Professor ernannt, und als sie 80 Jahre alt wurde, verlieh die Kieler Universität ihr den Doktortitel, beides Auszeichnungen, die damals für Frauen außergewöhnlich waren. Am 20. Juli 1909 starb sie, 81 Jahre alt, verehrt und betrauert nicht bloß von ihren vielen persönlichen Freunden, sondern von der ganzen wissenschaftlichen Welt.

Bei aller Arbeit, die auf ihren Schultern lastete, und trotz des Ansehens, das sie weit über Deutschlands Grenzen hinaus genoß, hat sie nie ihre Geburtsstadt vergessen. Mehrfach hat sie diese von Hamburg und von Kiel aus besucht. Und wenn sie in ihrer Eigenschaft als Leiterin des Museums bei gelegentlichen Funden, die hier gemacht wurden, nach Bramstedt schrieb, so schließt sie fast jeden Brief, nachdem das Sachliche und Fachliche erledigt war, mit persönlichen Mitteilungen und Erinnerungen an ihre hier verlebte Kinderzeit: „Grüßen Sie mir mein liebes Bramstedt,“ heißt es zum Beispiel, „wo mir jedes Fleckchen Erde teuer und in Erinnerung ist, so wie ich es gekannt und mit meinen Kinderfüßchen abgeschritten habe. So schöne Buchen wie in dem Walde nach Hitzhusen habe ich nirgend wieder gesehen, niemals so volle, süße Buchnüffe wieder gegessen“. Gelegentlich der Aufdeckung des Urnenfriedhofs unter der Lieth schreibt sie: „Die Hinterlassenschaft meiner alten Landsleute interessiert mich besonders, zumal der Fundort nahe der Straße „Hinter den Höfen“ liegt, wohin wir kleinen Kinder so manchen Suppentopf zu Kranken getragen.“ Und bei einer andern Gelegenheit heißt es: „Alles was mir aus meinem lieben Bramstedt kommt, ist mir ein Geschenk“. Oder endlich: „Ich hänge mit großer Liebe an meiner Heimat; ein Bild des Rolands steht immer auf meinem Arbeitstisch. Ungezählte Erinnerungen aus meinen ersten Kinderjahren knüpfen sich an das trauliche Häuschen neben dem Holsteinischen Hause.“

Ist solche Anhänglichkeit an die Kinderheimat nicht rührend? Wollen wir ihr diese Liebe nicht, soweit es möglich ist, dadurch vergelten, daß wir uns ihrer gern erinnern und sie, die hervorragende Forscherin und mit Anerkennungen überhäufte Gelehrte, mit Stolz unsere Landsmännin nennen? Wenn Bramstedt als Geburtsort des Dichters Friedrich Leopold Stolberg und des Astronomen Heinr. Ehr. Schumacher genannt wird, so sollte man nicht vergessen, als dritte bedeutende Persönlickeit, deren Name mit unserm Städtchen verknüpft ist, Professor Dr. Johanna Mestorff anzuführen. Uns Bramstedtern steht sie sicher näher als die beiden Erstgenannten, die in der Fremde ihrem Geburtsort bald entfremdet wurden; Johanna Mestorff wird uns unvergeßlich bleiben einmal als Verfasserin des Romans „Wiebeke Kruse“, und dann durch ihre bis in ihr Alter reichende Anhänglichkeit an den Ort, wo sie geboren wurde und ihre schönsten Kinderjahre verlebt hat.

(Aug. Kühl)

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