Schadendorf: Glocken schmelzen für die Kriege

Was weder die Söldnertruppen des 30jährigen Krieges noch spätere Kriegsvölker sich erlaubten, das ordneten Kaiser Wilhelm und Adolf Hitler an: Holt das Metall von Glocken und Orgeln aus den Kirchen!
Mit „Gott mit uns“ auf den Koppelschlössern, machten sie keinen Halt vor den Gotteshäusern, wenn es um Sieg oder Endsieg ging in bereits verlorenen Kriegen. Die Kirchenglocken und Orgelpfeifen wurde requiriert, um sie einzuschmelzen und die nächsten Waffen bauen zu können.

Unglaublich – aber wahrscheinlich vor Wiederholung nicht sicher –, wie auf diesem Wege Glaubens- und Kulturgüter ohne jede Rücksicht vernichtet wurden.

In den Bramstedter Nachrichten vom 16.6.1917 berichtet der Redakteur (Kuno Paustian) über die geplante Demontage der Glocken und relativiert diesen heftigen Eingriff mit einem geschichtlichen Vergleich.
„Wir beklagen den bevorstehenden Eingriff in das Orgelwerk! Wir tragen schwer an der heutigen Kriegsnot, viel schwerer waren die Bedrängnisse der Jahre 1657 bis 1660 für unsere Väter. Laßt uns daher mit Geduld und Gottvertrauen die Last der Gegenwart tragen und mit Freudigkeit in die Zukunft sehen.“

Und am 30. August 1917 folgte dann die erste Vollzugsmeldung: „Nach Kellinghusen abgeliefert wurde in der verflossenen Woche eine von unseren Kirchenglocken, die ein Gewicht von 330 Pfd. hatte.“

Es wurde zunächst ‚nur‘ eine Glocke aus Bad Bramstedt abgegeben und so waren in den folgenden Wochen und Monaten immer wieder solche Meldungen zu lesen, wie diese vom 31. Januar 1918: „Am Kaisersgeburtstag läuteten unsere Glocken zu Ehren vier in letzter Zeit gefallenen bezw. verstorbenen Kriegern. Es waren dies Marcus Horns und Johannes Schümann aus Wiemersdorf, Hinrich Möller aus Weddelbrook und Max Fölster aus Bad Bramstedt.“ 

In einigen Orten wehrte man sich gegen diese Demontage, wenn auch mit wenig Erfolg, wie ein Beispiel aus besetztem Gebiet in Polen zeigt: Bramstedter Nachrichten 25. Mai 1918 „Gestohlene Kirchenglocken. In siebzehn Gemeinden des Gouvernements Kalisch waren die Kirchenglocken abhanden gekommen. Man sperrte die Dorfoberhäupter ein. Nachdem die Glocken jetzt aufgefunden sind, wurden die Geiseln in Freiheit gesetzt.“

Zaghafte Kritik an der Demontage der Glocken gab es auch in der hiesigen Presse, jedoch weniger an der Tatsache an sich, als an Modalitäten des Vollzuges, so am 22. August 1918: „Von der Westküste. 18. August, wenig Rücksicht wird bei der Einziehung der Glocken und Orgelpfeifen auf die Kirchen genommen, wie seinerzeit bei der Gummibeschlagnahme z. B. die Reifen von den lahmen Rädern genommen wurde», um daraus, 1 manche andere im täglichen Gebrauch empfindlich entbehrte Dinge, jahrelang unbenutzt liegen zu bleiben, bleibe», bis sie fast zerfressen wurden, so sollen auch jetzt an manchen Stellen die Glocken und Orgelpfeifen heruntergenommen werden, um dann monatelang liegen zu bleiben, wenn man auch die Notwendigkeit dieses Opfers nicht verkennen kann, so könnte doch wenigstens so viel Rücksicht erwartet werden, daß die Beschlagnahme erst dann erfolgt, wenn die Sachen wirklich gebraucht werden. Statt daß sie jetzt monatelang unbenutzt liegen, könnten sie ebensogut noch im Gebrauch bleiben.“

 Am am nächsten Tag folgt die Meldung aus Bad Bramstedt: Nachdem von unsern Kirchenglocken schon vor längerer Zeit kleinste und älteste, die zuletzt als Stundenglocke diente, dem Kriege zum Opfer gefallen, sollen in nächster Zeit zwei weitere abgeliefert werden, nämlich die jetzt älteste, die im Jahre 1578 von Bartolomäus Korkow gegossen wurde, und die aus dem Jahre 1732 stammende Betglocke, deren Gießer nach der Inschrift Laurenz Strahlborn aus Lübeck ist. Es verbleibt uns dann nur noch eine einzige, ebenfalls von Bartolomäus Korkow gegossene Glocke. Sie trägt die Jahreszahl 1594.“

Doch das Kriegsende rettete Bad Bramstedts Glocken. Das Thema der requirierten und abtransportierten Glocken beschäftigte ganz offensichtlich deutschlandweit die Öffentlichkeit und wurde im Kriegsministerium zum Ende des Jahres 1918 behandelt. Darauf folgt die Meldung zu Weihnachten 1918. die in der Zeitung zu lesen war:
„Die beschlagnahmten Kirchenglocken. Das preußische Kriegsministerium hat angeordnet, daß die beschlagnahmten Kirchenglocken, soweit sie nicht zerstört sind, den ursprünglichen Besitzern gegen Rückerstattung des von der Kriegsmetall A.G. gezahlten Preises zurückgegeben werden.“

Zehn Jahre später nach Inflation und vor Weltwirtschaftskrise hörenb wir in der Zeitung erneut von den Glocken. Die Bramstedter Nachrichten schrieben am 1. September 1928:
„Von unserer Kirche. Am Freitag wurden zwei unserer Kirchenglocken herunter-genommen und nach Lübeck verfrachtet, wo sie umgegossen werden sollen. Sie waren beide schadhaft geworden. Die eine war kriegsbeschädigt. Sie musste während des Krieges — es war im Juli 1917 — an die Heeresverwaltung abgeliefert werden. Beim Transport hatte sie den Kopf verloren; ihrer Bestimmung konnte sie infolgedessen nicht mehr zurückgegeben werden. Diese Glocke war die älteste unserer Kirche; sie trug die Inschrift: Anno MDLXXII. ist also im Jahre 1572 gegossen worden. Vor ihrer Herunternahme im Jahre 1917 diente sie als Stundenschlagglocke für die Turmuhr. Ihren Platz hatte sie in einem Ausbau an der Südseite des Turmdaches. – Die zweite Glocke Halle vor längerer Zeit einen Sprung bekommen und war infolgedessen mißtönend geworden. Sie trug eine wesentlich reichere Inschrift. Am oberen Rande las man : Casper Vaget, Anno 1594, D. H. Johannes Hamerich, P. Paulus Neiebur K. , Marquardt Mertens, Hinrick Kruse, Hinrick Stamiohan, Clawes Runge, D. E. Kerckswaren. Das sind nacheinander die Namen des Gutsherrn [hier irrt die Zeitung: Caspar Vaget war nie Gutsherr], des Pastors, des Kirchspielvogts und der vier Kirchenältesten. Die Jahreszahl zeigt, das auch sie ein stattliches Alter hatte. Abgeschlossen wurden die Inschriftzeichen durch einen Kranz von Ornamenten. Weiter nach unten las man den Namen der Gießers: Bartolomäus Kerkow, und darunter sah man die Muttergottes mit dem Jesuskindlein, umgeben von einem Strahlenkranz. Links von dem Bilde waren die Buchstaben H. M., rechts die Zeichen G.G.T. angebracht. — Nun hängen oben noch zwei Glocken, eine aus  dem Jahre 1578, ebenfalls von „bartomeus kerkow“, und die große Betglocke, die im Jahre 1732 von Meister Laurenz Strahlborn gegossen worden ist.“

Und knapp drei Monate später heit es am  23.11.1928: „Unsere neue Kirchenglocke. Am Bußtag klang zum ersten Male die neue Glocke mit im Geläut. Das Glockengeläut ist durch sie wesentlich schöner geworden, es klingt heller und frischer, man möchte fast sagen, fröhlicher.“


Was zu Kaisers Zeiten glimpflich für die Kirche und die Glocken ausging, das schafften dann die Nationalsozialisten. Die Bramstedter Nachrichten berichten am 10. April 1942:

„Abgabe weiterer Glocken aus unserer Kirche. Zur Erweiterung der Reserven unserer Rohstoffwirtschaft werden in diesen Tagen 3 weitere Glocken aus der Bramstedter Kirche abgenommen und zwar sind dies die Stundenschlagglocke: Gegossen 1560. 1928 umgegossen von M. & O. OhIssen, Lübeck. 253 kg schwer. Außendurchmesser: 74 cm. Klingt auf den Ton c. — 2. Glocke: Casper Vaget Anno 1594. D. H. Johannes Hamerich P. Paulus Neiebur K. Marquardt Mertens +  Heinrich Kruse + Heinrich Stamerjohann + Clawes Runge + D. E. Kerchswaren. Bartolomeus Korkow. H.M.G.G.T. Inschrift dieser Glocke nach dem Umguß 1928: Bartolomeus Korkow goß mich 1594. Ich sprang 1928. M. & O. Ohlssen in Lübeck gossen mich neu 1928. Ehre sei Gott in der Höhe. Kirchengemeinde Bad Bramstedt. Friedrich West, Pastor. Johannes Schmidt, Hermann Schlesselmann, Karl Klausener, Johannes Barth, Kirchenälteste. Gewicht: 539 kg. Außendurchmesser: 95 cm. Klingt auf den Ton as. 3 Glocke: Von bartolomeus – korkow gegossen 1592 anno MDLXXII + db + h.h. + d. + m. Gewicht: 450 kg. Außendurchmesser 86 cm. Klingt auf den Ton f.“

Dem eher nüchtern formulierten Artikel stand brachiale Gewalt in der Praxis gegenüber. Der Bad Bramstedter Adolf Reimers erinnerte ich, dass er als Schuljunge staunend mit angesehen habe, wie die Glocken abgeschweißt und vom Turm geworfen wurden. Das Roll-und Fuhrunternehmen seines Vaters musste die Glocken zum Bahnhof bringen, von wo aus die nach Hamburg auf das Gelände der Affinerie gingen.

Die Überlieferung einiger Bad Bramstedter, diese Demontage sei ein Racheakt der örtlichen Nationalsozialisten an den kritischen Teilen der Kirchengemeinde gewesen, weil diese nach dem Bombenschaden 1942 gegen deren Widerstand einen Gottesdienst für die Toten abhielt, ist nicht zu verifizieren. Da der Zeitungsartikel über die Demontage aus April 1942 datiert und der Bombenschaden erst im Juli des gleichen Jahres erfolgte, trügt hier wohl die Erinnerung bzw. vermischt in der Nachschau zwei Ereignisse.

Nur eine dieser Glocken konnte nach dem Krieg auf dem „Glocken-Friedhof“ auf der Veddel in Hamburg wiedergefunden werden. Die anderen waren bereits eingeschmolzen. Diese Glocke diente bis 1955 wieder als Läuteglocke.

1952 erhielt die Kirche zunächst von eben diesem Glockenfriedhof eine Schellenglocke, die vom Rathaus zu Rotenburg an der Oder stammte, als Stundenglocke.

Erst 1955 konnten diese Glocken ersetzt werden, als am 27.8.1955 das Fuhrunternehmen Adolf Reimers (links am Pferd) mit großem Umzug durch die Stadt die Glocken vom Bahnhof zur Kirche brachte, wo sie in den Turm gehängt wurden.

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