Platte: Zur Geschichte des Schulwesens im Flecken Bramstedt

aus dem heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg 1986:

Wolfgang Platte: Zur Geschichte des Schulwesens im Flecken Bramstedt

Materielle, personelle und inhaltliche Mängel prägen die Geschichte des Bildungs­- und Schulwesens nicht allein im Flecken Bramstedt, sondern sinngemäß auch in vergleich- baren Landgemeinden, insbesondere in der Zeit vor der Einverleibung der Herzogtümer Schleswig und Holstein in den preußischen Staat.

Aktenmäßig kann die Geschichte des Schulwesens im Flecken Bramstedt bis in das Jahr 1568 zurückverfolgt werden. Aus diesem Jahr sind erstmals Kirchenrechnungen überliefert, aus denen sich Hinweise auf die Unterrichtstätigkeit des Bramstedter Küsters und Organisten Rolefinck ergeben. Schulunterricht wurde, wie in jenen Jahren allgemein üblich, in Nebentätigkeit von kirchlichen Bediensteten erteilt, in der Regel dem Organisten oder Küster. Das hierfür von der Kirchengemeinde gezahlte Entgelt be­trägt bis in das Jahr 1646 hinein unverändert sechs Schilling pro Jahr, eine Besoldung also, die den untergeordneten Charakter des Schulwesens in einer Gemeinde von der Größe Bramstedts deutlich macht, und die nur in Ausnahmefällen zu einem hinreichen­den pädagogischen Engagement motivierte. Hieran änderte auch die äußere Auf­wertung der Position des unterrichtserteilenden Organisten oder Küsters durch die Ver­leihung des Titel „Präceptor“, wie sie im Jahre 1681 im Flecken Bramstedt erfolgte, nur wenig. Ein an den König direkt gerichtetes Schreiben des Bramstedter Ortsgeistlichen aus dem Jahre 1735 spricht hier eine sehr deutliche Sprache: Lehrer, die in der Vergan­genheit im Flecken Bramstedt tätig waren bzw. es zum Zeitpunkt des Schreibens noch sind, werden allesamt als abgedankte Söldner, Vagabunden und Müßiggänger bezeich­net. Besonders beklagt wird hierbei das Fehlen jeglicher sachlicher und pädagogischer Qualifikation der Lehrenden.

Insgesamt müssen die Verhältnisse in Schleswig-Holstein gleichermaßen desolat ge­wesen sein, denn bereits fünf Jahre später, im Jahre 1740 also, verkündet der im Schrei­ben des Bramstedter Ortsgeistlichen angesprochene König Christian VI. ein allgemei­nes Reglement zur Verbesserung des Schulwesens in den Herzogtümern Schleswig und Holstein. Hierin werden erstmals konkrete Angaben sowohl über die Ausbildung als auch über die Besoldung der schleswig-holsteinischen Lehrer gemacht. So sollte ein an­gehender Lehrer seine pädagogischen Fähigkeiten in Form einer Hilfslehrertätigkeit, einer Art von Lehre also, erwerben und diese vor dem Kirchenkollegium in Form einer praktischen und theoretischen Prüfung nachweisen. Nach der erfolgten Ernennung zum Schulmeister sollte er dann neben einem festen Jahresgehalt in Höhe von 170 Reichs­talern eine freie Dienstwohnung mit Garten und Koppel erhalten.

Das am 26. Januar 1740 ergangene Reglement richtet sich insbesondere an das Amt Segeberg, da hier offensichtlich auch erhebliche räumliche Mängel zu beklagen waren. So weist Christian VI. das Amt Segeberg direkt an, nach bereits vorhandenen Normal-Bauplänen Schulgebäude neu errichten zu lassen. Neben einer finanziellen Unterstüt­zung wurde dabei die Gestellung von Baumaterialien aus dem landesherrlichen Besitz zugesagt; mit den Bauarbeiten sollte bereits im bevorstehenden Frühjahr begonnen wer­den. Die zu bauenden Schulhäuser sollten nach Landesart als Fachwerkbauten mit Lehmwänden errichtet werden und eine Grundfläche von 896 Quadratfuß (ein Quadrat­fuß entspricht in Schleswig-Holstein 296 Quadratmillimetern) haben. Als Räumlich­keiten sah der Normalplan eine Schulstube, eine Wohnstube, eine Diele, Schlafzimmer des Lehrers, Kuh- und Schafställe, Bodenraum für Futter und Kornvorräte sowie einen Platz für Feuerung vor.

Das soeben angesprochene königliche Reglement sollte jedoch, zumindest was die geforderten Schulneubauten betraf, für den Flecken Bramstedt reine Theorie bleiben. Zwar wird der Schulunterricht vom 1. April 1744 von einem vollausgebildeten Schul­meister versehen, die Räumlichkeiten blieben gleichwohl jedoch ein Provisorium. Seit dem Jahre 1575 fand der Schulunterricht in dem hinter der Kirche gelegenen Küsterhaus statt, das mit den Jahren zusehends verfiel und angesichts der steigenden Anzahl schul­pflichtiger Kinder auch von der räumlichen Größe den Anforderungen nicht mehr ent­sprechen konnte. Hatte man sich seitens der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten mit den räumlichen Verhältnissen weitgehend abgefunden und das eigentliche Problem mehr im personellen Bereich gesehen, so tritt mit der Einstellung eines nach den da­maligen Verhältnissen als vollausgebildet zu bezeichnenden Pädagogen eine Änderung ein. Anders als seine Vorgänger war der neue Bramstedter Schulmeister Struve nicht be­reit, sich mit den beengten räumlichen Verhältnissen im Küsterhaus abzufinden. Bereits unmittelbar nach seinem Amtsantritt im Jahre 1744 richtet er sich mit einem Gesuch an den Landesherren und drängt auf Abhilfe. Dieses Schreiben gibt einen nicht uninter­essanten Einblick in die „bürokratischen“ Verhältnisse jener Zeit, die denen unserer Tage nicht unähnlich erscheinen. In einer Stellungnahme des Kirchspiels, so Struve, wird zwar die Notwendigkeit eines Erweiterungsbaues bejaht, man wollte jedoch keine Geldmittel zur Verfügung stellen, da auch in den umliegenden Dörfern des Kirchspiels private Ersatzschulen, sogenannte Klippschulen, errichtet würden. Auch die Fleckens­gemeinde sähe keine Notwendigkeit zur finanziellen Beteiligung, da das Küsterhaus Kircheneigentum und der Schulunterricht Kirchenangelegenheit sei. Der König wurde angesichts der geschilderten Verhältnisse um eine Entscheidung gebeten. Auf dem Dienstwege gelangte das Schreiben Struves sowohl in die Hände des zuständigen Amt­manns zu Segeberg als auch in die Hände des Propstes. Beide betonten in ihren Stellung­nahmen die Notwendigkeit eines Erweiterungsbaues, waren aber hinsichtlich der Finanzierung geteilter Auffassung. Am 4. September 1744 ordnete der König zwar den sofortigen Baubeginn an, äußerte sich jedoch nicht zu der noch ungeklärten Finanzie­rungsfrage. Aufgrund der ungeklärten Finanzierung beschloß das Kirchspiel eine provi­sorische Lösung, die sich jedoch schon von Anfang an als unzulänglich erweisen sollte. Allerdings kehrt eine gewisse Ruhe in die schulischen Belange Bramstedts ein, aller­dings auch aus dem Grunde, da sich vom Jahre 1752 an eine private Ersatzschule im Flecken befand, die offensichtlich für eine gewisse Entlastung der „Küsterschule“ sorgte. Erst mit dem Jahr 1798 tauchen erneut Hinweise in den Akten auf, die auf Aktivi­täten zur Verbesserung der schulischen Verhältnisse schließen lassen. In einer gemein­samen Eingabe an das Kirchenvisitatorium in Segeberg fordern die Bramstedter Schul­interessenten die Errichtung eines Schulneubaus, da die beengten Räumlichkeiten im Küsterhaus nicht weiter hinzunehmen seien und die private Klippschule einen zu man­gelhaften Unterricht erteile.

Jedoch sollte es noch siebzehn weiterer Jahre und zahlloser Eingaben bedürfen, bis der Beschluß zum Schulneubau gefaßt worden war. Erst die sich bedrohlich entwickeln­de Einsturzgefahr des alten Küsterhauses bewegte die Kirchenjuraten im Jahre 1815 da­zu, der Errichtung eines Schulneubaues zuzustimmen. Geplant waren neben den Wohn­räumen für den Schulmeister und den Hilfslehrer Schulstuben für 80 — 100 Schüler. Be­reits im Jahre 1816 wurde mit dem Neubau am Kirchenbleeck begonnen, der aber schon im Winter des gleichen Jahres durch den ablehnenden Bescheid der königlichen Rente­kammer, Baukosten in Höhe von 10 000 Mark zu übernehmen, zum Stillstand kam; ein Umstand, der insbesondere vor dem Hintergrund des für die Herzogtümer Schleswig und Holstein sowie Dänemark ungünstigen Ausgangs der Befreiungskriege gegen Napoleon zu verstehen ist. So kam es zu einem neuerlichen Provisorium, das erst mit dem Bau des heute als Kulturhaus der Stadt Bad Bramstedt genutzten Schulgebäudes auf dem Maienbeeck ein vorläufiges Ende fand. Dieser im Jahre 1840 fertiggestellte Schul­neubau wurde jedoch nur durch die Gestellung des Baulandes durch die Fleckens­gemeinde ermöglicht sowie durch die Zusage der Gemeinde, Sachkosten des Schulbe­triebes fortan zu tragen.

Die Schulgeschichte des Fleckens Bramstedt konzentriert sich somit auf drei Gebäu­de: Das hinter der Kirche gelegene und nach der Fertigstellung des neuen Organisten­hauses 1816/17 abgerissene Küsterhaus, das nachfolgende, im Jahre 1971 abgerissene so­genannte Organistenhaus am Kirchenbleeck und das im Jahre 1840 errichtete neue Schulhaus am Maienbeeck. Mit der Errichtung dieses Gebäudes tritt erstmals die politi­sche Gemeinde des Fleckens als Schulträger in Erscheinung, während bislang sowohl die Trägerschaft als auch die Schulaufsicht in den Händen der Kirchengemeinde lag. Mit dem Auftreten der politischen Gemeinde als Schulträger beginnt eine Zeit der Span­nung zwischen Schulträger und kirchlicher Schulaufsicht, die sich in mehreren Ver­suchen des Fleckens, Einfluß auf die Unterrichtsgestaltung zu nehmen, dokumentiert. Unter anderem versuchte die Fleckensgemeinde mehrfach, gegen den Widerstand der Kirche ein Mitspracherecht bei der Besetzung von Lehrstellen durchzusetzen.

Die Errichtung von zwei Schulneubauten in relativ kurzer Zeit kann nicht allein durch steigende Schülerzahlen und die bisherigen räumlichen Provisorien erklärt werden. Angesprochen werden muß auch die regionale wie überregionale Entwicklung, die die Entscheidungsfindung hinsichtlich der Errichtung von Schulneubauten beeinflußte.

Mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts rückt das Bildungswesen erneut in den Blick­punkt des landesherrlichen Interesses. In der Zeit von 1797 bis 1814 wird eine Vielzahl von Maßnahmen getroffen, die auf eine Optimierung bzw. Straffung des Schulwesens in den Herzogtümern abzielten. So sollte es nach dem Willen der vom König eingesetz­ten Reformer in der Zeit nach 1814 lediglich zwei Schultypen in den Herzogtümern ge­ben: Die Bürger- oder Fleckenschule und die sogenannte Gelehrtenschule. Letztere sollte lediglich den größeren Städten vorbehalten bleiben. Unterrichtsziel der für unsere Betrachtung maßgeblichen Bürger- oder Fleckenschulen sollte die Vermittlung von Kenntnissen bzw. Fähigkeiten sein, die, wie es heißt, „die Bürgerkinder wirklich be­nötigten“, d. h. eine Beschränkung auf das Wesentliche. Der Lehrplan jener Jahre nach 1814 schreibt somit für die Elementarklassen (vergleichbar mit dem heutigen Grund­schulunterricht) Buchstabenkenntnis und Lesen nach Tabellen bis zum zusammenhän­genden Lesen in Büchern, Schreibübungen unter Berücksichtigung der Grundregeln der Orthographie und Interpunktion, Kenntnis der Zahlen, Kopfrechnen, Verstandes- ­und Gedächtnisübungen, biblische Geschichte, Unterweisung in der christlichen Reli­gion, Singen leichter Choräle und kleiner Lieder vor. In den Oberklassen sollten Übun­gen im ausdrucksvollen Lesen, dem Lesen verschiedener Handschriften, der Unterricht im Schön- und Rechtschreiben im Vordergrund stehen. Interessant ist hierbei eine Unterscheidung von Lerninhalten für Jungen und Mädchen im Bereich der Mathema­tik: Sollte den Mädchen hier lediglich ein Elementarwissen vermittelt werden, so steht für die Jungen eine vertiefende Beschäftigung mit Kopfrechnen, schriftlichen Rechen­übungen sowie der Arithmetik und der Geometrie auf dem Unterrichtsprogramm. Er­gänzend sollte den Oberklassen das Gemeinnützige aus den Bereichen Geschichte, Geographie, Naturlehre, Naturgeschichte, Technologie, biblischer Geschichte und dem Landeskathechismus vermittelt werden. Es wird deutlich, daß ein solches auch aus heutiger Sicht recht umfangreiches Unterrichtsangebot nur in den geeigneten Räumen vermittelt werden konnte.

War die Erstellung von Lehrplänen in der Zeit vor dem 19. Jahrhundert ausschließlich Kirchenangelegenheit, so ist der oben vorgestellte Fächerkanon von einem königlichen Schulkollegium erstellt worden und sollte landesweit Gültigkeit haben. Ebenso wurden Qualifikationsanforderungen sowie die Besoldung für Lehrer landesweit einheitlich festgelegt, lediglich die Aufsicht über die Einhaltung der Lehrpläne sollte in den Hän­den der Kirche verbleiben. Der Kirche wurden dabei besondere Auflagen über die Ab­haltung von Prüfungen und Lehrproben gemacht, so daß ein einheitliches Unterrichts­niveau sichergestellt werden sollte.

HkJB_1986_Schule

Aber nicht nur die landesherrliche Schulreform ist als Hintergrund für das Engage­ment des Fleckens beim Bau einer Fleckenschule im Jahre 1840 zu sehen. Der Schul­neubau fallt in eine Phase außerordentlicher Prosperität der Fleckensgemeinde, die sich aus den Einnahmen aus dem Wegezoll der im Jahre 1832 durch Friedrich VI. erbauten und durch Bramstedt führenden Kunststraße Kiel-Altona erklärt. Hierdurch nahm die Gemeinde einen großen wirtschaftlichen Aufschwung. Der Bau eines repräsentativen Schulgebäudes sollte dabei nicht nur den entstandenen Wohlstand des Ortes dokumen­tieren, sondern auch das notwendige Bildungsfundament zu legen helfen, dem aufgrund der rapiden Aufwärtsentwicklung des Ortes sich abzeichnenden veränderten Sozialgefüge mit neuen beruflichen und gesellschaftlichen Aufgaben der künftigen Fleckens­bürger entsprechend zu begegnen. Bildung war somit als zukunftsweisende und sinn­volle Investition anerkannt.

Der Euphorie der dreißiger und vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts sollte jedoch schon bald eine Ernüchterungsphase folgen. Die Entscheidung der Bramstedter gegen die Eisenbahn im Jahre 1844 sollte schon bald eine rapide Verarmung des Fleckens zur Folge haben, die dazu führte, daß ein bereits 1845 projektierter Erweiterungsbau zum neuen Schulgebäude 1860 endgültig zu den Akten gelegt wurde.

Die Einführung der preußischen Verwaltung in der im Jahre 1867 gebildeten neuen preußischen Provinz Schleswig-Holstein führte zum Ende der trotz aller bisherigen Be­mühungen um eine Vereinheitlichung des Schulwesens immer noch bestehenden loka­len Eigenheiten. Die im Jahre 1878 schließlich erfolgte Unterstellung der Schulen unter die staatliche Kontrolle machte das Schulwesen fortan vom politischen Willen abhängig. Die Aufgabentrennung zwischen der rein materiellen Trägerschaft der Schule und der inhaltlich-sachlichen Kontrolle des Unterrichtsgeschehens bleibt bestehen, wobei die inhaltlich-sachliche Schulaufsicht in die Verantwortlichkeit der staatlichen Verwal­tung übergeht. Die bisher gegebene subalterne und unübersichtliche Reglementierung des Schulwesens durch lokale kirchliche Behörden wird durch eine gesamtstaatliche Reglementierung ersetzt. Damit ist jedoch auch der Weg frei für eine allgemeine, glei­che und von lokalen Zufälligkeiten unbeeinflußte Bildung. Gleichzeitig wird jedoch auch deutlich, daß die schulische Bildung schon vor der Eingliederung des Schulwesens in die preußische Verwaltung einen vollkommen anderen Stellenwert bekommen hatte, als dies noch zu den Zeiten des Bramstedter Organisten und Lehrers Rolefinck der Fall war.

Anmerkung: Die Abbildung ist nicht „zeitgenössisch“ von 1840, sondern wird aus der zeit des linksseitigen Erweiterungsbaues um 1905 stammen.

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