March: Die Geschichte des Kreises Segeberg

veröffentlicht mit freundlicher Zustimmung des Herrn Dr. Ulrich March
(Hinweis: Der Text ist gescannt und über Schrifterkennung übertragen. Somit sind Übertragungsfehler bei mittelalterlichen Schreibweisen und Zahlenangaben nicht ausgeschlossen.)

ULRICH MARCH

GESCHICHTE

DES KREISES SEGEBERG

Mit fünf Zeichnungen von Kirsten Stosch

SCHRIFTENREIHE

DER JÜRGEN-FUHLENDORF-SCHULE

herausgegeben von H. F. Benthe und U. March

HEFT 12 Bad Bramstedt 1992


Inhalt

1. Vor- und frühgeschichtliche Grundlagen Seite 5

2. Die Burgvogtei Segeberg (12. – 14. Jahrhundert) Seite 8

3. Das Amt Segeberg (15. – 19. Jahrhundert) Seite 18

4. Der Kreis Segeberg (19. – 20. Jahrhundert) Seite 28

5. Konstanten und Perspektiven Seite 31

Mit der vorliegenden Veröffentlichung möchte die „Schriftenreihe der Jürgen-Fuhlendorf-Schule“ das 125jährige Bestehen des Kreises Segeberg würdigen, der vor gut einem Jahrzehnt die Trägerschaft der Schule übernommen und seither die schulische Entwicklung in bemerkenswerter Weise gefördert hat. Die Schrift zielt darauf ab, der interessierten Öffentlichkeit, insbesondere auch der Schülerschaft, die Grundlagen der Geschichte des heimatlichen Nahraums zu vermitteln, insbesondere auch der älteren Geschichte des Kreisgebietes.

Sie ist – in sprachlich leicht abweichender Form – bereits unter dem Titel „Geschichte des Raumes Segeberg“ in dem vom Kreis herausgegebenen Text- und Bildband „ Kreis Segeberg“ erschienen (Kunstverlag Josef Bühn, München 1990). Die Federzeichnungen stammen von Kirsten Stosch, derzeit Unterprimanerin der Jürgen-Fuhlendorf-Schule.

Prof. Dr. H.F. Benthe Dr. U. March

H. J. J. Hay, Kellinghusen, 1992


Burgvogtei und Landkreis Segeberg

JFS_Schriften_12_Seite07

I. Vor- und frühgeschichtliche Grundlagen

Der heutige Kreis Segeberg ist uraltes Siedlungsgebiet. Seit die Menschen ihr Dasein als Jäger und Sammler aufgeben und zu seßhaften Ackerbauern und Viehzüchtern werden – das ist in unser Region gegen Ende der mittleren Steinzeit der Fall -, haben sie sich auch an dafür geeigneten Stellen des Raumes Segeberg niedergelassen. Gräber aus der Jungsteinzeit (4000 – 1800 v. Chr.) finden wir sowohl im Westen als auch im Osten des Kreisgebietes; gut erhalten sind beispielsweise die beiden Riesenbetten nordöstlich von Tarbek. In Heidmoor bei Berlin ist eine jungsteinzeitliche Siedlung ausgegraben worden, die zu den ältesten und bedeutendsten in Schleswig-Holstein gehört. Auch in der Bronzezeit (1800 – 800 v. Chr.) ist unsere Heimat besiedelt gewesen. Die für diese Zeit typischen Hügelgräber, heute häufig von Buchen bewachsen, finden sich in weiten Teilen des Kreisgebietes, vor allem im Raum Bornhöved. In den zahlreichen Gräbern zwischen Bornhöved und Gönnebek sind so reichhaltige Bronze- und Goldfunde geborgen worden, daß man hier den Sitz eines Herrschergeschlechts vermutet hat. Für die Eisenzeit (seit 800 v. Chr.) sind ebenfalls sowohl im Westen als auch im Osten des heutigen Kreises Spuren menschlicher Wirksamkeit nachzuweisen. So wurden bei Großenaspe und bei Schwissel eisenzeitliche Urnenfriedhöfe ausgegraben; der letztere, der mit über 1600 Urnenfunden zu den bedeutendsten seiner Art gehört, ist übrigens am Fuße mehrerer stein- und bronzezeitlicher Gräber angelegt worden, so daß die Siedlungskontinuität hier sinnfällig zum Ausdruck kommt.

Der Siedlungskontinuität entspricht die ethnische Kontinuität. Von dem Zeitpunkt an, für den wir überhaupt die Existenz verschiedener Völker nachzuweisen vermögen, also seit der Bronzezeit, ist der Raum Segeberg stets von Germanen bewohnt gewesen, jedoch mit der Einschränkung, daß der Osten des heutigen Kreises vom frühen Mittelalter bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts von Slawen besiedelt ist. Dieses Volk, das wie die Germanen zur indogermanischen Völkerfamilie gehört, ist ursprünglich im westlichen Rußland ansässig, besiedelt aber, nachdem erhebliche Teile der Ostgermanen die Gebiete zwischen Elbe und Weichsel verlassen haben, nach und nach auch das östliche und mittlere Deutschland und erreicht etwa um 700 n. Chr. die Elbe-Saale -Linie. In Schleswig-Holstein schieben sich die Slawen bis zur Linie Kiel – Bornhöved – Segeberg – Oldesloe – Artlenburg vor, so daß das Gebiet des heutigen Kreises Segeberg in den folgenden Jahrhunderten von zwei unterschiedlichen ethnischen Gruppen besiedelt ist: Im Osten ist der zum Stammesverband der Abodriten gehörende slawische Teilstamm der Wagrier ansässig, im Westen der germanisch-deutsche Stamm der (Nieder-) Sachsen, der sich später im Zusammenhang mit der deutschen Ostsiedlung auch auf die vorübergehend slawischen Gebiete Norddeutschlands ausdehnt. Zwischen dem Siedlungsgebiet der Sachsen und der Slawen erstreckt sich eine urwaldartige, kaum zu durchdringende, etwa 20 bis 30 km breite Grenzzone, der „Isarnho“, der sich von der Kieler Förde bis zur Elbe hinzieht und mit den beiden größten zusammenhängenden Waldgebieten Schleswig-Holsteins, dem Sachsenwald und dem Segeberger Forst, noch heute landschaftsprägende Bedeutung hat.

Durch den Siedlungsvorstoß der Slawen nach Westen wird das sächsische Nordelbingen, also das Land zwischen Eider und Elbe, zur „Wespentaille der germanischen Welt“: Nur über diesen Gebietsstreifen ist noch eine ungehinderte Verbindung von Skandinavien nach Deutschland und Westeuropa möglich, und zwar über den seit der Steinzeit bestehenden Ochsenweg, der von Jütland über die Schleswiger Landenge zur unteren Elbe führt. Dieser uralte Handels- und Heerweg, der bis zur frühen Neuzeit seine Bedeutung behalten sollte und stellenweise noch heute gut im Gelände zu erkennen ist, verläuft über eine Strecke von rund 50 km durch das Gebiet des heutigen Kreises Segeberg, und zwar über Neumünster – Großenaspe – Bad Bramstedt – Kaltenkirchen – Ulzburg – Norderstedt nach Hamburg mit einer Abzweigung nach Wedel.

Von den rund hundert Gauen des Sachsenstammes liegen drei, nämlich der Dithmarschengau, der Holstengau und Stormarngau, nördlich der Elbe. Es handelt sich um politisch organisierte Siedlungsgebiete, die durch Ödmarkengrenzen voneinander getrennt sind und ihrerseits wieder in jeweils vier Viertel gegliedert sind. Das entscheidende politische Organ ist die Gauversammlung, das „Goding“, dem alle freien Männer des Gaues angehören und das regelmäßig an dem jeweiligen Gauhauptort (in Meldorf, Schenefeld bei Hohenwestedt und Hamburg) zusammentritt.

Zwei der nordelbischen Sachsengaue umfassen Gebiete des heutigen Kreises Segeberg. Die beiden späteren Großkirchspiele Bramstedt und Kaltenkirchen, das ist der ganze Westen des Kreises einschließlich der Gebiete um Boostedt, Großenaspe, Schmalfeld, Kisdorf, Henstedt-Ulzburg und Wakendorf II, gehören zum Südviertel des Holstengaues (Zentrum: Kellinghusen). Die südlichen Randgebiete des Kreises Segeberg entlang der Linie Norderstedt – Kayhude – Nahe – Itzstedt – Sülfeld, aber auch das Gebiet um Struvenhütten – Stuvenborn – Seth, gehören dagegen zum Stormarngau, und zwar mit Ausnahme des Raumes Norderstedt zu dessen Nordostviertel (Zentrum: Sülfeld). Holstengau und Stormarngau sind durch das Niederungsgebiet der oberen Pinnau, durch den Oberalsterraum und durch den Kisdorfer Wohld voneinander getrennt.

Der Osten des heutigen Kreises Segeberg einschließlich des Raumes Bornhöved – Bad Segeberg – Leezen gehört zum slawischen Wagrien, das von beiden Sachsengauen durch die schon erwähnte breite Ödmarkzone des „Isarnho“ geschieden ist. Das Gebiet ist durch eine Vielzahl kleiner Siedlungskammem gekennzeichnet, die sich häufig an Flußniederungen oder Seengebiete anlehnen. Aus der späteren kirchlichen Einteilung, aber auch aus verschiedenen Angaben der „Slawenchronik“ des Bosauer Pfarrers Helmold, läßt sich schließen, daß die Orte Süsel, Oldenburg, Plön und Segeberg/Warder die politischen Zentren Wagriens gewesen sind. Der Einflußbereich des letzteren reicht im Norden bis in die Nähe des Plöner Sees; Bosau und Dersau gehören zum Plöner, Bornhöved und Schlamersdorf zum Segeberger Distrikt.

Gegen Ende des 8. Jahrhunderts tritt Nordelbingen erstmals in das Licht der Geschichte, und zwar im Zusammenhang mit dem Sachsenkrieg, der dreißig Jahre lang von beiden Seiten mit größter Erbitterung geführt wird und mit der Einbeziehung Norddeutschlands in das Reich Karls des Großen endet. Die letzte bedeutende Schlacht dieses Krieges wird auf dem Gebiet des heutigen Kreises Segeberg geschlagen: Im Jahre 798 werden die noch nicht unterworfenen nördlichen Sachsengaue auf dem Sventana-Feld bei Bornhöved von einem fränkisch-slawischen Heer besiegt; 804 erlischt der letzte Widerstand. Einige Jahre später wird die Grenze zwischen dem fränkischen Reich und den in Ostholstein ansässigen Slawen genau festgelegt. Der „Limes Saxoniae“, wie sie in den Quellen genannt wird, führt von der Elbe bis zur Kieler Förde und verläuft im Segeberger Bereich zunächst entlang der Trave, dann über den Ort Blunk zur Tensfelder Au und schließlich zu einem als „stagnum colse“ bezeichneten Gewässer, unter dem möglicherweise der Stocksee zu verstehen ist.

Durch die Zugehörigkeit Nordelbingens zum fränkischen und späteren deutschen Reich haben sich die hier herrschenden Verhältnisse wenig geändert. Die überkommene Gauverfassung bleibt intakt; die Reichsgewalt reicht im allgemeinen kaum über Hamburg hinaus. In gesellschaftlicher Hinsicht bleibt wie bisher das freie Bauerntum tonangebend; Lehnswesen und Grundherrschaft – sonst fast im gesamten Reichsgebiet für die Sozialverfassung kennzeichnend – setzen sich nicht durch. Selbst von einer vollen Christianisierung Nordelbingens kann keine Rede sein, da sich die Pfarrorganisation in den nächsten Jahrhunderten im wesentlichen auf die drei Gaukirchen in Hamburg, Meldorf und Schenefeld beschränkt und damit die Voraussetzung für eine regelmäßige gottesdienstliche Versorgung der gesamten Bevölkerung nicht gegeben sind . Insbesondere in den hier zur Debatte stehenden östlichen Randgebieten entlang des „Limes Saxoniae“ muß – auch aufgrund späterer Angaben Helmolds von Bosau – mit der Fortdauer des Heidentums gerechnet werden.

Im übrigen ist dieser Raum vom 9. bis zum beginnenden 12. Jahrhundert häufig umkämpftes Grenzgebiet, denn die Beziehungen zwischen den nordelbischen Sachsen und ihren slawischen Nachbarn sind vielfach wenig friedlich. Da, wie erwähnt, die Reichsgewalt nördlich der Elbe kaum zur Geltung kommt, sind die Holsteiner und Stormarner bei der Abwehr der Slawen, die besonders im 9. und im 11. Jahrhundert immer wieder den „Limes Saxoniae“ durchbrechen, auf eigene Kräfte angewiesen. Die ständige Grenzsicherung wird dabei von der „Virtus Holsatorum“ wahrgenommen, einer berittenen, aus Angehörigen der großbäuerlichen Führungsschicht gebildeten Truppe.

II. Die Burgvogtei Segeberg (12. – 14. Jahrhundert)

Das 12. Jahrhundert ist – allgemeinhistorisch betrachtet – die bedeutendste Epoche in der Geschichte der Region Segeberg. In dieser Zeit gehen von hier entscheidende Impulse für die deutsche Ostsiedlung aus – ein tiefgreifender, zweihundert Jahre lang anhaltender und die weitere Geschichte der Deutschen in vielfacher Hinsicht bestimmender Vorgang.

Im Jahre 1134 begibt sich Lothar von Supplinburg, Herzog von Sachsen, deutscher König und römischer Kaiser, auf den Gipfel des Kalkberges, der damals noch viel höher ist als heute und das umgebende Land weit überragt. Der Kaiser erkennt sofort die einzigartige strategische Bedeutung dieser bereits im Slawenland gelegenen Anhöhe und befiehlt, hier eine Burg zu errichten – der erste Stützpunkt der Reichsgewalt im Inneren Nordelbingens. Diese Baumaßnahme ist im Zusammenhang mit Lothars aktiver Ostpolitik zu sehen, die auf die Besiedlung und Erschließung der westlichen Slawengebiete abzielt und u. a. durch die Einsetzung der Schauenburger als Grafen von Holstein, der Askanier als Markgrafen von Brandenburg und der Wettiner (bis 1918 Herrscher von Sachsen) zum Ausdruck kommt.

Die Burg Segeberg (= Siegesburg), in deren Schutz auch ein für die kirchliche Erschließung der Gegend gedachtes Stift, das spätere Augustiner-Chorherrenstift, und eine kleine Siedlung entstehen, ist für die militärische Absicherung der wenig später einsetzenden deutschen Besiedlung Ostholsteins von entscheidender Bedeutung gewesen. Auch später noch, als bereits ganz Schleswig-Holstein von einem Netz landesherrlicher Burgen überzogen ist,

Maria-Magdalenen-Kirche, Bad Bramstedt

Maria-Magdalenen-Kirche, Bad Bramstedt

stellt sie die stärkste Festung des Landes dar. Nicht zuletzt deswegen wird hier, im sogenannten Blauen Turm der Burg, jahrhundertelang das landesherrliche Archiv aufbewahrt, in dem sich die wichtigsten Urkunden und Dokumente aus allen Landesteilen befinden.

Um die Bedeutung der Burg Segeberg für die schauenburgische Landesherrschaft richtig einschätzen zu können , muß man wissen, daß während des ganzen Mittelalters die Defensivwaffen den Offensivwaffen überlegen sind. Eine gut verteidigte und gut verproviantierte Burg kann kaum eingenommen werden – der Besitz der Burgen bedeutet somit die Herrschaft über das Land. Das vorrangige Ziel aller landesherrlichen Politik muß daher sein, die Verteidigungsfähigkeit der Burgen des Landes zu gewährleisten. Die darauf abzielenden Maßnahmen lassen sich, was die Burg Segeberg angeht, zwar erst aus späteren Nachrichten entnehmen, es besteht jedoch kein Zweifel, daß von Anfang an entsprechend verfahren worden ist.

Wichtig ist zunächst, daß eine militärisch wie politisch zuverlässige Besatzung in die Burg gelegt wird. Wie stark diese in Segeberg in den ersten Jahrhunderten gewesen ist, wissen wir nicht. Es ist aber anzunehmen, daß die Angehörigen der Burgbesatzung, in den Quellen als „castellani“ bezeichnet, schon im 12. Jahrhundert ritterlichen Standes sind und zum gräflichen Landesherrn in einem Lehnsverhältnis stehen, das durch wechselseitige Treuebindung gekennnzeichnet ist und damit einen stark persönlichen Charakter hat. An der Spitze der Besatzung steht der gräfliche Vogt („advocatus“), der die landesherrlichen Hoheitsrechte vor Ort wahrnimmt und zunächst vor allem militärische Aufgaben hat. In Kriegszeiten bietet er die Wehrdienstpflichtigen seines Bezirks, in diesem Fall Bauern und Ritter der Vogtei Segeberg, auf und befehligt sie; im Frieden sorgt er für die Instandhaltung der Burg und für ihre Versorgung mit Lebensmitteln. Was die Burg Segeberg angeht, so werden dafür höchstwahrscheinlich von Anfang an die Bauern der Kirchspiele Bornhöved, Segeberg und Leezen herangezogen.

Über sie gebieten die schauenburgischen Grafen nicht nur als Landes-, sondern auch als Grundherren, d. h. daß diese Bauern – im Unterschied zu den freien Bauern nicht als „rustici“, sondern als „coloni“ bezeichnet – Land bewirtschaften, das rechtlich gesehen nicht ihnen, sondern dem Grafen gehört. Dafür sind sie ihm zu Gegenleistungen verpflichtet, die in Form von persönlichen Diensten („Hand- und Spanndienste“) oder Geldzahlungen („Grundzins“), in diesem Fall aber wegen der Nähe der Burg Segeberg vor allem in Naturalleistungen bestehen. Es ist also kein Zufall, daß die gräflichen Grundherrschaften – wie überwiegend auch sonst in Holstein – in der Nähe der landesherrlichen Burg liegen: Die bäuerlichen Hintersassen des Grafen in den drei genannten Kirchspielen gewährleisten die Lebensmittelversorgung der Burg Segeberg.

Wichtig für die Verteidigung der Burg ist aber nicht nur deren Verproviantierung, sondern auch ihr baulicher Zustand. Für bauliche Ausbesserungsmaßnahmen im Frieden und für Bau- und Schanzarbeiten im Krieg wird die männliche Bevölkerung der Vogtei Segeberg auf der Rechtsgrundlage des „Burgwerk“ herangezogen, einer öffentlichen Leistung, zu der zunächst jedermann verpflichtet ist. Schon wegen der räumlichen Nähe zur Burg Segeberg ist anzunehmen, daß auch diese Dienste vielfach von landesherrlichen Hintersassen der Kirchspiele Bornhöved, Segeberg und Leezen geleistet worden sind.

1138/39 erobern die Holsten und Stormarner in zwei Feldzügen ganz Wagrien; die slawische Herrschaft wird auf Mecklenburg zurückgedrängt. Im Jahre 1143 ruft Graf Adolf II. von Schauenburg überall in Norddeutschland zur Besiedlung des neu gewonnenen Landes auf und leitet damit die deutsche Ostsiedlung ein. Im Schutzbereich der Segeberger Burg lassen sich überwiegend Neusiedler aus dem Holstengau und aus Westfalen nieder, wobei die – zunächst zögernden – Holsten vor allem die Gebiete in der Nähe des „Limes Saxoniae“ und am Oberlauf der Trave besetzen, während sich die Westfalen weiter östlich niederlassen.

In der Regel vollzieht sich das Siedlungswerk in der Weise, daß ein mit den Verhältnissen vertrauter „Lokator“ im Altsiedelland einen Treck siedlungswilliger Bauern zusammenstellt, ihn in das Zielgebiet führt und dort die Ansiedlung vornimmt. Die Lokatoren sind häufig ritterlicher Herkunft oder wachsen im Neusiedelland in den Ritterstand hinein, denn der Graf vergibt die einzelnen Siedlungsdistrikte an ihm ergebene Vasallen, die damit das Recht erhalten, den jeweiligen Bezirk als Grundherrschaft einzurichten und sich dort einen befestigten Rittersitz („curia“) zu erbauen. Auf diese Weise schaffen sich die Grafen eine ritterliche Lehnsmannschaft, die dem Siedlungsunternehmen den in der Anfangszeit nötigen militärischen Rückhalt verleiht und außerdem das wichtigste Instrument für den Aufbau der gräflichen Landesherrschaft darstellt.

Die Siedler werden also überwiegend nicht als freie Bauern angesetzt, sondern stehen von Anfang an in einem grundherrlichen Abhängigkeitsverhältnis. Zwar führen sie ihre Höfe in der Regel als erbliche Familienbetriebe, aber rechtlich gesehen gehört das Land, das sie bearbeiten, nicht ihnen, sondern ihrem Grundherrn, der demzufolge auch verpflichtet ist, die – in alter Zeit stets mit dem Besitz von Grund und Boden verbundenen – militärischen Leistungen für das betreffende Gebiet zu erbringen. Dafür und für die Nutzung des Landes sind die Bauern ihrem Grundherrn gegenüber zu bestimmten Gegenleistungen verpflichtet, die in Form von Geldzahlungen , Naturalabgaben oder Hand- und Spanndiensten abgegolten werden oder sich auch aus mehreren dieser Leistungen zusammensetzen. Wenngleich die Befreiung vom Kriegsdienst und der Schutz, den der Bauer von seinem Grundherrn erfährt, vor allem in den unsicheren Zeiten der eigentlichen Landnahme durchaus ihre Vorteile haben, so ist doch der rechtliche Status der Neusiedler im Vergleich zu den in Altholstein ansässigen Freibauern von vornherein gemindert.

In der Vogtei Segeberg, deren Ausdehnung weitgehend der des heutigen Landkreises Segeberg entspricht, bilden sich also damals, was die Sozialverfassung der Bevölkerung angeht, drei ganz unterschiedliche Teilbereiche heraus. Westlich des alten „Isarnho“, in den Großkirchspielen Bramstedt und Kaltenkirchen, bleibt es bei der überkommenen Sozialstruktur. Hier sitzen nach wie vor freie Bauern auf Höfen, die ihr erbliches Eigentum darstellen und über die sie frei verfügen können. Sie haben der Landesherrschaft gegenüber die mit ihrem Grundbesitz verbundenen öffentlichen Leistungen, insbesondere Steuern und Kriegsdienst zu erbringen, sind aber sonst niemandem verpflichtet.

Die Dörfer der Kirchspiele Bornhöved, Segeberg und Leezen sind überwiegend zu einer landesherrlichen Grundherrschaft zusammengefaßt, so daß für die hier ansässigen Bauern ein doppeltes Abhängigkeitsverhältnis entsteht: Die Grafen sind für sie Grund- und Landesherren zugleich.

Der Osten der Vogtei Segeberg schließlich besteht aus einer Vielzahl zumeist adliger Grundherrschaften. Zwar sind die Grafen hier ebenfalls Landesherrn, doch nehmen sie die entsprechenden Befugnisse fast ausschließlich den Grundherren gegenüber wahr, die somit die Masse der bäuerlichen Bevölkerung von der direkten Verbindung zur Landesherrschaft abschließen. Die zumeist ritterlichen Grundherren residieren vielfach auf Wasserburgen, aus denen sich später die – deswegen häufig an Gewässern gelegenen – Herrenhäuser der adligen Güter entwickeln. Die grundhörigen Bauern haben zwar ihre Verpflichtungen gegenüber dem Grundherrn zu erfüllen, bewirtschaften aber im übrigen ihre Höfe in eigener Regie.

Gegen Ende des 12. und zu Beginn des 13. Jahrhunderts fallen in Norddeutschland und im Ostraum wichtige historische Entscheidungen, die auch die Vogtei Segeberg berühren. Mächtigster Herrscher im Norden des Reiches ist bis 1180 Herzog Heinrich der Löwe, der die Ostsiedlung kräftig

Katharinenkirche in Großenaspe

Katharinenkirche in Großenaspe

fördert und die Grundlagen für die deutsche Ostseeherrschaft des Spätmittelalters legt; er hält sich wiederholt in Nordelbingen auf und hat auch Segeberg besucht. Nach seinem Sturz gerät das politische System Norddeutschlands in eine tiefe Krise, und es sieht für einige Zeit so aus, als sollte das unter König Waldemar kräftig erstarkende dänische Großreich nicht nur die Ostseeherrschaft erringen, sondern auch zum Träger der Ostsiedlung in diesem Raum werden. Holstein, Mecklenburg und das reichsfrei gewordene Lübeck werden von den Dänen erobert, die auch auf Pommern und Estland übergreifen. Auf der Segeberger Burg herrscht ein Vogt des Grafen Heinrich von Orlamünde, der seinerseits im Auftrag des dänischen Königs Nordelbingen regiert – ein Zustand übrigens, der von dem fast ausschließlich in Italien weilenden Kaiser Friedrich II. ausdrücklich bestätigt wird.

In dieser Situation sind es die norddeutschen Fürsten und die Bürger der Städte Hamburg und Lübeck gewesen, die eine grundlegende Wende herbeigeführt und die deutsche Zukunft im Ostseeraum gesichert haben. Wiederum fällt die Entscheidung im Bereich des heutigen Kreises Segeberg, und zwar am Maria-Magdalenen -Tag (22. Juli) des Jahres 1227 bei Bornhöved. Der Sage nach soll Graf Adolf IV. von Schauenburg, als die Schlacht ungünstig für die Deutschen steht, angesichts des ganzen Heeres auf die Knie gefallen sein und gelobt haben, Mönch zu werden und der heiligen Maria Magdalena Kirchen und Altäre zu weihen, wenn Gott ihm doch noch den Sieg verleihe. Daraufhin sei am Himmel eine herrliche Frauengestalt erschienen, die das blendende Sonnenlicht abgelenkt und das Heer der Verbündeten gesegnet habe, das daraufhin von neuem Mut erfüllt worden sei und die Dänen besiegt habe.

Selten hat eine Schlacht so weitreichende historische Folgen gehabt: Das dänische Großreich bricht zusammen , die Voraussetzungen für den Fortgang der deutschen Ostsiedlung und für die Machtstellung der Hanse im Ostseeraum sind gegeben. Die weitere Entwicklung ist vor allem durch den Aufstieg der – seit 1226 – Freien Reichsstadt Lübeck gekennzeichnet, die in wirtschaftlicher, kultureller und rechtlicher Hinsicht für weite Bereiche Nordeuropas prägende Bedeutung erlangt. Auch die Grafschaft Holstein und insbesondere der Lübeck benachbarte Raum Segeberg werden naturgemäß in vielfältiger Hinsicht von dieser Stadt beeinflußt. So gestaltet die Stadt Segeberg, die sich aus der kleinen Siedlung unterhalb der Burg entwickelt hat, wie die meisten Städte im Ostseeraum ihre Verfassung nach lübischem Recht. Da das Original der Stadtgründungsurkunde nicht erhalten geblieben ist, wissen wir nicht genau, wann der Ort zur Stadt erhoben worden ist. Nach dem Wortlaut einer allerdings etwas fragwürdigen Abschrift einer mittelniederdeutschen Übersetzung, die ihrerseits auf Abschriften des lateinischen Originaltextes zurückgeht, ist die Stadt im 13. Jahrhundert gegründet worden. Einige Anhaltspunkte – insbesondere die Art des Stadtsiegels – deuten auf einen Zusammenhang mit der ersten großen Stadtgründungswelle im Zeitalter Adolfs IV., der auch Plön, Oldenburg, Oldesloe und Itzehoe gründet. Da Graf Adolf IV. entsprechend seinem Gelübde während der Schlacht von Bornhöved im Jahre 1239 in ein Kloster eintritt und danach keine Urkunden mehr ausstellt, ist es sehr gut möglich, daß Segeberg sein Stadtrecht Ende der zwanziger oder während der dreißiger Jahre des 13. Jahrhunderts erhalten hat.

Auf jeden Fall ist mit dem lübischen Recht die Selbstverwaltung der Bürgerschaft verbunden. Entscheidendes Verfassungsorgan ist der Rat, der die internen Verwaltungs- und Justizangelegenheiten der Stadt regelt. Er ergänzt sich selbst, indem er jeweils beim Tod eines Mitgliedes einen Angehörigen der führenden Familien kooptiert, der im allgemeinen auf Lebenszeit im Rat verbleibt. Im übrigen ist der Rat auf Zusammenarbeit und Interessenausgleich mit dem gräflichen Stadtherrn angewiesen, der in diesem Fall durch den Burgvogt vertreten wird. Da die landesherrliche Burg Segeberg sehr bedeutend, die Stadt aber nur verhältnismäßig klein ist, läßt sich gut denken, daß sich der Rat dabei häufig nach der Decke strecken muß. Von einem so weiten Spielraum, wie ihn die größeren Städte oder gar die Freien Reichsstädte haben, kann jedenfalls keine Rede sein.

Angaben über die genaue räumliche Ausdehnung der Vogtei Segeberg liegen seit dem 14. Jahrhundert vor. Die Urkunde, die über die Landesteilung des Jahres 1316 ausgefertigt wird, ordnet „dheme huse to segheberghe“ die Kirchspiele Kaltenkirchen, Bramstedt, Bornhöved (mit Ausnahme des Raumes Ruhwinkel – Perdöl – Wankendorf- Stolpe) und Schlamersdorf zu. Sieht man einmal von dem Raum Großenaspe – Heidemühlen – Boostedt ab, der bis in das 20. Jahrhundert hinein nach Neumünster bzw. Kiel / Bordesholm hin orientiert bleibt, so entspricht also die gesamte West- und Nordgrenze der Vogtei Segeberg der heutigen Kreisgrenze.

Die Teilungsurkunde von 1316 rechnet dann ferner zur Vogtei Segeberg die Kirchspiele Segeberg, Leezen, Pronstorf, Warder, Gnissau und Curau, nicht jedoch das Kirchspiel Sülfeld. Wie bereits für das frühe Mittelalter gezeigt, ist also der Raum Sülfeld – Itzstedt- Sievershütten – Stuvenborn nach wie vor nach Stormarn orientiert; im übrigen entspricht auch die Südgrenze der Vogtei Segeberg der heutigen Kreisgrenze. Im Osten schließlich reicht der Einfluß des Segeberger Vogts im Bereich des Kirchenspiels Curau über das Gebiet des heutigen Kreises hinaus.

„Haus Segeberg", Landratsamt

„Haus Segeberg“, Landratsamt

Wichtig ist, daß die Urkunde des Jahres 1316 das Adelsland im Osten nicht nach Grundherrschaften aufführt, sondern ganz selbstverständlich und ohne Einschränkung als Teilgebiete der Vogtei Segeberg betrachtet.

III. Das Amt Segeberg (15. – 19. Jahrhundert)

Während des 15. und 16. Jahrhunderts kommt es in ganz Europa zu grundlegenden politischen, sozialen und geistigen Wandlungen, die für den Eintritt in eine neue Geschichtsepoche, die Neuzeit, kennzeichnend sind. Was nun die Region Segeberg, insbesondere deren Ostgebiete, angeht, so ist in diesem Zusammenhang zunächst auf eine tiefgreifende Veränderung des adligen Selbstverständnisses hinzuweisen, die wiederum mit den veränderten militärischen Verhältnissen zu tun hat. Im 14. und erst recht im 15. Jahrhundert mehren sich die Anzeichen dafür, daß die Zeit der schweren adligen Panzerreiterei und damit der ritterlichen Kriegführung vorbei ist; die Siege von bäuerlichem Fußvolk über gepanzerte Ritterheere – etwa der Schotten bei Bannocksburn, der Flamen bei Kortrijk oder der Schweizer bei Morgarten, schließlich die Niederlagen Karls des Kühnen und das Debakel des schleswig-holsteinischen Ritterheeres bei Hemmingstedt – sprechen eine deutliche Sprache. Der Adelige, der sich bis dahin vorwiegend als Ritter und Lehnsmann fühlt und dessen Selbstverständnis im wesentlichen von seiner militärischen Aufgabe bestimmt ist, muß sich unter diesen Umständen nach einem anderen Tätigkeitsfeld umsehen bzw. sich auf einen anderen Lebensschwerpunkt hin orientieren. Die Masse des Adels entscheidet sich für die Landwirtschaft: Der Ritter des Mittelalters wird zum Gutsherrn der Neuzeit, die mittelalterliche „curia“ zum modernen Herrenhof.

Für das ostelbische Neusiedelland, auch für die östlichen Gebiete der Vogtei Segeberg, kommt es damit zu einschneidenden gesellschaftlichen Veränderungsprozessen, die durchweg zum sozialen Abstieg des Bauerntums führen. Betreibt der adelige Grundherr bis dahin die zu seiner „curia“ gehörige Landwirtschaft im wesentlichen zur Eigenbedarfsdeckung, so stellt sich die Lage jetzt anders dar: Seine bäuerlichen Hintersassen konkurrieren mit ihm auf dem nahegelegenen Lübecker Markt, und er hat im Gegensatz zu früher das größte Interesse daran, die eigene Anbaufläche innerhalb seiner Grundherrschaft auszuweiten.

Die grundhörigen Bauern sind dem Druck des Adels, der sich aus dieser Situation für sie ergibt, auf die Dauer nicht gewachsen gewesen, zumal im Zeitalter des Ständestaates auch die politische Bedeutung des Adels immer mehr zunimmt. Einen ersten Höhepunkt erreicht die Macht der Ritterschaft, als ihr Friedrich I. auf dem Kieler Landtag des Jahres 1524 die volle Gerichtsbarkeit über ihre bäuerlichen Untertanen gewährt und zugleich alle Angehörigen des Adels von der öffentlichen Gerichtsbarkeit des Landesherrn befreit. Gestützt auf die damit gegebenen juristischen Mittel und unter Ausnutzung ihrer überlegenen politischen und finanziellen Möglichkeiten haben sie im Laufe der Zeit mehr und mehr Ländereien der Bewirtschaftung durch ihre Hintersassen entzogen und dem eigenen Hofland zugeschlagen. Damit verlieren die bäuerlichen Hintersassen größtenteils oder ganz ihre wirtschaftliche Selbständigkeit und sind gezwungen, als Landarbeiter auf dem Herrenhof Dienst zu tun. Der Endpunkt dieser Entwicklung ist erreicht, wenn praktisch der ganze grundherrliche Distrikt vom Herrenhof aus bewirtschaftet wird – aus der Grundherrschaft des Mittelalters ist die Gutsherrschaft der Neuzeit geworden.

Im 17. Jahrhundert entwickelt sich die Gutsuntertänigkeit der Bauern in den östlichen Adelsdistrikten in der Weise, daß in mancherlei Hinsicht bereits von persönlicher Abhängigkeit gesprochen werden muß. Dagegen scheitert damals der Versuch, die Institution der Gutsherrschaft auch auf den Westen des Segeberger Raumes auszuweiten. Hier, im Bereich der Kirchspiele Bramstedt und Kaltenkirchen, ist die freibäuerliche Tradition ungebrochen, wenngleich es inmitten des Bauernlandes auch hier einzelne Adelssitze gibt. Einer davon ist der Hof Bramstedt, der in der Nähe des Ortszentrums liegt, der Fleckensgemeinde Bramstedt aber nicht untersteht.

Im Jahre 1685 erwirbt der damalige Besitzer des Gutes Bramstedt, Baron von Kielmannsegg, einen von König Christian V. ausgestellten Pfandbrief auf das Amt Segeberg, zu dem im wesentlichen die Kirchspiele Bramstedt, Kaltenkirchen, Bornhöved, Leezen und Segeberg gehören. Die dänischen Könige, seit dem Ripener Vertrag von 1460 auch Landesherren in Schleswig und Holstein, sind durch den Dreißigjährigen Krieg in derartige finanzielle Schwierigkeiten gekommen, daß sie darangehen, bestimmte öffentliche Rechte, so etwa das Jagd- und Fischereirecht sowie die Hoch- und Niedergerichtsbarkeit, auf dem Pfandwege zu vergeben. Baron von Kielmannsegg glaubt nun, mit dem Pfandbrief, in dem seine Befugnisse in der Tat recht umfassend formuliert werden, ein Mittel in der Hand zu haben, um die Gutsuntertänigkeit in Bad Bramstedt durchzusetzen. Von der Kanzel der Maria-Magdalenen-Kirche herab läßt er verkündigen, daß er hinfort die Obrigkeit in Bramstedt darstellt, und fordert die Fleckenseinwohner auf, ihm für den folgenden Tag je Haushalt zwei Personen für seine Jagd zur Verfügung zu stellen. Der Bramstedter Bauer und damalige Fleckenvorsteher Jürgen Fuhlendorf hat später eine Chronik über diese Ereignisse verfaßt, in der es u. a. heißt:
„Zu mir als Schreiber dieses schickte er selben Sonntagnachmittag seinen Voigt, mir befehlendt, ich solte morgen, als Montag früh, mit 4 Pferdt und einen Wagen auf den Hof sein und nach Hambourg fahren. Darauf ich antwortete, er ginge unrecht, ich wüste von keinen Baron als meiner Obrigkeit; der König were meine Obrigkeit. Der Voigt aber, ehe fast eine Stunde zu Ende ging, da ich mich zum andernmahl auch wegerte, zum drittenmahl wiederkan, sagende, wan ich nicht fahren wolte, wolte mich der Baron alsofort hohlen laßen, ins Gefängnis werfen, da ich weder Sonn- und Mondschein sehen könnte. Worauf ich antwortete, er solte auf solche Ahrt nicht wieder in mein Hauß kommen; käme er wieder, mich zu hohlen, ich wollte mich so lange wehren biß an den Todt, und sollte er mir nimmer lebendig auf seinen Hof bringen. Welches dan, weil er den Ernst sahe, daß Mahl darbey blieb.

Montag morgens war daß gantze Flecken mit Mann, Weib und Kinder versammelt, da dan nichts als Häulen und Weinen gehöret wurde, ja wie die Kinder Israel in Egypten und am Rohten Meer, also schrie ein jeder zu Gott, daß er sie aus dieser Noth helfen und erretten wolte. Worauf sie dan endlich schlü-ßig worden, verbunden und verschrieben sich zusammen alle damahls lebende Männer im Flecken, daß sie nicht allein Geld und Guth, sondern auch Leib und Bludt vor ihre Freyheit laßen und darbey aufsetzen wolten und nimmer unter den Bramstedter Hof sich geben. Wan sie auch all das Ihrige solten im Stich laßen, wolten sie doch lieber mit Weib und Kindern davonziehen.“

Mit dem korporativen Zusammenschluß aller Fleckenseinwohner und dem Entschluß zum Widerstand gewinnt die Angelegenheit grundsätzliche Bedeutung. Die Auseinandersetzung wird in den folgenden Jahren auf den verschiedensten Ebenen mit politischen, juristischen und finanziellen Mitteln angefochten, wobei der Baron auch vor Einschüchterung und Anwendung von Brachialgewalt nicht zurückschreckt. Die Bramstedter sind schließlich bereit, sich durch eine einmalige Zahlung, die auf alle Fleckenseinwohner umgelegt wird, selbst aus der Pfandschuld zu befreien; mit Unterstützung der Krone gelingt dies auch. Im Jahre 1695 steht fest, daß die Bramstedter es geschafft haben, ihre traditionellen Freiheitsrechte zu bewahren und die Ausweitung der Gutsuntertänigkeit auf das Altsiedelland zu unterbinden.

Die Vereinigung, zu der sich die Fleckensbewohner in der Stunde der Not zusammengeschlossen haben, besteht übrigens heute noch als Fleckensgilde, die das Andenken an die Tat Jürgen Fuhlendorfs und das Bewußtsein von der freiheitlichen Tradition des Ortes wachzuhalten bemüht ist.

Die sozialgeschichtliche Entwicklung im Raum Segeberg verläuft also ganz unterschiedlich: Während die Bauern der östlichen Adelsdistrikte überwiegend auf den Status von Tagelöhnern herabsinken, sind die Bauern der beiden westlichen Kirchspiele in der Lage, ihren sozialen Rang zu behaupten. Was jedoch den politisch-administrativen Bereich angeht, so müssen sie sich im Vergleich zur sächsischen Frühzeit und zum Hochmittelalter gewisse Einschränkungen gefallen lassen. Zwar wird der Grundsatz der bäuerlichen Selbstverwaltung auf Kirchspiels- und Gemeindeebene im Kern nicht angetastet, jedoch bringt die Entwicklung zur modernen Staatlichkeit, insbesondere der zunehmende Handlungsbedarf für den Staat der frühen Neuzeit, es mit sich, daß vieles, was zuvor von den Bauern in eigener Regie geregelt worden ist, von Organen und Behörden der Landesherrschaft angeordnet, durchgeführt und kontrolliert wird. Was beispielsweise die Nutzung der Segeberger Heide im Bereich des alten „Isarnho“ für jagdliche Zwecke, zur Schweinemast oder zur Brennstoffversorgung angeht, so gilt für die Frühzeit ganz selbstverständlich der Grundsatz vom „Volksrecht am Unland“, der die beliebige Nutzung für jedermann ermöglicht. Je mehr sich nun die moderne Staatlichkeit entwickelt, in diesem Fall: eine staatliche Forstverwaltung aufgebaut wird, um so mehr werden die überkommenen Rechte der Bauern eingeschränkt. Zu ganz ähnlichen Entwicklungen kommt es in den Bereichen des Gerichtswesens, der Lokalverwaltung und später des Schulwesens.

Die Kirchspiele Bornhöved, Segeberg und Leezen stehen, da sie grundherrlich geprägt sind, zunächst im Gegensatz zu den freibäuerlichen Kirchspielen des Westens. Da jedoch die Landesherren hier weniger als Grundherren in Erscheinung treten, haben diese Gebiete die sozialgeschichtliche Entwicklung der adeligen Grundherrschaften im Osten nicht mitgemacht. Andererseits sind sie – auch durch die Nähe der Segeberger Burg – voll in die landesherrliche Verwaltung mit eingebunden und sind somit in gleicher Weise von der Ausbildung der modernen Landesverwaltung betroffen wie die westlichen Kirchspiele. Auf diese Weise ergibt sich bereits im Mittelalter eine Angleichung zwischen den landesherrlichen Kirchspielen im Neusiedelland und den altholsteinischen Kirchspielen Bramstedt und Kaltenkirchen. Während sich durch die Emanzipation des Adels und dessen Sonderrechte die adeligen Kirchspiele des Ostens immer mehr aus der landesherrlichen Verwaltung herauslösen, wachsen die westlichen und die mittleren Kirchspiele, von der Segeberger Burg aus einheitlich verwaltet, immer mehr zusammen.

Die Veränderung der Verhältnisse wird auch dadurch deutlich, daß im 15. Jahrhundert die Bezeichnung „Vogt“ („Burgvogt“, „advocatus“) verschwindet; stattdessen ist vom „Amtmann“ die Rede. An die Stelle der „Vogtei Segeberg“ tritt nunmehr in den Quellen das „Amt Segeberg“, und zwar ist mit der Änderung der Bezeichnung auch eine Änderung des Begriffsinhalts zu beobachten. Während die „Vogtei Segeberg“ stets auch die adeligen Kirchspiele im Osten umfaßt hat, wird das neue Wort „Amt“ im allgemeinen nur mehr auf die nichtadeligen Teile der Region bezogen, also auf das Gebiet der Kirchspiele Bramstedt, Kaltenkirchen, Bornhöved, Segeberg und Leezen sowie auf die Stadt Segeberg.

Damit tritt im Segeberger Raum eine administrative Zweiteilung ein: Die Mitte und der Westen der ehemaligen Vogtei Segeberg werden weiterhin von der Segeberger Burg verwaltet, während sich die weiter östlich gelegenen Gutsbezirke selbst verwalten. Letzteres wird übrigens auch dadurch deutlich, daß bei den Landesteilungen zwar die Ämter, nicht jedoch die Adelsgebiete geteilt werden; die Gutsdistrikte werden vielmehr von den Landesherren gemeinsam, in Wirklichkeit vom Adel selbst verwaltet.

In diesen beiden Teilregionen der früheren Vogtei und des heutigen Landkreises Segeberg entwickelt sich die gesamte öffentliche Ordnung bis 1867 recht unterschiedlich. Im Westen bleiben die Kirchspiele, die letztlich auf die germanische Zeit zurückgehen – die ersten Großkirchspiele sind identisch mit den Gauvierteln -, die Gliederungseinheiten des öffentlichen Lebens schlechthin. Nicht nur in kirchlich-religiöser, sondern auch in politischer, administrativer, rechtlicher, militärischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht ist der Kirchort der Mittelpunkt für die gesamte Umgebung. Hier tritt das Kirchspielsding zusammen, hier werden Verwaltungsangelegenheiten entschieden und verkündet, Gerichtsurteile gefällt und vollstreckt, hier versammelt sich in Kriegszeiten das Aufgebot der wehrdienstpflichtigen Männer. Das Kirchspielsding ist ein aus Einwohnern des Kirchspiels bestehendes Verwaltungs- und Gerichtsorgan, das die seit der sächsischen Zeit ungebrochene Tradition der bäuerlichen Lokalverwaltung fortsetzt. Einberufen und geleitet wird es vom Kirchspielvogt, der als Lokalbeamter dem Segeberger Amtmann unterstellt ist und insoweit für die Durchsetzung landesherrlicher Anordnungen vor Ort verantwortlich ist. In lokalen Angelegenheiten und auch im Rechtswesen behalten die Bauern jedoch ihre Befugnisse; der Kirchspielsvogt ist Gerichtsvorsitzender, aber nicht Richter.

Windmühle in Götzberg

Windmühle in Götzberg

Ganz anders stellt sich die Situation in den Adelsdistrikten des Ostens dar. Hier ist die Gliederungseinheit des öffentlichen Lebens nicht das Kirchspiel, sondern der Gutsbezirk. Die Kirchspiele sind reine Pfarrsprengel und lediglich für das kirchlich-religiöse Leben zuständig, wobei man freilich

bedenken muß, daß die Kirche damals auch im sozialen Leben eine wichtige Rolle spielt. Politische, gerichtliche und administrative Angelegenheiten werden auf Gutsbezirksebene geregelt, wobei der jeweilige Gutsherr die entscheidende Instanz ist. Er ist zwar an die landesherrlichen Grundsatzentscheidungen gebunden, untersteht jedoch nicht dem Segeberger Amtmann und gestaltet seine lokalen Angelegenheiten in eigener Verantwortung.

In einem einzigen Bereich nur bleibt die frühere Verbindung zwischen dem Segeberger Amtmann und den östlichen Adelsbezirken erhalten, und zwar im Militärwesen. Der schleswig-holsteinische Adel unterliegt bis weit in die Neuzeit hinein der Roßdienstpflicht, und da im Kriegsfalle das Aufgebot irgendwie organisiert werden muß, bieten sich dafür die landesherrlichen Burgen als die militärischen Zentren des Landes an. In den Landregistern des 16. und 17. Jahrhunderts, in denen die Pferdegestellungszahlen verzeichnet sind, ist daher die schleswig -holsteinische Ritterschaft nach Ämtern gegliedert, wobei der Begriff „Amt“ hier in einem weiteren Sinne zu verstehen ist. Ein Landregister aus dem Jahre 1543 etwa enthält unter der Überschrift „Segeberger Ampt“ folgenden Angaben:

Otto Seestedt, Amptmann, Rath                  8
 Hennicke von Bockwolden tho Pronstorp         6
 Gossing Wensin tho Rolefstorp                 3
 Marquart von Bockhwolden thon Syerhane       12
 Casper Fuchß tho Bramstedte                   2
 Paul Ritzeroue tor Hasselborch                4
 Dirick Blome thom Seedorp                     6
 Bartholomeus van Anesfelde thor Frysenborch   4
 Breyde Rantzow, Rath zu Redtwisch             4
 Jürgen van Anefelde tom Grönenberge           3
 Jürgen van Anefelde thor Wensyn               6
 Benedictus Rantzouw thom Schaphuße            2
 Jacob Rantzau tho Daldorp
 Hans Pogwisch tor Farve                       6
 Hennecke von Bockwolden thor Wensin
 Detlef von Bockwolden tho Mucksfelde

Andere Landregister nennen auch die Güter Wulfsfelde, Övelgönne, Neversdorf, Borstel, Sirhagen, Hornsdorf, Nütschau und Tralau; das neuzeitliche „Amt Segeberg“ im militärischen Sinne reicht also weit über die mittelalterliche Vogtei Segeberg hinaus.

Die angegebenen Zahlen bezeichnen übrigens nur die eigentlichen Streitrosse und berücksichtigen nicht, daß jeder Ritter („gudemann“) über mindestens einen Helfer („knecht“, „renner“) und mindestens drei Pferde verfügen muß. Die Angabe „Hennecke von Bockwohlden thor Pronstorp … 6″ besagt also, daß der dem Gut Pronstorf aufliegende Roßdienst mit einem Kontingent von sechs Streitrossen abzuleisten ist und daß Herr Henning von Buchwald – sich selbst mitgerechnet – sechs Vollgerüstete mit Gefolge und mit der entsprechenden Anzahl von Reit- und Packpferden zu stellen hat.

Die Bedeutung des Adels liegt allerdings damals gar nicht mehr so sehr im militärischen als vielmehr im politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich.Was das letztere angeht, so entfaltet sich auch auf den Gütern und Herrensitzen des Segeberger Raumes im 16. und besonders im 17. und 18. Jahrhundert eine reiche Adelskultur, die uns noch heute – in der Anlage der Güter, in der baulichen Gestaltung der Herrenhäuser, in der Innenarchitektur – ganz unmittelbar begegnet.

Die ritterliche „curia“, anfangs nur eine Art befestigtes Bauernhaus, ist zunächst noch sehr klein und unansehnlich. In Hornstorf beispielsweise sind bis heute zwei je 6 x 6m große Kellerräume erhalten, die früher die Größe der ganzen Anlage bezeichnet haben. Je mehr die Adelssitze jedoch ihren Charakter als Festungen verlieren, um so mehr wird den Wohnbedürfnissen Rechnung getragen und um so größer werden sie: Aus der Burg des Mittelalters wird das Schloß der Neuzeit. So entsteht während des Dreißigjährigen Krieges als erstes kunstgeschichtlich bemerkenswertes Zeugnis der Adelsarchitektur im Raum Segeberg das stattliche Herrenhaus Wensin, bei dem die baugeschichtliche Kontinuität insofern deutlich wird, als es noch mancherlei mittelalterliche Architekturelemente aufweist. Bedeutende Adelsbauten in unserer Gegend sind ferner die aus dem Hoch- bzw. Spätbarock stammenden Herrenhäuser von Muggesfelde und Borstel, vor allem aber das des Gutes Pronstorf – „vielleicht das schönste Herrenhaus des 18. Jahrhunderts in Schleswig-Holstein; bei aller Pracht der Fassade, deren Architekt mit den Formelementen der Zeit auf das sicherste umzugehen verstand, ordnet sich der Bau wunderbar in die Seelandschaft und die umgebenden Baumgruppen ein“ (Peter Hirschfeld).

Prächtige Bauten hat auch Heinrich Rantzau ausführen lassen, der seit 1554 als Amtmann in Segeberg residiert und von 1556 bis 1598 königlicher Stadthalter gewesen ist. Er läßt die landesherrliche Burg auf dem Kalkberg als modernes Schloß ausbauen, errichtet für den König eine Wohnung in dem ehemaligen Stiftsgebäude und baut sich selbst ein repräsentatives Haus in der Stadt. Alle diese Bauten sind heute nicht mehr vorhanden, doch zeugen noch mancherlei Spuren vom Wirken Heinrich Rantzaus, dem es in überzeugender Weise gelungen ist, seine humanistischen und künstlerischen Neigungen mit seiner politischen Tätigkeit und dem Dienst am Gemeinwohl zu verbinden.

Auf den soliden Grundlagen, die Heinrich Rantzau für die weitere Entwicklung des Amtes Segeberg gelegt hat, baut sein Nachfolger Marquard von Pentz auf, der im Jahre 1612 der Segeberger Kirche ihre holzgeschmückte Kanzel gestiftet hat. Welche Bedeutung Schloß und Amt Segeberg damals haben, geht auch daraus hervor, daß König Christian IV. im Jahre 1621 die protestantischen Reichsstände zu einer Beratung nach Segeberg einberuft, an der zahlreiche Fürsten, darunter Kurfürst Friedrich von der Pfalz, teilnehmen; auch England und die Niederlande sind vertreten. Wenige Jahre später macht jedoch der Dreißigjährige Krieg dieser Blütezeit Segebergs ein Ende.

Seit den Slawenkämpfen des Hochmittelalters war die Region Segeberg nur noch selten unmittelbar von Kriegsereignissen betroffen worden. Die Kämpfe zwischen den Schauenburgern und den dänischen Königen spielen sich in Schleswig ab, und das Verhältnis zu Mecklenburg und Lübeck ist im allgemeinen friedlich. Im Jahre 1533 versucht jedoch der Lübecker Bürgermeister Wullenwever, den sich anbahnenden Niedergang der Hanse mit militärischen Mitteln aufzuhalten (sogenannte Grafenfehde). Um den Krieg gegen Dänemark offensiv führen zu können, muß er die Bedrohung ausschalten, die von der verhältnismäßig nahegelegenen königlichen Burg Segeberg für die Hansestadt ausgeht. Die Burg hält der Belagerung jedoch stand, obwohl die Lübecker modernste Geschütze einsetzen. Als ein Entsatzheer herannaht, zieht sich der lübische Feldhauptmann Markus Meyer wieder zurück, zerstört aber vorher noch die Stadt Segeberg und den Nachbarort Gieschenhagen.

Stärker noch wird das Amt Segeberg durch den Dreißigjährigen Krieg in Mitleidenschaft gezogen. Zwar liegt das Schwergewicht der Kämpfe mit den kaiserlichen Truppen unter Tilly und Wallenstein mehr im Westen (vor allem im Raum Breitenburg – Krempe – Glückstadt), doch berühren die Truppen auf ihren Märschen natürlich auch andere Landesteile, so daß vor allem die an den großen Heerstraßen gelegenen Orte, etwa Bramstedt, schwer zu leiden haben. Gegen Ende des Krieges, im Jahre 1644, zerstören schwedische Truppen das von Heinrich Rantzau erbaute Segeberger Bergschloß so weitgehend, daß es in der Folgezeit verfällt und dann ganz abgebrochen wird. Heute erinnert nur noch der tiefe Brunnen an Burg und Schloß Segeberg.

Um den Kampf gegen die Schweden wirksamer führen zu können, ruft der Segeberger Amtmann Jasper von Buchwald zum Partisanenkampf auf. In einzelnen Dörfern des Amtes werden Freischaren gebildet, die, in Rotten zu 20 – 45 Mann gegliedert, den schwedischen Nachschub zu stören suchen. Die sich dabei entwickelnden Kämpfe werden von beiden Seiten erbarmungslos geführt. Die „freien Knechte“ oder „Schnapphähne“ sind – ähnlich wie die „Werwölfe“ der Lüneburger Heide – in den Gegenden, in denen sie aufgetreten sind, noch lange als unerschrockene Freiheitskämpfer gefeiert worden.

Im 18. Jahrhundert profitiert auch der Raum Segeberg von der „Ruhe des Nordens“, die dadurch zustandekommt , daß es dem norwegisch-dänisch-schleswig-holsteinischen Gesamtstaat gelingt, sich aus allen europäischen Verwicklungen herauszuhalten. In die napoleonischen Kriege wird jedoch auch Dänemark hineingerissen, und zwar ist es bis zum Schluß – auch noch nach der Völkerschlacht bei Leipzig – mit dem Kaiserreich Frankreich verbündet. So kommt es, daß Truppen der Verbündeten, vor allem Schweden und Russen, gegen Ende des Jahres 1913 über Lübeck in das Amt Segeberg eindringen. Die Dänen ziehen sich nach Nordwesten zurück, ihre Nachhut wird jedoch am 7. 12. 1813 von einer vorpreschenden schwedischen Kavallerieeinheit unter Führung von General Skiöldebrand angegriffen; obwohl die Dänen auch über Artillerie und Infanterie verfügen, werden sie geschlagen und ziehen sich auf Rendsburg zurück. Dieses dänisch-schwedische Nachhutgefecht wird als dritte Schlacht von Bornhöved bezeichnet, obgleich es in seiner militärischen und politischen Bedeutung nicht im entferntesten mit den Ereignissen von 798 und 1227 verglichen werden kann.

Auch im ersten und zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts bleibt die Verwaltungsstruktur des Segeberger Raums im Prinzip so, wie sie sich im späten Mittelalter entwickelt hat, obwohl die öffentlichen Aufgaben stark zunehmen. Aufgrund der Fortschritte in der Medizin steigt die Bevölkerungszahl deutlich an; während beispielsweise die Einwohnerzahl der Stadt Segeberg im 18. Jahrhundert auf 600 gesunken ist, hat die Stadt gegen Ende des 19. Jahrhunderts schon über 4000 Einwohner. Wenn auch die Industriealisierung noch nicht einsetzt, so ist doch der Staat in den Bereichen der Wirtschaft, des Verkehrswesens und der Schulorganisation in stärkerem Maße gefordert als früher. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang der gegen Ende des ersten Jahrhundertdrittels erfolgte Bau der „Kunstchaussee“ zwischen Altona und Kiel, die durch den Westen des Amtes führt und deren Meilensteine heute noch an der nunmehrigen Bundesstraße 4 stehen, sowie die Einrichtung des Segeberger Lehrerseminars im Jahre 1839, durch das die Stadt auf dem Gebiet des Schulwesens überörtliche Bedeutung erhält und das bis zum Jahre 1925 bestanden hat.

IV. Der Kreis Segeberg (19. bis 20. Jahrhundert)

Die schleswig-holsteinische Erhebung des Jahres 1848 und der deutschdänische Krieg von 1864 werden von der Bevölkerung des Segeberger Raumes mit der gleichen leidenschaftlichen Anteilnahme erlebt wie in anderen Teilen der Herzogtümer. Die Einverleibung Schleswig-Holsteins in die preußische Monarchie durch das Besitzergreifungspatent König Wilhelms I. vom 12. Januar 1867 stößt auch hier auf erhebliche Vorbehalte, da die Bevölkerungsmehrheit lieber ein eigenständiges Schleswig-Holstein innerhalb eines deutschen Bundesstaates gesehen hätte. Die preußische Politik begegnet dieser verbreiteten Stimmung recht geschickt; Eingliederung und Verwaltungsanpassung vollziehen sich – soweit es geht – unter bewußter Rücksichtnahme auf die im Lande gegebenen Verhältnisse. So werden die Landkreise, die am 22. September 1867 nach dem Vorbild der übrigen preußischen Provinzen entstehen, in Anlehnung an die traditionellen Ämter gebildet und häufig auch mit den gleichen Namen bezeichnet; die ersten Landräte gehören fast alle dem schleswig-holsteinischen Adel an und entstammen damit der gleichen gesellschaftlichen Schicht wie zuvor die Amtmänner, mit denen sie teilweise sogar identisch sind.

Durch die Verordnung „betreffend die Organisation der Kreis- und Distriktbehörden sowie die Kreisvertretung in der Provinz Schleswig-Holstein“ wird neben 19 weiteren Kreisen der bis heute bestehende Kreis Segeberg geschaffen. Er besteht „aus dem Amte Segeberg; den zum Amte Trittau gehörigen Dörfern Bredenbekshorst, Sievershütten, Nahe und Stuvenborn; den zum Amte Tremsbüttel gehörigen Dörfern Itzstedt und Tönningstedt; dem zum Amte Reinfeld gehörigen nach Segeberg und Pronstorf eingepfarrten Dörfern; den zum Amte Plön gehörigen Kirchspiel Bornhöveder Dörfern und dem zu demselben Amte gehörigen Dorfe Travenhorst; der zum Kloster Itzehoe gehörigen Vogtei Armstedt; den zur Herrschaft Breitenburg gehörigen Dörfern Hitzhusen, Weddelbrooksdamm und Mönklohe; den Gütern Caden, Borstel, Bramstedt, Asfrade; dem Kanzleigut Kuhlen; den Gütern Pronstorf, Margarethenhof, Rohlstorf, Wensien, Müssen, Muggesfelde, Travenort, Seedorf und Hornstorf, Glasau; den Hasselburger Eingesessenen von Rönnau (und) der Stadt Segeberg“.

Kernstück des neuen Kreises Segeberg ist also das gleichnamige Amt, das um die in seinem Umfeld gelegenen adeligen Güter erweitert wird, insbesondere um den geschlossenen Güterkomplex östlich des alten „Limes Saxoniae“. Der neue Kreis entspricht im wesentlichen der alten Burgvogtei Segeberg und umfaßt somit diejenigen Gebiete, die seit jeher den Raum Segeberg ausgemacht haben; gemessen etwa an manchen Gebietsreformen der letzten Jahrzehnte fällt auf, mit wieviel Augenmaß und historischem Sachverstand damals gearbeitet worden ist.

Kirche in Pronstorf

Kirche in Pronstorf

Die Gebietsfläche des neu geschaffenen Kreises Segeberg beträgt zunächst 1157,2 km2 und liegt heute bei 1344,32 km2. Die Zunahme erklärt sich im wesentlichen aus den Gebietsveränderungen der Jahre 1932 und 1970. 1932 wird der Kreis Bordesholm aufgelöst, und der Raum Gadeland – Boostedt -Großenaspe – Heidmühlen fällt an den Kreis Segeberg. Im Jahre 1970 verliert der Kreis Segeberg die Gemeinde Gadeland an den Stadtkreis Neumünster, gewinnt aber die aus vier vorher selbständigen Gemeinden gebildete neue Stadt Norderstedt, schon zum Zeitpunkt ihrer Gründung die fünftgrößte des Landes. Weitere einschneidende Vorgänge in der Verwaltungsgeschichte des Kreises sind die Einführung der Kreisordnung für die Provinz Schleswig-Holstein im Jahre 1888 und ein Gesetz des Jahres 1927, durch das Güter (mit Ausnahme des Forstgutbezirks Buchholz) selbständige Gemeinden werden oder bestehenden Gemeinden zugeschlagen werden.

Die Bevölkerung des Kreises wächst vor dem zweiten Weltkrieg langsam, aber stetig; die Einwohnerzahl liegt 1895 bei 39 000, 1910 bei 44 000 und 1939 bei 53 000. Die in den Jahren 1945 / 46 nach Schleswig-Holstein strömenden Flüchtlinge und Vertriebenen aus Ostdeutschland lassen dann die Einwohnerzahl des Kreises auf mehr als das Doppelte hochschnellen, bevor sich die Bevölkerung durch die Umsiedlung von Flüchtlingen in andere Bundesländer während der fünfziger Jahre wieder verringert (1958:91 000 Einwohner). In den folgenden Jahren ergibt sich durch das Wirtschaftswachstum im Hamburger Umland, durch die Übersiedlung zahlreicher Hamburger nach Schleswig-Holstein und durch die Einbeziehung der Stadt Norderstedt in den Kreis Segeberg erneut ein starkes Wachstum der Bevölkerung, das – seit den siebziger Jahren gebremst – bis heute anhält (Einwohnerzahl 1989: 215 000).

Der Kreis Segeberg hat während der Kaiserzeit noch weitgehend agrarischen Charakter. Daran ändert sich auch durch den ersten Weltkrieg nichts Grundlegendes, obgleich die Landwirtschaft hier wie in anderen Gebieten des Reiches während der Weimarer Republik in eine tiefe Krise gerät. Einschneidende Auswirkungen auf die Gesamtentwicklung des Kreisgebietes hat dann jedoch der zweite Weltkrieg. Zwar ist der Kreis durch die militärischen Vorgänge unmittelbar kaum betroffen; die Luftkriegsschäden sind, aufs Ganze gesehen, unbedeutend, und die Besetzung durch britische Truppen vollzieht sich im wesentlichen kampflos. Schon während des Krieges, insbesondere seit den schweren Bombenangriffen auf Hamburg im Sommer 1943, strömen jedoch Hamburger Evakuierte, seit den ersten Monaten des Jahres 1945 auch Ostflüchtige in den Kreis Segeberg. Das Kriegsende und die Vertreibung der Deutschen aus dem Gebiet östlich von Oder und Neiße führen dann zu einer nie erlebten Überbevölkerung des in wirtschaftlicher Hinsicht strukturschwachen Gebietes, die in Verbindung mit den Kriegsverlusten, dem allgemeinen Elend der Nachkriegszeit und der Spaltung Deutschlands und Europas, durch die der Kreis in eine geographische Randlage gerät, die Situation beinahe hoffnungslos erscheinen läßt.

Schon seit den fünfziger Jahren zeichnen sich unverkennbar positive Entwicklungstendenzen ab. Neben und an die Stelle der Landwirtschaft tritt in zunehmendem Maße der vorher nicht nennenswerte sekundäre Wirtschaftssektor, während zugleich der tertiäre Sektor einen beträchtlichen Ausbau erlebt. Industrie und Gewerbe siedeln sich insbesondere entlang der Achse Hamburg – Kaltenkirchen an, wobei wirtschaftliche Auftriebskräfte vor allem in Norderstedt, aber auch in Ellerau und Henstedt-Ulzburg zur Geltung kommen. Handel und Dienstleistung nehmen im ganzen Kreisgebiet erheblich zu; insbesondere sind in diesem Zusammenhang die Kreisstadt (Kreisverwaltung, Möbelfirma Kraft, Bundeswehrstandort) und die Stadt Bad Bramstedt (Rheumaklinik, Bundesgrenzschutzpräsidium Nord) zu nennen.

Die hier nur andeutungsweise erwähnten positiven Entwicklungstendenzen verdichten sich in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren. In diese Zeit fallen der Erwerb Norderstedts und der eigentliche wirtschaftliche Aufschwung im Südwesten des Kreises sowie – damit verbunden – eine günstige Beschäftigungs-, Bevölkerungs – und Finanzentwicklung. Zugleich werden in diesen Jahrzehnten durch die planmäßige Verbesserung der ökonomischen, der administrativen und auch der schulischen Infrastuktur die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß der Kreis Segeberg die Spitzenstellung, die er Anfang der neunziger Jahre unter den schleswig-holsteinischen Landkreisen einnimmt, auch in Zukunft halten kann.

V. Konstanten und Perspektiven

In der Geschichte des Raumes Segeberg lassen sich gewisse Konstanten erkennen, die im wesentlichen durch die geographischen Verhältnisse bedingt sind. Die Region liegt zwischen Kiel, Lübeck und Hamburg, den drei größten nordelbischen Städten also, hat aber selbst keine bedeutende städtische Siedlung hervorgebracht. Der Raum ist vielmehr durchaus ländlich geprägt, und zwar ist in geographischer, politischer und sozialer Hinsicht zwischen einer westlichen und einer östlichen Teilregion zu unterscheiden.

Wichtig sind auch die großräumlichen Zusammenhänge. Die Region Segeberg liegt im Südosten der kimbrischen Halbinsel, also im Übergangsraum zwischen Nord- und Mitteleuropa, einerseits, dem westlichen und dem östlichen Norddeutschland andererseits. Diese Lage im gleichsam doppelten Spannungsfeld hat, wie etwa die Vorgänge des ausgehenden 8., des 12., des 13., und der Mitte des 20. Jahrhunderts bewiesen, die Geschichte des Raumes Segeberg ganz eindeutig geprägt, und zwar in positiver wie in negativer Hinsicht. Nichts spricht dafür, daß dies in Zukunft anders ist. Es gibt daher gute Gründe für die Annahme, daß einerseits der Ausgleich zwischen Nord- und Mitteleuropa, anderseits die Aufhebung der West-Ost-Spannung durch den Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums und die Wiedervereinigung Deutschlands außerordentlich günstige Voraussetzungen für die künftige Entwicklung des Raumes Segeberg darstellen.

Dieser Beitrag wurde unter K - aus den umliegenden Dörfern veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.