Hoch: Streit um die Juden in Bramstedt 1740

Sonderdruck aus: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte Im Auftrage der Gesellschaft herausgegeben von Manfred Jessen-Klingenberg Band 118, 1993

Streit um die Juden in Bramstedt 1740

Von Gerhard Hoch

Hier soll über den Versuch berichtet werden, Juden aus dem Gutsbezirk und Flecken Bramstedt im Jahre 1740 zu vertreiben.1) Zum geschichtlichen Hintergrund sei folgendes gesagt: Bis zum Jahre 1698 befand sich das Gut im Besitz des Barons von Kielmannsegg, der es in diesem Jahre an Baron Johann Ernst von Grote verkaufte, einen Oberstleutnant und Oberberghauptmann aus Hessen-Kassel.2) Das war der Beginn sehr instabiler Verhältnisse im Ort. Von Grote versuchte, die den Bramstedtern zugebilligte Fleckensbefreiung rückgängig zu machen und sie als Leibeigene zu behandeln. Der Widerstand der Bürger führte zu einen Prozeß bei der Königlichen Regierung in Glückstadt, ohne daß dieses freilich eine Entscheidung herbeizuführen vermochte. Die Bedrückung der Bewohner fiel indessen auf die Gutsherrschaft selber zurück und untergrub, neben den den damaligen Kriegswirren, die Wirtschaftlichkeit des Betriebes. Die Gebäude begannen zu verfallen, viele Höfe fielen wüst.3) Versuche, das Gut zu verkaufen, schlugen über lange Zeit fehl. Schließlich fand sich im Jahre 1750 der Segeberger Amtmann Graf Christian Günter zu Stolberg als Käufer. Zuvor hatte von Grotes Witwe Anna, geb. Bülow, die Bewirtschaftung des Gutes übernommen. Im Juli 1740 war dem Segeberger Amtmann Hans Rantzau das Auftreten von Juden in Bramstedt hinterbracht worden. Am 30.7.1740 meldete er der Regierungskanzlei in Glückstadt, daß einige der Baronin gehörende Katen im Flecken „jetzt zum Teil mit Juden besetzt sind, deren Anzahl sich fast täglich häuft und nach eingekommenem Bericht gegen 14 bis 20 Personen angewachsen sein soll.“ Als gravierend fügte er hinzu, daß deren Behausung „mit den Häusern der königlichen Eingesessen vermischt liegen.“ (Die Baronin selber gab in einem späteren Schriftsatz an, daß die Juden „in dem zum Gute Bramstedt gehörigen sogenannten Kloster unter meiner Jurisdiktion ihre Wohnung haben.“4) Der Amtmann übernahm sodann die Klagen, die ihm von den Eingesessenen zugegangen seien, daß nämlich die Juden „in Vielem stören und oftmals beunruhigen und wegen ihrer armseligen Umstände den hiesigen Eingesessenen gefährlich sein können, sonst auch großen Unfug verüben und noch neulich eine Schlägerei entsponnen haben, die, da ihr nicht in Zeiten gewehret worden wäre, besorgliche Folgen hätte nach sich ziehen könne.“ Mit dem Hinweis, daß es überhaupt keinem gebühre, „diese Nation auf seinem Grund ohne landesherrliche allergnädigste Erlaubnis zu hägen“, bat er um Anweisungen. Mit dieser Einschätzung befand sich der Amtmann nur halbwegs im Einklang mit der damaligen Rechtslage in den Herzogtümern, die ein königliches Reskript vom 13.6.1729 definiert hatte. Danach durften sich Juden nur in den vier Städten Altona, Glückstadt, Rendsburg und Friedrichstadt niederlassen. An allen anderen Orten hatte eine Niederlassung ein besonderes Privileg des Königs oder des Grundherrn zur Voraussetzung.5) König Christian VI. scheint die Bramstedter Angelegenheit zögernd behandelt zu haben. Erst am 30.9.1740 nahm er zwar die Argumentation des Amtmanns auf und befand, das Verhalten der Baronin sei „schlechterdings bei namhafter Strafe zu untersagen.“ Er machte die Duldung seitens des Grundherrn abhängig von seiner eigenen Zustimmung, die in diesem Falle nicht gegeben war. Gleichwohl schob er die Entscheidung ab und befahl der Kanzlei in Glückstadt, den Fall der landesherrlichen Regierung in Kiel vorzulegen und eine „gemeinschaftliche Inhibition“ vorzuschlagen. Am 7.11.1740 erging an die Baronin dann das Mandat, bei Strafe von 200 Mark keine Juden aufzunehmen und zu dulden. Die Gutsherrin indessen mochte sich dem Mandat nicht so ohne weiteres beugen. In einem längeren Schreiben an den König vom 22.11.1740 begründete sie „mit ehrerbietigkeitsvollen Herzen“ ihre Entscheidung zugunsten der Juden: Sie würde ihre Entscheidung sofort widerrufen haben, „wenn nicht diese armen Leute nebst ihren Weibern und Kinder mich dermaßen mit vielem Wehklagen und Lamentium tagtäglich angegangen, daß es einem Stein erbarmen müßte und anbei flehentlich gebeten, es bei Eurer Königlichen Majestät … durch eine aller- und demütigste Vorstellung dahin in die Wege zu richten, daß ihnen erlaubt sein möge, bis nächsten Maitag hier zu bleiben, allermaßen es bei dieser Winterzeit vorderhand schlechterdings unmöglich fiele, wieder unter Dach und Fach zu kommen. Ich habe demnach das … Verhoffen, Eure Königliche Majestät werde es mir zu Gnaden halten, daß hierdurch in aller und tiefster Erniedrigung mir die Freiheit nehme, für die Leute zu bitten …“ Die Frage, wie sich dieses liberale und humane Engagement der Baronin, das sich hier unter den devot-barocken Floskeln verbirgt, in ihr gesamtes Persönlichkeitsbild fügt, würde zur Beantwortung weitere Recherchen voraussetzen. Sie scheint aber auch hinsichtlich der noch von ihrem Gatten verfolgten harten Linie gegenüber den Eingesessenen abgewichen zu sein. Denn die wüstliegenden Höfe und Katen überließ sie Pächtern oder Käufern mit der schriftlichen Versicherung, daß diese „im geringsten mit keiner Leibeigenschaft belegt, sondern … wirklich freie Leute sein, von solcher Leibeigenschaft gänzlich ausgeschlossen sein sollen“ – so beispielsweise in einem Kaufvertrag vom 1.5.1740. 6) Die Baronin wird sich bewußt gewesen sein, daß sie mit ihrer Zustimmung zur Niederlassung der Juden in ihrer Jurisdiktion unterstehenden Häusern eine besondere Verantwortung für diese Menschen übernommen hatte, zu der sie nun auch gegenüber dem König stehen müsse. Ihr Verhalten verdient um so mehr Beachtung, als sie durchaus nicht aus einer gesicherten Position gegenüber der Obrigkeit auftreten konnte. Denn das Fundament der Stärke wäre die wirtschafliche Solidität und Kraft ihres Gutes gewesen. Dies aber befand sich in einem hoffnungslosen Zustand. Ungeklärt bleibt, woher diese Juden gekommen waren. Ihre verhältnismäßig große Zahl scheint in Richtung Hamburg oder Altona zu weisen. Selbst dort war es nur wenigen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde gelungen, sich durch Geldgeschäfte eine gute oder doch auskömmliche Position zu schaffen. Denn Geldgeschäfte und Handel waren die einzigen Erwerbszweige, die wahrzunehmen ihnen gestattet war. Jedes Zunftgewerbe und die Landwirtschaft war ihnen verschlossen. So lebte der weitaus größte Teil der Hamburger Juden in drückenden wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen, aus denen manche versucht haben, in das ländliche Umland auszuweichen, immer mit dem Risiko, von dort wieder vertrieben zu werden.7) Kehren wir noch einmal zu dem Schreiben der Baronin vom 22.11. zurück, so enthüllt sich uns recht deutlich das öffentliche Bewußtsein, mit dem die Juden in Bramstedt konfrontiert waren. (Es mag angebracht sein, auf die verblüffende Übereinstimmung der damals verwendeten juden- und fremdenfeindlichen Stereotypen mit solchen hinzuweisen, die sich auch heute noch gegenüber Ausländern und Randgruppen artikulieren.) Während der Amtmann Rantzau die Anschuldigungen der Leute gegen Juden anscheinend unkritisch übernahm und damit sein Verlangen nach ihrer Anweisung untermauerte, nahm die Baronin eben diese Klagen, wohl wegen intimerer Kenntnisse der Verhältnisse am Ort, genauer unter die Lupe. Eine „Aufführung hiesiger Juden“, wie sie ihnen vorgeworfen wird,  habe es noch niemals gegeben, so ihr Befund. Das wäre auch ganz unwahrscheinlich gewesen, denn jedes provozierende Verhalten hätte ihre ungesicherte Lage, ihre völlige Abhängigkeit von Wohlwollen und Barmherzigkeit der Gutsherrin und der Obrigkeit unter judenfeindlichen Gesetzen aufs äußerste gefährdet. Wenn ihnen Störung und Beunruhigung der Eingesessenen vorgeworfen wurde, so dürfte dies allenfalls auf ihre abweichenden und ungewohnten religiösen Bräuche und die Nichtteilnahme am kirchlichen Leben und Gottesdienst abzielen. Baronin von Grote führt denn auch an, daß „diese Juden l e d i g l i c h (Sperrung v. Verf.) dem hiesigen Pastor Messarosch der Stein des Anstoßes gewesen, meistenteils darum, weil er aus ihrem Hause keine Pfarramtsgebühren zu erheben hat.“ Dieser Pastor Johann Georg Messarosch, aus Ungarn stammend, amtierte von 1733 bis 1747 in Bramstedt, und zwar durch kein Patronatsverhältnis an das Gut gebunden.8) Die Baronin klagt, dieser Mann habe von Anfang an „gar ausnehmend Merkmale einer besonderen Widersetzlichkeit gegen mich und meine Leute blicken lassen, auch bis jetzt eine ihm unanständige Herrschaft über die Untertanen affectiret.“ iesen Mann mag bei seinem Auftreten gegen die Juden ein ganzes Bündel von Motiven geleitet haben: Ärger über entgangene Einkünfte, Zwist mit der Baronin und vor allem auch kirchlich-christliche Intoleranz gegenüber den Juden. Alles zusammen dürfte ihn veranlaßt haben, daß er „Amtmann Rantzau dahin vermochte, daß selbiger in Ermangelung anderer wichtiger Befugnisse dieserwegen Eurer Majestät immediate behelligen müsse. Worauf denn von einer… Regierungskanzlei oben angeführter Befehl an mich ergangen“, so die Baronin. Das mögliche religiöse Motiv verdient besonderes Hinsehen. Pastor Messarosch trat bald nach diesen Ereignissen von der evangelisch-lutherischen Konfession zur Kirche der Mährischen Brüder über und setzte damit sein Amt und seine Einkünfte aufs Spiel. Doch, mit seinen eigenen Worten, „Mir deuchte es Gnade… nachdem eine allergnädigste königliche Ordre eingelaufen, daß ich all meine Habseligkeiten hier im Lande lassen und nicht einmal das Reisegeld von dem Meinigen nehmen soll. So wurden meine meubles… allhier öffentlich verauktioniert, und ich habe davon nicht einen Pfennig bekommen…9) und ich als den 23. Oktober mit Freunden davongezogen.“10) Messaroschs Verhalten gegenüber den Juden paßt nur schlecht in das Bild der Mährischen oder auch Böhmischen Brüder, der späteren Brüdergemeinde Zinzendorffs, die ihr Leben und ihre Verkündigung radikal an den Grundsätzen des Urchristentums zu orientieren suchten, nach einem einfachen Leben trachteten, Eid, Kriegsdienst und öffentliche Ämter für sich ablehnten. Zudem verfügten sie als religiöse Minderheit über reichliche Erfahrungen mit Verfolgung, Bedrückung und übler Nachrede seitens einer intoleranten Kirche. Vielleicht aber löst sich die Diskrepanz im Leben dieses Pators auf, wenn man annimmt, daß seine „Bekehrung „erst nach diesem Vorfall erfolgte. Denn noch die Kirchenvisitation des Jahres 1746 fand in Gegenwart Messaroschs als Gemeindepastor statt.11) Das Eintreten der Baronin zeigte im übrigen Wirkung. Die Regierungskanzlei in Glückstadt zeigte sich beeindruckt und legte der Regierung in Kiel in Frageform nahe, der Bitte der Baronin zu entsprechen (22.12.1740). Und so geschah es: Markgraf Friedrich Ernst von Brandenburg-Culmbach als Stadthalter des Königs entschied, angesichts der „angeführten beweglichen Umstände“ der Juden könne dem Begehren der Frau von Grote wohl entsprochen werden (24.12.1740). So ist anzunehmen, daß die Juden bis zum Mai 1741 in ihren Häusern blieben und dann erst den Flecken verließen.



letzte
Anschrift des Verfassers:
Gerhard Hoch ✝
Buchenstaße 2
25486 Alveslohe



1 LAS Abt.1 1,Nr.1144.
2 Hans Hinrich Harbeck, Chronik von Bramstedt.1895, S.277;
Wolfgang Platte. Geschichte Bramstedts.1988,S.80f.;
Johann Kähler. Das Stör-Bramauta1.1905, S.115.
3 Wolfgang Prange. Entstehung und innerer Aufbau des Gutes Bramstedt; in: ZGSHG Bd.91, 1966,S.165f;
zur Lage auf Bramstedt im Jahre 1740: W. Prange, die Anfänge der großen Agrarreformen in Schleswig-Holstein bis 1771: QuFGSH, Bd. 60, Neumünster 1971 S 163-166
4 Den Namen Kloster trugen einige zum Gut gehörende Ländereien; s. Platte, Geschichte Bramstedts, S. 52
5 Willy Victor, Die Emanzipation der Juden in Schleswig-Holstein. 1913, S. 8
6 Harbeck, Chronik, S. 281
7 Hierzu Helga Krohn, die Juden in Hamburg 1800 – 1850, 1967
8 Harbeck, Chronik, S. 293ff.
9 Diese rigorose Behandlung entsprach einer Verordnung König Christians VI. v.18.1.1745
10 Zit. nach Harbeck, Chronik, S. 126
11 Archiv der Kirchengemeinde Bad Bramstedt, Nr. 32.

Dieser Beitrag wurde unter F - Vermischtes veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.