Claußen: 1911 – Ein Flugzeug muss in Großenaspe notlanden

aus dem heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg, 1995, S. 53f

Hans Claußen, Großenaspe

1911: Ein Flugzeug muß in Großenaspe notlanden

Der Wunsch, es den Vögeln gleichzutun und durch die Lüfte zu schweben, ist ein uralter Menschheitstraum. Doch unendlich lange hat es gedauert, bis dieser Traum in Erfüllung ging. Immer wieder haben einfallsreiche und wagemutige Männer den Vögeln das Geheimnis des Fliegens abzulauschen versucht. Dem deutschen Ingenieur Otto Lilienthal gelang es schließlich Ende des vorigen Jahrhunderts, die ersten Gleitflüge durchzuführen. Als er 1896 ein Opfer seines Wol-lens und seines hohen Mutes wurde, hinterließ er der Nachwelt zugleich seine reichen Erfahrungen.

Nachdem dann der Benzinmotor erfunden war, gelangen den Brüdern Wright in Amerika die ersten wirklichen Flüge, schafften sie im Jahre 1908 in ihrem Doppeldecker eine Strecke von 123 km. 1909 flog der Franzose Bleriot als erster über den englischen Kanal. Schon 2 Jahre später, in einer Zeit also, in der die Fliegerei noch in ihren Kinderschuhen steckte, hat unser Dorf bereits engste Bekanntschaft mit dieser großartigen Erfindung gemacht: „Vom 17. bis 23. Juni 1911″, so wird in der Schulchronik berichtet, „war die Kieler Flugwoche. In den Morgenstunden des erstgenannten Tages gewahrten wir nacheinander sieben Flugmaschinen, die in ruhiger Fahrt bei prächtigstem Wetter dem Kieler Landungsplatz zustrebten, wo auch alle glücklich angekommen sind.

HkJb1995_01Am Montag abend sahen wir über Halloh hin einen Zweidecker. Es war der Flieger König, der auch Kiel glücklich erreichte. Am Dienstag, dem 20. Juni,morgens 4.30 Uhr ward ich (Hauptlehrer A. Burmeister) von Hans Mohr, Enkel des Hufners Martin Sellhorn – Großenasperfeld -, geweckt, und es ward mir von ihm gemeldet, daß auf der Weide Brookhorn, dem Amtsvorsteher Hufner Hinrich Stölting hierselbst gehörig, der Flieger Paul Lange aus Wien mit seinem Eindecker niedergegangen sei und um 8 Uhr weiterfliegen wolle.

Über seine Fahrt bis hierher will ich hier seine eigne Mitteilung wiedergeben: ,Um 7.50 Uhr am Montag abend war ich mit meinem Passagier Otto Temmel aus Hamburg abgefahren. Die Fahrt ging anfangs sehr glatt vonstatten; mein 70-PS-Daimler-Motor arbeitete vortrefflich, und bald hatte ich eine Geschwindigkeit von 110 km pro Stunde erzielt. Nach einer Fahrt von 10 Minuten wehte uns intensiver Brandgeruch entgegen; unter uns sahen wir eine große schwarze Fläche. (Die Lutzhorner Tannen waren wenige Tage vorher durch ein gewaltiges Feuer, dessen Schein wir hier in Großenaspe am Abend deutlich sehen konnten, vernichtet worden.)

Da ich an ein großes Moor glaubte – in Hamburg war ich merkwürdigerweise nicht auf die veränderte Gegend bei Lutzhorn aufmerksam gemacht worden -, steuerte ich rechts und kam plötzlich in eine Gewitterwolke hinein . Und nun ging ein tolles Treiben an. Ein Windstoß warf uns plötzlich 50 m steil abwärts, ein andrer wieder 20 m hoch, bald links, bald rechts wurden wir geworfen, bald lag das Fahrzeug auf der Seite oder es stand Kopf. Ich hatte fast die Hoffnung auf ein glückliches Ende aufgegeben, aber der Motor blieb intakt und arbeitete vorzüglich; so kamen wir schließlich glücklich aus dem Gewitter. Nach der Fahrtdauer mußte ich jetzt über Neumünster sein, konnte aber nichts erspähen. Ich mußte also niedergehen, um zu erspähen, in welcher Gegend ich mich befände. Bald entdeckte ich eine Wiese, die mir geeignet schien, und mit abgestelltem Motor ging ich im Gleitflug nieder. Kurz vor der Landung jedoch wurde der Apparat von einem Windstoß gepackt, er setzte seitwärts über einen Zaun, berührte darauf die Erde und übersprang, bevor er anhielt, noch drei Gräben. Hierbei ist ein Stück der Gleitschiene abgebrochen. Im übrigen sind Apparat und Motor trotz der schweren Fahrt vollständig intakt geblieben. Zwei Monteure, die in dem begleitenden Automobil waren, wurden auf telephonischen Anruf in Bramstedt angehalten und durch ein Bramstedter Automobil nach hier befördert, wo sie sich sofort an die Ausbesserung machten. Wann ich weiterfahre, weiß ich nicht, jedenfalls nicht eher, als bis der Schaden repariert und gutes Wetter ist.‘

Als das Ereignis, daß die erste Flugmaschine auf Großenasper Gebiet gelandet sei, genügend bekannt wurde, ward die Schule ausgesetzt, und es begann bald eine förmliche Völkerwanderung nach dem Brookhorn. Von allen Seiten strömten Leute herbei, um den Riesenvogel zu sehen.

Es ist ein Etrich-Rumpler-Eindecker ,Taube‘, Besitzer Flieger Lange. Schwanz und Flügelenden sind beweglich und dienen als Steuer. Die Klafterweite beträgt 15 m, die Flügelbreite ist 2,85 m und die Länge des ganzen Aero-planes vom Kopf bis zum Schwanzende 10,50 m. Am Kopf der ,Taube‘ befindet sich ein Austro-Daimler -Motor von 70 PS, der einen ganz vorn befindlichen zweiflügeligen Holzpropeller von reichlich 2,50 m Durchmesser treibt. Letzterer macht 1400 Umdrehungen in der Minute. Hinter dem Motor befindet sich der verdeckte Sitz für den Passagier und noch mehr nach hinten ist der Führersitz. Unten sind Holzschienen und Räder mit federnden Stangen angebracht, welche beim Auf- und Abstieg Dienste zu leisten haben.

Am Dienstag abend war der Apparat bereits fertiggestellt, aber es konnte noch kein Aufflug unternommen werden, weil aus Kiel Sturm gemeldet war. Auch am Mittwoch lag die ,Taube‘ noch bis zum späten Abend ruhig da. Fast hatte man die Hoffnung auf das Erscheinen der Flieger aufgegeben, als in später Abendstunde, 8.30 Uhr, zwei Automobile sie nebst zwei Monteuren von Bad Bramstedt brachten. Letztere unterwarfen den Apparat einer genauen Durchsicht, Herr Lange nahm im Führersitz Platz und nach einem kurzen Anlauf erhob sich der Riesenvogel in die Lüfte zu einem prächtigen Rundflug. Es war ein unvergeßlicher Anblick. In einem großen Bogen kehrte die ,Taube‘ zu uns zurück und ging jetzt auf der Weide des Hufners Johannes Mehrens in Großenaspe nieder. Wieder war derselbe Bruch eingetreten wie am Montag abend. Am Donnerstag vormittag ward derselbe aber ausgebessert, und am Donnerstag nachmittag sollte nun endlich der Aufstieg nach Kiel stattfinden. Tausende von Menschen hatten sich eingefunden. Der Apparat wurde durchmontiert. Herr Lange und Herr Otto Temmel nahmen ihre Sitze ein. Der Motor ward in Bewegung gesetzt und nach längerem Anlauf ging die ,Taube‘ in die Luft, um aber sehr bald wieder niederzugehen. Es zeigte sich, daß der Propeller von der Feuchtigkeit gelitten hatte und drum ein Aufstieg nicht möglich war.

Am Freitag gab Herr Lange die Fahrt nach Kiel endgültig auf. Die ,Taube‘ wurde abmontiert und mit der Bahn nach Hannover gesandt. Damit hatte dieses für unsern Ort so wichtige Ereignis sein Ende erreicht. Wir aber hatten den Vorzug genossen, eine Flugmaschine aus nächster Nähe betrachten zu können und auch fliegen zu sehen, wie es auf den größeren Flugplätzen gar nicht möglich ist.“

Ja, das war schon eine Sensation, und wir verstehen es, wenn in jenen Tagen Tausende von Menschen aus nah und fern herbeieilten, um teilzuhaben an dem Ereignis!

Als ein Jahr später, Ende Juni/Anfang Juli 1912, anläßlich der Kieler Woche 2 Doppeldecker in ruhiger Fahrt über Großenaspe in Richtung Kiel dahinflogen, wurde manches Erlebnis aus den Junitagen 1911 wieder lebendig.

Um das Jahr 1912 herum wurden auch die deutschen Zeppeline wiederholt, bald näher, bald ferner, gesichtet. Zweimal flogen sie direkt über unsern Ort dahin, einmal die „Viktoria-Louise“, am Sonnabend, dem 22. Juni 1912, einmal die „Hansa“ auf ihrer Fahrt nach Flensburg.

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