Beckmann: Rettet den Winkel – erhaltet das Stadtbild

Beitrag stammt aus dem Heimatkundlichen Jahrbuch des Kreises Segeberg 1982, S. 105f, das Foto habe ich ergänzt.
Wie sehr zu der Zeit die Meinung wogte, zeigen die hier zum Durchblättern hinterlegten Unterlagen aus dem privaten Archiv des damaligen Bürgermeisters Wedde. Sie zeigen auch, wie sehr der damalige Zeitungsredakteur (wdo) Meinung machte statt zu berichten.
Hätte er sich nicht den Forderungen angeschlossen bzw. sich dafür engagiert, wäre die Diskussion wohl anders ausgegangen. Er legte sich damals mit dem CDU-Fraktionsvor-sitzenden massiv an – was ihn letztendlich die Wiederwahl kostete.
Für Bramstedt war es ein Wendepunkt in der Stadtplanung – Gestaltungssatzung, Erhaltungssatzung, städtebaulicher Rahmenplan … kamen in Folge, angestoßen haben es die selbstbewußten Bürgerinnen und Bürger und – nicht zu vergessen – Heinz Wedde.


Maria Beckmann, Fuhlendorf

1980-83_ImWinkel_BebauungRettet den Winkel!

Mit dem Entschluß zur Erhaltung und Restaurierung einer malerischen Häusergruppe Im Winkel wird eine zukunftweisende Entwicklung gefördert. Wir bemühen uns um eine umfassende Darstellung der Planungen in Bad Bramstedt für das Jahrbuch 1983, wollen unseren Lesern jedoch in diesem Jahre die Ausführungen nicht vorenthalten, die anläßlich der Eröffnung einer Foto-Ausstellung der Bürger­initiative „Rettet den Winkel“ im Bramstedter Schloß am 30. November 1980 durch die damalige Vor­sitzende gehalten wurden.                   W. K.

Sehr geehrter Herr Bürgervorsteher, sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Mitbürger, liebe Gäste!

Wir danken Ihnen allen herzlich dafür, daß Sie unserer Einladung gefolgt sind.

Hier ist Thomas Kopf, unser Fotograf, der mitten in den Abiturarbeiten viel, viel Zeit hergeschenkt hat, um die Schönheit Bad Bramstedts im Bild festzuhal­ten. Danke, Thomas Kopf! – Dank allen, die mit ihrer Spende, ihrer Mitarbeit geholfen haben, diese recht kostspielige Ausstellung auf die Beine zu stellen. – Dank auch den Mitarbeitern der Roland-Werbung, die uns immer dabei hilft, Bramstedter Häuser vorzustellen und die entsprechenden geschichtlichen Bezugspunkte aufzuzeigen.

Wir, das sind viele junge und ältere Leute, die unser Stadtbild von Herzen lie­ben und jede Veränderung mit Aufmerksamkeit – manchmal mit Sorge beob­achten.

Wir möchten zunächst einem grassierenden Bazillus entgegentreten, nämlich der Furcht so manchen Bramstedters, wir könnten die Mumifizierung dieser Stadt betreiben, um sie zu einem Denkmal erstarren zu lassen. Das ist einfach nicht wahr! Wir möchten lediglich die gewachsenen Strukturen erhalten helfen, die, wie Sie aus dem Stadtkernatlas Schleswig-Holstein unschwer entnehmen können, schon recht gestört sind.

Wir möchten das Bewußtsein der Bürger wecken helfen, damit alle mit Freuden bei der Erhaltung dabei sein wollen und niemand um eines vorübergehenden Vorteiles willen Stadtzerstörung betreibt.

Unsere großen freien Plätze, um die uns manche Stadt mit einer zugebauten Kathedrale nur beneiden kann, heben jedes einzelne Haus deutlich hervor. Sie werden selbst schon die Erfahrung gemacht haben. Nimmt man so manches großzügig gerahmte Bild aus seinem Rahmen heraus, so bleibt oft ein unschein­bares kleines Bild übrig. Der Rahmen unserer Freiplätze läßt jede Dachgaube, jede Fensterreihe, jede Haustür besonders hervortreten. Nichts bleibt unge­sehen.

Jeder Fremde, besonders der aus südlicheren Gebieten unseres Landes kom­mende, empfindet unsere Stadtmitte als etwas Unverwechselbares, typisch Hol­steinisches. Und, obwohl die Bramstedter Häuser ohne Putz und Stukkaturen sind, gewinnt man sie lieb. Man schaut sich um. Die norddeutsche Architektur mit ihren übergroßen, soliden Dächern ist in den Augen deutscher und europäi­scher Betrachter identisch mit den blond­schopfi­gen, helläugigen Kindern des Nordens, die ja in der Gesamtschau etwas Besonderes sind, und damit Rarität und von eigenem Wert.

Irgendwann ist das Wort von der „Lebensqualität“ aufgekommen.

Ich möchte Sie davon überzeugen, daß Sie hier in Bramstedt in vollen Zügen und in höchstem Maße davon genießen.

Sie haben Bäume vor dem Fenster. In zehn Minuten können Sie die nächste Wiese erreichen, das nächste Waldstück. Wenn es Ihnen Freude macht, können Sie sich hier am Ort die luxuriösesten Mahlzeiten zusammenstellen. Sie haben Konzerte, Theater, gute Schulen für Ihre Kinder, Volkshochschule und hervor­ragende und vielseitige Sportmöglichkeiten — und jetzt schon mehr Lebensmit­telmärkte als Postbriefkästen.

Kommt man von einer vorweihnachtlichen Exkursion in eine benachbarte Großstadt zurück — noch mit dem vervielfältigten Halleluja im Ohr, das einen auf allen Rolltreppen verfolgt, so kommt man von ganz allein darauf, daß man hier ein Höchstmaß an Lebensqualität genießt, ja man kann es fast als exklusi­ven Lebensstil bezeichnen. Von allen Zufahrtstraßen sieht man den geschmück­ten Baum vor dem Schloß und den vornehmen, dezenten Schmuck, in den sich die Stadt alle Jahre hüllt. Alles ist dem Weihnachtsgeschehen angepaßt. Nichts ist aufdringlich. Und noch, „noch“, sage ich, sind in den Bramstedter Geschäf­ten ganze Familien bemüht, Ihre Wünsche entgegenzunehmen und nach besten Kräften zu erfüllen. Diese Familien stehen mit ihrem guten Namen ein für das, was sie zu bieten haben. Man fühlt hier die Nachbarschaft, die Nähe des Mitmenschen.

Meine Damen und Herren,

die ganze Gestalt unserer Stadt ist mitmenschlich, nachbarlich. Sie ist in natür­licher Folge gewachsen. Die Strukturen sind überkommen, ererbt. Schaut man so manchem blitzweiß verklinkerten Gebäude zwischen die Rippen, dann schaut da bestes Handwerk der Altvorderen heraus, auf das Sie stolz sein können. Es ist Kultur.

Glücklicherweise hängt gerade die vielgeschmähte heutige Jugend am alten Kulturgut, vielleicht mit einer unausgesprochenen Furcht vor der Vermassung, Verödung des menschlichen Daseins, Furcht vor dem Leben ohne Baum und Strauch. — Es ist kein Geheimnis mehr, daß Verbrechen und Laster in unmittel­baren Zusammenhang zu bringen sind mit der Verödung unserer Städte.

Darum bitten wir Sie immer wieder: Geben Sie die Schönheit Ihrer Stadt nicht preis um eines vorübergehenden Gewinnes willen!

Dieser Beitrag wurde unter J - Neuzeit veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.